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Es gibt kein Thema, über das mehr geschrieben wurde als über Hitler, den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust – ein großes Thema. Die Erinnerung daran hat selbst schon Geschichte geschrieben – freilich eine sehr wechselvolle Geschichte. „Man verlangt von den Deutschen, dass sie bereuen“, schrieb der Arzt und Schriftsteller Max Picard in der Schweiz 1946 in seinem Buch Hitler in uns selbst, „aber dieser deutsche Mensch kann sich an nichts erinnern, und nur wo der Mensch im Innern das bei sich hat, was er getan hat, da kann er seine vergangenen Handlungen durchschauen, sie prüfen und Reue haben über das Sündhafte.“ Er-innern heißt vom Ursprung des Wortes her und im Sinne Picards, etwas in seinem Inneren aufzurufen. Es ist mehr als nur eine Gedächtnisleistung und deswegen gibt es ja auch Verdrängung. Nach dem Krieg fanden sich die Deutschen mit der Schuldfrage konfrontiert, die, nach einer kurzen Phase der offenen Diskussion in den von den Alliierten neu zugelassenen Zeitschriften und Büchern, recht schnell auf eine kleine Gruppe Verantwortlicher eingeschränkt wurde. Der Nürnberger Prozess wurde gleichwohl von Kritikern als Siegerjustiz angeprangert und der Bayrische Rundfunk meinte noch 2009, „unter Völkerrechtlern“ sei „die Legitimität“ dieses Kriegsverbrechertribunals „noch heute umstritten.“ Max Picard: Hitler in uns selbst, Erlenbach-Zürich 1946, S. 31. Plakat „Nürnberg 1946: Die Welt klagt an!“ Der Nürnberger Prozess 1945/46, Radio Wissen, BR Bayern 2 Foto: W. Geiger 1000 Augen - Dreieichschule

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Es gibt kein Thema, über das mehr geschrieben wurde als über Hitler, denNationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust – ein großesThema. Die Erinnerung daran hat selbst schon Geschichte geschrieben –freilich eine sehr wechselvolle Geschichte.

„Man verlangt von den Deutschen, dass sie bereuen“, schrieb der Arzt undSchriftsteller Max Picard in der Schweiz 1946 in seinem Buch Hitler in unsselbst, „aber dieser deutsche Mensch kann sich an nichts erinnern, und nurwo der Mensch im Innern das bei sich hat, was er getan hat, da kann erseine vergangenen Handlungen durchschauen, sie prüfen und Reue habenüber das Sündhafte.“

Er-innern heißt vom Ursprung des Wortes her und im Sinne Picards, etwas inseinem Inneren aufzurufen. Es ist mehr als nur eine Gedächtnisleistung unddeswegen gibt es ja auch Verdrängung. Nach dem Krieg fanden sich dieDeutschen mit der Schuldfrage konfrontiert, die, nach einer kurzen Phaseder offenen Diskussion in den von den Alliierten neu zugelassenenZeitschriften und Büchern, recht schnell auf eine kleine GruppeVerantwortlicher eingeschränkt wurde. Der Nürnberger Prozess wurdegleichwohl von Kritikern als Siegerjustiz angeprangert und der BayrischeRundfunk meinte noch 2009, „unter Völkerrechtlern“ sei „die Legitimität“dieses Kriegsverbrechertribunals „noch heute umstritten.“

Max Picard: Hitler in uns selbst,Erlenbach-Zürich 1946, S. 31.

Plakat „Nürnberg 1946: Die Weltklagt an!“Der Nürnberger Prozess 1945/46,Radio Wissen, BR Bayern 2

Foto: W. Geiger

Ó 1000 Augen - Dreieichschule

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Doch der Prozess lieferte diese Schuldigen, deren Verurteilung vieleDeutsche trotz Kritik am Prozess dann doch als eine Absolution von derzuvor erhobenen Kollektivanklage empfanden. Schon die NürnbergerNachfolgeprozesse fanden in einer Atmosphäre statt, die auf Normalisierungdrängte, und mit der Gründung der Bundesrepublik begann auch dieparlamentarische Debatte über den berühmten Schlussstrich unter dieVergangenheit, zumal angesichts einer neuen politischen Konfrontation imKalten Krieg. Fünf Tage nach seinem Amtsantritt als Bundeskanzler forderteKonrad Adenauer am 20.9.1949 die Beschränkung der Entnazifizierung auf„die wirklich Schuldigen“. Doch selbst deren Bestrafung war im Adenauer-Deutschland ein Problem. Allein den großen Kreis der unmittelbarVerantwortlichen SS-Männer vor Gericht zu bringen, war ein steiniger Weg,den gerade in letzter Zeit zwei Spielfilme über den hessischen General-staatsanwalt Fritz Bauer publikumswirksam in Erinnerung gerufen haben.

Neben der juristischen trat die historische Aufarbeitung, anfangs nichtweniger beschwerlich, hatten doch nicht nur die meisten Juristen sondernauch die meisten Historiker im Dritten Reich ihre Karriere begonnen.

Auf die Historiker folgten die Zeitzeugen, die erst mit zeitlichem Abstand indie Öffentlichkeit / an die Öffentlichkeit traten, abgesehen von einigenwenigen herausragenden Persönlichkeiten, und abgesehen auch von denZeugen, die in Prozessen ausgesagt haben, aber der Öffentlichkeitweitgehend unbekannt blieben. Für die meisten jedoch, die die Zeit desNationalsozialismus persönlich erlebt hatten, war offenbar eine zeitlicheDistanz notwendig, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Neben den Zeitzeugen, die selbst überlebende Opfer waren oder jedenfallsals Zeugen des Geschehens die Opferseite vertraten, ergriffen dann auchPersonen aus der Generation der Nachkommen von der Täterseite her dasWort. Niklas Franks Buch über den Vater machte Furore nicht nur deswegen,weil es überhaupt erschienen ist, sondern vor allem wegen der Art undWeise, wie es geschrieben ist. Wir werden es hören.

Plakat „Diese Schandtaten: EureSchuld!“

CDU-Landtagswahlplakat NRW1947FDP-Bundestagswahlplakat1949RegierungserklärungAdenauers vom 20.9.1949,Deutscher Bundestag, 5. Sitzung,Plenarprotokoll, S. 27

Spielfilme:Im Labyrinth des Schweigens,2014Der Staat gegen Fritz Bauer,2015Dokumentarfilm:Fritz Bauer - Tod auf Raten,2012

(1987) Das Buch gibt es heutenur noch antiquarisch oder neu2014 beim Autor im EigenverlagBrigitte Frank unsel. Erben

Bonn, Dietz-Verlag, 2013

Meine deutsche Mutter,München (Bertelsmann), 2005.

Niklas Frank wurde 1939 geboren,verbrachte seine Kindheit mit seinen Elternund Geschwistern abwechselnd amSchlierssee in Bayern und im besetztenPolen, in Krakau, auf dem Wawel, der altenpolnischen Königsburg, damals Amtssitzseines Vaters, des Generalgouverneurs.Nach dem Krieg wurde er Journalist undveröffentlichte 1987 sein Buch über denVater, das vorab als Artikelserie im STERNabgedruckt wurde.

Die Lesung umfasste Auszüge aus seinendrei Büchern über den Vater, die Mutter undden Bruder.

Video: Vater Mörder - das Erbe des Niklas Frank, BR, in der ARD-Mediathek verfügbar bis3.5.2016Audio: Interview mit Niklas Frank zum 27.1.2015, SWR

Beprechungen online: Meine deutsche Mutter (fr-online), Bruder Norman (zeit.de)Henryk M. Broder über die Reaktionen auf das Buch Der Vater 1987 (spiegel.de)

Foto: W. Geiger

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Wer war sein Vater Hans Frank, was war er im Dritten Reich? Hierzu möchteich noch ein paar Hinweise zum historischen Verständnis geben.

Hans Frank war fast einer der ersten Stunde in der NSDAP, bereits 1919 fander als Neunzehnjähriger Kontakt in jene rechtsradikalen Kreise in München,die Hitler zu seiner Karriere verhalfen. In die Partei trat er 1923 ein undbeteiligte sich am missglückten Hitler-Putsch. Nach einem kurzfristigen Exilin Italien setzte er sein Jurastudium in Deutschland fort und wurde dannRechtsberater der NSDAP und Verteidiger Hitlers in zahlreichen Prozessen.Im Zuge der Ausschaltung aller noch oppositionellen Länderregierungenwurde Hans Frank im März Justizminister in Bayern und dann im April„Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz“ und später „Reichs-rechtsführer“ und Präsident der „Akademie für Deutsches Recht.“ Seinevordringliche Aufgabe war die Gleichschaltung der Justiz in Deutschland.Ende 1934 wurde er auch formell in die Reichsregierung aufgenommen alsMinister ohne Geschäftsbereich. Mit der Eroberung Polens im ZweitenWeltkrieg bekam Hans Frank dann eine neue Aufgabe, er wurde General-gouverneur im besetzten Polen. Das Generalgouvernement umfasste einterritorial reduziertes polnisches Gebiet, da große Teile Westpolens direktan das Reich angegliedert wurden; nach dem Beginn des Krieges gegen dieSowjetunion erfuhr es dann noch eine beträchtliche Gebietserweiterungdurch Galizien, einem Teil des zunächst im Hitler-Stalin-Pakt 1939 an die

Hans Frank, 1939.Bundesarchiv Bild 146-1989-011-13 / CC-BY-SA 3.0 Wikipedia

Polnisches Gebiet, das direkt anDeutschland angeschlossen wurde(u.a. Warthegau).

Generalgouvernement 1939,nach dem Kriegsbeginn gegen dieSowjetunion 1941 im Südostenerweitert (Galizien).

Karte bearbeitet nach der Vorlage vonWikimedia Commons

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In Baedekers Reiseführer für das Generalgouvernement von 1943, der unteranderem auch Kurorte und Wintersportmöglichkeiten anpries, heißt es zurStadt Krakau, dass der Stadtteil Kasimierz, ursprünglich eine Vorstadt vonKrakau und „später jedoch zum Teil Wohnsitz der jüdischen Bevölkerung“war und „jetzt judenfrei“ ist. Tatsächlich wurden die dort wohnenden Judenzunächst in das neu errichtete Ghetto südlich der Weichsel in Podgorzezwangseingewiesen und dieses Ghetto am 14. März 1943 aufgelöst durchdie Deportation in die KZs und Vernichtungslager. Ein Teil kam in dasnahegelegene KZ Plaszow, im Süden Krakaus, dessen Kommandant AmonGöth durch den Film Schindlers Liste einer größeren Öffentlichkeit bekanntwurde.

Plaszow war allerdings kein Vernichtungslager, Kommandant Göth erschossKZ-Insassen vom Balkon seiner Dienstvilla aus zur persönlichen Belustigung.Auschwitz lag nicht mehr auf dem Gebiet des Generalgouvernements,sondern bereits jenseits der Verwaltungsgrenze im vergrößerten Schlesien.Dafür beherbergte das Generalgouvernement aber alle anderen Vernich-tungslager: Treblinka, Majdanek, Sobibor und Belzec. Ein Blick auf den Plandes KZ Belzec zeigt, dass es hier, anders als in den anderen Vernichtungs-lagern, kein Areal von Baracken für die – wenn auch nur vorübergehende –Unterbringung von Häftlingen gab, sondern nur einen einzigen und direktenWeg von der Bahnrampe in die Gaskammer. Lediglich kleine Baracken amRande dienten zur Unterbringung weniger Zwangsarbeitskräfte, die man fürden Lagerbetrieb brauchte.

Zur Teilnahme an der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 schickte HansFrank seinen Staatssekretär Bühler, für die logistische Umsetzung dersogenannten „Endlösung“ war das Generalgouvernement ein Hauptschau-platz und seine Verwaltung ein Hauptakteur, zum einen, weil dort selbstviele Juden lebten, zum anderen, weil alle Transporte, die nicht überDeutschland nach Auschwitz gingen, durch das Generalgouvernementführten.

Hans Frank und Heinrich Himmler hatten sich Anfang der Vierziger Jahreverfeindet, der Generalgouverneur beschwerte sich, dass er bei derVerwaltung der Konzentrationslager nicht beteiligt war, weil diese aus-schließlich in Händen des Reichssicherheitshauptamtes lag. Im NürnbergerProzess hat sein Anwalt Dr. Seidl darauf die Verteidigungsstrategieaufgebaut, die Vernichtung der Juden sei ohne Zutun des General-gouverneurs abgelaufen. Dabei hatte sich Frank nur darüber beschwert,nicht daran beteiligt worden zu sein, vielleicht auch an den damit ver-bundenen Geschäften, denn die persönliche Bereicherung in großem Stilwar ihm eine Herzensangelegenheit. Gleichwohl kamen Himmler und Frankdienstlich desöfteren zusammen und zwar in Sachen „Endlösung“, nach demSprachgebrauch des Wannseeprotokolls.

Zahlreiche Dokumente, darunter sein akribisch geführtes Diensttagebuch,das er protokollarisch von einem Mitarbeiter hat führen lassen, gebenAufschluss darüber, dass er sich von Anfang an, noch lange vor derWannseekonferenz, die Vernichtung der Juden zum Ziel gesetzt hatte.

Ganz unabhängig davon ging er auch als „Schlächter von Polen“ in dieGeschichte ein, weil er gleich 1939 in der sogenannten „AußerordentlichenBefriedungsaktion“ sowie in späteren „Befriedungsaktionen“ Zigtausendevon Polen, v.a. aus der geistigen Elite oder der Kirche, als „Geißeln“ zur

Baedekers Reisehandbücher,Generalgouvernement, 1943.Online: Polnische National-bibliothek, KarteGeneralgouvernement,Stadtplan Krakau S. 32,Text S. 50.

Cf. Martin Gilbert: TheRoutledge Atlas of theHolocaust, London/New York(Routledge), 4th ed., 2009, S.238.Vgl. auch Death Camps

Wikipedia Wannseekonferenz

Foto von Himmler, Heydrich undFrank bei einer Besprechung desPolizeiausschusses aufwww.welt.de

Wikipedia AB-AktionWikipedia Palmiry Massacre

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Abschreckung des Widerstandes hinrichten ließ, damals noch zusammen mitder SS unter Richard Heydrich.

Nach seiner Flucht mit der Familie zurück nach Bayern 1945 wurde HansFrank von den Amerikanern festgenommen und im Nürnberger Haupt-kriegsverbrecherprozess angeklagt. Am 1.6.1946 wurde er schuldiggesprochen und zum Tode verurteilt.

Die Akten des NürnbergerHauptkriegsverbrecherprozesses gibt es online bei zeno.org.Über die Indizes kann man aucheine Suche nach Themen oderPersonen unternehmen.

Ausgewählte Materialien vonden Nürnberger Prozessen gibtes auch im NS-Archiv

ZDF Info: Das Dritte Reich vorGericht - Die NürnbergerProzesse, 3 Videos (zdf.de)

Weitere Literatur:

Quellen:

Immanuel Geiss / WolfgangJacobmeyer (Hrsg.): DeutschePolitik in Polen 1939-1945. Ausdem Diensttagebuch von HansFrank, Generalgouverneur.Opladen (Leske + Budrich),1980.

NS-Archiv: Aus demDiensttagebuch von Hans Frank.

Frank Beer / Wolfgang Benz /Barbbara Distel (Hrsg.): Nachdem Untergang. Die erstenZeugnisse der Shoah in Polen1944-1947. Berichte derZentralen JüdischenHistorischen Kommission.Dachau (Metropol & DachauerHefte), 2014.

Darstellung/Analyse:

Dieter Schenk: Hans Frank -Hitlers Kronjurist und General-gouverneur. Frankfurt a.M. (S.Fischer), 2006).

Hans Frank auf der Anklagebank in Nürnberg.Bundesarchiv / Wikimedia Commons

Foto: W. GeigerAlle Fotos von Niklas Frank wurden am 26.11.2015 in der DreieichschuleLangen aufgenommen.