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Wunderwelt Gehirn Wunderwelt Gehirn

Gehirn WunderweltGehirn 4 Schmecken 6, Riechen 7, Sehen 8, Tasten 10, H ren 11 Kognition 12 Lernen 14, Erinnern 16, Sprechen 18 Steuerung 20 Regulieren 22, Bewegen 24 Stimmungen28

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Wunderwelt GehirnWunderweltGehirn

Wahrnehmung 4 Schmecken 6, Riechen 7, Sehen 8, Tasten 10, Hören 11

Kognition 12 Lernen 14, Erinnern 16, Sprechen 18

Steuerung 20 Regulieren 22, Bewegen 24

Stimmungen 28 Empfinden 30, Fühlen 32, Verlangen 34

Porträt 36

Die Zeiten ändern sich rasant. Die Konzepte und Vorstellungen von heute

sind morgen vielleicht schon überholt. Unsere Anpassungs- und Lernfähig-

keit wird täglich neu herausgefordert. Das Organ des Lernens ist das

Gehirn. Es organisiert und steuert die Wechselwirkungen zwischen Orga-

nismus und Umwelt, indem es Sinneseindrücke koordiniert und integriert,

auf gespeicherte Gedächtnisinhalte bezieht und motorische Äusserungen,

Bewegungen und Handlungen auslöst, die unser Verhalten ausmachen.

Man mag darüber streiten, ob die Welt komplexer geworden ist

oder nicht. Was sich aber mit Sicherheit markant verbessert und erwei-

tert hat, sind unsere Möglichkeiten, uns dieser Komplexität zu stellen.

Dies gelingt durch verbesserte Kommunikation und einen verantwortungs-

bewussten Austausch von Meinungen und Handlungen, die auf der Grund-

lage von gewachsenen und stetig adptierten ethischen Grundsätzen zu

gemeinsam erarbeiteten Zielen führen. Für eine Gesellschaft, die die kom-

plexen Herausforderungen der Zukunft bewältigen will, bietet das Ver-

ständnis der Funktionen des Gehirns eine natürliche, über Jahrtausende

bewährte, anschauliche und entwicklungsfähige Orientierungshilfe.

Zur Auseinandersetzung mit der faszinierenden Welt des Gehirns

lädt diese Broschüre ein. Sie wurde entsprechend den Grundlagen und

Zielen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 38 «Krankheiten des

Nervensystems» und unter Einbezug seiner Ergebnisse verfasst und

gestaltet. Prof. Jürg Kesselring

Präsident der Expertengruppe NFP 38

WahrnehmungWir können einen Freund sofort wieder erkennen – von vorne, von

der Seite oder gar von hinten. Wir vermögen Millionen von Farbtö-

nen zu unterscheiden, genau so wie wir 10 000 verschiedene Düfte

auseinander halten können. Wir sind in der Lage, eine Feder zu

spüren, wenn sie über unsere Haut gleitet. Wir hören den Bach, der

in der Ferne rauscht. Und wir merken auch, wenn uns schlechter

Kaffee vorgesetzt wird. Wir öffnen unsere fünf Sinnesorgane – und

schon strömt die Welt herein.

Mit Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut empfangen wir Reize,

übersetzen sie in elektrische Nervenimpulse und geben diese ans

Gehirn weiter. Dort werden sie in bestimmten Regionen verarbeitet

und von uns als Bilder und Bewegungen, Geräusche, Gerüche,

Geschmack, Temperatur und Berührung erfahren. Das Hirn ordnet

und interpretiert schliesslich die gesammelten Eindrücke. So hilft

die Wahrnehmung, dass wir uns in der Welt zurechtfinden können.

Tasten: Wie Marmorstein uns zum Künstler macht.

Schmecken: Mal bitter, mal «umami».

Riechen: Pfeifentabak als Gedächtnishilfe.

Sehen: Unser Kino im Kopf.

Hören: Von den Schwingungen eines tropfenden Wasserhahns.

Wahr

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ung

RiechenZivilisierte Menschen zu sein bedeutet auch, dassunser Leben – anders als bei den meisten Tieren – nichtüber Gerüche gesteuert wird. Wir mögen zwar verlernthaben, die Nase bewusst in den Wind zu halten. Dochbeeinflussen Gerüche zumindest unser Wohlbefindenstark. So vermögen eine Wolke von Pfeifenrauch, einspezielles Parfüm oder ein schon lange vergessenerDuft unmittelbar Szenen und Emotionen aus der Ver-gangenheit heraufzubeschwören. Schätzungsweise biszu 10 000 verschiedene Duftnoten kann der Menschunterscheiden. Landeplatz für die im Luftstrom trans-portierten Duftmoleküle ist die Riechschleimhaut, einnur wenige Quadratzentimeter grosses Areal am obe-ren Ende der Nasenhöhlen. Dort treffen die Duftmo-leküle auf 10 Millionen Sinneszellen. Jede der Sinnes-zellen trägt an ihrem kopfartigen Ende mehrere Riech-härchen. Wie feine Wimpern ragen diese in denSchleim hinein und fangen dort die Duftmoleküle ein.Die chemische Struktur der Duftmoleküle wird von

speziellen Andockstellen auf den Riechhärchen regi-striert und in ein elektrisches Signal umgewandelt.Über den Nervenfortsatz der Sinneszelle und dann überSammelleitungen gelangen die elektrischen Riechsig-nale in die Schädelhöhle. Direkt hinter der Nasenwurzelliegen beidseitig im Gehirn die so genannten Riechkol-ben. Dort erst entsteht aus der Vielfalt der einzelnenDuftreize ein umfassender Geruchseindruck. Nerven-bahnen von den Riechkolben zu den Geruchszentren inder Grosshirnrinde bringen schliesslich die Geruchsin-formation in unser Bewusstsein. Darüber hinaus besit-zen die Riechkolben direkte Verbindungen zum lim-bischen System, dem Teil des Gehirns, in dem dieGefühle wohnen und das beim Abrufen von Erinnerun-gen eine Rolle spielt. So lässt sich erklären, warum einbestimmter Geruch uns plötzlich an längst Verges-senes denken lässt. Oder aber weshalb Gerüche fürWonnegefühle sorgen oder uns bis ins Mark ängstigenkönnen.

Blitzt und donnert es draussen, schmeckt die Scho-kolade süsser als sonst. Warum der Geschmackssinnausgerechnet bei Gewitter besonders ausgeprägt ist,weiss die Forschung noch nicht. Besser erklärenlässt sich hingegen, warum unser Geschmacksemp-finden für Bitterstoffe sehr gut ausgebildet ist, besserals für die anderen drei grundlegenden Geschmacks-richtungen «süss», «sauer» und «salzig». Denn dieshat evolutionär gesehen seinen Sinn: «Bitter» bedeu-

Schmeckentet oft «giftig». Der Körper schützt sich bei der

Nahrungsaufnahme also selbst, indem er ein Nah-rungsmittel über dessen Geschmack prüft. DieserTest geschieht in so genannten Geschmacksknos-pen. Die Geschmacksknospen liegen an den Rand-zonen der Zunge. Auf ihrer Oberfläche sind sie mitGeschmackszellen bestückt, die jeweils auf eine dervier grundlegenden Geschmacksrichtungen speziali-siert sind. Trifft nun eine Geschmackssubstanz aufdie dafür spezialisierten Geschmackszellen, wird einelektrisches Potenzial aufgebaut und als Nervenreizan das Gehirn weitergeleitet. Das Gehirn fügt die ein-treffenden Signale zu einem Gesamteindruck zusam-men und bekommt so den Geschmack der Nahrungvermittelt. Jeder von uns empfundene Geschmack istalso eine Kombination aus «bitter», «süss», «sauer»und «salzig». Allerdings: Bereits 1908 fand der Japa-ner Kikunae Ikeda heraus, dass es genau genommennoch einen fünften Geschmackssinn gibt, der inJapan als «umami» bezeichnet wird. Nach umamischmeckt nur ein einziger Stoff, nämlich «Glutamat»,der auf der ganzen Welt als Geschmacksverstärkereingesetzt wird.

SehenGenau genommen gibt es im Kinosaal eine Leinwand,die an wechselnden Stellen mit Licht unterschiedlicherFarbe beleuchtet wird. Dass es sich trotzdem lohnenkann, eine Eintrittskarte zu kaufen, verdanken wir unse-rem Gehirn. Es erschafft beim Betrachten des Filmseine 3-D-Welt im Kopf. Uns genügen wenige Anhalts-punkte über die von den Augen gesichteten Farbtupferauf der Leinwand, um daraus in unserer Wahrnehmungbeispielsweise einen kompletten James Bond zu kon-struieren. Auch was wir tagtäglich sehen, ist wie Kinoim Kopf: Anhand weniger Merkmale ist das Gehirn in der Lage, das wahrgenommene Objekt gewisser-massen zu erraten. Das ist besonders von Vorteil, wennwir Gesichter wieder erkennen wollen oder Verkehrs-schilder passieren. Wir interpretieren also die ganzeZeit, was von den Augen als Reize ans Gehirn weiter-geleitet wird. Das Grundproblem des Sehens: Das Bildim Auge lässt zahllose mögliche Interpretationen zu.

Das Auge registriert lediglich Form, Farbe, Lichtinten-sität und Bewegungsgeschwindigkeit eines Objekts.Rezeptorzellen auf der Netzhaut wandeln das auf dasAuge eintreffende Licht in elektrische Nervenimpulseum. Über die beiden Sehnerven gelangen die Impulsean die Sehzentren im hinteren Teil des Grosshirnrinde.Aus der Summe der übertragenen Nervenimpulseerzeugen diese Hirnareale das Bild, das wir alsAusschnitt der Realität betrachten. Die Verarbeitungsolcher visuellen Reize macht rund 30 Prozent dergesamten Reizverarbeitung aus, und dafür bean-sprucht das Sehen etwa einen Viertel aller Nervenzellender Grosshirnrinde.

Wenn wir Objekte betrachten, können wir Einzelheitennur mit dem scharf sehenden Teil der Netzhaut erfas-sen. Und das ist nur ein winziger Bereich von dem, wassich vor unserem Gesicht abspielt. Deshalb muss diePosition des Auges ununterbrochen verändert undangepasst werden. Die Augen bewegen sich daher überdie Oberfläche eines Objekts, um nur bei jenen Detailszu verweilen, welche der vordere Teil der Grosshirn-rinde ausgewählt hat.

Übrigens: Auch die Tricks von Zauberkünstlern beru-hen auf einer Täuschung unserer visuellen Wahrneh-mung. Da das Gehirn in seiner Aufmerksamkeitbegrenzt ist, kann der Zauberkünstler unsere Konzen-tration auf die Tätigkeit der einen Hand lenken,während er mit der anderen seine Zaubertricks aus-führt.

Weil wir also auf Grund nur weniger Merkmale auf einganzes Objekt schliessen müssen, und weil das Bild imAuge viele mögliche Interpretationen zulässt, sindErfahrungen von entscheidender Bedeutung für dievisuelle Wahrnehmung. Die Erfahrung lehrt uns, wel-che optischen Details mit grosser Wahrscheinlichkeitzu welchem realen Objekt gehören könnten. ZurAnschauung: Wenn wir einen grauen Rüssel erblicken,dann wird der mit grösserer Wahrscheinlichkeit zueinem Elefanten gehören als zu einer Maus. Mit ähn-lichen Schlüssen konstruiert der Mensch aus seinerErfahrung Bilder von dieser Welt.

Auch kann der Mensch Dinge, die er einmal gesehenhat, immer wieder vor seinem «geistigen Auge»erscheinen lassen. Die Arbeit der Nervenzellen imGehirn ist dabei die gleiche wie beim realen Sehen.Dieselben Gehirnzellen, die beim Anblick der Mona Lisa aktiv werden, tun dies auch, wenn man aufge-fordert wird, sich das Bild der Mona Lisa im Geiste vor-zustellen.

Wir alle haben die gleichen Regeln erlernt, wie wir eine3-D-Welt aus Objekten und Farben konstruierenmüssen. Dank diesen Konstruktionsregeln können wirvor Spannung beben, wenn uns farbige Lichter auf derLeinwand andeuten, dass James Bond gerade malwieder um sein Leben kämpft.

Wahr

nehm

ung

TastenDas Tasten ist ein höchst schöpferischer Prozess. Gleitenwir mit der Hand über Marmor und spüren dabei die glatte,kühle Härte des Materials, dann konstruieren wir ein inneresBild von Marmor. Begegnen unsere Hände zu einem späte-ren Zeitpunkt demselben Material, werden wir die Marmor-platte auch ohne Hilfe unserer Augen wieder erkennen kön-nen. Die Haut gibt uns die Fähigkeit, feinste Berührungen,aber auch Druck, Spannung und Temperaturunterschiedewahrzunehmen. Spezielle Sensorzellen (Rezeptoren) fürdiese Empfindungen liegen in den obersten Schichten derHaut, in der Oberhaut und in der Lederhaut. Druck undBerührung werden von zwei verschiedenen Rezeptoren-typen wahrgenommen: Die so genannten Paccinischen

Körperchen übermitteln grossfläche Berührungen undDruck, während die Merkelschen Scheiben auf genau lokali-sierte Berührungen reagieren. Durch das Zusammenspieldieser unterschiedlichen Berührungs- und Druckrezeptorenkönnen Intensität, Dauer und Bereich der jeweiligenBerührung genau bestimmt werden. Andere Sensorzellen,die Wärme- und Kälterezeptoren, ermöglichen die Tempera-turempfindung. Sie registrieren die Temperatur an der Haut-oberfläche und leiten die Werte über das Rückenmark zumHypothalamus weiter, einer zentralen Hirnregion. Der Hypo-thalamus veranlasst beispielsweise bei grosser Hitze, dassder Körper zu schwitzen beginnt und sich die Körpertempe-ratur entsprechend senkt. Schliesslich ist die Palette anGefühlen, die durch Berührung und das Zusammenwirkenvieler Tastrezeptoren hervorgerufen werden, weitaus viel-schichtiger als die blosse Wiedergabe von «heiss», «kalt»oder Druck. Man denke nur an all die Empfindungen wie siebeim Tätscheln, Knuddeln oder Küssen auftreten können.

HörenDie wummernden Bässe einer Dance-Scheibe regen andereNervenzellen an, als es die Musik eines Violinsolisten tut.Wenn wir einen Ton wahrnehmen, antworten Zehntausendevon Nervenzellen auf diesen Reiz – tiefe Töne machen sichdabei eher an der Hirnoberfläche bemerkbar, hohe weiter imInneren, so weiss die Forschung inzwischen. Gemeinsam istallen Tönen und Geräuschen, dass sie von Luftschwingungen(Schallwellen) herrühren. Unsere Empfangsstationen dafürsind die Ohren. Ihre Anordnung auf beiden Seiten des Kopfesermöglicht uns das räumliche Hören. Die für das Hören wich-tigsten Frequenzen von 2500 bis 5000 Hertz werden imAussenohr verstärkt. Dabei erreichen die Schallwellen dasTrommelfell und versetzen es in Vibration. Diese Vibrationenwerden im Mittelohr über die Gehörknöchelchen zum Innen-ohr weitergegeben. Dort werden die Schwingungen in der sogenannten Schnecke, einem erbsengrossen, von feinen Häut-chen ausgekleideten und mit Haarzellen besetzten Hohlraum,in elektrische Signale umgesetzt. Die Haarzellen senden dieseSignale mit Informationen über die Frequenz, die Intensitätund die Dauer eines Geräusches an das Gehirn. In speziellenArealen der Grosshirnrinde, oberhalb des linken und desrechten Ohres, werden diese Signale identifiziert und inter-pretiert – als musikalische Linie, als tropfender Wasserhahn,als eine menschliche Stimme oder als irgendeines der unzäh-ligen Geräusche, die uns jederzeit umgeben. Erstaunlich ist,dass es das Gehirn trotz jeweils nur bruchstückhafter Infor-mationen schafft, das richtige Klangmuster zu erkennen undzum Beispiel aus dem vielstimmigen Spiel eines Sinfonie-orchesters eine einzelne Melodie herauszuhören. Oder nütz-lich: Beim Telefonieren wären wir ohne diese Fähigkeit aufge-schmissen. Mit seinem eingeschränkten Frequenzumfangüberträgt das Telefon nur die Obertöne der menschlichenStimme. Wir ergänzen die fehlenden Tonbereiche in unseremKopf.

Wahr

nehm

ung

Wenn uns die Sensoren der Haut melden, dass es draussen kalt ist, wenn wir mor-

gens aus dem Haus spazieren – dann ist es die Kognition, die uns dazu bringt,

auch einen warmen Mantel anzuziehen. Wenn uns der Nachbar einen guten Tag

wünscht – so ist die Kognition dafür verantwortlich, dass auch wir ihm einen

guten Tag wünschen. Und wenn wir danach in den Bus einsteigen – dann ist es die

Kognition, die es uns ermöglicht, das Fahrgeld abgezählt bereit zu halten.

Der Begriff «Kognition» umfasst all jene Prozesse, durch die wir zu einer

bewussten Kenntnis kommen und die es uns ermöglichen, gezielt zu handeln. Dazu

gehören unter anderem Prozesse wie das Denken, das Lernen, das Sich-Erinnern,

das Sprechen, das Entscheiden oder etwa die Fähigkeiten, sich zu orientieren

oder sich etwas vorstellen zu können.

Kognition

Lernen: Dauernd werden Nervenkabel neu verlegt. Das Hirn als ständige Baustelle.

Erinnern: Wo sich der erste Kuss versteckt hält. Der Pfad zurückzu den süssen Erinnerungen.

Sprechen: Warum Babys Sprachtalente sind. Und: Was Zwiebelsuppe mit unserem Gehirn anstellt.

LernenNägel kauen verändert dasGehirn. Auch dem Schlag-zeuger steht die Vorliebe fürsein Instrument im Hirn fest-geschrieben. Genau so ergehtes jenem, der gerne kniffli-ge Mathe-Aufgaben löst: Jedebewältigte Knacknuss verändert sein Gehirn ein kleinwenig – denn jegliches Lernen gestaltet unseren Denk-apparat um. Entsprechend schlagen sich Gewohnhei-ten und Fähigkeiten eines Menschen in den Strukturendes Gehirns nieder. Was sich alles beim Lernen imGehirn verändert, beginnen die Forscher zunehmendbesser zu verstehen. Die ständigen Veränderungen rei-chen von geringfügigen molekularen Umbauprozessenin einzelnen Nervenzellen bis hin zu Neuarrangementsganzer Netzwerke von Nervenzellen.

Sollen wir etwas Neues lernen, so muss diese Informa-tion zuerst in den als Hippocampus benannten Hirnteilgelangen. Den eigentlichen Lernvorgang muss mansich dann so vorstellen: Im Hippocampus alleine befin-den sich Millionen von Nervenzellen, die miteinanderverbunden sind. Eine einzelne Nervenzelle ist mit vielenanderen in Kontakt. Die Kommunikation von einer Zellezur nächsten verläuft mittels chemischer Botenstoffeüber eine Kontaktstelle, die so genannte Synapse.

Eine aktivierte Nervenzelle leitet das Signal in Formeines elektrischen Impulses bis an die Synapse weiter,wo Botenstoff in den Spalt zwischen den beiden Ner-venzellen ausgeschüttet wird. Ist die Menge an Boten-stoff genügend gross, wird auch die Empfängerzelleaktiviert und das Signal kann nun der zweiten Nerven-zelle entlang laufen, bis es erneut auf eine Synapsetrifft. Ein schwaches Signal, bei dem nur wenig Boten-

stoff freigegeben wird, reicht dagegen im Normalfallnicht aus, um weitere Nervenzellen zu aktivieren. Dasist bei mehrfacher Wiederholung einer Tätigkeitanders: Durch eine häufige Stimulierung einer Nerven-bahn werden die Kontakte zwischen den beteiligtenNervenzellen enger. Wenn nun wieder ein Impuls durchdiese Synapse geleitet wird, geht das leichter undschneller vonstatten. Einer solchermassen trainiertenSynapse genügt ein lediglich schwaches Signal, umeinen Reiz weiterzuleiten, sie «erinnert» sich an dasvorhergegangene Erlebnis. Und schon ist etwasgelernt.

Im Unterschied zu schreibgeschützten Daten einerComputerdiskette sind die Informationen im Gehirnfast immer veränderbar. Das Netzwerk von Nervenzel-len im Gehirn reagiert beim Lernen, Speichern undErinnern sehr flexibel, weil es die Kontakte zwischenden Nervenzellen stets verändern und an neue Erfor-dernisse anpassen kann. Die Hirnforscher sprechen indiesem Zusammenhang von Plastizität. Sie ermöglichtes – zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder einerHirnschädigung durch einen Unfall – verloren gegan-gene Fähigkeiten zum Teil neu zu erlernen.

Schlaganfall Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlägt das Unheil zu:Plötzliche Seh- oder Sprechstörungen, gefühllose oder gelähmte Mundwinkelbedeuten Alarmstufe eins. Jährlich werden 13 000 Menschen in der Schweiz Opfereines Schlaganfalls (auch: Hirnschlag). Die Folgen reichen von einem leichten Ver-wirrtsein und einer schleppenden Sprechweise bis hin zu lebenslangen Lähmungenoder gar Tod – Hirnschlag ist die dritthäufigste Todesursache in den Industrielän-dern. Rund 80 Prozent der Schlaganfälle sind auf ein Blutgerinnsel zurückzuführen,das wie ein Korken eine der wichtigen Blutbahnen im Gehirn verstopft. Die von die-ser Blutbahn versorgte Hirnregion erhält in der Folge nicht mehr genügend Sauer-stoff und Nahrung. Teile des Hirns können daher absterben. Zu den Risikofaktorengehören ein höheres Alter, die Zuckerkrankheit, ein bereits erlittener Schlaganfallund eine Häufung von Schlaganfällen in der Familie. Daneben gibt es aber auch vieleRisikofaktoren, die vom Einzelnen beeinflusst werden können. Dazu zählen hoherBlutdruck, eine fettreiche Ernährung, Rauchen oder etwa Missbrauch von Alkoholund Kokain.

Kogn

ition

Alzheimer Die Suche nach einer Behandlung für Alzheimerpatientenläuft heute auf Hochtouren. Denn: Alzheimer, diese Krankheit des schleichendenVergessens, ist häufig. In der Schweiz sind rund zwei Prozent der 65-Jährigen undetwa 20 Prozent der 80-Jährigen davon betroffen. Je älter jemand wird, destogrösser ist seine Risiko, an Alzheimer zu erkranken – die zunehmende Überalterungunserer Gesellschaft wird die Zahl der Krankheitsfälle also unweigerlich in die Höhetreiben. Zur Zeit dürften hier zu Lande zwischen 70 000 und 150 000 Personen anAlzheimer leiden. Diese grosse Unsicherheit besteht, weil die hundertprozentigeDiagnose auch heute noch erst nach dem Tod mit der Autopsie gestellt werden kann.Denn neben anderen augenfälligen Veränderungen schrumpft das Gehirn massiv;ungefähr die Hälfte aller Gehirnzellen stirbt im Verlaufe der Krankheit ab. Die Folgensind zunehmende Gedächtnis- und Orientierungsstörungen und ein wachsenderVerlust des Denk- und Urteilsvermögens. Alzheimer-Kranke verlieren schliesslichihre Persönlichkeit und sind vollständig auf die Hilfe Dritter angewiesen.

Fors

chun

g Ständig müssen wir unser Verhaltenan die uns umgebende Realität anpas-sen können. Wie aber ruft das Ge-hirn die in einem bestimmten Momentbenötigte Information aus unseremGedächtnis ab? Wie unterscheidet esdabei zwischen «jetzt» und «früher»?Dieser Frage geht Armin Schnider vonder Uniklinik Genf nach. Dazu hat erPatienten untersucht, die nach einerVerletzung des limbischen Systems,

einer zentralen Region imGehirn, nicht mehr zwi-schen Gegenwart und Ver-gangenheit unterscheidenkönnen. Seine Erkenntnis:Diese Personen sind nichtmehr im Stande, Erinnerun-gen zu unterdrücken, diekeine aktuelle Bedeutunghaben; sie rufen im falschen

Moment zu viele Erinnerungen ausihrem Gedächtnis ab. Untersuchun-gen an gesunden Personen mit Ver-fahren, welche mit Bildern aktive Hirn-regionen anzeigen können, beweisennun: Ein ganz bestimmter Teil deslimbischen Systems filtriert ständigunsere Gedächtnisinhalte und Gedan-ken – dieser Filter ermöglicht es uns, zwischen Realität, Vergangenheitund Fantasie zu unterscheiden. Einähnliches Projekt verfolgt PierreMagistretti von der Universität Lau-sanne. Mit bildgebenden Verfahrenuntersucht er, wie sich die Stoffwech-seltätigkeit im Gehirn von Alzheimer-Patienten verändert und welcheAuswirkungen dies auf die Gedächt-nisleistung hat.

Erinnern

Kogn

ition

Schon eine einfache Erinnerung treibt unser Hirn zu Höchst-leistungen. Denken wir beispielsweise an den ersten Kuss,dann aktivieren wir gleichzeitig verschiedene Areale, die überdas ganze Gehirn verteilt sind: Um das geistige Bild diesesromantischen Erlebnisses wieder aufleben zu lassen, muss dasHirn unter anderem den Ort, die Zeit, die im Hintergrundlaufende Musik oder auch den Geruch des Partners aus denverschiedenen Speicherorten abrufen und zusammenfügen.Die verschiedenen Hirnregionen, die zu dieser Erinnerungbeitragen, sind durch gefestigte Nervenzellverbindungen mit-einander verknüpft. Es kann deshalb vorkommen, dass bei-spielsweise ein Geruch oder eine Songzeile genügen, um dievollständige Szene aus dem Gedächtnis abzurufen.

Traditionell unterscheidet man beim Menschen zwischen zweiGedächtnisarten: dem Kurzzeit- und dem Langzeitgedächtnis.Das Kurzzeitgedächtnis ermöglicht uns beispielsweise, eineNummer, die wir im Telefonbuch nachgeschlagen haben, gera-de lange genug im Gedächtnis zu behalten, um sie gleich daraufaus der Erinnerung wählen zu können. Bei der Speicherungneuer Information werden die alten Informationen überlagert.Das Langzeitgedächtnis hingegen speichert Informationenüber einen längeren Zeitraum, unter Umständen lebenslang.Wie und unter welchen Umständen Information vom Kurzzeit-gedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt wird, und wie dieVerbindungen zwischen Nervenzellen gefestigt werden, weissdie Forschung noch nicht. Gefühle dürften dabei eine Rollespielen: Wahrscheinlich werden wir uns auch in zehn Jahrennoch an den ersten Kuss erinnern, kaum jedoch an den Inhalteiner langweiligen Mathematikstunde. Vermutlich bewirkenGefühle, dass das Hirn spezielle Eiweissmoleküle bildet, durchwelche die Kontakte zwischen Nervenzellen besonders ver-stärkt werden.

Ein Baby besitzt das Potenzial, jede der mindestens5000 heute gesprochenen Sprachen der Welt zuerlernen und perfekt zu beherrschen. Wenn ein Säug-ling einem Erwachsenen beim Sprechen zuhört, regi-striert und speichert sein Hirn die verschiedenenLaute, Rhythmen und Tonfolgen, welche für dieseSprache charakteristisch sind. Das Kind erstellt soetwas wie eine geistige Sprachlandkarte, auch wennes selbst noch so klein ist, dass es kein Wort spre-chen kann. Diese Landkarte der Sprache verankertsich im Hirn in Form neuer Verbindungen zwischenNervenzellen. So werden für die deutsche Sprachezum Beispiel verschiedene Signalwege für die Laute«r» wie in «Ratte» und «l» wie in «Latte» ausgelegt.Die Laute «l» und «r» können daher von Menschendeutscher Muttersprache problemlos ein Leben lang

unterschieden werden. Dieses Potenzial, Sprach-landschaften anzulegen, verschwindet mit dem Alter:Auch japanische Babys können beispielsweise ohneProbleme zwischen den Lauten «l» und «r» unter-scheiden. Doch weil die japanische Sprache diesenUnterschied nicht kennt, prägt sich auch auf der gei-stigen Sprachlandkarte kein Unterschied ein – underwachsene Japaner müssen sich die richtige Aus-sprache von Wörtern mit «l» und «r» später harterarbeiten. Diese Fähigkeit, eine neue Sprache inklu-sive der korrekten Aussprache perfekt zu erlernen,geht mit dem Eintritt in die Pubertät verloren. Danachwird es fast unmöglich, eine Fremdsprache wirklichbeherrschen zu lernen. Jede nach der Pubertät er-lernte Sprache bleibt für immer eine «Fremdsprache».

Sprechen

Fors

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Die sprachlichen Funktionen im Gehirn sind sehrkomplex. Denken wir beispielsweise an das Wort«Zwiebelsuppe», so verknüpfen wir dieses Wortunmittelbar mit einer Vielzahl von Vorstellungen.Diese Vorstellungen sind es, die uns das echteVerstehen der Buchstabenfolge Z-W-I-E-B-E-L-S-U-P-P-E erst ermöglichen. Wahrscheinlich sehenwir vor unserem inneren Auge eine Flüssigkeit ineiner Schüssel, wir denken an die Wärme, die in einerZwiebelsuppe steckt und stellen uns den Geschmackund Geruch von Zwiebeln vor. Dies lässt daraufschliessen, dass Worte wahrscheinlich nicht an einereinzigen Stelle im Gehirn gespeichert sind, sonderndass die verschiedenen Vorstellungen zur «Zwiebel-suppe» in unterschiedlichen Hirnarealen abgelegt

sind. Von ihren jeweiligen Speicherorten aus könnendiese Vorstellungen bei Bedarf reaktiviert werden,um dem Wort einen Sinn zu verleihen. Diese sogenannten Assoziationen bilden die Grundlage für dieAbstraktionsfähigkeit und die Fähigkeit, zu verstehen,was es zum Beispiel heisst, wenn jemand «mit demKopf durch die Wand will» – dass da also jemandetwas erzwingen will, aber wohl kaum wirklich mitdem Schädel durch die Mauer kracht.

«Ganz ähnlich wie die Sprache hatauch die Hand eine besondereAusdrucksfähigkeit», sagt MarioWiesendanger. Der klinische Neu-rophysiologe an der UniversitätBern möchte unter anderem he-rausfinden, wie es das Gehirnanstellt, dass wir zum Beispiel mitDaumen und Zeigefinger eine Trau-benbeere pflücken können, ohnesie zu zerdrücken. Oder auch: Wiekoordiniert das Hirn unsere beidenHände, dass wir Geige spielen kön-nen? Um solche Fragen zu beant-worten, untersucht Wiesendangermit seinem Team die Handfunktio-nen bei gesunden und hirngeschä-digten Personen. Bei Hirnschädi-gungen ist häufig die Handfertigkeiteingeschränkt, weil viele und weitverteilte Areale im Gehirn die Handsteuern – ist auch nur eines davonverletzt, kann dies die Steuerungbereits stark beeinträchtigen. AufGrund verloren gegangener Hand-funktionen bei Hirnschädigungen,wie auch mit Hilfe der neuen bildge-benden Verfahren, können die Ber-ner Forscher darauf zurückschlies-sen, an welchen Stellen im Gehirndiese Funktionen abgelegt sind.Aus diesen Untersuchungen resul-tieren auch Erkenntnisse für dieTherapie: «Dabei haben wir gese-hen, dass das Gehirn alles andereals starr ist», betont Wiesendanger.«Nach einer Hirnverletzung könnenverloren gegangene Handfunktio-nen von anderen Hirnregionen zumTeil übernommen und damit neuerlernt werden.»

Kogn

ition

SteuerungGehirn und Rückenmark würden umsonst Informationen verar-

beiten und Körperfunktionen steuern, gäbe es nicht ein fein ver-

zweigtes Netz von Nervenzellen, das die Befehle der menschli-

chen Kommandozentrale an die entsprechenden Stellen im Körper

weiterleitet. Und umgekehrt müssen Signale wie beispielsweise

Sinnesreize ins Hirn gelangen können. Diese Aufgaben übernimmt

das so genannte periphere Nervensystem (im Gegensatz zum Zen-

tralnervensystem, das aus Gehirn und Rückenmark besteht).

Innerhalb des peripheren Nervensystems unterscheiden die Wis-

senschaftler zwei weitere Systeme: das somatische Nerven-

system, dessen Aufgaben die Kontrolle der Skelettmuskulatur

(Beinmuskeln, Armmuskeln etc.) und die Vermittlung der Empfin-

dung sind, und das autonome (oder vegetative) Nervensystem,

das für die Steuerung der glatten Muskulatur von Blutgefässen

und Organen, der Herzmuskulatur und der Drüsen zuständig ist.

Das autonome Nervensystem steuert also jene Funktionen des

Körpers, die der Mensch mit seinem Willen nicht beeinflussen

kann.

Bewegen: Warum wir beim Spaziergang ohne weiteres ein Liedchenträllern können.

Regulieren: Sex oder Flucht. Beides zusammen geht nicht.

Regulieren

Multiple Sklerose Die Ausfälle kommen meist in Schüben: Die multipleSklerose (MS) bewirkt zunächst Kribbelgefühle oder vorübergehende Lähmungen, auch dasSehen oder Sprechen kann eingeschränkt sein. Später entwickelt sich MS fortschreitendund führt oft zu dauerhaften Lähmungen, besonders der Beine. Ausmass und Schwere derKrankheitszeichen schwanken sowohl von Mensch zu Mensch als auch bei jedem Betroffe-nen im Krankheitsverlauf erheblich. MS bricht meist vor dem 40. Lebensjahr aus, und in derSchweiz sind etwa 10 000 Personen davon betroffen. MS ist eine so genannte Autoimmun-Erkrankung. Dabei richtet sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper: Immun-abwehrzellen zerstören die Ummantelung der Nervenzellen in Hirn und Rückenmark, als seidies ein Fremdkörper. Die Zerstörung dieser so genannten Myelinschicht bewirkt, dass dieNervenzellen die elektrischen Impulse nicht mehr richtig weiterleiten können – ganz ähnlichwie elektrische Kabel, deren Isolierung beschädigt ist. Nach wie vor ist nicht bekannt, wiesodas Immunsystem die körpereigenen Nervenzellen angreift. Für MS existieren wohl Thera-pien, doch die Krankheit ist bis heute nicht heilbar.

Steu

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Vieles in unserem Körper läuft ab, ohne dass wir diesrealisieren. So müssen wir unserem Magen keinebewusst gefassten Befehle erteilen, er solle jetzt bittedas Mittagessen verdauen. Die Atmung funktioniertautomatisch, und auch das Herz fängt ganz von allei-ne zu rasen an, wenn wir Panik verspüren. Diese«inneren» Körperabläufe zu steuern, ist Aufgabe desautonomen Nervensystems. Das autonome (oderauch: vegetative) Nervensystem wird in das sympa-thische und das parasympathische System unterteilt,oder kurz: in den Sympathicus und den Parasympa-thicus. Beide Systeme kontrollieren dieselben Orga-ne, allerdings mit gegensätzlichem Effekt. Währendder Sympathicus dann aktiv wird, wenn wir kämpfenoder flüchten müssen,sorgt der Parasympathi-cus dafür, dass der Kör-per im Ruhezustand opti-mal arbeitet, zum Bei-spiel bei der Verdauungoder im Schlaf. In Stress-situationen, etwa bei Auf-

treten einer Gefahr oder beim Sport, versetzt derSympathicus den Körper in Alarmzustand: Er weitetdie Pupillen, steigert den Herzrhythmus und sorgt füreinen Energieschub. Gleichzeitig hemmt er sämtlicheAktivitäten im Verdauungstrakt. So kann mehr Blut indie Muskulatur fliessen, zum Beispiel um schnellerweglaufen zu können. Der Parasympathicus erfüllteine dem Sympathicus entgegengesetzte Funktion:Er sorgt unter anderem für die Senkung des Herz-rhythmus, die Verengung der Bronchien und steigertdie Aktivität im Verdauungsapparat. Im Normalfallsind beide Systeme aktiv, und die einzelnen Organewerden im Gleichgewicht sowohl vom Sympathicusals auch vom Parasympathicus gesteuert.

Das wichtigste Kontrollzentrum für diese Steuerungder inneren Organe liegt im Hypothalamus, einerHirnregion nahe dem Hirnstamm. Wenn zum Beispielbestimmte Nervenzellen eine Änderung des Wasser-gehalts im Blut feststellen, melden sie dies an die ent-sprechenden Nervenzellen im Hypothalamus. Fallsder Wassergehalt zu tief ist, lösen sie ein Durstgefühlaus. Dies bringt die betreffende Person dazu, Wasserzu trinken. Gleichzeitig sendet der HypothalamusSignale an die Nieren, sie sollen weniger Wasser ausdem Körper ausscheiden. Falls der Wassergehalt hin-gegen zu hoch wird, werden die Nieren angewiesen,mehr Wasser aus dem Körper abzuführen. AndereRegionen innerhalb des Hypothalamus regulierennach dem gleichen Prinzip den Hunger oder dieKörpertemperatur.

Das Hirn ist sehr verletzlich. Des-halb sind seine Blutgefässe gutabgedichtet. Diese so genannteBlut-Hirn-Schranke sorgt dafür,dass nur die notwendigsten Stoffevom Blut ins Nervengewebe gelan-gen können. Bei verschiedenenHirnerkrankungen wird dieserSchutzwall jedoch löchrig, sodassAbwehrzellen ins Nervengewebeeindringen und Infektionen be-kämpfen können. «An sich ist diesein sinnvoller Prozess», sagt derNeurologe David Leppert von derUniversität Basel. «Doch manchmalschiesst diese Entzündungsreakti-on über das Ziel hinaus, und dasNervengewebe nimmt dauerhaftenSchaden.» Diese Überreaktion trittbei verschiedenen Krankheiten desNervensystems auf, zum Beispielbei der Multiplen Sklerose oderauch bei bakteriellen Hirnhautent-zündungen. Letztere können oft-mals gar zum Tod führen. Den Weg-bereitern dieser Überreaktion istnicht nur der Basler David Leppertauf der Spur. Auch das Team umKarl Frei am Unispital Zürich möch-te herausfinden, welche Moleküledie Blut-Hirn-Schranke durchlässigmachen und damit Abwehrzellenins Hirngewebe eindringen lassen.Liessen sich diese Moleküle beieiner bakteriellen Hirnhautent-zündung dereinst medikamentösblockieren, dann dürften die da-durch verursachten Todesfälle ab-nehmen und die Hirnschädengeringer ausfallen.

Fors

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Einige Bewegungen funktionieren ohne jeglicheGehirnaktivität. Wenn wir zum Beispiel eine heisseHerdplatte berühren, dann jagt der Schmerzimpulszum Rückenmark, welches die Hand unmittelbaranweist, sich zurückzuziehen. Auch zucken wir beimBetrachten eines Horrorstreifens vor Schreck zusam-men, sobald der Bösewicht sein Opfer unvermitteltaus dem Hinterhalt attackiert. Bewusst geplant habenwir diese Bewegungen nicht, in diesen Fällen sprichtman von Reflexen. Andere Bewegungen führen wirzwar bewusst durch, doch müssen wir uns bei derenAusführung nicht besonders konzentrieren, etwabeim Essen oder beim Gehen. Bei Letzterem ver-schwenden wir keinen Gedanken daran, wie wir nunden einen Fuss vor den anderen zu setzen haben. Wirkönnen uns dabei gedanklich ohne weiteres mitanderen Dingen beschäftigen, zum Beispiel die Zei-tung lesen oder an das bevorstehende Fussballspieldenken. Die Ausführung solcherlei gut eingeprägter,rhythmischer Bewegungen erfordert kaum Aufmerk-samkeit und daher keine Aktivität der Grosshirnrinde– im Gegensatz zu den so genannten Willkürbewe-gungen wie Schreiben oder Klavierspielen. Wären wirnicht in der Lage, willkürliche Bewegungen auszu-führen, und müssten wir uns auf Reflexe und rhyth-mische Bewegungen beschränken, so würden wiruns kaum von primitiven Robotern unterscheiden –und wohl ebenso uninspiriert durch die Gegendwackeln.

Bewegen

Fors

chun

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Jahrzehntelang hatte die Forscher-welt geglaubt, die Verkabelung derNervenzellen von Hirn und Rücken-mark sei vergleichbar mit einemTelefonapparat – ist ein Kabel einmaldurchtrennt, dann bleibe das auchso. Das galt so lange, bis der ZürcherForscher Martin Schwab ein Anti-körper-Molekül entwickelte, das zer-störte Nerven des Rückenmarks vonRatten wieder nachwachsen lässt.Das war vor ein paar Jahren, undseither hegen Querschnittgelähmteüberall auf der Welt neue Hoffnung.Was der Neuroforscher geschaffenhatte, war eine «Bremse für dieBremse»: Ein Eiweiss in der Hüllevon Nervenfasern im Rückenmarkund Gehirn verhindert, dass einmaldurchtrennte Nerven wieder wach-sen können – und der von Schwabkonstruierte Antikörper vermagdiese natürliche Wachstumsbremsezu blockieren. Inzwischen ist auchder genetische Bauplan für dieWachstumsbremse entschlüsselt.«Das erlaubt uns, noch spezifische-re und damit wirksamere Antikörpergegen dieses wachstumshemmendeEiweiss zu entwickeln», sagt MartinSchwab. Doch klar ist: Auch wenndie Forschung auf dem Gebiet derRückenmarksverletzungen riesigeFortschritte macht, so sind dennocheinige grosse Hürden zu überwin-den, und der Erfolg solcher Thera-pien ist noch ungewiss.

Steu

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Willkürbewegungen planen wir und setzen sie inbestimmten Situationen bewusst ein. Die Entschei-dung, eine bestimmte Bewegung ausführen zu wol-len, beruht oftmals auf Informationen über die äusse-re Umgebung: Diese Informationen stammen unteranderem von den Muskel- und Sehnenspindeln (Zell-gruppen, die den Spannungszustand des Muskelsoder der Sehne registrieren), von Sinneszellen inHaut und Gelenken und den für die optische Wahr-nehmung verantwortlichen Sinneszellen. Denn umBewegungen ausführen und kontrollieren zu können,muss das Gehirn stets auf dem neusten Stand gehal-ten werden, zum Beispiel was die Körperstellung imRaum betrifft, wie die einzelnen Körperteile positio-niert sind und wie gross die Muskelspannung ist.

Heute weiss man, dass es Hirnareale gibt, die sich füreine Bewegung entschliessen, während andere Area-le diesen Willen – über Befehle an die zuständigenMuskeln – in Bewegung umsetzen. Auf der Gross-hirnrinde befinden sich spezielle Regionen, die je-weils die Bewegungen eines bestimmten Teils desKörpers kontrollieren (z.B. Gesicht, Arme, Füsse).Die grössten derartigen Hirnareale kontrollieren jeneKörperteile, welche die kompliziertesten und präzise-sten Bewegungen bewerkstelligen müssen. So kon-trolliert ein besonders grosses Areal die Bewegungender Lippen und der Zunge, weil sie beim Sprechenund Essen komplexe Bewegungen vollführen müs-sen. Viel kleinere Areale kontrollieren die verhältnis-mässig einfachen Bewegungen, wie sie zum Beispieldie Schultern oder der Rücken benötigen. Dieser fürdie Bewegungen zuständige Bereich der Gross-hirnrinde steht in direkter Verbindung mit demRückenmark. Das Rückenmark seinerseits leitetdiese Reize an jene Nervenzellen weiter, die mit denMuskeln in Kontakt stehen.

Fors

chun

g Was tun, wenn die Nervenzellendes Gehirns wegsterben? PatrickAebischer und Anne Zurn vom Uni-spital Lausanne setzen im Kampfgegen Parkinson auf so genannteWachstumsfaktoren. Das sindEiweissmoleküle, die bei gesundenMenschen dafür sorgen, dassNervenzellen wachsen, überlebenund schliesslich ordnungsgemässfunktionieren können. Die Lausan-ner Forscher möchten solcheWachstumsfaktoren gezielt in dievon der Krankheit angegriffenenHirnregionen schleusen. Dortkönnten diese Wunderstoffe dienoch vorhandenen Nervenzellenam Zelltod hindern oder beschä-digte Hirnareale gar wieder reparie-ren, so die Idee. Deshalb habenAebischer und Zurn mit ihrem Teamnach Wegen gesucht, diese retten-den Eiweisse direkt in das Gehirneinzubringen. Um dies zu errei-chen, verwenden die LausannerForscherinnen und Forscher denAnsatz der Gentherapie: Zellen wer-den genetisch so verändert, dasssie einen Wachstumsfaktor produ-zieren. Anschliessend werden diesebehandelten Zellen in Kunststoffeingekapselt und in das Gehirnimplantiert. In der Folge sollendiese biologischen Mini-Fabrikendie entsprechenden Eiweissmo-leküle kontinuierlich ins Nervenge-webe abgeben. Tests am Tiermodellwaren verheissungsvoll und deutendarauf hin, dass das, was in derTheorie gut klingt, auch tatsächlichfunktionieren könnte.

Parkinson Ihre Hände oder Füsse zittern, sie bewegen sich immer langsamer undihre Muskeln versteifen sich zunehmend. Die Parkinson’sche Krankheit betrifft in der Schweizschätzungsweise 10 000 Männer und Frauen. Neben diesen Hauptsymptomen droht einem Teilder Betroffenen mit fortschreitendem Krankheitsverlauf die Demenz, eine dauerhafte Geistes-schwäche. Der grösste Risikofaktor, von Parkinson ereilt zu werden, ist das Alter. ErsteBeschwerden treten in der Regel nach dem 60. Lebensjahr auf. Über die Ursache der Krankheitgibt es bis heute nur Vermutungen. Bekannt ist lediglich, dass an einer bestimmten Stelle imGehirn Nervenzellen allmählich abgebaut werden. Die Zellen dieser so genannten «schwarzenSubstanz» produzieren den Botenstoff Dopamin, ein Molekül, das Signale von einer Nerven-zelle auf die nächste überträgt. Wenn etwa 80 Prozent der Zellen in der schwarzen Substanznicht mehr funktionieren, erleidet das Gehirn einen Mangel an Dopamin – und die typischenSymptome treten auf. Mit Medikamenten lässt sich heute dieser Dopaminmangel oft beheben,und Bewegungsstörungen können auf diese Weise gelindert werden.

Epilepsie Epilepsieanfälle beruhen auf «Entladungsgewittern» vonNervenzellen im Gehirn. Die Symptome reichen von kurzen Bewusstseins-absenzen, zum Beispiel Momente eines starren Blicks bei Kindern, bis zuKrämpfen des gesamten Körpers. Die Auswirkungen der vorübergehendenFunktionsstörungen der Nervenzellen hängen weitgehend davon ab, welcheFunktion die vom «Gewitter» erfassten Nervenzellen normalerweise ausüben.Haben die abnormen Impulse ihren Ursprung zum Beispiel in der für die Koor-dination der Beinbewegungen zuständigen Hirnregion, führt dies zu Krämpfender Beine. Die Epilepsie betrifft ungefähr ein Prozent der Bevölkerung, Männertrifft es häufiger als Frauen. Die Epilepsie ist streng genommen keine Krankheit,sondern umfasst eine Gruppe von Symptomen, denen sehr verschiedeneStörungen zu Grunde liegen können. Als mögliche Ursachen kommen unteranderem Probleme während der Geburt, Kopf-verletzungen oder auch Tumoren in Frage. Andere Wissenschaftler vermuten, dass Nervenzellen ausungeklärten Gründen falsch verschaltet sind. MitMedikamenten lässt sich zum Teil die Übererregbar-keit der Nervenzellen drosseln, ohne dass dadurchihre normale Funktion beeinträchtigt wird.

Steu

erun

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StimmungenDie Wahrnehmung ist zu einem grossen Teil dafür verantwortlich,

in welcher Stimmung sich unser Gehirn befindet. Zum Beispiel

Lampenfieber: Wer schon einmal vor grossem Publikum aufgetre-

ten ist, dürfte diese Mischung aus Erregung und Angst kennen. Wer

in dieser Situation scheitert, und vor lauter Zittern den aufzusagen-

den Text vergessen hat, dürfte beim nächsten Auftritt erst recht ins

Schwitzen kommen – aus lauter Angst vor dem drohenden Lampen-

fieber. Andererseits wird gestärkt aus dem Auftritt hervorgehen,

wem der Akt vor Publikum gelungen ist. Empfinden: Der Mensch braucht Schmerzen.

Trotzdem tut dem Hirn nichts weh.

Die Sinneseindrücke von dem, was um uns herum abläuft, und deren

anschliessend im Hirn vollzogene Bewertung – auf Grund bereits

gemachter Erfahrungen – prägen also das Verhalten. Unser Han-

deln ist oftmals das Resultat einer Stimmung, die sich im Hirn

entwickelt hat.

Fühlen: Das Leben als Spielball unserer Gefühle.Und weshalb Pokern ein Risiko birgt.

Verlangen: Warum wir wollen müssen. Von denTücken der Euphorie.

EmpfindenSo hart es tönt: Wir brauchen den Schmerz. DerSchmerz agiert als Warnsignal. Er teilt dem Körpermit, dass etwas nicht in Ordnung ist. Damit dermenschliche Körper Schmerz bemerken kann, ver-fügt er über ein weit verzweigtes Meldesystem. AlsSchmerzmelder dienen so genannte Nozizeptoren.Diese Sensoren befinden sich am Ende von Nerven-fasern, die sich auf Schmerzreize spezialisiert haben

und die entsprechenden Signale andas Gehirn weiterleiten. Dort entstehtschliesslich das, was wir alsSchmerzempfindung wahrnehmen.Jeder kennt zwar die Empfindung«Schmerz», doch jeder beschreibtsie anders. Das ist ein Phänomen,wie wir es von Gefühlen wie Liebe,Ekel oder Hass kennen. JederMensch empfindet anders. Darumsind Schmerzen nicht objektiv zubeschreiben und schwer fassbar –wie jede andere Empfindung auch.

Das Schmerzempfinden ist nicht beiallen Menschen gleich ausgeprägt,weil es von vielen verschiedenen Fak-toren beeinflusst wird. Aber auch das

Schmerzempfinden eines Menschen ist nicht immergleich: Ein Schmerzreiz, der uns an einem Tag eineheftige Schmerzreaktion beschert, kann an einemanderen Tag bloss als störend empfunden werden.Wohl haben Nozizeptoren in beiden Fällen den Reizwahrgenommen und weitergeleitet, die Schmerz-schwelle jedoch hat sich verschoben. Die Verände-rung der Schmerzschwelle wird durch die Freiset-zung körpereigener chemischer Substanzen bewirkt,welche die Nozizeptoren empfindsamer und aufnah-mefähiger machen. Bei einer Schädigung eines Kör-pergewebes werden diese Substanzen freigesetzt.Steigt die Konzentration dieser Stoffe über ein gewis-ses Mass an, so kommt es zu einer Schmerzreaktion.Dieses komplizierte Wechselspiel zwischen denschmerzauslösenden chemischen Stoffen und denNozizeptoren dürfte für die Vielzahl von Schmerzfor-men verantwortlich sein, die es gibt. Zum heutigenZeitpunkt sind noch nicht alle Zusammenhänge rundum die Schmerzempfindung erforscht.

Übrigens: Das Gehirn selbst hat keine Nozizeptorenund ist daher unempfindlich gegenüber Schmerzen.

Tumoren Tumoren sind ein abnormales Wachstum von Zellen, wel-ches – wenn dies im Gehirn erfolgt – schwere Hirnschäden verursachen kann.Die Auswirkungen eines Tumors hängen von seiner Grösse und dem Ort sei-ner Entstehung ab. Denn ein sich ausbreitender Tumor kann die umliegendenZellen zerstören. Zudem erzeugt sein Wachstum oft einen erhöhten Druck imGehirn, welcher andere Hirnareale schädigen oder zumindest deren normaleFunktionen beeinträchtigen kann. Symptome eines Tumors können sein:Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, ungewöhnliche Müdigkeit, Lähmungen,Wahrnehmungs- oder Sprachstörungen. Gehirntumore machen fünf bis zehnProzent aller Tumore aus und werden bei etwa einer von 10 000 Personen proJahr registriert.

Infektionen Eine Reihe von Krankheiten, die durch Bakterien oderViren verursacht werden, können das Hirn schädigen. Die häufigste dieser Infek-tionskrankheiten ist die Gehirnhautentzündung (Meningitis), eine Entzündung jenerMembran, welche Gehirn und Rückenmark bedeckt. Je nach Art des Krankheits-erregers lassen sich sehr unterschiedliche Verlaufsformen der Meningitis beobach-ten. Während es sich bei der von Bakterien verursachten Form der Gehirnhautent-zündung um eine meist dramatisch verlaufende, auch heute noch lebensgefährlicheKrankheit handelt, ist die von Viren ausgelöste Variante oft weniger gefährlich. In derRegel erfolgt die Ansteckung durch Tröpfcheninfektion, das heisst ein Erkrankteroder ein gesunder Keimträger stösst beim Ausatmen oder Husten Keime aus, dievon anderen Personen eingeatmet werden. Ein Ansteckungsrisiko besteht alsobesonders für jene Personen, die sich längere Zeit in direktem Kontakt mit Erkrank-ten aufgehalten haben. Als Symptome zeigen sich heftige Kopfschmerzen sowieFieber und ein allgemeines schweres Krankheitsgefühl, oft auch Übelkeit, Erbrechenund eine ausgeprägte Lichtscheu. Im weiteren Verlauf können Benommenheit,Schläfrigkeit und schwere Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma auftreten.

Stim

mung

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FühlenDie Liebe entspringt dem Herzen, die Furcht hockt imMagen. So hatte man lange Zeit gedacht. Inzwischenist bekannt: Gefühle sind ein kompliziertes Zusammen-spiel von Aktivitäten des Nervensystems und chemi-schen Abläufen im Körper. Freude, Trauer, Angst, Wut, Ekel oder sexuelle Erregung – wir alle haben dieseGefühle schon erlebt. Einige davon sind uns verhasst,andere machen das Leben lebenswert. Mancher Ge-fühle sind wir uns bewusst, anderer nicht. Einige Aus-wirkungen von Gefühlsreaktionen treten deutlich insAuge, zum Beispiel formieren die Gesichtsmuskelneinen jeweils typischen Ausdruck für die Freude, dasMitleid oder die Wut. Die Haut wird totenblass bei derAnkündigung einer schlechten Nachricht, und sie ver-färbt sich knallrot, wenn eine Situation peinlich wird –oder eben: das vor Glück trabende Herz beim Anblickder Geliebten, der sich zusammenziehende Magen vor einer Prüfung. Andere Reaktionen laufen für unsunsichtbar im Körper ab: Chemische Moleküle wieHormone oder Eiweisse verändern den Stoffhaushaltdes Körpers, oder freiwerdende Botenstoffe aktivierenbestimmte Hirnareale und beeinflussen auf dieseWeise unser Denken und Handeln.

Manchmal reagieren wir intuitiv auf bestimmte äussereEinflüsse, ohne uns eigentlich darüber im Klaren zusein, weshalb wir dies tun. Dabei löst ein vom Sinnes-apparat kommender Reiz diese Vorgänge im Körperaus, das Gehirn bewertet die neue Situation und sorgtschliesslich für das Entstehen des Gefühls. Die zentralim Gehirn eingebettete Region, in der Gefühle entste-hen, wird als limbisches System bezeichnet und ist

kaum willentlich beeinflussbar. Es reicht also derAnblick eines Hauses, das jenem gleicht, in dem maneine glückliche Kindheit verbracht hat, und bereits istdas gute Gefühl da. Oder das Gesicht einer unbekann-ten Person, die jemandem gleicht, den man nicht aus-stehen kann: Dies dürfte ein unangenehmes Gefühlauslösen. In irgend einer Art und Weise führen die mei-sten uns umgebenden Objekte und Situationen zu einerGefühlsreaktion. Einige tun dies deutlicher als andere,und meistens sind die Auswirkungen – zum Glück! –gering. Oft wissen wir deshalb gar nicht, welchesObjekt oder welche Situation bei uns ein bestimmtesGefühl ausgelöst hat.

Wenn wir mal ein bestimmtes Gefühl empfinden, somüssen wir dies also weitgehend akzeptieren. Wir kön-nen Gefühlsäusserungen zwar zum Teil steuern, etwadie Wut unterdrücken oder unsere Traurigkeit über-spielen. Nur wenige Menschen sind jedoch derart guteSchauspieler, dass sie ihre Gefühlsausbrüche bewusstzügeln können. Und wenn wir trotzdem versuchen, mit Schauspielkunst ein Gefühl zu mimen, so genügtschon ein kleines Detail – ein falsch aktivierter Ge-sichtsmuskel, ein verräterischer Ton in der Stimme –,um die Vorstellung als Betrug zu entlarven. Dies ist mitein Grund, weshalb man beim Pokerspiel eine grossePortion Talent benötigt, um Geld zu gewinnen. Kurzum:Die Bemühung, Gefühle zu unterbinden, ist ähnlichwenig erfolgversprechend wie der Versuch, ein sichankündigendes Niesen zu unterdrücken.

Stim

mung

en

Hirnverletzungen Bereits eine leichte Hirnverletzung kanneinen tiefen Einschnitt ins Leben von Betroffenen bedeuten: Plötzlich fällt dasSprechen schwer, man ist dauernd müde oder hat vielleicht Mühe, Erinnerungenaus dem Gedächtnis abzurufen. Das sind Beispiele aus einer ganzen Bandbreitevon Folgen, die mit einer Verletzung des Gehirns einhergehen können. Oft sinddie Beschwerden äusserlich gar nicht sichtbar, so etwa mögliche Störungen inder Wahrnehmung oder in der Konzentrationsfähigkeit. In der Schweiz lebenrund 100 000 Menschen mit einer Hirnverletzung, und pro Jahr kommen etwa19 000 Betroffene hinzu. Davon sind 5000 vorwiegend junge Menschen, diedurch einen Unfall eine Hirnverletzung erleiden. Junge Männer zwischen 18 und39 Jahren sind eine speziell gefährdete Altersklasse. Denn meist sind es Autofahrer, die sich bei Verkehrsunfällen schwerste Hirnverletzungen zuziehen.Weitere Ursachen für Hirnverletzungen sind Hirnschläge, aber auch Tumorenund verschiedene Formen von Krebs oder Zwischenfälle bei Operationen.

Verlangen

Starkes Verlangen muss nicht zwangsläufig mit gros-sem Genuss einhergehen. Dies wissen zum BeispielDrogenabhängige: Häufig ist ihr Verlangen nach einerDroge nicht mehr mit dem lustvollen Vergnügen derAnfangsphase des Drogenkonsums verbunden. Unddoch fühlen sie eine unstillbare Gier, die sie von derDroge nicht loskommen lässt. Die Mechanismen, diedas Gehirn des Süchtigen «wollen müssen» lassen,sind noch nicht vollständig geklärt. Klar ist: Trotz unter-schiedlicher chemischer Strukturen nehmen die mei-sten Drogen direkt Einfluss auf Hirnfunktionen, indemsie die Aktivität von bestimmten Hirnregionen hemmenoder erregen. Bei den Amphetaminen («Speed») undKokain stehen ein gesteigerter Antrieb und eine geho-bene Stimmung im Vordergrund, beim Haschisch undbei LSD ein verstärktes Erleben der Sinneswahr-nehmung, Alkohol hingegen beruhigt und führt zurMuskelerschlaffung und zu herabgesetzter Erregbar-keit der Reflexe.

Es gibt zwei klassische Theorien zum Suchtverhalten.Die eine Theorie besagt, dass Drogenkonsum aufGrund der positiven Effekte aufrechterhalten wird, wel-che die Droge auslöst, zum Beispiel Euphorie oderangenehme Gefühlszustände. Die andere Theorie stelltsich auf den Standpunkt, dass der Süchtige weiter dieDroge konsumiert, weil sie die unangenehmen Ent-zugserscheinungen beseitigt. Beide Theorien sindjedoch unbefriedigend: Sie können nicht erklären,warum auch Drogen ohne euphorisierende Wirkungabhängig machen oder warum Süchtige nicht von Dro-gen loskommen, die keinerlei Entzugssymptome her-

vorrufen. Hirnforscher vermuten inzwischen, dass derwiederholte Konsum vieler Drogen auf einen zentralenBewertungsmechanismus des Gehirns einwirkt. DieserMechanismus unterstützt uns dabei, die für uns ent-scheidenden Informationen aus der Flut von Wahrneh-mungen und Eindrücken herauszufiltern. Die Forscherglauben, dass die Drogen zu chemischen Veränderun-gen in der dafür zuständigen Hirnregion führen: Dro-gen klinken sich in diesen Filtermechanismus ein undsorgen dafür, dass im Extremfall alles an Bedeutungverliert, was nicht mit der Droge im Zusammenhangsteht.

Apropos: Nicht nur die klassischen Rauschmittelmachen abhängig. Ebenso können Schokolade, dasLesen von Büchern oder das Chatten im Internet zurSucht führen, auch wenn dies in der Regel mit wenigergravierenden Folgen für den Körper verbunden ist.

Fors

chun

g «Niemand nimmt Drogen, um davonsüchtig zu werden», ist Wolfram Schultzüberzeugt. Der Hirnforscher von der UniFreiburg untersucht, warum es trotzdemzu Sucht kommt. «Es sieht ganz so aus,als ob Drogen wie Kokain und Heroinunser Belohnungssystem missbrau-chen», vermutet er. Mit seiner Forschungkonnte Schultz nachweisen, dass durcheine Belohnung im Gehirn Zellen ange-regt werden, die den Botenstoff Dopaminfreisetzen. Diese Substanz aktiviertbesondere Zentren im Hirn, die unteranderem das Verhalten steuern. Schultzvermutet daher, dass Dopamin, welchesauf Grund einer Belohnung ausgeschüt-tet wird, auch das Verhalten beeinflusst.In der Folge entwickelt der Mensch Stra-tegien, um diese Belohnung wieder errei-chen zu können. Da Heroin, Kokain undauch Nikotin im Hirn ebenfalls Dopaminfreisetzen, könnten diese Rauschmitteldemnach das Belohnungssystem desMenschen dazu anregen, dass er sich dieDroge erneut beschaffen muss. Deshalbist die Sucht nicht nur eine körperlicheAngelegenheit. Hinzu kommt das Ent-werfen von Verhaltensstrategien, um andie Droge heranzukommen – und dasdürfte es den Betroffenen schliesslich soschwer machen, von der Sucht loszu-kommen.

Stim

mung

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Das Nationale Forschungsprogramm 38: «Krankheiten des Nervensystems»

In der Diagnostik der Krankheiten des Nervensystemssind grosse Fortschritte erzielt worden. Damit sindauch die Erwartungen an Therapiemöglichkeiten gestie-gen. Oft ist eine Behandlung der Krankheitsursachennoch nicht möglich. Umso wichtiger ist es, die Erkennt-nisse zur Behandlung von Krankheitssymptomenmöglichst schnell von der Grundlagenforschung in diePraxis umzusetzen und den Patientinnen und Patientenzugute kommen zu lassen.

Grundlagenforschung und Klinik

Die Grundlagenforschung im Bereich der Neurowis-senschaften hat in der Schweiz eine lange Tradition. Anden meisten Universitäten, der ETH und in der pharma-zeutischen Industrie widmen sich heute viele interna-tional herausragende Arbeitsgruppen diesem Gebiet.Diese Grundlagenforschung hat wichtige neue Einsich-ten in die Mechanismen neurologischer Erkrankungengebracht.

An den Universitätsspitälern wird vor allem klinischeForschung betrieben, die sich mit klar definierten Pro-blemen der Diagnostik und der Therapie von Krankhei-ten befasst. Doch der Austausch zwischen klinischerund Grundlagenforschung gestaltet sich oft alsschwierig. Diese Zusammenarbeit zu verbessern, wardas Hauptziel des Nationalen Forschungsprogramms«Krankheiten des Nervensystems» (NFP 38) Es wurde1995 gestartet, hatte ein Budget von 16 Mio Frankenund dauerte 5 Jahre.

Zwanzig Forschungsprojekte

Die Forschungsprojekte des NFP 38 haben ein mehr-stufiges Verfahren durchlaufen. In einer ersten Rundemussten die Forschenden eine Projektskizze einrei-chen. Diese wurden von einer Expertengruppe begut-achtet, die der Nationalfonds eingesetzt hatte. Aus 79Projektideen hat die Expertengruppe 20 ausgewähltund deren Autorinnen und Autoren eingeladen, eindetailliert ausgearbeitetes Forschungsprojekt einzurei-chen. Die Selektionskriterien waren streng: Die Projek-te mussten eine hohe wissenschaftliche Qualität auf-weisen, verschiedene Disziplinen einbeziehen und eineBrücke zwischen Grundlagenforschung und klinischerAnwendung schlagen. Jedes Projekt wurde von zweiinternationalen Fachleuten und zwei Mitgliedern derExpertengruppe geprüft. Aufgrund dieses Verfahrenswurden 15 Projekte und knapp drei Jahre später 5 wei-tere Projekte bewilligt. Insgesamt sind also durch dasNationale Forschungsprogramm 20 Projekte finanziertworden.

Die Projekte haben sich vor allem mit der Frage befas-st, wie Krankheiten des Nervensystems entstehen, wiesich einzelne Hirnleistungen nach einer Verletzungerholen, und wie diese Störungen mit neuen Therapie-ansätzen beeinflusst werden könnten. Dabei wurdenKrankheiten wie der Schlaganfall, Alzheimer, Parkin-son, die Demenz, Depression, Epilepsie oder Hirnhaut-entzündung untersucht.

Das NFP 38 veranstaltete regelmässig Symposien undgab den Forschergruppen die Gelegenheit, ihre For-schungsergebnisse fächerübergreifend zu diskutieren.Die geförderten Projekte führten zu einer grossenAnzahl von vielbeachteten wissenschaftlichen Publika-tionen.

Zum Abschluss des Forschungsprogramms hat eindreitägiges wissenschaftliches Symposium stattgefun-den, an dem die Forschenden aus dem NFP 38 ihreSchlussergebnisse präsentiert und führende Neuro-wissenschafter aus aller Welt ergänzende Arbeiten vor-gestellt haben. Die Ergebnisse des Symposiums wer-den in der renommierten Zeitschrift «Brain ResearchReviews» publiziert.

Projektleiter und Titel der NFP 38-Projekte

Aguzzi Adriano Piero

Institut für Neuropathologie, Universität ZürichMechanismen der Prionen-Replikation und ihrer Aus-breitung im infizierten Organismus

Albanese Alberto

Istituto Nazionale Neurologica «C. Besta», Milano, ItalyMolekulare Untersuchung von Bewegungsstörungenin der Schweiz

Antonarakis Stylianos

Division de Génétique médicale, Centre MédicalUniversitaire, GenèveGen-Expression im foetalen Gehirn bei Down-Syndrom im Vergleich mit Gesunden zur Bestimmungvon Entwicklungs-Unterschieden

Bertrand Daniel

Département de Physiologie, Centre MédicalUniversitaire, GenèveRolle des neuronalen nikotinischen Acetylcholin-Rezeptors (nAChR) bei idiopathischen Epilepsien

Dubois-Dauphin Michel

Division de Neuropsychiatrie, HUG «Belle-Idée»,Chêne-BourgDie molekularen Grundlagen des neuronalen Zelltodesnach Schlaganfall

Frei Karl

Neurochirurgische Klinik, Universitätsspital ZürichMolekulare und zelluläre Aspekte der Blut-Hirn-schranke bei bakterieller Meningitis

Hubbell Jeffrey Alan

Institut für Biomedizinische Technik und MedizinischeInformatik, ETH ZürichFörderung der Regeneration peripherer Nerven mit biofunktionalen Gels

Innocenti Giorgio

Department of Neuroscience, Neuroanatomy andBrain Development, Karolinska Institute, Stockholm,SwedenVeränderungen der kortikalen Organisation nachfrühen Läsionen

Kiss Jozsef

Département de Morphologie, Centre MédicalUniversitaire, GenèveUmbau von cerebralen Netzwerken und die Funktions-erholung nach Hirnläsionen

Kollias Spyridon

Institut für Neuroradiologie, Universitätsspital ZürichFunktionelle Organisation der motorischen undprämotorischen Hirnrinde und ihre Re-Organisationbei Patienten mit Hirnläsionen

Leppert David

Neurologische Klinik, Kantonsspital BaselRegulation von Metalloproteinasen bei Multipler Sklerose und bakterieller Meningitis: Suche nach neuen Therapiezielen

Magistretti Pierre

Institut de physiologie, Faculté de médecine,Université de LausanneDie pathophysiologischen Mechanismen der Demenzanhand des Energie-Stoffwechsels im Gehirn inBeziehung zur funktionellen Bildgebung und neuro-psychologischen Untersuchung

Michel Christophe

Clinique de Neurologie, Hôpital Cantonal Universitaire,GenèveDas funktionell-anatomische Substrat der visuellenWahrnehmung bei Gesunden und bei Patienten mitkortikalen Visusstörungen

Schläpfer Thomas

Psychiatrische Universitäts-Poliklinik, BernWirkung rascher repetitiver kortikalerMagnetstimulation auf therapieresistente Depression

Schnider Armin

Clinique de Rééducation, Hôpital cantonaluniversitaire, GenèveLokalisation kognitiver Funktionen im Hinblick auf die Funktionserholung nach Läsionen und diepräoperative Evaluation der Hemisphären-Dominanz

Schultz Wolfram

Institut de Physiologie, Université de FribourgDas «Belohnungssystem» im Gehirn

Schwab Martin

Abteilung Neuromorphologie, Institut fürHirnforschung, Universität und ETH ZürichRegeneration und Plastizität nach Rückenmarks-läsionen

Suter Ulrich

Institut für Zellbiologie, ETH ZürichMechanismen und Behandlungsstrategien beiHereditären Motorischen und Sensorischen Neuro-pathien (HMSN)

Wiesendanger Mario

Neurologische Klinik, Inselspital BernPathophysiologische Mechanismen der gestörtenHandfunktion

Zurn Anne

Division de Recherche Chirurgicale et Centre deThérapie Génique, Centre Hospitalier UniversitaireVaudois, LausanneEvaluation der Zelltherapie beim Parkinsonsyndrom

Die Expertengruppe des NFP 38

Prof. Jürg Kesselring, Präsident, Rehabilitationsklinik Valens

Prof. Patrick Aebischer, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne

Prof. Susanna Cotecchia, Université de Lausanne

Prof. Jean-Jacques Dreifuss, Université de Genève

Prof. Adriano Fontana, Universitätsspital Zürich

Prof. Marie-Claude Hepp-Reymond, Universität Zürich

Prof. Christian W. Hess, Inselspital Bern

Prof. Theodor Landis, Hôpital cantonal de l’Université de Genève

Prof. Denis Monard, Friedrich Miescher Institut, Basel

Prof. Peter Sonderegger, Universität Zürich

Impressum

Herausgeber, Kontaktadresse

Schweiz. Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen ForschungAbt. IV, NFP 38, Wildhainweg 20, 3001 BernTelefon 031 308 22 22, Fax 031 305 29 [email protected] www.snf.ch (Forschungsprogramme)

Konzept, Text

Mark Livingston, Muri (AG)

Grafische Gestaltung, Layout

Beat Schenk, Bern

Fotos Broschüre

Blue Planet ausser S. 4/5: Getty-Images, München

Poster

Jonas Spengler, Berne (Fotografie)Andréas Vetterli, Villars-sur-Glâne (Objekte)

Bildbearbeitung

Prolith AG, Köniz

Druckerei

Stämpfli AG, Bern

© 2001, Schweiz. Nationalfonds

Diese Broschüre ist auch in einer französischen Fassung erhältlich.

Schweizerischer Nationalfonds

Fonds national suisse

Swiss National Science Foundation

Fondo nazionale svizzero

Wildhainweg 20 Postfach CH-3001 Bern Schweiz

«Alles oder nichts» – das ist die Sprache, welche die Nervenzellespricht. Wie ein Kippschalter lässt sich eine Nervenzelle aktivie-ren oder eben nicht. Den Auslöser für einen Nervenimpuls bilden

in der Regel chemische Signale. Schüttenandere, über so genannte Synapsen verbunde-ne Nervenzellen genügend solche Botenstoffeaus, verändert dies in den empfangenden Aus-läufern (Dendriten) der Nervenzelle die elektri-sche Spannung. Das dadurch entstehende sogenannte Aktionspotenzial wird am Zellkörpervorbei ins wegführende Axon geleitet. DasAxon ist von einer Hülle aus Myelin umgeben.Die Funktion dieser Hülle ist vergleichbar mitder Isolation eines elektrischen Kabels: Siehilft, die elektrischen Impulse möglichst unge-stört und schnell vorwärts zu treiben. ImGehirn und im Rückenmark kann sich so dieErregung mit bis zu 100 Metern pro Sekundefortpflanzen. Axone können eine Länge von biszu einem Meter erreichen. An ihrem Ende ver-ästeln sie sich und geben über Synapsen dieNervenimpulse an die nächste Nervenzelleoder an Muskel-, Drüsen- oder Sinneszellenweiter. Eine einzelne Nervenzelle geht über dasAxon im Durchschnitt etwa 1000 Synapsen-verbindungen mit anderen Nervenzellen einund ist über die weit verästelten Dendriten mitungefähr 10 000 Synapsen anderer Nervenzel-len verbunden.

Das Bewusstsein ist das wohl am schwierigsten zu erklärendeund am wenigsten erforschte Phänomen des menschlichenGehirns. Viele Wissenschaftler vertreten gegenwärtig die Mei-nung, dass das menschliche Bewusstsein auf die Aktivität derNervenzellen im Gehirn zurückzuführen ist – ohne jedoch zu wis-sen, wie oder weshalb Bewusstsein entsteht. Das Geheimniskönnte, so glauben Forscher, in der Art undWeise liegen, wie die Nervenzellen miteinanderin Verbindung treten und wie sie daraus diebenötigten Informationen zusammensetzen.Sicher ist inzwischen, dass das Bewusstseinnicht an einer bestimmten Stelle im Gehirnlokalisiert ist, sondern auf einer Reihe vonunterschiedlichen Prozessen beruht. EineGrundlage für unser Bewusstsein dürfte unteranderem die Fähigkeit bilden, dass wir unsereAufmerksamkeit nicht nur auf bestimmteObjekte unserer Umgebung richten können,sondern auch Vorstellungen, Gedanken undWünsche unseres «Geistes» ins Zentrum zurücken verstehen. Dieses komplizierte Ineinan-dergreifen innerer und äusserer Eindrückedürfte letztlich das Ich ausmachen, das injedem steckt. Nicht wenige Philosophenbezweifeln jedoch, dass sich das menschlicheBewusstsein durch wissenschaftliche Metho-den je wird erforschen oder erklären lassen.

Die Nervenzelle Der Erreger vom Dienst Das Bewusstsein

Wo das Ich steckt

Das menschliche Gehirn, diese von unzähli-gen Falten und Furchen durchzogene graue Masse unter der Schädeldecke, ist die wohlkomplexeste je von der Natur geschaffeneStruktur. Das beim Erwachsenen rund 1,5 Kilo-gramm schwere Organ steht permanent unterSchwachstrom und ist mit seinen rund 100 Mil-liarden Nervenzellen weit leistungsfähiger alsder modernste Computer: Während sich derComputer lediglich mit einem Verarbeitungs-schritt nach dem anderen beschäftigen kann,vermag das menschliche Gehirn mehr als eineMilliarde Informationen gleichzeitig zu ver-arbeiten. Das Gehirn kann anhand von Einzel-teilen ein zusammenhängendes Ganzes erken-nen, besitzt eine fast unbegrenzte Speicher-

Das Gehirn Die Kommandozentrale des Menschenkapazität und ist in der Lage, selbst komplizier-teste Bewegungsabläufe präzise zu steuern.Diese Leistungen benötigen viel Energie: ProTag verbrennt das Gehirn etwa 80 GrammTraubenzucker und beansprucht zudem einenFünftel des gesamten Sauerstoffs, der vomKörper verbraucht wird. Was unser Gehirn zumBeispiel von jenem der Menschenaffen unter-scheidet, ist die Oberfläche des Grosshirns; der Grosshirnrinde werden höhere Funktionenwie die Wahrnehmung, die Sprache oder dasGedächtnis zugesprochen. Beim Menschen istdie Grosshirnrinde äusserst stark gefaltet undweist eine im Vergleich zum Affen viel grössereOberfläche auf: In ungefalteter Form würde sichdie menschliche Grosshirnrinde über etwa2,5 Quadratmeter erstrecken.