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350 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 | Nr. 5 MAGAZIN | RÄTSEL Zwar wer- den viele Tierarten durch den Menschen bedroht oder sind von ihm so- gar schon ausgerottet worden, aber einige Arten konn- ten sich in mensch- lichen Sied- lungen, in Dörfern, Städten und in Gebäuden auch besonders gut entfalten. Solche Arten nennt man synanthrop und für Mitteleuropa lässt sich eine lange Liste von Tierarten aufstellen, die in Ortschaften viel häufiger sind als im Umland. Dazu gehört die von vielen als Be- reicherung angesehene und von an- deren wegen der durch sie bedingten Gebäudeverschmutzung geächtete Haustaube ebenso wie der Haussper- ling, der über Jahrhunderte der große Profiteur der reich anfallenden „Pfer- deäpfel“ war. Der Mauersegler ist ge- FÜR UNSERE RÄTSELFREUNDE | Von der Torte zur Toilette radezu ein Inbegriff unserer Stadt- landschaft. Bei Amsel und Singdrossel können wir das Besiedeln der Städte im 20. Jahrhundert recht genau nach- zeichnen. In unseren modernen Wohnun- gen gehören die allgegenwärtige Zit- terspinne und an unseren Häuser- wänden die Zebraspringspinne, die Spinne des Jahres 2005, zu den synanthropen Formen. Der Stein- marder wiederum, auch Stadtmarder genannt, hat eine Vorliebe für be- stimmte Teile in unseren Autos. Auch unser Rätseltier gehört in die Kategorie der synanthropen Tiere. Im Hochsommer ist es eine be- sonders häufige Art in bewohnten Gebäuden. Nach derzeitiger Kenntnis ist es „eusynanthrop“, d.h. es kommt bei uns praktisch nur in unmittel- barer Umgebung des Menschen vor. Seine Verbreitung scheint fast global zu sein. Es handelt sich um einen „Trinker“, der Nahrung nur in flüssi- ger Form aufnimmt. Dazu dienen spezielle Teile der Mundwerkzeuge, die polsterförmigen Labellen des Labi- ums. Mit dieser Aussage ist den Le- sern natürlich die Tiergruppe schon klar – jedoch umfasst diese zwei Drit- tel aller heute bekannten Tierarten – es muss also noch weitergelesen wer- den. Unserem Rätseltier wird „Her- dentrieb“ nachgesagt – einzelnen In- dividuen begegnet man selten. Außer- dem zeichnet es sich durch einen „Neugiertrieb“ aus, was lästig werden kann, wenn es sich zum Beispiel für tränende Augen, verschwitzte Haut oder auch Torte, Käse oder Kot inter- essiert – und gerade das, jedoch nicht notwendigerweise in dieser Reihen- folge – beschreibt das weite Nah- rungsspektrum unseres Rätseltieres. Es wechselt rasch von einer Nah- rungsquelle zur nächsten, fällt durch intensives Putzen auf und legt seine Eier – das können bis zu 2000 pro Weibchen sein – zum Beispiel in Pfer- demist (ein Kilogramm davon ernährt 8000 Larven). Bald danach schlüpfen die Imagi- nes, interessanterweise praktisch keimfrei. Sie sind flugfähig, wechseln von einer Nahrungsquelle zur nächs- ten und können jetzt eine Reihe von Erregern übertragen, die Menschen krank machen oder sogar töten. Dazu gehören die Erreger der Ruhr ebenso wie Salmonellen, Escherichia coli, Streptokokken und Staphylokokken so- wie Wurmeier. Just aus diesem Grund ist das Totschlagen – oder wenigstens das Wegjagen – unseres Rätseltieres bei uns gesellschaftlich akzeptiert oder wird sogar gefordert. Ganz an- ders sieht es in manchen fernen Kul- turen aus, wo unser Rätseltier mög- licherweise an den eiternden Augen eines Kindes den Ausfluss trinkt, ohne dass die Mutter, die dieses Kind in den Armen hält, eingreift. Sie weiß nicht, dass unser Rätseltier die bak- terielle Conjunctivitis überträgt, sie kennt Haemophilus aegypticus nicht, den Erreger des Trachoms, wel- ches zur Erblindung führt. Unser Rätseltier fliegt bei Ihnen jetzt vielleicht Apfelkuchen oder Käseplatte an, summt in der guten Stube um die Lampe oder landet an der Fensterscheibe oder unter dem Glasdach der Veranda. Abbildung a zeigt die Endkrallen seines Fußes, Abbildung b einen Ausschnitt aus dem Fuß einer nahen Verwandten. Frage: Welches Tier wird gesucht? Volker Storch, Heidelberg ABB. a) End- krallen des Fußes unseres Rätseltie- res. b) Ausschnitt aus dem Fuß einer nahen Ver- wandten, der goldglänzenden Lucilia. Schicken Sie bitte Ihre Lösung bis zum 3. November 2005 an die Redaktion „Biologie in unserer Zeit“, Föhrenweg 6, D-68305 Mannheim. Verlost wird dreimal... In Heft 4/2005 suchten wir: – Valeriana officinalis Gewonnen haben Gerhard Kühnert, Bräunsdorf Rebekka Jaros, Attnang-Puchheim Dr. Ekkehard Geßner, Nottuln Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Für unsere Rätselfreunde: Von der Torte zur Toilette

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Page 1: Für unsere Rätselfreunde: Von der Torte zur Toilette

350 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 |Nr. 5

M AG A Z I N | R Ä T S E L

Zwar wer-den vieleTierartendurch denMenschenbedrohtoder sindvon ihm so-gar schonausgerottetworden,aber einigeArten konn-ten sich inmensch-lichen Sied-lungen, inDörfern,Städten undin Gebäuden

auch besonders gut entfalten. SolcheArten nennt man synanthrop und fürMitteleuropa lässt sich eine lange Liste von Tierarten aufstellen, die inOrtschaften viel häufiger sind als imUmland.

Dazu gehört die von vielen als Be-reicherung angesehene und von an-deren wegen der durch sie bedingtenGebäudeverschmutzung geächteteHaustaube ebenso wie der Haussper-ling, der über Jahrhunderte der großeProfiteur der reich anfallenden „Pfer-deäpfel“ war. Der Mauersegler ist ge-

F Ü R U N S E R E R ÄT S E L F R EU N D E |Von der Torte zur Toilette

radezu ein Inbegriff unserer Stadt-landschaft. Bei Amsel und Singdrosselkönnen wir das Besiedeln der Städteim 20. Jahrhundert recht genau nach-zeichnen.

In unseren modernen Wohnun-gen gehören die allgegenwärtige Zit-terspinne und an unseren Häuser-wänden die Zebraspringspinne, dieSpinne des Jahres 2005, zu densynanthropen Formen. Der Stein-marder wiederum, auch Stadtmardergenannt, hat eine Vorliebe für be-stimmte Teile in unseren Autos.

Auch unser Rätseltier gehört indie Kategorie der synanthropenTiere. Im Hochsommer ist es eine be-sonders häufige Art in bewohntenGebäuden. Nach derzeitiger Kenntnisist es „eusynanthrop“, d.h. es kommtbei uns praktisch nur in unmittel-barer Umgebung des Menschen vor.Seine Verbreitung scheint fast globalzu sein. Es handelt sich um einen„Trinker“, der Nahrung nur in flüssi-ger Form aufnimmt. Dazu dienen spezielle Teile der Mundwerkzeuge,die polsterförmigen Labellen des Labi-ums. Mit dieser Aussage ist den Le-sern natürlich die Tiergruppe schonklar – jedoch umfasst diese zwei Drit-tel aller heute bekannten Tierarten –es muss also noch weitergelesen wer-den. Unserem Rätseltier wird „Her-

dentrieb“ nachgesagt – einzelnen In-dividuen begegnet man selten. Außer-dem zeichnet es sich durch einen„Neugiertrieb“ aus, was lästig werdenkann, wenn es sich zum Beispiel fürtränende Augen, verschwitzte Hautoder auch Torte, Käse oder Kot inter-essiert – und gerade das, jedoch nichtnotwendigerweise in dieser Reihen-folge – beschreibt das weite Nah-rungsspektrum unseres Rätseltieres.

Es wechselt rasch von einer Nah-rungsquelle zur nächsten, fällt durchintensives Putzen auf und legt seineEier – das können bis zu 2000 proWeibchen sein – zum Beispiel in Pfer-demist (ein Kilogramm davon ernährt8000 Larven).

Bald danach schlüpfen die Imagi-nes, interessanterweise praktischkeimfrei. Sie sind flugfähig, wechselnvon einer Nahrungsquelle zur nächs-ten und können jetzt eine Reihe vonErregern übertragen, die Menschenkrank machen oder sogar töten. Dazugehören die Erreger der Ruhr ebensowie Salmonellen, Escherichia coli, Streptokokken und Staphylokokken so-wie Wurmeier. Just aus diesem Grundist das Totschlagen – oder wenigstensdas Wegjagen – unseres Rätseltieresbei uns gesellschaftlich akzeptiertoder wird sogar gefordert. Ganz an-ders sieht es in manchen fernen Kul-turen aus, wo unser Rätseltier mög-licherweise an den eiternden Augeneines Kindes den Ausfluss trinkt,ohne dass die Mutter, die dieses Kindin den Armen hält, eingreift. Sie weißnicht, dass unser Rätseltier die bak-terielle Conjunctivitis überträgt, siekennt Haemophilus aegypticusnicht, den Erreger des Trachoms, wel-ches zur Erblindung führt.

Unser Rätseltier fliegt bei Ihnenjetzt vielleicht Apfelkuchen oder Käseplatte an, summt in der gutenStube um die Lampe oder landet ander Fensterscheibe oder unter demGlasdach der Veranda. Abbildung azeigt die Endkrallen seines Fußes, Abbildung b einen Ausschnitt ausdem Fuß einer nahen Verwandten.

Frage: Welches Tier wird gesucht?

Volker Storch, Heidelberg

A B B . a) End-krallen des Fußesunseres Rätseltie-res. b) Ausschnittaus dem Fuß einer nahen Ver-wandten, dergoldglänzendenLucilia.

Schicken Sie bitte Ihre Lösung bis zum 3. November 2005 an die Redaktion „Biologie inunserer Zeit“, Föhrenweg 6, D-68305 Mannheim.Verlost wird dreimal...

In Heft 4/2005 suchten wir:– Valeriana officinalis

Gewonnen haben• Gerhard Kühnert, Bräunsdorf• Rebekka Jaros, Attnang-Puchheim• Dr. Ekkehard Geßner, Nottuln

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.