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Fliegen mit dem Wind und gegen den Wind. Von Konrad Lorenz (Altenberg). We isL so mult ich fragen, am Vogel die Schnur des Drachens? Will man denn durehuusnicht sehen, d~l] in dieser Schnur alas Problem steckt? Ex~.~R 1907. Elementare Dinge pflegt man nicht gerne nochmals breitzutreten, zumal in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Wenn abet selbst- verstiindliche physikalische Tatsachen nieht nur ignoriert, sondern expressis verbis geleugnet werden, so halteiehesffirdiePflieht eines eifrigen Mitarbeit.ers dieser Zeitschrift~ solche grtmdlegenden Irr- tfimer klarzustellen. Es k5nnte sonst allzuleieht ein ferner stehender Naturwissensehaftler, der solehe physikalisehen Undinge in unserer Zeit- sehrift liest, den giinzlieh falsehen Eindruck bekommen, dab die Mehrzahl der Ornithologen diese Irrtfimer widerspruchslos binnimmt. Als mir E. v. HoLsT seine ArbeJt fiber Vogelzug gegen den Wind im ,,Vogelzug" 1931 H. 4 schickte, sehrieb er gleichsam entschuldigend, dal3 sie im Wesentlichen Binsenwahrheiten enthalte, es sei abet not- wendig, immer wieder in dieselbe Kerbe zu h~uen~ da diese Binsen- wahrheiten immer noeh nicht gentigend weiten ornithotogisehen Kreisen bekannt seien. Die Arbeit yon Cm~isToLErr im J. f. O. 1933 H. 3 hat reich yon tier Richtigkeit dieser Anschauung v. HoLsT's restlos tiberzengt. Ieh will yon der Form dieser Arbeit absehen, die den Eindruck erweekt, als werde der Antor mehr yon affektiven als yon verstandesm~iBigen Griinden zu einer mehr persSnliehen als wissensehaftliehen Gegnerschaft gegen HoLs~ veranlat3t. Aber aueh abgesehen davon strotzt diese Arbeit dermal~en yon physikalischen und logisehen Fehlern, dal~ ieh reich ver- pfliehtet ffihle, meinem Widerspruehe Ansdruck zu verleihen. Der Angriff CtmlSTOLEIT'S richter sich im Wesentlichen gegen den yon v. Ho~s~ aufgestellten Satz, dal3 der Vogel aus einem horizontalen, wirbelfreien und gleiehm~l~igen Gegenwind keine Energie gewinnen k~nne. C~IS~OLEIT scheint nicht zu wissen, dal~ diese selbstverst~tndliehe physi- kMische ]3insenwahrheit keineswegs erst yon E. v. HoLsT herausgeflmden wurde~ was ja HoLsl' ~uch niemals behauptet hat.

Fliegen mit dem Wind und gegen den Wind

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Fliegen mit dem Wind und gegen den Wind.

Von Konrad Lorenz (Altenberg).

We isL so mult ich fragen, am Vogel die Schnur des Drachens ? Will man denn durehuus nicht sehen, d~l] in dieser Schnur alas Problem steckt?

Ex~.~R 1907.

Elementare Dinge pflegt man nicht gerne nochmals breitzutreten, zumal in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Wenn abet selbst- verstiindliche physikalische Tatsachen nieht nur ignoriert, sondern e x p r e s s i s v e r b i s g e l e u g n e t werden, so hal te iehesff i rd iePf l ieht eines eifrigen Mitarbeit.ers dieser Zeitschrift~ solche grtmdlegenden Irr- tfimer klarzustellen. Es k5nnte sonst allzuleieht ein ferner stehender Naturwissensehaftler, der solehe physikalisehen Undinge in unserer Zeit- sehrift liest, den giinzlieh falsehen Eindruck bekommen, dab die Mehrzahl der Ornithologen diese Irrtfimer widerspruchslos binnimmt.

Als mir E. v. HoLsT seine ArbeJt fiber Vogelzug gegen den Wind im ,,Vogelzug" 1931 H. 4 schickte, sehrieb er gleichsam entschuldigend, dal3 sie im Wesentlichen Binsenwahrheiten enthalte, es sei abet not- wendig, immer wieder in dieselbe Kerbe zu h~uen~ da diese Binsen- wahrheiten immer noeh nicht gentigend weiten ornithotogisehen Kreisen bekannt seien.

Die Arbeit yon Cm~isToLErr im J. f. O. 1933 H. 3 hat reich yon tier Richtigkeit dieser Anschauung v. HoLsT's restlos tiberzengt. Ieh will yon der Form dieser Arbeit absehen, die den Eindruck erweekt, als werde der Antor mehr yon affektiven als yon verstandesm~iBigen Griinden zu einer mehr persSnliehen als wissensehaftliehen Gegnerschaft gegen HoLs~ veranlat3t. Aber aueh abgesehen davon strotzt diese Arbeit dermal~en yon physikalischen und logisehen Fehlern, dal~ ieh reich ver- pfliehtet ffihle, meinem Widerspruehe Ansdruck zu verleihen.

Der Angriff CtmlSTOLEIT'S richter sich im Wesentlichen gegen den yon v. Ho~s~ aufgestellten Satz, dal3 der Vogel aus einem horizontalen, wirbelfreien und gleiehm~l~igen Gegenwind keine Energie gewinnen k~nne. C~IS~OLEIT scheint nicht zu wissen, dal~ diese selbstverst~tndliehe physi- kMische ]3insenwahrheit keineswegs erst yon E. v. HoLsT herausgeflmden wurde~ was ja HoLsl' ~uch niemals behauptet hat.

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Meines Wissens war der Wiener Ordinarius ftir Physiologie, Sm~u~D EX~ER~ der erste, der auf die physikalisehe Unm6gliehkeit aller Theorien hingewiesen hat, die dem Vogel aus ,,dem Wind" an sich irgendwelehe Vorteile flugmechanischer Natnr erwaehsen liegen. In seiner Arbeit ,,Ueber das Sehweben der RaubvSgel" ,,Nochmals fiber das Sehweben der RaubvSgel" hat Ex~ER zwar eine inzwisehen wider- legte Hypothese aufgestellt, hat aber eine gauz ausgezeiehuete Kritik tier damals herrschenden Ansehauungen tiber die Ausnutzung des ~rindes dureh den Vogel beigefiigt.

Naeh CH~ISTOLEI~ kann sieh ein Adler, ein Milan oder eine MSwe ,,allein you der Tragkraft dieses Gegenwindes heben lassen". Das kann der Vogel au&, n~mlieh dann, w e n n er v o r h e r g e s e s s e n h a t , a l s o g e g e n d i e u m g e b e n d e L u f t k i n e t i s e h e E n e r g i e yon d e r E r d e h e r r a i t b r i n g t , wie ieh auch in meiner Arbeit fiber Vogelflug im J. f. O. 1933, H. 1, auseinandergesetzt hatte. Dann kann er solange unter Verminderung seiner Gesehwindigkeit zur umgebenden Luft steigen, his diese die Sehnur des Draehens vertretende Energie aufgezehrt ist. Ganz genau ebenso kSnnte der Vogel yon einem fahrenden Auto aus in stiller Luft in der Fahrtriehtung des Autos auf- steigen, wobei er in der Wagreehteu hinter dem Auto zuriiekbleiben wfirde. DaB der horizontale und wirbellose Gegenwind nur m i t e i n e m s o l e h e n V e r t r e t e r de r S e h n u r des D r a e h e n s eine Energie- quelle darstetlt, seheint aueh CH. dunkel zu empfinden, denn er setzt als Ful3note hinzu: ,,Es ist das lPrinzip des D r a e h e n f l u g e s , das bier zur Geltung kommt. Die Stelle der haltendeu Sehnur vertritt einerseits die Sehwerkraft, andererseits die wenn aneh nur unbewugte Aufmerksam- keit, mit der der Vogel als lebendes Wesen seinen Flugapparat un- ausgesetzt in der denkbar giinstigsten Stellung hNt." Seit wann, so mul3 ieh fragen, ist die Aufmerksamkeit eine Kraftquelle? Oder zieht die Sehwerkraft seit neuester Zeit nicht mehr lotreeht abwiirts, sondern naeh einem bestimmten Punkt der Erdoberfl~ehe, yon dem der Wind den Vogel vergeblieh wegzublasen strebt?

C~ISTOnEir betont aber ganz ausdrficklieh, dal] der Wind an sieh, das heil~t der wagreehte, wirbelfreie Wind yon konstanter Geschwindig- keit, auf den in ihm fliegenden Vogel eine a n d a u e r n d e hebende Wirkung entfalte. Wie w~re dann der Verkehr anf Erden billig! E x N ~ hat sehon vet vielen ,Iahren auf diese physikaliseh unsinnigo Ansehauung die riehtige Antwort gewugt. Er sagt in seiner Erwiderung auf die Einw~nde SOm~,~IDJ~R'S: ,,Wieder (also sehon damals war diese Crux alt) wird der Vogel behandelt, als wilrde er den Wind spfiren,

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wie wit, die wir auf der Erde stehen, nirgends ist von einem Gewinn an Gesehwindigkeit unter Angabe der Relation zur Luft dig Rede." An anderer Stelle: ,,Wer daran zweifelt (dab ein gleiehm~giger und wagreehter Wind keine Energiequelle sein kann), m6ge sich in ein Schift setzen, dasselbe in einen Teieh hinausstogen lassen and, wenn er im Schusse ist, ein Brett in weleher Lage immer ins W~sser ha.lten. Er wird sehen, dug das Sehiff seine Riehtung ~ndert, aber nieht dag es an Gesehwindigkeit gewinnt; and wenn er denselben Versuch in der StrSmung eines Flusses ausfiihrt, so wird er sehen, dug ihm die StrSmung dabei garniehts niitzt; ebensoweuig niitzt die strSmende Luft, d. i. der Wind dem Vogel." Die Arbeit ScI~N~:lm~'s kenne ieh leider nut aus den Zitaten ExN~R's, sie mug abet der Cm~s~oL~:~T's ~hnlieh gewesen sein~ so genan pagt die Ex~E~sehe Erwiderung aueh auf diesen Autor.

Dal] die gleiebfSrmige und wagrechte Bewegung des gesamten Mediums fiir einen in diesem Medium suspendierten Organismus hie and nimmermehr eine Energiequel]e sein k a n n , sei der Organismus nun eine Fliege, ein Vogel oder ein Menseh mit einem Flugzeug, einem Ballon oder einem Luftschiff, ja, das sollte doeh wirklieh Jedem klar sein, der tibet- derartige Dinge 5ffentlich zu schreiben sich unterf~.ngt. Diese Tatsache ist nieht m e in e pers6nliehe Ansieht und sie ist nicht yon Ex~-~ oder yon E~Ic~ v. Itons~ erfunden worden. Sie ist eine physikalisehe Selbstverstiindliehkeit, auf deren Erkenntnis sigh das Leiseste einzubilden ebenso l~eherlich wi~re, wie sie leugnen zu wollen. Genau so wenig, wie Wiirme ohne W~rmegefiille eine Energiequelle darstellt, genauso wenig kann Bewegung ohne Bewegungsgef~lle zu einer solehen werden. Were das nicht yon selbst klar ist, dem kann man es allerdings sehr sehwer erkliiren, ebenso, wie man nicht erkl~ren kann, warum eine GrSge sigh selbst gleieh, oder der Tell kleiner als das Ganze ist.

Gerade das aber behauptet C~ISTOLEIT wieder und wieder~ dag der Vogel einen wagrechten und wirbelfreien Wind yon gleiehbleibender Gesehwindigkeit Ms Energiequelle beniitzen k6nne. Dann w~ire die Fort- bewegung billig: Der Vogel nimmt mit Muskelkraft einen AvAa~, dann hat er Gegenwind und der h~lt ihn dauernd oben, das Perpetuum mobile grinst uns votlkommen unverhiillt entgegen.

Fiir den im Winde fliegenden Vogel ist der Wind keine Luftbe- wegung, s o n d e r n e ine B e w e g u n g de r E r d e u n t e r ihm. Der Wind Ms soleher, abgesehen yon StrSmungen mit lotreehter Komponente und abgesehen yon GesGhwindigkeitsversehiedenheiten, e xi s t i e r t ftir den fliegenden Vogel n ieht . Das heil~t~ er existiert vielmehr nur Ms

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eine Bewegung der Erde, die sieh sozusagen unter den] Vogel weg bewegt. J eder~ der je in einen] grol~en und raseh flie~enden Stron]e geschwon]n]en oder bootgefahren ist. wird genau verstehen~ was ich meine. Ich ha.be auch auf der Donau in kleineren Booten w i e d e r h o l t die naiv-erstaunte Aeul~erung gehSrt: ,Das-~Vasser sieht aus~ als ob es gar nieht flie~en wfirde!" Das hSrte ich allerdings meist yon Frauen und Kindern~ einn]al aber auch yon einem Doktor der PhiIosophie. Merkwiirdig wird dieses Erstaunen erst, wenn man sich die Frage vorlegt, was denn der Betreffende a n d e r s e r w a r t e t b a b e ? Offenbar hatte er unterbewul]t erwartet, das Boot werde dureh ein n]agisehes Agens am Platze gehalten werden und der Stron] werde an ihm voriiberrausehen. Dal~ CEI~lS~OL~T nnbewul~t den gleiehen Denkfehler n]acht, geht fast aus jedem seiner S:~ttze hervor.

Dal] der Vogel der Riehtung und Geschwindigkeit des Windes; der Bootfahrer der des Stron]es insofern Reehnung tragen mu[3~ als er ja an einer bestimmten Stelle d e r E r d e zu landen hat, ist so selbst- verst~ndlieh, dal3 HOLST es nirgends besonders erwiihnt~ was Cm~. Ge- legenheit g~bt, zu sagen: ,Also spieIt der Wind flit den fliegenden Vogel direkt iiberhaupt keine Rolle; er braueht sich ibm weder anzu- passen noeh kann er ihn ffir seinen Flug ausniitzen!!! Man m6ehte glauben, der Urheber dieser Auslassung habe fiberhaupt nur Sperlinge fiber Berliner Asphalt, aber noeh nie eine Rauehsehwalbe in] Winde fliegen geseheni" Dal~ der Vogel sich den] Winde nicht anzupassen braucht, hat HoLsT selbstverst~ndlich nirgends behauptet.

Eine halbe Seite welter aber ,existiert der Wind" merkwfirdiger Weise diesmal ffir CI=tI~. offensichtlich nieht~ denn er schreibt da in einem n]ir bei bestem Willen nicht logiseh verst~nd]ichen Zusan]n]en- hange: ,Tats~chlieh l ~ t Herr voz~ ~ HoLs~ S. 166 seine mit 10 m Ge- schwindigkeit gegen den Wind fliegenden Finken kaltbliitig nur halb so raseh vorw~rtskon]n]en, wenn ein Wind yon 5 n] ihnen entgegenweht~...". Ja~ um Gotteswitlen, wie denn nieht? L~uft der Vogel denn n]it un- sichtbaren Beinen auf der Erde? Und wenn ein Polartaucher gegen einen Sturn] n]it einer ,ganz unhein]lichen" Geschwindigkeit fliegt, so h a t er eben tatsSehlich eine ganz unhein]liehe Geschwindigkeit zun] un]gebenden Medium. Sie ist auch nach den Verhaltnissen des Flug- apparates dieses Vogels zu erwarten~ denn die extren] hohe Fl~ehen- belastung deutet ebenso darauf bin, wie die nngeheuer ha.rten und kurzen Fhgfedern. Wunder gibt es eben keine!

Die erstaunliehste Fehtleistung Cm~IsTo]~]stz's ist aber wohl darin gelegen, dal3 er offensichtlich glaubt~ dal3 ein n]it dem Winde fliegender

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[J. f. O. 600 Konrs~d Lorenz : L 1933

Vogel zur umgebenden Luft k e i n e w e s e n t l i c h e V o r w ~ i r t s b e - w e g u n g zu haben brauebe, sondern wie ein Distelsamen veto Winde mitgefiihrt werde. Um CgR. ja nieht Unreeht zu tun, mu~ ich hier die yon mir so verstandene Stelle zitieren: ,,Abet der Vogel w~ire zu diesem Verhalten gezwungen (n~mlich dazu~ sich gegen den Wind zu wenden, wenn er an einem Punkte der Erdoberflgche stehen bleiben will) einfach schon~ weil ein solcher Wind~ der iba e r h e b l i c h an Geschwindigkeit fibertrifft, sein Kleingefieder str~uben wi~.de, was er bekannttieh normaler- weise . . . sorgfiiltig vermeidet." Also nicht etwg herunterfallen wfirde der Vogel~ sondern sein gleingefieder wtirde sich strguben! Man kann den Gedankeng~ngen CgRIS~r0LEITS nur dann fo]gen~ wenn man sich dauernd vorstellt, der Vogel werde immer dutch eine unsichtbare Schnur yon de r E r d e aus vorw~irtsbewegt. Es scheint C~R. unbekannt zu sein, dal~ der Antrieb eines Phgzeuges und eines Vogels in dem um- gebenden Medium erfo]gt, und der Vogel daher mi t dem Wind fiiegend selbstverstgndlieh s c h n e 11 e r fliegt als dieser~ und zwar m i n d e s t e n s um s e i n e , , k t e i n s t e G l e i t g e s e h w i n d i g k e i t ~' s e h n e l l e r [ Ebenso, da~ der Mitwind selbstverst~indlieh seine Gesehwindigkeit zu der des Vogels addiert, ihm also sehr wohl hilft. Die uuausrottbare Vorstellung, dal~ der An- und Vortrieb des Vogels irgendwie auf die Erdoberfl~.che zu beziehen sei, kann uns die nun folgenden Auslassungen CHmST0~EIT'S fiber das Fiiegen mit dem Winde verstgndlieh machen. Anders wgre n~imlich nicht einmal der Oedankengang des Autors ver- sti~ndlich: ,,Aber auch beim horizontalen Ruderfluge (mit dem Winde) verhglt es sieh nicht anders. Der bier wirksame Mechanismus des Vogelfliigels mit seinem regelmgt~igen MTechsel zwisehen Auf- und Nieder- schlagen, Durehstreichenlassen und Auffangen der Luft ist nur flit yon vorne kommenden Luftstrom geeignet und wfirde bei mit erbeblicherer Kraft yon riickwgrts drfickendem gar nicbt funktionieren k8nnen; am i~Srper aber ~4irde der Winddruek, noeh ehe er den Vogel nennenswert vorw~trts brgchte, bereits das Gefieder str~iuben; beides zu vermeiden, ist der Vogel also gen8tigt~ dureh eigene Anstrengung seine Gesebwindig- keit fiber oder wenigstens nicht sehr viel unter derjenigen des Windes zu halten . . . " ,,Kurz, hier gilt im Allgemeinen: Riickwind hetzt den Vogel vorwgrts, aber unterstiitzt ihn nicht[ Natiir]ieh gibt es dann auch eine Grenze, fiber die hinaus er seine Geschwindigkeit nicht steigern kann und sein Wettrennen mit dem Winde, bezw. seinen Zug aufgeben mu] ] . . . " Ful]note: ,Kann ein ]~'lugzeug mi t s t a r k e m S t u r m iiber-

hsupt fliegen ?"

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In diesen Abs~ttzen sind in erstaunlieher Dichte s~mtliche Irrtfimer nnd Denkfelfler beisammen, die s~mtliche Theorien fiber den Vogelflug jemals enth~dten haben. I)as Aergste ist wohl die Vorste]lung, da~ ein Vogel nicht nur blol3 mit der Geschwindigkeit des Windes mit dem Winde fliegt, also dauernd in der umgebenden Luft am gleichen Platze rfittelt, sondern sogar l a n g s a m m i t dem S c h w a n z v o r a u s g e g e n d e n W i n d f l i e g t , denn dies nml3 er, wenn er ,,seine G-eschwindigkeit nn terderdesWindesb~l t" . Von d e r P h y s i k des D r a c h e n f t u g e s h a t de r A u t o r d e m n a c h n i c h t d ie l e i s e s t e A h n u n g !

In der Ansicht~ dal] der Vogel sich anstrengen mfisse, am mit dem Winde mitzukommen und in der Frage, ob ein Flugzeug mit starkera Sturme fliegen kSnne, finden wir wieder die dunkle Vorstellung, dat3 die Vorw~rtsbewegung des Vogels irgendwie die Erdoberfl~che als puncture fixum benfitze. Wenn ich einen Dntchen mit dem Winde steigen lassen will, so mul~ ich natfirlich, um mit meinem Ende der Drachenschnur den Wind zn iiberholen, allerdings erstaunlich schnell mit dem Winde laufen. Wenn ich mit einem Automobil ein Segel- flugzeug schleppe, verh~lt sieh die Sache auch ungef~hr so, wie Cm~isTo- LEI~ sie sich vorstellt. N i c h t a b e r , w e n n der P r o p e l l e r e i n e s } I o t o r f l u g z e u g e s d ie b e w e g t e L u f t s e l b s t zum A n g r i f f s - p u n k t hat . D e m P r o p e l l e r und dem V o g e l f l t t g e l i s t es, um es n o e h e i n m a l zu s a g e n , s c h e i n b a r k a n n m a n es w i r k l i e h n i c h t o f t g e n u g s a g e n , v o l l k o m m e n g l e i c h g f i l t i g , ob die E r d e n n t e n mi t 5 o d e r mi t 500 km G e s c h w i n d i g k e i t vor- fib e r j a g t . Bei Vogel wie J~hgzeng sind es einerseits die vergrSl~erte Turbulenz nnd anderseits die L~ndungsschwierigkeiten, die bei sehr hohen Windgeschwindigkeiten das Fliegen verbieten.

Ich mSchte gar nicht ~uf die Frage eingehn, ob der Vogelzug mit dem Wind oder gegen den Wind intensiver ist. Aus der Tatsache, da.13 das iiberhaupt diskutiert wird, geht ja schon hervor~ dab ein fib er- z e u g e n d e s Ueberwiegen des einen oder des andern n i c h t zu ver- zeichnen ist. Da nun beim menschlichen Flugzeug der Mitwind genan so viel hilft, wie sich aus der Addition der Geschwindigkeit yon Wind und Flugzeug ergibt, der Gegenwind genau so viel hemmt, wie die Subtraktion dieser Geschwindigkeiten ergibt, so erhebt sich die Frage, w a r u m veto Vogel der Zug mit dem Winde dem Gegenwindzug gegen- fiber nicht deutlieh bevorzugt wird.

Wohlgemerkt: Der Mitwind hilft dem Fhgzeug wie dem Vogel nicht beim F 1 i e g e n. Er hilft ihm nnr, yon einem Punkte d e r E r d -

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o ber f lg , che einen anderen, in der ~Vindrichtung yon dem ersten ge- legenen Punkt de r E r d o b e r f l ~ t e h e zu erreiehen. Vom fliegenden Vogel oder Flugzeug aus empfunden ist die Luft immer still, aber bei Mitwind lguft ihm die Erde entgegea, sodal] eine kiirzere ~'lugzeit zur Erreiehung des Zieles a u f der E r d o b e r f l g e h e geniigt. Daraus, in weleher Riehtung die Erdoberfl~ehe unter im vort~berzieht, entnimmt der Vogel natiirlieh aueh die Riehtung des Windes. Genau ebenso verh~dt sieh, wie sehon l~ngst experimentell festgestetlt wnrde, der Fiseh zur StrSmung des Wassers. Die Relativit~t der Str~mung zeigt sieh pr~ehtig in folgendem Versueh, der mit Fisehen angestellt wurde, die fiir gewShnlieh gegen die StrSmung schwimmend auf dem gleiehen Punkte der Erdoberfl~c.he stehen bleiben, eine ,,positive Rheotaxis" zeigen.

Man stellte in ein Wasserbeeken zwei konzentrische Blechzylinder, sodag also zwisehen den beiden ein ringfSrmiger Wasserraum blieb~ in den die Fisehe gesetzt wurden. Das Bleeh der Zylinder war auf der der Ringbahn zugewendeten Seite mit Fleeken nnd Streifen bemalt worden, um den Fisehen optische Anhattspunkte zn bieten. Nun wurde einmal das ~Vasser in der Ringbalm in kreisende Bewegung versetzt~ das andere ?¢[al wurden die die Ringbahn begrenzenden Bleehzylinder um ihre Aehse gedreht. Beim ersten Versueh verhielten sieh die Fisehe wie im Freien ,,positiv rheotaktiseh" und sehwammen mit Stromgeschwindig- keit gegen die StrSmung, blieben also an der gleiehen Stelle der Ring- hahn. Beim zweiten Versuch sehwammen sie der sieh drehenden Kreis- hahn naeh und ebenso oft im Kreise herum, wie man die Zylinder drehte. Sie konnten es nieht unterseheiden, ob das Wasser stromab- w~rts oder das Flugbett stromaufw~rts wandere.

Die Beobaehtung zahmer freifliegender V6gel ergibt, dag eine ge- wisse psyehisehe ftemmnng, mit dem Wind zu fliegen, vorhanden ist. Diese ttemmung seheint grSl~er zu sein, Ms es der Sehwierigkeit des Entsehlusses entspricht, zweimal zu wenden, n~imlieh einmal naeh dem Auffliegen und einmal vor dem Landen. Es sieht viehnehr diese I-Iemmung ganz iihnlich aus wie die instinktm~gige [-Iemmung, abwgrts zu fliegen, die den meisten V6geln eigen ist. Der biologisehe Sinn der Abwgrts- hemmm~g ist leicht zu verstehen. Der Vogel flieht ja in den allermeisten FNlen aufw~trts, die Gefahr ist meist nnten. Fhehtreaktionen nach abwiirts, wie sie bei vielen VSgeln dureh fliegende RaubvSgel ausgel6st werden, sind als Spezialf~Ile zu betraehten.

Mrarum aber fiirehtet sieh der Vogel im Luftstrom stroma.bw~irts zu fliegen ? Zmn Teit ja wohl sieher aus demselben Grund, aus dem es ftir ein Motorboot anf einem reil]enden nnd unbekannten FlnI3 unendlich

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viel gefiihrlieher ist, stromabw~rts zu fahren, als aufwgrts: weft man n~mlieh stromauf stehn bleiben kann, stromab aber nicht. (Naeh (3m~IS~OLEI¢ bleibt ja allerdings auch der windabw~irts fliegende Vogel yon selbst stehen, wenn er sich nicht sehr plagt, and der Wind pfeift ihm yon hinten mn die Ohren!) Da aber wenige Leser des J. f. O. wie der Schreiber dieses geprtifte Plul]-Schiffsfiihrer sind, dtirfte dieser groge Unterschied in der Psyehologie des Stromauf- nnd Stromabfahrens auf sie nieht so unmitelbar i~berzeugend wirken, wie auf reich selbst. Einen zweiten Grund vermute ieh nur mad lasse reich gerne yon meteorologiseher Seite eines Besseren iiberzeugen. Ieh hM~e n~mlieh den Eindurek, dab bei b6igem Winde die Windstih'ke bei den einzelnen Windst6gen sehneller ansteigt als abflant. Wenn dieser Eindruek sieh als riehtig erweisen sollte, so hgtten wir darin einen weiteren Grund. weshalb der Vogel die Hilfe des Mitwindes nicht mehr ausniitzt. Die pl6tzliehe Verminderung tier Gesehwindigkeit des Vogels zur urn- gebenden Lnft~ wie sie dureh ein jghes Ansteigen der Gesohwindigkeit des Mitwindes entstiinde, mul~ dem Vogel natiirlieh gefiihrlieh und un- angenehm werden.

Das aber die dauernd bestehende M6gliehkeit, in einen Abwind, in einen Luftwirbel oder in eine sonstige Gefahr ohne jede rasehe Bremsm6gliehkeit hineingeweht zu werden, tier am meisten aussehlag- gebende G-rnnd ist, weshalb der Vogel yon der M~Sgliehkeit, mit dem Winde fliegend Arbeit and Zeit zn sparen, so wenig Gebrauoh macht, wird dureh folgende Beobaehtung wMlrseheinlieh, mn deren Bestiitigung oder Widerlegnng ieh die bernfenen Fachgenossen bitte: Hier bei uns, im leieht bergigen, jedenfalls an wirbelbildenden Hindernissen der Luft- str6ranng reiehen L~nde, ziehen Laehm6wen, Saatkrtihen, Graug~tnse nnd andere VSgel naeh meinen nieht sehr nmfangreiehen and daher vielleieht ganz falsehen Beobaehtnngen m i t d em W in de i m m e r s e h r h oeh. Wenn sieh diese Beobachtung bestiitigen sollte, so wiirde das sehr dafiir spreehen, dab der Vogel beim Windabw~rtsfliegen in wirklieher Gefahr ist, in Abwinde nnd Wirbel zu geraten, die er wind- aufw~rts fliegend leicht vermeiden kann, und dab er deshalb die h6heren and wirbelgrmeren Luftsehiehten anfsueht. Ieh toni3 hier wohl betonen, dal] ieh 5rtliehe, dureh den Bau der Erdoberflgehe bedingte Wirbel meine, die ebenso am gleiehen Pankte stehen bleiben, wie die dureh die Verhgltnisse der Flugbettes bedingten Wirbel des Flusses. Am Steuer eines in raschem Strome abwgrtsf~hrenden Motorbootes kann man sich die Lage des Vogels sehr wohl und sehr eindringlich vorstellen~ vor Allem deshalb, weft die zum Steuern n6tige F~hrt der C~eschwindig-

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keit des Schiffes ebenso eine untere Grenze setzt, wie die kteinste Gleitgeschwindigkeit der des Vogels. Man f~hrt also immer noch um diese Geschwindigkeitsgrgfte s c h n e 11 e r als der Strom des Mittels, und ehe man sich dessen versieht, ist man in den schreckliehsten Dingen mitten drin und urn ihnen zu entgehea und sich gegen den Strom zu wenden, muB man der Gefahr beim Wenden erst noch die Breitseite zuwenden, was auch wieder so seine Unannehmlichkeiten hat. Kurz, ffir die verhNtnismggig starke Abneigung des Vogels, rait dera Winde zu fliegen, lassen sich genug wahrscheinliche Griinde anfiihren.

Nochmals aber sei ausdriicklich der Anschauung C~m's entgegen- getreten, dal3 der Vogel wie das Flugzeng A r b e i t l e i s t e n m i i s s e n , um mi t d e m W i n d e m i t z u k o m m e n . DerVogel verhgltsichbeim Fliegen mit dem Winde zur Luftstr6mung. was seine Fortbewegung an- belangt, um kein t laar anders, als das stromab fahrende Motorboot zur Str6nmng des Flusses. Beide haben den Vorteil, dab sie weniger lange die Arbeit des Fliegens oder Fahrens zu leisten brauehen, weil sieh ihre Eigengeschwindigkeit nnd die Geschwindigkeit des Mittels summieren. Beide haben den Nachteil, dag sie nicht nur nieht anhalten kSnnen, sondern immer mit Stromgeschwindigkeit plus kleinster G]eitgeschwindig- keit, bezw. der kleinsten zum Steuern notwendigen @esehwindigkeit vor- w~irts mi i ssen .

Wie verh~tlt sieh ein mit dem Winde fliegender Vogel, der eine B5 yon hinten bekommt? Wie empfindet der Vogel eine so]che B5 und wie reagiert er auf sie? Haargenau wie der menschliehe Flugzeug- fiihrer. Die B5 yon hinten bedeutet ftir Vogel wie fiir Fiugzeug natiir]ich einen G e s c h w i n d i g k e i t s v e r l u s t in Relation zur umgebenden Luft. Wenn dieser C~eschwindigkeitsverlust so grog ist, dal~ die ,,ldeinste G]eit- geschwindigkeit" des Drachenfliegers unterschritten wird, so ,,f~llt er dm'ch" wie der Fliegerausdruck lautet. " Dabei strgubt sich allerdings vielleicht dem menschlichen Piloten das Kleingefieder. Das Bestreben des Vogels wie des Menschen geht dann natiirlich vor attem dahin, wieder zur umgebenden Luft in die nStige ~Fahrt zu kommen. Mensch wie Vogel erreichen dies dureh Geben yon Tiefensteuer, was die Flieger als ,,dr[icken" bezeichnen. Das hell't, sie geben Tiefensteuer vorbeugender- mat~en sehon Iange, ehe die Geschwindigkeitsverminderung zur umgebenden Luft sieh der gefiihrtiehen (3-renze der kleinsten Gleitgeschwindigkeit und damit dem ,,Durchfallen" n~hert. Es kommt also praktiseh so gut wie niemals dazu, dag der Vogel nieht die Windgesehwindigkeit um seine kleinste Gleitgeschwindigkeit iibertr~fe. Theoretiseh besteht natiirlieh die M6gliehkeit, dal~ ein Vogel im Wind mit dem Ilticken gegen den

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Wind am Platze r i i t t e l t . Das mag zum Beispiel einmal vorkommen, wenn ein Kolibri sieh einen ausgekornmenen Kinderluftballon yon allen Seiten besehen will, oder wenn ein Vogel ein ira Winde zur umgebenden Luft ann~hernd am Platze schwebendes Insekt ergreifen will. Manche Insekten tun das n~mlich, z. B. die Geschlechtstiere yon Ameisen und die gefliigelten Generationen der Blat~lguse. Ihr biologischer Wert ist derselbe wie der yon ttiegenden Pflanzensamen und ebenso wie bei diesen sorgt der Wind fiir ihre Verbreitung. Auger in so ausgefallenen Sonderfallen fliegt der Vogel auch mit dem Winde selbstverst~indlich aueh zur umgebenden Luft i m m e r v o r w g r t s . Dies rut auch der Kleinvogel, bei dem das Prinzip des Drachenfluges keine so wesentliche RolIe spielt, wie bei grS~eren VSgeln!

Wie verh~lt sich nun flugtechniseh ein Vogel, tier g egen einen st~rkeren Wind fliegt? Sehen wir an diesem Vogel irgend we]che Flfigelstellungen, irgend welehe Man6ver~ die darauf sehlielten lassen, dal3 er den Gegenwind als solchen auszuniitzen vermag? Entsprechen die l~liigelstellung und die Fliigelbewegungen dieses Vogels denjenigen, die wir an dem in stiller Luft fliegenden Vogel bei einer Geschwindigkeit sehen, die derjenigen Gesehwindigkeit zur umgebenden Luft entsprieht, die wit an dem gegen den Wind fliegendenVogel aus Windgeschwindigkeit und Geschwindigkeit des Vogels zum Erdboden annghernd errechnen kSnnen?

Der gegen einen starken Wind ank~mpfende Vogel zeigt vor A]lem s t e t s d i e t P l t i g e l h a l t n n g u n d d i e S e h l a g w e i s e des in s t i l l e r L u f t ~u l3ers t s c h n e l l f l i e g e n d e n V o g e l s . Dashei~t, mansieht es dem Vogel, dermi t , sagen wit 5 m Geschwindigkeit zur Erdober- fl~che gegen einen ~¥ind yon 5 m Geschwindigkeit anfliegt, sehr wohl an, dab er eigentlich mit 10 m dahineilt, man sieht es sehr wohl, woferne man fiberhaupt weiB, worin sich die Fliigelhaltung und tier Fliigelschiag d e s s e 1 b e n Vogels beim Sehnell- und beim Langsamfliegen unterseheiden.

Zweifellos zwingt nun h~iufig ein starker Gegenwind den Vogel dazu, Geschwindigkeiten zu entfalten, die in stiller Luft bei ihm so gut wie nie vorkommen, weft sie dort keinen biologisehen Wert besitzen. Man sieht so gut wie hie eine Saatkrghe in stiller Luft mit eingewinkelten Fliigeln und schnellendem Fltigelschlag die Sehnetligkeit entfalten, die sie gegen einen starken Wind aufbringt. Bei einem Kolkraben sieht man alas sehr wohl und sieht dann auch, dal~ e r d a in stiller Luft die gleichen Mittel zur Verschnellerung seines Fluges anwendet, wie die KrShe beim Pliegen gegen den Wind.

In meinem fl'iiher erw~hnten Aufsatz habe ich in dem Kapitel tiber Schne]l- und Langsamfliegen auseinandergesetzt, da~ ein Vogel sine auf-

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wgrts geriehtete Luftstrgmung dazu benutzen kann, seine Fluggesehwindig- keit zu erhShen, da ihm die Aufstr/3mung eine MSgliehkeit gibt, ohne tt5henverlust seine L~ngsact~se steiler abw~irts zu richten and aueh seine Fliiehenbelastung zu vermehren, also die beiden Hauptfaktoren der Flug- gesehwindigkeit zu v ergr~il]ern.

Daher ist es weiter kein Wander, dal] ein Vogel, der durch starken Gegenwind gezwungen wird, die grSgtmSgliche Gesehwindigkeit zu entfalten, A u f w i n d e such t . Ieh glanbe ngmlich, dag z.B. Kriihen, die gegen starken Wind so fiberaus nahe am Boden fliegen~ dies nicht n u r deshalb tun, weft der Gegenwind dort am sehwgehsten ist. Ieh glaube vielmehr, dab sie die Turbulenz der Luft ausniitzen, die in der N~he des Bodens am grSl~ten ist. GExa v. SCgWEPPJSNBURC-beschreibt das Verhalten der Krghen bei diesem niedrigen Gegenwindflug sehr riehtig: ,,Bei allerstgrksten B8en miissen die Krghen gelegentlich nachgeben and werden zuriiekgetrieben, wobei sie ganz schnelle Fliigelschliige aus- fiihren. Sie arbeiten sich dann wieder vorwgrts und steigen aus ihrem Fluge dieht fiber dem Boden wieder hSher an. Dann lassen sie sich ohne eigene Arbeit im Gleitflug wieder ab- and vorw~rts gleiten, mn sich spgter yon dem andrhngenden Winde wieder fast ohne tPliigel- schlag aufwgrts tragen zu lassen." Die Beschreibung ist genau richtig, der andr~tngende Wind aber mul~ eine Aufw~rtskomponente haben, wenn er den Voget ohne Geschwindigkeitsverlust heben soll. Diese Aufwgrtskomponente h a t der Wind so nahe tiber dem Erdboden aber eben sehr oft. Diese AnfstrSmungen sind es, die meiner }Ieinung nach yon den Krghen in dieser grogen Bodenn~he gesucht werden. Die den Aufwinden entsprechenden, durch die Beschaffenheit der Erdoberfl~che bedingten 8rtliehen A b w i n d e kann der Vogel bei seinem in Relation zur Erde langsamen Vorrticken leicht vermeiden. In dieseln Fall haben wir w i r k l i c h eine far den Vogel ausniitzbare Beziehnng des Luftstromes zur Erdoberfl~che vor uns, wenn man so will, eine D r a c h e n s c h n u r ! Dal3 nun der Vogel wirklich solehe lokale, durch die Beschaffenheit der Erdoberfl~che bedingte Aufwinde aufsucht, unl sich yon ihnen ohne Geben yon HSbensteuer und ohne VergrSSerung seiner tragenden F1gchen, das heil3t soviel wie otme Gesehwindigkeits- verlust, hochblasen zu lassen, und dal] er diesen H~ihengewinn dann wiederum dazu beniitzt, um dutch besonders starkes Einziehen der Fliigel und durch Geben yon Tiefenstener seine Geschwindigkeit zu erhShen und sich wiederum einige Meter windwKrts zu ,,scl:~dndetn", das g I a n b e ich t a t s ~ c h l i c h zn sehen.

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Sowohl das Eine, dab der Vogel aus Angst, in Abwinde oder sonstige Un~nnehmliehkeiten unbremsbar hineingewebt zu werden, un- gerne mit dem Wind fliegt, Ms aueh das Andere, dal3 der Vogel zweeks Ausnutzung der kleinsten 6rtliehen Aufwinde gegen den Wind mSgliehst nahe fiber dem Boden fliegt, g l a n b e ieh. Es ist dies nut mMne persgnliehe und bestreitbare Meinung, die zu diskutieren und gegebenen Falles zu ~ndern ieh jederzeit bereit bin.

DaB aber der Vogel eine gleichf6rmige, wagereehte und wirbelfreie Luffbewegnng nieht dazu ausniitzen kann, um aus ihr die zum Oben- bleiben n6tige Energie zu gewinnen, dafl also eine ,,hebende Wirkung des Gegenwindes" nieht existieren kann, das ist nicht meine oder irgend eines anderen Einzelmensehen pers6nliehe 2vleinung. Wenn wit aus geNllefreier Bawegang eines 2X~[ediums Energie gewinnen k6nnten, hiege das soviel wie Energie ersehaffen. Energie kann abet weder ersehaff'en noeh verniehtet werden. Dieser Satz ist kein geringerer, als der erste Hauptsatz der Physik, aufgestellt yon Jr:Lr~Js ROBm~T 3IA~EI~ im Jahre 1842.

Die Riehtigkeit obiger Behsuptungen zu diskutieren, bin ieh nieht bereit. Wenn sie falseh sind, dann ist die gesamte Physik der Gegen- wart auf dem Holzwege und mit ihr alle anderen Natur~dssensehaften. Wenn das der Fall sein sollte, ki~nnten die yon CI-IlalSTOLm~ vertretenen Ansehauungen aueh ganz gut zu Reeht bestehen. Dann abet kann ieh nut sagen: ,,Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, es sei die Zeit flit reich vorbei".