2

Click here to load reader

Garri Kasparow: "Jeder hat Angst" | Opposition in Russland

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Garri Kasparow: "Jeder hat Angst"  |  Opposition in Russland

7/30/2019 Garri Kasparow: "Jeder hat Angst" | Opposition in Russland

http://slidepdf.com/reader/full/garri-kasparow-jeder-hat-angst-opposition-in-russland 1/2

Garri Kasparow gehört zur schwindenden Zahl russischer Bürgerrechtler, die nicht bereits mit

anderthalb oder beiden Beinen im Gefängnis stehen. Mit Sicherheit ist er derjenige, den

man im Westen am besten kennt – seine Prominenz verdankt er einer beispiellosen Karriere als

Schachspieler, die ihm viele Titel und den Status eines Superstars einbrachte.

 // INTERVIEW // CLEMENS SCHNEIDER 

„Jeder hat Angst“

 Die deutsche Regierung 

 sollte ihre lang geübte  Praxis beenden, Putin

demokratische 

Glaubwürdigkeit zu

verleihen.

42 4.201

GESELLSCHAFT INTERVIEW

Page 2: Garri Kasparow: "Jeder hat Angst"  |  Opposition in Russland

7/30/2019 Garri Kasparow: "Jeder hat Angst" | Opposition in Russland

http://slidepdf.com/reader/full/garri-kasparow-jeder-hat-angst-opposition-in-russland 2/2

Herr Kasparow, der deutsche SPD-Kanzlerkandidat

Steinbrück sagte kürzlich, dass westliche Maßstäbe

pluraler Demokratie auf Russland nicht unmittelbar

übertragbar seien. Hat er recht?KASPAROW: Ich bin sicher, dass einige vor achtzig Jahren dieselbe Einschätzung Deutschland gegenüberhatten. Solche Aussagen missfallen mir sehr. Meist äu-ßern sich Politiker so zu ihrem eigenen politischen Vorteil: um ihre Bereitschaft zu Geschäften mit undemo-kratischen Ländern zu verschleiern. Und um zu ent-schuldigen, dass sie die Prinzipien der freien Gesellschaftund die Menschenrechte nicht konsequent verteidigen.Die Geschichte hat solche Aussagen stets widerlegt, nichtnur in Deutschland. Blicken wir nach Korea, wo wirNord- und Südkorea haben. Die schiere Existenz Südko-

reas ist ein off 

ensichtlicher Beweis, dass Koreaner off 

ensein können für die Ideen der Marktwirtschaft undDemokratie. Ein weniger bekanntes, aber nicht weniger wichtiges Beispiel: China und Taiwan. Alle reden davon, wie erfolgreich China ohne demokratische Institutionenist. Dabei muss man nur über die Straße gucken: Einekleine, steinige Insel, die von exakt denselben Chinesenbevölkert wird, ist zehnmal so erfolgreich. Und dafürsehe ich nur eine Erklärung: Demokratie. Wir kennen die Aussagen nicht nur deutscher Politiker über Russland,leider meist von Sozialdemokraten. Wir erinnern uns, wie Herr Schröder Putin einen „lupenreinen Demokra-ten“ nannte, um direkt darauf für Gazprom zu arbeitenund auf Putins Gehaltsliste zu stehen. Ähnliche Aussagenkennen wir von einigen amerikanischen Politikern. Aberauch hier gilt: Hinter jedem solchen Zitat steht eineeinfache, zynische Rechnung. Im Grunde ist es eineEntschuldigung: Unterbewusst wissen diese Leute, dasssie der Demokratie einen großen Bärendienst erweisen,und sie wollen irgendwie dafür entschuldigt werden.

Können Sie drei wichtige Maßnahmen nennen,

mittels derer die deutsche Regierung den Russen

helfen könnte, die grade für ihre Freiheit kämpfen?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Niemand will,

dass die deutsche oder irgendeine andere europäischeoder die amerikanische Regierung alle wirtschaftlichenBeziehungen abbricht. Es geht nicht darum, ein dramati-sches Zeichen zu setzen, das möglicherweise drastischeKonsequenzen hätte. Deutschland macht Geschäfte mitChina. Ich vermute, mehr mit China als mit Russland. Aber ich habe noch keinen deutschen Funktionär überdie „chinesische Demokratie“ sprechen oder die chinesi-

schen Kommunisten als Demokraten loben gehört. Es gehört zum normalen Umgang miteinander anzuerkenen, dass China nicht zur selben Familie der demokra

schen Nationen gehört. Was Russland betriff t, sollte die deutsche Regierun

als Erstes ihre lang geübte Praxis beenden, Putin demkratische Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie muss aufhren so zu tun, als gehöre Russland in dieselbe GruppeLänder. Russland gehört nicht in die G8, denn die G7standen für die großen industriellen Demokratien. Makann darüber streiten, ob Russlands industrielle Ent- wicklung dafür ausreicht. Aber wir müssen anerkennedass Russland keine Demokratie ist. Dass Putin dortauftreten darf, verschaff t ihm eine Bühne, um seine vorgebliche demokratische Glaubwürdigkeit zu demo

trieren und die Möglichkeit, seinen Einfluss auszuweitZweitens: Die deutsche hat wie jede andere Regie-rung wirtschaftliche Interessen und folgt oft den Wün-schen großer Firmen. Sie sollte aber die strategischenInteressen des Landes getrennt von kurzfristigen Untenehmensgewinnen betrachten. Europäische Finanz- uIndustriemärkte für Firmen wie Gazprom zu öff nen, wlangfristig Folgen haben, denn diese Konzerne halten snicht an die Regeln. Ich sage immer, dass Putin im Gegsatz zu Hitler keine Panzer [engl. „tanks“, d. Red.], sondBanken [engl. „banks“, d. Red.] verwendet. Darauf solltesich die westlichen Staaten einstellen. Und Deutschlanspielt natürlich eine Schlüsselrolle in Europa.

Und drittens: Das Magnitsky-Gesetz. Es geht nichtdarum, Russland zu bestrafen. Es geht um die Einhaltu von Regeln. Es ist über jeden Zweifel hinaus bewiesendass bestimmte Leute Magnitsky umgebracht, demrussischen Staat Geld gestohlen und es im Auslanduntergebracht haben. Sie wissen alle, dass sie strafbar Verbrechen schuldig sind, aber sie gehören zu dieser großen Mafia, die Geld aus Russland stiehlt und es außhalb anlegt, hauptsächlich in Europa. So zu tun, als wädas normales Geschäftsgebaren, verursacht langfristig größere Probleme. Denn das westliche Finanzsystemsollte nicht von solchen Anlegern erpressbar sein ode

zur Geisel genommen werden können, die auf die einoder andere Weise seine Glaubwürdigkeit und Funktiuntergraben. Wir wissen natürlich, dass das MagnitskyGesetz die größte Gefahr für Putins Machterhalt ist. De wie in jeder mafiösen Organisation muss er hundertpzentigen Schutz für hundertprozentige Loyalität bietekönnen. Sobald die korrupten Bürokraten verstehen,dass Putin nicht mehr länger in der Lage ist, ihnen in F

 o t o : M a r t i n L a n g h o r s t / p h o t o s e l e c t i o n

liberal 4.2013