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IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – KUNSTWISSENSCHAFTLICHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected] 1 Form- und Strukturanalyse (Informationen für Lehrende) Joachim Penzel Form und Struktur als Inhalt des Kunstwerkes Im sogenannten Formalismus, der sich in den Literatur-, Kunst- und Geisteswissenschaften zwischen 1900 und 1950 ausbildete, wurde die Bedeutung eines Werkes hauptsächlich in den Beziehungen zwischen seinen Formelementen vermutet und nicht im Einfluss von ex- ternen Sinnkontexten. Damit konnte die traditionelle Trennung zwischen Form und Inhalt teilweise überwunden werden, indem auf die bedeutungsstiftenden Funktionen der Form- elemente und ihrer Beziehungen, gemeint ist die Kompositionsstruktur, hingewiesen wurde. Der kunstgeschichtliche Formalismus und der Strukturalismus haben ihre Vorläufer in der Stilgeschichte und ihren Nachklang in strukturalistischen und poststrukturalistischen Theo- rien in den 1950er- bis in die 1970er Jahre. Heute besitzen Form- und Strukturanalysen als Ausgangspunkt jeder Werkanalyse einen unverzichtbaren Wert für die Interpretation von Kunstwerken, egal mit welcher Deutungsmethode gearbeitet wird. Funktionen der Form- und Strukturuntersuchung in der Kunstgeschichte Der Begriff Form bezeichnet einzelne Bestandteile von Kunstwerken (Malerei, Grafik, Archi- tektur, Design etc.). Der Begriff Struktur erfasst die Beziehungen der einzelnen Formen in ei- nem Werk – gemeint ist die Anordnung oder Zusammenstellung (lat. compositio) der Formen zu einem geordneten Ganzen. Man kann allerdings mit einer Form- und einer Strukturanaly- se sehr verschieden Ziele verfolgen, deshalb soll ein stichwortartiger Überblick hier Orientie- rung verschaffen. Stilgeschichte: Hier sind nicht die Formen und Strukturen eines konkreten Werkes interessant, sondern das Zusammenfassen von Formen in gemeinsamen Merkmalsgruppen einer bestimmten Zeit, den sogenannten Stilepochen. Die Formbeziehungen eines Werkes verweisen also auf einen übergeordneten Zusammenhang, den Stil, der allen Werken einer Zeit und einer Region gemeinsam ist. Die Stilgeschichte hatte ihren Höhepunkt am Ende des 19. Jahrhunderts und ist verbunden mit den Forschungen von Alois Riegl und Heinrich Wölfflin (dazu ein gesonderter Einführungstext). Individualstil: Bereits um 1500 stellte Giorgio Vasari, der erste Künstlerbiograf, fest, dass jeder Künstler über eine bestimmte „maniera“ verfüge, um ein Bild- und Formproblem zu lösen. Man kann maniera mit Art und Weise der Gestaltung, aber auch kurz mit Stil oder persönlichen Handschrift (in der Malerei ist das die Pinselgeste) übersetzen. Die Analyse des individuellen Künstlerstils dient bis heute vor allem der Zuschreibung von Kunst- werken an bestimmte Künstler. Dieses Identifikationsverfahren wurde im späten 19.

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Form- und Strukturanalyse

(Informationen für Lehrende)

Joachim Penzel

Form und Struktur als Inhalt des Kunstwerkes

Im sogenannten Formalismus, der sich in den Literatur-, Kunst- und Geisteswissenschaften zwischen 1900 und 1950 ausbildete, wurde die Bedeutung eines Werkes hauptsächlich in den Beziehungen zwischen seinen Formelementen vermutet und nicht im Einfluss von ex-ternen Sinnkontexten. Damit konnte die traditionelle Trennung zwischen Form und Inhalt teilweise überwunden werden, indem auf die bedeutungsstiftenden Funktionen der Form-elemente und ihrer Beziehungen, gemeint ist die Kompositionsstruktur, hingewiesen wurde. Der kunstgeschichtliche Formalismus und der Strukturalismus haben ihre Vorläufer in der Stilgeschichte und ihren Nachklang in strukturalistischen und poststrukturalistischen Theo-rien in den 1950er- bis in die 1970er Jahre. Heute besitzen Form- und Strukturanalysen als Ausgangspunkt jeder Werkanalyse einen unverzichtbaren Wert für die Interpretation von Kunstwerken, egal mit welcher Deutungsmethode gearbeitet wird.

Funktionen der Form- und Strukturuntersuchung in der Kunstgeschichte

Der Begriff Form bezeichnet einzelne Bestandteile von Kunstwerken (Malerei, Grafik, Archi-tektur, Design etc.). Der Begriff Struktur erfasst die Beziehungen der einzelnen Formen in ei-nem Werk – gemeint ist die Anordnung oder Zusammenstellung (lat. compositio) der Formen zu einem geordneten Ganzen. Man kann allerdings mit einer Form- und einer Strukturanaly-se sehr verschieden Ziele verfolgen, deshalb soll ein stichwortartiger Überblick hier Orientie-rung verschaffen.

Stilgeschichte: Hier sind nicht die Formen und Strukturen eines konkreten Werkes interessant, sondern das Zusammenfassen von Formen in gemeinsamen Merkmalsgruppen einer bestimmten Zeit, den sogenannten Stilepochen. Die Formbeziehungen eines Werkes verweisen also auf einen übergeordneten Zusammenhang, den Stil, der allen Werken einer Zeit und einer Region gemeinsam ist. Die Stilgeschichte hatte ihren Höhepunkt am Ende des 19. Jahrhunderts und ist verbunden mit den Forschungen von Alois Riegl und Heinrich Wölfflin (dazu ein gesonderter Einführungstext).

Individualstil: Bereits um 1500 stellte Giorgio Vasari, der erste Künstlerbiograf, fest, dass jeder Künstler über eine bestimmte „maniera“ verfüge, um ein Bild- und Formproblem zu lösen. Man kann maniera mit Art und Weise der Gestaltung, aber auch kurz mit Stil oder persönlichen Handschrift (in der Malerei ist das die Pinselgeste) übersetzen. Die Analyse des individuellen Künstlerstils dient bis heute vor allem der Zuschreibung von Kunst-werken an bestimmte Künstler. Dieses Identifikationsverfahren wurde im späten 19.

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Jahrhundert von Giovanni Morelli verfeinert. Dieser hatte darauf hingewiesen, dass Künstler über typische, ja geradezu standardisierte Lösungen von Formproblemen verfügen (bspw.: Wie malt Rubens ein Ohr, eine Nase, eine Hand etc.) (dazu ein gesonderter Einführungstext).

Strukturanalyse: Diese untersucht die Formen und ihre Beziehungen innerhalb eines konkreten Werkes. Dem Zusammenwirken der Formen wird hierbei eine spezifische Ausdrucksqualität zugeschrieben. Die Formfrage wurde, insbesondere von Hans Sedlmayr und Roger Fry, als die eigentliche Frage nach dem künstlerischen Wert eines Werkes betrachtet.

Abstraktion: Die abstrakte Kunst verzichtete auf realistische Formen und traditionelle Symbole. Damit erhielten Form und Farbe eines Kunstwerkes einen selbständigen ästhetischen Stellenwert. Die kompositorischen Beziehungen, die durch Kontraste der Formen, Farben und Materialien entstehen, verleihen einem abstrakten Kunstwerk einen Ausdruckswert, der sich sowohl emotional als auch geistig erschließen lässt. Innerhalb der theoretischen Schriften und der Lehre der verschiedenen Bauhauslehrer wurde die Ausdrucksqualität der Formen systematisch untersucht.

Strukturalismus: Mit dem Begriff Struktur werden hierbei verschiedene inhaltliche Muster des Kommunizierens bezeichnet, bspw. bestimmte Vorstellungswelten, die in einer Kultur verbreitet sind (Mythologien, historische Ereignisse, wissenschaftliche Gesetze etc.). Diese finden ihren Ausdruck in spezifischen Symboltechniken, die von allen Mitgliedern einer Kultur benutzt werden (bspw. die Nutzung der Zentralperspektive für die Darstellungen von Räumen in der europäischen Kunst oder der Gebrauch roter Farbe, um auf Gefahr hinzuweisen oder Liebe auszudrücken). Solche symbolischen Strukturen sind unabhängig von einem Künstler und einem konkreten Werk (dazu ein gesonderter Einführungstext).

Formanalyse: Die verschiedenen Verfahren der Werkinterpretation (Hermeneutik, Ikonologie, Rezeptionsästhetik, Kontexttheorie, feministische Kunstwissenschaft etc.) nutzen eine gewissenhafte Formbeschreibung und deren Analyse als Ausgangspunkt für jede Art von Deutung. Die Bild- bzw. Werkbeschreibung geht daher heute meist in eine Form- und Strukturanalyse über.

Praktische Aspekte der Form- und Strukturanalyse

In der aktuellen Kunstwissenschaft, aber ebenso im pädagogischen Kontext können Form- und Strukturanalysen mit sehr unterschiedlichen Zielen eingesetzt werden. Trotz der diver-gierenden Funktionen gibt es jedoch ein übergreifendes Motiv. Im Sinne der Strukturanalyse von Hans Sedlmayr und der Theorie des abstrakten Bildes von Wassily Kandinsky hat jede Formbeziehung eine spezifische Ausdrucksqualität. Dabei handelt es sich um Bedeutungen, die nicht in kulturell verabredeten Symbolen verankert sind oder eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben (wie bspw. das Bild eines Baumes), sondern die direkt aus der bildneri-schen Qualität einer Form bzw. von Formbeziehungen hervorgehen. Die Trennung von Inhalt und Form, von Zeichenträger und bezeichnetem Gegenstand (Signifikat und Signifikant) wird hier teilweise überwunden und zwar in dem Sinn, dass Formenbeziehungen ausdruckstra-gend sind (bspw. ein aufsteigender Pfeil ist eine Form, die eine Aufwärtsbewegung direkt

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zeigt im Gegensatz zum Bild einer Rose, das entweder für eine reale Rose steht oder für das Symbol der christlichen oder der profanen Liebe).

a) Kompositionsanalyse (Arbeitsblatt 1)

Bis ins frühe 20. Jahrhundert finden sich in den meisten europäischen Bildern realistische Darstellungen von Menschen und Naturobjekten. Man kann die jeweiligen Darstellungsmoti-ve als Thema betrachten (Porträt, Landschaft, Stillleben, Genre etc.), aber ebenso als Form-problem. Menschen entsprechen für einen Maler zunächst einmal einer darzustellenden Form und einer Zusammenstellung einzelner Formen zu einer Komposition. Auch wenn Kör-per im Raum abgebildet werden, so ist dies innerhalb eines Gemäldes oder einer Zeichnung stets ein Nebeneinander von Formen. Formen werden durch ihre Beziehungen zueinander zusammengehalten. Dabei kann der Künstler eine geometrische Figur nutzen, um die herum alle Bildformen gebaut werden. Diese geometrische Figur ist selbst nicht direkt sichtbar, sondern zeigt sich nur in den Beziehungen der Bildfiguren. So liegt Raffaels „Madonna im Grünen“ eine deutliche Dreiecks- bzw. Pyramidalkomposition zugrunde; im „Kleinen Jüngs-ten Gericht“ von Rubens sind sämtliche Figuren dagegen in einer aufsteigenden Spiralbewe-gung angeordnet. Dreieck und Spirale entsprechen nach Heinrich Wölfflins Stilgeschichte ty-pischen Formprinzipien der Renaissance und der Barockzeit; sie sind also zeit- nicht künst-lerabhängige Gestaltungsfaktoren. Außerdem verleihen sie diesen Gemälden sowohl Ord-nung als auch einen spezifischen Ausdruck – einerseits Ruhe und Festigkeit sowie Würde und Feierlichkeit durch das Dreieck, andererseits Dynamik und Dramatik durch die Spirale. In dieser Weise unterstützen beide abstrakte Kompositionsmuster die jeweiligen Themen ih-rer Bilder – die Heiligenikone der Mutter mit Kind bei Raffael, den Sturz der Sünder in die Hölle und den Aufstieg der Gerechten in den Himmel bei Rubens. Derartige ausdruckstra-gende und sinngebende Kompositionsmuster liegen fast allen Bildern bis ins frühe 20. Jahr-hundert zugrunde; ihre Analyse mittels einer linear-geometrischen Kompositionsskizze ist seit den 1880er Jahren in der Kunstwissenschaft und der Kunstpädagogik üblich.

Abb. 1) Kompositionsanalyse mittels abstrahierter Zeichnung auf Transparentpapier in einem Berliner Museumsführer von 18xxx; links erkennbar ein dreieckiges Kompositionsmotiv; rechts eine flammen- bzw. blattartig bewegte Struktur (Berlin 1907)

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b) Raumanalyse (Arbeitsblatt 2)

Wie die Kunstgeschichte verdeutlicht hat, ist jeder Bildraum ein spezielles Darstellungsprob-lem. Künstler nutzen für die Herstellung von Raumillusionen auf der Bildfläche verschiedene Techniken, bspw. die Erfahrungsperspektive in der Frührenaissance oder die Konstruktion mittels Linearperspektive in der Hochrenaissance, die Arbeit mit optischen Verzerrungen im Manierismus und im Barock oder die Nutzung der Camera obscura zur selben Zeit (dazu ein gesonderter Artikel zur „Mediengeschichte“). Spezifische Formen der Raumdarstellung ver-weisen also, ähnlich wie die geometrischen Kompositionsprinzipien, auf eine bestimmte Stil-epoche. Raumanalysen, die auch zeichnerisch als Skizze oder als lineare Rekonstruktion auf dem Schwarzweiß-Ausdruck eines Gemäldes vorgenommen werden können, helfen, solche Raumkonzepte genauer zu erkennen. Sie tragen aber ebenso dazu bei, im Sinne von Hans Sedlmayrs Strukturanalyse oder Erwin Panofskys Ikonologie das jeweilige Raumkonzept als bedeutungstragendes Element des Bildes zu erkennen. So ist es kein Zufall, dass der Fluchtpunkt des zentralperspektivisch konstruierten Bildraumes auf Pietro Peruginos Wand-gemälde „Christus übergibt Petrus die Schlüssel“ in der Kirchenmitte im Hintergrund des Bil-des liegt. Um es überdeutlich zu formulieren – im Zentrum des Bildes und im Zentrum des religiösen Zentralbaus liegt der Ursprungspunkt der Zentralperspektive. Dieses überbetonte Zentrum entspricht symbolisch dem Sitz Gottes auf Erden; so fällt hier der irdische Raum mit dem unendlichen Raum der göttlichen Dimension zusammen. In ähnlicher Weise ausdrucks-tragend wird auch der Raum in Jan Vermeer van Delfts Gemälde „Frau in Blau einen Brief lesend“ genutzt. Die wenigen Gegenstände schließen sich wie eine schützende Mauer um die Frau und behüten sie in ihrer intimen Tätigkeit (vielleicht ist es ein Liebesbrief) vor dem unmittelbaren Zugriff der Betrachter. Der Raum der Dinge erzeugt hier keine Weite, sondern eine Hülle. Auch solche Raumbeziehungen lassen sich in einer Kompositionsskizze verdeut-lichen (siehe Abb. 2, links).

Abb. 2) Kompositionsanalyse in Porträtdarstellungen mit der Verdeutlichung von Achsenbeziehungen (grün) und Raumbeziehungen (blau) (Arbeitsergebnis einer Lehrerfortbildung am Lisa Halle)

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c) Figur im Raum (Arbeitsblatt 3)

Das letzte Beispiel entspricht bereits einer Figur-Raum-Analyse. Diese hat vor allem für die Interpretation von Porträts eine wichtige Funktion. Der Ort der dargestellten Personen im Bild entscheidet über ihr Verhältnis gegenüber dem Betrachter – stehen sie mit Abstand oder ganz in der Nähe? Das heißt formal – sind sie ganzfigurig dargestellt oder wurde der Körper herangezoomt und ein enger Bildausschnitt gewählt? Das kann bspw. bedeuten, dass wir als Betrachter den Personen in einer öffentlichen oder einer privaten Situation gegenüberstehen. Manchmal verstoßen Künstler im Sinne der Ausdrucksqualität der Bilder aber bewusst gegen die üblichen Konventionen. So hat Lucas Cranach d.Ä. den damals berühmtesten Bürger des deutschen Reichs, nämlich den Reformator Martin Luther, in eine fast intime Nähe ge-holt und damit jeder Scheu der Betrachter vor dem Prominenten entgegengearbeitet. Luther wird hier trotz des Doktorhutes geradezu als Privatperson gezeigt. Anders dagegen positio-niert Francisco de Goya seine „Wasserträgerin“ monumental in der Bildmitte und zeigt sie außerdem in Untersicht. Derartige herausgehobene Positionen waren bis dahin ausschließ-lich den Herrschenden, insbesondere dem König oder dem Kaiser auf ihren Repräsentati-ons- und Herrschaftsbildern vorbehalten. Im Zeitalter der Revolution wird hier eine Frau des Volkes mit dem Adel auf eine Stufe gestellt. Man kann darin eine Demokratisierung der Gat-tung Porträt ablesen. Für eine Analyse der ausdruckstragenden Form- und Strukturelemente sind also die Feststellung der Figurenposition im Raum sowie des gewählten Bildausschnit-tes methodisch wichtig. Der Charakter einer Figur lässt sich gestalterisch außerdem beein-flussen, indem man sie zentral positioniert oder an den Rand oder gar aus dem Bild rückt (vgl. Schemata Abb. 3 und 2).

Abb.3) Aspekte einer Porträtanalyse – oben Achsenbeziehungen (zentral, peripher) und unten Bildausschnitte (nah, fern)

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d) Figurenbeziehungen (Arbeitsblatt 4)

Derartige Strukturanalysen können aber auch bei Gruppenbildern angewendet werden. Hier sind es Fragen wie die nach Nähe und Distanz der Figuren untereinander, nach Größenver-hältnissen, nach Zentral- und Randposition und nach Achsenbeziehungen (aufrecht, waage-recht, fallend, verschlungen). Mit solchen formalen Mitteln treffen Künstler Aussagen über zwischenmenschliche Beziehungen. So stellt Francisco de Goya die Königsfamilie Karls IV. als eine Anhäufung steifer, jeweils isoliert wirkender Gestalten dar, als eine Art Marionetten-kabinett, das von der Herrscherin dominiert wird. In dem Gemälde „Der Sturz der Blinden“ lässt der Maler Pieter Bruegel d.Ä. die ganze Reihe der hilflosen Bildfiguren von der vertika-len in die Horizontale fallen. Diese Bewegung des Sturzes erinnert an kippende Dominostei-ne. Sie bildet das bestimmende Prinzip der Struktur, also der Formbeziehungen einer Bild-komposition. Am Beispiel von Bruegels Gemälde hatte Hans Sedlmayr erstmals auf die Aus-drucksfunktion von Formen in der bildenden Kunst hingewiesen. Das heißt, der Bildsinn muss nicht extern verabredet werden, wie in der Sprache oder Symbolen, vielmehr erschaf-fen die Formen eine bestimmte Bedeutung unmittelbar. In den genannten Beispielen sind das statische, distanzierte Formen bei Goya als Äquivalent einer steifen Hofgesellschaft und stürzende Formen bei Bruegel für die fehlgeleiten Blinden.

e) Form-, Farbe- und Kompositionsanalyse (Arbeitsblatt 5)

Beginnend mit der Kunst des Postimpressionismus fand ein zunehmender Verzicht auf rea-listische und symbolische Motive in der europäischen Malerei statt. Mit der Beschränkung auf ungegenständliche Formen und die Intensität der Farbe wurde zunächst im Fauvismus in Frankreich und später in der abstrakten Malerei des „Blauen Reiters“ in Deutschland den ge-staltenden Mittel eine ästhetische Autonomie zuerkannt. Mit dem ersten abstrakten Bild von Wassily Kandinsky von 1913 schien es möglich, Bilder zunächst aus farbigen Flecken und Linien, später aus geometrischen Formen aufzubauen. Durch den damit einhergehenden Verzicht auf realitätsähnliche Motive und Symbole wurde die Ausdrucksqualität der Malerei unmittelbar an die Bildformen und deren Beziehungen (Struktur) gekoppelt. Eine Sinnerzeu-gung außerhalb der Form- und Farbkomposition war nun nicht mehr möglich. In ihren theore-tischen Schriften stellten Wassily Kandinsky und Piet Mondrian in Aussicht, dass die abstrak-te Formwelt Sinnzusammenhänge deutlich machen könne, die hinter den sichtbaren Er-scheinungen der realen Welt zu finden wären. Im Gegensatz zum Realismus, der den Sinn der materiellen Wirklichkeit zeige, solle die abstrakte Malerei den Sinn der immateriellen Wirklichkeit, kurz die immanenten kosmischen Gesetze zur Anschauung bringen. Form und Farbe beanspruchten damit in der Malerei eine absolute Stellung – sie waren visuelle Gestal-tungselemente, besaßen eine emotionale ästhetische Wirkung und außerdem eine aus sich selbst hervortretende Ausdruckskraft. Vor diesem Hintergrund erscheint es folgerichtig, dass jede ernsthafte Auseinandersetzung mit abstrakter Kunst auf eine eingehende Form-, Farb- und Kompositionsanalyse nicht verzichten kann.

Wie die systematischen Untersuchungen der Bauhauslehrer Johannes Itten, Wassily Kan-dinsky, Paul Klee und Josef Albers verdeutlichten, sind es vor allem Kontraste, mit denen Formen und Farbe eine bildnerische Ausdrucksqualität herstellen (bspw. groß-klein, nah-fern, vorn-hinten, offen-geschlossen, begrenzt-unbegrenzt bei den Formen und hell-dunkel, warm-kalt, simultan und komplementär bei den Farben). Die Rekonstruktion dieser vielfälti-

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gen Kontrastbeziehungen kann sowohl zum Verständnis des Bildaufbaus als auch des da-raus resultierenden Bildausdrucks beitragen. In einer quantitativen Farbanalyse sollte es im Lernprozess zunächst einmal darum gehen, dass sich die Schüler im gestaltungspraktischen Nachvollzug möglichst viele der in einem Gemälde verwendeten Farben vergewissern (vgl. Abb. 4 und Arbeitsblatt 5). Das Nachmischen von Farben schult dabei die genaue Wahr-nehmung und fördert die Mischkompetenz. Erst die unmittelbare Arbeit mit Farbe macht bspw. den Nuancenreichtum im Bereich der Blautöne in Franz Marcs Gemälde „Kämpfende Formen“ deutlich. Ebenso kann eine lineare Struktur- und Kompositionsanalyse die Bezie-hungen der beiden großen und der vielen kleinen Formen zueinander und damit die breite Variation des Bildthemas vergegenwärtigen. Auf der Grundlage beider Analysen sollen ab-schließend mit den Lernenden allgemeingültige Aspekte des Themas „Kampf“ herausgear-beitet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass das allgemeingültige Thema „Kampf“ nicht auf das Problem „Krieg“ reduziert wird, sondern viel stärker Kampfaspekte im Psychischen, im Lebensalltag und in der Natur diskutiert werden.

Abb.4) Analyse der Farbzusammensetzung eines Stilllebens von Paul Cezanne (Arbeitsergebnis einer Lehrerfortbildung am Lisa Halle)

f) Basis der Interpretation

Es ist das besondere Verdienst der strukturanalytischen Methode, die Unterbewertung der Form gegenüber dem Inhalt bzw. der Bedeutung der Kunstwerke in der älteren Kunstge-schichte überwunden zu haben. Der Fokus auf die Probleme Form und Struktur lenkte die Aufmerksamkeit der Betrachter einerseits auf das spezifisch Künstlerische eines Werkes, andererseits auf die spezifische Ausdrucksqualität der Form. Die besondere Herausforde-rung des Formalen für den Rezeptionsprozess unterstreichen auch neuere Untersuchungen zur ästhetischen Entwicklung. Diese kommen zu dem Schluss, dass Kinder und ungeübte Betrachter zunächst ausschließlich die Inhaltsebene (Motive, Themen) erschließen, während Formprobleme oder Ausdrucksaspekte der Form bereits ein reflexives Bewusstsein voraus-

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setzen und dieses kann nur durch Bildungsprozesse geschult werden (Housen, Parsons; siehe dazu die Einführungstexte unter: Integrale Kunstpädagogik vertikal). Diese Sensibilisie-rung für Aspekte von Form, Farbe und Komposition sollte jedoch nicht zu deren Verabsolu-tierung führen. Vielmehr gilt es festzuhalten, dass eine systematische Analyse des Bildauf-baus nur Bestandteil einer umfangreicheren methodisch geleiteten Interpretation sein kann. Je nach Kunstwerk schließen sich an die Form- und Strukturanalyse weitere Schritte an:

die Motivkunde (Ikonografie)

die symbolische Deutung im historischen Kontext (Ikonologie)

die Rekonstruktion des ursprünglichen Bildgebrauchs (Kontexttheorie)

die Analyse von Interaktionsmöglichkeiten der Betrachter (Rezeptionsästhetik)

Das heißt, die Form- und Strukturanalyse liefert erste Informationen für eine Bilddeutung, die durch die weiteren Verfahren ergänzt werden muss.

Literatur

– BAUER, HERRMANN (2003): Form, Struktur, Stil. Die formanalytischen und formgeschichtlichen Methoden, in: BELTING, HANS u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin, 6.überarb. und erw. Aufl., S. 157-173

– DITTMANN, LORENZ (1967): Stil, Symbol, Struktur, München

– FRY, ROGER (1920): Visions and Design, London

– SEDLMAYR, HANS (1925): Gestaltetes Sehen, in: Belverdere 8, Wien, S. 65 ff

– DERS. (1958): Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte, Reinbek bei Hamburg

– NICK ZANGWILL (2001): The Metaphysics of Beauty, New York

– WILBER, KEN (1999): Das Wahre, Schöne, Gute. Geist und Kultur im dritten Jahrtausend, Frankfurt am Main (besonders Kap. Integrale Kunsttheorie)

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Form- und Strukturanalyse – Informationstext für Schüler

Diese Methode geht davon aus, das zentrale Aspekte der Werkbedeutung durch die Formen und deren Beziehungen hervorgebracht werden. Diese Formbeziehungen nennt man Struk-tur (von lat. structura = Zusammenfügung, Ordnung) oder bei Bildern auch Komposition (von lat. compositio = Zusammenstellung, Anordnung). Daher ist es zum umfassenden Verständ-nis von Kunstwerken wichtig, die Formen- und Farbbeziehungen genau zu beschreiben und dabei für ein Werk charakteristische Zusammenhänge zu erkennen. Im Bereich der Formen können diese geometrische Figuren sein (Dreieck, Kreis, Spirale etc.), mit denen die Form-vielfalt eine Ordnung erhält und zugleich eine besondere Bedeutung aufbaut. Im Bereich der Farben sind das vor allem Kontraste und Harmonien, die dem Werk eine stimmungshafte Ausstrahlung und eine besondere emotionale Qualität verleihen.

Die Form- und Strukturanalyse stellt folgende Fragen an ein Werk: Liegt den sichtbaren Formen eine bestimmtes Muster zugrunde, das den Bildausdruck maßgeblich beeinflusst? Welche emotionale Wirkung geht von der Form- und von der Farbzusammenstellung aus? Wie beeinflussen die Form- und Farbbeziehungen die Bildbedeutung?

Bei der Struktur eines Werkes können Form- (links) und Farbbeziehungen (rechts) unterschieden werde. Die jeweiligen Ordnungsmuster der Form und der Farben beeinflussen direkt die Ausdrucksqualität eines Kunstwerkes. Für eine schlüssige Interpretation müssen beide Aspekte gesondert analysiert werden.

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Arbeitsbogen 1) Bildaufbau erkennen

Raffael: Madonna im Grünen, 1505/06, Öl auf Holz , 113 x 88,5 cm, Kunsthistorisches Museum Wien

Peter Paul Rubens: Kleines Jüngstes Gericht, Alte Pinakothek München

Arbeitsanregung

Auf historischen Gemälden erkennt man auf den ersten Blick sofort Figurendarstellungen. Diese sind jedoch nicht willkürlich in die Bildfläche gesetzt, sondern über ein unsichtbares geometrisches oder lineares Muster gelegt. So erhält der einfache Bildaufbau (links), aber ebenso der komplizierte (rechts) eine klare Ordnung.

Betrachten und Vergleichen Sie beide Bilder. Suchen Sie nach einfachen Begriffen, um die Grundstimmung jedes Bildes zu beschreiben.

Fertigen Sie eine schematische Skizze an, bei der Sie einzelne Figuren zu größeren Formgefügen zusammenfassen. Kennzeichnen Sie mit einem farbigen Stift die Mittelachsen des Bildes im Quer- und Hochformat. Zeichnen Sie mit einer weiteren Farbe diejenigen geometrischen oder linearen Formen ein, die alle einzelnen Figuren/Formen verbinden.

Erläutern Sie abschließend im Klassenplenum, wie die Grundstimmung jedes Gemäldes durch den Bildaufbau unterstützt wird.

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Arbeitsbogen 2) Raumstrukturen erkennen

Pietro Perugino: Die Schlüsselübergabe an Petrus, Freskomalerei, Sixtinische Kapelle, Vatikan Rom

Jan Vermeer van Delft: Frau in Blau Brief lesend, 1664

Arbeitsanregung

Nehmen Sie eine schwarzweiße Kopie der beiden Bilder. Zeichnen Sie mit einem roten Filzstift im oberen Gemälde die raumschaffenden Linien ein. Zeichnen Sie im unteren Bild ebenfalls rot die Umrisslinien (Konturen) der raumschaffenden Gegenstände nach.

Vergleichen Sie in einem Plenumsgespräch beide Raumkonzepte. Erläutern Sie, wie die jeweilige Raumdarstellung die Grundstimmung jedes Bildes unterstützt.

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Arbeitsbogen 3) Figurenanalyse im Porträt

Lucas Cranach d.Ä.: Martin Luther, 1528, Öl auf Holz, 34,3 x 24,4 cm, Lutherhaus Wittenberg

Francisco de Goya: Wasserträgerin, 1810, Öl auf Leinwand, 68 x 50 cm, Gemäldegalerie Budapest

Mit der Wahl des Bildausschnittes steuert ein Künstler das Verhältnis der Bildbetrachter zu der dargestellten Figur. Kommt man nahe an die betreffende Person heran oder wird man auf Abstand gehalten? Das entscheidet, ob man zu der abgebildeten Person in eine eher private oder eher öffentliche Beziehung tritt.

Arbeitsanregung

Betrachten und beschreiben Sie die beiden Bilder vor allem hinsichtlich der Wahl des Bildausschnittes. Diskutieren Sie, in welcher räumlichen Beziehung wir als Betrachter den beiden Porträtierten gegenübertreten.

Welche Person erscheint ihnen näher und damit privater; welche ferner und damit öffentlicher?

Vergleichen Sie das Porträt von Goyas Wasserträgerin mit Herrscherdarstellungen der Barockzeit (bspw. des französischen Königs Ludwig XIV.). Erläutern Sie das Provokante von Goyas Darstellung, in der eine einfache Frau aus dem Volk in der selben Weise gezeigt wird wie der Herrscher.

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Arbeitsbogen 4)

Francisco de Goya: Die Familie Karls IV., 1800-1801, Öl auf Leinwand, 280 x 236 cm, Madrid Prado

Pieter Bruegel d.Ä.: Der Blindensturz, 1568, Tempera auf Leinwand, 86 x 154 cm, Museo Nationale die Capodimonte

Arbeitsanregung

Betrachten Sie die beiden Gemälde. Beschreiben Sie ihren spontanen Eindruck der jeweils dargestellten Personengruppen.

Zeichnen Sie in einen schwarzweißen Ausdruck der beiden Bilder mit rotem Filzstift die Körperachsen der dargestellten Personen ein.

Vergleichen Sie ihre Ergebnisse und diskutieren im Klassenplenum, wie der Figurenaufbau die jeweiligen Bildaussagen unterstützt.

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Arbeitsbogen 5) Form- und Farbkomposition erkennen

Franz Marc: Kämpfende Formen

In abstrakten Gemälden gibt es keine realistischen Formen mehr. Dennoch kann nur unter Nutzung von Farben und abstrakten Formen ein Bildausdruck hergestellt werden.

Arbeitsanregung

Beschreiben Sie einen ersten Eindruck dieses Bildes. Diskutieren Sie die Darstellung unter Nutzung des Bildtitels.

Legen Sie sich auf einem A4-Papier ein Raster mit quadratischen Kästchen an (mindestens 3 bis 4 cm). Füllen Sie diese Kästchen jeweils mit einer Farbe, die Sie auf dem Bild finden. Mischen Sie diese Farbe exakt nach. Finden Sie so mindestens 20 Farbtöne von Marcs Gemälde. Diskutieren Sie jetzt noch einmal die farbige Stimmung des Bildes.

Nehmen Sie eine Zeichenkreide und fertigen Sie eine Kompositionsskizze des Gemäldes an. Reduzieren Sie dabei die tatsächliche Formfülle auf wenige Hauptformen. Bestimmen Sie deren genaue Lage im Bild, indem Sie mit einem Farbstift die horizontale und die vertikale Mittelachse einzeichnen.

Diskutieren Sie nun, wie es Marc gelungen ist, allein durch Farbe und Form das Thema des Kampfes auszudrücken.

Diskutieren Sie abschließend, in welchen alltäglichen Lebenszusammenhängen überall ein Kampf stattfindet.