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Eberhard-Karls-Universität Tübingen Philosophisches Seminar Seminar: Michel Foucault, Überwachen und Strafen, WS 2002/2003 Seminarleiter: Eberhard Braun Foucaults Begriff der Macht vorgelegt von: Eva Gottwald Studium der Politikwissenschaft (HF) und Philosophie (HF) 3. Fachsemester Kontakt: [email protected] Foucaults Begriff der Macht

Foucaults Begriff der Macht - Andreas · PDF fileErstere, das „Tableau“, ist sozusagen eine räumliche Verteilung, wobei den Körpern ganz bestimmte reale und ideale Plätze zugewiesen

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Page 1: Foucaults Begriff der Macht - Andreas · PDF fileErstere, das „Tableau“, ist sozusagen eine räumliche Verteilung, wobei den Körpern ganz bestimmte reale und ideale Plätze zugewiesen

Eberhard-Karls-Universität TübingenPhilosophisches Seminar Seminar: Michel Foucault, Überwachen und Strafen, WS 2002/2003Seminarleiter: Eberhard Braun

Foucaults Begriff der Macht

vorgelegt von:Eva Gottwald

Studium der Politikwissenschaft (HF)

und Philosophie (HF) 3. Fachsemester

Kontakt:[email protected]

Foucaults Begriff der Macht

Page 2: Foucaults Begriff der Macht - Andreas · PDF fileErstere, das „Tableau“, ist sozusagen eine räumliche Verteilung, wobei den Körpern ganz bestimmte reale und ideale Plätze zugewiesen

Im Jahr1982 verfasstMichel FoucaulteinenAufsatz unter dem Titel „Wie wird Macht

ausgeübt?“under stellt gleichzu Beginnheraus:„Wenn ich derFragenachdemWieeinen

gewissenvorläufigenVorzugzubillige,sonicht,weil ich die FragenachdemWasunddem

Warumausschaltenwill, sondernweil […] ich erkennenwill, ob es legitim ist, sich eine

MACHT vorzustellen,die ein Was,ein Warum,ein Wie in sich vereinigt.Schroff gesagt,

führt geradederBeginnderAnalysemit demWie zu demVerdacht,daßdieMACHT nicht

existiert; jedenfallsführt eszu der Frage,welchebestimmbarenInhaltedenngemeintsein

sollen, wenn man diesen majestätischen,globalen und substantivierendenBegriff

verwendet.Dahinterstehtder Verdacht,daßmanein EnsemblesehrkomplexerRealitäten

verpasst,wenn man ewig um die Doppelfrage:Was ist MACHT? Woher kommt die

MACHT? herumschleicht.Die kleine,platteundempirische,gewissermaßenalsSpähtrupp

vorgeschickteFrage:Wie spielt sich dasab?hat nicht die Funktion, eine „Metaphysik“

oder eine „Ontologie“ der Macht einzuschmuggeln,sonderndient dazu, eine kritische

Untersuchung der Machtthematik anzugehen“1.

Diese Herangehensweisean den Begriff der Macht scheint auch für das Werk

„Überwachenund Strafen“ sinnvoll zu sein. Gleich klar herausstellensollte man dabei

aber, dass bei einer Analyse des Wie der Macht nicht eine Macht, sondern

MachtverhältnisseGegenstandseinmüssen2. DiesenBegriff derMachtverhältnissemöchte

Foucaultvon demder „Fähigkeit“, aucheinerArt Macht,welchenachihm abervor allem

auf Fertigkeitenberuht,abgegrenztwissen.Das, was nachFoucaultein Machtverhältnis

definiert, ist eineHandlungsweise,die auf dasHandelnandererwirkt. Diesesist nochmals

von Kommunikationsbeziehungenzu unterscheiden,welche Informationenmittels eines

ZeichensystemsodereinerSprachevermittelnunddamitnatürlichgewissermaßenauchauf

Menschen einwirken. Um diese Triade Fähigkeiten-Kommunikation-Machtkurz am

Beispiel der Schulezu verdeutlichen:Die Tätigkeit, welcheden Erwerbvon Fähigkeiten

sichert, entfaltet sich sowohl durch geregelte Kommunikation (Unterrichtsstunden,

Ermahnungen,Fragen und Antworten) als auch durch verschiedeneMachtverfahren

(BelohnungundBestrafung,Abschließung,Überwachung,Hierarchienpyramide).Alle drei

sind von einander zu unterscheiden,ihr Zusammenwirkenaber zu berücksichtigen.

Schließlich stellt Foucault noch deutlich heraus,dass MachtverhältnisseGewalt und

Konsens zwar nicht ausschließen,beides aber nicht ihre Wesensmerkmalesind.

Machtausübungin seinem Sinn ist, wie oben bereits angedeutet,„ein Ensemblevon

Handlungenin Hinsichtauf möglicheHandlungen“3. Möglich, daFoucaultdavonausgeht,1 M. Foucault, Wie wird Macht ausgeübt?, S.29/302 Op. ct., S.343 Op. cit., S.36

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dassim Kern der Machtverhältnissedas Aufbegehrenenthaltenist. Macht könne man

nämlichnur auf ein „freies“ Individuum ausüben,und unter„frei“ verstehtFoucault,dass

man mehrereMöglichkeitenhat, sich zu verhalten.Sei die HandlungeinesIndividuums

dagegenbereitsdeterminiert,so spricht er von einemZwangsverhältnis.Auf ein „freies

Individuum“ wirken also genau dann Machtverhältnisse,wenn sein Feld eventuellen

Handelnsvon jemandemstrukturiert/ regiertwird. Übersehensolltemandabeinicht, dass

in jedemMachtverhältnisaufgrundder Freiheit auchder Widerstandund die eventuelle

Umkehrung vorhanden sind.

Stellt mansich nun die Frage,wie die Machtverhältnissein „Überwachenund Strafen“zu

analysierensind,sohält unsFoucaultsogareinegewisseAnleitungbereit.Fünf Punktehat

mandemnach„abzuarbeiten“,um sich die Machtverhältnissezu einerkonkretenZeit und

an einem konkreten Ort vor Augen zu führen. Als erstesgilt es, dass „System der

Differenzierungen“ ausfindig zu machen. Jedes Machtverhältnis nämlich bringe

Unterschiedemit sich, welchesowohlseineBedingungenals auchseineWirkungensind.

Als zweiteswidme mansich denTypenvon Zielen,welcheebenvon denjenigenverfolgt

werden,die auf das Handelnandererwirken. Drittens untersucheman die Instrumente,

derer sie sich bedienen,um die Ziele zu verwirklichen, viertens die Formen der

Institutionalisierungund fünftens den Grad der Rationalisierung.Letzterer betrifft vor

allem dasKosten-Nutzen-Verhältnis;der Einsatzvon Machtverhältnissenkönnenämlich

mehroderwenigerausgefeiltsein4. DiesePunktesollen im Folgendenan dendrei in der

zweitenHälfte des18. JahrhundertskonkurrierendenStrafsystemenabgehandeltwerden.

EinesdieserSystemestellt dasbis dahinpraktiziertedar, daszweite ist die Ideegewisser

Reformer,und dasdritte verkörpertdasjenigeStrafsystem,welchessich letztendlichbis

heute durchgesetzt hat.

Konkret handeltes sich als erstesum die Bestrafungsmethodeim Ancien Régime.Die

Differenzierungenin diesemSystemwerdenbereitsdeutlich,wenn mansich den Begriff

des Souveränsbzw. der Souveränität vor Augen hält. Letztere ist die rechtliche

Unabhängigkeit,z.B. einer Personin der Ausübungder Staatsgewaltim Inneren des

Staates.Somit ist eine absoluteAsymmetriezwischenVolk und König gegeben,gerade

wasRechteund Pflichtenbetrifft. Verletzt jemanddie SouveränitätdesHerrschers,indem

er ein Verbrechenbegeht,so verfolgt der SouveränfolgendeZiele: Es geht ihm einerseits

um die Wiederherstellungseiner Souveränität und um die Widerspiegelung des

Verbrechensin der Bestrafung,andererseitsaber auch um die Verhinderungweiterer

Verbrechen.Alles drei wird bewerkstelligt,indemder Souveränöffentlich am Körper des

4 Op. cit., S.41/42

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Verbrechers„ein FeuerwerkseinerMacht abbrennt“(S.64).Das grausameZurichtendes

Körpersendetdannoft erst nach langenQualenin seinerphysischenVernichtung.Wie

bereitsbei den Mitteln angedeutet,waren die Institutionen, in denendie Bestrafungen

stattfanden,meist irgendwelcheöffentlichenPlätze.Was den Grad der Rationalisierung

betrifft, so muss man wohl von einem sehr niedrigen sprechen. Zwar war der

Abschreckungseffektbei so grausigenStrafpraktikensicher nicht gering, dennochmuss

mannatürlich festhalten,dasseine genaueÜberwachungder Bevölkerungkaummöglich

war – daher viele „Vergehen“ unbestraft blieben.

Foucault selber fasst die Wirkungen der Macht in Bezug auf das Ancien Régime

folgendermaßenzusammen:„Die StrafritenwarenFunktioneneiner Macht, die nicht nur

keinenHehl darausmacht,sich unmittelbaran denKörpern auszulassen, sondernsich an

ihren physischenManifestationenauch noch begeistertund steigert, die als bewaffnete

Gewaltauftritt unddenKrieg nicht völlig hintersichgelassenhat;einerMacht,die Regeln

und Pflichten als persönlicheBindungengelten lässt, deren Bruch eine Beleidigung

darstellt und nachRächungverlangt; einer Macht, für die der Ungehorsamein Akt der

Feindseligkeit, ja der Rebellion und letztendlichdes Bürgerkriegsist; einer Macht, die

nicht nachzuweisenhat, warum sie ihre Gesetzeanwendet,sonderndie ihren Feinden

beweist,welche Entfesselungvon Gewalt sie bedroht,einer Macht, die mangelseiner

lückenlosenÜberwachungihre Bekräftigung in aufsehenerregendenKundmachungen

sucht;einerMacht,die ausdenrituellenAusbrüchenihrer ÜbermachtneueKraft schöpft“

(S.74/75).

Nun zu den Reformern.Sie betrachtendas Verbrechenals einen Vertragsbruch,einen

Angriff auf die gesamteGesellschaft,weshalbkonsequenterweisein der Bestrafungauch

die ganzeGesellschaft,einschließlichdesBestraften,anwesendsein muss.Doch das ist

eindeutigeinsehrungleicherKampf (alle gegeneinenunddereinenochgegensichselbst),

Übermachtund Untermachtsind dadurchkeineswegsbeseitigt– eshandeltsich hingegen

um eine fast noch schrecklichereÜbermachtals zu Zeiten desSouveräns.Diesermüsse

man „ein Prinzip der Mäßigung“ (S.115) entgegensetzen.Deshalb lautet nun der

reformerischeGedanke,dassnicht mehr der Souverän,sonderndie Gesetzeselberin der

Strafe gegenwärtigsein sollen. Es zeigt sich also, dasseine Differenzierungzwischen

VerbrecherundGesellschaftstattfindet,die sogeringwie möglichauszufallenhat.Ziel der

Macht ist es nicht, den Feind zu besiegen,zu vernichten,auszuschließen,sondernein

Rechtssubjektwieder herzustellen,einzubürgern,einzuschließen,so dassam Ende der

Verbrecherwiederein gleichwertigesMitglied derGesellschaftist. Gleichzeitigsollen,wie

im Ancien Régime,künftige Straftatenso weit wie möglich verhindertwerden.Den Weg

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zum ErreichendeserstenZiels stellt die Besserungdar. Die Ideeder Reformerdabeiist,

die Leidenschaft,welchezum Verbrechengeführt hat, empfindlich zu treffen: Arbeit als

„Rezept“ gegenFaulheit,Freiheitsentzuggegen„Freiheitsberaubung“etc. Damit ist die

Strafe sowohl auf die Zukunft gerichtet als auch individualisiert. Was die übrige

Gesellschaft,unddamitdaszweiteZiel, betrifft, so ist zwischenVergehenundBestrafung

ein „absoluter“Zusammenhangherzustellen.Wird ein Vergehenbegangen,so soll durch

unmittelbareund eindeutigeBestrafung,durch das Setzeneines Zeichens, eben dieser

„absolute“ Zusammenhangdemonstriertwerden.Auf dieseWeisewerdendie Gesetzein

ihrenBerechnungenperfektund in denVorstellungeneinesjedenBürgersfest verwurzelt.

Institutionen bzw. Orte, wo diese Art von Bestrafungstattfindet, müssenzwar nicht

unbedingt für alle sichtbar sein – wichtig ist vor allem, dass die Bestrafungin den

Vorstellungenpräsentist. Nach Foucault ist „die Unterwerfungder Körper durch die

Kontrolle der Ideen“undVorstellungenwirksamer„als die rituelle AnatomiederMartern“

(S.131).Der MachtaufwanddesSouveränswar relativ aufwendig,hier gehtesdagegenum

subtile,wirksame,sparsameGewalten;undFoucaultzitiert Servan:„Wenn ihr sodie Kette

der Ideen in den Köpfen eurer Mitbürger gespannthabt, könnt ihr euchrühmen,sie zu

führen und ihre Herrenzu sein. Ein schwachsinnigerDespotkann Sklavenmit eisernen

Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer

eigenenIdeen“ (S.131). Die Rationalisierungist hier also, im Vergleich zum Ancien

Régime, in höherem Maße ausgeprägt.

Interessanterweisegeht es den Reformernnicht um eine „Kritik an der Macht“, sondern

vielmehrum eineKritik an der „fehlerhafte[n]Ökonomieder Macht“ (S.101).Ökonomie

musshier wohl im Sinnevon „Einsatz“ oder„Verteilung“ verstandenwerden,wasauchzu

folgendemZitat passt:„Die LähmungderJustizist wenigerauf eineSchwächealsauf eine

falscheVerteilungderMachtzurückzuführen:auf ihre KonzentrierunganmehrerenStellen

und dendarausresultierendenKonflikten“. „Zuviel Macht liegt bei denunterenInstanzen

[…]. Zuviel Macht liegt bei der Anklage […]. Zuviel Macht liegt bei den Richtern[…].

Zuviel Machtist den„LeutendesKönigs“ zugestanden[…]. Zuviel Machtwird schließlich

vom König ausgeübt“(S.101),so lautetdasUrteil der Reformer.Ist dasein Widerspruch

zumvorherGesagten,dassnämlichalle Machtin derPersondesSouveränsverkörpertist?!

Foucaultlöst dasProblem,indemer postuliert,dasshinter all dem„zuviel“ an Macht vor

allem die monarchischeÜbermachtsteht, welche die anderenFormen hervorruft. Das

Problemliegt ausreformerischerSichtoffenbardarin,dassdie monarchischeSouveränität,

als Übermacht,eine „in die Augenspringende,schrankenlose,persönliche,regelloseund

unsteteMacht“, ist, wohingegendenUntertanen,als „Untermacht“,ein Raumfür „stetige

Gesetzeswidrigkeitenoffen“ steht (S.111). Deshalbgeht es in der Strafreform darum,

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sowohl einen erfolgreichenKampf gegendie eine als auchdie andereAusprägungvon

Macht zu führen.Ihr Vorschlag:Die Macht soll „in homogenenKreisläufen[…], die den

Gesellschaftskörper überall gleichmäßig durchdringen“ (S.102), verteilt sein.

Kommenwir schließlichzumdrittenStrafsystem,welchesin diesemZusammenhangwohl

das bedeutsamste,da heute noch existierende, darstellt. Gleich zu Beginn ist

herauszustellen, dass in diesem System zwischen Normenverstößen und

Gesetzwidrigkeitendifferenziertwerdensollte. Denneswird sich zeigen,dasssich beide

insofernunterscheiden,als unterschiedlicheInstitutionenfür sie zuständigsind,die sich in

gewisserHinsicht bezüglichihrer Ziele voneinanderabsetzen,vor allem aberin der Wahl

der Instrumente. Insofern wird im Folgenden auch getrennt auf sie eingegangen.

Normenverstöße– welchessind die Ziele, wenn jene sich ereignen?Die Antwort scheint

auf den erstenBlick nahezu liegen: Es gilt, die „Anormalen“ der Norm anzupassenund

gleichzeitigweitereNormenverstößezu verhindern.Doch welchesZiel liegt diesemZiel

zugrunde?WelchenNutzenhaben„normale“ oderbessergesagt„normierte“ Individuen?

Man muss tatsächlichvon „Normierungen“ sprechen,da Foucaultmit der Norm nicht

einfach den Durchschnittsbürgermeint, sondern eine ganz spezifische körperliche

„Dressur“.Die GesetzesbefolgunghatgemäßdenReformernihrenSinnin derOrdnungder

Gesellschaft – und die Norm? Ihr „Sinn“ liegt nach Foucault darin, „die

Gesellschaftskräftezu steigern– die Produktionzu erhöhen,die Wirtschaftzu entwickeln,

die Bildung auszudehnen,dasNiveauderöffentlichenMoral zu heben;zu Wachstumund

Mehrung beizutragen“ (S.267). Wie aber wird die dafür erforderliche „Normierung“

erreicht, welche Mittel eingesetzt?An dieser Stelle gilt es, die Techniken der

Körperkontrolle zu betrachten. Darunter fallen das „Tableau“, das „Manöver“, die „Übung“

und die „Taktik“. Erstere,das„Tableau“, ist sozusageneineräumlicheVerteilung,wobei

denKörpernganzbestimmterealeund idealePlätzezugewiesenwerden.Ein Beispiel ist

Fabrik,in der jederanseinemArbeitsplatzeinenspezifischenArbeitsschrittdurchzuführen

hat. Die zweiteTechnik,das„Manöver“, ist einespezielleCodierungdesKörpers,wobei

z.B. Tätigkeiten zeitlich durchgearbeitetwerden. Dies ist u.a. beim militärischen

MarschierenoderderHandhabungeinerWaffe derFall. In der „Übung“, derVerknüpfung

von Zeit und individueller Tätigkeit, organisiertmandie LebensentwicklungdesKörpers;

sozumBeispielin derSchule,wo manerstdannin die nächsthöhereKlasseversetztwird,

wennmanPrüfungenbestandenhat. Schließlichkannmanmithilfe dieserdrei Techniken

Apparatebauen,bei denenes darumgeht,ausder Wirkung vieler Individuen zusammen

mehr zu machenals aus der Summeder einzelnenbzw. um eine Produktivkraft, „die

leistungsfähigerist alsdie siekonstituierendenElementarkräfte“(S.211)Als Beispielkann

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hier das Militär herhalten,bei dem speziell formierte, codierte und geübte Soldaten

zusammeneinen einzigen schlagkräftigenKörper bilden. Dies bezeichnetFoucault als

„Taktik“. Das Vorgehenbei diesenvier Technikender Körperkontrolle fasst U. Raulf

folgendermaßenzusammen:Die Körper scheinennicht mehr – wie zuvor im Ancien

Régime– „äußerlichvon der Macht affiziert [zu] werden,von einerMacht etwa,die auf

ihnenihre Markierungenniederlegt,sondern[nun ergibt essich,] daßdie disziplinierende

Macht die Körper restloszerlegtund nachdenPrinzipiender Erkennbarkeit,Nützlichkeit

und Kontrollierbarkeit wieder zusammensetzt.Es gibt dabei, und das ist entscheidend,

keinerlei natürliche Grenze – etwa in Form eines „Widerstandes unserer Natur““5.

Zurück zum BeginndiesesAbschnittsdesdritten Strafsystems.Dort

hieltenwir alsweiteresZiel die „Normalisierung“desAnormalen unddasVerbleibender

„Normalen“ im „Normalen“ fest. WelcheMittel stehenfür dieseZweckezur Verfügung?

Es sind dies die von Foucault bestimmtendrei Machtinstrumente:die hierarchisierte

Überwachung, die normierendeSanktionunddie Prüfung, wobeidie Überwachungenund

Prüfungen wohl so manche „Anormalität“ verhindern bzw. aufdecken,die Sanktion

dagegenden„Anormalen“ zu normen,normieren,normalisierenversucht.Idealmodelder

Überwachungist das Panopticon: „Sein Prinzip ist bekannt: an der Peripherie ein

ringförmigesGebäude;in der Mitte ein Turm, der von breitenFensterndurchbrochenist,

welche sich nach der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt,

[…] [jede] Zelle auf beidenSeitenvon Licht durchdrungen[…]. Esgenügtdemnach,einen

[einzigen]Aufseherim Turm aufzustellen“(S.256).Dazukommendie Jalousien,welche

„an den Fensterndes zentralen Überwachungssaalesvorgesehen“sind, so dass sich

folgendeSituationergibt: „im Außenringwird man vollständiggesehen,ohnejemalszu

sehen; im Zentralturm sieht man alles, ohne je gesehen zu werden“ (S.259).

Bei dennormierendenSanktionenwerden„[n]eben denStrafmitteln,die direkt der Justiz

entliehensind (Geldbuße,Peitsche,Karzer)“ Bestrafungenbevorzugt,„die in denBereich

desÜbens, des intensivierten,vervielfachten,wiederholtenLernensfallen“ (S.232).Hat

man beispielsweisein der Schule nicht schön genug geschrieben,so muss man ein

Vielfachesvon demeigentlichenText zu Hausewiederholtschönschreiben;unddamit ist

die Strafe „zu einem Gutteil mit der Verpflichtung selbst identisch“. „Richten ist

Abrichten“ (S.232).

Bestraft wird auch, indem man das von der Norm abweichendeIndividuum einen oder

mehrere„Ränge“ zurücksetzt(„Die Disziplin belohnt durch Beförderungen,durch die

Verleihungvon Rängenund Plätzen;sie bestraftdurchZurücksetzungen.Der Rangselber

gilt alsBelohnungoderBestrafung“(S.234)),sodassderBestraftesichseinealtePosition

5 U.Raulf, S.46

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durchintensivesÜbenwiedererarbeitenmuss.Als Beispielwärehier ein Kind zu nennen,

dasin der Schulesitzenbleibt – auf demselben„Rang“, in derselben„Klasse“ wie zuvor

mussesnun üben,üben,übenbis esdenAnforderungender nächstenStufeentspricht.Es

zeigt sich, dassdie wesentlicheAufgabe der Disziplinarstrafedie Korrektur bzw. die

Dressur ist (S.232). So viel zu den Zielen und Mitteln in Bezug auf

Normen/Normenverstöße.Festzuhaltenist an dieser Stelle lediglich noch, dass die

dargestelltenMittel (TechnikenderKörperkontrolleundMachtinstrumente)zusammenden

Begriff der Disziplinen ausmachen,welchen Foucault so oft verwendet.Gelegentlich

definiert er ihn als einen „Komplex von Instrumenten, Techniken, Prozeduren,

Einsatzebenen,Zielscheiben“(S.276f.),gelegentlichals „Methoden,welchedie peinliche

Kontrolle der Körpertätigkeitenunddie dauerhafteUnterwerfungihrer Kräfte ermöglichen

und sie gelehrig/nützlichmachen“ (S.175).DieseDisziplinenkönnennachFoucault„von

„spezialisierten“Institutionen(Strafanstaltenoder Besserungshäuserdes19.Jahrhunderts)

eingesetztwerden;odervon Institutionen,die sich ihrer zur Erreichungganzbestimmter

Ziele bedienen(Erziehungsheime,Spitäler);oderauchvon vorgegebenenInstitutionen,die

ihre innerenMachtmechanismendamitverstärkenoderverändern“.(An dieserStellemerkt

Foucault an, dass eines Tages zu zeigen sei, „wie sich die innerfamiliären Beziehungen, vor

allem in der Zelle Eltern/Kinder, „diszipliniert“ haben,indem sie seit dem klassischen

Zeitalter äußereModelle [schulische,militärische, ärztliche etc] übernommenhaben“.)

Schließlichwerdendie Disziplinenauchvon Verwaltungs-undStaatsapparateneingesetzt,

wobei letztere„nicht ausschließlich,aberwesentlichdie Aufgabehaben,die Disziplin in

einerganzenGesellschaftdurchzusetzen(Polizei)“ (S.277).Kurz: Die Disziplinen finden

in den verschiedenstenInstitutionen der Gesellschaftihre Verwendung und oftmals

„schießen“sie überihre eigentliche„Klientel“, ihren eigentlichenEinzugsbereich,hinaus.

So werden in der Schule indirekt die Eltern, im Krankenhausindirekt die gesamte

Bevölkerung mit überprüft (S.271f.). Dieses ganze System ist äußerst ökonomisch

gestaltet;das Panopticon,welchessich problemlos in die verschiedenstenFunktionen

integrieren lässt (Erziehung, Heilung, Produktion, Bestrafung) und deren Wirkung

automatischsteigert, bedarf eines äußerstgeringen/rationellenEinsatzesvon Material,

Personalund Zeit (S.265).Die Wirkung dagegenist enorm:am Endestehtdasdressierte

Individuum.

Kommenwir nun noch zu den Gesetzeswidrigkeiten:WelcheZiele ergebensich hier in

Bezug auf die straffälligen Individuen? Seltsamerweisesei das Ziel in den

Disziplinargesellschaftennicht die Besserungder Individuen, sondernder Fortbestand

gewisserGruppenvon Straftätern,ihre Rückfälligkeit, die UmwandlungdesGelegenheits-

in einen Gewohnheitstäter, die Organisationeines geschlossenenDelinquentenmilieus.

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Dahinter verbergen sich drei weitere Ziele: Erstens möchte man von gewissen

Gesetzwidrigkeitenablenken,zweitensKontrolle über bestimmtepolitischeBewegungen

ausüben und drittens enorme Gewinne aus bestimmten Milieus abschöpfen6. Was

geschieht?Die Gefängnissewerdengenauso angelegt,dassdie Rückfälligkeit und die

anderen oben aufgeführten Ziele erreicht werden. Daneben sondert man aus den

Gesetzwidrigkeiten,laut Foucault,eine bestimmteArt von Vergehenals Delinquenzaus,

welcheim Folgendeninstrumentalisiertwird, indem man beispielsweiseSpitzel anwirbt,

um bestimmtepolitischeOppositionsgruppenzu überwachen.Institution ist hier eindeutig

das Gefängnis,Kosten und Nutzenscheinenin einem guten Verhältnis zueinanderzu

stehen,dennansonstenhättesich diesespezifischeAusprägungwohl schonaufgelöst.Das

heißt aber nicht, dassdies nicht noch geschehenkönnte.Leicht kann der Nutzen einer

produzierten Delinquenz auch in Nachteile umschlagen, so z.B. im Falle ihrer

internationalenOrganisationund einem direkten Anschließen„an die politischen und

ökonomischen Apparate“ (S.394).

Sicherhabt ihr bemerkt,dassich im dritten Strafsystembisherden erstender fünf von

FoucaultvorgeschlagenenAnalysepunkte,dender Differenzierung, ausließ.Wer im Falle

der Disziplinargesellschaftüberwendie Macht ausübtbzw. - um mit meineneinleitenden

Wortenzu sprechen- wer genaudasFeldeventuellenHandelnsvon jemandemstrukturiert

/ regiert,ist ausmeinerSichtnicht ganzeindeutig.Zum einennämlichbenutztFoucaultbei

derDarstellungdesPanopticonsdenAusdruckder„überwachtenÜberwacher“undstellt in

diesemZusammenhangklar heraus:„Und ist es nicht der Direktor, der inmitten dieser

architektonischenAnlageeingeschlossenist, mit ihr auf Gedeihund Verderbverbunden?

Der unfähigeArzt, derdie Ansteckungnicht unterbundenhat,derungeschickteGefängnis-

oder Fabrikdirektor– sie werdendie erstenOpfer der Epidemieoder der Revolte sein“

(S.262/263).Ist es somit nicht quasi garantiert,dassdiese„Überwacher“ ihre Aufgabe

perfekt ausführen?!– was ja bedeutet,dass ihr eigenesHandeln durch den Apparat

strukturiertwird undnicht durchirgendeinePerson.Sobaldesdannaberum dasGefängnis

geht,postuliert„derselbe“Foucault:„Als gebändigteGesetzwidrigkeitist die Delinquenz

ein Agent im DienstederGesetzwidrigkeitderherrschendenGruppen“ (S.360).Liegt also

ein Widerspruchvor oder wie sind die beidenAussagenmiteinanderin Verbindungzu

bringen?

Zu guterletzt möchteich nocheineVerbindungzwischenmeineneinleitendenWortenund

demHauptteilherstellenund schließlichversuchen,FoucaultsBegriff der Machtnochein

wenig zu konkretisieren.Die eingangserwähnteTriade „Fähigkeiten-Kommunikation-

6 U.Raulf, S.135f.

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Macht“ scheintsich bei der Analyse von Machtverhältissentatsächlichals hilfreich zu

erweisen.Währendim Ancien Régimeder Machtkomponente(Einwirken auf Menschen

durch Menschen,Herrschaft,Zwangsmittel,Ungleichheit) ein eindeutigesÜbergewicht

beschiedenwar - ich erinnerean dengemartertenKörper -, kam dieses„Privileg“ in den

IdeenderReformerderKommunikationzu –mandenkeandie manipuliertenVorstellungen

der Seele.In den Disziplinargesellschaftenhandeltes sich hingegenum eine ausgefeilte

Mischung dieser drei: So besteht „in den Kloster- und Gefängnis-Disziplinen“ein

„Vorrang der Macht- und Gehorsamsverhältnisse“ 7, wohingegenin den Fabriken die

zielgerichteten Tätigkeiten und in den Ausbildungs-Disziplinen die

Kommunikationsbeziehungendominieren.DasMilitär vereinigtalle drei Elementein wohl

relativ gleicherGewichtung. Angenommen,wir stimmen

FoucaultsDarstellungder Strafsystemezu, so hat sich ebenfallsdeutlich gezeigt,dass

Gewalt und Konsens/Vertragzwar in bestimmtenMachtverhältnisseneine Rolle spielen,

keineswegsaberbei einerDefinition von Macht als ihre Spezifikaauftretenkönnen.Auf

diese Weise räumt Foucault mit bestehenden„Vorurteilen“, was denn unter Macht zu

verstehensei,auf.Und für diesesAufräumenmit einemverfehltenBegriffsverständnisgibt

es noch zahlreicheweitere Beispiele. Macht werde in unsererGesellschaftimmer als

negativbetrachtet:„Verwerfung,Ausschließung,Verweigerung,Versperrung,Verstellung

oderMaskierung“8 sinddie Komponenten,die wir mit ihr in Verbindungbringen.Dagegen

wirkt sie, wie ja ausführlichunter demStichwortDisziplinen obendargestellt,aberauch

positiv undproduktiv, will schließlichdie Kräfte steigern!Auch werdeMachtzu leicht und

zu exklusiv mit der Macht des Gesetzesin Verbindung gebracht – die neuen

Machtverfahren aber arbeiten „nicht mit dem Recht sondern mit der Technik […], nicht mit

dem Gesetz sondernmit der Normalisierung,nicht mit der Strafe sondern mit der

Kontrolle“9. Nicht - wie oft angenommen- liegt die Macht immer beim Staatund seinen

Apparaten;vielmehr kann sie auch weit darüberhinausgehen.Das heißt also: Die oben

dargestelltenStrafsystemesind lediglich Endformen einer Macht; einer Macht, die

Foucaultals „Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen“ 10 verstehenmöchte.Wie bereits in

„ÜberwachenundStrafen“(1976),sostellt Foucaultauchin seinemWerk „Sexualitätund

Wahrheit, I“ (1977) heraus,dassdie Macht eben nicht etwas ist, „was man erwirbt,

wegnimmt,teilt, wasmanbewahrtoderverliert; [vielmehrist die Machtetwas],wassichin

unzähligenPunktenausundim SpielungleicherundbeweglicherBeziehungenvollzieht“11.

Kommt es dabei zu bestimmtenKonstellationen,bei denen im Allgemeinen davon7 M.Foucault: Wie wird Macht ausgeübt?, S.338 M.Foucault, Sexualität und Wahrheit, S.1039 Op. cit., S.11110 Op. cit., S.113 / S.11811 Op. cit., S.115; vergleiche auch: “Überwachen und Strafen”, S.38f.

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gesprochenwird, dassjemandMachthabe,sohandleessichvor allemum die strategische

Codierung einer Menge von Machtpunkten. Diese strategischeCodierung könne aber

genausoauch auf Seiten der Widerstandspunktestattfinden,führe zur Revolution und

bewirke damit eine Umkehrungder Machtverhältnisse.Kein Wunderalso,dassFoucault

gelegentlich Macht mit Strategie gleichsetzt.

LITERATURVERZEICHNIS

DREYFUS, Hubert L. / RABINOW, Paul; Michel Foucault; Weinheim 1994; BeltzAthenäum Verlag

FOUCAULT, Michel; Sexualitätund Wahrheit,ErsterBand; Nördlingen1977; SuhrkampVerlag

FOUCAULT, Michel; Überwachen und Strafen; Frankfurt am Main 1994; Suhrkamp Verlag

FOUCAULT, Michel; Warum ich die Macht untersuche; Wie wird Macht ausgeübt? in: Das Spektrum der Genealogie; Bodenheim; Philo Verlagsgesellschaft

KLEINER, Marcus;Michel Foucault;Eine Einführungin seinDenken;Frankfurtam Main2001; Campus Verlag GmbH

MARTI, Urs; Michel Foucault; München 1988; Verlag C.H.Beck

RAULF, Ulrich; DasnormaleLeben,Michel FoucaultsTheorieder Normalisierungsmacht;Marburg/Lahn 1977

SCHÄFER, Thomas; Reflektierte Vernunft; Frankfurt am Main 1994; Suhrkamp Verlag

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SCHMID, Wilhelm; Auf derSuchenacheinerneuenLebenskunst;FrankfurtamMain 1991;Suhrkamp Verlag

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