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30 Bildung & Wissenschaft Staatsanzeiger · Freitag, 15. März 2013 · Nr. 10 462 Schulen in freier Trägerschaft Im Schuljahr 2012/2013 bestehen im Geschäftsbereich des Kultusministeri- ums nach vorläufigen Zahlen 4186 all- gemeinbildende Schulen – davon 462 in freier Trägerschaft. Auf die Schularten verteilt ergibt sich folgendes Bild: 2424 (102 freie) Grundschulen, 862 (44) Werkreal-/Hauptschulen, 427 (156) Sonderschulen, 429 (74) Realschulen, 378 (77) allgemeinbildende Gymna- sien, 41 (1) Gemeinschaftsschulen und 58 Freie Waldorfschulen. MEHR ZUM THEMA Projekte des ZNL zum Thema gelingendes Lernen: www.znl-ulm.de/Themen/Schule/ Faktoren-gelingenden-Lernens/ faktoren-gelingenden-lernens.html Kinder haben einen Drang weiterzukommen Sozialpädagogin nennt Faktoren, wie Lernen gelingt ULM. Das Transferzentrum für Neu- rowissenschaften und Lernen ( ZNL) in Ulm untersucht, wie Lernen ge- lingen kann. Sozialpädagogin Petra Evanschitzky sieht die Bildungs- landschaft in Baden-Württemberg im Wandel – nicht bloß mit Blick auf die Gemeinschaftsschule: „Ich habe allgemein den Eindruck, dass Denk- strukturen aufgebrochen werden.“ Ob dazu mehr freie Schulen nötig oder Veränderungen auch im öf- fentlichen Schulwesen umzusetzen seien, müsse abgewartet werden. Klar sei jedoch, dass effektives Lernen bestimmte Voraussetzun- gen verlange. Noten gehörten nicht dazu, sie seien kein adäquates Mit- tel, um Kindern Orientierung zu ge- ben. Zensuren seien sogar eher schädlich, weil sie häufig Abwertun- gen bedeuteten. Zu früh eingesetzt „unterminieren sie den Aufbau der Identität und des Selbstbewusst- seins“, so die Expertin. „Das Gehirn nimmt neue Infor- mationen auf und versucht, diese in bestehende Strukturen zu integrie- ren. Je besser die Verknüpfung, des- to nachhaltiger verankert sich das Wissen. Deshalb sollte vor allem in der Grundschule implizites Lernen – also nebenbei, im Tun – dominie- ren“, so Evanschitzky. Und: „Es soll- ten sich möglichst bald Erfolge ein- stellen, die zum Weitermachen mo- tivieren.“ Außerdem müssten die Themen eine persönliche Relevanz haben, dazu gehörten Lust am Tun und das Erkennen eines Sinns. Kin- der sollten fächerübergreifend an- gesprochen werden – denn genau so arbeite auch das Gehirn. „Sie er- schließen sich die Welt nicht über Schubladen, sondern wollen sie ganzheitlich erfassen und darin ei- gene Strukturen erkennen und ent- wickeln“, so Evanschitzky. Sorgen, ein zu offener Unterricht biete zu wenige Anregungen, wider- spricht sie: „Kinder haben einen na- türlichen Drang, weiterzukommen und sich Herausforderungen zu stellen.“ Stelle man genug Material zur Verfügung, das selbstständiges Lernen fördere und passende Lern- partner zur Seite, könne man nicht viel falsch machen. Dazu seien vor allem gemischte Gruppen – sowohl Alter als auch Leistungsstärke be- treffend – geeignet. Auch hier will Evanschitzky Ängste nehmen: „Es ist mittlerweile ausreichend nach- gewiesen, dass davon beide Seiten profitieren – und das nicht nur in Punkto sozialer Kompetenz, son- dern auch inhaltlich.“ Gruppiere man nach Leistungsfähigkeit, habe das für die Entwicklung nicht den er- hofften Effekt. (sab) Interview: Förderung „Diese zusätzlichen Lasten übersteigen die höheren Zuschüsse teilweise um ein Vielfaches“ Der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen im Land kritisiert geplante Änderungen Der Verband Deutscher Privatschu- len Baden-Württemberg (VDP) ver- tritt die Interessen von mehr als 300 Schulen in freier Trägerschaft. Der Geschäftsführer Jan Schlimgen äu- ßert sich zur aktuellen Situation. Staatsanzeiger: Wie stehen Sie dazu, dass sich freie Schulen drei Jahre lang „bewähren“ müssen, bevor das Land Zuschüsse zahlt? Jan Schlimgen: Generell halte ich eine solche Praxis für vertretbar. Dahinter steht ja der Gedanke, die Qualität zu gewährleisten und dazu muss das Konzept auch trag- fähig sein. Allerdings darf daraus kein Verhinderungsinstrument werden. Und die Gefahr sehen wir, weil es sehr schwer ist, den Zeit- raum allein zu überstehen. Wie ist das überhaupt möglich? Nur mit einem massiven Engage- ment der Initiatoren und Eltern und der Unterstützung von Spon- soren. Eine Finanzierung über Bankkredite ist eher schwierig. Wo liegt das Problem? Die Zuschüsse fließen ja auch nach Ablauf der drei Jahre nicht rückwirkend. Genau das ist aber eine unserer Forderungen. So hät- ten externe Kreditgeber eine grö- ßere Sicherheit. Die grün-rote Landesregierung gibt Privatschulen mehr Geld. Sind Sie zu- frieden? Natürlich ist es gut, dass die Zu- schüsse erhöht werden. Allerdings muss man sehen, dass gleichzeitig die Rahmenbedingungen verän- dert werden sollen. Dadurch rela- tiviert sich das wieder. Inwiefern? Freie Schulen bekommen ihre Zu- schüsse nach dem sogenannten Bruttokosten-Modell, man ver- gleicht also, was Schüler an öffent- lichen Schulen das Land kosten. Bestimmte Ausgaben wurden je- doch ausgeklammert, zum Bei- spiel für Gebäudesanierung, Ver- waltung oder Ganztagesbetreu- ung. Im Gegenzug mussten für be- urlaubte Beamte an Privatschulen keine Versorgungsleistungen er- bracht werden. Das soll jetzt geän- dert werden. Und das ist ein Problem? Ja, denn diese zusätzlichen Lasten übersteigen die höheren Zuschüs- se teilweise um ein Vielfaches. So besteht das Lehrpersonal an Gym- nasien häufig mehrheitlich aus be- urlaubten Beamten. Gleichzeitig wirkt sich an dieser Schulart die Steigerung auf 80 Prozent der Bruttokosten nur wenig aus, weil sie dort bereits vorher bei rund 77 Prozent lag – die Abgabe könnte also existenzbedrohend werden. Gibt es weiter Verhandlungsbedarf? Ja, künftig soll für den Schritt von der Genehmigung einer freien Schule zu deren Anerkennung ver- langt werden, dass zwei Drittel der Lehrer das zweite Staatsexamen besitzen. War das nicht bisher auch schon so? Die Verordnung gab es schon, ja. Sie wurde bisher jedoch nicht an- gewandt. Zudem qualifiziert das Land in staatlichen Schulen Sei- teneinsteiger nach – dieses Pro- gramm steht freien Schulen de facto nicht offen. Das Gespräch führte Sabine Rochlitz Jan Schlimgen, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen im Land In freien Schulen muss gerechnet werden: Das Geld ist knapp. FOTO: FREIE SCHULE CHRISTOPHINE Land gibt stufenweise mehr Geld STUTTGART. Die Landesregierung hatte schon im Koalitionsvertrag an- gekündigt, private Schulen stärker zu fördern – nun folgen Taten. Nach dem Bruttokostenmodell sollen „Schulen in freier Trägerschaft“, wie sie im Privatschulgesetz heißen, langfristig Zuschüsse von 80 Prozent der Kosten eines Schülers an einer öffentlichen Schule erhalten. „Eine Bereicherung“, nennt Kul- tusminister Andreas Stoch (SPD) die Einrichtungen, die die Bildungs- landschaft mit pädagogisch hoch- wertigen Alternativen ergänzen. Sie hätten viele Aspekte eingebracht, die auch in die Arbeit der öffentli- chen Schulen eingeflossen seien. In drei Stufen soll das Ziel erreicht werden. Bereits für 2012 wurden die Zuschüsse um 7,5 Millionen Euro er- höht, zum 1. August sollen weitere 6,7 Millionen folgen. Dann stehen rund 744 Millionen Euro zur Verfü- gung. Für alle Schularten werde da- durch ein Kostendeckungsgrad von mindestens 75,4 Prozent erreicht, bei den Gymnasien bleibe es bei 77,6, bei den Fachschulen für Sozial- pädagogik bei 78,6 Prozent. 2014 ist eine weitere Aufstockung um 22,7 Millionen Euro vorgesehen. 6,7 Millionen davon hängen jedoch am Abschluss einer Vereinbarung mit den Privatschulverbänden. Die- se sollen sich verpflichten, stärker darauf zu achten, dass die Höhe des Schulgelds nicht zu einer sozialen Auslese führt, die Qualität der Schu- len durch mehr Transparenz verbes- sern und eine angemessene Bezah- lung der Lehrkräfte sicherstellen. Knackpunkt dürfte der vierte Aspekt werden: eine schrittweise Beteili- gung an den Versorgungsabgaben für beamtete Lehrkräfte, die an Pri- vatschulen beurlaubt sind. (sab) MEHR ZUM THEMA Das Gesetz für Schulen in freier Trägerschaft finden Sie unter: www.landesrecht-bw.de/jportal/? quelle=jlink&query=PrSchulG+BW& psml=bsbawueprod.psml&max=true Finanzierung Für die Anlaufzeit gibt es rückwirkend keine Zuschüsse Martina Friedrich üben aber keinen Zwang aus, sondern ermuntern die Kinder unermüdlich zu eigenstän- digem Experimentieren und Erfor- schen. Auf jedes Kind, dessen Bega- bungen und Tempo, geht man indi- viduell ein, der jahrgangsübergrei- fende Unterricht verläuft offen. Die Zahl der Schüler entscheidet über die Höhe der Zuschüsse vom Land Gebundene Situationen ergeben sich, wenn eines der Kinder anderen etwas erklärt, oder mehrere in einer Lernkonferenz dasselbe Thema be- arbeiten. Die Schüler sprechen auch mehrmals am Tag über den Unter- richt – machen Vorschläge oder stel- len Ergebnisse der eigenen Arbeit vor – und entscheiden gemeinsam die Organisation des Schulalltags. Das begrüßt Petra Evanschitzky vom Transferzentrum für Neuro- wissenschaften und Lernen in Ulm: „So lernen die Kinder anschaulich die Strukturen der Demokratie ken- nen. Sie haben die Gelegenheit, sich selbst in unterschiedlichen Rollen zu erleben und ihr Potenzial auszu- loten“ (siehe Text unten links). Die Mühe der Schulgründer wurde schließlich belohnt: Im zweiten An- lauf gab das RP grünes Licht. Begann man 2009 mit fünf Kin- dern, besuchen mittlerweile 13 Erst- bis Viertklässler die reformpädago- gische Schule, die zu den kleinsten im Land gehört. Im vergangenen Schuljahr gab es laut Ministerium neun Grundschulen mit bis zu zehn Kindern und weitere 20 mit bis zu 20 Kindern. Die Zahl der Schüler ent- scheidet über die Höhe der Zuschüs- se. Pro Kopf zahlt das Land monat- lich rund 250 Euro – nicht üppig, wenn man weiß, dass das Schulgeld der Eltern auf 125 Euro im Monat be- grenzt ist. Kein Wunder, dass Oble- ser auf stetiges Wachstum setzt. Wer eine Privatschule gründen will, braucht Geduld, Durchhal- tevermögen und viel Engage- ment. Denn staatliche Zuschüsse gibt es erst nach drei Jahren. Die Freie Schule Christophine in Marbach ist mit 13 Grundschü- lern eine der kleinsten im Land. Von Sabine Rochlitz STUTTGART/MARBACH. Jeder kann in Deutschland eine Schule er- öffnen. Dieses Recht gewährleistet das Grundgesetz in Artikel sieben Absatz vier, aus dem sich die Pflicht des Staats zu finanzieller Unterstüt- zung ableitet. Jedoch muss sich eine Schule im Land in freier Träger- schaft drei Jahre bewähren, bevor sie öffentliche Mittel erhält. Es müsse gezeigt werden, dass die neue Einrichtung dauerhaft Be- stand haben wird, teilt das Kultus- ministerium mit. Die Regelung lasse Gründern „eine überschaubare und kalkulierbare Perspektive“. Sie ver- langt aber auch einen langen Atem, wenn die Initiatoren Privatpersonen sind, die ein gemeinsames Ziel, aber kein Vermögen verbindet – denn für die Anlaufzeit gibt es auch rückwir- kend kein Geld. Trägerverein gab zinslose Darlehen und sammelte Spenden Das kann Lorenz Obleser bestäti- gen, der 2009 den Betrieb der Freien Schule Christophine in Marbach aufnahm. Der Anfang war hart: Schulleiter Obleser und die Mitglie- der des Trägervereins gaben zinslo- se Darlehen und sammelten Spen- den. Denn nicht allein das Schul- haus kostet Miete, auch Lehrer gibt es nicht zum Nulltarif. Und schon vor dem Start gab es viel Arbeit: Ers- ten Überlegungen 2006 folgte im Fe- bruar 2007 die Vereinsgründung, im Januar 2008 wurde ein pädagogi- sches Konzept beim Regierungsprä- sidium (RP) vorgelegt. Ohne dessen Genehmigung darf in Ersatzschulen nicht unterrichtet werden. Rund 460 gibt es im Land – 102 da- von sind Grundschulen, für die die Hürden besonders hoch liegen. Grundsätzlich gilt für alle freien Schulen: Sie dürfen in ihren Lehrzie- len und Einrichtungen sowie der wissenschaftlichen Ausbildung ih- rer Lehrkräfte nicht hinter den öf- fentlichen Schulen zurückstehen, eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht fördern und müssen die Lehr- kräfte wirtschaftlich und rechtlich genügend absichern. Volks-, also auch Grundschulen, muss zudem „ein besonderes pädagogisches In- teresse“ bescheinigt werden. Das jedoch wurde der Schule in Marbach zunächst abgesprochen. Ihr Unterricht unterscheide sich nicht ausreichend von dem einer öf- fentlichen Schule, hieß es. Obleser und die Vereinsmitglieder reichten ein überarbeitetes 60-Seiten-Kon- zept ein, indem das Besondere der Christophine herausgestellt wurde: das selbstbestimmte Lernen. Die Sechs- bis Elfjährigen entscheiden jeden Tag, womit sie sich beschäfti- gen. Obleser legt großen Wert auf die Kulturtechniken Schreiben, Lesen und Rechnen. Er und die Lehrerin Freie Schulen Lernen im Garten: Die ersten Sonnenstrahlen haben Schüler der Freien Schule Christophine nach draußen gelockt. FOTO: FREIE SCHULE CHRISTOPHINE

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  • 30 Bildung & Wissenschaft Staatsanzeiger · Freitag, 15. März 2013 · Nr. 10

    462 Schulen in freier Trägerschaft

    Im Schuljahr 2012/2013 bestehen imGeschäftsbereich des Kultusministeri-ums nach vorläufigen Zahlen 4186 all-gemeinbildende Schulen – davon 462in freier Trägerschaft. Auf die Schulartenverteilt ergibt sich folgendes Bild: 2424

    (102 freie) Grundschulen, 862 (44)Werkreal-/Hauptschulen, 427 (156)Sonderschulen, 429 (74) Realschulen,378 (77) allgemeinbildende Gymna-sien, 41 (1) Gemeinschaftsschulen und58 Freie Waldorfschulen.

    MEHR ZUM THEMAProjekte des ZNL zum Themagelingendes Lernen:www.znl-ulm.de/Themen/Schule/Faktoren-gelingenden-Lernens/faktoren-gelingenden-lernens.html

    Kinder haben einenDrang weiterzukommenSozialpädagogin nennt Faktoren, wie Lernen gelingt

    ULM. Das Transferzentrum für Neu-rowissenschaften und Lernen ( ZNL)in Ulm untersucht, wie Lernen ge-lingen kann. Sozialpädagogin PetraEvanschitzky sieht die Bildungs-landschaft in Baden-Württembergim Wandel – nicht bloß mit Blick aufdie Gemeinschaftsschule: „Ich habeallgemein den Eindruck, dass Denk-strukturen aufgebrochen werden.“Ob dazu mehr freie Schulen nötigoder Veränderungen auch im öf-fentlichen Schulwesen umzusetzenseien, müsse abgewartet werden.

    Klar sei jedoch, dass effektivesLernen bestimmte Voraussetzun-gen verlange. Noten gehörten nichtdazu, sie seien kein adäquates Mit-tel, um Kindern Orientierung zu ge-ben. Zensuren seien sogar eherschädlich, weil sie häufig Abwertun-gen bedeuteten. Zu früh eingesetzt„unterminieren sie den Aufbau derIdentität und des Selbstbewusst-seins“, so die Expertin.

    „Das Gehirn nimmt neue Infor-mationen auf und versucht, diese inbestehende Strukturen zu integrie-ren. Je besser die Verknüpfung, des-to nachhaltiger verankert sich dasWissen. Deshalb sollte vor allem inder Grundschule implizites Lernen –also nebenbei, im Tun – dominie-ren“, so Evanschitzky. Und: „Es soll-ten sich möglichst bald Erfolge ein-stellen, die zum Weitermachen mo-tivieren.“ Außerdem müssten dieThemen eine persönliche Relevanzhaben, dazu gehörten Lust am Tun

    und das Erkennen eines Sinns. Kin-der sollten fächerübergreifend an-gesprochen werden – denn genau soarbeite auch das Gehirn. „Sie er-schließen sich die Welt nicht überSchubladen, sondern wollen sieganzheitlich erfassen und darin ei-gene Strukturen erkennen und ent-wickeln“, so Evanschitzky.

    Sorgen, ein zu offener Unterrichtbiete zu wenige Anregungen, wider-spricht sie: „Kinder haben einen na-türlichen Drang, weiterzukommenund sich Herausforderungen zustellen.“ Stelle man genug Materialzur Verfügung, das selbstständigesLernen fördere und passende Lern-partner zur Seite, könne man nichtviel falsch machen. Dazu seien vorallem gemischte Gruppen – sowohlAlter als auch Leistungsstärke be-treffend – geeignet. Auch hier willEvanschitzky Ängste nehmen: „Esist mittlerweile ausreichend nach-gewiesen, dass davon beide Seitenprofitieren – und das nicht nur inPunkto sozialer Kompetenz, son-dern auch inhaltlich.“ Gruppiereman nach Leistungsfähigkeit, habedas für die Entwicklung nicht den er-hofften Effekt. (sab)

    Interview: Förderung

    „Diese zusätzlichen Lasten übersteigen die höherenZuschüsse teilweise um ein Vielfaches“Der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen im Land kritisiert geplante Änderungen

    Der Verband Deutscher Privatschu-len Baden-Württemberg (VDP) ver-tritt die Interessen von mehr als 300Schulen in freier Trägerschaft. DerGeschäftsführer Jan Schlimgen äu-ßert sich zur aktuellen Situation.

    Staatsanzeiger: Wie stehen Sie dazu,dass sich freie Schulen drei Jahre lang„bewähren“ müssen, bevor das LandZuschüsse zahlt?

    Jan Schlimgen: Generell halte icheine solche Praxis für vertretbar.Dahinter steht ja der Gedanke, dieQualität zu gewährleisten unddazu muss das Konzept auch trag-fähig sein. Allerdings darf darauskein Verhinderungsinstrumentwerden. Und die Gefahr sehen wir,weil es sehr schwer ist, den Zeit-raum allein zu überstehen.

    Wie ist das überhaupt möglich?Nur mit einem massiven Engage-ment der Initiatoren und Elternund der Unterstützung von Spon-soren. Eine Finanzierung überBankkredite ist eher schwierig.

    Wo liegt das Problem?Die Zuschüsse fließen ja auchnach Ablauf der drei Jahre nichtrückwirkend. Genau das ist abereine unserer Forderungen. So hät-ten externe Kreditgeber eine grö-ßere Sicherheit.

    Die grün-rote Landesregierung gibtPrivatschulen mehr Geld. Sind Sie zu-frieden?

    Natürlich ist es gut, dass die Zu-

    schüsse erhöht werden. Allerdingsmuss man sehen, dass gleichzeitigdie Rahmenbedingungen verän-dert werden sollen. Dadurch rela-tiviert sich das wieder.

    Inwiefern?Freie Schulen bekommen ihre Zu-schüsse nach dem sogenanntenBruttokosten-Modell, man ver-gleicht also, was Schüler an öffent-lichen Schulen das Land kosten.Bestimmte Ausgaben wurden je-doch ausgeklammert, zum Bei-spiel für Gebäudesanierung, Ver-waltung oder Ganztagesbetreu-ung. Im Gegenzug mussten für be-urlaubte Beamte an Privatschulenkeine Versorgungsleistungen er-

    bracht werden. Das soll jetzt geän-dert werden.

    Und das ist ein Problem?Ja, denn diese zusätzlichen Lastenübersteigen die höheren Zuschüs-se teilweise um ein Vielfaches. Sobesteht das Lehrpersonal an Gym-nasien häufig mehrheitlich aus be-urlaubten Beamten. Gleichzeitigwirkt sich an dieser Schulart dieSteigerung auf 80 Prozent derBruttokosten nur wenig aus, weilsie dort bereits vorher bei rund 77Prozent lag – die Abgabe könntealso existenzbedrohend werden.

    Gibt es weiter Verhandlungsbedarf?Ja, künftig soll für den Schritt vonder Genehmigung einer freienSchule zu deren Anerkennung ver-langt werden, dass zwei Drittel derLehrer das zweite Staatsexamenbesitzen.

    War das nicht bisher auch schon so?Die Verordnung gab es schon, ja.Sie wurde bisher jedoch nicht an-gewandt. Zudem qualifiziert dasLand in staatlichen Schulen Sei-teneinsteiger nach – dieses Pro-gramm steht freien Schulen defacto nicht offen.

    Das Gespräch führteSabine Rochlitz

    Jan Schlimgen,Geschäftsführer des VerbandsDeutscher Privatschulen im Land

    In freien Schulen muss gerechnet werden: Das Geld ist knapp. FOTO: FREIE SCHULE CHRISTOPHINE

    Land gibtstufenweisemehr GeldSTUTTGART. Die Landesregierunghatte schon im Koalitionsvertrag an-gekündigt, private Schulen stärkerzu fördern – nun folgen Taten. Nachdem Bruttokostenmodell sollen„Schulen in freier Trägerschaft“, wiesie im Privatschulgesetz heißen,langfristig Zuschüsse von 80 Prozentder Kosten eines Schülers an eineröffentlichen Schule erhalten.

    „Eine Bereicherung“, nennt Kul-tusminister Andreas Stoch (SPD) dieEinrichtungen, die die Bildungs-landschaft mit pädagogisch hoch-wertigen Alternativen ergänzen. Siehätten viele Aspekte eingebracht,die auch in die Arbeit der öffentli-chen Schulen eingeflossen seien.

    In drei Stufen soll das Ziel erreichtwerden. Bereits für 2012 wurden dieZuschüsse um 7,5 Millionen Euro er-höht, zum 1. August sollen weitere6,7 Millionen folgen. Dann stehenrund 744 Millionen Euro zur Verfü-gung. Für alle Schularten werde da-durch ein Kostendeckungsgrad vonmindestens 75,4 Prozent erreicht,bei den Gymnasien bleibe es bei77,6, bei den Fachschulen für Sozial-pädagogik bei 78,6 Prozent.

    2014 ist eine weitere Aufstockungum 22,7 Millionen Euro vorgesehen.6,7 Millionen davon hängen jedocham Abschluss einer Vereinbarungmit den Privatschulverbänden. Die-se sollen sich verpflichten, stärkerdarauf zu achten, dass die Höhe desSchulgelds nicht zu einer sozialenAuslese führt, die Qualität der Schu-len durch mehr Transparenz verbes-sern und eine angemessene Bezah-lung der Lehrkräfte sicherstellen.Knackpunkt dürfte der vierte Aspektwerden: eine schrittweise Beteili-gung an den Versorgungsabgabenfür beamtete Lehrkräfte, die an Pri-vatschulen beurlaubt sind. (sab)

    MEHR ZUM THEMADas Gesetz für Schulen in freier Trägerschaftfinden Sie unter:www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&query=PrSchulG+BW&psml=bsbawueprod.psml&max=true

    Finanzierung Für die Anlaufzeit gibt esrückwirkend keine Zuschüsse

    Martina Friedrich üben aber keinenZwang aus, sondern ermuntern dieKinder unermüdlich zu eigenstän-digem Experimentieren und Erfor-schen. Auf jedes Kind, dessen Bega-bungen und Tempo, geht man indi-viduell ein, der jahrgangsübergrei-fende Unterricht verläuft offen.

    Die Zahl der Schüler entscheidet überdie Höhe der Zuschüsse vom Land

    Gebundene Situationen ergebensich, wenn eines der Kinder anderenetwas erklärt, oder mehrere in einerLernkonferenz dasselbe Thema be-arbeiten. Die Schüler sprechen auchmehrmals am Tag über den Unter-richt – machen Vorschläge oder stel-len Ergebnisse der eigenen Arbeitvor – und entscheiden gemeinsamdie Organisation des Schulalltags.

    Das begrüßt Petra Evanschitzkyvom Transferzentrum für Neuro-wissenschaften und Lernen in Ulm:„So lernen die Kinder anschaulichdie Strukturen der Demokratie ken-nen. Sie haben die Gelegenheit, sichselbst in unterschiedlichen Rollenzu erleben und ihr Potenzial auszu-loten“ (siehe Text unten links). DieMühe der Schulgründer wurdeschließlich belohnt: Im zweiten An-lauf gab das RP grünes Licht.

    Begann man 2009 mit fünf Kin-dern, besuchen mittlerweile 13 Erst-bis Viertklässler die reformpädago-gische Schule, die zu den kleinstenim Land gehört. Im vergangenenSchuljahr gab es laut Ministeriumneun Grundschulen mit bis zu zehnKindern und weitere 20 mit bis zu 20Kindern. Die Zahl der Schüler ent-scheidet über die Höhe der Zuschüs-se. Pro Kopf zahlt das Land monat-lich rund 250 Euro – nicht üppig,wenn man weiß, dass das Schulgeldder Eltern auf 125 Euro im Monat be-grenzt ist. Kein Wunder, dass Oble-ser auf stetiges Wachstum setzt.

    Wer eine Privatschule gründenwill, braucht Geduld, Durchhal-tevermögen und viel Engage-ment. Denn staatliche Zuschüssegibt es erst nach drei Jahren. DieFreie Schule Christophine inMarbach ist mit 13 Grundschü-lern eine der kleinsten im Land.

    Von Sabine Rochlitz

    STUTTGART/MARBACH. Jederkann in Deutschland eine Schule er-öffnen. Dieses Recht gewährleistetdas Grundgesetz in Artikel siebenAbsatz vier, aus dem sich die Pflichtdes Staats zu finanzieller Unterstüt-zung ableitet. Jedoch muss sich eineSchule im Land in freier Träger-schaft drei Jahre bewähren, bevorsie öffentliche Mittel erhält.

    Es müsse gezeigt werden, dass dieneue Einrichtung dauerhaft Be-stand haben wird, teilt das Kultus-ministerium mit. Die Regelung lasseGründern „eine überschaubare undkalkulierbare Perspektive“. Sie ver-langt aber auch einen langen Atem,wenn die Initiatoren Privatpersonensind, die ein gemeinsames Ziel, aberkein Vermögen verbindet – denn fürdie Anlaufzeit gibt es auch rückwir-kend kein Geld.

    Trägerverein gab zinslose Darlehenund sammelte Spenden

    Das kann Lorenz Obleser bestäti-gen, der 2009 den Betrieb der FreienSchule Christophine in Marbachaufnahm. Der Anfang war hart:Schulleiter Obleser und die Mitglie-der des Trägervereins gaben zinslo-se Darlehen und sammelten Spen-den. Denn nicht allein das Schul-haus kostet Miete, auch Lehrer gibtes nicht zum Nulltarif. Und schonvor dem Start gab es viel Arbeit: Ers-

    ten Überlegungen 2006 folgte im Fe-bruar 2007 die Vereinsgründung, imJanuar 2008 wurde ein pädagogi-sches Konzept beim Regierungsprä-sidium (RP) vorgelegt. Ohne dessenGenehmigung darf in Ersatzschulennicht unterrichtet werden.

    Rund 460 gibt es im Land – 102 da-von sind Grundschulen, für die die

    Hürden besonders hoch liegen.Grundsätzlich gilt für alle freienSchulen: Sie dürfen in ihren Lehrzie-len und Einrichtungen sowie derwissenschaftlichen Ausbildung ih-rer Lehrkräfte nicht hinter den öf-fentlichen Schulen zurückstehen,eine Sonderung der Schüler nachden Besitzverhältnissen der Eltern

    nicht fördern und müssen die Lehr-kräfte wirtschaftlich und rechtlichgenügend absichern. Volks-, alsoauch Grundschulen, muss zudem„ein besonderes pädagogisches In-teresse“ bescheinigt werden.

    Das jedoch wurde der Schule inMarbach zunächst abgesprochen.Ihr Unterricht unterscheide sichnicht ausreichend von dem einer öf-fentlichen Schule, hieß es. Obleserund die Vereinsmitglieder reichtenein überarbeitetes 60-Seiten-Kon-zept ein, indem das Besondere derChristophine herausgestellt wurde:das selbstbestimmte Lernen. DieSechs- bis Elfjährigen entscheidenjeden Tag, womit sie sich beschäfti-gen. Obleser legt großen Wert auf dieKulturtechniken Schreiben, Lesenund Rechnen. Er und die Lehrerin

    Freie Schulen

    Lernen im Garten: Die ersten Sonnenstrahlen haben Schüler der Freien Schule Christophine nach draußen gelockt. FOTO: FREIE SCHULE CHRISTOPHINE