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ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND Samstag, 9. August 2014 · Nr. 183 / 32 D 2 HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, HOLGER STELTZNER 2,50 € D 2954 A F. A. Z. im Internet: faz.net Von Roland Koch bis Philipp Lahm – spektakuläre Rücktritte und welche Wirkung sie entfalten. Beruf und Chance, Seite C1 Die Regierung fördert die Kultur. Was aber, wenn sich Konfuzius und Kommunismus doch nicht versöhnen lassen? Feuilleton, Seite 9 Was suchen Europas Raumfahrer auf dem Kometen? Wir haben den ehemaligen Astronauten Thomas Reiter befragt. Feuilleton, Seite 11 Von der Fußball-Annexion auf der Krim weiß die Fifa angeblich nichts. Dabei hat sie schon davor gewarnt. Sport, Seite 34 Der Müritz-Nationalpark ist der größte in Deutschland. Hier gibt es aber nicht nur Natur, sondern auch viel Geschichte. Politik, Seite 3 Das Verhältnis zwischen Politik und Bauwirtschaft ist kompliziert. Nicht erst seit dem Fall Roland Koch. Wirtschaft, Seite 21 bub. REGENSBURG, 8. August. Im Strafprozess gegen Gustl Mollath haben Verteidigung und Anklage einen Frei- spruch gefordert. Die Begründungen wa- ren aber unterschiedlich: Oberstaatsan- walt Meindl hält es für nachweisbar, dass Mollath seine frühere Ehefrau misshan- delt hat. Petra Mollath sei als Zeugin glaubwürdig; das Gericht solle sich nicht von „Strömungen“ leiten lassen, denen zu- folge sie einen „Vernichtungsfeldzug“ ge- gen Mollath geführt hat. Allerdings darf aus Rechtsgründen der Freispruch aus dem ersten Prozess nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden. Vertei- diger Strate äußerte hingegen, Petra Mol- lath sei als Zeugin untauglich, sie habe mehrfach gelogen. (Siehe Seite 4.) Ich bin dann mal weg N och in der Vorwoche hatte der amerikanische Präsident etwas patzig die Forderung nach einem Ein- greifen zurückgewiesen; die Vereinig- ten Staaten könnten nicht überall inter- venieren, wo es Krisen gebe. Stimmt. Und nun hat Obama, der seinen Ein- zug ins Weiße Haus auch auf der Geg- nerschaft zu Bushs Irak-Krieg aufge- baut hat, begrenzte Luftangriffe im Irak angeordnet: gegen die Terrorban- den des Islamischen Staates, die im- mer mehr Angst und Schrecken ver- breiten. Die Lage für Yeziden, Chris- ten und selbst für die Kurden muss sich so dramatisch verschlechtert ha- ben, dass sich Obama entschloss, ein- zugreifen. Er selbst sprach von drohen- dem Völkermord und der Gefahr für amerikanische Sicherheitsinteressen. Militärisch kehren die Vereinigten Staaten damit zu dem Schauplatz zu- rück, den sie Ende 2011 verlassen hat- ten – erschöpft und erleichtert, aber auch, wie sich jetzt wieder bewahrhei- tet, zu früh. Zweifellos wäre es besser gewesen, eine militärische Präsenz auf- rechtzuerhalten, auch um die Regie- rung des Schiiten Maliki dazu zu brin- gen, den Sunniten Möglichkeiten der Teilhabe an der Macht zu eröffnen. Der Abzug der amerikanischen Trup- pen hat Washingtons Einfluss dahin- schwinden lassen, ohne dass die Ver- antwortung, die Amerika mit der Inva- sion 2003 auf sich geladen hat, abgetra- gen worden wäre. Natürlich will Obama keinen Krieg im Irak führen, wie sein Vorgänger das tat; in Syrien lässt er die Dinge auch weitgehend treiben. Aber die Augen kann er eben auch nicht verschließen vor Dschihadisten in der Offensive, die barbarische Verbrechen verüben und immer mehr Teile der Region in Brand setzen, mit Weiterungen, die man sich kaum vorstellen kann. Hun- derttausende brauchen Hilfe; die Kur- den, deren autonome Region vom sonstigen Chaos im Irak bislang weit- gehend verschont geblieben ist, brau- chen militärische Ausrüstung. Wenn die amerikanische Luftwaffe eingreift, dann wird auch das unbestritten Fol- gen haben, etwa für die inneriraki- schen Kräfte- und Machtverhältnisse. Aber man kommt an der Einsicht nicht vorbei, dass dieser islamistische Terro- rismus Hunderttausende zu vernich- ten droht, so wie er Tausende schon vernichtet oder in die Flucht getrieben hat. Er verschwindet nicht, nur weil man ihn nicht sehen will. Die mörderi- sche Gefahr, die von ihm ausgeht, ist allzu real. Obama, als Zögerer geschol- ten, sieht sich jetzt gezwungen zu han- deln. Hoffentlich ist es nicht zu spät. Freispruch für Mollath gefordert In die Wildnis Höllenritt auf 67P Ewige Baustelle Die Angst vor den Russen hcr. JERUSALEM, 8. August. Die Feuer- pause im Gazastreifen ist am Freitag nach 72 Stunden zu Ende gegangen. Statt sie zu verlängern, griffen die Hamas und der Isla- mische Dschihad Israel mit mehr als 40 Ra- keten an. Ministerpräsident Benjamin Ne- tanjahu ordnete an, das Feuer „kraftvoll“ zu erwidern. Nach Angaben aus Gaza wur- de dort ein zehn Jahre alter Junge getötet. Kairo appellierte an beide Seiten, die indi- rekten Gespräche wieder aufzunehmen, bei denen Fortschritte erzielt worden sei- en. „Bei der großen Mehrheit der für die Palästinenser wichtigen Streitfragen wur- de eine Einigung erzielt, nur ganz wenige Punkte blieben ohne Lösung“, teilte das Außenministerium in Kairo mit. (Siehe Seite 6; Kommentar Seite 8.) sat. BERLIN, 8. August. Die amerikani- sche Luftwaffe hat am Freitag Stellungen der Terrororganisation Islamischer Staat im Nordirak angegriffen. Zwei Kampf- flugzeuge hätten ein mobiles Geschütz der Dschihadisten bombardiert, nachdem diese die kurdische Hauptstadt Arbil be- schossen hätten, teilte das Pentagon mit. Zuvor hatte Präsident Barack Obama ge- zielte Luftschläge gegen die sunnitische Terrorgruppe genehmigt. Er begründete den Schritt mit dem Schutz amerikani- scher Diplomaten und Militärberater in Arbil und Bagdad. Zudem genehmigte Obama eine humanitäre Operation zur Unterstützung der religiösen Minderheit der Yeziden sowie der irakischen Chris- ten. „Um einen potentiellen Völkermord“ zu verhindern, habe die Luftwaffe auf Bit- ten der irakischen Regierung bereits am Donnerstag damit begonnen, Hilfsgüter für Zehntausende Yeziden abzuwerfen, die auf den Sindschar-Berg geflohen sind, wo sie von den Dschihadisten eingekreist wurden. Obama sagte, er habe auch Luft- schläge genehmigt, welche die Bemühun- gen der irakischen Armee und kurdischer Kräfte unterstützen sollten, die Belage- rung zu beenden. Der Präsident hob hervor, als Oberkom- mandierender der amerikanischen Streit- kräfte werde er es nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten in „einen weiteren Krieg im Irak gezogen“ würden. Es gebe keine „amerikanische Lösung“ für die Kri- se im Irak, deshalb würden keine Kampf- truppen in das Land zurückkehren. Aus Geheimdienstkreisen hieß es am Freitag, dass die Situation durch den Vor- marsch der Terrorgruppe im Nordirak für die Bevölkerung sowie für die Einheiten der kurdischen Peschmerga dramatisch sei. Da die Kurden glaubten, dass die Ter- rorgruppe nicht allein mit Luftangriffen zurückgeschlagen werden könne, hätten sich ihre Vertreter an „alle international re- levanten Stellen“ mit der Bitte um Ausrüs- tung gewandt. Diese Bitte sei aber bislang abgelehnt worden. Jedoch habe man den Kurden zu verstehen gegeben, dass dies nicht das letzte Wort gewesen sein müsse. Auch auf syrischer Seite hat die Terror- gruppe, die ein Kalifat in „Großsyrien“ und im Irak ausgerufen hat, Geländege- winne verzeichnet. Isis habe eine strate- gisch wichtige Militärbasis in der Provinz Al Rakka erobert. Damit kontrolliert die Gruppe nach Angaben der Syrischen Be- obachtungsstelle für Menschenrechte fast den kompletten Osten des Landes. Außenminister Frank-Walter Steinmei- er äußerte, die Ermordung, systematische Vertreibung oder Zwangskonversion von Christen, Yeziden und Angehörigen ande- rer Minderheiten sei eine „neue Dimensi- on des Schreckens“. Als erste Sofortmaß- nahme habe Berlin seine humanitäre Hil- fe in der Region um 2,9 Millionen Euro er- höht. (Siehe Seite 2.) ami. BERLIN, 8. August. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat Forderungen, Ärzten die Beihilfe zum Selbstmord zu erlauben, widersprochen. „Der Arzt als billiger Tö- tungsmedikamentebeschaffer, das kann ja wohl nicht gemeint sein“, sagte er die- ser Zeitung. Die moderne Palliativmedi- zin und Hospize böten auch Schwerkran- ken viele Möglichkeiten, ihr Leben schmerzlos, aber würdevoll zu Ende zu le- ben. Würde Beihilfe zum Suizid eine ärzt- liche Aufgabe, dann müsste die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erledigt wer- den. Welche Folgen das haben könnte, wolle er sich gar nicht erst ausmalen, sag- te Montgomery. „Das sind ja nicht nur todbringende Infusionen“, sagte Montgo- mery. „Am Ende gäbe es noch eine Ab- rechnungsziffer für Beihilfe zum Selbst- mord. Nein, das ist Tötung auf Verlan- gen, und die ist falsch, sie verstößt gegen ärztliche Ethik.“ Der Bundestag wird voraussichtlich im kommenden Jahr über eine Reform der Sterbehilfe beraten. Die Parteien haben angekündigt, dafür den Fraktionszwang aufzuheben, wie das bei Fragen von Ethik und Moral immer wieder der Fall ist. Zu- letzt hatten sich mehrere Politiker dafür ausgesprochen, Ärzten dieses Recht zu ge- ben, darunter Carola Reimann, die als stellvertretende Fraktionsvorsitzende eine der Stimmführerinnen der Debatte in der SPD ist. Aus der Union hatte der stellvertretende Bundestagspräsident Pe- ter Hintze dafür plädiert. Der CDU-Politi- ker stellte sich damit gegen den Fraktions- vorsitzenden Volker Kauder und Gesund- heitsminister Hermann Gröhe (beide CDU). Sie wollen die organisierte Beihil- fe zum Suizid verbieten, mehr aber nicht ändern. Das zielt gegen Organisationen, die Schwerkranken Hilfe zur Selbsttötung anbieten. Dabei soll keine Rolle spielen, ob sie dafür Geld verlangen oder nicht. Befürworter der Sterbehilfe sagen, der unterstützte Suizid helfe schwerkranken Menschen nicht nur wunschgemäß aus dem Leben zu scheiden, sondern er achte auch ihr Recht auf Selbstbestimmung. Bei- hilfe zum Selbstmord steht in Deutschland nicht unter Strafe. Ärzten ist sie nach ih- rem Berufsrecht untersagt. Das Strafrecht verbietet allerdings die Tötung auf Verlan- gen und sieht dafür eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Montgomery sagte, eine den Ärzten gesetzlich zugestan- dene Erlaubnis zur Beihilfe zum Suizid sei nichts anderes als Tötung auf Verlangen. Das könne, konsequent zu Ende gedacht, zur Euthanasie führen und die Lebens- chancen Alter, Behinderter, Dementer und Schwerkranker dramatisch einschrän- ken. „Denn, machen wir uns nichts vor, einmal auf die schiefe ethische Ebene ge- langt, kann ein vermeintlich individuelles Recht durch gesellschaftlichen Druck zur Pflicht werden.“ (Siehe Seite 4.) Heute Ö ffentliche Sicherheit hat ihren Preis. Das wird in einem funktio- nierenden Rechtsstaat gern vergessen. Doch es ist vielerorts eben nicht selbst- verständlich, dass man unbesorgt durch die Straßen wandeln, sich ver- sammeln und seine Meinung kundtun kann; dass Eigentum geschützt wird. Mit Recht wird beklagt, dass das in be- stimmten Quartieren einiger Städte schon hierzulande nicht mehr so sei; selbst in der Provinz beauftragen Bür- ger, die sich das leisten können, priva- te Sicherheitsdienste mit Aufgaben, die eigentlich Sache der Polizei sind. Doch die ist oft nicht mehr präsent. Wofür zahlen wir dann Steuern? Die Klage ist berechtigt. Ist Sicherheit neuerdings Privatsache? Die Frage, die sich nicht nur für „Risikospiele“ im Fußball wieder stellt, lautet: Für welche Leistung der Polizei soll nicht mehr der Staat aufkommen, sondern der dafür im weiteren Sinn Verant- wortliche? Es ist nicht neu, dass Fußballverei- ne für das Verhalten ihrer Anhänger haften. So sehen das die Regeln des Deutschen Fußball-Bundes vor: Die Vereine sind demnach für das Verhal- ten der Anhänger wie der Zuschauer verantwortlich. Sie haften im Stadion- bereich vor, während und nach dem Spiel „für Zwischenfälle jeglicher Art“. Es gibt ein striktes Reglement etwa im Falle rassistischer Ausfälle der Zuschauer; hier droht Punktabzug während der Saison, die wohl härteste Strafe. Solche Sanktionen des Verban- des setzen nicht einmal zwingend ein Verschulden des Vereins voraus. Das ist auch sonst nicht unbekannt: Die Po- lizei kann jeden in Anspruch nehmen, von dem eine Gefahr für die öffentli- che Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Die Fußballvereine freilich verhal- ten sich nicht nur rechtmäßig, sie be- mühen sich auch (schon wegen dro- henden Ansehensverlustes) darum, gegen Randalierer vorzugehen. Kann man ihnen trotzdem die Polizeikosten zur Verhinderung von Randale in Rechnung stellen? Man kann. Aber nicht einfach so. Erforderlich ist eine gesetzliche Grundlage, die rechtsstaat- liche Kriterien erfüllt. Daran versucht sich Bremen – und es hat sogleich die Macht des DFB (und der Deutschen Fußball-Liga) zu spüren bekommen. Dabei geht es gar nicht (nur) um Fußballspiele, sondern generell um die Finanzierung von Poli- zeieinsätzen bei „gewinnorientierten Großveranstaltungen“. Dafür gibt es Vorläufer: Bis 1991 konnte in Baden-Württemberg für die Kosten polizeilicher Maßnahmen bei privaten Veranstaltungen vom Veran- stalter Ersatz verlangt werden – so- weit diese Kosten dadurch entstan- den, „dass weitere als die im üblichen örtlichen Dienst eingesetzten Polizei- beamten herangezogen werden müs- sen“. Der Veranstalter konnte sogar dazu verpflichtet werden, die Polizis- ten gegen Todesfall zu versichern. Eine klare Ansage, die freilich aus Sicht der Veranstalter recht unbe- stimmt war. Aber regelbar ist das; an- dere Staaten machen es vor. Doch fraglos birgt das Abwälzen von Polizeikosten auf private Veran- stalter auch Risiken. Denn es geht um Grundsätzliches: Die Polizei muss ein- schreiten, wenn eine Gefahr für die öf- fentliche Sicherheit vorliegt; von Kos- tenfragen darf das nicht abhängen. Sollen etwa Demonstranten für Poli- zeieinsätze zahlen müssen? Das wür- de davon abschrecken, Grundrechte auszuüben. Die Politik sollte sich eher fragen, ob sie nicht durch Aufrufe zu eskalierenden Blockaden von Miniver- sammlungen die Polizei verschleißt. Jedenfalls darf niemand unter Hin- weis auf das Kostenrisiko vom Aus- üben seiner Grundrechte abgehalten werden. Andererseits hat es seinen Grund, dass bestimmte polizeiliche Tätigkei- ten gebührenpflichtig sind, etwa bei der Luftsicherheit. Auch Feuerwehr- einsätze können (teilweise) in Rech- nung gestellt werden. Außergewöhnli- che Maßnahmen verlangen besondere Regeln. Das Milliardengeschäft Fußball fällt insofern aus dem Rahmen, weil die polizeiliche Belastung hier regel- mäßig größer ist als bei anderen Groß- veranstaltungen – das gilt auch für die Gewalt. Und die Verantwortung der Vereine für ihre Anhänger endet nicht am Stadiontor. Die Liga hat sich längst zu ihrer Verantwortung be- kannt; es gibt zahlreiche Präventions- projekte und Sanktionsbündel gegen aggressive Fans. Fans? Natürlich kann man sich leicht von Gewalttätern di- stanzieren. Aber sie tragen die Kluft der Vereine, begleiten die Mannschaf- ten auf Reisen und sind somit Teil des Gefahrenherds Bundesliga. Der Bremer Vorschlag muss nicht Gesetz werden, um Wirkung zu erzie- len. Nordrhein-Westfalen setzt jetzt auf weniger Polizei, will also auch die Kosten und das Eskalationspotential senken. Die dortige Bereitschaftspoli- zei verbringt ein Drittel ihrer Einsatz- zeit damit, Fußballspiele abzusichern. „Das kann ich dem Steuerzahler nicht mehr vermitteln“, sagt der Innenmi- nister. Wer will ihm das verdenken. Auch ein Massensport mit Umsät- zen in Milliardenhöhe darf nicht zur Belästigung werden und ganze Innen- städte lahmlegen. Die wesentlichen Kosten tragen ohnehin alle. Für beson- dere Risiken muss auch in der Fuß- ball-Demokratie gelten: Wer bestellt, bezahlt. F.A.Z. FRANKFURT, 8. August. Der Prä- sident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat sich abermals besorgt über antisemitische Ausfälle in Deutschland und in anderen europäischen Ländern geäußert. „Das sind die schlimmsten Zeiten seit der Nazi-Herrschaft“, sagte Graumann am Freitag der britischen Zeitung „Guar- dian“. „Wir fühlen uns verwundet und verletzt.“ Graumann sagte, in Frankreich sei die Situation „noch schlimmer“ als in Deutschland. (Kommentar Seite 8.) Israel erwidert Beschuss der Hamas China misstraut seiner Kultur luci. FRANKFURT, 8. August. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am Freitag wegen der Ebola-Epide- mie in Westafrika den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen; sie kann damit weltweit völkerrechtlich verbindliche Gesundheitsvorschriften in Kraft setzen. Dazu können Quaran- täne-Maßnahmen wie die Schließung von Grenzen zählen, genauso wie Ein- schränkungen im Reiseverkehr. Der- zeit hält die WHO aber noch keine Ver- bote im Reiseverkehr für nötig. WHO- Generaldirektorin Margaret Chan rief die Staatengemeinschaft dazu auf, ge- meinsam und koordiniert gegen die Ausbreitung der Krankheit vorzuge- hen. Nach Einschätzung des Bundesge- sundheitsministeriums hat die Ent- scheidung der WHO für Deutschland keine unmittelbaren Auswirkungen. Das Berliner Robert-Koch-Institut stufte das Ebola-Risiko in Europa als gering ein. Instituts-Präsident Rein- hard Burger sagte am Freitag im RBB- Inforadio, ein Überspringen der Epide- mie sei nicht auszuschließen, aber un- wahrscheinlich. Laut WHO hat sich die Zahl der Ebola-Toten in den ver- gangenen Tagen auf 961 erhöht. In den betroffenen Ländern Liberia, Sier- ra Leone, Guinea und Nigeria spricht die Organisation mittlerweile von rund 1780 Erkrankten. (Siehe Seite 8.) Ärztepräsident lehnt Beihilfe zur Selbsttötung ab Montgomery: Verstoß gegen ärztliche Ethik / Debatte über Reform der Sterbehilfe Graumann: Schlimmste Zeit seit Nazi-Herrschaft F.A.Z. FRANKFURT, 8. August. Bundes- kanzlerin Angela Merkel hat abermals frei- en Zugang für internationale Fachleute zur Absturzstelle des malaysischen Passa- gierflugzeugs in der Ostukraine gefordert. In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko äußerte sich die Kanzlerin besorgt über Berichte, nach denen die Separatisten die Arbeit am Unglücksort verhinderten, teilte Regie- rungssprecherin Christiane Wirtz am Frei- tag mit. Bei Kämpfen in der Region wur- den mindestens 15 Sicherheitskräfte getö- tet. An der Spitze der „Volksrepublik Do- nezk“ gab es einen Wechsel. Ihr Anführer Alexander Borodaj wurde durch Alex- ander Sachartschenko ersetzt, wie russi- sche Medien berichten. (Siehe Seite 5.) Briefe an die Herausgeber Seite 30 Gefahrenherd Fußball Von Reinhard Müller Obamas Wende Von Klaus-Dieter Frankenberger WHO ruft Notstand wegen Ebola aus Amerikanische Kampfflugzeuge greifen islamistische Terroristen im Irak an Obama: Völkermord verhindern / Steinmeier: Neue Dimension des Schreckens Merkel besorgt über Lage in der Ostukraine ANZEIGE Coffee Table, Isamu Noguchi, 1944 Skulptur oder Möbel? Wenn ein Bildhauer einen Tisch entwirft, bekommen Sie beides. Isamu Noguchis Coffee Table ist ein Objekt für Kunst- und Kaffeelieb- haber. Das Original kommt von: ANZEIGE NR. 42/167 Bei besonderen Risiken muss die Regel gelten: Wer bestellt, bezahlt. Entscheidung zum Eingreifen: Obama und der Nationale Sicherheitsrat im Lageraum des Weißen Hauses Foto The White House 4<BUACUQ=eacfah>:w;l;V;o;n Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH; Abonnenten-Service: 0180 - 2 34 46 77 (6 Cent pro Anruf aus dem dt. Festnetz, aus Mobilfunknetzen max. 42 Cent pro Minute). Briefe an die Herausgeber: [email protected] Belgien 3,40 € / Dänemark 27 dkr / Frankreich, Griechenland 3,40 € / Großbritannien 3,00 £ / Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande 3,40 € / Österreich 3,40€ / Portugal (Cont.) 3,40 € / Schweiz 5,00 sfrs / Slowenien 3,40 € / Spanien, Kanaren 3,40 € / Ungarn 910 Ft

Gefahrenherd Fussball - Wer bestellt bezahlt

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Editorial in der FAZ - Diskutiert, wer die Polizeieinsaätze bei Fussballspielen bezahlen soll

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Page 1: Gefahrenherd Fussball - Wer bestellt bezahlt

ZEITUNG FÜR DEUT SC H LAND

Samstag, 9. August 2014 · Nr. 183 / 32 D 2 HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, HOLGER STELTZNER 2,50 € D 2954 A F. A. Z. im Internet: faz.net

Von Roland Koch bis PhilippLahm – spektakuläre Rücktritteund welche Wirkung sie entfalten.Beruf und Chance, Seite C1

Die Regierung fördert die Kultur.Was aber, wenn sich Konfuziusund Kommunismus doch nicht versöhnen lassen? Feuilleton, Seite 9

Was suchen Europas Raumfahrerauf dem Kometen? Wir haben denehemaligen Astronauten ThomasReiter befragt. Feuilleton, Seite 11

Von der Fußball-Annexion auf derKrim weiß die Fifa angeblichnichts. Dabei hat sie schon davorgewarnt. Sport, Seite 34

Der Müritz-Nationalpark ist dergrößte in Deutschland. Hier gibtes aber nicht nur Natur, sondernauch viel Geschichte. Politik, Seite 3

Das Verhältnis zwischen Politikund Bauwirtschaft ist kompliziert.Nicht erst seit dem Fall RolandKoch. Wirtschaft, Seite 21

bub. REGENSBURG, 8. August. ImStrafprozess gegen Gustl Mollath habenVerteidigung und Anklage einen Frei-spruch gefordert. Die Begründungen wa-ren aber unterschiedlich: Oberstaatsan-walt Meindl hält es für nachweisbar, dassMollath seine frühere Ehefrau misshan-delt hat. Petra Mollath sei als Zeuginglaubwürdig; das Gericht solle sich nichtvon „Strömungen“ leiten lassen, denen zu-folge sie einen „Vernichtungsfeldzug“ ge-gen Mollath geführt hat. Allerdings darfaus Rechtsgründen der Freispruch ausdem ersten Prozess nicht zum Nachteildes Angeklagten geändert werden. Vertei-diger Strate äußerte hingegen, Petra Mol-lath sei als Zeugin untauglich, sie habemehrfach gelogen. (Siehe Seite 4.)

Ich bin dann mal weg

N och in der Vorwoche hatte deramerikanische Präsident etwas

patzig die Forderung nach einem Ein-greifen zurückgewiesen; die Vereinig-ten Staaten könnten nicht überall inter-venieren, wo es Krisen gebe. Stimmt.Und nun hat Obama, der seinen Ein-zug ins Weiße Haus auch auf der Geg-nerschaft zu Bushs Irak-Krieg aufge-baut hat, begrenzte Luftangriffe imIrak angeordnet: gegen die Terrorban-den des Islamischen Staates, die im-mer mehr Angst und Schrecken ver-breiten. Die Lage für Yeziden, Chris-ten und selbst für die Kurden musssich so dramatisch verschlechtert ha-ben, dass sich Obama entschloss, ein-zugreifen. Er selbst sprach von drohen-dem Völkermord und der Gefahr füramerikanische Sicherheitsinteressen.

Militärisch kehren die VereinigtenStaaten damit zu dem Schauplatz zu-rück, den sie Ende 2011 verlassen hat-ten – erschöpft und erleichtert, aberauch, wie sich jetzt wieder bewahrhei-tet, zu früh. Zweifellos wäre es bessergewesen, eine militärische Präsenz auf-rechtzuerhalten, auch um die Regie-rung des Schiiten Maliki dazu zu brin-gen, den Sunniten Möglichkeiten derTeilhabe an der Macht zu eröffnen.

Der Abzug der amerikanischen Trup-pen hat Washingtons Einfluss dahin-schwinden lassen, ohne dass die Ver-antwortung, die Amerika mit der Inva-sion 2003 auf sich geladen hat, abgetra-gen worden wäre.

Natürlich will Obama keinen Kriegim Irak führen, wie sein Vorgänger dastat; in Syrien lässt er die Dinge auchweitgehend treiben. Aber die Augenkann er eben auch nicht verschließenvor Dschihadisten in der Offensive,die barbarische Verbrechen verübenund immer mehr Teile der Region inBrand setzen, mit Weiterungen, dieman sich kaum vorstellen kann. Hun-derttausende brauchen Hilfe; die Kur-den, deren autonome Region vomsonstigen Chaos im Irak bislang weit-gehend verschont geblieben ist, brau-chen militärische Ausrüstung. Wenndie amerikanische Luftwaffe eingreift,dann wird auch das unbestritten Fol-gen haben, etwa für die inneriraki-schen Kräfte- und Machtverhältnisse.Aber man kommt an der Einsicht nichtvorbei, dass dieser islamistische Terro-rismus Hunderttausende zu vernich-ten droht, so wie er Tausende schonvernichtet oder in die Flucht getriebenhat. Er verschwindet nicht, nur weilman ihn nicht sehen will. Die mörderi-sche Gefahr, die von ihm ausgeht, istallzu real. Obama, als Zögerer geschol-ten, sieht sich jetzt gezwungen zu han-deln. Hoffentlich ist es nicht zu spät.

Freispruch fürMollath gefordert

In die Wildnis

Höllenritt auf 67P

Ewige Baustelle

Die Angst vor den Russen

hcr. JERUSALEM, 8. August. Die Feuer-pause im Gazastreifen ist am Freitag nach72 Stunden zu Ende gegangen. Statt sie zuverlängern, griffen die Hamas und der Isla-mische Dschihad Israel mit mehr als 40 Ra-keten an. Ministerpräsident Benjamin Ne-tanjahu ordnete an, das Feuer „kraftvoll“zu erwidern. Nach Angaben aus Gaza wur-de dort ein zehn Jahre alter Junge getötet.Kairo appellierte an beide Seiten, die indi-rekten Gespräche wieder aufzunehmen,bei denen Fortschritte erzielt worden sei-en. „Bei der großen Mehrheit der für diePalästinenser wichtigen Streitfragen wur-de eine Einigung erzielt, nur ganz wenigePunkte blieben ohne Lösung“, teilte dasAußenministerium in Kairo mit. (SieheSeite 6; Kommentar Seite 8.)

sat. BERLIN, 8. August. Die amerikani-sche Luftwaffe hat am Freitag Stellungender Terrororganisation Islamischer Staatim Nordirak angegriffen. Zwei Kampf-flugzeuge hätten ein mobiles Geschützder Dschihadisten bombardiert, nachdemdiese die kurdische Hauptstadt Arbil be-schossen hätten, teilte das Pentagon mit.Zuvor hatte Präsident Barack Obama ge-zielte Luftschläge gegen die sunnitischeTerrorgruppe genehmigt. Er begründeteden Schritt mit dem Schutz amerikani-scher Diplomaten und Militärberater inArbil und Bagdad. Zudem genehmigteObama eine humanitäre Operation zurUnterstützung der religiösen Minderheitder Yeziden sowie der irakischen Chris-ten. „Um einen potentiellen Völkermord“zu verhindern, habe die Luftwaffe auf Bit-ten der irakischen Regierung bereits amDonnerstag damit begonnen, Hilfsgüterfür Zehntausende Yeziden abzuwerfen,die auf den Sindschar-Berg geflohen sind,

wo sie von den Dschihadisten eingekreistwurden. Obama sagte, er habe auch Luft-schläge genehmigt, welche die Bemühun-gen der irakischen Armee und kurdischerKräfte unterstützen sollten, die Belage-rung zu beenden.

Der Präsident hob hervor, als Oberkom-mandierender der amerikanischen Streit-kräfte werde er es nicht zulassen, dass dieVereinigten Staaten in „einen weiterenKrieg im Irak gezogen“ würden. Es gebekeine „amerikanische Lösung“ für die Kri-se im Irak, deshalb würden keine Kampf-truppen in das Land zurückkehren.

Aus Geheimdienstkreisen hieß es amFreitag, dass die Situation durch den Vor-marsch der Terrorgruppe im Nordirak fürdie Bevölkerung sowie für die Einheitender kurdischen Peschmerga dramatischsei. Da die Kurden glaubten, dass die Ter-rorgruppe nicht allein mit Luftangriffenzurückgeschlagen werden könne, hättensich ihre Vertreter an „alle international re-

levanten Stellen“ mit der Bitte um Ausrüs-tung gewandt. Diese Bitte sei aber bislangabgelehnt worden. Jedoch habe man denKurden zu verstehen gegeben, dass diesnicht das letzte Wort gewesen sein müsse.

Auch auf syrischer Seite hat die Terror-gruppe, die ein Kalifat in „Großsyrien“und im Irak ausgerufen hat, Geländege-winne verzeichnet. Isis habe eine strate-gisch wichtige Militärbasis in der ProvinzAl Rakka erobert. Damit kontrolliert dieGruppe nach Angaben der Syrischen Be-obachtungsstelle für Menschenrechte fastden kompletten Osten des Landes.

Außenminister Frank-Walter Steinmei-er äußerte, die Ermordung, systematischeVertreibung oder Zwangskonversion vonChristen, Yeziden und Angehörigen ande-rer Minderheiten sei eine „neue Dimensi-on des Schreckens“. Als erste Sofortmaß-nahme habe Berlin seine humanitäre Hil-fe in der Region um 2,9 Millionen Euro er-höht. (Siehe Seite 2.)

ami. BERLIN, 8. August. Der Präsidentder Bundesärztekammer, Frank UlrichMontgomery, hat Forderungen, Ärztendie Beihilfe zum Selbstmord zu erlauben,widersprochen. „Der Arzt als billiger Tö-tungsmedikamentebeschaffer, das kannja wohl nicht gemeint sein“, sagte er die-ser Zeitung. Die moderne Palliativmedi-zin und Hospize böten auch Schwerkran-ken viele Möglichkeiten, ihr Lebenschmerzlos, aber würdevoll zu Ende zu le-ben. Würde Beihilfe zum Suizid eine ärzt-liche Aufgabe, dann müsste die nach denRegeln der ärztlichen Kunst erledigt wer-den. Welche Folgen das haben könnte,wolle er sich gar nicht erst ausmalen, sag-te Montgomery. „Das sind ja nicht nurtodbringende Infusionen“, sagte Montgo-mery. „Am Ende gäbe es noch eine Ab-rechnungsziffer für Beihilfe zum Selbst-mord. Nein, das ist Tötung auf Verlan-gen, und die ist falsch, sie verstößt gegenärztliche Ethik.“

Der Bundestag wird voraussichtlich imkommenden Jahr über eine Reform derSterbehilfe beraten. Die Parteien habenangekündigt, dafür den Fraktionszwangaufzuheben, wie das bei Fragen von Ethikund Moral immer wieder der Fall ist. Zu-letzt hatten sich mehrere Politiker dafürausgesprochen, Ärzten dieses Recht zu ge-ben, darunter Carola Reimann, die alsstellvertretende Fraktionsvorsitzendeeine der Stimmführerinnen der Debattein der SPD ist. Aus der Union hatte derstellvertretende Bundestagspräsident Pe-ter Hintze dafür plädiert. Der CDU-Politi-ker stellte sich damit gegen den Fraktions-vorsitzenden Volker Kauder und Gesund-heitsminister Hermann Gröhe (beideCDU). Sie wollen die organisierte Beihil-fe zum Suizid verbieten, mehr aber nichtändern. Das zielt gegen Organisationen,die Schwerkranken Hilfe zur Selbsttötunganbieten. Dabei soll keine Rolle spielen,ob sie dafür Geld verlangen oder nicht.

Befürworter der Sterbehilfe sagen, derunterstützte Suizid helfe schwerkrankenMenschen nicht nur wunschgemäß ausdem Leben zu scheiden, sondern er achteauch ihr Recht auf Selbstbestimmung. Bei-hilfe zum Selbstmord steht in Deutschlandnicht unter Strafe. Ärzten ist sie nach ih-rem Berufsrecht untersagt. Das Strafrechtverbietet allerdings die Tötung auf Verlan-gen und sieht dafür eine Freiheitsstrafevon bis zu fünf Jahren vor. Montgomerysagte, eine den Ärzten gesetzlich zugestan-dene Erlaubnis zur Beihilfe zum Suizid seinichts anderes als Tötung auf Verlangen.Das könne, konsequent zu Ende gedacht,zur Euthanasie führen und die Lebens-chancen Alter, Behinderter, Dementerund Schwerkranker dramatisch einschrän-ken. „Denn, machen wir uns nichts vor,einmal auf die schiefe ethische Ebene ge-langt, kann ein vermeintlich individuellesRecht durch gesellschaftlichen Druck zurPflicht werden.“ (Siehe Seite 4.)

Heute Ö ffentliche Sicherheit hat ihrenPreis. Das wird in einem funktio-

nierenden Rechtsstaat gern vergessen.Doch es ist vielerorts eben nicht selbst-verständlich, dass man unbesorgtdurch die Straßen wandeln, sich ver-sammeln und seine Meinung kundtunkann; dass Eigentum geschützt wird.Mit Recht wird beklagt, dass das in be-stimmten Quartieren einiger Städteschon hierzulande nicht mehr so sei;selbst in der Provinz beauftragen Bür-ger, die sich das leisten können, priva-te Sicherheitsdienste mit Aufgaben,die eigentlich Sache der Polizei sind.Doch die ist oft nicht mehr präsent.

Wofür zahlen wir dann Steuern?Die Klage ist berechtigt. Ist Sicherheitneuerdings Privatsache? Die Frage,die sich nicht nur für „Risikospiele“im Fußball wieder stellt, lautet: Fürwelche Leistung der Polizei soll nichtmehr der Staat aufkommen, sondernder dafür im weiteren Sinn Verant-wortliche?

Es ist nicht neu, dass Fußballverei-ne für das Verhalten ihrer Anhängerhaften. So sehen das die Regeln desDeutschen Fußball-Bundes vor: DieVereine sind demnach für das Verhal-ten der Anhänger wie der Zuschauerverantwortlich. Sie haften im Stadion-bereich vor, während und nach demSpiel „für Zwischenfälle jeglicherArt“. Es gibt ein striktes Reglementetwa im Falle rassistischer Ausfälleder Zuschauer; hier droht Punktabzugwährend der Saison, die wohl härtesteStrafe. Solche Sanktionen des Verban-des setzen nicht einmal zwingend einVerschulden des Vereins voraus. Dasist auch sonst nicht unbekannt: Die Po-lizei kann jeden in Anspruch nehmen,von dem eine Gefahr für die öffentli-che Sicherheit oder Ordnung ausgeht.

Die Fußballvereine freilich verhal-ten sich nicht nur rechtmäßig, sie be-mühen sich auch (schon wegen dro-henden Ansehensverlustes) darum,gegen Randalierer vorzugehen. Kannman ihnen trotzdem die Polizeikostenzur Verhinderung von Randale inRechnung stellen? Man kann. Abernicht einfach so. Erforderlich ist einegesetzliche Grundlage, die rechtsstaat-liche Kriterien erfüllt.

Daran versucht sich Bremen – undes hat sogleich die Macht des DFB(und der Deutschen Fußball-Liga) zuspüren bekommen. Dabei geht es garnicht (nur) um Fußballspiele, sonderngenerell um die Finanzierung von Poli-zeieinsätzen bei „gewinnorientiertenGroßveranstaltungen“.

Dafür gibt es Vorläufer: Bis 1991konnte in Baden-Württemberg für dieKosten polizeilicher Maßnahmen beiprivaten Veranstaltungen vom Veran-stalter Ersatz verlangt werden – so-weit diese Kosten dadurch entstan-den, „dass weitere als die im üblichenörtlichen Dienst eingesetzten Polizei-beamten herangezogen werden müs-sen“. Der Veranstalter konnte sogar

dazu verpflichtet werden, die Polizis-ten gegen Todesfall zu versichern.Eine klare Ansage, die freilich ausSicht der Veranstalter recht unbe-stimmt war. Aber regelbar ist das; an-dere Staaten machen es vor.

Doch fraglos birgt das Abwälzenvon Polizeikosten auf private Veran-stalter auch Risiken. Denn es geht umGrundsätzliches: Die Polizei muss ein-schreiten, wenn eine Gefahr für die öf-fentliche Sicherheit vorliegt; von Kos-tenfragen darf das nicht abhängen.Sollen etwa Demonstranten für Poli-zeieinsätze zahlen müssen? Das wür-de davon abschrecken, Grundrechteauszuüben. Die Politik sollte sich eherfragen, ob sie nicht durch Aufrufe zueskalierenden Blockaden von Miniver-sammlungen die Polizei verschleißt.

Jedenfalls darf niemand unter Hin-weis auf das Kostenrisiko vom Aus-üben seiner Grundrechte abgehaltenwerden.

Andererseits hat es seinen Grund,dass bestimmte polizeiliche Tätigkei-ten gebührenpflichtig sind, etwa beider Luftsicherheit. Auch Feuerwehr-einsätze können (teilweise) in Rech-nung gestellt werden. Außergewöhnli-che Maßnahmen verlangen besondereRegeln.

Das Milliardengeschäft Fußballfällt insofern aus dem Rahmen, weildie polizeiliche Belastung hier regel-mäßig größer ist als bei anderen Groß-veranstaltungen – das gilt auch für dieGewalt. Und die Verantwortung derVereine für ihre Anhänger endet nichtam Stadiontor. Die Liga hat sichlängst zu ihrer Verantwortung be-kannt; es gibt zahlreiche Präventions-projekte und Sanktionsbündel gegenaggressive Fans. Fans? Natürlich kannman sich leicht von Gewalttätern di-stanzieren. Aber sie tragen die Kluftder Vereine, begleiten die Mannschaf-ten auf Reisen und sind somit Teil desGefahrenherds Bundesliga.

Der Bremer Vorschlag muss nichtGesetz werden, um Wirkung zu erzie-len. Nordrhein-Westfalen setzt jetztauf weniger Polizei, will also auch dieKosten und das Eskalationspotentialsenken. Die dortige Bereitschaftspoli-zei verbringt ein Drittel ihrer Einsatz-zeit damit, Fußballspiele abzusichern.„Das kann ich dem Steuerzahler nichtmehr vermitteln“, sagt der Innenmi-nister. Wer will ihm das verdenken.

Auch ein Massensport mit Umsät-zen in Milliardenhöhe darf nicht zurBelästigung werden und ganze Innen-städte lahmlegen. Die wesentlichenKosten tragen ohnehin alle. Für beson-dere Risiken muss auch in der Fuß-ball-Demokratie gelten: Wer bestellt,bezahlt.

F.A.Z. FRANKFURT, 8. August. Der Prä-sident des Zentralrats der Juden inDeutschland, Dieter Graumann, hat sichabermals besorgt über antisemitischeAusfälle in Deutschland und in andereneuropäischen Ländern geäußert. „Dassind die schlimmsten Zeiten seit derNazi-Herrschaft“, sagte Graumann amFreitag der britischen Zeitung „Guar-dian“. „Wir fühlen uns verwundet undverletzt.“ Graumann sagte, in Frankreichsei die Situation „noch schlimmer“ als inDeutschland. (Kommentar Seite 8.)

Israel erwidertBeschuss der Hamas

China misstrautseiner Kultur

luci. FRANKFURT, 8. August. DieWeltgesundheitsorganisation (WHO)hat am Freitag wegen der Ebola-Epide-mie in Westafrika den internationalenGesundheitsnotstand ausgerufen; siekann damit weltweit völkerrechtlichverbindliche Gesundheitsvorschriftenin Kraft setzen. Dazu können Quaran-täne-Maßnahmen wie die Schließungvon Grenzen zählen, genauso wie Ein-schränkungen im Reiseverkehr. Der-zeit hält die WHO aber noch keine Ver-bote im Reiseverkehr für nötig. WHO-Generaldirektorin Margaret Chan riefdie Staatengemeinschaft dazu auf, ge-meinsam und koordiniert gegen dieAusbreitung der Krankheit vorzuge-hen. Nach Einschätzung des Bundesge-sundheitsministeriums hat die Ent-scheidung der WHO für Deutschlandkeine unmittelbaren Auswirkungen.Das Berliner Robert-Koch-Institutstufte das Ebola-Risiko in Europa alsgering ein. Instituts-Präsident Rein-hard Burger sagte am Freitag im RBB-Inforadio, ein Überspringen der Epide-mie sei nicht auszuschließen, aber un-wahrscheinlich. Laut WHO hat sichdie Zahl der Ebola-Toten in den ver-gangenen Tagen auf 961 erhöht. Inden betroffenen Ländern Liberia, Sier-ra Leone, Guinea und Nigeria sprichtdie Organisation mittlerweile vonrund 1780 Erkrankten. (Siehe Seite 8.)

Ärztepräsident lehnt Beihilfe zur Selbsttötung abMontgomery: Verstoß gegen ärztliche Ethik / Debatte über Reform der Sterbehilfe

Graumann: SchlimmsteZeit seit Nazi-Herrschaft

F.A.Z. FRANKFURT, 8. August. Bundes-kanzlerin Angela Merkel hat abermals frei-en Zugang für internationale Fachleutezur Absturzstelle des malaysischen Passa-gierflugzeugs in der Ostukraine gefordert.In einem Telefonat mit dem ukrainischenPräsidenten Petro Poroschenko äußertesich die Kanzlerin besorgt über Berichte,nach denen die Separatisten die Arbeit amUnglücksort verhinderten, teilte Regie-rungssprecherin Christiane Wirtz am Frei-tag mit. Bei Kämpfen in der Region wur-den mindestens 15 Sicherheitskräfte getö-tet. An der Spitze der „Volksrepublik Do-nezk“ gab es einen Wechsel. Ihr AnführerAlexander Borodaj wurde durch Alex-ander Sachartschenko ersetzt, wie russi-sche Medien berichten. (Siehe Seite 5.)

Briefe an die Herausgeber Seite 30

Gefahrenherd FußballVon Reinhard Müller

Obamas WendeVon Klaus-Dieter Frankenberger

WHO ruftNotstand wegenEbola aus

Amerikanische Kampfflugzeuge greifenislamistische Terroristen im Irak anObama: Völkermord verhindern / Steinmeier: Neue Dimension des Schreckens

Merkel besorgt überLage in der Ostukraine

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Bei besonderen Risikenmuss die Regel gelten:Wer bestellt, bezahlt.

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4<BUACUQ=eacfah>:w;l;V;o;nFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH; Abonnenten-Service: 0180 - 2 34 46 77 (6 Cent pro Anruf aus dem dt. Festnetz, aus Mobilfunknetzen max. 42 Cent pro Minute). Briefe an die Herausgeber: [email protected] 3,40 € / Dänemark 27 dkr / Frankreich, Griechenland 3,40 € / Großbritannien 3,00 £ / Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande 3,40 € / Österreich 3,40 € / Portugal (Cont.) 3,40 € / Schweiz 5,00 sfrs / Slowenien 3,40 € / Spanien, Kanaren 3,40 € / Ungarn 910 Ft