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Zu Friedrich Georg Jüngers "Perfektion der Technik"
Friedrich Georg Jünger veröffentlichte 1946 einen technikkritischen Essay
mit dem Titel "Die Perfektion der Technik"1, dessen Entstehungsgeschichte
sich bis in die Anfänge des Zweiten Weltkrieges zurückverfolgen lässt. Ob-
wohl dieses Werk - wie auch die anderen Schriften Friedrich Georg Jüngers -
nie den Bekanntheitsgrad der zum Teil populären Werke Ernst Jüngers er-
reicht hat, enthält dieses Buch hellsichtige Diagnosen und Prognosen, die
denen von Ernst Jüngers "Der Arbeiter" (1932) vergleichbar sind.
Im Laufe seiner Untersuchung der neuzeitlichen Technik kommt Friedrich Ge-
org Jünger zu folgenden Ergebnissen: Nach seiner Ansicht heften sich an den
Vorgang der Technisierung mehrere Illusionen, die die Technik bei genauerer
Betrachtung kaum erfüllen kann.
Die erste Illusion ist die, daß durch die Technik dem Menschen Arbeit abge-
nommen wird, der Mensch durch die Technik an freier Zeit und Muße gewinnt.
Abgesehen davon, daß nur wenigen Menschen ein würdiger Umgang mit ihrer
freien Zeit gelingen kann, da die positiv genutzte Muße einen Zustand höhe-
rer Geistigkeit voraussetzt, der durchschnittliche Mensch also zu verkommen
droht, wenn ihm die berufliche Tätigkeit weggenommen wird, erfordert die
sich über den ganzen Globus erstreckende technische Organisation insgesamt,
trotz der Erleichterungen durch die zunehmende Zahl an Maschinen, ein
durchaus hohes Arbeitsquantum, so daß also von einer Abnahme des Gesamt-
arbeitsaufkommens nicht die Rede sein kann.
Eine weitere Illusion, die sich an den technischen Fortschritt knüpft, ist
die Vorstellung, daß die Technik Reichtum schafft.
Durch Steigerung der Produktion und der Arbeitsleistung kann aber dort kein
Reichtum erzeugt werden, wo beide - erhöhte Produktivität und Arbeitsleis-
tung - die Folge eines Mangels sind, der nach Abhilfe drängt, wo sie einen
gesteigerten Konsum voraussetzen. Jeder Akt der Rationalisierung - und die
zunehmende Rationalisierung ist die Grundbewegung des technischen Gesamt-
prozesses - ist somit die Folge eines Mangels.
Der Aufbau und die Durchbildung des technischen Apparats sind nicht nur das
Ergebnis eines Machtstrebens, der sich in der Technik artikuliert, sie sind
1 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, Frankfurt am Main 1946. Friedrich Georg Jünger hat in den späteren Auflagen seine zweite technikkritische Schrift "Maschine und Eigentum" in "Die Perfektion der Technik" eingegliedert und um einen Anhang mit dem Titel "Die Weltkriege" erweitert; siehe: Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, vierte, durchgesehene und stark vermehrte Auflage, Frankfurt am Main 1953; ich zitiere im folgenden nach der Ausgabe von 1953.
1
zugleich die Folge einer Notlage. Deshalb ist die der Technik zugeordnete
menschliche Lage der Pauperismus. Dieser ist durch keine technische An-
strengung zu überwinden.
Der technische Gesamtprozess, der scheinbar Reichtum schafft, die rastlose
Produktion zum Prinzip erhebt, beruht letztendlich auf der umfassenden Aus-
beutung der Fülle des natürlich vorhandenen unorganisierten Reichtumes, der
mittels einer scharfen
Zweckrationalität in die technische Organisation überführt wird, die wie-
derum eine Verteilung der Armut bewirkt. Im Gegensatz zur Natur spendet die
Technik nichts, sondern sie organisiert den Bedarf. Die Technik erzeugt
keine Reichtümer: Durch ihre Vermittlung aber werden dem Menschen Reichtü-
mer zugeführt und dem Verbrauch erschlossen. Der technische Prozess beruht
auf einem umfassenden Raubbau, wie ihn die Erdgeschichte bisher nicht ge-
kannt hat. Nur dieser Raubbau ermöglicht die technische Organisation und
läßt sie zur Entfaltung kommen. Die Bohrlöcher, Schächte und Abräumhalden,
durch die der Techniker den Bodenschätzen beizukommen sucht, sind das Si-
gnum der technischen Epoche. Dieser radikale Abbau von Bodenschätzen kann
nicht
"Wirtschaft" genannt werden, so rational der Abbau auch betrieben werden
mag. Vielmehr hat die strenge Rationalität der technischen Arbeitsverfahren
ein Denken zur Voraussetzung, dem an einer Erhaltung und Schonung der Sub-
stanz nichts gelegen ist. Die Folge der Technisierung der Lebenswelt ist
ein allgemeiner Schwund traditioneller Lebensformen und ein Schwund des un-
organisierten Reichtums der Natur. An dessen Stelle breitet sich die steri-
le technische Zivilisation aus. Die verselbstständigte technische Ratio, so
die Grunddiagnose, ist bei genauer Betrachtung eine Mißachtung der Ratio.
Der Mensch, selbst Bestandteil der Natur, bleibt von diesem planetarischen
Ausbeutungs- und Instrumentalisierungsprozess nicht unberührt: Die um-
fassenden Verwüstungen durch die Technik greifen auf den Menschen selbst
über, da er selbst der Natur angehört, die er für seine Zwecke verbraucht.
Daher verwüstet und erniedrigt sich der Mensch im Rahmen dieses Prozesses
selbst.
Der Vorgang der Technisierung beruht auf einer rastlosen Dynamisierung und
zunehmenden Rationalisierung aller Vorgänge. Exakte Zeitmessverfahren und
der Einsatz des Räderwerks bestimmen das Bild der neuzeitlichen Wissen-
schaft und Technik. Von dieser Bewegung wird auch der Mensch ergriffen:
Zeitknappheit und der Einsatz des Menschen als "Rädchen" in der Arbeitsor-
ganisation sind die Folgen. Die Arbeit selbst unterliegt dem Prozess der
Rationalisierung. Spezialisierung, Arbeitsteilung und Funktionalisierung
2
dringen in die Arbeitswelt ein. Der Prozess der universellen Arbeitsteilung
und Mechanisierung, der Taylorisierung, hat eine zunehmende Entfremdung und
Abhängigkeit von der Apparatur zur Folge, der Mensch wird in seiner Frei-
heit eingeschränkt, die Lehre von den mechanischen Funktionen dringt immer
weiter vor und damit auch die Überzeugung von einer mechanischen Not-
wendigkeit, der auch der Mensch unterworfen ist. Funktionalismus und in-
strumentelles Denken reduzieren den Menschen auf ein willenloses Funk-
tionieren und instrumentalisieren ihn.
Die Heiterkeit weicht aus der Arbeit und den Vergnügungen des in tech-
nischer Organisation lebenden Menschen, er wirkt überanstrengt und verfügt
über keine Muße. Die Vergnügungen verfallen zunehmends der Technik, Rund-
funk und Lichtspiel bieten mechanische Entspannung, die der Anspannung
durch die mechanische Arbeit entspricht. Apparatur und Organisation regeln
den Bedarf, Trost und Geborgenheit können sie allerdings nicht vermitteln.
Die Leere ist Bestandteil der technischen Welt, daher dringt ein "horror
vacui" in das Bewußtsein des Menschen ein, als Depression, Langeweile,
Sinnentleerung, als Unruhe und Gefühl des mechanischen Gehetztseins.
Die Zunahme technischer Apparatur geht mit dem Ausbau der Organisation Hand
in Hand, Maschinenwesen und Bürokratismus bedingen und befördern sich ge-
genseitig. Das unorganisierte Leben wird von der fortschreitenden Technik
und Organisation zunehmend ver-schlungen.
Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters ist zweitrangig, vielmehr ist er
vor allem von der technischen Organisation, der Fabrikmechanik abhängig.
Selbst wenn der Arbeiter genug Kraft zeigte, sich vom Kapitalismus zu be-
freien, würde es ihm nicht gelingen, die Rationalität der Technik zu meis-
tern, er bliebe an Apparatur und Organisation gebunden.
Die Art, wie die Technik den organisatorischen Zugriff auf den Menschen
leistet, erfolgt nach dem Modell des elektrischen Schaltkreises. Ob als
Empfänger von Strom, Wasser, Rundfunk oder Telephon, überall wird der
Mensch von Zentralen abhängig. Die Technik hat kollektivistischen Charak-
ter. Der technische Fortschritt befördert die Bildung von Massen, die einer
erhöhten Mobilität unterliegen und die für die Macht vulgarisierter Glau-
bens- und Wissensformen, für Ideologien zugänglich sind. Apparatur, Massen-
bildung, Mobilisierung und Ideologisierung stehen in engem Zusammenhang.
Der Prozess der allgemeinen Vernutzung ergreift auch die Geld- und Sachwer-
te, das Eigentum, das in seinem Beständigkeitswert geschädigt wird. Die
Wissenschaft tritt in den Dienst der Technik, ebenso wie die Universitäts-
und Schulorganisation.
Auch der Staat wird vom Vorgang der allgemeinen Technisierung erfasst und
3
erhält dadurch einen beträchtlichen Machtzuwachs, allerdings schiebt die
Technik im Gegenzuge den kausalen Mechanismus immer tiefer in den Staat
hinein, die mechanischen Determinationen verändern den Charakter des Staa-
tes grundlegend, von denen der Mensch zunehmend ergriffen wird. Im tech-
nisch beherrschten Staate wird der Mensch verwaltet, bewirtschaftet und
verwertet, einem weitreichenden mechanischen Zwang unterworfen.
Die Natur wird durch den Vorgang der Rationalisierung und Technisierung in
Dienst gestellt, doch die Nutzung der elementaren Kräfte der Natur hat ih-
ren Preis: Die zerstörerische Kraft der mechanisch eingebundenen Natur er-
weist sich sowohl im Betriebsunfall als und vor allem im Krieg, in dem die
scheinbar gebändigten Elementarkräfte zur unheimlichen Bedrohung werden.
Der totale Krieg der Moderne setzt die technische Organisation voraus. Er
ist ein Krieg, der jede Grenze in den Mitteln und Zwecken verneint und eine
totale Mobilmachung aller Kräfte, den totalen Verzehr aller Reserven mit-
einschließt und zur totalen Vernichtung führt.
So muß nach Ansicht Friedrich Georg Jüngers die Macht, die die Technik dem
Menschen anbietet, teuer bezahlt werden. Sie wird bezahlt durch den Stumpf-
sinn des Arbeits- und Erwerbslebens, mit dem Arbeitsautomatismus, von dem
der Arbeiter abhängig wird. Sie wird bezahlt durch die Verödung des geisti-
gen Lebens, mit einer umfassenden Nivellierung, die überall um sich greift,
wo die Mechanik erweitert wird. Wer mit dem Zustand der technischen Perfek-
tion Harmonievorstellungen, Vorstellungen von Frieden, Wohlstand und Glück
verbindet, der tut, nach Ansicht Friedrich Georg Jüngers, gut daran, diese
fahren zu lassen. Vielmehr deutet sich als Endzustand der technischen Orga-
nisation deren Perfektion in dem Sinne an, daß in ihr auf umfassendste und
intensivste Weise Raubbau betrieben wird, ein Raubbau, der planetarisch or-
ganisiert und in der rationalsten Weise ausgeübt wird. Nicht der Anfang -
so das von Friedrich Georg Jünger mehrmals wiederholte Motto -, sondern das
Ende trägt die Last. Der Zustand der Perfektion der Technik wird sich durch
eine totale Verlustwirtschaft auszeichnen, die sich auch auf den in techni-
scher Organisation lebenden Menschen selbst erstreckt. Die Aufwendungen,
die die Technik verlangt, werden einen Umfang annehmen, unter deren Last
der Mensch zusammenbricht.
Eine Lösung des Problems ist erst dann in Sicht, wenn der Mensch die Tech-
nik als ein riesenhaftes Tretrad erkennt, in dem er sich fruchtlos abmüht,
als einen Arbeitsgang, der umso sinnloser wird, je mehr er zweckmäßig, um-
fassend und allgemein wird. Die Subordination der technischen Mittel setzt
ein neues Denken voraus, das gefeit gegen die Illusionen ist, mit denen der
technische Fortschritt arbeitet, ein Denken, das mit den Methoden der Aus-
4
beutung ein Ende macht. Die Erde - so schließt das Werk -bedarf des Men-
schen als eines Pflegers und Hirten. Der Mensch muß wieder lernen, sie wie
eine Mutter zu behandeln. Dann wird er auf ihr gedeihen.
Überblickt man die Fülle der Ergebnisse, die Friedrich Georg Jünger im Rah-
men seiner Untersuchung erarbeitet, könnte man an einigen von ihnen sicher-
lich berechtigte Kritik üben: So scheint die Behauptung Friedrich Georg
Jüngers, daß die Technik dem Menschen nur scheinbar Arbeit abnimmt und die
technische Organisation insgesamt ein durchaus hohes Arbeitsquantum ver-
langt, mittlerweile widerlegt. Tatsächlich hat der technische Gesamtprozess
zumindest in den Ländern der Ersten Welt zu einer deutlichen Verringerung
der Arbeitszeiten geführt, mehr noch: mittlerweile besteht die Gefahr, daß
die zunehmende Automation einen Großteil der vorhandenen Arbeitsplätze be-
seitigt.
Widerlegt scheint ebenfalls die Behauptung, daß die Technik nur scheinbar
Reichtum schafft. Die Industrialisierung hat in den Ländern der Ersten Welt
dazu geführt, daß die Mittelschichten und selbst die Unterschichten mitt-
lerweile über einen Lebensstandard verfügen, der in früheren Zeiten undenk-
bar gewesen wäre, abgesehen davon, daß die Technik eine Fülle von Produkten
geschaffen hat, die sowohl der Steigerung des Komforts als auch der Erwei-
terung der Erlebnismöglichkeiten insgesamt dienen. Man darf also bezwei-
feln, ob die der Technik zugeordnete menschliche Lage tatsächlich der Pau-
perismus ist, selbst dann, wenn man die Zustände in der Dritten Welt in Zu-
sammenhang mit dem beträchtlichen Reichtum in der Ersten Welt sehen will.
Einige Ergebnisse von Friedrich Georg Jüngers Untersuchung haben sich al-
lerdings mittlerweile auf beängstigende Art und Weise bestätigt: Sicherlich
richtig ist die Behauptung, daß die heutige Technik auf der umfassenden
Ausbeutung der Fülle des natürlich vorhandenen unorganisierten Reichtumes
beruht, der mittels
zweckrationaler Verfahren in die technische Organisation überführt wird.
Die rationale Verwaltung der natürlichen Reichtümer wird immer dann zu ei-
ner Mißachtung einer der Stellung des Menschen in der Natur angemessen Ra-
tio, wenn die Ausbeutung der Reserven einen Umfang annimmt, die zu umfas-
senden Störungen des natürlichen Gleichgewichts führt und die Lebensgrund-
lagen des Menschen auf dem Planeten gefährdet. Dies scheint tatsächlich in
beängstigendem Maße zu geschehen. Ob Öl, Gas, Kohle, Uran, Metalle, Wälder,
Nutzflächen, Wasser: Der Verbrauch natürlich vorkommender Ressourcen ist
seit Beginn der Neuzeit konstant gestiegen und führt zu Verwüstungen, die
mittlerweile nicht nur von vereinzelten ökologisch motivierten Mahnern,
sondern aufgrund der aufklärenden Tätigkeit von Umweltschutzgruppen und
5
ökologisch argumentierenden politischen Gruppierungen mittlerweile in das
allgemeine öffentliche Bewußtsein und in die Publizistik vorgedrungen
sind2(Hrsg.), Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhun-
dert, München 1987 .
Zutreffend ist auch die Feststellung Friedrich Georg Jüngers, daß die tech-
nische Organisation umfassende Auswirkungen auf den Menschen selbst ausübt
und in alle Bereiche des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens ein-
dringt: Auch wenn man die Dinge nicht so pessimistisch beurteilt wie Fried-
rich Georg Jünger und nicht von einer umfassenden Instrumentalisierung,
Funktionalisierung und Nivellierung des Menschen in der modernen, technisch
beherrschten Gesellschaft ausgeht, kann nicht bestritten werden, daß das
Bewußtsein und Verhaltensnormen des Menschen seit der Industrialisierung
einem erheblichen Wandel ausgesetzt worden sind. So hat schon Max Weber im
Zusammenhang mit dem bürokratisch verwalteten Staats-/Industriekomplex von
einer unentfliehbaren Macht geredet und die zunehmende Rationalisie-
rungsbewegung im Begriff der "Entzauberung" der Welt verdichtet3.
Daß die technisch beherrschten "Elementarkräfte" sich jederzeit gegen den
Menschen selbst richten können und eine ständige Gefahr für die Menschheit
darstellen, kann ebenfalls nicht bestritten werden. In beiden Weltkriegen
hat sich die industrielle Produktionsmaschinerie auf zerstörerische Weise
gegen den Menschen selbst gerichtet und zu Menschenverlusten geführt, die
alle vorhergegangenen Kriege in den Schatten stellen. Und seit der Erfin-
dung der Atombombe ist der Krieg zu einer Gesamtbedrohung der Menschheit
geworden, die vielleicht am eindringlichsten von Günther Anders beschrieben
wurde, der dem modernen Menschen angesichts der atomaren Situation eine
selbstgefährdende "Apokalypse-Blindheit" unterstellt4.
Es erscheint daher verständlich, daß Stefan Breuer "Die Perfektion der
Technik" als ein Buch von geradezu bestürzender Weitsicht bezeichnet, das
die moderne Ökologiedebatte vorweggenommen hat. Weiterhin äußert Breuer die
Ansicht, daß man die Leistung des Buches nicht genug bewundern könne, da es
den Punkt markiere, an dem die Technik zum erstenmal nicht mehr nur als In-
2 Einen Überblick über die Umweltkrisen seit dem Spätmittelalter leistet: Sieferle, Rolf Peter (Hrsg.), Fortschritte der Naturzerstörung, Frankfurt am Main 1988; Kellenbenz, Hermann (Hrsg.), Wirtschaftsentwicklung und Um-weltbeeinflußung (14.-20. Jahrhundert), Wiesbaden 1982; Zu den Zerstörungen in den letzten beiden Jahrhunderten: Brüggemeier, F.J./Rommelspacher, T.
3 Siehe hierzu: Heins, Volker, Max Weber zur Einführung, Hamburg 1990
4 Siehe die Ausführungen von Günther Anders zur Atombombe in: Anders, Gün-ther, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 7., unveränderte Auflage, München 1994, 235ff. (Erstauflage 1956)
6
strument eines wie immer gearteten Willens, sondern als Ordnung sui generis
ins Blickfeld gerät, deren Entfaltung zerstörerische Konsequenzen hat5.
Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung erntete das Werk allerdings bezeich-
nenderweise im wesentlichen Ablehnung und Spott, denn in der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg, in der Wiederaufbauphase der Bundesrepublik, vor der
Zeit der Formierung einer breiten Ökologiebewegung, bestand kein Interesse
an warnenden Kassandrarufen. Für die publizistischen Kritiker handelte es
sich bei dem Werk um die Kapuzinerpredigt eines modernen Eremiten, um eine
literarische Utopie oder sie witterten Nihilismus und Kulturzersetzung6.
Der in der Technik und den Naturwissenschaften bewanderte Philosoph Max
Bense äußerte die Ansicht, daß in Friedrich Georg Jüngers "Perfektion der
Technik" auf die Aporien der technischen Welt Mittel angewendet werden, die
aus der ästhetischen, ethischen oder religiösen Sphäre des kulturellen Da-
seins stammen, die aber die technische Existenz überhaupt nicht betreffen.
In der "Perfektion der Technik" werde, so Bense, mit einem vermeintlichen
Mythos der Technik gespielt, der einen Mangel an Ernst anzeige7.
Der Technikphilosoph Friedrich Dessauer unterstellte Friedrich Georg Jün-
ger, daß er dem Leser das Reich der Technik als ein Dämonenreich ohne
Licht, Würde und Rang präsentiere und redete im Zusammenhang mit der "Per-
fektion der Technik" von einer reichen Saat von Irrtümern, Mißverständnis-
sen, Vorurteilen und Be-schuldigungen8.
Trotz der Abwehr, die das Werk nach seinem Erscheinen oft provozierte, ent-
stand Friedrich Georg Jüngers Werk nicht im luftleeren Raum: Es gab promi-
nente Vorgänger, die die Technik in kulturkritischer Absicht ins Visier ge-
nommen hatten.
An erster Stelle wäre sicherlich Ludwig Klages zu nennen. In seinem Haupt-
werk "Der Geist als Widersacher der Seele" hat Klages einen unaufhebbaren
Gegensatz zwischen Denken und Fühlen behauptet. Aus dieser Position heraus
formuliert er eine radikale Kulturkritik, die zu einer Anklage der Rationa-
5 Breuer, Stefan, Die Gesellschaft des Verschwindens, Von der Selbstzerstö-rung der technischen Zivilisation, Hamburrg 1992, S. 103f.
6 Stürner, O., Von der Perfektion der Technik zur technischen Kultur, in: Pandora 7, S. 56-67; Münster, C., Meinungen über die Technik, in: Frankfur-ter Hefte 1, S. 92-95; Leithäuser, J., Im Gruselkabinett der Technik, in: Der Monat 3, S. 474-486; Hermlin, S., Friedrich Georg Jünger: Perfektion der Technik, in: Hermlin, S./H. Mayer, Ansichten über einige neue Schrift-steller und Bücher, Wiesbaden 1947, S. 106-111
7 Bense, Max, Technische Existenz (1949), in: Bense, Max, Ausgewählte Schriften in vier Bänden, hrsg. von Elisabeth Walther, Bd. 3: Ästhetik und Texttheorie, Stuttgart 1998, S. 130
8 Dessauer, Friedrich, Streit um die Technik, Frankfurt am Main 1956, S. 47
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lisierung und Technisierung der Welt und damit des "Geistes" führt, der als
ein nihilistisches, auf Zerstörung des Lebens gerichtetes Prinzip gedeutet
wird9.
Aber schon im Jahr 1913 konstatiert Klages ein gestörtes ökologisches
Gleichgewicht und beschreibt, auf Zahlenmaterial zurückgreifend, Abholzun-
gen und die Ausrottung von Singvögeln, Pelztieren, Walen, Elefanten, Nas-
hörnern, Büffeln etc. Klages stellt fest, daß ganze Völker im Zuge der glo-
balen Industrialisierung kulturell, zum Teil auch physisch vernichtet wür-
den. Als Ursache für diese Resultate sieht er die Anwendung physikalischen
Denkens und der naturwissenschaftlichen Reduktion auf die organische Natur,
die unter dem Aspekt der Quantität beurteilt wird. Als weiteren Grund be-
nennt er eine Wirtschaftsontologie, die in dem Gedanken der Kapitalverwer-
tung das entscheidende Maß erkennt. Den geistigen Boden für diese Entwick-
lung hat nach Klages das Christentum geliefert, weil es ausschließlich dem
Menschen einen Eigenwert zubilligt und alles andere Leben hingegen für
wertlos erklärt10.
Oswald Spengler hat die Technik im Rahmen seiner kulturmorphologischen
Theorie beurteilt. Obwohl er die Technik in seinem ersten Band des "Unter-
gang des Abendlandes" emphatisch preist, erkennt Spengler in der Technik
Indiz und Höhepunkt des Untergangs der abendländischen Kultur, denn der
faustische Mensch sei zum Sklaven seiner Schöpfung geworden11.
In seiner Abhandlung "Der Mensch und die Technik" stellt Spengler fest, daß
die Mechanisierung der Welt in einen Zustand gefährlichster Überspannung
eingetreten ist und erwähnt in diesem Zusammenhang die Abholzung der Wäl-
der, drohende Klimaveränderungen mit ihre Folgen für die Landwirtschaft,
die Ausrottung von Tierarten und Urbevölkerungen wie die nordamerikanischen
Indianer und die Aborigines in Australien. Nach Ansicht Spenglers nähert
sich die Geschichte dieser Technik ihrem unausweichlichen Ende und er
stellt daher am Ende seiner Abhandlung im Stile eines preußisch-heroischen
Nihilismus fest, daß nur Träumer an Auswege glauben und empfiehlt, pflicht-
bewußt, ohne Hoffnung und ohne Rettung auf verlorenem Posten auszuharren12.
Walther Rathenau hat in seinem Werk "Zur Kritik der Zeit" eine ausführliche
9 Klages, Ludwig, Der Geist als Widersacher der Seele, Sämtliche Werke Bd. 1, Bonn 1969 (Erstausgabe 1929-33)
10 Klages, Ludwig, Mensch und Erde. In der gleichnamigen Aufsatzsammlung, München 1929
11 Spengler Oswald, Der Untergang des Abendlandes, 2 Bände, München 1918/1922
12 Spengler, Oswald, Der Mensch und die Technik, Beiträge zu einer Philoso-phie des Lebens, München 1932
8
Beschreibung des industriellen Zeitalters geliefert, das ganz im Zeichen
der Maschine, der Arbeitsteilung, der Mehrarbeit, des Verkehrs, der Organi-
sation und der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung steht. Diese Ent-
wicklung hat Auswirkungen auf den Menschen selbst, der sich nachhaltig und
rückhaltlos in den Massenprozess einfügen muß. Nach Ansicht Rathenaus habe
es die technische Epoche ausschließlich verstanden, die Welt benutzbar, und
somit rationell zu machen, die Wundergrenze zu verschieben und das Jensei-
tige zu verdecken. Daher suche die Zeit nicht ihren Sinn und ihren Gott,
sie sucht ihre Seele, die sich im Gewühl des mechanistischen Denkens und
Begehrens verdüstert hat13.
Karl Jaspers hat in seiner Abhandlung "Die geistige Situation der Zeit" das
Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die im Zeichen der technischen Massen-
ordnung steht. Die Leistung der Technik liege in der Massenversorgung in
rationaler Produktion, allerdings müße der ausführende Arbeiter in weiten
Bereichen selbst zum Teil der Maschinerie werden. Die Produkte der Technik
sind, so Jaspers, schnell auswechselbar, alles ist bloßer Stoff, für Geld
augenblicklich zu haben. Die technische Überwindung von Zeit und Raum sorge
dafür, das nichts mehr fern, geheim, wunderbar erscheint. Das Individuum
werde aufgelöst in Funktion, das Menschsein werde reduziert auf das Allge-
meine: auf Vitalität als leistungsfähige Körperlichkeit, auf die Triviali-
tät des Genießens. Der von der Bürokratie geleitete Apparat der Daseins-
fürsorge drohe in die Hände der Mittelmäßigkeit geraten zu müssen14.
Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg, wohl unter dem Eindruck der Verwüstun-
gen, der industriell geführten Konzentrationslager, dem Abwurf der Atombom-
be wurden Abhandlungen veröffentlicht, in denen die Technik einer radikalen
Kritik ausgesetzt wurde: Zu nennen wären hier Joseph Bernharts "Der techni-
sierte Mensch"15, Robert Dvoraks "Technik, Macht und Tod"16, Philipp Lerschs
"Der Mensch in der Gegenwart"17 und von Karl Jaspers "Vom Ursprung und Ziel
der Geschichte"18.
Friedrich Georg Jünger stand somit aufgrund seiner fundamentalen Technik-
kritik nach dem Zweiten Weltkrieg nicht allein und konnte auf einige bedeu-
13 Rathenau, Walther, Zur Kritik der Zeit, Berlin 1912
14 Jaspers, Karl, Die geistige Situation der Zeit, 5., zum Teil neubearbei-tete Auflage, Berlin 1933 (Erstausgabe 1931)
15 Bernhart, Joseph, Der technisierte Mensch, Augsburg 1946
16 Dvorak, Robert, Technik, Macht und Tod, Hamburg 1948
17 Lersch, Philipp, Der Mensch in der Gegenwart, München 1947
18 Jaspers, Karl, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1949
9
tende Vorgänger im deutschen Raum zurückblicken19.
Die eigentliche Leistung des Werks "Die Perfektion der Technik" liegt in
der produktiven Aneignung und Weiterführung der Thesen Ernst Jüngers, wie
sie vor allem im "Arbeiter" niedergelegt sind.
So definiert sich bei Friedrich Georg Jünger der Arbeiter nicht durch seine
wirtschaftliche Stellung, sondern - wie auch bei Ernst Jünger - durch sein
Verhältnis zur technischen Organisation: "Der Anteil der Arbeiter an der
Bevölkerung nimmt in dem Maße zu, in dem mechanische Arbeitsverfahren vor-
dringen"20.
Der Prozess der Technisierung der menschlichen Lebenswelt zeichnet sich bei
Friedrich Georg Jünger durch eine rastlose Dynamisierung aller Vorgänge und
durch die Ausbeutung aller natürlichen Bestände aus. Er übernimmt hier die
Grunddiagnose des "Arbeiters", daß der Mensch in der Moderne "in einer Zeit
großen Verzehrs (lebt), als dessen einzige Wirkung ein beschleunigter An-
trieb der Räder zu erkennen ist"21. Der Einsatz des Räderwerks, Beschleuni-
gung und hoher Verbrauch ist bei beiden das Merkmal der technischen Epoche.
In der Organisation des Menschen in der Moderne rückt bei Friedrich Georg
Jünger das Modell des elektrischen Schaltkreises in den Mittelpunkt, der
Mensch wird auf vielfache Weise von technischen Zentralen abhängig: "Wo im-
mer der Mensch das Feld des technischen Fortschritts betritt, dort erfolgt
ein organisatorischer Zugriff gegen ihn"22. Ernst Jünger prägt in seinem
"Arbeiter" für diese Verbandsform, in der sich der Mensch in der tech-
nischen Organisation formiert, den Begriff der "organischen Konstruktion"23.
Daß dem Prozess der Technisierung letztlich der "Wille zur
Macht" vorläuft, geht auf Gedanken Friedrich Nietzsches zurück und wird von
beiden Brüdern betont24.
Wenn Friedrich Georg Jünger auf den kollektivistischen Charakter der Tech-
nik hinweist und vom Individuum spricht, das "befreit und gereinigt von al-
19 Einen hervorragenden Überblick über die Technikbewertung im 19. und 20. Jahrhundert leistet Johann Hendrik van der Pot, der die einzelnen Autoren (einschließlich Friedrich Georg Jünger) argumentativ präzis verortet und sowohl Divergenzen als auch Überschneidungen herausarbeitet. Siehe: van der Pot, Johann Hendrik, Die Bewertung des technischen Fortschritts, Eine sys-tematische Übersicht der Theorien, Maastricht 1985
20 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O, S. 73
21 Ebenda, S. 171
22 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 90
23 Jünger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 114
24 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 97; Jün-ger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 158
10
len widersprechenden Bestimmungen, vorbehaltlos im Kollektiv aufgeht"25,
leuchtet unmittelbar die Konzeption des "Arbeiters" auf, in der sich der
Mensch in den universellen "Arbeitsplan"26 bedingungslos einfügt.
Die Technik - so Friedrich Georg Jünger - ist eine "Mobilmachung alles Im-
mobilen"27 einschließlich des Menschen, ein Gedanke der direkt auf den Essay
"Die totale Mobilmachung" (1931) von Ernst Jünger verweist. Ernst Jünger
stellt im "Arbeiter" fest: "Die Technik ist die Art und Weise, in der die
Gestalt des Arbeiters die Welt mobilisiert"28.
Der Gedanke Friedrich Georg Jüngers, daß die in den Dienst gestellte Natur
sich mit elementarer Kraft gegen den Menschen stellt, im Betriebsunfall und
vor allem im totalen, technischen Krieg der Moderne29, geht ebenfalls auf
den "Arbeiter" zurück, wo Ernst Jünger frohlockend vom Einbruch des "Ele-
mentaren", von Gewalt und Zerstörung in die behagliche Welt des liberalen
Wirtschaftsbürgers spricht30.
Es ist bezeichnend, daß Friedrich Georg Jünger gegen Ende seines Werks den
Gedanken, die sich mit der totalen Mobilmachung, dem totalen Krieg beschäf-
tigen, ausdrücklich eine Berechtigung zuspricht, da sie nach seiner Ansicht
genau die Lage umschreiben, in der sich der Mensch in der technischen Mo-
derne befindet31. "Technischer Fortschritt und Kriegsführung treten in eine
immer engere Verbindung"32. Dies ist ebenfalls einer der Grundgedanken, auf
denen Ernst Jüngers "Arbeiter" beruht.
Allerdings gibt es zwischen den beiden Moderne-Diagnosen Friedrich Georg
und Ernst Jüngers einen entscheidenden Unterschied, denn obwohl beide Brü-
der viele Grundtheoreme miteinander teilen, rücken bei Friedrich Georg vor
allem die Kosten des Technisierungsvorganges in den Vordergrund. Der bei
Ernst vergleichbar mit den Futuristen33 frohlockend diagnostizierte Be-
25 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 110
26 Jünger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 269-291
27 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 144
28 Jünger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 150
29 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O, S. 126
30 Jünger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 46-56
31 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 158
32 Ebenda, S. 160
33 Auf Überschneidungen von Ernst Jüngers Modernebild mit der futuristischen Literatur verweisen: Bohrer, Karl Heinz, Die Ästhetik des Schreckens, Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk, München/Wien 1978, S. 111; Meyer, Martin, Ernst Jünger, München/Wien 1990, S. 187f.; Brenneke,
11
schleunigungs-, Verzehrs- und Gefährdungsvorgang wird von Friedrich Georg
ins Negative gewendet und als universeller Schwund gedeutet und wo Ernst
nach dem Einbruch elementarer Kräfte, vor allem von kriegerischen Auseinan-
dersetzungen, von einem kommenden Zeitalter des "Arbeiters" träumt, das
"übergeordnete Sicherheit"34 spendet, geht Friedrich Georg von einem Zustand
der Perfektion aus, in der die Technik umfassenden Raubbau an Mensch und
Natur treibt und die Verlustwirtschaft total wird. Man kann also bei Fried-
rich Georgs "Perfektion der Technik" von einer ökologischen Umwendung von
Ernsts "Arbeiter" reden, die ökonomischen und vor allem ökologischen Folgen
des Technisierungsvorgangs werden scharf beleuchtet.
Aus dieser produktiven Aneignung, Weiterführung und ökologischen Umwendung
der Thesen Ernst Jüngers in Friedrich Georgs "Perfektion der Technik" erge-
ben sich fruchtbare Anknüpfungspunkte an die technikkritische Philosophie,
die im Anschluß an die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges entstand.
Martin Heidegger begreift die moderne Technik als Vollendung der abend-
ländischen Metaphysik und verfolgt ihre geistigen Wurzeln über den neuzeit-
lichen Rationalismus und Subjektivismus und das christliche Mittelalter bis
zum Denken in der griechischen Antike35.
Die Technik - so Heidegger - "ist eine Weise des Entbergens"36, eine Defi-
nition, die mehrere Vorgänge miteinschließt. In der technischen Neuzeit
wird die Dingwelt und die Natur materialisiert, uniformiert, funktionali-
siert und verrechnet. Der Vorgang ist auf Durchsetzung und Herrschaft durch
Herstellung, Bearbeitung, Vernutzung und Ersetzung ausgerichtet. Der von
Friedrich Georg Jünger besonders betonte Vorgang des planetarischen Raub-
baus und der allgemeinen Vernutzung ist ein Bestandteil des technischen
Entbergungsvorgangs. Die Vernutzung aller Stoffe, einschließlich des Roh-
stoffs "Mensch" gehört gemäß Heidegger in den Bereich der neuartigen tech-
nischen Weltkonstitution. Wie Friedrich Georg und Ernst Jünger erkennt auch
Heidegger den "Willen zur Macht" als den Endpunkt der abendländischen Meta-
physikgeschichte und als das Grundmovens des technischen Entber-
gungsvorgangs. In seiner Schrift "Zur Seinsfrage" (1956), eine Antwort auf
Ernst Jüngers "Über die Linie" (1950), stellt Heidegger fest: "Die Bewegung
Reinhard, Militanter Modernismus, Vergleichende Studien zum Frühwerk Ernst Jüngers, Stuttgart 1992, S. 154f.
34 Jünger, Ernst, Der Arbeiter, a.a.O., S. 291
35 Eine Zusammenfassung und Erläuterung der Heideggerschen Technikkritik findet sich bei: Seubold, Günter, Heideggers Analyse der neuzeitlichen Technik, Freiburg/München 1986; Vietta, Silvio, Heideggers Kritik am Natio-nalsozialismus und an der Technik, Tübingen 1989
36 Heidegger, Martin, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 13
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zum Immerweniger an Fülle und an Ursprünglichem innerhalb des Seienden im
Ganzen wird durch ein Anwachsen des Willens zur Macht nicht nur begleitet
sondern bestimmt"37.
Der "Wille zur Macht" nimmt sein Leben, das Anwachsen seines Wesens aus der
dazu notwendigen Fülle des Seins; was er an Macht gewinnt, verliert an
Reichtum von Ding und Welt, und einzig die Fülle ihres Wesens erlaubt das
Wachstum dieses Willens. Die Technik in ihrer Form als Organisation des
"Ge-stells"38 ist bei Martin Heidegger somit eine Reduktion, verursacht
einen universellen Schwund der ursprünglichen Seinsfülle.
Dies allerdings ist der Grundgedanke von Friedrich Georg Jüngers "Perfekti-
on der Technik", wo der Reichtum und die Macht, die die Technik spendet,
als Illusion erscheint, da sie letztendlich auf der rücksichtslosen Ausbeu-
tung und Vernutzung der unorganisierten Fülle der natürlichen Bestände be-
ruht.
Günther Anders hat 1956 den ersten Band seiner "Antiquiertheit des Men-
schen"39 vorgelegt - der zweite folgte 198040 - und dort eine Fundamental-
kritik an der technischen Zivilisation geleistet. Mit der Technik erhebt
sich nach Ansicht Günther Anders' eine Kraft zum "Subjekt der Geschichte"41,
die den Menschen zunehmend in eine exzentrische Position drängt und in eine
Diskrepanz zu der ihn umgebenden Welt bringt. Zwischen Mensch und Welt ent-
steht ein gefährliches Gefälle, das Günther Anders als "prometheisch"42 be-
zeichnet hat.
Im Rahmen seiner Untersuchung kommt Günther Anders zu Ergebnissen, die sich
mit denen Friedrich Georg Jüngers überschneiden.
So ist in Günther Anders' Diagnose des "Masseneremiten"43 im Fern-
sehzeitalter und in den von ihm verzeichneten Folgen des Fernsehkonsums
ebenso wie bei der Darstellung der industriellen Produktion und der Ar-
beitswelt44 Friedrich Georg Jüngers Grundgedanke einer umfassenden Nivellie-
37 Heidegger, Martin, Zur Seinsfrage, dritte Auflage, Frankfurt 1967, S. 32
38 Heidegger, die Technik und die Kehre, a.a.O., S. 19
39 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, a.a.O.
40 Anders, Günther, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2: Über die Zerstö-rung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, 4. Auf-lage, München 1995 (Erstausgabe 1980)
41 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, a.a.O., S. 9
42 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 17
43 Ebenda, S. 102
44 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, a.a.O., S. 58-110
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rung und geistigen Verödung innerhalb der technischen Organisation mitent-
halten.
Der Prozess der universellen Taylorisierung innerhalb der Arbeitswelt wird
von beiden Autoren verzeichnet. Friedrich Georg Jünger sieht in diesem Pro-
zess der allgemeinen Instrumentalisierung und Funktionalisierung eine Schä-
digung der Freiheit des Menschen45. Günther Anders schließt daraus, daß der
Arbeiter um sein Grundbedürfnis nach einer nicht-entfremdeten und zielge-
richteten Tätigkeit betrogen wird46.
Im "horror vacui", die den Menschen innerhalb der technisch organisierten
Gesellschaft befällt, erkennen beide Autoren ein typisches Phänomen der
Epoche47.
Es ist eine Einsicht Ernst und Friedrich Georg Jüngers, daß der Mensch in-
nerhalb der techischen Organisation in Form "organischer Konstruktionen"48
formiert und eingebunden wird. Günther Anders erkennt in der zwingenden
Verflechtung des Produktionskosmos' und der Interdependenz der Produkte,
die letztendlich in ihrer universellen Warenstruktur begründet ist, die
ihre Verwendung in Form von vermeintlichen Bedürfnissen aufzwingen, ein Ge-
häuse, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann49.
In Ernst Jüngers Diagnose der planetarisch sich entfaltenden Welt des "Ar-
beiters" zeichnet sich der neuentstehende Typus des "Arbeiters" durch eine
Verschmelzung der Eigenschaften des Kriegers und des Arbeiters aus. Fried-
rich Georg Jünger nimmt diesen Befund auf, indem er den eminenten Rüstungs-
charakter der modernen Technik erkennt. Günther Anders konstatiert aufgrund
der Ersetzung der traditionell unterschiedlichen Tätigkeiten des Krieger
und des Arbeiters durch den allgemein werdenden Bedienvorgang eine Ver-
schmelzung der Vorgänge in Form des industriellen Herstellungsprozesses,
der sich nur noch in seiner Finalität - Produktion oder Destruktion - un-
terscheidet. Auch in geographischer Hinsicht - durch das Zusammenwachsen
von Front und Etappe - findet eine globale Einebnung statt50.
Gemäß ihrer nietzscheanischen Diktion erkennen Ernst und Friedrich Georg
Jünger im "Willen zur Macht" - ebenso wie Heidegger -das Antriebsprinzip
45 Jünger, Friedich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 65
46 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, a.a.O., S. 64f.
47 Jünger, Friedrich Georg, Die Perfektion der Technik, a.a.O., S. 136; An-ders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 140
48 Siehe Anm. 23
49 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, a.a.O., S. 178
50 Ebenda, S. 67ff.
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der globalisierten Technik. Günther Anders bezieht das nietzscheanische
Diktum auf die für die technische Organisation typische Expansion der Ma-
schinenwelt und bemerkt, daß jeder Maschine im metaphorischen Sinn der
"Wille zur Macht" eingeboren ist51.
Auch die Schwundthese Friedrich Georg Jüngers wird bei Günther Anders vari-
iert, wobei Günther Anders die Ursache für den
Schwund der unorganisierten natürlichen Bestände in einer Wirt-
schaftsontologie vermutet, die in einem allgemeinen Verwertungsterror gip-
felt52.
1947 erschien von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die "Dialektik der
Aufklärung", ein Werk, in dem beide Autoren der Aufklärung ein Janusgesicht
attestierten. Obwohl die Aufklärung seit je im umfassenden Sinn des fort-
schreitenden Denkens das Ziel verfolgt habe, von den Menschen die Furcht zu
nehmen und sie als Herren einzusetzen, erstrahle die Erde im Zeichen tri-
umphalen Unheils. Das Wissen, das Macht ist, kenne keine Schran-ken, weder
in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren
der Welt. Technik sei das Wesen dieses Wissens53.
1967 erweiterte Horkheimer die Diagnose der "Dialektik der Aufklärung" mit
seiner Abhandlung "Zur Kritik der instrumentellen Vernunft". Die Kernthese
besagt, das Charakteristikum der Zeit sei die totale Perfektionierung der
wissenschaftlich-technischen Mittel bei gleichzeitigem Verlust objektiv
verbindlicher und rationaler Zielsetzungen; die Rationalität sei aus einem
inhaltlich orientierten Vermögen zu einem beliebig einsetzbaren - und im
instrumentellen Sinne hoch vervollkommneten - Mittel für beliebige Zwecke
geworden54. Dies ist allerdings auch die Grundthese Friedrich Georg Jüngers,
deren Nachweis "Die Perfektion der Technik" durch vielfältige phänomenolo-
gische Betrachtungen zu erhärten sucht: daß die verselbständigte technische
Ratio letztlich eine Mißachtung einer der Stellung des Menschen in der Na-
tur angemessenen Ratio darstellt, die Perfektionierung der technischen Mit-
tel einen Prozeß zum Abschluß bringt, der die Lebensgrundlagen und tradier-
ten Normen menschlicher Existenz radikal in Frage stellt.
Stefan Breuer hat sicher nicht völlig unrecht, wenn er im Zusammenhang mit
Friedrich Georg Jüngers Gedichten vom rückwärtsgewandten Klassizismus re-
51 Ebenda, S. 117
52 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, a.a.O., S. 188
53 Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max, Die Dialektik der Aufklärung, Frank-furt 1984, S. 19f.
54 Horkheimer, Max, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1967
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det, der hohl und gekünstelt wirkt und ihn als mittelmäßigen Essayisten be-
zeichnet, dessen Romane und Erzählungen heute niemand mehr liest55. Mit sei-
nem Werk "Die Perfektion der Technik" ist ihm allerdings ein bedeutender
Wurf gelungen. Friedrich Georg Jünger erweist sich hier als ein Ökologe
"avant la lettre", dessen Grundthesen durch die Realität zunehmend bestä-
tigt worden sind und die auf die Einsichten der modernen Ökologiebewegung
und der philosophisch begründeten Technikkritik verweisen.
55 Breuer, a.a.O., S. 103
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