FRANCIS R. NICOSIA - ifz- · PDF fileRepublik so prominente Antisemiten wie Wilhelm Stapel, Hans Blüher, Max Wundt

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  • FRANCIS R. NICOSIA

    EIN NTZLICHER FEIND

    Zionismus im nationalsozialistischen Deutschland 1933-1939*

    Zwischen der deutschen zionistischen Bewegung und dem nationalsozialistischen Staat bestanden in den dreiiger Jahren hchst komplizierte und heikle Beziehun-gen. Juden und Nationalsozialisten arbeiteten auf eine extrem widersprchliche Weise zusammen. Das war groenteils Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den jeweiligen Ideologien, aber es entsprach auch den Erfordernissen der jeweiligen politischen Zielsetzungen zwischen 1933 und 1939. Selbstverstndlich beruhte diese Zusammenarbeit allein auf Ntzlichkeitserwgungen: Der NS-Staat verfgte ber alle Macht, whrend die Juden eine leicht verwundbare Minderheit darstellten. Fr die Nationalsozialisten gab es keine guten Juden, wenngleich sie die Zionisten als ntzliche Juden betrachteten, deren politische Anschauungen und Ziele sie im Kon-text einer Politik, die die Juden in ihrer Gesamtheit isolieren, entrechten, demtigen und ausplndern sollte, sehr wohl zu nutzen verstanden. Es mu also nicht berra-schen, da hinsichtlich des Wesens und der Bedeutung dieser Beziehung wider-sprchliche und groenteils verzerrte Schlufolgerungen gezogen worden sind. Sie gehen so weit, eine Kollaboration zwischen den deutschen Zionisten und dem nationalsozialistischen Staat bei der Liquidierung der deutschen und spter der europischen Judenheit zu behaupten. Oder sie stellen die Zionisten mit den Natio-nalsozialisten auf eine Stufe und setzen den Anti-Zionismus mit dem Antisemitismus gleich1

    * Vor kurzem verffentlichte der Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See, unter dem Titel Hitler und der Zionismus. Das 3. Reich und die Palstina-Frage 1933-1939" eine bersetzung meines 1985 gleichzeitig in den USA und in Grobritannien erschienenen Buches The Third Reich and the Palestine Question" (University of Texas Press, Austin, bzw. I. B. Tauris, London). Ich distanziere mich hiermit in jeder Hinsicht von der deutschen Verffentlichung, die ohne mein Wissen und ohne meine Zustimmung aufgrund der Vergabe der bersetzungsrechte durch die Verleger der Original-ausgabe zustandegekommen ist. Weder in die bersetzung noch in die Vorbereitung der deutschen Ausgabe war ich eingeschaltet, und vergeblich habe ich versucht, die Publikation zu stoppen. Mir liegt daran festzustellen, da ich den Druffel-Verlag niemals gewhlt htte und die Entscheidung meiner amerikanischen und britischen Verleger sehr bedauere.

    ' Neuerdings wird in einigen Arbeiten die These vertreten, die Zusammenarbeit der Zionisten mit einem Regime, dessen erklrtes Ziel die Auslschung des europischen Judentums war, sei der zio-nistischen Ideologie inhrent oder zumindest in der Entwicklung des deutschen Zionismus angelegt gewesen, weshalb die Zionisten auf die eine oder andere Weise Mitverantwortung fr den Holo-

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    1. Rckblick ins 19. Jahrhundert

    Wenn die Geschichte dieser Beziehungen und damit auch diese Interpretationen einen klaren Anfangspunkt hatten, so lag er in der bereinstimmenden Weigerung von Zionisten und Antisemiten in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts, die Emanzipation und Assimilation der Juden als eine erstrebenswerte Lsung der jdi-schen Frage zu betrachten. In seinem Buch Der Judenstaat" verkndete Theodor Herzl eine fundamentale Voraussetzung des politischen Zionismus, die den zeitge-nssischen Antisemiten gefallen mute. Herzl erklrte den modernen Rassenantise-mitismus zur unvermeidlichen Folge der Emanzipation der Juden und ihrer Assimi-lation: Unser heutiger Antisemitismus darf nicht mit dem religisen Judenhasse frherer Zeiten verwechselt werden, wenn der Judenha auch in einzelnen Lndern noch jetzt eine konfessionelle Frbung hat. Der groe Zug der judenfeindlichen Bewegung ist heute ein anderer. In den Hauptlndern des Antisemitismus ist dieser eine Folge der Judenemanzipation." Indem Herzl Emanzipation und Assimilation als Hauptursachen des modernen Antisemitismus herausstellte, lehnte er sie als Lsung der jdischen Frage entschieden ab: Das Wundermittel der Assimilierung haben wir schon errtert. So ist dem Antisemitismus nicht beizukommen. Er kann nicht behoben werden, solange seine Grnde nicht behoben sind."2 Die einzige rea-listische Lsung, sowohl fr Juden wie fr Nicht-Juden, erblickte Herzl letztlich in der Aufhebung der Diaspora. Die Juden sollten sich als eine eigene Volksgemein-schaft" betrachten und mehrheitlich in einen unabhngigen jdischen Staat in Pal-stina oder andernorts auswandern: So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht, eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehrigkeit. Wir sind ein Volk. (...) Ja, wir haben die Kraft, einen Staat, und zwar einen Musterstaat zu bilden."3

    Im Europa des 19. Jahrhunderts teilten die Zionisten mit vielen Nationalisten und den Antisemiten die berzeugung von der vlkischen Unantastbarkeit und Eigen-stndigkeit der verschiedenen Vlkergemeinschaften und der Wnschbarkeit von Staaten auf vlkischer Grundlage. Herders grundstzliche Bemerkungen fanden all-gemeine Zustimmung: Der natrlichste Staat ist also auch ein Volk, mit einem Nationalcharakter. (...) Nichts scheint also dem Zweck der Regierungen so offen-bar entgegen als die wilde Vermischung der Menschengattungen und Nationen unter einem Zepter."4 Begriffe wie Nationalitt und Rasse waren auch fr die Zioni-

    caust trgen; vgl. Edwin Black, The Transfer Agreement. The Untold Story of the Secret Pact Be-tween the Third Reich and Jewish Palestine, New York 1984; Leni Brenner, Zionism in the Age of the Dictators, Westport 1983; so auch das unverffentlichte Stck Perdition" des britischen Dra-matikers James Alles.

    2 Theodor Herzl, Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lsung der Judenfrage, zit. nach: Wenn Ihr wollt, ist es kein Mrchen, hrsg. von Julius Schoeps, Knigstein 1985, S. 209.

    3 Ebenda, S. 211. 4 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: Herders Werke

    in fnf Bnden, Berlin und Weimar 51978, Bd. 4, S. 207.

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    sten Tatsachen, und eine nationale bzw. rassische Trennung erschien ihnen wn-schenswert, wenngleich die groe Mehrheit die zunehmend populrer werdenden sozialdarwinistischen Vorstellungen von hher- und minderwertigen Rassen ablehnte5.

    Zu den Grnden, weshalb der Zionismus in den letzten eineinhalb Jahrhunderten die Untersttzung auch von Nichtjuden fand, zhlen der idealistische, mit den jdi-schen Wnschen sympathisierende Gerechtigkeitssinn der Liberalen, die Herr-schaftsinteressen der Gromchte im Nahen Osten sowie der Antisemitismus natio-nalistischer und rassistischer Politiker und Ideologen. Die zionistische Ablehnung von Emanzipation und Assimilation und die Forderung nach einer jdischen Heim-sttte oder einem eigenen Staat in Palstina oder anderswo muten im 19. Jahrhun-dert unter deutschen Nationalisten und Antisemiten Anklang finden. Fichtes Aufruf an die Deutschen zu Anfang des Jahrhunderts, den deutschen Volksgeist" hochzu-halten und zu ehren, enthielt auch eine Warnung vor der Judenemanzipation und den Vorschlag, die Juden nach Palstina zurckzuschicken6. Viele seiner Schler und Anhnger vertraten spter hnliche Meinungen.

    Eugen Dhring beispielsweise schlug vor, das jdische Volk in einem Staat irgendwo auerhalb Europas zusammenzutreiben7. Heinrich von Treitschke - der schon immer der Meinung war, niemand knne gleichzeitig Deutscher und Jude sein - behauptete, eine solche doppelte Loyalitt habe in Deutschland keine Berech-tigung; wnschenswert sei die Emigration der Juden und die Schaffung einer Heim-sttte fr sie in Palstina oder andernorts8. Heinrich Cla vom Alldeutschen Ver-band verknpfte die Lsung der Judenfrage" mit einer deutschen Expansion nach Osteuropa; seine Idee war, die Juden nach Palstina zu schicken und die Polen und Russen weiter nach Osten zurckzudrngen9. Wilhelm Marr stellte fest, da die Juden kein eigenes Vaterland htten, und bedauerte, da sie berhaupt jemals ihrer biblischen Heimat Palstina entfremdet worden seien10. Der politische Theoretiker und Bismarck-Kritiker Konstantin Frantz trat dafr ein, die Juden aus Deutschland zu entfernen und sie nach Palstina zu schicken, und der Historiker Johannes Scherr argumentierte, die Juden htten ein Anrecht darauf, eine eigene Nation zu

    5 Vgl. George L. Mosse, Toward the Final Solution. A History of European Racism, New York 1978, S. 122 ff.

    6 Vgl. Walter Laqueur, A History of Zionism, New York 1972, S. 20; Isaiah Friedman, Germany, Tur-key and Zionism, 1897-1918, Oxford 1977, S. 6.

    7 Eugen Dhring, Die Judenfrage als Frage der Rassenschdlichkeit fr Existenz, Sitte und Kultur der Vlker, Berlin 41882, S. 127 f.; vgl. auch Robert Cecil, The Myth of the Master Race. Alfred Rosenberg and Nazi Ideology, London 1972, S. 72.

    8 Vgl. Hans Gnter Adler, Die Juden in Deutschland von der Aufklrung bis zum Nationalsozialis-mus, Mnchen 1960, S. 101 f.; Friedman, Germany, S. 10.

    9 Vgl. Axel Kuhn, Hitlers auenpolitisches Programm, Stuttgart 1970, S. 17; Paul Massing, Rehears-al for Destruction. A Study of Political Anti-Semitism in Imperial Germany, New York 1949, S. 246; Uwe Dietrich Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Dsseldorf 1972, S. 20 f.

    10 Wilhelm Marr, Der Sieg des Judentums ber das Germanenthum. Vom nicht confessionellen Stand-punkt aus betrachtet, Bern 1879, S. 14 ff.

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    bilden, sei es in Palstina oder anderswo. Auch Adolf Stoeckers Christlich-soziale Partei machte sich fr eine Rckkehr der deutschen Juden nach Palstina stark11.. Noch whrend des Ersten Weltkriegs bildeten prominente Juden und Nicht-Juden 1918 das erste deutsche Pro-Palstina Komitee", um die neue Politik der Regie-rung zu untersttzen, die ein jdisches Staatswesen in Palstina offiziell zu einem deutschen Kriegsziel erklrte. Das Komitee erfreute sich der U