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NEUE CHANCEN FÜR MENSCHEN MIT ERHÖHTEM PSYCHOSERISIKO FRÜH ERKENNEN FRÜH BEHANDELN

FRÜH ERKENNEN FRÜH BEHANDELN · 2016. 12. 16. · sich zu stehen, als wenn er sich von außen beobachten würde. Alles erschien ihm dann unecht und unwirk-lich. Alltägliche Dinge

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NEUE CHANCEN FÜR MENSCHENMIT ERHÖHTEM PSYCHOSERISIKO

FRÜH ERKENNENFRÜH BEHANDELN

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WENN SICH DIE WIRKLICHKEIT LANGSAM VERÄNDERT 5

WAS IST DAS EIGENTLICH, EINE PSYCHOSE? 8

WAS IST BLOSS LOS MIT MIR – KANN DAS DER BEGINN EINER PSYCHOSE SEIN? 12

WIE ENTSTEHT EINE SCHIZOPHRENE PSYCHOSE? 14

WAS BEGÜNSTIGT EINE ERHÖHTE VULNERABILITÄT?Welche Rolle spielen die Gene bei der Entstehung schizophrener Psychosen? 16Schizophrenie als Erkrankung des Gehirns 17Wie wirken die genetischen und hirnbiologischen Risikofaktoren? 19

WELCHE ROLLE SPIELT STRESS? 20

WIE SCHÜTZEN BEWÄLTIGUNGSMÖGLICHKEITEN? 23

DROGEN UND PSYCHOSE 26

FRÜHVERLAUF DER PSYCHOSE 28

KANN MAN EINE PSYCHOSE VORAUSSAGEN? 33

WEGE AUS DER GEFAHR – WAS KANN ICH TUN? 37

WAS KANN ICH ALS ANGEHÖRIGER MACHEN? 39

AUTOREN 41

ADRESSEN/IMPRESSUM 42

CHECKLISTE 44

INHALT

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WENN SICH DIE WIRKLICHKEITLANGSAM VERÄNDERT

Es gibt viele Wege in die Psychose. Erkranken kann jeder - Schuld trifft niemanden.

Seit zwei Jahren zieht sich Thomas, Student, 25 Jahre,immer mehr von seinen Mitmenschen zurück. Er ver-lässt seine Wohnung kaum noch, und wenn er auf dieStraße geht, hat er das Gefühl, dass die Menschen ihnauf eine sonderbare Art anschauen. Auch in der Bahnoder im Supermarkt fühlt er sich beobachtet und wirddas Gefühl nicht los, dass andere über ihn sprechen.Überhaupt bezieht er viele Dinge auf sich, scheinbarzufällige Ereignisse haben eine persönliche Bedeutungfür ihn.

In den Vorlesungen kann sich Thomas nur mit großerMühe konzentrieren. Oftmals hat er ein regelrechtesDurcheinander von unterschiedlichen Gedanken imKopf. Es fällt ihm sehr schwer, einem einzigen Gedan-ken zu folgen. Und dann ist da noch das Gefühl, derProfessor könne seine Gedanken lesen. Rückblickend,erzählt Thomas, fing alles schon ganz früh an:

»Mit 15 oder 16 hatte ich schon mal eine Zeit, in derich mich nicht mehr auf den Unterricht konzentrierenkonnte und keine Lust mehr hatte, mich anzustrengen.Meine Noten rasselten entsprechend in den Keller, so dass meine Versetzung gefährdet war. Damalsschleppte meine Mutter mich zu einem Kinder- undJugendpsychiater, der das als typische Pubertätskrisewertete und mich wieder nach Hause schickte. Irgend-wie machte ich dann mein Abitur und war eigentlichfroh, zu Hause ausziehen zu können, da sich die

< Thomas, 25 Jahre

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Schwierigkeiten und Konflikte mit meinen Eltern immer weiter zuspitzten. Aber leider wurde beim Studium in der fremden Stadt mit den fremden Menschen alles noch schlimmer. Ich fand keinen Anschluss und wurde immer misstrauischer.«

Ein anderes, aber ähnliches Bild der ersten Erkran-kungsanzeichen im Vorfeld der Psychose zeigte sichbei Antje, Bürokauffrau, 32 Jahre, verheiratet, 2 Kin-der. Bei Antje fiel zunächst auf, dass sie nicht mehr ins Büro ging. In den letzten Tagen hatte sie das Ge-fühl, ihre Kollegen würden hinter ihrem Rücken übersie reden und lachen. Sie denkt, dass diese sie ausdem Job ekeln wollen. Dabei hat sie ihren Job immersehr gerne gemacht und ist bislang eigentlich eine beliebte Mitarbeiterin. Alles fing damit an, dass sie vor einer Woche in der Zeitung wiederholt Anzeigenentdeckt hat, durch die ihr Chef ihr klarmachen wollte,dass ihre Stelle bald wieder frei werde. Daraufhin istsie in Tränen ausgebrochen und hat dann vor drei Tagen ihren Chef angeschrien, er solle ihr doch insGesicht sagen, dass er sie nicht mehr haben will. Dieser hat allerdings nie vorgehabt, sie zu entlassen.Das kann sie nicht glauben und denkt, alle haben sichgegen sie verschworen.

»Selbst mein Mann ist in letzter Zeit so komisch zumir, ich glaube, der steckt auch mit der Firma unter ei-ner Decke. Die wollen mich alle fertigmachen. Ich kannnicht mehr schlafen, bin ganz durcheinander, kann mirnichts mehr merken und vernachlässige mich und mei-ne Kinder. So kann das nicht weitergehen.«

Antje, 32 Jahre >

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Bei dem 18-jährigen Schüler Markus hingegen fing alles mit einem wiederkehrenden Gefühl an, nebensich zu stehen, als wenn er sich von außen beobachtenwürde. Alles erschien ihm dann unecht und unwirk-lich. Alltägliche Dinge wie Basketballspielen oder Telefonieren bedeuteten zunehmende Anstrengung für ihn und liefen nicht mehr automatisch ab. BeimBasketball hatte er zeitweise das Gefühl, bestimmteDinge beeinflussen oder steuern zu können, wie zumBeispiel, ob der Ball in den Korb falle. Auch konnte erin diesen Phasen spüren, wie sein Körper sich verän-derte, indem er sich ausdehnte. Körperteile kamenihm dann größer vor. In letzter Zeit hatte er fast täg-lich Cannabis geraucht, was ihm half, sich zu ent-spannen. In der Schule ist er immer mehr abgesackt,was wohl auch daran lag, dass er sich kaum noch konzentrieren konnte. Über sein augenblickliches Befinden sagt er:

»Morgens fällt es mir schwer, aus dem Bett zu kom-men. Ich glaube, ich bin auch reizbarer geworden, lasse mir nichts mehr sagen. Selbst in Zeiten, in denenes mir gut geht, denke ich vermehrt über meine merk-würdigen Veränderungen nach. Ich habe große Angst,dass diese Gefühle von Unwirklichkeit immer wiederauftreten und ich dann wie meine Mutter psychotischwerden könnte. Kann man denn bereits im Vorfeld etwas gegen die Entwicklung einer Psychose tun?«

Die vorangestellten Fallbeispiele machen deutlich,dass der Weg in die Psychose viele Gesichter hat. Diese Broschüre möchte die Frage des 18-jährigenMarkus, ob man bereits im Vorfeld etwas gegen die Entwicklung einer Psychose unternehmen kann, nach dem jetzigen Stand des Wissens beantworten. Doch zunächst stellt sich die Frage: was versteht man eigentlich unter „Psychose“?

< Markus, 18 Jahre

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Eine Psychose ist eine psychische Erkrankung. HäufigeSymptome sind Wahnvorstellungen, Denkstörungenund Sinnestäuschungen. Je früher man eine Psychoseerkennt, umso besser kann man sie behandeln.

Eine Psychose ist ein meist vorübergehender Zustand,in dem ein Mensch gewissermaßen den Kontakt zurWirklichkeit verliert. Wahnvorstellungen und Hallu-zinationen sind typische Anzeichen einer solchen see-lischen Störung, d.h. der Betroffene fühlt sich z.B. verfolgt, von seiner Umgebung bedroht oder sieht bzw.hört Dinge, die objektiv nicht vorhanden sind. Wennder Zustand heftig auftritt, sprechen wir von einer„psychotischen Krise“, die bei richtiger Behandlungaber meist rasch wieder abklingt.

Bei vielen verschiedenen Erkrankungen können Psychosen vorkommen, etwa auch dann, wenn man inschwere depressive Verstimmungen oder manisch genannte Zustände mit krankhaft überhöhtem Selbst-wertgefühl und ziellos gesteigerter Aktivität hinein-gerät. Auch manche Hirnerkrankungen wie Tumore,Entzündungen oder Abbauprozesse können Psychosenhervorrufen und genauso auch einige der heute sohäufig konsumierten Drogen. Man spricht dann von organisch bedingten oder drogeninduzierten Psychosen.

Psychosen kommen in unterschiedlichen Schwere-graden vor. Auch der zeitliche Verlauf kann sehr unterschiedlich sein: kurzfristiges Abklingen ohneungünstige Folgen und chronische Krankheitsverläufekommen gleichermaßen vor.

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WAS IST DAS EIGENTLICH, EINE PSYCHOSE?

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Die Erkrankung „Schizophrenie“ stellt dabei eine Psy-chose mit stark ausgeprägtem Schweregrad dar. Jederkann an einer schizophrenen Psychose erkranken.Wird die Erkrankung frühzeitig erkannt, so verbessernsich die Chancen einer wirksamen Behandlung. Häufigsind Jugendliche und junge Erwachsene betroffen.

Die typischen Krankheitszeichen der Schizophrenietreten meist nur in vorübergehenden Episoden auf undwerden heute Positivsymptome genannt. Man hörtplötzlich nicht vorhandene fremde Stimmen, die mitoder über einen sprechen, erlebt die eigenen Gedan-ken oder Handlungen als von außen gesteuert oder gemacht und fasst Vorgänge in der Umgebung so auf,als würde sich etwas Bedrohliches für die eigene Per-son dahinter verbergen. Wer in eine solche Psychosehineingerät, ist von der Realität seiner Erlebnisse überzeugt. Die Positivsymptomatik lässt sich heute gut behandeln.

Therapeutische Probleme entstehen meist erst, wennes im Verlauf allmählich zu einer dauerhaften Verar-mung von Denken und Fühlen mit Antriebslosigkeit,Interesselosigkeit und sozialem Rückzug kommt. Diese sogenannte Negativsymptomatik kann zwischen-menschliche Beziehungen schwer belasten, Ausbil-dung oder Berufsleben behindern und bereits in derFrühphase der Erkrankung zum sozialen Abstiegführen. Wie die Grafik aus der Mannheimer ABC-Studie auf Seite 11 verdeutlicht, sind Negativsympto-me oder auch andere Frühsymptome wie Störungenim Denken und in der Konzentrationsfähigkeit, die auf

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Positivsymptomatik &Negativsymptomatik

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den ersten Blick noch ganz unspezifisch wirken undgar nicht an eine drohende Psychose denken lassen,oftmals bereits Jahre vor dem Auftreten erster Positiv-symptome erkennbar. Treten erste Positivsymptomeauf, dauert es in der Regel noch einmal ein gutes Jahr,bis die richtige Behandlung einsetzt.

So beschreibt auch Jonas, 20 Jahre, Auszubildender,sehr deutlich Konzentrations- und Gedächtnisstörun-gen, Schwierigkeiten beim Sprachverständnis undbeim Denken, Kontakt- und Antriebsprobleme sowiekörperliche Missempfindungen als solche Prodromal-symptome:

»In den letzten Wochen konnte ich mich kaum nochauf meine Ausbildung konzentrieren. Ich vergessehäufiger Dinge, das Lesen von Texten fällt mir vielschwerer als früher, meine Gedanken sind so unge-ordnet, oftmals habe ich so ein Wirrwarr in meinemKopf. Früher war das nicht so. Ich unternehme auchweniger mit Freunden als früher. Irgendwie ist mir dasalles zu viel, manchmal kann ich den Gesprächen garnicht mehr folgen und das ist mir dann peinlich. Komisch ist auch, dass sich mein Körper zeitweiligtaub anfühlt oder kribbelt, wie wenn Strom durch-fliessen würde. All das verunsichert mich sehr, wennich durch die Straßen gehe, glaube ich manchmal, alleanderen Menschen können mir meine Unsicherheitansehen. Das kommt mir dann wie im Film vor. Hoffentlich machen die sich nicht über mich lustig.«

Jonas, 20 Jahre >

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2 Monate

Zeitdauer

erstespositivesSymptom

erstes Anzeichen einerpsychischen Störung(unspezifisches odernegatives Symptom)

Maximumder Positiv-symptomatik

Ersthospitalisation

positiveSymptome

negative undunspezifischeSymptome

5,0 Jahre

ProdromalphasePsycho-tische

Vorphase

1,1 Jahre

Frühverlauf der Psychose

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Eine Psychose entwickelt sich oftmals über Jahre.Besonders gefährdet sind junge Erwachsene. Bereits im Vorfeld der Erkrankung lohnt es sich, vorbeugend aktiv zu werden.

Wie bei Thomas, Antje und Markus aus den anfäng-lichen Fallbeispielen deutlich wird, hat der Weg in eine Psychose viele Gesichter.

Heute wissen wir, dass sich eine psychotische Erkran-kung, wie bei Thomas, in der Regel über Jahre ent-wickelt und nur in seltenen Fällen ein plötzliches Ereignis ist, wie bei Antje. So haben die meisten Menschen, die an einer schizophrenen Psychose er-krankt sind, über einen Zeitraum von fünf Jahren vorAusbruch der Erkrankung bereits erste Frühsympto-me. Hierzu gehören beispielsweise depressive Ver-stimmungen, sozialer Rückzug, erhöhtes Misstrauenund die Tendenz, Dinge auf sich zu beziehen. Vor allemkognitive Symptome, also Symptome, die das Denkenbetreffen, wie Konzentrations- und Gedächtnis-störungen, werden als sehr störend empfunden undführen häufig schon in dieser Frühphase zu Leistungs-abfall in Schule und Beruf. Genau über diese frühenErkrankungsanzeichen berichten auch Thomas, Antjeund Markus in unterschiedlicher Ausprägung.

Die Entwicklung in die Psychose spitzt sich in ihremVerlauf durch eine zunehmend krankhafte Verzerrungder Wahrnehmung der eigenen inneren und äußerenWelt zu. Die Betroffenen berichten, dass sie verstärkt

WAS IST BLOSS LOS MIT MIR – KANN DASDER BEGINN EINER PSYCHOSE SEIN?

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misstrauisch werden und damit auch immer wenigerKontakt zu ihrer Umwelt suchen. Vor Ausbruch derakuten Psychose kann es dann bereits zu abge-schwächten oder kurzzeitigen Wahnerlebnissen undHalluzinationen kommen.

Besonders gefährdet, an einer Psychose zu erkranken,sind junge Erwachsene. Das Jugendalter und jungeErwachsenenalter sind geprägt durch zahlreiche be-rufliche und soziale Anforderungen, in der junge Erwachsene sehr empfindsam für die Entwicklungpsychischer Störungen sind. Bedenkt man den oft jahrelangen Vorverlauf der Erkrankung, die besondereSensibilität im jungen Erwachsenenalter, so ist die Sor-ge des 18-jährigen Schülers Markus, genau wie seineMutter eine psychotische Erkrankung zu entwickeln,verständlich. Seine Frage nach Möglichkeiten, im Vor-feld etwas vorbeugend tun zu können, lässt sich je-doch heute positiv beantworten, da unser Wissen überden Frühverlauf der Erkrankung uns einen ganz neuenWeg in der Behandlung von Psychosen ermöglicht.

Bei Menschen mit einem erhöhten Psychoserisiko versucht man heute durch eine frühzeitige psycho-therapeutische und bei Bedarf auch medikamentöseBehandlung den Verlauf positiv zu beeinflussen. Bereits bestehende Beschwerden sollen reduziertwerden, die allgemeine psychische Stabilität ver-bessert und einer möglichen psychotischen Episodevorgebeugt werden.

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Bei der Entstehung einer Psychose wirken verschie-dene Risiko- und Schutzfaktoren zusammen: VULNERABILITÄT-STRESS-BEWÄLTIGUNG

Wie viele andere körperliche und psychische Erkran-kungen sind auch schizophrene Psychosen nicht aufeine einzige Ursache zurückzuführen. Vielmehr spie-len mehrere die Erkrankung begünstigende Einflüsseeine Rolle. Ein Risikofaktor alleine kann dabei niemalsdie Erkrankung verursachen. Verschiedene Risiko-und Schutzfaktoren hingegen wirken auf eine be-stimmte Art und Weise zusammen und lassen sich in drei Komponenten unterteilen:

1. VULNERABILITÄT (Anfälligkeit) als immer schon vorhandene Bereitschaft unter ausgeprägter Belastung mit psychotischem Verhalten und Erleben zu reagieren

2. STRESS (Belastung) als überfordernd erlebte Umweltanforderungen

3. BEWÄLTIGUNG als erworbene Kompetenz, mit Stress so umzugehen, dass die Belastung erheblich reduziert wird

In den nachfolgenden drei Abschnitten werden genaudiese bei der Entstehung einer schizophrenen Psycho-se wesentlichen Komponenten näher erläutert.

WIE ENTSTEHT EINE SCHIZOPHRENE PSYCHOSE?

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krankheitsförderndeVorbedingungen

Verstärkung durchFrühintervention

Stressoren,Belastungen,ungünstige

UmweltbedingungengenetischeEinflüsse

Umwelteinflüsse(z.B. Geburts-

komplikationen)

krankheits-fördernd

krankheits-hemmend

günstige Umwelt-bedingungen und

erworbene Bewältiguns-kompetenzen

Psychose

Gesundheit

Vulnerabilität Prodrom

Entstehungsmodell der Psychose und Ansatzpunkt der Frühintervention

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Ungünstige genetische und hirnbiologische Bedingun-gen begünstigen eine erhöhte Anfälligkeit.

Welche Rolle spielen die Gene bei der Entstehungschizophrener Psychosen?

Das Auftreten von Psychosen wird von Genen beein-flusst. Das ist keine Überraschung, denn alle häufigenErkrankungen stehen unter dem Einfluss von Genen,z.B. Bluthochdruck, Herzinfarkt, koronare Herzerkran-kung, Diabetes (Zuckerkrankheit) und sogar Infektio-nen. Dabei können genetische Bedingungen niemalsvollständig das Auftreten dieser Erkrankungen be-gründen. Immer kommen auch nichtgenetisch be-gründete Umweltbedingungen hinzu.

Diese komplexen Entstehungsbedingungen unterschei-den diese „Volkserkrankungen“ von den genetischenErkrankungen im engeren Sinne (z.B. Down-Syndrom),wo eine ursächliche Variante eines Gens die Erkran-kung unausweichlich hervorruft.

Heute weiß man, dass für keine dieser Erkrankungenein einziges Gen eine Rolle spielt. Vielmehr sind es viele Gene, die zu einem erhöhten Erkrankungsrisikoführen, wobei jedes nur einen kleinen Beitrag dazu leistet. Die einzelnen, krankheitsbegünstigenden Varianten der sogenannten Vulnerabilitätsgene sindwahrscheinlich sehr häufig, so dass die meisten vonuns auf einzelnen Genen wahrscheinlich ein erhöhtes Erkrankungsrisiko tragen. Trotzdem verhindert die

WAS BEGÜNSTIGT EINE ERHÖHTE VULNERABILITÄT?

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schützende Wirkung anderer Gene und/oder günstigerUmwelteinflüsse den Ausbruch der Erkrankung. Folg-lich führt auch ein erhöhtes genetisches Risiko nichtzu einem unausweichlichen Krankheitsschicksal. Erstdurch das Zusammenspiel vieler verschiedener Geneund nicht genetischer Einflüsse kann es nämlich zumAusbruch einer psychotischen Erkrankung kommen.Die spezifischen Krankheitsgene sind bis heute nichtbekannt, sie werden aber von vielen Forschergruppenintensiv gesucht.

Heute können die Auswirkungen der genetischen undnicht genetischen Einflussfaktoren therapeutisch somodifiziert werden, dass die Erkrankung zumindestgünstiger verläuft oder eventuell auch verhindert werden kann.

Schizophrenie als Erkrankung des Gehirns

Schizophrenie ist auch eine Erkrankung des Gehirns,die sich in manchen Situationen in einem weniger gutkoordinierten Zusammenspiel von Hirnarealen undHirnfunktionen ausdrückt. Dabei finden sich keinequalitativ sichtbaren, nicht umkehrbaren Defekte, sondern lediglich Mittelwertsunterschiede in derGröße von Hirnarealen oder bei der Reaktion auf Reize. Diese können heute durch die Methoden derstrukturellen und funktionellen bildgebenden Verfah-ren sichtbar gemacht werden. Ebenso kann dabei demonstriert werden, dass durch gezielte Therapiediese quantitativen Veränderungen verbessert werden

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können. Vorschädigungen des Gehirns in einem frühe-ren Entwicklungsstadium können hirnbiologische Voraussetzungen für psychotische Reaktionen beiÜberforderungen begünstigen. Solche Schädigungenkommen v.a. bei Geburtskomplikationen (z.B. Sauer-stoffmangel bei der Geburt) vor.

Wie wirken die genetischen und hirnbiologischenRisikofaktoren?

Hier kann man derzeit nur spekulieren. Wahrschein-lich haben die Gene aber etwas mit der Verarbeitungs-kapazität des Gehirns in belastenden Situationen zutun, die im Laufe der Hirnentwicklung im 1. und 2. Lebensjahrzehnt entsteht. Die Hirnentwicklung wirddurch Gene gesteuert (Hirnentwicklungsgene), die beiverschiedenen Menschen in unterschiedlichen Varian-ten vorliegen können. Auch frühe Schädigungen desGehirns wie z.B. Sauerstoffmangel während der Ge-burt können die Hirnentwicklung ungünstig beein-flussen. Entsprechend unterscheiden sich Menschenin ihrer Verarbeitungskapazität, so dass manche unterAnspannung und Belastung auch mit psychischen Krisen antworten. Der eine kann eine schwierige Situation besser kompensieren als der andere.Während einer „ausrastet“, bleibt ein anderer in derselben Situation ganz gelassen.

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Vor allem chronische Überforderungssituationen, aberauch kritische Lebensereignisse können bei entspre-chender Vulnerabilität und eingeschränkten Bewälti-gungsmöglichkeiten eine Psychose begünstigen.

Neben den oben genannten genetischen und körperli-chen Faktoren, die die biologische Verletzlichkeit kenn-zeichnen, spielen psychologische und soziale Faktorenbei der Entstehung einer Psychose eine bedeutsameRolle. Diese werden meist mit dem Begriff „Stress“bezeichnet. Für das Auslösen einer schizophrenen Episode hat sich gezeigt, dass insbesondere (1) kritische Lebensereignisse,(2) überstimulierende soziale Umgebung und (3) ein extrem spannungsreiches Familienklima bedeutsam sind.

Auslösefaktoren im einzelnen: Stress erzeugen nichtnur die alltäglichen kleinen, aber dauerhaft belastendenBegebenheiten wie Ärger mit Mitschülern oder Kolle-gen, sondern auch wichtige Abschnitte in der persönli-chen Entwicklung. Von diesen sogenannten kritischenLebensereignissen sind insbesondere im Jugendalterbesonders viele zu bewältigen, etwa die erste Liebe, der Schulabschluss, die Berufswahl, die Ablösung vomElternhaus, um nur einige wichtige zu nennen. Weiteregravierende Belastungen können durch Schicksals-schläge, wie zum Beispiel dem Tod eines nahen Ange-hörigen, hinzukommen. Jeder Mensch erlebt diese Lebensereignisse auf seine eigene Art und Weise, dieseist abhängig davon, ob die Person die Ereignisse als bedrohlich, unkontrollierbar und unerwünscht erlebt.

WELCHE ROLLE SPIELT STRESS?

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Eine sozial überstimulierende Umwelt beschreibt dieUmgebung eines Menschen, die durch zu viele und unterschiedliche Anforderungen und Reize Stress her-vorruft. Der enge, intensive Kontakt zu Menschen mitvielen unterschiedlichen Gefühlsanforderungen, unter-schiedliche berufliche Belastungen, das Großstadtlebenmit Lärm und ständiger visueller Reizüberflutung – alldas strömt auf die Person ein und wird zunehmend alsbelastend und stressend erlebt. Möglicherweise ist diesdann Ausdruck der „gesteigerten Reizempfindlichkeit“bei erhöhter biologischer Vulnerabilität.

Ein extrem spannungsreiches Familienklima wird in der Forschung immer wieder als ein bedeutsamer Be-lastungsfaktor für psychische Erkrankungen, insbeson-dere für psychotische Rückfälle erwähnt. So sollen inForm von häufiger Kritik auch ungünstige Kommunika-tionsbedingungen das Auftreten von Psychosen begün-stigen. Dieses Verhalten kann aber auch schon eine Reaktion der Angehörigen auf krankheitsbedingte Ver-änderungen eines Familienmitglieds darstellen: z.B. der 20-jährige Sohn, der morgens nicht mehr aufstehenmöchte, ruft einerseits Kritik hervor, „Steh doch endlichauf und sei nicht so faul!“, andererseits wird dieses Ver-halten auch Sorge auslösen. Dies führt dann zu einembeschützenden, vielleicht auch überfürsorglichen Um-gang mit dem Sohn. Diese extrem spannungsreiche undwidersprüchliche Atmosphäre kann vom Betroffenenals belastend erlebt werden. Eine erfolgreiche Familien-therapie führt zu einer wesentlichen Verringerung derRückfälligkeit. Hier liegt auch ein Ansatzpunkt für die

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Vorbeugung psychischer Krisen: Infomationsvermittlungund Training von Kommunikationsfähigkeiten in der Fa-milie kann das Familienklima günstig beeinflussen unddamit Folgeschäden abwenden.

Wie spielen nun die biologische Vulnerabilität undStress beim Auftreten einer Psychose zusammen? Bei einer – wie oben beschriebenen – entsprechendenbiologischen Vulnerabilität kann der genannte psycho-soziale Stress abhängig von der individuellen Toleranz-grenze und den individuellen Bewältigungsfertigkeiteneine psychotische Episode auslösen. Die untenstehendeAbbildung verdeutlicht diesen Zusammenhang anhandunterschiedlicher Ausprägungen von Vulnerabilität undStress bei drei verschiedenen Personen A, B und C.

Person A reagiert auf die Summe der individuellen Belastungen mit Frühsymptomen, Person B mit psy-chotischen Symptomen und Person C bleibt gesund.Das Ausmaß des individuellen Stress ist bei den dreiPersonen gleich, wohl aber unterscheiden sie sich inder individuellen Vulnerabilität, da die biologischen Voraussetzungen bei jedem Menschen verschiedensind. Auch sind die Möglichkeiten zum Umgang mitStress, die individuellen Problemlöse- und Konflikt-bewältigungsfertigkeiten bei jedem Menschen unter-schiedlich ausgeprägt.

A B C

Stress

Vulne-rabilität

*Prodromalschwelle: Toleranzgrenze für das Auftreten erster Frühsymptome

Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Bewältigungsmöglichkeitensetzen die Erkrankungs-schwelle herauf

Person zeigtpsychotische Symptome

Person zeigt Frühsymptome

Psychoseschwelle

Prodromalschwelle*

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Je besser wir mit Belastungen umgehen können, umso eher bleiben wir gesund.

Im obigen Abschnitt über Stress wurde bereits ange-deutet, dass jeder Mensch unterschiedlich mit be-stimmten Belastungen umgeht. Für den einen ist diemündliche Abiturprüfung z.B. eher eine Herausforde-rung, für den anderen stellt sie eine nahezu unüber-windbare Hürde dar. Insofern kann man sagen, dassdas Erleben von Stress immer abhängig ist von den in-dividuellen Voraussetzungen des einzelnen Menschen.Wer gut frei reden kann und die Erfahrung gemachthat, dass er auch in Prüfungssituationen einen kühlenKopf behält, für den ist die Prüfung weniger stressigals für jemanden, der große Angst hat, vor anderenMenschen zu reden und sich auch noch schlecht vor-bereitet hat. Das Erleben von Stress ist also immer einsubjektives Geschehen und abhängig von den individu-ellen Bewältigungsfähigkeiten.

Menschen mit guten Bewältigungsmöglichkeiten sindbesser vor der Entwicklung einer Psychose geschützt,die Bewältigungskompetenzen setzen - bildlich ge-sprochen - die Schwelle, an einer Psychose zu erkran-ken herauf (vgl. Abbildung Seite 22).

Die Bewältigungsfähigkeiten sind somit als bedeut-same Schutzfaktoren anzusehen. Es ist für die Verhü-tung des Ausbruchs einer Psychose und somit für dieFrühbehandlung also entscheidend, die bereits vor-handenen Bewältigungsfähigkeiten zu fördern und fehlende Bewältigungskompetenzen aufzubauen.

WIE SCHÜTZENBEWÄLTUNGSMÖGLICHKEITEN?

Bewältigungsfähigkei-ten als Schutzfaktoren

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Welche Bewältigungskompetenzen schützen vor einer Psychose?

Jeder verfügt in unterschiedlichem Ausmaß über einRepertoire von Fertigkeiten und Strategien, Problemeanzugehen und zu bewältigen. Solche wirksamenSchutzfaktoren können manche Menschen vor psychi-scher Krankheit schützen; wenn hinlängliche Schutz-mechanismen fehlen, können unter Belastungen undin Stresssituationen psychische Krankheiten entstehen.Diese Strategien können aber auch gelernt und geför-dert werden.

Dazu gehört, wie man sinnvolle und umsetzbare Lö-sungsstrategien für ein Problem erarbeitet, wie manAnforderungen so bewältigen kann, dass sie nicht alsbedrohlich und unkontrollierbar erlebt werden. Dies kann zum Beispiel bei einer Prüfung eine ange-messene Vorbereitungsphase mit einem realistischenLernplan sein. Aber in einzelnen Fällen, wenn man dieGedanken nicht mehr ordnen kann, das Konzentrierennahezu unmöglich ist, dann kann auch die Verschie-bung der Prüfung eine sinnvolle Lösungsstrategie sein.

Zudem sind es soziale und kommunikative Fertigkei-ten, die schützend wirksam werden können. Menschenmit ausgeprägten sozialen Kompetenzen werden viele

soziale & kommunika-tive Fertigkeiten

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Situationen stressfreier erleben können, der täglicheUmgang mit Mitschülern oder Kollegen ist entspann-ter. Auch dies kann zu einem intakten Netzwerk sozia-ler Unterstützung beitragen, das ebenfalls schützendwirkt. Hierbei spielt nicht unbedingt die Größe desFreundeskreis eine Rolle, sondern vielmehr der Gradder Unterstützung durch diesen. Ob beispielsweiseFreunde da sind, zu denen ich Vertrauen habe und beidenen ich mich aussprechen kann. Aber auch die prak-tische Unterstützung ist wichtig, ob ich beispielsweisejemanden habe, der meine Blumen gießt, wenn ich imUrlaub bin, jemand, der für mich einkauft, wenn ichkrank im Bett liege. All das sind wichtige Hilfen im alltäglichen Leben und insbesondere in Krisenzeiten.

Die Behandlung in den Früherkennungszentren zieltauf die Förderung dieser oben genannten schützendenFaktoren ab. Natürlich gibt es auch ungünstige Bewäl-tigungsstrategien. Gerade Jugendliche und junge Er-wachsenen lernen möglicherweise in ihrer Clique,dass man Probleme, wie soziale Unsicherheit oderStress mit den Eltern mit Alkohol „einfach runterspült“oder sich mit Cannabis oder Marihuana beruhigt.

Besonders Jugendliche mit erhöhtem Psychoserisikosind in Gefahr, der Versuchung kurzfristiger Erleich-terung durch Drogen oder Alkohol zu erliegen.

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DROGEN UND PSYCHOSE

Drogenkonsum kann als ungünstiger Bewältigungs-versuch betrachtet werden und löst bei einem nichtunerheblichen Teil der anfälligen Menschen die Erkrankung vorzeitig aus.

Für einige Menschen stellt der Konsum von Drogen eine Möglichkeit dar, mit Problemen umzugehen oderauch erste mögliche Frühsymptome einer Psychose zubewältigen, wie Lustlosigkeit und Traurigkeit, erhöhteÄngstlichkeit, vermehrte Anspannung oder Konzen-trationsstörungen. Probleme und Konflikte mit Drogenlösen zu wollen, ist allerdings ein sehr ungünstigerBewältigungsversuch.

Über mögliche Zusammenhänge zwischen Drogen-konsum und schizophrenen Psychosen wird seit langem diskutiert: Wird jemand krank, weil er Drogennimmt – oder nimmt er Drogen, weil er krank wird?Vor allem im Frühverlauf leiden junge Erwachsenehäufig unter der sogenannten Negativsymptomatik, die u.a. von Traurigkeit, Lustlosigkeit, Anspannung und Antriebsarmut bestimmt wird. Der Konsum vonCannabis führt beispielsweise zur Gefühlsverarmungund Gleichgültigkeit, er verstärkt aber gleichzeitig diePositivsymptome Wahn, Halluzinationen und Denk-störungen. In Ermangelung alternativer Bewältigungs-strategien erscheint der Griff zur Droge, um quälendeSymptome zu beseitigen, also durchaus als verständ-licher, allerdings gefährlicher Bewältigungsversuch.

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Während die Zusammenhänge von Drogenmissbrauchund Schizophrenie nach jahrelangem Krankheitsverlaufoft kaum noch zu entwirren sind, kann die sorgfältigeAnalyse der zeitlichen Abfolge bei KrankheitsbeginnAufschluss über die Entstehungsgeschichte geben:

Die repräsentative Mannheimer ABC-Schizophrenie-Studie zeigte, dass junge Patienten mit einer schizo-phrenen Ersterkrankung etwa doppelt so häufig einDrogenproblem aufweisen wie Altersgenossen ohnePsychose. Als erstes und am häufigsten wird Cannabiskonsumiert – bei einem Drittel der Patienten bereitslange vor den ersten Frühsymptomen der Schizophre-nie, bei einem Drittel etwa gleichzeitig mit diesen undbeim letzten Drittel nach Beginn von Frühsymptomen.

Für entsprechend vulnerable Menschen muss also Drogenkonsum als ein erhebliches Gefahrenmomentbewertet werden. Zwar konsumieren sehr viele jungeErwachsene beispielsweise Haschisch, ohne an einerPsychose zu erkranken, was erneut deutlich macht,dass bei der Entstehung einer schizophrenen Psycho-se viele verschiedene Risikofaktoren beteiligt sind.Wenn aber die Disposition dafür vorliegt, dann ist esoffenbar so, dass bei einem größeren Teil dieser vulnerablen Menschen die Erkrankung, angefangenmit der frühen Prodromalsymptomatik, durch Cannabismissbrauch vorzeitig ausgelöst wird.

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FRÜHVERLAUF DER PSYCHOSE

Bereits Jahre vor einer akuten Psychose zeigen sich oftmals erste Erkrankungsanzeichen, die in den Früherkennungszentren bereits im Vorfeld behandelt werden.

Wenn heute die Diagnose einer schizophrenen Störungerstmals gestellt wird, haben die Betroffenen oft meh-rere nicht erfolgreiche Beratungen und Behandlungender vorausgehenden Beschwerden hinter sich. Alleinschon vom erstmaligen Auftreten der schizophrenie-typischen, psychotischen oder positiven Symptome bishin zur Diagnosestellung und Einleitung der richtigenBehandlung verstreicht eine lange Zeit (siehe Abbil-dung Seite 11). Je länger dieser Zeitraum dauert, umso ungünstiger wirkt er sich auf die Betroffenenund ihre Familien aus.

Wenn sich die Wahrnehmung der Wirklichkeit psycho-tisch verändert hat und mir trotzdem keiner sagenkann, was mit mir los sein könnte, werde ich vielleichtdepressiv und ängstlich. Möglicherweise bin ich so verzweifelt, dass ich schon an Selbstmord denkenmuß. In der Ausbildung oder im Beruf bekomme ichimmer größere Schwierigkeiten, weil ich die Vorgängein der Umgebung falsch interpretiere und man umge-kehrt mein Erleben und Verhalten nicht mehr versteht.Auch der Freundeskreis, die Partner oder die An-gehörigen in der Familie reagieren beunruhigt. Siewollen mir vielleicht alles ausreden, was ich an Be-drohlichkeiten doch ganz real wahrnehme. Das treibtmich dann in eine immer größere Isolation und ver-stärkt meine Ängstlichkeit noch mehr.

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Wenn dann endlich die Psychose diagnostiziert ist undman auf eine Station einer psychiatrischen Klinik auf-genommen wird, dann fällt die Behandlung dort sehrviel schwerer und es dauert dementsprechend auchdeutlich länger, bis die Symptome wieder verschwin-den. Selbst das Risiko, nach dem ersten Behandlungs-erfolg dann doch wieder einen Rückfall zu erleiden,scheint ebenfalls noch abhängig von der Dauer zu sein, in der die Psychose vorher unbehandelt blieb. Bei spätem Behandlungseinsatz ist das Rückfallrisikonämlich offenbar höher.

Zu diesen Nachteilen, die sich aus dem heute oft noch viel zu langen Weg in die richtige Behandlung für Menschen ergeben, die bereits in eine Psychose hineingeraten sind, kommt aber noch ein anderes, weit gravierenderes Problem hinzu. Denn wenn die erste psychotische Episode auftritt, dann heißt dies nicht, dass die Erkrankung auch zu diesem Zeitpunkterst beginnt. Vielmehr haben die Betroffenen über eine lange Zeitstrecke vorher schon unter Beeinträch-tigungen der Stimmung, des Antriebs, der kognitivenund kommunikativen Fähigkeiten zu leiden, die ihreEntwicklung in der Ausbildung und im Beruf behin-dern und bereits zum sozialen Abstieg führen können.

Ein solches initiales Prodromalstadium wurde bei etwa3/4 erstmals an Schizophrenie Erkrankten gefundenund hatte bei ihnen im Durchschnitt volle fünf Jahregedauert. Die Verzögerung, mit der die Betroffenenunter den heutigen Versorgungsbedingungen erst ineine adäquate Behandlung gelangen, ist also noch viel

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erheblicher (Abbildung Seite 11). Wenn man nämlichdie Prodromalsymptome mit in Rechnung stellt, dann liegt zum Zeitpunkt der ersten Behandlung derwahre Erkrankungsbeginn im Mittel schon mehr alssechs Jahre zurück. Lange vor den ersten Wahnideenund Halluzinationen haben etwa der 18jährige Markusoder der 25jährige Thomas (Seite 5 und 7) schon Veränderungen bei sich bemerkt, mit denen sich derdrohende Ausbruch einer schizophrenen Psychose bereits ankündigte.

Oft ist es am Anfang vielleicht nur so, dass ich mich inungewohnter Weise bedrückt, traurig oder verzweifeltfühle, vielleicht auch schlechter schlafe als gewöhn-lich. In meiner Umgebung merkt man etwa, dass ichschweigsamer geworden bin und mich lieber in die eigenen Wände zurückziehe, als mit anderen etwas zuunternehmen. Ausdauer und Motivation bei der Arbeitoder auch bei Freizeitunternehmungen, die mir sonstimmer Spaß gemacht haben, lassen merkwürdig nach.Dies alles, vielleicht auch häufigere Nervosität, Unruhe oder Angespanntheit, sind zunächst noch Veränderungen, die viele verschiedene Gründe habenkönnen. Wenn aber dann plötzlich auch die Gedankenin meinem Kopf manchmal durcheinander geratenoder von anderen, ganz nebensächlichen Gedankengestört oder unterbrochen werden, nimmt die Verän-derung schon eine Form an, die charakteristischer fürdie spätere Erkrankung ist. Vielleicht nehme ich auchplötzlich Geräusche oder Farben anders wahr, sehedie Dinge in der Umgebung und auch die Gesten undMienen der Menschen merkwürdig verändert.

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Dem Schüler Markus kam schließlich alles irgendwiefremdartig, unwirklich und unecht vor und er hatteauch von sich selber das Gefühl, neben sich zu stehen.Solche Veränderungen nennt man in der FachspracheDerealisation und Depersonalisation, sie lassen mirmeine Umgebung und auch mich selber darin oft erscheinen wie in einem Film.

Dass man durch alle diese Veränderungen bereitsschwer beunruhigt und bei den Alltagsaufgaben gera-de auch in der Ausbildung und im Beruf beeinträchtigtwerden kann, leuchtet ja jedem, der sich da einmalhineinversetzt, sofort ein. Schon deshalb ist es so wichtig, dass die Betroffenen und ihre Bezugsperso-nen solche Beschwerden ernst nehmen und es nichtbei Begründungen oder Therapieversuchen belassen,die unbefriedigend bleiben. Noch bedeutsamer aberwird dies natürlich vor dem Hintergrund unseres heu-tigen Wissens, dass diese Beschwerden bereits Pro-dromalsymptome sein könnten, die uns vor einer dro-henden Schizophrenie warnen.

Ziel muß es daher heute sein, bereits die initiale Pro-dromalphase zu erkennen und Menschen, die sichdarin befinden, eine schützende Behandlung anzubie-ten, die entweder den Ausbruch der Erkrankung ver-hindern kann oder zumindest doch die oft so gravie-renden Folgen der Erkrankung mildern hilft. DiesesZiel möchten wir durch die Einrichtung unsererFrüherkennungszentren erreichen.

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KANN MAN EINE PSYCHOSEVORAUSSAGEN?

Anhand der bereits bestehenden Prodromalsymptomeund zusätzlicher Risikofaktoren lassen sich Hinweiseauf das Psychoserisiko gewinnen, die eine frühe psy-chotherapeutische und/oder medikamentöse Behand-lung rechtfertigen.

Wenn ein enger Familienangehöriger an einer schizo-phrenen Erkrankung leidet, wenn Geburtskomplika-tionen bekannt sind oder vielleicht die Mutter währendder Schwangerschaft erkrankt war, so ist dies immer-hin schon einmal als Hinweis auf eine grundsätzlicheGefährdung beachtenswert. Auch für bestimmte Auf-merksamkeits-, Gedächtnis- und Handlungsstörun-gen, die sich mit psychologischen und physiologischenTests erfassen lassen, konnte ausgemacht werden,dass sie bei Menschen, die noch keinerlei Symptomehatten, wahrscheinlich ein erhöhtes Krankheitsrisikoanzeigen. Die Vorhersage einer drohenden Psychose und dazu noch eine, die auch sicher genug wäre, um hierauf gestützt schon schützende Interventionen einleiten zu können, erlauben aber alle diese Risiko-faktoren nach unserem heutigen Wissen noch nicht.

Diese zunächst einmal ernüchternde Ausgangssitua-tion ändert sich, wenn im späteren Jugend- oderfrüheren Erwachsenenalter Prodromalsymptome auftreten. Auch unabhängig davon, ob vorher schonRisikofaktoren nachweisbar waren oder nicht, bestehtjetzt im Prodromalstadium eine gute Chance, aufge-tretene Symptome gezielt zu behandeln und den mög-lichen Übergang in die Psychose dadurch zu vermei-den oder wenigstens hinauszuzögern.

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Der Begriff „Prodrom“ stammt ja aus der Körper-medizin und besagt dort, dass Menschen, die solcheVorboten etwa bei Krebs- oder auch entzündlichen Erkrankungen bieten, tatsächlich auch mit Sicherheiterkranken, wenn man dem nicht durch gezieltePräventionsmaßnahmen zuvorkommen kann.

So sichere Vorboten sind die Veränderungen des Erle-bens und Verhaltens, die durchschnittlich 5 Jahre vorder ersten Psychose auftreten, zweifellos nicht. Von vielem, was der 18jährige Markus, der 20jährigeJonas oder auch der 25jährige Thomas plötzlich bei sich bemerkt haben, weiß man heute noch gar nicht,ob sich darauf die Vorhersage der drohenden Psycho-se stützen lässt.

Wohl aber kennt man bestimmte Symptome, bei denendies anders ist. Wenn beispielsweise die Gedanken wiederholt chaotisch durcheinander jagen, Neben-sächliches störend dazwischen kommt, die Wahrneh-mung der Umgebung sich verändert und dieseschließlich unwirklich oder unecht erscheint – wenndiese oder auch andere Prodromalsymptome schonlängere Zeit bestehen und sich mit sozialem Rück-zugsverhalten verbinden, dann haben solche Entwick-lungen wohl doch schon eine hohe Vorhersagekraft.

Viele Studien auf der ganzen Welt verfolgen heute dasZiel, die wirklich prädiktiven, die Psychose sicher vorhersagenden Symptome und Symptomkomplexeherauszufinden. Die bisherigen Ergebnisse sprechen

psychoseferne undpsychosenahe Prodromalsymptome

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dafür, dass solche Symptome – wie die oben hervorge-hobenen – wahrscheinlich besonders aussagekräftigsind. Weit über 70% der Menschen, die wegen einesPsychoseverdachts zur fachärztlichen Untersuchungkamen und solche Prodromalsymptome aufwiesen,entwickelten wenige Jahre später eine schizophrenePsychose und die Anzahl derer, bei denen es danndoch nicht zu einer solchen Erkrankung kam, war gering. Es zeigte sich auch, dass es sinnvoll ist, zwischen psychosefernen und psychosenahen Pro-dromalsymptomen zu unterscheiden.

Wenn ich nämlich plötzlich anfange, immer wieder zu-fällige Dinge aus der Umgebung auf mich zu beziehenoder magische Denkweisen zu entwickeln, als könnteich die Dinge steuern oder andere könnten meine Gedanken lesen, dann steht mir der Ausbruch derPsychose schneller bevor als bei anderen Personenmit Prodromalsymptomen.

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde durch dieMannheimer Arbeitsgruppe „Schizophrenieforschung“ein Früherkennungsinventar zusammengestellt, daseine Auswahl aussagekräftiger, in der gesunden Be-völkerung selten vorkommender Prodromalsymptomeund darüber hinaus auch Möglichkeiten zur Erfassungweiterer Risikofaktoren enthält. Dieses Instrumen-tarium liegt der Arbeit in den deutschen Früher-kennungszentren zugrunde und dient dem Ziel, dieVorhersage drohender Psychosen zu ermöglichen, diebisher dabei zu vermutende Sicherheit dieser Vorher-

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sagen zu überprüfen und sie zunehmend weiter zu erhöhen. Nach allem, was wir inzwischen wissen, reicht die Vorhersagekraft auf jeden Fall schon dazuaus, präventive Frühinterventionen, in psychosefernenProdromen mit psychotherapeutischen und in psycho-senahen Prodromen zusätzlich auch mit medikamen-tösen Maßnahmen, zu empfehlen.

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WEGE AUS DER GEFAHR –WAS KANN ICH TUN?

Werden Sie aktiv und nehmen Sie Kontakt zu einemFacharzt für Psychiatrie oder Neurologie auf, der Sie nach Bedarf und Wohnortnähe an eines derFrüherkennungszentren überweisen kann.

Eine Psychose ist in den meisten Fällen kein plötz-liches Ereignis und entsteht – wie oben dargestellt –im Zusammenspiel zwischen biologischen, psychologi-schen und sozialen Faktoren. Man ist der Entwicklungeiner psychotischen Erkrankung nicht hilflos ausgelie-fert, sondern kann bereits im Vorfeld präventiv etwasunternehmen. Wenn Sie sich in den geschildertenFallbeispielen wiederfinden oder einige Fragen derCheckliste (s. Seite 44-47) für sich positiv beantwortethaben, ist es sinnvoll, sich an einen Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu wenden, der Sie dannbei Bedarf und entsprechender Wohnortnähe an einesder Früherkennungs- und Frühbehandlungszentren inKöln, Bonn, Düsseldorf oder München überweisen wird.

Nach einer ausführlichen Diagnostik zur Abschätzungeines erhöhten Psychoserisikos wird in dem jeweiligenFrüherkennungszentrum ein individuelles und unver-bindliches Beratungs- und Behandlungsangebot er-stellt. Ziel des therapeutischen Angebotes ist es, dieaktuellen Beschwerden zu reduzieren, die allgemeinepsychische Belastbarkeit zu erhöhen und einer mögli-chen psychotischen Erkrankung vorzubeugen.

Die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten im Sinnevon Stressbewältigungs- und Problemlösekompeten-zen werden genauso trainiert, wie soziale Kompeten-

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zen verbessert werden sollen. Bei entsprechendemBedarf werden Krankheitssymptome darüber hinausauch medikamentös niedrigdosiert mit modernen Psychopharmaka behandelt. Wie bei allen anderen Erkrankungen gilt auch hier, dass sich eine frühzeitigeErkennung, Beratung und unter Umständen auch einefrühzeitige Behandlung in jedem Falle lohnt, um bereits bestehende Beschwerden zu reduzieren undeventuell weitere Auswirkungen zu vermeiden.

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WAS KANN ICH ALS ANGEHÖRIGER MACHEN?

Motivieren und unterstützen Sie Ihren Angehörigen,sich professionelle Hilfe zu holen.

Ihnen als Angehörigen kommt eine ganz wesentlicheRolle im Rahmen der Früherkennung und Frühinter-vention von Psychosen zu, da Sie in der Regel als er-ster überhaupt mögliche Frühsymptome wahrnehmen.Ihnen als Mutter oder Vater können bereits sehr frühVeränderungen auffallen, die Sie zunächst sicher auchganz zurecht als vorübergehende und altersangemes-sene Krisen bewertet haben. Meistens sind diese Ver-änderungen bei Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter auchwirklich vorübergehend und kein Grund zur Sorge.

Wenn Sie allerdings über einen längeren Zeitraum hinweg Veränderungen beobachten, die Ihnen Sorgebereiten, insbesondere einen vermehrten sozialenRückzug, eine depressive Stimmungslage, erhöhtesMisstrauen, vermehrte Anspannung und Reizbarkeitsowie Störungen der Konzentrations-, Lern- und Gedächtnisfähigkeit Ihres Kindes, kann sich die Vor-stellung bei einem niedergelassenen Facharzt oder in einem der Früherkennungszentren empfehlen.

Sie haben dann die manchmal schwierige, aber auchsehr wichtige Aufgabe, Ihren Angehörigen zu motivie-ren, die notwendigen Schritte einer diagnostischen Abklärung zu unternehmen. Hilfreich erweist es sich,wenn Sie alle erdenklichen Hilfen anbieten, dass Sieetwa für Ihren Angehörigen einen Vorstellungsterminvereinbaren, eine Begleitung zum Termin anbieten etc.

Motivation undUnterstützung

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Falls Sie sich unsicher sein sollten, wie Sie am bestenvorgehen, können Sie sich auch telefonisch zunächstbei der entsprechenden Anlaufstelle beraten lassen.

So wichtig Ihre Rolle bei der Früherkennung und Früh-intervention auch ist, Ihren Angehörigen zu unterstüt-zen, zu motivieren und zu begleiten, so trifft Sie dochkeine Schuld an der möglichen Entwicklung einer psy-chotischen Erkrankung. Früher hat man verschiedenefamiliendynamische Hypothesen diskutiert, in denenman vor allem den Müttern unter dem Begriff der„schizophrenogenen Mutter“ einen großen Anteil ander Verursachung einer schizophrenen Psychose zu-gesprochen hat. Heute weiß man, dass entgegen aller Spekulationen die Familie keine Schuld trifft.

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Die Broschüre wurde erarbeitet von den Mitarbeiternder Früherkennungszentren Bonn und Köln.

Die Texte wurden verfasst von:

Dipl.-Psych. D. KöhnPsychologe im Früh-Erkennungs- und Therapie-Zentrums für psychische Krisen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu KölnJoseph-Stelzmann-Straße 950924 Köln

Dipl.-Psych. N. Junker, Dipl.-Psych. J. BerningPsychologinnen im Zentrum für Beratung und Behand-lung bei erhöhtem Psychoserisiko an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität BonnSigmund-Freud Straße 2553105 Bonn

Prof. Dr. J. KlosterkötterDirektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapieder Universität zu KölnJoseph-Stelzmann-Straße 950924 Köln

Prof. Dr. W. MaierDirektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapieder Universität BonnSigmund-Freud Straße 2553105 Bonn

AUTOREN

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ADRESSEN/IMPRESSUM

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildungund Forschung (BMBF) geförderten KompetenznetzesSchizophrenie (Projektverbund I: Früherkennung undFrühintervention, Leitung: Prof. Dr. Dr. H. Häfner, Prof. Dr. J. Klosterkötter, Prof. Dr. W. Maier) wurdenmehrere Beratungs- und Behandlungszentren für erhöhtes Psychoserisiko gegründet.

Adressen von Beratungs- und Behandlungszentren im Kompetenznetz Schizophrenie:

FETZ - Früh-Erkennungs- und Therapie-Zentrum für psychische Krisen – Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik KölnJoseph-Stelzmann-Straße 9, 50924 KölnTel.: 0221-478 4042, Fax: 0221-478 7490Internet: www.fetz.org, E-mail: [email protected]

ZeBB - Zentrum für Beratung und Behandlung bei erhöhtem Psychoserisiko – Neurozentrum am Universitätsklinikum BonnSigmund-Freud-Straße 25, 53105 BonnTel.: 0228- 287 6302, Fax: 0228- 287 6302Internet: www.zebb.de, E-mail: [email protected]

FEZ- Früherkennungszentrum zur Beratung und Hilfebei erhöhtem psychischem Erkrankungsrisiko Bergische Landstraße 2, 40629 DüsseldorfTel.: 0211- 922 2783, Internet: www.uni-duesseldorf.de/psychkliniken/FEZ/FEZ_Homepage.htmlE-mail: [email protected]

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FETZ-MünchenPsychiatrische Universitätsklinik der LMU Nussbaumstr. 7, 80336 München Tel.: 089- 5160 5866, Fax: 089- 5160 5875Internet: www.med.uni-muenchen.de/psywifo/fetzE-mail: [email protected]

Forschungszentrum mit Schwerpunkt „Früherkennungsmethodik“

Arbeitsgruppe Schizophrenieforschung amZentralinstitut für Seelische GesundheitLeiter: Prof. Dr. Dr. Dr. hc mult. H. HäfnerPostfach 122120, 68072 Mannheim

IMPRESSUM:

Herausgegeben von den Früherkennungs- und Früh-interventionszentren der Universitätskliniken Köln undBonn und der Arbeitsgruppe Schizophrenieforschungam Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mann-heimin Kooperation mit dem Kompetenznetz Schizophrenie.

Mit freundlicher Unterstützung von Janssen-Cilag (Zukunftsarbeit).

Gestaltung: Miriam Farnung und Kirsten Lenz, Köln

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Der folgende kurze Fragebogen fasst erste möglicheHinweise auf ein erhöhtes Psychoserisiko zusammen.Er stellt eine erste und sehr niedrige Ebene der Er-fassung des Erkrankungsrisikos dar und soll – ähn-lich wie bei der Messung des Blutdrucks – Menschenmit leicht erhöhten Werten die Empfehlung zu einergenaueren Untersuchung geben.

1 Sie sind schweigsamer geworden und ziehen sich lieber zurück, als mit anderen etwas zu unternehmen.

2 Sie sind eher unsicher oder schüchtern anderen gegenüber.

3 Ihre Stimmung war über Wochen hinweg eher bedrückt, traurig oder verzweifelt.

4 Sie schlafen schlechter als gewöhnlich - z.B. haben Sie Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durch-schlafen oder wachen früher auf als sonst oder Sie essen mit viel mehr oder mit viel weniger Appetit als normalerweise.

5 Ihre Bewegungen, Ihr Denken und Sprechen sind merklich langsamer geworden.

6 Ihre Ausdauer und Motivation in Schule, Ausbildung oder Arbeit und bei Freizeitunternehmungen hat auffällig nachgelassen.

CHECKLISTE

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7 Sie achten weniger als früher auf Ihre persön-lichen Bedürfnisse oder Ihre Gesundheit, Ernäh-rung, Körperhygiene, Kleidung, Ordnung im per-sönlichen Wohnbereich.

8 Sie sind häufig nervös, unruhig oder angespannt.

9 Sie haben im Vergleich zu früher häufiger Streit und Diskussionen mit Angehörigen, Freunden oderanderen Personen.

10 Ihre Gedanken geraten in Ihrem Kopf manchmal durcheinander.

11 Sie haben häufiger als früher den Eindruck, dass andere Sie hereinlegen, ausnutzen oder betrügen wollen.

12 Sie haben zunehmend den Eindruck, dass bestimm-te Vorkommnisse im Alltag (z.B. Hinweise und Bot-schaften aus Ihrer Umwelt) mit Ihnen persönlich zu tun haben oder nur für Sie bestimmt sind.

13 Ihre gewohnte Umgebung kommt Ihnen manchmalunwirklich oder fremdartig vor (z.B. besonders eindrucksvoll, ergreifend, bedrohlich).

14 Sie nehmen Geräusche oder Farben in Ihrer Um-welt ungewohnt intensiv oder deutlich wahr. Manchmal erscheinen Ihnen Dinge oder Menschen äußerlich, z.B. in ihrer Form oder Größe, verändert.

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15 Ihre Gedanken werden manchmal plötzlich von an-deren Gedanken unterbrochen oder gestört.

16 Sie fühlen sich phasenweise ganz besonders beobachtet, verfolgt oder durch etwas bedroht.

17 Sie sehen, hören, schmecken oder riechen manch-mal Dinge, die andere überhaupt nicht bemerken können.

Die Absicht, mit dieser Mannheimer Checkliste auchgeringfügig erhöhte Risiken einer genaueren Klärungzuzuführen, bringt es mit sich, dass einzelne der ent-haltenen Fragen von vielen Menschen bejaht werden.Auch wenn Sie feststellen sollten, dass drei oder mehrder Aussagen 1-13 auf Sie zutreffen, heißt das noch lange nicht, dass damit auch schon eine Psychose-gefährdung gegeben wäre. Auch das Vorkommen von Erlebnisweisen, die einer Psychose schon näher stehenund in der Checkliste mit den Aussagen 14-17 beschrie-ben werden, besagt das für sich alleine genommennoch nicht. Sie sollten sich also durch solche Wahrneh-mungen bei sich selber nicht beunruhigen lassen. Hin-ter vielen der in die Checkliste aufgenommenen Verän-derungen Ihres Erlebens oder Verhaltens kann sichauch etwas ganz anderes verbergen, vielleicht nur eineganz normale Reaktion auf belastende Lebensumstän-de. Besonders vieldeutig und unspezifisch sind die Aussagen 1-9. Sie wurden aber trotzdem in die Check-liste mit aufgenommen, weil viele Betroffene darüberberichtet haben, dass ihre psychische Störung ganz am Anfang, oft lange bevor die Psychose auftrat, mit

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solchen Veränderungen begann. Wenn ich mich alsoplötzlich lieber zurückziehe, unsicherer werde odermich über längere Zeit hinweg bedrückt fühle, ohne zuwissen warum, wenn das zur Belastung für mich selberund für meine Bezugspersonen wird und auch die Ärzte,Psychologen, Psychotherapeuten, die ich um Rat frage,Schwierigkeiten mit der Diagnose und der Therapie-empfehlung haben, dann wäre es sicher sinnvoll, auchbei solchen Beschwerden Kontakt zu den Früher-kennungszentren aufzunehmen. Dies gilt insbesonderedann, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorhanden sind:wenn ein enger Familienangehöriger unter einer psy-chischen Erkrankung leidet und bereits deshalb in ner-venärztlicher Behandlung war, wenn Geburtskomplika-tionen (z.B.: zeitweiser Sauerstoffmangel) bekannt sindoder wenn die Mutter während der Schwangerschaft erkrankt war.In den Früherkennungszentren würde dann eine aus-führliche Untersuchung mit dem Früherkennungsin-ventar und anderen Instrumenten erfolgen sowie eineBeratung, die sich ganz auf die individuelle Lebens-situation bezieht. Erst hierbei kann dann richtig bewer-tet werden, was es zu bedeuten hat, wenn Aussagen der Checkliste auf das eigene Erleben und Verhaltenzutreffen. Sollten sich in der Tat Hinweise auf eine er-höhte Psychosegefährdung ergeben, würde sehr sorg-fältig miteinander überlegt werden, wie man dem in derkonkreten Lebenssituation am besten entgegenwirkenkann. Wenn alle Menschen mit derartigen Problemenvon diesem Angebot Gebrauch machen würden, ließesich in der Zukunft möglicherweise der Ausbruch schi-zophrener Psychosen von vorneherein verhindern.

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FRÜH ERKENNEN. FRÜH BEHANDELN. NEUE CHANCEN FÜR MENSCHEN MIT ERHÖHTEM PSYCHOSERISIKO.

MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON