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Gabriel wolf 2013 prethesis2

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Prethesis2, TrediciGabriel WolfBasel, 29. Mai 2013

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Einleitung

Es sind Momente wie dieser, in denen ich nervös, angespannt und sentimental werde. Aus dem Lautsprecher klingen die klaren Töne der klassischen Musik, der Bildschirm vor mir blendet meine Augen und die Finger versuchen etwas zu schreiben, was nur ansatzweise meinen Gedanken gerecht wird.

„Reflexion, blickende Lichter des Modems, vergangenes Jahr im HyperWerk, Kopfweh, Musik, es regnet, Kaffee ist leer, seltsames Geräusche von den Nachbarn, Auto fährt vorbei, velobamu, in meinem Mund schmeckt es nach Paprika Chips, IBA 2020, Realize, letzte Moduldoku, der Wind pfeift durch die Türe. Wie soll ich 10‘000 Anschläge schreiben? Velobamu ist noch nicht fertig, vielleicht habe ich bei der Kostenübersicht einen Rechenfehler gemacht, habe ich die Eingabe zu spät abgesendet? Werde ich mich über die 40‘000€ triregionaler Fördergelder freuen, oder vergeht mir der Spass unter dem Druck? Soll ich Traubensaft trinken? Soll ich Klavier spielen?“

Wie viele Seiten dieser Art hätte ich wohl in 30 Minuten geschrieben, ginge es im gleichen Stil weiter? „Stopp“ sage ich mir selbst, so deklassiere ich meine gedankliche Achterbahnfahrt zu unnützem Zeitvertreib, ist es doch genau diese Achterbahnfahrt, welche bei jeder Modulreflexion im Zentrum steht. Sie ist der Weg zurück zu blicken ohne mich einzuengen, fixieren zu müssen und ohne zu wissen welches die nächste Station sein wird. Sie fährt vorbei an Dingen die das HyperWerk betreffen, an Dinge die scheinbar nichts mit meinem Studium gemein haben und hält meist überraschend an Orten an, welche ich schon fast wieder vergessen hätte. Die Möglichkeit, sich von der Reflexion überraschen zu lassen hat mir die Freude am Schreiben zurückgebracht und bei jeder Moduldokumentation freue ich mich ein wenig mehr. Wären da doch nicht diese langsamen Finger...

Die Achterbahn hält bei „velobamu“, einem Projekt, welches nicht mehr in den Kinderschuhen steckt und dennoch bis zum erwachsen sein einen langen Weg vor sich hat.

Prethesis von Gabriel Wolf, 2013, am Institut HyperWerk, Basel 2

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velobamu WAS BISHER GESCHAH

Mit jedem Mal wenn ich jemandem das Projekt „velobamu“ erkläre und den Name etwa dreimal wiederhole, wächst meine innere Begeisterung dafür, werde etwas angespannt und höre mich selbst über etwas sprechen, was nur im Ansatz besteht und zudem weitgehend nur in meinem Kopf. „Velobamu“ wird so durch jede meiner Schilderungen für mich ein Stück realer.

„Velobamu steht für Velo, Lörrach, Basel und Mulhouse. Für Softskills, Technik, Kreativität und Nachhaltigkeit. Für die Überschreitung von Landesgrenzen und Förderung des triregionalen Austausches,“ lautet meist meine wohlklingende Zusammenfassung. Genauer gesagt:

Aufgrund den Bestrebungen von Mischa in Mulhouse Fuss zu fassen, erkannte er die Schwierigkeit einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit, selbst in der nahegelegenen Triregion Basel. Um die grossen DMC Hallen mit Leben zu füllen, suchte er auch nach einem symbolischen Weg die grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufzuzeigen. Seine Bemühungen mich für dieses Projekt zu aktivieren, fanden Ursprung bei den gemeinsamen Arbeiten an dem Ausstellungskonzept für die IBA 2020. Es hat eine Weile gedauert meine Zurückhaltung zu überwinden und in dieses Projekt mit einzusteigen. Inzwischen habe ich gemerkt, dass trotz allen gesetzten Vorstellungen und Ideen von Mischa ich selbst mein eigenes Projekt formen und durchziehen kann. Zusätzlich erkannte ich im Projekt „velobamu“ meine ursprünglichen Gründe, post industrial design am HyperWerk zu studieren. Es ist die Kombination von sozialem Engagement und Förderung von Soft Skills, mit technischen Ambitionen und der Sportlichkeit von Ökomobilität. Nachträglich frage ich mich selbst, aus welcher Überzeugung ich so lange Zurückhaltung zeigte, dennoch erachte ich meine Skepsis mehr als gesunder Menschenverstand, denn einem lästigen Charakterzug.

Prethesis von Gabriel Wolf, 2013, am Institut HyperWerk, Basel 3

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Die Herangehensweise von „velobamu“ war in vielerlei Hinsichten neu für mich. Am eindrücklichsten ist die Tatsache, dass auf Grund möglicher finanzieller Mittel, das Projekt auf die Beine gestellt wird. Die Ausgangslage brachliegende Projektgelder abholen zu können und darauf aufbauend das Projekt zu gestalten, ist eine dermassen neue Erfahrung, dass ich schon fast überfordert bin. Dennoch bin ich mir der so entstehenden Freiheit sehr bewusst. Ich kann so fast ohne schlechtem Gewissen deklamieren, bekomme ich die Fördergelder zugesprochen, geht die Post ab, wenn nicht, geht die Post wo anders ab. Diese Vorgehensweise gehört zu den wichtigsten Grundlagen meiner Reflexion und wird mich in Zukunft begleiten.

Nun möge es zwischenzeitlich den Eindruck machen, die Fördergelder der TEB Triregionaler Euroditrict Basel seien bereit im Trockenen, Tatsache ist, dass der aktuelle Stand dieser Finanzverhandlungen mich ständig vom Prethesis Schreiben abhält. Mail da, Mail dort, es ist ein immer wiederkehrender Kreislauf welcher mich auf Trab und Spannung hält. Soeben habe ich die aktualisierte Version der Projekteingabe abgeschickt und die Entscheidung über den weiteren Projektverlauf somit weitgehend aus meinen Händen gegeben. Zurück bleibt leichte Ernüchterung, denn zwischenzeitlich habe ich bemerkt, dass im Bereich öffentlicher Fördergelder die politische Korrektheit des Antrages, mindestens so stark gewichtet wird, wie der Projektinhalt selbst.

„Velobamu“ ist ein Projekt zur Förderung des triregionalen Austausches. Mit der Annahme, dass man als Projektleiter mit gutes Bespiel vorangeht, stosse ich mit meiner persönlichen triregionalen Inkompetenz dieser Vermutung gänzlich vor den Kopf. Wie soll ich triregionale Fördergelder beziehen, wenn ich mich selbst, kaum mit Lörrach, Mulhouse geschweige denn dem Dorf Hunique beschäftigt habe? Und so gelange ich zu einem weiteren entscheidenden Punkt, welcher für mich die Projektarbeit von „velobamu“ so einzigartig macht. Mit jedem Schritt, mit jedem Mail, mit jedem Telefon lerne und erlebe ich für mich selbst und durchlebe so authentisch die eigentlichen Projektbemühungen. Dieser Aspekt verhilft mir unverhofft zu mehr Glaubwürdigkeit sowohl Dritten gegenüber, wie auch gegenüber mir selbst.

Es ist der 5. März 2013. Gemeinsam mit Mischa bin ich auf dem Weg zur Lycée Stoessel in Mulhouse. Viel Zeit ist vergangen, seit ich mich zuletzt in einen Zug der SNCF gesetzt habe. Etwas nervös über das bevorstehende Treffen versuche ich meine Gedanken zu ordnen und hoffe innerlich, dass mein schlechtes Französisch nicht sehr zu Geltung kommen wird. Die Lycée Stoessel ist eine technische Schule in Mulhouse, auf dem Papier zu vergleichen mit einer technischen Berufslehre in der Schweiz, so viel wissen wir vorab. Es begrüsst uns ein streng gekleideter Schulleiter und führt uns wohlgewillt durch jedes Zimmer des Gebäudes. Die Schule ist gut ausgerüstet, mit meiner technischen Affinität entdecke ich Maschine um Maschine. Dennoch verschlägt es mir wortwörtlich den Atem. Die Wände sind kahl, einengend und höchstens mit Bildern aus vergangenen Zeiten geschmückt. Wie kann man hier arbeiten? Man fühlt sich mehr in einem Gefängnis denn einem Bildungsinstitut. In den vielen 100m2 Arbeitsfläche findet sich in keiner Weise kreatives und problemorientiertes Arbeiten. Es geht strickt nach Pariser-Lehrplan, mit einer (aus meiner sich) veralteten hierarischen Schüler/Lehrer Struktur, Stock für Stock, Zimmer für Zimmer. Die Schüler selbst sind entgegen den Lehren zurückhaltend, scheu,

Prethesis von Gabriel Wolf, 2013, am Institut HyperWerk, Basel 4

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bedacht. Darauf angesprochen meint eine Lehrperson: „sie haben eben Angst von der Schule zu fliegen“. Dennoch sehe ich vordergründig die Qualitäten und Möglichkeiten dieser Schule. Sie ist in mehreren Hinsichten der ideale „velobamu“ Projektpartner. Technisch mit vielen Kompetenzen, geografisch an perfekter Lage und hat Schüler, welche - wenn alles klappt - Teil von velobamu sein werden. Meine Hoffnung ihnen ein Stück HyperLand zu zeigen, fern von jeglichem Pariser-Lernplan, ist zugleich Teil von „velobamu“ und somit dem triregionalen Austausches.

Zwei Tage später besuchen wir SAK (sozialer Arbeitskreis) in Lörrach. Selbstverständlich kann man rein inhaltlich die Institutionen schlecht vergleichen, dennoch sieht man wie Struktur, Herangehensweise und die Selbstverantwortung im starken Kontrast zueinander stehen. Man stelle sich vor, bei SAK gibt es eine selbstverwaltende Küche und sie funktioniert! Wer sich mit pädagogischen Ämtern auskennt oder im HyperWerk tätig ist, weiss, was dies bedeutet. Viel Effort und Vertrauen den Jugendlichen gegenüber muss gegeben sein. Und genau diese Aspekte sind Kern und Kompetenz von SAK. Ein Grund mehr um die Grenzen zu überschreiten!

Prethesis von Gabriel Wolf, 2013, am Institut HyperWerk, Basel 5

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velobamu WAS NOCH GESCHEHEN WIRD

Umso einschneidender ist es, wenn man sieht wie die Landesgrenzen immer noch als Hürden fungieren. Im Bereich der Jugendkultur sowie der Kreativ- und Designarbeit verpassen wir es, voneinander zu profitieren. Denn genau darin erkennen wir das grösste Potenzial, das eine grenznahe Situation ihren Anwohnern zu bieten hätte – dass nämlich Differenz und Vielfalt besonders junge, kreative Kreise in ihrer Innovation und Offenheit zu beleben vermögen. Dieses Potenzial zumindest symbolisch zu heben, ist das Kernziel von „velobamu“. Ein Rennen zwischen Basel und Mulhouse entlang dem Hüniger Kanal ist Abschluss und Ziel des Projektes. Selbst gebaute, ökologisch orientierte Fahrzeuge sollen den offenen Umgang mit einer Reise veranschaulichen und als Ausdruck einer neugierigen, experimentellen Form der Zusammenarbeit wirken.Die Absicht von velobamu besteht nun darin, das Bewusstsein zu verankern, dass man sich problemlos, rasch und komfortabel zwischen den beiden grössten Städten der Triregio bewegen kann, und dass sich diese Bewegung auch lohnt. Die vorbereitenden Workshops in der DMC-Halle des Vereins motoco in Mulhouse sind zielorientiert. Sie wirken als Pfeiler der Teambildung und Projektarbeit. Dort sollen junge Menschen aus der Triregio ihre alternativen Mobilgeräte gemeinsam entwickeln und bauen, und anschliessend damit das 40km lange Rennen absolvieren. Wir mein Fahrzeug halten? Eine kleine Frage mit grossem Hintergrund. Produktorientiert. Teamarbeit. Selbstverantwortung.

Prethesis von Gabriel Wolf, 2013, am Institut HyperWerk, Basel 6

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Schlusswort WAS NOCH GESCHEHEN WIRD

9`815 Zeichen später sind meine Gedanken vollumfänglich bei der „velobamu“ Station angekommen. Der Bauch befindet sich im Stadium der Erholung und die Synapsen ordnen sich nach der Schüttelfahrt für zukünftig geregelte Signalübertragungen. Weiter geht es mit einer ruhigen Fahrt im SNCF Zug nach Frankreich, morgen mit der DB nach Lörrach und am Wochenende mit meiner Freundin ins Tessin - schliesslich hat auch sie mal einige Gedanken verdient.

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