Fischer Weltgeschichte, Bd.22, Süd- und Mittelamerika I, Die Indianerkulturen Altamerikas und die Kolonialherrschaft

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    Fischer Weltgeschichte

    Band 22

    Sd- und Mittelamerika IDie Indianerkulturen Altamerikas und die spanisch-portugiesischeKolonialherrschaft

    Herausgegeben und verfat vonRichard Konetzke

    Dieser Band ist der erste von zwei Bnden ber Sd- und Mittelamerika im Rahmen derFischer Weltgeschichte. Er behandelt in chronologischer Folge die IndianerkulturenAltamerikas und die spanisch-portugiesische Kolonialherrschaft. Neben den politischenEreignissen werden die wirtschaftlichen und sozialen Verhltnisse in deniberoamerikanischen Kolonien und die geistig-religisen Grundlagen der Conquistavorgefhrt und als wirksame Krfte des Geschichtsablaufs beschrieben. Prof. RichardKonetzke, der Verfasser dieses Bandes, war Direktor der Iberischen und

    Lateinamerikanischen Abteilung des Historischen Seminars der Universitt Kln. SeineDarstellung, die auf jahrzehntelangen Forschungen beruht, zeigt die Eingliederung deraltamerikanischen Reiche der Inkas und Azteken in das Imperium der spanischen undportugiesischen Krone. Die einzelnen Kapitel schildern die Indianer und ihre Kulturen,die Rechtstitel der spanischen und portugiesischen Kolonialgrndungen, dieSiedlungspolitik und die Siedlungsformen der Konquistadoren, dieBevlkerungsgeschichte Lateinamerikas, die Entwicklung der staatlichen Organisation,die spanisch-portugiesische Eingeborenenpolitik, die Stellung der katholischen Kircheund ihrer Missionare, die wirtschaftliche Erschlieung der Kolonialreiche und diekulturellen Strmungen der Zeit. Der Band ist in sich abgeschlossen und mit

    Abbildungen, Kartenskizzen und einem Literaturverzeichnis ausgestattet. Ein Personen-und Sachregister erleichtert dem Leser die rasche Orientierung. Die Geschichte Sd-und Mittelamerikas findet in Band 23 derFischer Weltgeschichte ihre chronologischeFortsetzung bis zur Gegenwart.Der Verfasser dieses Bandes

    Richard Konetzke

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    (18971980); 1921 Promotion zum Dr. phil.; 1925 Studien in spanischen Archivenber die Geschichte des aufgeklrten Absolutismus in Spanien; nach einermehrjhrigen Ttigkeit als Studienrat in Berlin 1941 mit Forschungen zurGeschichte der spanischen Kolonisation in Amerika beauftragt; 194452 erneuteArchivstudien in Spanien, vor allem im Indienarchiv von Sevilla; nach einem

    Aufenthalt als Research Associate an der Duke University in Durham (USA) ab1954 Dozent an der Universitt Kln; von 1961 bis zu seiner Emeritierung imJahre 1965 a. o. Professor fr Iberische und Lateinamerikanische Geschichte undDirektor der Iberischen und Lateinamerikanischen Abteilung des HistorischenSeminars der Universitt Kln. 1963 Professor h. c. der UniversittCrdobaArgentinien. 1939 verffentlichte er die grundlegende Geschichte desspanischen und portugiesischen Volkes; 1953, 1958 und 1962 publizierte er diedreibndige Coleccin de Documentos para la Historia de la Formacin Socialde Hispano-america. Mit zahlreichen Beitrgen ist er in allen wichtigendeutschen und internationalen Fachorganen vertreten. Er war Mitherausgeber

    der Lateinamerikanischen Forschungen und seit 1964 Herausgeber desJahrbuches fr Geschichte von Staat, Wirtschaft und GesellschaftLateinamerikas.

    Vorwort

    Die Darstellung eines rumlich und zeitlich so ausgedehnten Geschehens, wie esdie Kolonisation der Spanier und Portugiesen in Amerika gewesen ist, in einemknappen Band stellt den Verfasser vor erhebliche Schwierigkeiten. Die Vorgngeverliefen regional sehr verschieden, und jede allgemeine Aussage ist in Gefahr,

    die Dinge allzusehr zu simplifizieren. Der Zeitraum der zu behandelndenGeschichte reicht von der Renaissance bis zur Franzsischen Revolution, und diein Europa eingetretenen Wandlungen vernderten ebenfalls das koloniale Lebenin der Neuen Welt, so da die historische Wirklichkeit am Ende der Kolonialzeitein anderes Bild zeigt als das der Anfangszeiten. Es kommt hinzu, da dieDarstellung der lateinamerikanischen Geschichte bei europischen Lesern imallgemeinen sehr wenige Kenntnisse voraussetzen kann und viel mehr anelementaren Fakten und Daten einbeziehen mu, als es bei der Behandlungeuropischer Landesgeschichten notwendig ist. Die KolonialgeschichteLateinamerikas ist auerdem in mancher Hinsicht noch ein Neuland derForschung, wenn auch die vorliegenden Verffentlichungen auf diesem Gebietbereits fast unbersehbar geworden sind. Noch heute bliche Wiederholungenvon Meinungen, die durch die neuere Forschung lngst berichtigt oder widerlegtworden sind, zeigen, wie langsam die Fortschritte der Wissenschaft in dasallgemeine Geschichtsbewutsein aufgenommen werden.

    Die Auswahl der darzustellenden Dinge war von dem Bemhen geleitet,wesentliche Aspekte der spanischen und portugiesischen Kolonialherrschaft inAmerika zur Anschauung zu bringen und eine einseitige Betrachtung und eine

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    monokausale Erklrung zu vermeiden. Es war weiter das Bestreben, nicht dieisolierte Geschichte einer fernen, exotischen Welt zu schreiben, sondern eineVorstellung zu vermitteln, wie universalhistorische Probleme ihre besondereAuswirkung in der Gestaltung einer neuen Geschichte Amerikas gefundenhaben, die mit den europischen Kolonisationen einsetzt. Die Kolonialgeschichte

    Lateinamerikas ist nur ein Thema der allgemeinen Menschheitsgeschichte undkann wissenschaftlich nicht als eine Absonderheit oder Verirrung, als ein zuverurteilender Kolonialismus abgetan werden. Durch das Zusammentreffen soverschiedener Rassen und Kulturen und durch die Einwirkungen sounterschiedlicher geographischer Umwelten bietet die EntwicklungLateinamerikas ein weites Feld fr uerst instruktive Beobachtungen dergeschichtlich-gesellschaftlichen Vorgnge berhaupt. Lucien Febvre empfand,da die lateinamerikanische Welt den Historiker mit besonderer Eindringlichkeitanspricht und zur Beschftigung mit ihr aufruft: Comment, si lon est historienvraiment et profondment-comment, si lon a lHistoire dans le sang et dans la peau,

    comment ne pas frmir dappetit et denvie devant cette Amrique si varie, si offerte enapparence, si replie en ralit: au total si irritante pour le spectateur intelligent?Die Darstellung dieses Bandes ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen

    Beschftigung mit dem Gegenstand. Sie beruht vor allem auf mehrjhrigenununterbrochenen Archivforschungen in Spanien, insbesondere im Indienarchivvon Sevilla, und wurde weiter gefrdert durch meine wissenschaftliche Ttigkeitan der Duke University in Durham N.C. Seit 1954 sind die Themen dieses BuchesGegenstand meiner Lehr- und Forschungsttigkeit an der Universitt Klngewesen. Dieser berblick ber die Kolonialgeschichte Mittel- und Sdamerikashtte aber nicht verfat werden knnen, ohne da die vielen neueren

    Forschungen in Bchern und Aufstzen vorlgen, die in Auswahl in denbibliographischen Anmerkungen verzeichnet sind. Ihren Autoren, mit denenmich teilweise auch persnlicher Kontakt und Gedankenaustausch verbundenhaben, gilt mein besonderer Dank.

    Fr die Mitarbeit bei der Vorbereitung dieses Buches danke ich meinemAssistenten Dr. Gnter Kahle und fr das Lesen der Korrekturen und andereHilfen bei der Drucklegung meinem Schler cand. phil. Johann Hellwege.

    Richard Konetzke

    1. Die Indianer Amerikas; ihre Kulturen und ihr Verhalten gegenber den

    weien Eroberern

    Die geographische Lage und die Oberflchengestaltung des amerikanischenKontinents haben die Entwicklung der Vlker und Kulturen auf diesem Erdteilentscheidend bestimmt1. Amerika erstreckt sich in nordsdlicher Richtung von72 Grad nrdlicher Breite bis 56 Grad sdlicher Breite und ist mit einerAusdehnung von ca. 14000 km der lngste Kontinent, whrend seine grte

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    Breite zwischen 4000 und 5000 km liegt und seine schmlste Stelle, die Landengevon Panama, nur 46 km erreicht. Die Gebiete, die die indianischen Hochkulturenhervorbrachten und die vorzugsweise von den Spaniern und Portugiesen erobertund kolonisiert wurden, nehmen die mittleren Teile dieser nordsdlichenLandausdehnung, die Gegenden zwischen dem Nrdlichen und Sdlichen

    Wendekreis, ein. Sie gehren also der Tropenzone an. Das tropische Klima wirdaber durch das Hochgebirge der Anden, das sich an der amerikanischenWestkste entlangzieht und sich bis ber die Schneegrenze erhebt, gemildertoder aufgehoben.

    Amerika ist ferner ein isolierter Kontinent. Die krzeste Verbindung mitEuropa liegt im Nrdlichen Polarkreis, und die nrdlichste Schiffahrt hat wohldie Wikinger durch die gnstigen Wind- und Strmungsverhltnisse von Europaber Island und Grnland nach Labrador gebracht, war aber nicht geeignet,einen Kontakt zwischen der Alten und Neuen Welt herzustellen. Hoch imNordwesten, an der Beringstrae, berhren sich Amerika und Asien. Zur Zeit

    der letzten Vereisung, vor etwa 25000 Jahren, war durch das Absinken desMeeres ein fester Zusammenhang zwischen beiden Kontinenten entstanden, undber diese Landbrcke sind die ersten Menschen nach Amerika gekommen. Eswerden mehrmalige, ber groe Zeitrume sich erstreckende Einwanderungenerfolgt sein, und spter auch Nachschbe zur See, an den Aluten vorbei,stattgefunden haben. Es ist wiederum bezeichnend, da die Windstrmungendie Fahrt von der asiatischen Kste nach Nordamerika begnstigen, aber denumgekehrten Weg nach drauen behindern. Es wird angenommen, daPolynesier auf ihren Schiffen ber den Pazifik nach Amerika gelangt sind undsich dort angesiedelt haben, aber peruanische Kstenbewohner erreichten nicht,

    wie die heute abgelehnte These Thor Heyerdahls behauptete, die polynesischenInseln. Die Eingeborenen Amerikas vermochten nicht, von sich aus einenKontakt mit den euro-asiatischen Kulturen herzustellen. Ihre fast vlligeIsoliertheit hat die Herausbildung amerikanischer Hochkulturen beeintrchtigtund behindert2.

    In der Hauptsache gehren die Indianer einer kaukasisch-mongoliden Rassean. Es treten auch vielmals Merkmale des europischen Menschentyps auf. DieSpanier beobachteten, wie in manchen Gegenden die Eingeborenen nach ihrerGesichtsbildung und weien Hautfarbe fr Europer gehalten werden konnten.Sie stellten auch mit berraschung fest, da in den amerikanischen Tropen keineNeger lebten. Diese Abweichung vom negriden Bevlkerungstyp hat gewi dieVermischung von Indianern und Weien erleichtert. Die Indianer sind keineinheitlicher rassischer Typ. Die Verschiedenartigkeit der Einwanderungswellen,aber auch die Isoliertheit der Bevlkerung in einem weiten und unwegsamenRaum erklren die Unterschiede der ueren Erscheinung der amerikanischenEingeborenen. Der Eindruck der Vielfalt wird noch durch die sprachliche undkulturelle Zersplitterung Altamerikas verstrkt. Man hat 125 unabhngige

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    Sprachfamilien in Amerika festgestellt, die Hunderte von Einzelsprachen undDialekten umfassen.

    Die Zivilisationen, die auf diesem Kontinent sich entwickelten, blieben meistvoneinander getrennt, oder ihr gegenseitiger Verkehr und Austausch warendoch gering. Ihre mangelnde Angleichung erklrt sich auch aus dem stark

    ausgeprgten Widerstreben der Indianer gegen Neuerungen. In einigenLandschaften kam es zum Aufstieg von Hochkulturen, und in anderenentlegenen Gegenden lebten die Menschen in primitivster Wildheit. Es gab zurZeit der europischen Entdeckungen weder den indianischen Menschen nocheine allgemeine indianische Kultur.

    Altamerika war nun aber auch keine abgeschiedene Welt, die in einemidyllischen Frieden gelebt htte. Die in Amerika entdeckenden undkolonisierenden Europer stieen berall auf Gegenstze, Feindschaften undKmpfe zwischen Stmmen oder Vlkern verschiedener Lebensbedingungenund verschiedener Kulturhhe3. Krieg war die hauptschliche Beschftigung

    vieler Eingeborenenstmme, und die Kmpfe wurden in grausamster Weise,mitunter bis zur Ausrottung eines feindlichen Stammes, ausgefochten. Diegroen Reiche Altamerikas sind durch kriegerische Eroberungen gegrndet unddurch despotische Herrschaftsgewalt zusammengehalten worden.

    Die Wirtschaft der Indianer Altamerikas befand sich im Zeitalter derEntdeckungen auf verschiedenen Entwicklungsstufen. In weiten Gebieten lebtendie Bevlkerungen noch auf der Stufe der Sammler, Jger und Fischer. Alsschlachtbare Haustiere kannten die Indianer fast nur den Truthahn, die Ente, dasMeerschweinchen und eine Hunderasse. In einzelnen Gegenden lieferten dieJagd und der Fischfang eiweihaltige Kost, aber der Genu von Fleisch war nicht

    allgemein. Der Mangel an Protein wurde ersetzt, indem man der Kost Insekten,Frsche, Schlangen und hnliche Tiere beimischte. Da auch der Weizen fehlte,bedeutete die Ernhrung in Amerika fr die europischen Eroberer undEinwanderer eine groe Umstellung4.

    In verschiedenen Gegenden entwickelte sich die Pflanzerkultur. Hauptschlichwurde auf den Hochlndern der Kordilleren der Mais angebaut, und auf denwestindischen Inseln und im Stromgebiet des Orinoko, Amazonas und La Platalieferte die Kultur des Manioks, eines Knollengewchses, das wichtigsteNahrungsmittel. Es ist ein Ackerbau, der eine geringere Arbeitszeit undArbeitskraft erfordert als der Anbau von Getreide. Man rechnet, da dieMaisbauern nur 60 bis 70 Arbeitstage im Jahr aufzuwenden brauchen, um ihrenLebensunterhalt zu finden. Es sind Zivilisationen der Mue. ber denBodenbaukulturen haben sich die indianischen Hochkulturen entfaltet. DieLandwirtschaft wurde vielseitiger. Die Zahl der angebauten Kulturpflanzenvermehrte sich betrchtlich. Knstliche Bewsserung und Dngung steigertendie agrarische Produktion. Zu den drflichen Siedlungen traten Wohn- undTempelstdte. Man hat die Entwicklung der Stadtkultur in Amerika mit demAufkommen von Bewsserungssystemen fr eine intensivere Landwirtschaft in

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    Verbindung gebracht. Die gewerblichen Ttigkeiten nahmen einen groenAufschwung. Kunstvolle Keramik und kostbare Gewebe bewiesenhervorragende handwerkliche Fertigkeiten. Gold, Silber und Kupfer wurden zuSchmucksachen verarbeitet, aber Waffen und Werkzeuge meist aus Stein oderHolz hergestellt. Es trat auch an einzelnen Stellen die Verwendung der Bronze

    auf5. Die Verarbeitung des Eisens blieb unbekannt. Auf technischem Gebietwaren die Indianer meistens noch auf der Stufe der Steinzeit geblieben. Mrktestellten die Flle der Konsumgter und Luxuswaren zur Schau. Der Fernhandelverteilte die Produkte in einem weiten Umkreis.

    Den verschiedenen Kulturstufen entsprach der Aufbau der Staats- undGesellschaftsordnung. Bei primitiven Sammlern, Jgern und Fischern existiertenoch keine staatliche Organisation, und die Gemeinschaft ging nicht ber denFamilienverband hinaus. In anderen Fllen waren die Familien bereits zuStammesverbnden zusammengeschlossen, und es war ein weiterer Fortschritt,wenn einzelne Stmme sich zu festen Bndnissen vereinigten. An der Spitze der

    kleinen oder greren indianischen Gemeinwesen standen Huptlinge (caciques).Im allgemeinen war zur Zeit der spanisch-portugiesischen Entdeckungen dieHuptlingswrde erblich geworden. Die Stammeshuptlinge konnten aber auchvon der Volksversammlung gewhlt und abgesetzt werden. Neben solchenHerrschaftsverbnden, die auf Geschlechtergemeinschaften beruhten, hatten sichaber auch wirkliche Staaten herausgebildet, die die Herrschaft fr ein Gebiet inAnspruch nahmen und gewaltsam und durch Verwaltungsmittel durchsetzten.Schlielich entstanden durch militrische Expansion die beiden Groreiche derAzteken und der Inkas. Als oberste Kriegsfhrer gewannen die Herrscher dieserReiche eine absolute Befehlsgewalt und regierten als Despoten.

    In den greren politischen Verbnden war die Gleichheit allerFamilienmitglieder und Stammesgenossen durch eine stndische Gliederung derGesellschaft ersetzt worden. Kriegerische Eroberung und berlagerung bereine unterworfene Bevlkerung begnstigten die Herausbildung einerhierarchischen Ordnung der sozialen Schichten. ber den gemeinfreien Bauern,Handwerkern und Hndlern erhob sich ein Kriegeradel. Besonders weitgehenddifferenziert war die Gesellschaft im Reich der Azteken und Inkas. Unterhalb desgemeinfreien Volkes befanden sich die Sklaven, die als Kriegsgefangene oderdurch Raub und Kauf erworben wurden oder durch Strafe fr verschiedeneDelikte auf diese Stufe herabsanken. Zwischen den Gemeinfreien und Sklavengab es noch Hrige, die persnlich frei, aber dienstgebunden waren.

    Mannigfaltig war die Welt der Religionen bei den verschiedenen Stmmenund Vlkern Amerikas. Bei den Naturvlkern fand sich meist der Glaube an einhchstes Wesen und die Verehrung der Gestirngtter, und die Gottheitenwurden in Idolen dargestellt. Stammvter genossen ebenfalls gttlicheVerehrung. Vor allem wurde das religise Leben der Primitiv- Vlker durch denGlauben an Dmonen und Geister bestimmt. Verschiedenen Tierarten wurdenZauberkrfte beigelegt. Im Mittelpunkt des religisen Lebens standen die

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    Medizinmnner oder Schamanen, die sich in einen Trancezustand versetzten, ummit der bernatrlichen Welt in Verbindung zu treten.

    Die Religionen der Hochkulturen kannten eine groe Vielheit von Gottheiten6.Die Gtter unterworfener Vlker wurden in den Kult aufgenommen. Frbestimmte menschliche Anliegen wurden immer neue Gttergestalten

    ausgedacht. Diese besonders starke Ausprgung des Polytheismus ist von denchristlichen Spaniern als uerst widerwrtig empfunden und die Beseitigungder Vielgtterei als selbstverstndliche Verpflichtung aufgefat worden. Vlligabstoend erschienen ihnen diese Religionen, als sie die Darbringung vonMenschenopfern kennenlernten, die bei den Azteken grausige Ausmaeerreichten, aber ebenso im Inkareich bekannt waren.

    Die Zerstreutheit der indianischen Bevlkerungen ber einen weiten,zerklfteten Kontinent, die Unbekanntheit des Wagens und der Zugtiere fr dieHerstellung von Landverbindungen und das Fehlen des berseeischen Verkehrshaben eine Angleichung der amerikanischen Kulturen uerst erschwert. Fr die

    spanische und portugiesische Kolonisation ist es entscheidend geworden, daden Europern kein politisch und kulturell einheitliches oder gleichartigesAmerika gegenbertrat.

    Die mannigfachen Unterschiede in der politischen, wirtschaftlichen undkulturellen Entwicklung Amerikas sind den Spaniern und Portugiesen erst ganzallmhlich im Verlaufe ihrer Entdeckungen und Eroberungen zum Bewutseingekommen. Ihre Besitznahme und Besiedlung der berseeischen Gebiete gingenvor sich als ein stetes Experimentieren in einer fr sie tatschlich Neuen Welt.Es galt nicht nur Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln, sondern sie ineiner immer wieder vernderten Umwelt zu revidieren. An einigen Beispielen sei

    aufgezeigt, wie die Vorstellungen der Entdecker und Eroberer von den Vlkernund Kulturen Amerikas sich erweiterten und wandelten und wie sich dabei dasVerhalten der Eingeborenen gegenber dem Einbruch Europas entwickelte, dersie aus ihrer bisherigen Abgeschlossenheit herausri7.

    Die Spanier hatten ihren ersten Kontakt mit amerikanischen Eingeborenen aufden Inseln des Karibischen Meeres. Sie trafen auf den Groen Antillen die Taino,die der Vlkerfamilie der Aruak oder Arawaken angehrten und vomsdamerikanischen Festland her die Westindischen Inseln in Besitz genommenhatten. Von den Kleinen Antillen waren die Taino bereits vor der europischenEntdeckung von den Caniba vertrieben worden, die die Spanier Kariben undKannibalen nannten. Krperbau und Gesichtszge der Taino machten auf dieEuroper einen angenehmen Eindruck. Kolumbus schildert sie als gutgewachsene, hbsche Menschen und stellt mit berraschung fest, da sie keinkrauses Haar und keine schwrzliche Hautfarbe haben. Sie seien von ziemlichheller Hautfarbe und wrden, so meint er, fast so wei wie die Leute in Spaniensein, wenn sie bekleidet gingen und ihren Krper nicht der Sonne und der Luftaussetzten8. Migestaltete Ungeheuer, die viele in jenen Gegenden vermuteten,habe er nicht gefunden.

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    Kolumbus beobachtete bereits wesentliche Unterschiede zwischen beidenVlkergruppen. Die Taino waren nach seinen Eindrcken eine friedlicheMenschenart. Er rhmte die Gutmtigkeit und gesittete Lebensart dieserEingeborenen. Die Taino lebten auf der Stufe einer primitiven Pflanzerkultur,zeigten aber bereits Anstze zur Entwicklung einer Hochkultur. Der Anbau der

    Baumwolle lieferte ihnen den Rohstoff fr die Herstellung von Geweben; dasGold verarbeiteten sie zu Schmuckstcken und aus Stein und Holz schufen sieWerke der Plastik. Sie nherten sich den Fremden, die, so meinten sie, vomHimmel gekommen waren, ohne Argwohn und tauschten, was sie besaen,bereitwillig fr irgendwelche Kleinigkeiten aus. Kolumbus meinte, da man nieLeute von so gutem Herzen und von solcher Freigebigkeit, noch so furchtsamgesehen habe9, und schien in jenen Eingeborenen den edlen Wilden gefundenzu haben. Er schrieb den Katholischen Knigen: Es sind Menschen von Liebeund ohne Habgier ... Ich glaube, da es in der Welt kein besseres Volk nochbesseres Land gibt; sie lieben ihren Nchsten wie sich selbst, sie haben die

    lieblichste Sprache der Welt und sind sanftmtig und immer lachend10.Die Kariben dagegen wurden als ein grausames Kriegervolk bekannt. Sieunternahmen Raubzge nach den von den Taino bewohnten Inseln, erschlugendie Mnner und verschleppten die Frauen. Die Taino lebten in steter Furcht vorden berfllen der Kariben und konnten darum in den Weien ihre Beschtzererblicken. Sie beschrieben ihre karibischen Feinde als Wesen mit dem Gesichtund Gebi von Hunden und bezeichneten sie als Menschenfresser. Dertatschliche oder auch nur angebliche Kannibalismus der sog. Kariben, derenSiedlungsraum nicht genau bekannt war, sollte es dann rechtfertigen, wenn diespanische Gesetzgebung erlaubte, die Bewohner jener Inseln anzugreifen und als

    Sklaven zu verschleppen. Die Kariben, die zu den grten und krftigstenMenschen der indianischen Rasse gehrten, erwiesen sich als erbitterte Feindeder europischen Landnahme.

    Eine politische Macht stellten Taino und Kariben gegenber den europischenInvasoren nicht dar, da ihre staatliche Organisation noch kaum berDorfgemeinschaften und kleine Frstentmer hinausgekommen war. SptereAufstnde einzelner Huptlinge sind von den Spaniern brutal niedergeschlagenworden11.

    hnliche Erfahrungen machten die Spanier, als sie mit den Eingeborenen dervenezolanischen Festlandkste in Berhrung kamen. Sie unterschieden auch hierzwischen wilden, kriegerischen Indianern, die Kariben waren und in derKstenzone zwischen Paria und Borburata wohnten, und den friedlichen undfreundlichen Indianern der Kstenkordilleren, zu denen besonders dieCaiquetos gehrten und die auf einer hheren Kulturstufe lebten.

    Auch die Portugiesen trafen bei ihren Landungen an der brasilianischen Ksteauf primitive Bevlkerungen, die auf jungsteinzeitlicher Kulturstufe lebten. Dieostbrasilianischen Vlkergruppen fhrten ein Wildbeuterdasein und kanntenweder Weberei und Tpferei, noch die Verarbeitung der Metalle. Die Mnner

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    waren vorzugsweise Jger, whrend die Frauen Pflanzen sammelten und zueinem primitiven Ackerbau den bergang fanden. Ihr Schmuck war dieBemalung des Krpers und das Bekleben mit Federn. Kannibalismus undKopfjagd waren weitverbreitete Sitten. Am bekanntesten unter den eingeborenenStmmen Ostbrasiliens sind die Tup, die Botokuden und die Borror. Die

    Indianer nhrten sich hauptschlich von den Wurzelknollen der Manioka.Erstaunt schrieb der Schiffssekretr Pedro Paz de Caminha, der bei der erstenLandung Cabrals in Brasilien zugegen war: Dennoch sind sie dabei strker undbesser ernhrt als wir mit all dem Weizen und Gemse, was wir essen, undstellte nicht weniger verwundert fest: Sie wuten nichts von Eisen. Sie schnittenihr Holz mit keilfrmigen Steinen, die in einen Holzschaft gesteckt und sehr gutbefestigt wurden, so da sie widerstandsfhig waren.12

    Kolumbus hatte die von ihm entdeckten Eingeborenen als wilde Bevlkerungder Kste betrachtet und auf dem asiatischen Festland, dem er nahe zu sein

    glaubte, die Begegnung mit Vlkern hoher Kultur erwartet. Als er auf seinervierten Reise am Kap Honduras, ohne sich dessen bewut zu sein, auf demmittelamerikanischen Festland landete und bei den Eingeborenen Zeugnissegroer gewerblicher Geschicklichkeit vorfand, erblickte er darin einen Beweis,dem Reiche des Grokhans nahe zu sein. In Wirklichkeit war er mitMayavlkerschaften in Berhrung gekommen. Die Spanier begannen, imSiedlungsraum der Maya eine amerikanische Hochkultur kennenzulernen. ImJahre 1517 landeten die Teilnehmer der Expedition des Fernndez de Crdoba ander Kste von Yukatan. Die Mayas dieser Gegend bewirteten die fremdenAnkmmlinge gastfrei, zwangen sie aber am nchsten Tage, nach verlustreichen

    Kmpfen sich auf ihre Schiffe zurckzuziehen. Die Europer traten auf demamerikanischen Festland einer organisierten Macht gegenber.Der Raum der Maya-Kultur umfate Guatemala, westlich angrenzende Teile

    von Chiapas und Tabasco, Yukatan und Honduras. Seit dem 9. Jahrhundert wardie Halbinsel Yukatan das Hauptsiedlungsgebiet der Maya geworden. DasMayareich der Liga von Mayapan hatte sich um die Mitte des 15. Jahrhundertsin eine Anzahl von Stadtfrstentmern aufgelst. Dieser politische Niedergangder Maya-Herrschaft erleichterte den Spaniern die Eroberung Yukatans, die alsFolge der Eroberung Mexikos durch Hernn Corts sich wegen des erbittertenWiderstandes der Maya ber die Jahre von 1527 bis 1546 hinzog. Auch auf demguatemaltekischen Hochland trafen die Spanier einzelne unabhngigeStammesstaaten an.

    Whrend die Eingeborenen der Westindischen Inseln in drflichen Siedlungenlebten, war es auf dem Festland zur Entstehung von Stadtkulturen gekommen.Mit Erstaunen erblickten die Spanier in Yukatan volkreiche Stdte mitSteinhusern, hohen Tempelbauten und gepflasterten Straen. Die frherenKultsttten der Maya hatten sich zu Wohnstdten und befestigtenHerrscherresidenzen gewandelt. Die Stadt ist ein entscheidender Faktor fr die

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    Ausbildung der Hochkulturen in Altamerika geworden. Der berschssigeAnbau von Nahrungspflanzen, vor allem von Mais, erlaubte der stdtischenBevlkerung, sich den verschiedenen Handwerken, dem Handel und anderennicht Nahrung produzierenden Berufen zu widmen. So gab es in denMayastdten zur Zeit der europischen Entdeckung eine differenzierte,

    hierarchisch geordnete Gesellschaft, deren oberste Schicht ein Geburtsadel unddie Priesterschaft bildeten und deren unterste Stufe von den Sklaveneingenommen wurde, die durch Kriegsgefangenschaft und Vergehen unfrei undverkuflich geworden waren. Die Verwendung von Metall kannte man jedochauch in dieser Stadtkultur noch nicht. Werkzeuge und Waffen wurden aus Steinund Holz hergestellt. Die Stdte der Maya-Kultur waren Mittelpunkte einesausgedehnten Fernhandels.

    Die Maya entwickelten eine bedeutende geistige Kultur und sind darum dieGriechen Amerikas genannt worden. Sie besaen eine Bilderschrift, aber dieMehrzahl der Hieroglyphen ist noch nicht gedeutet und ihre Verknpfung zu

    einem gedanklichen Zusammenhang nicht entrtselt. Sie kannten dieZahlenschreibung bis 19 in Form von Punkten und Strichen und verwendetenfr hhere Zahlenwerte die Null und die bereinanderstellung der Zeichen nachdem Zwanzigersystem. Diese Rechenkunst und astronomische Beobachtungenmit dem bloen Auge dienten den Maya fr die Aufstellung ihrer Kalender undfr die Zeitrechnung. Ihre Priester errechneten das astronomische Jahr mit365,2420 Tagen, kamen also der heutigen Berechnung von 365,2422 Tagen nherals der Gregorianische Kalender mit 365,2425 Tagen. Die knstlerische Begabungder Maya zeigt sich insbesondere im Steinrelief und in der Vollplastik sowie inder verzierten und bemalten Keramik. Die Religion der Maya kannte eine

    Vielheit von Haupt- und Sondergottheiten, deren Geneigtheit und Hilfe man sichdurch Gebete, Kasteiungen und Tnze, aber auch durch die Darbringung vonMenschenopfern zu sichern suchte. Die Priesterschaft gewann insbesonderedurch die von ihr gebte Wahrsagekunst einen groen Einflu auf das Leben derMenschen13.

    Hochkulturen hatten sich auch im Aztekenreich entwickelt, das die Spanierunter Fhrung von Hernn Corts in den Jahren 1519 bis 1521 eroberten. DerAufstieg einer aztekischen Gromacht reichte damals noch nicht ein Jahrhundertzurck. Erst unter ihrem Herrscher Itzcoatl (14281446) hatten sich die Azteken,deren Hauptstadt Tenochtitlan Mexiko war, von der Herrschaft der Tepanekenbefreit und mit den benachbarten Stadtstaaten Texcoco und Tlacopan einenDreibund begrndet. Unter Moctezuma I. (14401469) gewannen die Azteken dieFhrung in diesem Stdtebund und dehnten ihren Machtbereich bis zu denKsten des Pazifiks und Atlantiks aus. Die folgenden Herrscher setzten dieEroberungen fort, und unter Moctezuma II., der seit 1502 regierte, reichte daspolitische Einflugebiet der Azteken im Sden bis in die Mayalnder hinein,whrend nach Norden hin nur Teile des heutigen Michoacn unterworfenworden waren. Im Augenblick der spanischen Invasion bestand das aztekische

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    Groreich aus 38 Stadtprovinzen, die zu Tributzahlungen verpflichtet waren,aber ihre verwaltungsmige Selbstndigkeit behielten.

    Dieses Reich war aber kein in sich geschlossenes Staatsgebilde. EinzelneStadtstaaten, wie z.B. Tlaxcala, behaupteten innerhalb des aztekischenMachtbereiches noch ihre politische Unabhngigkeit. Auerdem war die

    bundesstaatliche Strukur dieses Imperiums durch die Hegemonie der Aztekennoch nicht vllig beseitigt. Die kriegerische Expansion Mexikos befand sich erstauf dem Wege zur Errichtung einer festgefgten Herrschaftsordnung. DieInstitutionalisierung der Herrschermacht war aber im Vordringen. DieStaatsverwaltung war bereits zentralisiert und weitgehend brokratisiert. DieOrganisation in Stmmen, deren es im Jahre 1521 mehr als 700 gab, hatte sich fastgnzlich verloren. Das Territorialprinzip setzte sich gegenber derGentilordnung durch.

    Auch die aztekische Gesellschaft war stndisch gegliedert. Der Adelsstandsetzte sich aus Angehrigen der alten Stammesaristokratie und aus Neuadligen

    zusammen, die fr besondere Verdienste, vor allem auf dem Schlachtfeld,geadelt worden waren. Auch Priester und hohe Beamte erhielten die Vorrechtedes Adels. Es zeigte sich aber die Tendenz zur Bildung einer sich abschlieendenerblichen Adelsklasse. Die Adligen besaen zahlreiche Privilegien. Sie wurdenbei der Besetzung von Staatsmtern bevorzugt; sie zahlten keine Tribute, siedurften private Lndereien besitzen, unterstanden eigenen Gerichten, ihnen wardas Tragen bestimmter Kleidungsund Schmuckstcke vorbehalten, und ihreShne wurden in eigenen Tempelschulen unterrichtet. Eine privilegierte Stellungin der mexikanischen Gesellschaft nahmen auch die Kaufleute ein, die denFernhandel mit Luxuswaren betrieben und dem Herrscher von Mexiko auf ihren

    Handelsreisen als Spione dienten. Es gab weiter als soziale Schicht dieHandwerker, die von der landwirtschaftlichen Bettigung losgelst waren, inihren Berufen einer bestimmten Schulung und Fachkenntnis bedurften undwesentlich fr die Luxusbedrfnisse der herrschenden Schicht arbeiteten. DerHandwerkerberuf vererbte sich vom Vater auf den Sohn.

    Das gemeine Volk, das den Boden bebaute, erhielt von den Gemeinschaften,den Calpullis, familienweise Lndereien zugeteilt, die nicht ein veruerlicherPrivatbesitz wurden, sondern wieder an die Gemeinschaft zurckfielen, falls dieFamilie ausstarb. Neues Ackerland fand sich durch die Kolonisierung eroberterGebiete und die Anlage weiterer Chinampas, schwimmender Grten, die mitSchlamm bedeckte Fle waren und im See von Mexiko verankert wurden.Neben diesen Bauern, die nebenbei den Lokalhandel betrieben und einfacheHandwerksarbeiten ausfhrten, gab es Pchter, die fremden Privatbesitz gegeneinen Pachtzins bewirtschafteten, und Landarbeiter, die Mayeques, die dieLndereien der adligen Herren bestellten, an die Scholle gebunden waren undmit dem Grund und Boden in den Besitz der Erben bergingen. Schlielich warauch die Sklaverei in Alt-Mexiko verbreitet. Man konnte Sklave durch Raub oderKriegsgefangenschaft werden und als Strafe fr verschiedene Delikte oder als

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    sumiger Schuldner auf diesen unfreien Stand herabsinken, aber der Vaterkonnte auch seinen Sohn als Sklaven verkaufen. Die Sklaven waren jedoch beiden Azteken nicht vllig rechtlos. Sie durften eigenen Besitz haben und konntennicht ohne ihre Zustimmung oder ohne triftigen Grund von ihren Besitzernverkauft oder gar gettet werden. Die Kinder der Sklaven wurden frei. Die

    Sklaven fanden insbesondere fr Trgerdienste und bei HausarbeitenBeschftigung.

    Die Differenzierung der Sozialstruktur hing eng mit den wirtschaftlichenVernderungen zusammen. Die Produktivitt des fruchtbaren Bodens in Mexikowar hoch. Selbst bei der primitivsten Art des Maisanbaus im Milpa-System, wonach Brandrodung das Feld in Arbeit genommen wurde, ergaben sich hoheErnteertrge. Man hat berechnet, da bei diesem System eine Familie von fnfPersonen, die ein Feld von vier bis fnf Hektar bewirtschaftete, in 190 Tagen weitber das Doppelte dessen produzierte, was sie zum Lebensunterhalt brauchte.Nun war man aber noch zu einer intensiver betriebenen Landwirtschaft

    bergegangen. Man nutzte die periodisch berschwemmten Uferlandschaftender Flsse sorgfltig fr den Anbau aus, da der zurckgelassene Schlamm hoheErnteertrge sicherte. Es entstand ferner ein ausgedehntes Netz vonBewsserungsanlagen, die wiederum nur durch eine entwickelte staatlicheOrganisation geschaffen werden konnten. Die berschuproduktion imagrarischen Anbau erlaubte die Freistellung vieler Menschen fr gewerblicheTtigkeiten und ihre Ansiedlung in den Stdten. Auch im Aztekenreich wurdenfast smtliche Gerte aus Holz oder Stein angefertigt, nur die Ziselierwerkzeugeder Handwerker waren aus Kupfer. Die Edelmetalle wurden zu Schmuckstckenverarbeitet. Eine besondere Technik stellten die kunstvollen, mit Edelsteinen

    geschmckten Federarbeiten dar. Die Keramik hatte in einzelnen Gegendenbesonders wertvolle Erzeugnisse hervorgebracht. Die stdtische Architekturwird durch die prunkvollen Adelspalste aus Stein gekennzeichnet, dieeinstckig und fensterlos waren, wobei die Rume sich um einen Innenhofgruppierten. Herrliche Gartenanlagen umgaben die Palste. Die Huser dereinfachen Leute wurden aus gebrannten Lehmziegeln erbaut. Die imposantestenBauwerke waren die gewaltigen Tempelpyramiden. Die Hauptpyramide derStadt Mexiko erreichte auf einem Grundri von 100x80 m eine Hhe von 30 m.Charakteristische Bauwerke sind auch die Ballspielpltze. Die Kunst desSteinreliefs und der Plastik war auch in Alt-Mexiko entwickelt. Von der Malereizeugen einzelne erhaltene Fresken.

    Die aztekische Religion kennt ebenfalls zahlreiche Gttergestalten. Die denGottheiten dargebrachten Menschenopfer erreichten bei den Azteken grausigeAusmae, sind doch bei der Weihe des Haupttempels in der Stadt Mexiko nachden geringsten Schtzungen in vier Tagen 20000 Menschen durchHerausschneiden des Herzens hingeschlachtet worden. Schrecken und Abscheuvor diesem furchtbaren Brauch, das blutende Herz eines Menschen und sogarKindes dem Gott als Speise darzureichen, haben die Kluft und Feindschaft

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    zwischen Spaniern und Mexikanern ungeheuer vertieft. AztekischeGttermythen sollten einen entscheidenden Einflu auf das Schicksal Mexikoshaben. Das kriegerische Volk der Azteken fhlte sich durch seinenGtterglauben in dem Kampfgeist gegenber den europischen Eindringlingengelhmt. Es sah seine Welt von Unheil bedroht und zum Untergang bestimmt.

    Angst erfllte die Gemter vor der prophezeiten Wiederkehr des PriesterknigsQuetzalcoatl, der im Osten erscheinen und dem Regiment der blutigen Gtter einEnde bereiten sollte. Moctezuma glaubte, die Spanier seien die geweissagtenneuen Herren aus dem Osten und er msse ihnen die Herrschaft abtreten.

    Die inneren Zustnde des Aztekenreiches erklren es, da die Spanier diesesImperium mit Hilfe mexikanischer Vlkerschaften unterwerfen konnten. DieTotonaken in der Gegend von Veracruz, die unter der Willkr der aztekischenSteuereinnehmer litten, begrten die Soldaten des Hernn Corts als ihreBefreier. Die Bewohner des Stadtstaates Tlaxcala bewhrten sich als treueste undtapferste Bundesgenossen der spanischen Konquistadoren und erhielten dafr

    unter der spanischen Herrschaft besondere Freiheiten und Vorrechte gegenberder brigen Eingeborenenbevlkerung. Auch Vlkerschaften der Otom-Indianer haben die Spanier friedlich aufgenommen und sie mit Lebensmittelnversorgt. Der letzte heroische Kampf der Bewohner der Hauptstadt Mexikokonnte das Schicksal der Fremdherrschaft nicht abwenden14.

    Hhere Kulturen entwickelten sich im nrdlichen Andenraum, in dem Bereichder drei Andenketten Kolumbiens. Dort war das Ursprungsland der Chibcha, diesich sdlich bis ins mittlere Ekuador und nrdlich ber die Landenge vonPanama bis Nikaragua ausdehnten. Zur Zeit der spanischen Entdeckung ragtenals Kulturlandschaften das Caucatal und das Hochland von Bogot hervor. Es

    hatten sich hier gefestigte Staatswesen und eine stndische Hierarchieherausgebildet. Die Huptlinge (caciques/ Kaziken) als oberste Kriegsfhrerhatten sich zu despotischen Herrschern gemacht, die im Besitze bernatrlicherKrfte erschienen, in Snften und Hngematten getragen wurden und von einemgroen Hofstaat umgeben waren. Whrend es aber im Caucatal bei lokalenStammesherrschaften blieb, vermochten die Chibchavlker der Meseta vonBogot, die Muisca, grere Staatengebilde zu schaffen, wenn sie auch nochnicht zur Begrndung eines Einheitsstaates gelangt waren. Als die Spanier aufdem Andenhochland eintrafen, stritten die mchtigsten Dynasten, der Zaquevon Tunja und der Cipa von Bogot, um die Vorherrschaft. Die Chibcha lebtenin drflichen Siedlungen. Zum Stdtebau und zur Errichtung von Steinhusernwaren sie nicht fortgeschritten. Die Wirtschaft beruhte auf dem Ackerbau, wobeies einen privaten Bodenbesitz gab. Die Vlkerschaften im Caucatal hatten einehervorragende Kunstfertigkeit in der Verarbeitung des Goldes zuSchmuckstcken erreicht. Die Goldschmiede verfertigten menschliche Figuren instattlicher Gre, Gesichtsmasken, Helme, Schmucknadeln, Brustplatten undandere Gegenstnde, wie sie heute vor allem im Museum der kolumbianischenNationalbank aufbewahrt werden. Bei solchen Goldfunden glaubten die

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    spanischen Konquistadoren, dem Dorado nahe zu sein, das Land desvergoldeten Menschen zu finden. Der Kazike von Guatavita lie sich, so war esein kultischer Brauch, zu bestimmten Zeiten am ganzen Krper mit l salbenund mit Goldstaub pudern, um dann in der heiligen Lagune zu baden und soden Goldstaub der dort wohnhaft gedachten Gttin zu opfern. Die Muisca

    zeichneten sich durch ihre Webkunst aus und verfertigten Decken und farbiggemusterte Stoffe, die als Handelswaren einen weiten Absatz fanden.

    Die Chibcha des Caucatales, jedoch nicht die Muisca, waren Kannibalen, dieMenschenfleisch aen. Allgemein blich war es, Menschen den Gttern zuopfern, wobei Kinder als Opfer bevorzugt wurden. Alle Vlkerschaften kanntendie Sitte, aus den erschlagenen und gefangenen Feinden Kopftrophen zubereiten. Das geistige Leben befand sich auf einem primitiven Niveau. DieSchrift war den Chibcha unbekannt15.

    Das gewaltigste Imperium Altamerikas war das Inkareich, das Reich der vierHimmelsrichtungen, das keine Grenzen hat. Das Wort Inka ist ursprnglich nur

    Herrschertitel und die Bezeichnung des Herrschergeblts, aber nicht einesbesonderen Volkes gewesen. Ein Oberhaupt des Stadtstaates von Cuzco auf demAndenhochland hatte sich diesen Namen beigelegt. Die Bewohner diesesBergstaates gehrten zu den Ketschua-Indianern. Die kriegerische Expansion derInka begann in der ersten Hlfte des 15. Jahrhunderts, als rivalisierendeAimarastmme der Nachbarschaft den Herrscher von Cuzco um Hilfe undUntersttzung baten. Die Kleinstaaten der Aimara wurden dem Inkareicheingegliedert. In schnellen Eroberungen dehnten die Inka ihre Herrschaft berdas Andenland aus und drangen bis zum mittleren Ekuador vor. TupacYupanqui (14711493) unterwarf das heutige Bolivien und fhrte Feldzge bis

    nach Chile und dem nordwestlichen Argentinien. Mchtige Staaten wie dasReich von Chimor, das sich an der Kste von Tmbez bis in die Nhe von Limaerstreckte, das Reich von Cuismancu in den Tlern von Chancay, Ancn undRimac und das Reich von Chincha wurden dem Imperium der Inka einverleibt.Huaina Capac (14931527) unterdrckte Aufstnde in den neu erobertenProvinzen und trug die Eroberung nrdlich ber Quito hinaus vor. DieHerrschaft der Inka reichte jetzt vom Ancasmayuflu im sdlichen Kolumbienbis zum Rio Maule in Chile. Die Tieflnder stlich der Anden sind ebenfalls Zielkriegerischer Expeditionen gewesen, aber nie unterworfen worden. Die Indianerdes Hochlandes verachteten die dort lebenden primitiven und armseligenVlkerschaften. Nach dem Tode des Inka Huaina Capac kam es zum Streit umdie Thronfolge zwischen dem erstgeborenen Sohn Huascar in Cuzco und dem inQuito residierenden Lieblingssohn Atahuallpa, der schlielich durch die Schlachtvon Cuzco seinen Bruder zum Gefangenen machen konnte. In diesen Zeiten desBrgerkrieges im Inkareich unternahmen die Spanier unter Francisco Pizarro dieEroberung Perus und beseitigten den Inka, der sich rhmte, keinen mchtigerenHerrscher zu kennen, als er selbst war. Nach Atahuallpas Ermordung (1533)brach die Inka-Herrschaft zusammen. Im Jahre 1539 hatten die Spanier das Land

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    unter ihre Kontrolle gebracht. Der Widerstand gegen die fremden Erobererwurde jedoch von Angehrigen der Inka-Dynastie noch fortgefhrt. Der InkaManco Capac II. richtete in der entlegenen Grenzprovinz Vilcabamba einSchattenknigtum ein und versuchte durch den Aufstand von 1565, sein Reichzurckzugewinnen und die alte Religion wiederherzustellen. Als aber

    Vilcabamba 1572 von den Spaniern genommen worden war, brach derWiderstand zusammen. Die Nachkommen aus dem Inka-Geblt verschwgertensich mit dem spanischen Adel und bemhten sich, Privilegien und Belohnungenvon der spanischen Krone zu erhalten. Die passive Masse der frheren Inka-Untertanen war auerstande, sich gegen das ihnen auferlegte Schicksalaufzulehnen. Erst seit der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts traten erneutBewegungen hervor, das Inka-Regime wiederherzustellen.

    Ein ber so weite und grandiose Naturlandschaften sich erstreckendes Reichzusammenzufgen und zusammenzuhalten, setzt eine auergewhnlicheOrganisationskraft voraus. Die strksten Antriebe eines solchen

    Herrscherwillens liegen in dem Bewutsein von der gttlichen Sendung derInka. Im Hofzeremoniell drckte sich das Gottmenschentum des Inka aus. Dieoberste Autoritt erforderte eine ungeheure persnliche Arbeitsleistung desHerrschers. Eine tatendurstige und befhigte Elite, die durch die planmigeErziehung einer ausgewhlten Jugend herangebildet wurde, stand dem Inka zurSeite. Ihre Angehrigen wurden von den Spaniern Orejones genannt, weil sie alsPrivileg groe Ohrpflcke trugen. Ein Kronrat aus vier hohen Beamten bildetedie oberste Verwaltungsbehrde. Die Dorf- und Stammeshuptlinge, die Curacas,die streng kontrolliert waren und sich von Zeit zu Zeit in der Hauptstadt Cuzcoeinfinden muten, sorgten fr die Durchfhrung des Herrscherwillens in den

    Provinzen. In kluger Weise lieen die Inka in den unterworfenen Reichen dieberlieferten Einrichtungen bestehen.Eine rationale Planung suchte das gesamte Leben in diesem ausgedehnten

    Imperium einheitlich und nach den Gesichtspunkten des Staatswohls zugestalten. Zur genauen Erfassung aller Krfte zum Militrdienst und zuArbeitsleistungen teilte man die Untertanenschaft nach dem Dezimalsystem ein.Die kleinste Einheit bestand aus zehn Familienoberhuptern, und die Mnnerzwischen 25 und 50 Jahren wurden in Hundertschaften zusammengefat. MitHilfe der Knotenschnre, der Quipu, lie sich die statistische Aufnahme allerwissenswerten Dinge in den Bezirken des Reiches durchfhren und an dieZentrale weiterleiten. Der statistische Reichsdienst hielt mit seinenKnotenschnren das Schicksal des Reiches in Hnden. Er brauchte nur seineBefehle zu erlassen, damit jeder genau wute, was er zu liefern, was er zuempfangen, was er zu befrdern oder aufzubewahren hatte (Louis Baudin). Einhervorragend ausgebautes Straensystem stand fr die Truppenbewegungen,den Nachrichtendienst und die Warentransporte zur Verfgung. Diese Straenverliefen mglichst schnurgerade und fhrten durch Anlage von Stufen ber dieAnhhen hinweg, was mglich war, da es im alten Peru weder Wagen noch

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    Reitpferde gab. Dieser Straenbau war eine technische und organisatorischeLeistung, zu der das damalige Europa nicht fhig war. Der Soldat und Chronistder Eroberung von Peru, Cieza de Len, schrieb: Ich glaube, wenn der Kaiser der Kaiser von Indien, Knig von Spanien den Befehl erliee, eine Knigsstraezu bauen, die der von Quito nach Cuzco oder der von Cuzco nach Chile gliche,

    er es trotz seiner Macht nicht fertigbrchte16.Fr einen festeren Zusammenhalt ihres Imperiums erstrebten die Inka die

    Verbreitung einer einheitlichen Reichssprache.Totalitre Staatsgewalt verband sich mit sozialistischer Wirtschaftsordnung.

    Grund und Boden gehrten der Dorfgemeinde (Ayll), die den einzelnenFamilien je nach Personenzahl eine bestimmte Anbauflche zur Nutzungzuteilte. Jede Familie konnte ber die Ernteertrge frei verfgen und sich einenLebensunterhalt verschaffen, der, abgesehen von den Witterungsverhltnissen,von der persnlichen Arbeitsleistung abhing. Die Existenz alter und krankerPersonen war dadurch gesichert, da die Gemeinde fr sie entsprechende Felder

    bestellte. Wlder und Weiden standen allen Gemeindemitgliedern zurVerfgung. Haus und Hof blieben Eigentum der Familien. Eine besondereAnbauflche war fr den Unterhalt der Priester und der Kultsttten bestimmtund wurde durch Arbeitsleistungen der Gemeindemitglieder bewirtschaftet.Alles brige Land gehrte dem Inka, und die Bestellung dieser Domnen warebenfalls eine Verpflichtung jeder buerlichen Familie. berschssigeErnteertrge wurden in Staatsspeichern aufbewahrt und standen in Notzeitenzur Verfgung. Der Inkastaat war ein ausgeprgt fronhofartiges Gebilde (MaxWeber).

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    Abb. 1: Torren in der Ruinenstadt Machu Picchu/Peru

    Zahlreiche Indianer schieden aus ihrer Ayllgemeinschaft aus, weil sie vomInka zu besonderen Dienstleistungen herangezogen wurden. Viele wurden auf

    unbestimmte Zeit zum Militr einberufen, andere fr den Straenbau undsonstige ffentliche Arbeiten rekrutiert oder fr die mannigfaltigen Dienste amHofe verlangt. Zwangsarbeiten waren auch in den Bergwerken zu leisten, wo dieArbeitskolonnen in einem bestimmten Turnus abgelst wurden (mita). Nachihrer besonderen Begabung wurden die Leute fr die verschiedenenhandwerklichen Ttigkeiten herangezogen, in denen sie nach besonderenAnweisungen zu arbeiten hatten. Die hergestellten Gter muten an diestaatlichen Lagerhuser abgeliefert werden. Auf Befehl des Inka konntenFamilien und Dorfgemeinschaften nach anderen Gegenden umgesiedelt werden.Solche Kolonisationen erfolgten zur Erschlieung bisher unbebauten Landes undzur militrischen Sicherung neu eroberter Provinzen. Fr alle Planung und ihreDurchfhrung war eine zahlreiche Brokratie erforderlich. Man hat berechnet,da auf je 10000 Einwohner 1330 Staatsbeamte kamen. Der Inka sortierte alleUntertanen fr ihre ntzliche Verwendung nach seinen Prinzipien desStaatswohls. Mit fatalistischer Gelassenheit ertrug der indianischeMassenmensch, was die Gttlichkeit des Herrschers ber ihn verfgte. DiesePassivitt bewahrten die Indianer auch gegenber den spanischen Eroberern, dievon dem Inkareich Besitz genommen hatten.

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    Die Kultur des Inkareiches beruhte auf den Schpfungen der altenStadtkulturen des peruanischen Kstensaumes. Eine intensive Landwirtschaftdurch Terrassenanlagen, knstliche Bewsserungen durch Kanle bis ber 100km Lnge und die Verwendung von Dnger, vor allem des Guano, hatten hierdie Zusammenballung groer Bevlkerungen ermglicht. Die Technik war im

    ganzen noch auf steinzeitlicher Stufe geblieben, wenn man auch bereits Kupferund Bronze fr die Herstellung von Werkzeugen und Waffen verwendete. Goldund Silber wurden in komplizierten Verfahren zu Schmuck verarbeitet. DieNutzung des Eisens war unbekannt. Die peruanischen Gewebe waren vonauerordentlicher Vielfalt. Eine besondere Kunstfertigkeit hatte sich bei derAnfertigung von Federfchern und Federgewndern entwickelt. Dieknstlerische Befhigung dieser Indianer begegnet uns insbesondere in einerreichhaltigen Keramik verschiedenster Stile. Unter den Bauwerken ragen dieTempelpyramiden hervor. Obgleich wir von den Spaniern erfahren, da dieInkageschichte in Bildern dargestellt worden sei, ist uns nichts von einer

    Bilderschrift aus dem alten Peru berliefert. Man vermutet, da die Quipu, dieals ein Rechensystem fr statistische Zwecke verwendet wurden, auchhistorisch-chronologische Vorgnge festgehalten haben.

    Da die Inka die Gottheiten der unterworfenen Vlkerschaften bernahmen,kannte ihre Religion eine groe Vielheit von Gttergestalten. Eine besondereVerehrung geno der Sonnengott, nannte sich der Inka doch Sohn der Sonne.Das Sonnenfest im Sonnentempel zu Cuzco war darum die hchste religiseFeierlichkeit. Den Gttern wurden auch Menschen, meist Kinder undJungfrauen, geopfert, doch war dies verhltnismig selten. Religion und Magiewaren eng verbunden. Wahrsager wurden in Anspruch genommen, um jede

    auffllige Erscheinung zu deuten. bernatrliche Vorzeichen erschrecktenhnlich wie Moctezuma II. auch den Inka Huaina Capac, als er erste Nachrichtenvon der Ankunft der Spanier erhielt17.

    In Chile war die Inkaherrschaft nur bis zum Rio Maule vorgedrungen, und diechilenischen Indianer dieses Gebietes sind dann alsbald von den Spaniernunterworfen worden. Die Araukaner in den Gegenden sdlich des Maule-Flusses waren dagegen wilde, umherschweifende Jger und Sammler geblieben.Gerade der ungeheuer groe kulturelle Abstand zwischen diesen Indianern undden weien Eroberern ist die hauptschliche Ursache gewesen, da dieAraukaner jahrhundertelang einen erbitterten Widerstand gegen die Spaniergeleistet haben18.

    Allgemein sind die Eingeborenen in den Zonen eines kalten oder gemigtenKlimas auf primitiverer Kulturstufe geblieben und von den eindringendenEuropern vernichtet oder absorbiert worden. Die nomadischen Indianer derPampa im La Plata-Raum hatten nicht den geringsten Ackerbau entwickelt,entzogen sich aber allen Versuchen, sie sehaft zu machen und in einezivilisiertere Lebensweise einzufgen. Ihre berflle auf die spanischenSiedlungen machten den militrischen Schutz der Siedlungsgrenze notwendig

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    und veranlaten die Behrden zu hufigen Kriegszgen, in denen die Indianerbis auf geringe Reste ausgerottet wurden. In Uruguay haben sich die dortlebenden Indianerstmme, insbesondere die kriegerischen Charras, in ihremunberwindlichen Ha gegen die weien Eindringlinge als unbezhmbarerwiesen, bis schlielich im Jahre 1835 der letzte Rest dieser

    Eingeborenenbevlkerung das Ende fand. Wo aber Indianer, wie die mit denTups verwandten Guarans, Ackerbau trieben und in der Weberei und Tpfereiwie in Holzarbeiten bereits beachtliche Fertigkeiten entwickelt hatten, konnte eszu einer rassischen und kulturellen Assimilierung der Eingeborenen undEuroper kommen. In den Urwaldgebieten wiederum, in die die europischeKolonisation nicht vordrang, war es dem Indianertum mglich, seine Volksartund alte Lebensweise ziemlich unberhrt zu erhalten19.

    Die Art der Naturlandschaft und die durch sie bedingte verschiedenartigeKulturentwicklung Altamerikas haben Voraussetzungen geschaffen, die denGang der spanischen und portugiesischen Kolonisation in der Neuen Welt

    entscheidend bestimmten.

    2. Rechtstitel der Kolonialgrndungen in Amerika

    Die portugiesische und spanische Ausbreitung in bersee folgte bei derBesitznahme neu entdeckter Inseln und Lnder den Rechtsauffassungen, diedem rmischen und kanonischen Recht entstammten und zu einem allgemeinenGewohnheitsrecht des Sptmittelalters geworden waren. Sie fand anfnglich ihrerechtliche Begrndung in der Idee der Reconquista, die als Wiederherstellungder christlichen Herrschaft ber Land und Leute auf der Iberischen Halbinsel

    verstanden wurde. Die Expansion der christlichen Reiche nach Nordafrikahinber, das wie groe Teile der Iberischen Halbinsel vom Islam erobert wordenwar, galt als eine selbstverstndliche Fortfhrung der Reconquista. Diekastilischen Monarchen behaupteten, da die Reiche von Fez, Tremecn undMarokko lange Zeit im Besitz der westgotischen Knige gewesen seien und daderen Erbe Pelayo, der erste Knig des Reconquistareiches Asturien, und dessenNachfolger auf dem leonesisch-kastilischen Knigsthron wurden. Als Teil desnordafrikanischen Westgotenreiches betrachtete man auch davorgelagerteatlantische Inselgruppen, insbesondere die Kanarischen Inseln. Es war eine inder Bevlkerung Andalusiens allgemeine Vorstellung, da die Eroberung derKanarischen Inseln der Krone Kastilien zustehe, da die Inseln sich in der Nhedes afrikanischen Festlandes befinden, das dem letzten WestgotenknigRoderich gehrt habe20. Einen ersten Rechtstitel fr berseeische ErwerbungenKastiliens bot also eine mittelalterliche Irredenta- Bewegung, das Streben nachWiedervereinigung aller Gebiete, die einst die altspanische Monarchie gebildethatten.

    Portugal, das die kastilische Besitznahme Nordafrikas verhindern wollte undebenfalls Ansprche auf die Kanarischen Inseln erhob, berief sich auf die

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    geographische Lage dieser Gegenden in der Nhe der portugiesischen Kstenund auf seine Verpflichtung zum Krieg gegen die Unglubigen, die dieEroberung Ceutas und anderer marokkanischer Pltze durch die Portugiesenrechtfertigte.

    Bei dem weiteren Vordringen der Entdecker im westafrikanischen

    Atlantikraum lieen sich die Wiederherstellung einer frheren Herrschaft oderdie geographische Nhe nicht mehr als juristische Begrndung fr dieBesitznahme berseeischer Gebiete verwenden. Es tauchte allerdingsgelegentlich die phantastische Idee auf, ein altes dynastisches Erbrecht der KroneKastilien auf die Neue Welt zu supponieren. Der Chronist Gonzalo Fernndez deOviedo wollte beweisen, da Kolumbus das Land der Hesperiden entdeckt habe.Wie Stdte und Lnder nach ihren Herrschern benannt werden, heien, sofolgert Oviedo, diese Gegenden im uersten Westen nach Hespero, dem 12.Knig des alten Hispanien, der in westlicher Fahrt nach 40 Tagen die IndiasHesprides erreichte. Vor 3193 Jahren, so behauptete Oviedo im Jahre 1535, sei

    dies geschehen. Nun habe Gott diese Herrschaft mit so altem Recht und nach sovielen Jahrhunderten an Spanien zurckgegeben. Der Indienrat lie wissen, erwrde sehr erfreut sein, wenn Oviedo ihm die Beweise erbringe, da Westindienein uralter spanischer Besitz sei.

    Da aus der Geschichte keine beweisbaren Rechtstitel auf ferner gelegenenberseeischen Besitz beizubringen waren, bemhten sich die westeuropischenEntdeckervlker um die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundstze, die ihrerivalisierenden Ansprche in prozegerechter Form untersttzten. Bei derEntdeckung unbewohnter Inseln, wie es die Azoren und die Madeiragruppewaren, stimmten Praxis und Rechtsauffassung darin berein, da eine solche

    Insel als res nullius demjenigen zufalle, der sie auffinde und besetze. Die zeitlichePrioritt der Entdeckung schafft hier das bessere Recht.Die meisten neu entdeckten Lnder und Inseln waren aber bewohnt. Welche

    Rechtstitel konnten die Europer fr die Aufrichtung ihrer Herrschaft ber dieseberseeischen Gebiete geltend machen?

    Die Entdeckungsfahrten des 14. und 15. Jahrhunderts entsprachen einemallgemeinen Rechtsdenken der Zeit, das die Aneignung von neu aufgefundenenLndern, die nichtchristlichen Frsten gehrten, fr erlaubt hielt. DasRechtsbewutsein des mittelalterlichen Menschen war religis gebunden. AlsChrist glaubte er ein besseres Recht als die Unglubigen zu besitzen. Nun kam erdurch den Fortgang der Entdeckungen mit neuen und zahlreichennichtchristlichen Bevlkerungen in Berhrung, die keine geoffenbarte Religionwie die Juden und die Mohammedaner kennengelernt hatten.

    Die Einstellung der Christen zu diesen Heiden hing von besonderenUmstnden ab. Es konnte sich um mchtige, gut organisierte Reiche handeln,wie die Mongolenherrschaft des Grokhans, von der besonders Marco PoloKunde verbreitet hatte. Diesem Herrscher und anderen Frsten Indiens sollteChristoph Kolumbus Empfehlungsbriefe des spanischen Knigspaares

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    berbringen, in denen Ausdrcke freundschaftlicher Gesinnung enthaltenwaren.

    Ganz anders gestaltete sich das Verhltnis der europischen Entdecker zu denprimitiven Eingeborenen der Kanarischen Inseln und des tropischen Afrikas. DieGuanchen und Neger bewiesen die Existenz von Unglubigen, die abseits der

    Zivilisation lebten und einer vernnftigen Rechts- und Staatsordnung zuentbehren schienen. Die Europer trugen keine Bedenken, solche Bewohner,denen sie die Rechtspersnlichkeit absprachen, zu berauben und zu versklaven,und hielten sich fr berechtigt, solche Heidenlnder zu erobern und zubeherrschen. Kolumbus war berzeugt, da die Inseln, die er auf seinerWestfahrt entdeckt und in Besitz genommen hatte, den Katholischen Knigengenauso rechtmig gehrten wie ihre ererbten Kronlnder. Nach vulgrerMeinung der Zeit hatten die europischen Entdecker und Eroberer einunbestreitbares Besitzrecht auf die Neue Welt.

    Das Recht auf Herrschaft ber die neuen Entdeckungen ist aber nicht als die

    Macht des Strkeren und berlegenen allgemein akzeptiert geblieben, sondernhat alsbald das europische Rechtsdenken beschftigt und Anla zu heftigenjuristischen Kontroversen gegeben, in denen Prinzipien einer universalenVlkerrechtsgemeinschaft entwickelt werden sollten. Es traten dabei Ideenhervor, die den politischen und konomischen Interessen der spanischen undportugiesischen Kolonialherrschaft zuwiderliefen und den Kolonialvlkernspter in ihrem Kampf um die Unabhngigkeit eine wertvolle Hilfe leisteten.

    Zunchst hatten sich die Portugiesen ihre Rechte auf die westafrikanischenEntdeckungen durch ppstliche Bullen besttigen lassen. So erlangten sie, um dieFahrten andalusischer Seeleute nach Guinea rechtsverbindlich auszuschlieen,

    durch die Bulle Nikolaus V. von 1455 die Ermchtigung, die Lnder derUnglubigen von Kap Bojador und Num ab bis ganz Guinea zu erobern, dieBewohner zu versklaven und ihres Besitzes zu berauben. Wer in diesenHerrschaftsbereich der portugiesischen Krone ohne Erlaubnis eindringe, wirdmit dem Kirchenbann bedroht. Der Papst begrndete die kirchliche Interventionin die Streitigkeiten um die berseeischen Entdeckungen mit seinerVerantwortung fr die Bekehrung der Heiden, die von den Portugiesen in derihnen zugesprochenen Entdeckungs- und Eroberungszone bereits in Angriffgenommen worden sei.

    Obgleich die Katholischen Knige behaupteten, da Kolumbus in ihremNamen die von ihm entdeckten Inseln rechtskrftig in Besitz genommen habe,und obgleich Juristen des Hofes keine weitere Begrndung der kniglichenRechtstitel fr notwendig hielten, haben doch die spanischen Monarchen fr diewestindischen Entdeckungen alsbald hnliche Papstbullen erbeten, wie sie dieportugiesische Krone fr ihren westafrikanischen Entdeckungsraum erreichthatte. In fnf Bullen des Jahres 1493 trug Papst Alexander VI. diesen WnschenRechnung. Er verlieh den Katholischen Knigen fr die von ihnen im Ozeanerworbenen Inseln und Lnder die volle, freie und absolute Gewalt, Autoritt

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    und Rechtsprechung und damit dieselben Herrschaftsrechte, wie sie PapstNikolaus V. den Portugiesen im westafrikanischen Raum zugesprochen hatte21.

    Mit diesen Dokumenten konnten die Spanier ihre Herrschartsansprchewirksam untersttzen, fremde Seefahrer von ihrem Herrschaftsbereichausschlieen und die portugiesische Auffassung widerlegen, da die von

    Kolumbus gefundenen Inseln im Atlantik zu der afrikanischen Entdeckungszonegehrten, die die Papstbulle von 1455 der Krone Portugal zugesprochen hatte.Auf diese Weise hatte man eine Basis fr die Verhandlungen mit demportugiesischen Knig gewonnen. In der Tat konnte im spanisch-portugiesischenStaatsvertrag von Tordesillas (1494) eine Kompromilsung vereinbart werden,die den Atlantischen Ozean durch eine 370 Seemeilen westlich derKapverdischen Inseln verlaufende Meridianlinie in eine portugiesische und einespanische Entdeckungszone teilte und damit Portugal den Rechtsanspruch aufeinen Teil der Neuen Welt, auf Brasilien, sicherte.

    Abb. 2: Seewege nach Sd- und Mittelamerika im 16. und 17. Jahrhundert

    Erste Entdeckung und Besitznahme, ppstliche Verleihung und Staatsvertragder beiden Okkupationsmchte Spanien und Portugal waren die anfnglichenRechtstitel europischer Kolonialgrndungen in bersee. Nach der Meinungoder dem Recht der Eingeborenenbevlkerungen wurde dabei nicht gefragt, wieman auch in den europischen Eroberungskriegen keine Rcksicht darauf nahm,

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    ob die Bewohner eines Gebietes mit dem erzwungenen Wechsel desLandeshernn einverstanden waren.

    Alle diese drei aus dem Mittelalter bernommenen Rechtsgrundstze die inder Begrndung der portugiesischen und spanischen Kolonialherrschaftherangezogen wurden, sind in der Folgezeit lebhaft angegriffen worden. Die

    Gltigkeit des Rechtstitels der ersten Entdeckung wurde bestritten, wenn ihrnicht unmittelbar die tatschliche Besitznahme durch Errichtung einerNiederlassung folgte. Die Portugiesen und Spanier hatten sich aber zunchstmeist mit einer Symbolischen Okkupation begngt. Die Seefahrer schnittenInschriften in Bume ein oder errichteten hlzerne Kreuze. An den afrikanischenKsten lieen bei spteren Entdeckungen die portugiesischen Knige steinerneWappenpfeiler mit Inschriften aufstellen, die die prtendierten Hoheitsrechte derKrone bekundeten. Nach solchen Vorbildern richteten die Spanier undPortugiesen auch in der Neuen Welt hlzerne und steinerne Kreuze auf, wennsie auf einer neu entdeckten Insel landeten. Symbolische Handlungen begleiteten

    den formalen Akt der Besitznahme. Christoph Kolumbus entfaltete nach derLandung auf der Insel Guanahani das knigliche Banner und zweiKreuzesfahnen, gab vor Zeugen die erforderlichen Erklrungen ab und liedarber durch den Amtsschreiber ein Protokoll aufnehmen. Der Besitzwechselwurde auch versinnbildlicht, indem der Anfhrer der Expedition mit seinemSchwert Zweige abschlug oder Kerben in einen Baum hieb, eine Handvoll Erdeaufnahm, Wasser trank oder hnliche Bruche bte, wie sie aus dem rmischenund germanischen Rechtsleben berliefert waren22. Die Indianer, die sich zueinem solchen Rechtsakt als neugierige Zuschauer einfanden, spielten die Rollevon Statisten und beobachteten verstndnislos ein Ritual, das ber ihre Freiheit

    und ihr Leben entschied.Eine solche europische Herrschaftsgrndung, die aus der Tatsache der erstenEntdeckung abgeleitet wurde, stie alsbald auf zunehmende Kritik, gerade weilsie keine Rcksicht auf den Willen der Eingeborenen nahm und diese berhauptnicht befragte. Diese Kritik ging von spanischen Theologen aus, die dieLehrmeinungen der mittelalterlichen Scholastik, insbesondere des Thomas vonAquino, benutzten, um aus ihnen die Prinzipien zu entwickeln, die dasVerhalten der Europer bei ihren Begegnungen mit den Menschen der NeuenWelt bestimmen sollten23. Nach Thomas entspringt die Staatenbildung aus dernatrlichen Vernunft, und darum ist auch die Staatsgewalt heidnischer Frstenlegitim. Ebenso ist nach ihm das Recht auf Eigentum in der natrlichen Ordnungbegrndet. Da also, so folgerten die spanischen Sptscholastiker, das Naturrechtfr alle Vlker gilt, drfen die europischen Entdecker die Indianer nicht ihrerHerrschaft und ihres Besitzes berauben. Francisco de Vitoria bestritt, da dieerste Entdeckung ein Besitzrecht auf bewohnte Lnder verleiht. Auch sptereTheologen haben diesen Rechtstitel als wertlos bezeichnet. Mit besondererLeidenschaft hat der Dominikaner Bartolom de las Casas diesen Irrtumbekmpft. Es sei Unwissenheit und Verblendung der kniglichen Rte, wenn sie

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    glaubten, da, weil die Knige von Kastilien durch den Admiral Kolumbusjenes Indien entdeckten, sie schon ein Recht hatten, im Frieden oder durch Krieg,im Guten oder im Bsen, durch Gte oder mit Gewalt die dortigen Vlker undHerrschaften zu unterjochen und Untertan zu machen, als wenn es LnderAfrikas wren24.

    Die spanische Sptscholastik hat ebenso die ppstliche Schenkung als gltigenRechtstitel fr die Errichtung der europischen Kolonialherrschaft abgelehnt. DiePapstbullen, die christlichen Frsten Besitzrechte auf die berseeischenEntdeckungen zuerkannten, hatten ihre theoretische Rechtfertigung in den Ideender ppstlichen Weltherrschaft gefunden, die eine direkte Gewalt des Papstesauch in weltlichen Dingen behaupteten und dem Papst eine Oberhoheit ber alleHeidenvlker zuerkannten. Spanische Kronjuristen benutzten diese Lehre vonder Allgewalt des Papstes, um Spaniens Rechtsanspruch auf Westindien zuverteidigen. Palacios Rubios leitete aus den Papstbullen von 1493 ab, da dieOberhoheit, die der Papst ber die Heiden der Neuen Welt seit der Ankunft Jesu

    Christi besessen habe, auf die spanischen Knige bergegangen sei25.Spanische Theologen bestritten nun aber die Rechtskraft der Papstbullen frdie Legitimierung der spanischen Herrschaft in der Neuen Welt. Sie beriefen sichdabei auf Thomas von Aquino, nach dessen Auffassung Christus nicht einweltlicher Herrscher sein wollte. Daraus folgerte dieser Scholastiker, da auchder Papst keine weltlichen Herrschaftsrechte hat und also keine Autoritt berdie Heiden besitzt. Die heidnischen Frsten seien ebenso legitime Obrigkeitenwie die christlichen Herrscher, denn sie haben ihre Gewalt aus dem Naturrecht,vor dem alle Menschen gleich sind. Aus dieser thomistischen Lehrmeinung hatwenige Jahre nach den westindischen Entdeckungen der italienische Kardinal

    Cajetanus, der seit 1508 Ordensgeneral der Dominikaner war und die erstenDominikanermissionare in die Neue Welt entsandte, die Grenzen derppstlichen Einmischung in die Lnder der Unglubigen festgelegt.Dominikaner wie Las Casas und Francisco de Vitoria leugneten, da AlexanderVI. die weltliche Gewalt ber die westindischen Entdeckungen an Spanienbertragen konnte. Der Papst knne an niemand Lnder und Herrschaftenverschenken. Das ist die Lehrmeinung in der spanischen Sptscholastikgeblieben. Dennoch haben die spanischen Knige weiterhin die ppstlicheSchenkung als wichtigste Rechtsgrundlage fr ihr amerikanisches Imperiumbetrachtet. Ihre Gltigkeit in Zweifel zu ziehen, hiee, so erklrt der Jurist undMitglied des Indienrates Juan Solrzano, die Gre und Macht dessenbezweifeln wollen, den wir als Stellvertreter Gottes auf der Erde anerkennen26.

    Die vlkerrechtliche Gltigkeit des spanisch-portugiesischen Staatsvertrages,in dem die beiden ersten Entdeckernationen sich die berseeische Welt durchFestlegung von Demarkationslinien aufgeteilt hatten, ist besonders von denFranzosen, Englndern und Hollndern bestritten worden, die nicht von demZugang zu den Reichtmern der Neuen Welt ausgeschlossen bleiben wollten.Der Vereinbarung exklusiver nationaler Interessensphren in bersee stellten die

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    brigen zur Seemacht aufsteigenden Staaten Westeuropas das Prinzip derFreiheit der Meere und des freien Welthandels entgegen.

    Die fr die Zeitgenossen berzeugendste Begrndung der europischenBesitznahme der Neuen Welt wurde jedoch die Heidenmission. Die spanischeEntdeckung und Eroberung Amerikas erfllten ihren Sinn in der christlichen

    Heilsgeschichte, indem sie die Mglichkeit gaben, den Indianern die Botschaftdes Evangeliums zu verknden. Es war die allgemeine Empfindung unter denSpaniern und Portugiesen, da die Ausbreitung des Christentums eingottgeflliges Werk und die Auffindung bisher unbekannter Weltgegenden imgttlichen Heilsplan vorgesehen sei. Corts schrieb an Karl V., da Gott, unserHerr, diese neuen Lnder durch die spanischen Knige habe entdecken lassen,weil er durch sie den christlichen Glauben unter den barbarischen Eingeborenenverbreiten wollte. Die Einheit von Heils- und Weltgeschichte lie sich nochwirksamer demonstrieren, wenn man sich auf die Autoritt des Papstes berufenkonnte. Auch diejenigen, die die weltliche Gewalt des Papstes leugneten und

    sein Verfgungsrecht ber Lnder der Heiden bestritten, stimmten doch darinberein, da der Papst als geistliches Oberhaupt der Kirche das Recht besitzt, dieHeidenmissionen zu leiten. Die Theologen folgerten nun, da der Papst diesesRecht, das Christentum den Heiden zu bringen und die Verkndung derchristlichen Lehre zu schtzen, an einen christlichen Frsten delegieren kann.Die Papstbullen von 1493 bedeuten in dieser Auslegung einen Missionsauftragan die Katholischen Knige fr die westindischen Entdeckungen. Diese geistlicheFunktion, die die spanischen Monarchen damit bernahmen, hatte aber wichtigepolitische Auswirkungen. Der Papst, der die Spanier mit dem Missionswerk inihren Entdeckungen beauftragte, kann, wie Francisco de Vitoria lehrte, die

    brigen europischen Nationen von einer Teilnahme ausschlieen, um strendeStreitigkeiten unter den christlichen Frsten zu vermeiden. Der DominikanerBartolom de Carranza, der sptere Erzbischof von Toledo, folgerte weiter, dader Knig von Kastilien als Oberherr der gesamten Neuen Welt anerkanntwerden msse und die Eingeborenen ihm Tribute zu entrichten haben, damit erdie christliche Religion einfhren und schtzen knne. Nach Las Casas sollte denkastilischen Knigen, als Entschdigung fr die ihnen obliegende Sorge um dieBekehrung der Indianer, die kaiserliche Wrde und Krone in Amerikazukommen. Es sei gerecht und erlaubt, da der Papst den hispanischenMonarchen zum Kaiser und Schirmherrn ber die einheimischen Frsten derIndianer mache.

    Rechtfertigte die Heidenmission nun auch die kriegerische Eroberung derHeidenlnder? Die Konquistadoren der Neuen Welt mochten dies glauben undkonnten sich als Wegbereiter fr die spteren Missionare betrachten. DieseAuffassung ist auch durch zeitgenssische Theologen vertreten und begrndetworden. Der schottische Theologieprofessor an der Pariser Universitt JohannesMajor hat als erster in einer Druckschrift des Jahres 1510 die Eroberung derNeuen Welt zu rechtfertigen gesucht. Der christliche Frst, so lehrte er, habe die

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    Verpflichtung, den Kult des wahrhaftigen Gottes zu verbreiten, und dies werdeerleichtert, wenn er in die Lnder der Unglubigen einfllt, ihre Frsten absetztund an deren Stelle christliche Obrigkeiten einsetzt. Um die hohen Kostenaufzubringen, die die Heidenmission verursacht, sei es angebracht undberechtigt, da die Knige von Spanien sich der Lnder der Indianer

    bemchtigten. Wenn aber ihre einheimischen Huptlinge sich zum Christentumbekehren, sollen sie ihre Herrschaft behalten. Es bildete sich die Vorstellungheraus, da die Unterwerfung der Indianer durch Waffengewalt unerllich ist,um ihnen mit grerer Leichtigkeit und besserem Erfolg das Evangelium zuverknden. Insbesondere der Jurist und Humanist Juan Gins de Seplveda hataus diesem Grunde die Gerechtigkeit der Kriege verteidigt, die die Spanier gegendie Indianer fhrten, jedoch damit nicht eine zwangsweise Bekehrung dieserEingeborenen gewnscht27.

    Die freie Predigt des Evangeliums ist nach Vitoria und anderen spanischenSptscholastikern ein natrliches und gttliches Recht. Wenn also ein

    heidnischer Frst die Bekehrung seiner Untertanen verhindert oder die zumChristentum Bekehrten verfolgt, knnen die Spanier gegen eine solchetyrannische Obrigkeit Krieg fuhren und sie absetzen. Der Dominikaner Domingode Soto lehrte, da jeder christliche Frst mit Waffengewalt intervenieren kann,wenn in einem heidnischen Staat einzelne Brger daran gehindert werden, denchristlichen Glauben anzunehmen. Ein solches Interventionsrecht zurVerteidigung Unschuldiger und aus christlicher Nchstenliebe konnte eineLegitimierung der spanischen Herrschaft in Amerika sein. Die staatlichenHerrschaftsrechte, die sich aus der Verpflichtung zur Heidenmission ableiteten,suchten ihren Ursprung in der ppstlichen Autoritt, der es rechtmig

    zukomme, in alles einzugreifen, was sich auf das geistliche Wohl der Menschenbeziehe. Die Besitznahme der berseeischen Entdeckungen lie sich aber auchaus dem universalen Kaisertum rechtfertigen. Als die Spanier das amerikanischeFestland eroberten, war ihr Landesherr der Kaiser Karl V. Sie bezeichneten sichals die Untertanen dieses mchtigen Kaisers und forderten die Frsten derEingeborenen auf, sich diesem Universalherrscher zu unterwerfen. HernnCorts wollte es vollbringen, da Karl V. weiter nichts zu tun bleibt, umHerrscher ber die Welt zu sein28. Die universalistische Kaiseridee desMittelalters konnte als theoretische Rechtfertigung des berseeischen Imperiumsder Spanier in Anspruch genommen werden. Dies unternahm 1525 der JuristMiguel de Ulcurrum in seinem Buch Catholicum opus imperiale regiminis mundi,das er Karl V. widmete. Nach seiner Auffassung legt das Jus gentium eineIntegrierung der Reiche in eine internationale Gemeinschaft nahe. Darum seidurch Zustimmung aller Vlker ber Glubige und Unglubige der Kaiser alsUniversalherrscher eingesetzt worden, und Gerechtigkeit, Friede und Glck dermenschlichen Gesellschaft erforderten heute mehr denn je die Weltmonarchie.Wenn die Heiden sich weigerten, die kaiserliche Weltherrschaft anzuerkennen,seien sie als Rebellen zu behandeln29.

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    Die Staatslehre der spanischen Sptscholastik hat aber das Weltkaisertumabgelehnt und sich zum Begriff der einzelstaatlichen Souvernitt bekannt. NachVitoria ist der Kaiser nicht der Herr des ganzen Erdkreises. Nach Carranza habees niemals einen Herrscher ber die gesamte Welt gegeben, noch knne dieganze Welt von einem Herrscher regiert werden. Die Welt, so behauptet Melchor

    Cano, ist zu verschieden, um einheitlich regiert zu werden. Den Antipodenkonvenieren nicht unsere Industrie und politische Verfassung30. DieScholastiker folgerten, da kraft des Kaisertitels keine politische Intervention derEuroper in der Neuen Welt statthaft sei. Die Conquista kann nicht mit derangeblichen Weltherrschaft des Kaisers gerechtfertigt werden.

    Es ist auch der Versuch gemacht worden, die Souvernittsrechte vonEingeborenenfrsten zu bestreiten. Der Vizeknig von Peru, Francisco deToledo, lie die Informaciones acerca del Seoro y Gobierno de los Indios anfertigen,die durch Befragung der Indianer die historischen Traditionen des Inkareichesermitteln sollten. Aus der Kenntnis der Geschichte ergab sich, da die Inka ihre

    Herrschaft nie durch Erbschaft oder Wahl besaen, sondern durch Waffengewaltaufgerichtet hatten. Die Spanier, die von dem Inkareich Besitz nahmen,vertrieben also nur fremde Eindringlinge und tyrannische Machthaber. DerVizeknig Toledo schrieb bei bersendung der Informaciones im Jahre 1572 anPhilipp II: Es folgt daraus mit aller Deutlichkeit, da Seine Majestt derrechtmige Herr dieser Gebiete ist31.

    Ohne Diskussion ist die Legitimitt der spanischen Herrschaft ber dieentdeckten Gebiete angenommen worden, wenn die Eingeborenen sichunterwarfen und freiwillig die Oberhoheit der spanischen Knige anerkannten.Spanien kann, so besttigten auch die im Grundstzlichen rigorosesten

    Theologen, Eingeborenenreiche in Besitz nehmen, wenn die Bewohner oder ihregroe Mehrheit Untertanen der spanischen Monarchie zu sein wnschten. DieVoraussetzung ist jedoch, da es sich dabei um freie Unterwerfungsvertrgehandelt. Die Art, wie Hernn Corts die Abdankung Moctezumas und dessenfreiwillige Abtretung der Herrschaft an die Krone Spaniens veranlate, und dieWiederholung solcher Praktiken durch andere Konquistadoren zeigenallerdings, da es hufig nur darum ging, den ueren Schein der Legalitt zuwahren.

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    Abb. 3: Dr. Juan Gins de Seplveda

    Lebhaft umstritten blieb es, ob die zivilisatorische Sendung des weienMannes in der berseeischen Welt das Recht gibt, ber primitive Vlker eine

    Kolonialherrschaft aufzurichten. Insbesondere Seplveda behauptete dies undbewies es aus der Politik des Aristoteles, wonach die rohen und barbarischenMenschen geboren worden seien, damit sie den Vernunftbegabten dienen. Diezivilisierten Vlker sollen ber die wilden und primitiven herrschen. Menschenniedriger Kulturstufen der Neuen Welt drfen also, so schlo Seplveda, vonden Europern unterjocht werden. Der spanische Humanist verband damit dieBehauptung, da die tapferen und kultivierten Spanier ein hheres undauserwhltes Volk seien, um die Geschicke der Welt zu leiten. Sie ben mitvollem Recht die Herrschaft ber die Barbaren Amerikas aus.

    Diese nationalstolze Rechtfertigung der spanischen Eroberungen in berseeverleitete dazu, Art und Sitten der Indianer in den dstersten Farben zu malen.Die Eingeborenen der Neuen Welt entbehren nicht nur der Kultur, sondern lebenwie wilde Tiere. Sie treiben absurden Gtzendienst, bringen ihren GtternMenschenopfer dar und essen Menschenfleisch. Sie kennen nicht Sittsamkeit undScham und sind der Trunkenheit und Sodomie zugetan. Man bestritt sogar, dasie vernnftige Wesen seien, und bezeichnete sie als Tiere, die sprechen32.

    Einzelne Theologen des Sptmittelalters wie der Erzbischof von Armagh,Richard Fitzralph, behaupteten nun, da der Mensch nur Herr ber irdische

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    Dinge ist, soweit er nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Wenn die Vernunft,die Grundlage seiner Gotthnlichkeit, ihm fehlt, hrt er auf, eine rechtmigeGewalt ber Mitmenschen und Gter auszuben, selbst wenn er den NamenKnig oder Frst fhrt. Unter solchen Umstnden erscheinen die spanischenEroberungskriege in Amerika gerechtfertigt. Der Jurist Lic. Gregorio Lpez, der

    von 1543 bis 1556 Rat im Consejo de las Indias war, vertrat die Auffassung, da dieSnden der Indianer gegen Gott und die Natur einen Rechtstitel zur EroberungAmerikas geben. Die Knige von Spanien knnen die Bewohner der Neuen Weltnotfalls durch Krieg zwingen, da sie nach dem Naturrecht leben. Damit wirdein Imperialismus im Dienste der Zivilisation moralisch begrndet.

    Diese Diskriminierung der indianischen Rasse hat alsbald Widerspruchhervorgerufen und zu lebhaften Polemiken ber die menschliche Natur deramerikanischen Eingeborenen Anla gegeben. Missionare und Theologenwurden die Wortfhrer in diesem Streit. Der Pater Antonio de Montesinossuchte in seiner Adventspredigt von 1511 das Gewissen der Siedler von Santo

    Domingo wachzurtteln, indem er ihnen die Frage vorlegte: Sind die Indianerkeine Menschen? Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen33? Ein eifrigerDominikanermissionar, Bernardino de Minayo, begab sich nach Rom, um demPapst zu berichten, wie man die Indianer als wilde Tiere betrachtete, und einanderer Dominikaner, der Bischof von Tlaxcala, Julin Garcs, widerlegte ineinem Schreiben an den Papst die Argumente derjenigen, die die Indianer wegenihrer Roheit und Barbarei nicht als vernnftige Wesen betrachten wollten.Darauf verkndete Papst Paul III. in einer Bulle des Jahres 1537, da die Indianerwirkliche Menschen seien und frei ber sich selbst und ihr Eigentum verfugenknnen.

    Die spanischen Sptscholastiker vertraten dieselbe Auffassung. Francisco deVitoria lehrte, da die Indianer Menschen sind, auch wenn sie wild undbarbarisch seien, und da sie also vor Ankunft der Spanier im rechtmigenBesitz ihrer Lnder und Herrschaften waren. Spanien hat, so folgerte derberhmte Jurist der Universitt Salamanca, Diego de Covarrubias, im Jahre 1548,kein Recht, auf Grund einer hheren Zivilisation den Indianern den Krieg zuerklren und sie seiner Herrschaft zu unterwerfen34. Ebenso behauptete VitoriasLieblingsschler, Melchor Cano, da kulturelle berlegenheit keinHerrschaftsrecht verleiht. Cano stellt sogar die Frage, ob die Einfhrung derspanischen Gesellschaftsordnung nicht schdlich fr solche zurckgebliebenenVlker sei. Auf jeden Fall gebe die Absicht, die Indianer menschenwrdig zuerziehen und gerecht zu regieren, kein Recht zur Eroberung ihrer Lnder. DieZivilisierung der Eingeborenen, d.h. ihre Einfgung in die christlich-abendlndische Kultur, wird nicht als eine Legitimierung des europischenKolonialismus anerkannt. Allenfalls konnte man eine zeitweise Schutzherrschaftber primitive Vlker gelten lassen, so wie Kinder jemand brauchen, der sieleitet und behtet, bis sie grojhrig sind. Wenn die Barbarei unter den Indianern

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    beseitigt ist und Friede und Ordnung unter ihnen hergestellt sind, sollte ihnendie volle Freiheit zurckgegeben werden.

    Die spanischen Scholastiker haben schlielich die echten und unanfechtbarenRechtstitel der spanischen Herrschaft in Amerika auf neue Prinzipien einesAllvlkerrechts, des Jus gentium, zu grnden versucht. Sie haben, als die

    europischen Entdecker die Verbindungen mit den Bewohnern entferntesterErdteile herstellten, den Begriff einer Weltgemeinschaft entwickelt, die dasgesamte Menschengeschlecht umfat. Alle Vlker und Reiche bilden eineEinheit. Der ganze Orbis sei eine respublica. Das Jus gentium fordert nun, daalle Vlker in wechselseitigen Beziehungen stehen. Die Spanier haben darum, sofolgert Francisco de Vitoria, das Recht, in die Lnder jenseits des Ozeansauszuwandern, dort zu wohnen und Handel zu treiben, sofern denEingeborenen dadurch kein Unrecht zugefgt wird. Die allgemeine Freizgigkeitund der unbehinderte Handelsverkehr sind unaufhebbare Grundrechte derMenschen. Wenn die Indianer nun die Spanier in der Wahrnehmung dieser

    Rechte behindern und gtigen Ermahnungen kein Gehr schenken, knnen siedurch Waffengewalt und durch Besetzung ihres Landes zur Beachtung des Jusgentium gezwungen werden35.

    Es stand allerdings im Widerspruch zu diesem Prinzip, wenn Vitoria allebrigen Nationen von der Niederlassung und dem Handel in Amerikaausgeschlossen wissen wollte, was er mit der ungehinderten Durchfhrung desppstlichen Missionsauftrages sowie mit dem Hinweis, da die spanischenKnige durch ihre Initiative und auf ihre Kosten die Neue Welt entdeckt haben,begrndete. Der spanische Anspruch auf ein Herrschafts- und Handelsmonopolin Amerika ist auch von Vitoria verteidigt worden. Das nationale Interesse hob

    den universalen Geltungsbereich desJus gentium doch wieder auf36.Aus dem Prinzip der allgemeinen Brderlichkeit der Menschen lie sich nochein anderer Rechtstitel fr das spanische Kolonialreich ableiten. DerDominikanertheologe Juan de la Pea behandelte in seinen Vorlesungen an derUniversitt Salamanca whrend der Jahre 156063 die spanische ConquistaAmerikas und vertrat die These, da zur Wahrung der Grundrechte dermenschlichen Person jeder Staat in einem anderen intervenieren darf, um dieUnschuldigen zu verteidigen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurchen. Eine solche Hilfe fr die gefhrdeten Mitmenschen konnte die Spanierberechtigen, Krieg gegen die Indianer zu fhren und ihr Land zu besetzen.

    Die Diskussion ber die falschen und die echten Rechtstitel des spanischenImperiums in Amerika, wie sie an den Universitten und in dem Kolleg desDominikanerklosters San Esteban in Salamanca von hervorragenden Theologenund Kanonisten gefhrt wurde, fand in der ffentlichkeit einen lebhaftenWiderhall. Die leidenschaftliche Kritik an der Rechtmigkeit der spanischenKolonialherrschaft erschien Kaiser Karl V. als so schdlich und skandals, daer in seinem Schreiben vom 10. November 1539 den Prior von San Estebanbeauftragte, weitere Disputationen und Predigten der Ordensmitglieder ber

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    dieses Thema zu verbieten und alle Schriften und Aufzeichnungen darbereinzuziehen und abzuliefern37. Die gergten Theologen und Mnche schwiegenaber nicht. Las Casas konnte es sogar wagen, in Gegenwart Karls V. vor einervon diesem einberufenen Kommission des Jahres 1542 zu behaupten, da diespanischen Okkupationen in der Neuen Welt gewaltsame Invasionen

    grausamer Tyrannen seien, wie sie von dem gttlichen Gesetz und allemmenschlichen Recht verurteilt sind38. Der Dominikanerpater erhob dieForderung, alle bisherigen spanischen Eroberungen in Amerika mtenrckgngig gemacht und die besetzten Gebiete ihren frheren einheimischenHerrschern und natrlichen Herren zurckerstattet werden. Nach einer spterenberlieferung seien damals in dem Kaiser derartige Skrupel geweckt worden,da er die Reiche Perus wieder den Inka-Herrschern zurckgeben wollte, aber eshandelt sich dabei wohl nur um Gerchte, die in Peru verbreitet wurden und diedurch keine zeitgenssischen Dokumente besttigt werden39.

    Diese Diskussionen, in denen Spanier selbst die Rechtsgrundlagen ihrer

    Kolonialherrschaft kritisierten und bestritten, konnten zwar nicht ernstlich darandenken lassen, die berseeischen Besitzungen wieder preiszugeben, veranlatenaber die spanische Regierung, neuen Expeditionen den Charakter vonfriedlichen, von christlicher Nchstenliebe geleiteten Unternehmungen zu geben.Die Ordenanzas von 1573 ersetzten ausdrcklich das Wort conquista durchpacificacin. Die Ableitung kolonialer Herrschaftsrechte aus sittlichen Wertenlegte zugleich die Verpflichtung auf, die Eingeborenen human zu behandeln,und hat die spanische Kolonialgesetzgebung aufs strkste beeinflut.

    3. Siedlungspolitik und Siedlungsformen

    Die spanische Besiedlung der in bersee entdeckten und eroberten Lnder setztedie Traditionen der iberischen Reconquista des Mittelalters fort, die eine ber dieJahrhunderte sich erstreckende Kolonisationsbewegung in den von derIslamherrschaft befreiten Gebieten gewesen ist und ihrer Ausdehnung nach nurin der deutschen Ostkolonisation eine Parallele findet. Die in der Reconquistawiedergewonnenen Lnder gehrten