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1 Georg Kolbe in der NS-Zeit Tatsachen und Interpretationen von Ursel Berger In der Plastikgalerie der Schlosskirche Neustrelitz war im Sommer 2009 eine Ausstellung mit Werken von Georg Kolbe zu sehen, die sich auf die 1910er und 1920er Jahre konzen- trierte. Kolbe hat aber natürlich auch in den 1930er und 1940er Jahren – bis zu seinem Tod 1947 – weitergearbeitet. Dass sein Spätwerk nach unserer heutigen Einschätzung nicht mehr ganz die Innovationskraft der früheren Schaffensphasen aufweist, ist eine weit verbreitete Ansicht – auch meine – nebenbei bemerkt allerdings nicht die der meisten Zeitgenossen von Kolbe. Um die Stellung dieses Bildhauers insgesamt und auch sein Nachleben zu begreifen, ist eine Betrachtung seines Wirkens in der NS-Zeit wichtig, wenn nicht sogar ausschlagge- bend. Deshalb hatte ich angeboten, über dieses Thema in der Ausstellung in Neustrelitz zu sprechen. Ich bin überzeugt, dass damit ein weit über das individuelle Künstlerdasein hin- ausgehendes Beispiel für die Möglichkeiten des Wirkens in einer Diktatur vorgestellt wird. Bei dem Vortrag hatte ich Ergebnisse meiner früheren Recherchen und Publikationen ein- bezogen. 1 Der Vortragstext ist auf dieser Grundlage nach erneuten Forschungen überar- beitet worden. Lebenszeit Georg Kolbes Georg Kolbe wurde 1877 geboren und starb 1947. Er durchlebte 70 Jahre deutscher Ge- schichte und zwar den Zeitraum mit den gravierendsten politischen Entwicklungen, Kata- strophen und Einschnitten. Er wuchs im Kaiserreich auf. Um 1910 hatte er als Künstler erste Erfolge. Als noch recht junger Mann war er im Ersten Weltkrieg (in künstlerischer Aufgabe) tätig. Die größten Erfolge erzielte er in der Weimarer Republik, speziell in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise. Er war 56 Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, und bei Kriegsende war er 68. Zwei Jahre hat er danach noch gelebt. Zwei Weltkriege, die schlimmsten Krisen und meh- rere politische Systeme, darunter die NS-Diktatur, hat er also durchlebt. Forschung – Rezeption Von den 50 Jahren, in denen Kolbe künstlerisch tätig war, waren die zwölf Jahre der Nazi- herrschaft die kompliziertesten. Mit ihnen habe ich mich deshalb bisher überproportional beschäftigt. Viele Zeitzeugen wurden befragt – zu einer Zeit, als es diese noch gab. Hun- derte, bzw. eher Tausende von Dokumenten habe ich gelesen und in den letzten Jahren systematisch wiedergelesen. Methodisch ist eine solche Forschungstätigkeit nicht einfach; denn die Quellenlage ist nicht besonders gut, obwohl viel Papier hinterlassen wurde. Man muss nämlich davon ausgehen, dass in einer Diktatur das, was nicht systemkonform ist, oft nicht angemessen dokumentiert wird. Zu anderen Zeiten kann man z. B. unbedenklich seine Kritik in Briefen äußern; in der NS-Zeit war es ratsam, sich hier zurückzuhalten. Eine sonst ganz wichtige Quelle für Kolbes Denken fällt für die Zeit von 1933–45 somit spärlicher aus. Erschwerend ist, dass sich in der NS-Zeit die verschiedenen Quellen – z. B. öffentliche Aussagen und private Kommentare – widersprechen können. Um sich ein Urteil zu bilden, was wohl der Wahrheit näher ist, muss man sehr viel gelesen haben.

Georg Kolbe in der NS-Zeit · Verhältnis zu Kaiser Wilhelm II. – oder danach – im Verhältnis zu Adolf Hitler – zutraf. Kolbe war in jener Zeit politisch ein Linker10 oder

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Georg Kolbe in der NS-Zeit Tatsachen und Interpretationen

von Ursel Berger In der Plastikgalerie der Schlosskirche Neustrelitz war im Sommer 2009 eine Ausstellung mit Werken von Georg Kolbe zu sehen, die sich auf die 1910er und 1920er Jahre konzen-trierte. Kolbe hat aber natürlich auch in den 1930er und 1940er Jahren – bis zu seinem Tod 1947 – weitergearbeitet. Dass sein Spätwerk nach unserer heutigen Einschätzung nicht mehr ganz die Innovationskraft der früheren Schaffensphasen aufweist, ist eine weit verbreitete Ansicht – auch meine – nebenbei bemerkt allerdings nicht die der meisten Zeitgenossen von Kolbe. Um die Stellung dieses Bildhauers insgesamt und auch sein Nachleben zu begreifen, ist eine Betrachtung seines Wirkens in der NS-Zeit wichtig, wenn nicht sogar ausschlagge-bend. Deshalb hatte ich angeboten, über dieses Thema in der Ausstellung in Neustrelitz zu sprechen. Ich bin überzeugt, dass damit ein weit über das individuelle Künstlerdasein hin-ausgehendes Beispiel für die Möglichkeiten des Wirkens in einer Diktatur vorgestellt wird. Bei dem Vortrag hatte ich Ergebnisse meiner früheren Recherchen und Publikationen ein-bezogen.1 Der Vortragstext ist auf dieser Grundlage nach erneuten Forschungen überar-beitet worden. Lebenszeit Georg Kolbes

Georg Kolbe wurde 1877 geboren und starb 1947. Er durchlebte 70 Jahre deutscher Ge-schichte und zwar den Zeitraum mit den gravierendsten politischen Entwicklungen, Kata-strophen und Einschnitten. Er wuchs im Kaiserreich auf. Um 1910 hatte er als Künstler erste Erfolge. Als noch recht junger Mann war er im Ersten Weltkrieg (in künstlerischer Aufgabe) tätig. Die größten Erfolge erzielte er in der Weimarer Republik, speziell in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise. Er war 56 Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, und bei Kriegsende war er 68. Zwei Jahre hat er danach noch gelebt. Zwei Weltkriege, die schlimmsten Krisen und meh-rere politische Systeme, darunter die NS-Diktatur, hat er also durchlebt. Forschung – Rezeption

Von den 50 Jahren, in denen Kolbe künstlerisch tätig war, waren die zwölf Jahre der Nazi-herrschaft die kompliziertesten. Mit ihnen habe ich mich deshalb bisher überproportional beschäftigt. Viele Zeitzeugen wurden befragt – zu einer Zeit, als es diese noch gab. Hun-derte, bzw. eher Tausende von Dokumenten habe ich gelesen und in den letzten Jahren systematisch wiedergelesen.

Methodisch ist eine solche Forschungstätigkeit nicht einfach; denn die Quellenlage ist nicht besonders gut, obwohl viel Papier hinterlassen wurde. Man muss nämlich davon ausgehen, dass in einer Diktatur das, was nicht systemkonform ist, oft nicht angemessen dokumentiert wird. Zu anderen Zeiten kann man z. B. unbedenklich seine Kritik in Briefen äußern; in der NS-Zeit war es ratsam, sich hier zurückzuhalten. Eine sonst ganz wichtige Quelle für Kolbes Denken fällt für die Zeit von 1933–45 somit spärlicher aus. Erschwerend ist, dass sich in der NS-Zeit die verschiedenen Quellen – z. B. öffentliche Aussagen und private Kommentare – widersprechen können. Um sich ein Urteil zu bilden, was wohl der Wahrheit näher ist, muss man sehr viel gelesen haben.

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Andererseits erlebte ich, wie in den zurückliegenden Jahrzehnten die Kunst der NS-Zeit ein stets aktuelles bzw. ein immer mehr diskutiertes Thema wurde und blieb, über das fast jeder eine dezidierte Meinung hat. Oft habe ich den Eindruck, diese ist umso entschiede-ner, je geringer die Kenntnisse sind. Doch das Verhalten eines Künstlers in der NS-Zeit lässt sich in de Regel nicht mit ein paar Schlagworten charakterisieren. Es gab nicht nur schwarz und weiß, sondern sehr viele Graustufen. Im Laufe des Textes werde ich nicht nur die Fakten auf Dokumentengrundlage vorstellen, sondern auch auf einige der häufig wie-derkehrenden Argumentationsmuster von Kritikern Bezug nehmen.

Das Georg-Kolbe-Museum besitzt nicht nur den künstlerischen, sondern auch den schriftli-chen Nachlass des Bildhauers. Dokumentiert ist somit nicht nur das Werk und das Leben und z. T. auch das Denken des Künstlers, sondern gleichzeitig auch, wie man damit um-gegangen ist, sowohl extern als auch intern – also durch den Künstler selbst und später durch die Nachlassverwaltung. Seit den 1920er Jahren hatte Kolbe einen Zeitungsaus-schnittdienst beauftragt und dies wird bis heute fortgeführt. Die Presse-Resonanz zu Leb-zeiten wie auch in den sechs Jahrzehnten danach ist also ebenfalls gesammelt und für Forscher einsehbar.

Besonders interessant ist auch die interne Aufarbeitung. Kolbe selbst gab nach Kriegsende noch auf einzelne Fragen über seine Haltung in der NS-Zeit Antwort. Die erste Leiterin des Museums, Margrit Schwartzkopff, die seit 1929 Mitarbeiterin des Künstlers gewesen war (zuerst Fotografin, dann auch Sekretärin), wandte sich mit flammenden Thesen gegen Vorwürfe, Kolbe hätte sich in der NS-Zeit diskreditiert.

Die zweite Museumsleiterin, Kolbes Enkelin Maria Frfr. von Tiesenhausen, gab eine Brief-edition heraus, in der der Problematik der NS-Zeit relativ wenig Rechnung getragen wur-de. Etliche besonders interessante und aufschlussreiche Schriftstücke wurden nicht in die Auswahl aufgenommen.2 Der schriftliche Nachlass ist neuerdings, soweit er im Georg-Kolbe-Museum derzeit erhalten ist, über das Internet-Portal Kalliope zu erschließen. Etliche Schriftstücke, die im Folgenden eine Rolle spielen, sind auf der Website des Museums digi-tal wiedergegeben.

In den 1970er Jahren war eine Kunsthistorikerin, Hella Reelfs, mit Vorarbeiten für ein Werkverzeichnis befasst. Sie hinterfragte die gängige positive Einschätzung von Kolbes Wirken in der NS-Zeit; Erzählungen von Zeitzeugen standen meist unter einem „Persil-schein-Verdacht“ und wurden deshalb oft als nicht glaubhaft eingeschätzt. Auch die Hin-terlassenschaft dieser Kunsthistorikerin ist in das Archiv des Museums eingegangen.

Kolbe und die Politik

Georg Kolbe schrieb 1933: „Ich habe mich niemals politisch betätigt; mein ganzes Trach-ten galt dem Dienst der Kunst.“3 Da würde ich Einspruch einlegen! Natürlich war Kolbe kein Politiker und auch kein politischer Künstler. Aber er war persönlich immer wieder mit Politik konfrontiert und er setzte sich mit ihr auseinander. Das Klischee vom unpolitischen Künstler trifft auf ihn eigentlich gerade nicht zu. Er war ein Künstler, der sich an seiner Zeit rieb und auf sie reagierte. Er zog sich nicht nach Worpswede oder Güstrow zurück, son-dern lebte in der Metropole Berlin, durchaus in Kontakt mit wichtigen Persönlichkeiten aus Kultur und Politik.

Berührungen mit der Politik hatte er lange vor der NS-Zeit. Zum Beispiel gab es eine Kont-roverse mit Kaiser Wilhelm II., der sich im Ersten Weltkrieg gegen einen Entwurf Kolbes für ein Gefallenen-Denkmal aussprach.4 1915 hatte sich Kolbe genau gegen den vom Kaiser bevorzugten Renommierstil ausgesprochen: „Eins aber weiß ich: wie man die Denkmale nicht gestalten soll. Man unterdrücke das Schwülstige, Prahlerische, denn ein Völker-

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schlacht=Bismarckturm=Bombenstil wird anmaßend auftreten. Der wohlbekannte deut-sche Begriff ›kolossal‹ darf nicht zum Ausdruck kommen. Dann ist schon viel gerettet.“5

Als begehrter Porträtist kam Kolbe auch in Kontakt mit Politikern. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges stellte er den Reichskanzler Bethmann Hollweg dar. Dass sich dieser dabei mit dem Künstler über die Kriegslage unterhielt, ist im Tagebuch von Gerhart Hauptmann do-kumentiert.6

Ein Jahrzehnt später schuf Kolbe eine Porträtbüste des Reichskanzlers Friedrich Ebert. Über das posthume Ebert-Bildnis von 1925 kam es zu heftigen Kontroversen, bei denen es vor-dergründig um künstlerische Qualität zu gehen schien, doch spielten mit Sicherheit auch politische Gründe eine Rolle. Der Hauptkritiker, der Bildhauer Hugo Lederer, trat damals mehrfach mit rechtsradikalen Parolen hervor. Als Kolbe noch einen anderen sozialdemo-kratischen Politiker – den Innenminister Carl Severing – porträtierte, konnte man in der Presse lesen, dass die „sozialistische Fraktion des Landtages bei dem Ebert-Verewiger Kol-be eine Büste des Obergenossen bestellt“ habe. „Wie erklärt wird, soll sich Kolbe auch schon auf die Schaffung von Büsten anderer Genossen vorbereitet haben, damit er gege-benenfalls auf das schnellste zur Hand sein kann.“7

Auch durch andere Werke zog Kolbe die Kritik der Rechtsradikalen auf sich, zum Beispiel durch seinen Rathenau-Brunnen, ein Denkmal, das dem Industriellen Emil Rathenau und seinem Sohn, dem 1922 als deutscher Außenminister ermordeten Walther Rathenau, ge-widmet war. Schon kurz nach der Fertigstellung wurde das Denkmal mit großen Lettern beschmiert: „Der Judenrepublik gewidmet“.8 Darüber berichtete der sozialdemokratische ‚Vorwärts‘ am 20. November 1930: „In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag ist der Rathenau-Brunnen im Volkspark Rehberge in übelster Weise beschmutzt worden. Gemei-nes Gesindel hat das Denkmal beschmiert. Als Visitenkarte prangten Stahlhelm, Haken-kreuz und ,Front Heil‘. Auch die Reliefs von Emil und Walther Rathenau wurden besudelt. Das ist der Geist des dritten Reiches! Das deutsche Volk wird diesen Elenden einmal tüch-tig auf die schmierigen Finger klopfen müssen.“9

Georg Kolbe war in den 1920er Jahren zum erfolgreichsten deutschen Bildhauer gewor-den und nicht zu unrecht hielt man ihn für einen der Repräsentanten der Weimarer Re-publik. Seine damaligen Erfolge bedeuteten aber nicht, dass er in einem so engen Abhän-gigkeitsverhältnis zu Machthabern stand, wie das für manche andere Künstler zuvor – im Verhältnis zu Kaiser Wilhelm II. – oder danach – im Verhältnis zu Adolf Hitler – zutraf.

Kolbe war in jener Zeit politisch ein Linker10 oder vielleicht eher ein Linksliberaler. Mit ei-nem seiner damaligen Modelle, einer aktiven Kommunistin, Mitglied der Agitprop-Tanzgruppe ,Die roten Tänzer‘ (unter der Leitung von Jean Weidt), führte er regelmäßig politische Diskussionen; so erzählte es mir diese ehemalige Tänzerin. Sie ging 1933 nach Moskau und hat, nach eigener Aussage, von dort aus weiter mit Kolbe Kontakt gehalten.11

Zwar ließ sich Kolbe von ihr nicht für die KP anwerben, er hatte jedoch ein gewisses Faible für Russland. Im Sommer 1932 war er auf Einladung des deutschen Botschafters mehrere Wochen in Moskau. Er sei dorthin gereist, um sich darüber zu informieren, wie man im Kommunismus lebe, erklärte er seinem Bruder und kommentierte: „Die haben auch nichts zu lachen.“12

Nach seiner Rückkehr schrieb er am 12. Juli 1932 an eine Freundin in Stuttgart: „Russland hat mich intensiv beeindruckt – u. während ich dort den Aufbau einer neuen Gemein-schaft sehen durfte, hat man in Deutschland zum Kostüm zurückgefunden. Und wie leicht siegte dieser Zauber!!! Ich denke, dass man in Ihrem Landstrich jetzt sehr zufrieden ist, denn Sie erzählten mir früher von dem starken Echo, das Hitler dort fand. Ich kann eine grosse Scham nicht unterdrücken, dass ich auch dabei war, Hindenburg zur Wiederwahl zu verhelfen. Was ist doch ein Künstler für ein einfältiger Teufel!“13 Kolbe bezog sich in

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diesem Brief auf die Einsetzung des sogenannten Kabinetts der Barone am 1. Juni 1932 mit Franz von Papen an der Spitze. Dass dadurch die Tür für Hitler geöffnet würde, hat Kolbe offensichtlich deutlicher gesehen als viele andere (jene Barone eingeschlossen). So ein einfältiger Teufel, wie er vorgab, war er nämlich gerade nicht. Bei der vorangegange-nen Reichskanzlerwahl hatte er also Hindenburg gewählt. Die Alternativen waren damals lediglich Hitler und Thälmann; die SPD hatte beim zweiten Wahlgang ihre Anhänger auf-gerufen, Hindenburg zu wählen.

Über seine Russlandreise schrieb Kolbe einen Text, der am 21. Januar 1933 (also neun Tage vor der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten) in der Wochenzeit-schrift ,Tagebuch‘ veröffentlicht wurde. Dies war eine linksliberale, deutlich antinazistische Zeitschrift, die dann sehr bald verboten wurde. Dieser ambitionierte Text fehlt in den bei-den Quellenveröffentlichungen mit Kolbe-Schriften von 1949 und 1987.14 Offensichtlich wollte man nicht, dass man Kolbe als begeisterten Russlandreisenden zur Kenntnis nimmt. Ein paar Ausschnitte seien zitiert:

„In ganz Rußland gibt es keinen Zylinderhut! Das hat mir sehr gefallen. Es gibt überhaupt keinen einzigen Hutladen. Herrenfrühjahrsmode – was trägt man – schmalen Rand, breiten Rand? Nichts! Mützen tragen sie alle. Schützende De-ckel auf dem Kopf. Fertig! Salamanders, Leisers Prachtschaufenster fehlen. Keine Juwelier- und Silberwa-ren, keine Seidenroben führen in Versuchung. Verschwunden ist die Dame, verschwunden der Herr mit der modefarbenen Krawatte und dem steifen Kra-gen – monokelgeklemmt. Luxus ist glatt totgespuckt – wirklich ganz tot – nicht nur lächerlich gemacht. Ja es fehlt auch das allerletzte Glück der Spießer: Kuchen mit Schlagsahne – Dämmerschoppen. Aus ist das, [...] Wodka allein darf noch Vergessen bringen. Und die Stadt wimmelt von lebendigen Menschen. Liebe richtige Zeitgenossen – keine Schnauzers, keine Ekels, keine Laffen. In den älteren Generationen sichtbar hart angefaßte leidvolle Lebewesen. Die jungen aber und gar die Kin-derscharen bestens geleitet – voller Zukunft […] Die Kunst der Russen liegt nicht auf diesem Gebiet. Sentimentale historische Schinken. Viele pathetische Machwerke in Plastik und Malerei, alt, neu und allerneust – sehr westlicher Herkunft […] Nun ade liebes Moskau! Dicht hinter Leningrad liegt die finnische Grenze. Da ging es wieder hinaus. Oh Schreck! Direkt wie in den Sarottiladen – wie ins Schleckerparadies. Ade, liebe russische Menschen!“15

Es ist ein recht unpolitischer, geradezu romantisch verklärter Text, der mehr Aufschluss darüber gibt, was Kolbe in Deutschland nicht gefiel, als dass er eine Analyse der russischen Zustände geben würde. Aber angesichts der Zeitumstände hatte selbst ein solcher Text eine politische Wirkung; Kolbe soll zu Beginn der NS-Zeit deshalb Schwierigkeiten be-kommen haben.16

An die gleiche süddeutsche Freundin, an die Kolbe nach seiner Russlandreise geschrieben hatte, wandte er sich am 16. Februar 1933, also gut zwei Wochen nach Hitlers Regie-rungsantritt: „Wie glücklich bin ich, wenigstens kein Amt zu haben; Welch ekelerregenden Gesellen mag man da begegnen müssen.“ Man kann mit Sicherheit sagen, dass Georg Kolbe die sogenannte Machtergreifung der Nazis nicht begrüßte, dass er kein Sympathi-sant war.

Seiner eigentlichen politischen Ausrichtung konnte Kolbe nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das er als „Befreiung durch die Russen, als Auferstehung“ erlebte,17 wieder Ausdruck geben. So nahm er an den Anfängen des ‚Klubs der Kulturschaffenden‘ und des

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,Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands‘ teil.18 In der Presse lobte er zum ersten Jahrestag der Kapitulation die „wahrhafte Pflege der Kultur“ durch die sowjeti-sche Verwaltung – im Gegensatz zu den „Goebbelskreaturen“.19

Kolbe und die NS-Kulturpolitik

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war Georg Kolbe einer der bekanntesten deutschen Künstler und der erfolgreichste Bildhauer in Deutschland. 1927 hatte z. B. der Kunsthistoriker und Museumsleiter Carl Georg Heise in einer amerikanischen Zeitschrift geschrieben: „Who is the greatest German painter? One might give a hundred different answers. Who is the greatest German sculptor? This question can be answered in one way only. Georg Kolbe.“20 Diese etwas plakative Aussage entsprach der Resonanz, die Kolbes Werk beim Publikum fand. Dies lässt sich beispielsweise an der Besucherstatistik der Kestner-Gesellschaft in Hannover ablesen: Die Kolbe-Schau vom Beginn des Jahres 1933 zog 2.700 Besucher an, eine zuvor gezeigte Schlemmer-Picasso-Ausstellung nur 580.21 Kolbe war um 1930 prominent, stand im öffentlichen Leben, war in Kunstverbänden tätig und äußerte sich immer wieder zu kulturellen Fragen.

Als einer der bekanntesten Künstler wurde Kolbe gleich 1933 auf seine Abstammung un-tersucht.22 Politisch wurde er als links stehend verdächtigt: Im März 1933 wurde eine be-vorstehende Ausstellung von ihm in Chemnitz verboten, weil er als KPD-Sympathisant galt; das Verbot wurde dann aber bald aufgehoben. Als einer der Hauptexponenten der Wei-marer Republik galt er für manche der neuen Machthaber als „belastet“: z. B. durch sein Ebert-Porträt, zwei Heine-Denkmäler, den Rathenau-Brunnen, seine Mitgliedschaft in fort-schrittlichen Künstlerverbänden und nicht zuletzt durch seine Verbindungen zu jüdischen Kunsthändlern.

Alfred Flechtheim, Kolbes hauptsächlicher Kunsthändler um 1930, wurde später zu einem der Hauptangriffsziele der NS-Propaganda im Kampf gegen sogenannte „entartete Kunst“ und den angeblich jüdisch dominierten Kunstbetrieb der Zeit vor 1933.23 Als Flechtheim im Herbst 1933 ins Exil ging, war allerdings – nach eigenen Aussagen – nicht er persönlich angegriffen worden, sondern „seine“ Künstler. Am 1. Oktober 1933 schrieb er aus Paris an den Schweizer Sammler Oskar Reinhart: „Ich habe gestern Berlin u. zwar für immer verlas-sen. Meine Galerie da und in Düsseldorf werden geschlossen. Kein Platz mehr für mich. – Hofer, Kolbe und wahrscheinlich auch Renée [Sintenis] werden diffamiert! Was soll ich noch da tun? Ich bin ohne Geld nach hierher gefahren, um zu sehen, was ich tun kann. Hätte ich mich nicht mit Hofer, Kolbe, Renée, Klee und den Franzosen beschäftigt, küm-merte man sich nicht um mich! Ja, man hat angedeutet, daß, wenn ich auf diese Künstler verzichte, ich ruhig weiter Kunsthändler sein dürfte!!! Dann lieber richtig arm im Ausland als ein Verräter! Für diese meine Künstler ist im III. Reich kein Platz.“24

Dies ist ein groteskes Dokument, das gleichzeitig ein aufschlussreicher Beleg für den Zick-zackkurs der NS-Kulturpolitik ist: Die genannten Künstler kamen mit kleineren oder größe-ren Schwierigkeiten durch das Dritte Reich; Flechtheim, dem jüdischen Kunsthändler, wäre es, wenn er in Deutschland geblieben wäre, anders ergangen.

In Berührung mit der Kunstpolitik kam Kolbe vor allem durch den Kampf der Nationalsozi-alisten gegen die moderne Kunst. Ein Beispiel von mehreren sei herausgegriffen; es betrifft das Engagement des Bildhauers für den Deutschen Künstlerbund. Anfang 1935 hatte Kol-be sich bereit erklärt, den Vorsitz zu übernehmen, zog die Zusage jedoch gleich wieder zurück, als man in Magdeburg, wo die nächste Ausstellung stattfinden sollte, in die Auto-nomie des Künstlerbundes eingreifen wollte. Kolbe schrieb dazu, die „geäusserte Bitte, die bereits getroffene Wahl des Herrn Carl Hofer zum Juror Mitglied rückgängig zu machen, erleuchtet blitzschnell die Gefahr solch privater Einstellung, der ich nicht folgen kann, [...]

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es könnte passieren, daß in der nächsten Stadt eine andere Linie gehalten wird, die sich, sagen wir z. B. gegen Schmidt-Rottluffs Kunst wendet. Solchen Mächten zu dienen bin ich nicht in der Lage und nehme nach reiflicher Prüfung meine Zusage, den Vorsitz zu führen zurück.“25 Schließlich überredete man Kolbe doch dazu, die Leitung des Künstlerbundes auszuüben; auf die Magdeburger Ausstellung jedoch musste man, wie der Rundbrief an die Mitglieder des Künstlerbundes vom April 1935 ausführte „aus künstlerischen und ka-meradschaftlichen Gründen [...] verzichten“.26 Wegen der Ausstellung expressionistischer Kunstwerke wurde der Deutsche Künstlerbund (weiterhin unter Kolbes Vorsitz) 1936 ver-boten.

Von Kolbe gibt es aber auch einige öffentliche Signale der Anpassung. In meiner Mono-graphie über den Künstler, die 1990 erschien (2. Auflage 1994), habe ich all diese zu-sammengetragen und seitdem – in den folgenden zwei Jahrzehnten – nichts weiteres mehr gefunden. Folgender Fall sei herausgegriffen: Im August 1934 unterschrieb Kolbe den sogenannten „Aufruf der Kulturschaffenden“. Nach dem Tod Hindenburgs war dies ein Plädoyer für die Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers in der Person Adolf Hitlers. Dass Kolbes Meinung von Hitler sich nicht geändert hatte, be-teuerte ein Freund, der sich regelmäßig mit ihm unterhielt: „Hitler blieb ihm der verhasste Gewaltmensch.“27 Warum plädierte er nun für die Aufwertung Hitlers? Dazu gibt es keine Erklärung von Kolbe. Unter den Mitunterzeichnern war auch Ernst Barlach, der daraufhin in einem Brief an seinen Vetter Karl Barlach erklärte „Ich habe den Aufruf der ›Kulturschaf-fenden‹ mitunterschrieben, bin also den Vorwurf, Kulturbolschewismus zu treiben, los, bis man ihn wieder aus der Kiste holt.“28 Auffallend ist, dass man Barlach den „Aufruf der Kulturschaffenden“ in der Regel nicht ankreidet, Kolbe dagegen schon. Ob Barlach damals – also 1934 – mehr bedrängt war, ist durchaus fraglich. Zumindest wurden von beiden Künstlern in jener Zeit gleich viele Werke aus der Öffentlichkeit weggeräumt.

Die meisten Forscher, die sich von außen her mit Georg Kolbe beschäftigen, sehen zuerst einmal nur die öffentlich geäußerten Positionen wie jenen „Aufruf der Kulturschaffenden“. Was ist nun aber gewichtiger oder aussagekräftiger, die öffentliche Aussage pro Hitler, oder die private Ablehnung im Gespräch mit Freunden? Solch eine veröffentlichte Position soll nicht beschönigt werden, schon gar nicht wegen ihrer Außenwirkung. Ich bin mir aber sicher, dass sie nicht Kolbes tatsächliche Meinung wiedergibt.

Kolbes Stiländerung

Kolbe hat, das ist anfangs schon angesprochen worden, in den 1930er Jahren seinen Stil geändert. Weit verbreitet ist die Meinung, dass er dies in Anpassung an die NS-Ideologie tat. Trifft dies zu? Zuerst muss einmal dargelegt werden, dass Georg Kolbes Werk stets den Zeitgeist widerspiegelte. Wie der Zeitgeist änderte sich auch sein Stil: 1910 arbeitete er anders als 1915, wieder anders 1920, 1925, 1930 oder 1935. Mit der stilistischen Ent-wicklung änderten sich auch die Modelle. So waren vor dem Ersten Weltkrieg Tänzer der Ballets Russes seine Idealmodelle und in den 1920er Jahren bekannte Ausdruckstänzerin-nen. Um 1930 beeindruckten ihn ein groß gewachsener, muskulöser Tänzer aus den USA (Ted Shawn) und danach ein Zehnkämpfer, der gleichzeitig promovierter Kunsthistoriker war; somit verband er Sport, Geist und den Bezug zur Kunst in einer Person.

Die stilistischen Änderungen in Kolbes Werk waren nie durch äußere Vorgaben hervorge-rufen worden, sondern wohl ein instinktives Reagieren auf den Zeitgeist. Vielleicht war es aber auch umgekehrt, vielleicht hat ein Künstler wie Kolbe den Zeitgeist nicht nur rezipiert, sondern auch geprägt bzw. zumindest mitgeprägt. (Dass Kolbe bei allen Stiländerungen im Kern seiner idealistischen figürlichen Ausdrucksweise treu blieb, und diese jeweils nur variierte, ist ein anderes Thema.)

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Bei Kolbes stilistischen Änderungen um 1930 spielte nicht nur (wie zuvor) der Zeitgeist eine Rolle, sondern diesmal auch das persönliche Schicksal des Künstlers. Der größte Ein-schnitt in seinem Leben war der tragische Tod seiner Ehefrau im Jahr 1927; vermutlich war sie freiwillig aus dem Leben geschieden. Danach fand der Bildhauer nie wieder zu seinen heiteren, leicht bewegten Frauenfiguren zurück, die zuvor sein Werk geprägt hatten. Den Grundton seines vorangegangenen Werkes, eine durchaus auch erotisch motivierte Freude an schönen weiblichen Körpern, scheint er nun bewusst unterdrückt zu haben. Es sieht so aus, als ob damit die Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit seines künstlerischen Schaf-fens unterbrochen worden wäre. Statt aus dem Fühlen zu gestalten, wird der künstleri-schen Gestaltung nun ein Filter, ein Denkvorgang vorgeschaltet.

Kolbe wollte den Tod seiner Frau künstlerisch verarbeiten und zwar mit männlichen Gestal-ten, womit er sich zuvor nur ausnahmsweise beschäftigt hatte. Diese Statuen übernahmen eine bestimmte Rolle, denn der Künstler bemühte sich, mit Hilfe seiner Kunst seine Le-benskrise zu überwinden.

Die Statue des ‚Einsamen‘ steht für die unmittelbare Phase nach dem Tod seiner Frau – eine hagere Männergestalt scheint ganz ihrer Trauer hingegeben. Auf den gebeugten ‚Ein-samen‘ folgte 1927/28 die Statue eines ‚Junge Mannes‘, eine Bronze, die Kolbe in seinem Skulpturenhof aufstellte. Er nannte sie „Asketenjüngling“. Die Figur sollte nach Kolbes Worten die Aufgabe haben, über ihn zu wachen: „Mir soll er in schwachen Stunden bei-stehen.“29

Der zwar aufgerichtete, aber noch asketisch-schlanke ‚Junge Mann‘ war nur ein Zwischen-glied in Kolbes Trauerarbeit. In den folgenden Jahren, eigentlich bis zu seinem eigenen Tod, stand die Gestalt eines aufsteigenden Mannes im Mittelpunkt seines Schaffens. „Ich arbeite viel an einem sehr grossen aufsteigenden Mann, werde ihn aber kaum bewälti-gen“, schrieb er einmal.30 Wie eng auch diese Figur mit Kolbes Bemühen verbunden ist, aus seiner Lebenskrise herauszufinden, macht ein weiteres Briefzitat deutlich. Vom ‚Auf-steigenden Mann‘ schrieb er, dass Ludwig Justi, der damalige Direktor der Nationalgalerie, ihn keines Blickes gewürdigt habe: „Es mag mehr sein, ein Lehmbruck statt ein Kolbe zu sein – aber dann wäre ich auch nicht um den Gastod herumgekommen.“31 Damit sagte er auf drastische Weise, dass sich Lehmbruck in einer Krisensituation das Leben nahm, er selbst dagegen versuchte, die Krise durch seine Kunst zu bewältigen. 1932 war das Modell des „Großen Emporsteigenden“ offensichtlich weit gediehen; doch wurde es weder ge-gossen, noch ist der Gips erhalten.

1932/33 entstand dann eine zweite überlebensgroße Version des aufsteigenden Mannes, der die sanfte Gelassenheit der ersten Fassung hinter sich lässt. Die Männergestalt in ener-gischer Bewegung erhielt schließlich den Titel ‚Zarathustras Erhebung‘. Damit wurde die

Einsamer, 1927 Jüngling, 1927/28 Aufsteigender, 1930 Zarathustra, 1932/33

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Statue zur Symbolfigur für ein Nietzsche-Denkmal. Der Gedanke dazu war dem Bildhauer schon Jahre zuvor gekommen, unmittelbar nach dem Tod seiner Frau. Dies bezeugt ein Brief vom Mai 1927, in dem er erklärt, er sei „unfähig, von einer bildhauerischen Wid-mung […] für Nietzsche abzusehen“.32

Nietzsche wurde zum Bezugspunkt von Kolbes gesamtem späterem Schaffen. Die skizzier-te Vorgeschichte demonstriert deutlich, dass es Kolbe dabei nicht um eine Interpretation vom Werk des Philosophen ging, sondern, dass er seine eigene Krise – mit Unterstützung durch Nietzsches pathetische Schrift „Also sprach Zarathustra“ – zu überwinden versuchte. Dies wird aus seinen eigenen Worten deutlich: „Der große, kraftvolle Mann, der sich selbst befreite, das war die Aufgabe, das war auch der Weg zur eigenen Freiheit.“33 Auch die damals vollendete erste Fassung der Zarathustra-Figur von 1932/33 ist weder erhalten noch gegossen worden: Es folgten etliche weitere – auch wieder mehr zurückgenommene – Fassungen; und als Kolbe 1947 starb, war die letzte Version unfertig.34

Kolbes Entwicklung zu den kraftvollen Männerfiguren begann also vor der NS-Zeit und erklärt sich aus seinem eigenen Schicksal. Sie hat nichts mit dem Erstarken der NS-Bewegung zu tun, gegen die sich Kolbe gerade damals deutlich aussprach.

Wie sieht NS-Kunst aus?

Nicht nur von Kolbe aus gesehen ist der oft geäußerte Vorwurf der stilistischen Anpassung falsch, sondern auch aus der umgekehrten Richtung betrachtet. Es stellt sich nämlich die Frage: Woran hätte sich Kolbe denn anpassen sollen? Viel zu wenig wird bedacht, dass es 1933 keinen „NS-Stil“ gab. Die ersten Jahre der NS-Herrschaft waren von erheblichen Kontroversen im Kunstbereich geprägt.

Der Zeitzeuge Paul Ortwin Rave berichtete, dass „Hitler bei den Gebieten von Malerei und Bildhauerei immer von dem reden konnte, was abzulehnen und zu verfolgen sei, und nichts namhaft zu machen wusste, was an die Stelle des Auszumerzenden zu setzen wäre, vielmehr stets nur vage von Hoffnungen und Erwartungen in dieser Richtung sprach.“35 Ironisch kommentierte Paul Westheim 1933: „Daß die deutsche Kunst heroisch, heldisch, nordisch, germanisch, bluthaft, rauschhaft, urhaft, mythisch, beseelt, bodenständig... und gefällig zu sein habe, darüber herrscht Einmütigkeit. Fatal ist nur, daß man sich nicht eini-gen kann, wie so etwas in der Praxis aussieht.“36

Da es ganz unklar war, welche Stilrichtung genehm sein würde, verfielen viele Künstler, die sich dem neuen Regime andienen wollten, darauf, sich mit Porträts von Hitler oder ande-rer Nazi-Größen einzuschmeicheln. Die Existenz solcher Bildnisse ist der Gradmesser der Anpassungswilligkeit. Kolbe hat keinen der führenden NS-Politiker porträtiert;37 allerdings nahm er 1938 den Auftrag für ein Franco-Bildnis an.38

Zu Beginn der NS-Zeit gab es noch eine engagierte Kampfrichtung zu Gunsten des Expres-sionismus, die sogar in Parteikreisen verbreitet war. Dabei wurde argumentiert, dass diese urdeutsche Kunstrichtung der „Bewegung“ entspreche. Erst mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 und Hitlers Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst in München stand endgültig fest, dass der Versuch der Rehabilitierung des Expressionismus gescheitert war. Danach konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass große Bereiche der bedeu-tendsten Entwicklung der deutschen Kunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts geäch-tet wurden. Zeitschriften, die die Moderne propagiert hatten, wurden verboten, Muse-umsdirektoren entlassen, Galerien geschlossen.

Die Mehrzahl der Künstler, vor allem die Nicht-Avantgardisten und erst recht die rückstän-digen Maler und Bildhauer, arbeiteten jedoch einfach so weiter wie bisher. Schon aus den Katalogen der Ausstellungen im Haus der Deutschen Kunst in München wurde deutlich,

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dass nur recht wenige Werke ausgestellt waren, die nicht auch schon vor 1933 hätten entstanden sein und im Vorgängerbau – dem Münchner Glaspalast – hätten ausgestellt worden sein können.39 Dies bestätigt auch die Website mit den Abbildungen der ausge-stellten Werke.40 Insgesamt hat die intensive kritische Beschäftigung mit der NS-Zeit zu der irreführenden Vorstellung geführt, dass es eine breite NS-Kunstströmung gegeben hätte; vermutlich wird die Bedeutung der Kunst im politischen System des Nationalsozialismus insgesamt überschätzt.

Anders als bei den Malern, von denen die bekannteren sich aus dem Blickfeld mehr oder weniger zurückzogen, blieben die meisten Bildhauer weiterhin in der Öffentlichkeit prä-sent. Selbst Werke von Künstlern, von denen Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgestellt waren, wie Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach oder Gerhard Marcks, konnten später, zumindest auf Nebenschauplätzen, weiterhin gezeigt werden. Vereinzelt wurden sie weiterhin publiziert und öffentlich angekauft; in privaten Kunsthandlungen und Samm-lungen spielten sie weiterhin eine wichtige Rolle. Dabei mussten diese Künstler, bzw. ihre Erben, allerdings stets befürchten, dass vielleicht doch ein Ausstellungs- oder Arbeitsverbot erfolgen würde. So hatte zum Beispiel Gerhard Marcks nicht, wie häufig behauptet wird, ein Ausstellungsverbot; dies wurde ihm jedoch angedroht, und er durfte zumindest einige bestimmte frühe Arbeiten nicht mehr ausstellen. Auch die Beschlagnahmung von Werken „entarteter Kunst“ aus Museen führte in der Regel nicht zu einem Ausstellungsverbot. (Sie betraf marginal auch Kolbe.)

Der Kampf der Nationalsozialisten gegen die sogenannte „entartete Kunst“ richtete sich im Wesentlichen gegen Werke, die vor 1933 entstanden waren. Diese waren nicht als Protest gegen die NS-Ideologie geschaffen worden; andererseits waren auch Werke, die nicht bekämpft wurden, ebenfalls in der Regel unabhängig von dem konzipiert, was die NS-Partei goutierte (was immer das sein mochte). Georg Kolbes Plastiken wurden überwie-gend nicht als „entartet“ eingestuft; lediglich die Stilphase von 1919–23 bildete eine Aus-nahme.

Vergleiche mit geförderten Werken vom Beginn der NS-Zeit

Wenn aber Georg Kolbes Stilentwicklung in den 1930er Jahren nicht als positive Reaktion auf den Nationalsozialismus gewertet werden kann, und es andererseits anfangs auch überhaupt noch keinen kanonisierten NS-Stil gab, an den sich der Bildhauer hätte anpas-sen können, dann muss gefragt werden, wie Kolbes damals neueste Werke von den NS-Machthabern und der Parteipresse eingeschätzt wurden. Konnte Kolbe den Eindruck ha-ben, dass sein neuer Stil positiv aufgenommen wurde? Das würde bedeuten, dass er – wenn auch unbewusst – den erwünschten, zukünftigen NS-Stil vorausgeahnt hätte? Aus der Sicht von Kolbe muss man auch diese Frage verneinen.

Der Künstler musste erleben, dass etliche seiner in den Jahren zuvor öffentlich aufgestell-ten Werke „weggeräumt“ wurden, nicht nur Heine- und Rathenau-Denkmäler oder die Ebert-Büste, die aus politischen oder rassistischen Gründen beseitigt wurden, sondern auch Werke der Zeit um 1930, die weder inhaltlich noch stilistisch in die Angriffslinie der Nationalsozialisten passten. So sorgte Hermann Göring dafür, dass Kolbes marmorne Ge-nius-Figur aus dem Berliner Opernhaus verschwand und Joseph Goebbels vertrieb die gro-ße ,Nacht‘ aus dem Berliner Rundfunkhaus von Hans Poelzig. Sie wurde durch die Gruppe ‚Symbol der Rundfunkeinheit‘ ersetzt, die einen SA-Mann beim Hitlergruß zeigte, flankiert von einem „Arbeiter der Stirn“ und einem „Arbeiter der Hand“, ein Werk von Hans Schell-horn und Hermann Fuchs.

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Die in vergröbertem neusachlichem Stil ausgeführte Gruppe entspricht inhaltlich der NS-Propaganda wie kaum ein anderes Werk; diese programmatischste aller Plastiken der NS-Zeit sucht man allerdings in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen über NS-Kunst vergeblich.

Goebbels sorgte auch dafür, dass Kolbe nicht Leiter des Meisterateliers für Bildhauerei an der Akademie der Künste wurde. Der Bildhauer war von der Akademie gebeten worden, diese Stelle zu übernehmen und hatte seine Bereitschaft erklärt. Berufen wurde jedoch der Maler und Bildhauer Arnold Waldschmidt, im Vergleich mit Kolbe ein relativ unbekannter Künstler. Er besaß andere Qualitäten: „Prof. Waldschmidt ist Pg. 54 und in Berlin im Minis-terium wohlbekannt.“ Dies berichtete Oskar Schlemmer.41 Kolbe dagegen war kein Mit-glied der NS-Partei. Von Waldschmidt kennt man eine monumentale plastische Arbeit aus der NS-Zeit, den Relieffries am ehemaligen Reichsluftfahrtministerium, eine grobe Überset-zung expressionistischer Formen mit staccato-artigen Reihungen.42 Auch der skulpturale Stil dieses Künstlers, der sowohl bei Goebbels als bei Göring, dem Hausherrn des Luft-fahrtministeriums, gut angeschrieben war, ist weit von Kolbes Schaffen entfernt.

Natürlich hatte Kolbe auch vor 1933 nicht jeden Wettbewerb gewonnen, nicht alles er-reicht, was er sich wünschte, aber solche Zurücksetzungen wie in der NS-Zeit hatte er zu-vor nicht erleben müssen. Dazu passt ein anderes Beispiel: Als man in Weimar 1935 eine Nietzsche-Halle und deren plastische Ausstattung plante, fragte man nicht bei Kolbe we-gen einer großen Nietzsche-Plastik an (immerhin war 1933 in der Berliner Akademie der Künste die erste Gipsversion von ‚Zarathustras Erhebung‘ ausgestellt und in der Presse viel beachtet worden), sondern bei den Bildhauern Emil Hipp und Fritz Müller-Kamphausen; zwei Künstler, die heute kaum jemand mehr kennt.

Mit Hipp zumindest sollte man sich jedoch beschäftigen, denn er war der erste Lieblings-bildhauer Adolf Hitlers, bevor Josef Thorak und Arno Breker in dessen Blickfeld gerieten. Hitler lernte Hipps Formensprache durch das Projekt für ein Richard-Wagner-Denkmal für Leipzig kennen: er legte 1933 den Grundstein für das Denkmal. Hipp gestaltete am liebs-ten ätherisch schwebende Figuren. Solche hatte er für das Wagner-Denkmal vorgesehen und damit dekorierte er auch den Kamin in Hitlers Arbeitszimmer im ‚Führerbau‘ in Mün-chen. Paul Schultze-Naumburg, der Hipp begünstigte und dessen Berufung nach Weimar betrieben hatte, stellte ausgerechnet diese blutleeren Gestalten in seinem Buch über nordi-sche Schönheit als positive Beispiele vor.43 Von Kolbes Zarathustra-Stil sind auch die Werke dieses anfangs bevorzugten NS-Bildhauers weit entfernt.

Nachdem Hipp in Weimar gescheitert war, fragten die Vettern Nietzsches schließlich doch noch bei Kolbe wegen einer Nietzsche-Statue an; der Bildhauer glaubte sich am Ziel seiner Wünsche. Es musste jedoch noch die Genehmigung Hitlers eingeholt werden. Nach langer

Hans Schellhorn, Hermann Fuchs, Sinnbild der Rundfunkeinheit, 1933 Georg Kolbe, Nacht, 1926/29

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Wartezeit kam die Nachricht, dass Hitler Kolbes Zarathustra-Figur ablehne; Gründe wurden nicht genannt.44

Schon vorher hatte Kolbe die Erfahrung gemacht, dass Werke seines neuesten Stils – jene kraftvollen Männerfiguren – gerade nicht besonders goutiert wurden. So bekämpfte die Nazi-Partei sein Kriegerdenkmal für Stralsund.45 Seine Athletengestalten für das Berliner Olympiagelände waren umstritten.46 Gerade solche Werke, in denen nicht wenige Kunst-historiker heute eine Anpassung an NS-Kunst erkennen wollen, wurden damals von den an ihrer neuen Macht berauschten Parteigenossen abgelehnt.

Das heißt aber keineswegs, dass Kolbes Werke in Deutschland während der NS-Zeit keine Anerkennung fanden, ganz im Gegenteil. Kolbe konnte weiterhin von seiner großen Be-kanntheit und Beliebtheit zehren. Das zwar reduzierte, aber noch vorhandene bürgerliche Feuilleton begeisterte sich weiterhin für seine Werke. Seine Beiträge zu den Ausstellungen im Haus der Deutschen Kunst in München (1937: drei Statuen, sonst stets nur ein Werk unter jeweils weit mehr als 1.000 ausgestellten Objekten) wurden besprochen, im Katalog abgebildet und zweimal staatlicherseits angekauft.47 Kolbe konnte die fortgesetzte Aner-kennung seines Werkes aber nicht als besondere Auszeichnung im Rahmen des NS-Systems sehen; denn eine solche Zustimmung war er ja gewöhnt. Neu dagegen war, dass ihm – wie gezeigt – drittklassige Künstler durch die NS-Machthaber vorgezogen wurden.

Allerdings waren selbst unter den tonangebenden Politikern die Reaktionen auf Kolbes Werke unterschiedlich. So berichteten die Zeitungen, dass Hitler, der später die Zarathust-ra-Statue ablehnte, 1934 beim Besuch der Biennale in Venedig bewundernd vor Kolbes ‚Zehnkampfmann‘ stehen geblieben sei. Später kam die Statue nur durch eine private Spende aufs Olympiagelände, war aber weiterhin umstritten, denn zwischenzeitlich lud man sie einfach mal nachts vor Kolbes Haustür ab.48

Für die Einschätzung seiner eigenen Lage in jener Zeit ist ein Briefentwurf vom 1. Oktober 1935 an die Frau des deutschen Botschafters in Tokio aufschlussreich: „Es war für mich eine aufrichtige Freude, daß ihr Mann als Jubiläumsgabe ein Werk meiner Hand wählte. Ich kann Ihnen nicht mit Worten andeuten, was das in unseren Zeitläuften sagen will. Es sind die letzten, allerletzten Bindungen. Bindungen, die nunmehr nur noch dazu da sind, zerrissen zu werden. Merken Sie wohl, Sie sind draußen im Dienst der Nation, im Dienst der großen Werbung. Dort gelten die weiten Aspekte. Herrlich! Zuhause sind solche Dinge enger bemessen. Da kann es sich geben, daß man für die gleiche Mentalität, die nach außen erlaubt, vielleicht sogar erwünscht ist, ins Feuer geworfen wird. So will es offenbar aller Geist der Revolution. Und so habe ich von hier, von mir zu berichten, daß ich zu den großen Aufgaben durchaus nicht Verwendung finde.“49

Bauplastik auf dem Berliner Olympia-Gelände

In der plastischen Ausstattung des Berliner Olympiageländes sieht man heute meist ein Musterbeispiel für die Bildhauerei in der NS-Zeit, zu Unrecht, denn dieses Projekt war ge-rade kein typisches Nazi-Großunternehmen. Die Nationalsozialisten hatten ursprünglich die internationale Olympia-Bewegung abgelehnt, orientierten sich jedoch 1933 um und entschieden sich für einen Stadionneubau für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Eine bildhauerische Ausschmückung war anfangs nicht vorgesehen. Erst 1935 wurde dafür ein Kunstausschuss eingesetzt. Einen eigenen Etat gab es nicht; mit Mitteln von Sponsoren und Ministerien wurde dennoch ein ambitioniertes Skulpturenprogramm realisiert. Dabei gab der Architekt Werner March den Ton an: Er verlangte eine Einordnung unter die archi-tektonische Raumplanung sowohl im Format als auch in der Strenge des Stils. Dies geht aus den erhaltenen Akten des Kunstausschusses hervor. Salopp könnte man sagen, auch in diesem Gremium wusste man nicht genau, was NS-Bildhauerei sein sollte. In Unkennt-

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nis der sich gerade entwickelnden Vorliebe Hitlers für Josef Thorak lehnte der Kunstaus-schuss im Juli 1935 einen Beitrag von ihm ab. Erst kurz vor Beginn der Spiele, im März 1936, wurde bekannt, dass Hitler diesen österreichischen Bildhauer besonders schätzte. Kurzentschlossen stellte man daraufhin eine riesige Boxerfigur im abgelegenen „Anger“ auf.

Auch Arno Breker hatte sich am ersten Wettbewerb für Skulpturen auf dem Olympiage-lände beteiligt und war positiv aufgefallen: „Brecker, ein figürlicher Bildhauer mehr realisti-scher Art, soll [...] für die beiden großen Figuren am Haus des deutschen Sports in Aus-sicht genommen werden.“50 Der Künstler, von dem die Schreibweise seines Namens da-mals noch nicht geläufig war, wurde durch andauernde Kritik dazu gebracht, von seiner naturnahen Modellierung abzugehen. Erhalten ist die locker modellierte, bekleidete Mo-dellfigur seiner ‚Speerwerferin‘51, die in stilistischem Gegensatz zur ausgeführten, glatten Großbronze steht.

Georg Kolbe, Ruhender Athlet, Vorstudie, 1935 Georg Kolbe, Ruhender Athlet, 1935

Auch Kolbes Entwurf für einen ‚Ruhenden Athleten‘ wurde kritisiert: „Die Haltung des übergeschlagenen Beines soll weniger locker gefaßt werden.“52 Anders als Breker änderte Kolbe seinen Entwurf nicht, was der Vergleich vom kleinen Modell mit der Großbronze verdeutlicht.

Die Kontroversen zwischen den Künstlern und dem Kunstausschuss wurden in den Akten nur verkürzt wiedergegeben, dies macht ein Kommentar von Kolbe in jenem schon zitier-ten Entwurf eines Briefes an die Frau des deutschen Botschafters in Tokio deutlich: „Heute sende ich Ihnen ein Foto des großen liegenden Mannes, den ich im Auftrag des Preuß. Kultusministeriums für das hiesige Sportforum schuf. Doppelt lebensgroß ist die Figur. Sie ist gut gelungen, sie sieht nach etwas aus, sie ist gewiß kein Dreck. Aber: sie ist garnicht das, was man da draußen will. Gewiß sie ist als Placement auch abseits stehend – ganz und garnicht als Werbung für die große Stadionsache gedacht. – Aber selbst an der ihr zugemessenen Stelle am Schwimmschulbecken, also abseits aller Olympiasiegeseinstel-lung, wird sie als einseitig künstlerisch empfunden. Erwägen Sie selbst, ich möchte ja nur berichten!“53

C. G. Heise, der von den Nationalsozialisten entlassene Lübecker Museumsdirektor, beton-te in seiner Besprechung des Olympiageländes die stilistische Diskrepanz: „Unstreitig die rein plastisch bedeutendste Arbeit ist der ruhende Athleten-Jüngling von Georg Kolbe, zugleich aber auch – und das ist symptomatisch – diejenige, die sich am schwersten der Architektur einordnen läßt.“54

Das ,Reichssportfeld‘ war die erste große Anlage in der NS-Zeit, die Architektur und mo-numentale Plastik verband. Es war wegweisend für die späteren Großprojekte, allerdings mehr in dem Sinne, dass man dort anders vorging: Keine Wettbewerbe, kein debattieren-der Kunstausschuss, keine breite Beteiligung von Künstlern und nicht mehr der strenge archaistische Stil, der die meisten der Olympiafiguren prägt.

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NS-Klassizismus

Nach den ersten Jahren mit Kontroversen um das, was deutsche Kunst sei, und wie eine dem Nationalsozialismus entsprechende Kunst auszusehen habe, gab es zwar nie eine endgültige und allumfassende Klärung, allerdings wurde eine Art von Neoklassizismus mit dem Architekten Albert Speer und den Bildhauern Arno Breker und Josef Thorak an der Spitze zur exponiertesten Richtung während der NS-Zeit. Eigentlich ist das absurd; denn diese Stilform ist keineswegs deutsch und schon gar nicht völkisch; sie war kein eigener Beitrag, denn in den 1930er Jahren war solch ein Neoklassizismus in Europa und den USA weit verbreitet. Diese Richtung passte eigentlich gar nicht zur NS-Ideologie. Damit stand sie im Gegensatz zum ideologisch besser entsprechenden Heimatstil, der partiell ebenfalls weitergeführt wurde.

Arno Breker und Josef Thorak scheinen sich für ihre heroischen Bildwerke an Kolbes Nietz-sche-Figuren und seinem ‚Zehnkampfmann‘ orientiert zu haben. Immerhin brachte der Journalist G. H. Theunissen dies schon 1935 zur Sprache, als er anlässlich einer Thorak-Ausstellung anmerkte: „Thorak ist nicht ungeschickt in der Nachahmung der Kolbeschen Plastik [...] ob der „Zarathustra“-Weg Kolbes auch für Thorak bestreitbar ist, kann man, angesichts des „Boxer“-Aktes, kaum für möglich halten. Diese Pathetik endet in einem falschen Heroismus.“55 Angesprochen wurde dabei die schon genannte große Bronze, die später am Rande des Berliner Olympiageländes Aufstellung fand.

Die heroischen Einzelgestalten, aber auch Zweiergruppen, wie sie Breker und Thorak mehrfach für große Staatsaufträge ausführten, lassen sich nicht selten als vergröberte und monumentalisierte Bearbeitungen von Kompositionen Kolbes aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre erkennen. Kann man dies Kolbe vorwerfen? Ist ein Künstler dafür verant-wortlich, wie seine Werke kopiert oder weiterverarbeitet werden, zumal wenn sich dabei der Geist und die Qualität des Vorbildes verflüchtigen? An solchen Zusammenhängen liegt nun aber die recht verbreitete Vorstellung, dass sich Kolbe in der NS-Zeit angepasst habe. Doch nicht weil Kolbe sich anpasste, erinnern einige seiner Arbeiten irgendwie an Werke der NS-Starbildhauer, sondern weil Kolbes Statuen, die in einem anderen Zusammenhang entstanden waren, von den Staatsbildhauern rezipiert und dabei nazifiziert wurden.

Kolbe hätte die versuchte Gleichsetzung unter heutigen Kritikern sicherlich sehr verwun-dert. Nach seiner eigenen Einschätzung stand er weit entfernt: In seiner Stellungnahme zum Spruchkammerverfahren Arno Brekers, betonte er, dass nach dessen „Annäherung an Hitler […] eine Wandlung in seiner Kunstanschauung sichtbar [wurde], die früher der fran-zösischen Auffassung nahe stand und nun unter stärkstem Nazieinfluss absank.“56 Für sich selbst konnte er einen solchen Zusammenhang nicht sehen.

Bildhauerpraxis in der NS-Zeit

Mit Arno Breker und Joseph Thorak sind die beiden Bildhauer genannt, die – auf völlig andere Weise als Georg Kolbe – in das NS-Regime involviert waren. Sie wurden mit hoch-dotierten Aufträgen bedacht, erhielten Professuren und riesige Ateliers und andere Immo-bilien. Ihre Nähe zur Machtelite lässt sich durch eine Bildsuche im Internet aufs Schnellste verifizieren. Da sieht man Hitlers Besuch im eroberten Paris in Begleitung von Breker und Albert Speer oder man sieht Thorak zu Gast auf Hitlers Berghof.57 Von Kolbe gibt es keine vergleichbaren Bilder. Ein Freund des Bildhauers erklärte, dieser vermied „jede Möglichkeit eines ›allerhöchsten‹ Staatsbesuchs, wie er vielen anderen Bildhauern zuteil wurde. Außer Schirach hat kein führender Staats- oder Parteimann ihn besucht.“58 Auffallend ist auch, dass Kolbe in der NS-Zeit – ganz anders als in den Jahrzehnten zuvor – bei öffentlichen Einweihungen seiner Plastiken nicht anwesend war. Er wollte anscheinend keinem der „ekelerregenden Gesellen“ begegnen (S. 4).

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Nach Kriegsende schrieb Kolbe: „Ich war diese Jahre dankbar, mich abseits halten zu kön-nen.“59 Das ist bestimmt keine nachträgliche Schönfärberei, allerdings doch nicht so ein-deutig. In jenem schon mehrfach zitierten Brief von 1936 hatte sich Kolbe beklagt, dass er „zu den großen Aufgaben durchaus nicht Verwendung finde“. Natürlich wünscht sich kein Künstler, keinen Erfolg zu haben. Diese zwiespältige Haltung lässt sich mit der von Ger-hard Marcks vergleichen, der 1939 in einem Brief an den Bildhauerkollegen Bernhard Hoetger geschrieben hatte: „Wir sind so glücklich mit Staatsaufträgen verschont zu blei-ben, wir haben es also verhältnismäßig leicht, eine saubere Tradition fortzuführen, da kei-ner uns missbrauchen will.“60 Aber auch Marcks zog sich nicht völlig zurück, auch er such-te den öffentlichen Auftritt. Intensiv arbeitete er an einem Auftrag für Posen, einer großen Wagenlenkerin mit einem Pferdegespann.61 Das Skulpturenprogramm für Posen stand im Zusammenhang mit der Germanisierung der Stadt.62 Während Marcks eine stolze Siegerin vorschlug und ausarbeitete, wollte Kolbe – aus Arbeitsüberlastung – ein älteres Projekt für Posen realisieren, einen ‚Stürzenden‘ – da die Stadt Posen „doch genug Anlass habe, stür-zender Menschen symbolisch zu gedenken“.63

Mehr als aus Kolbes eigenen Worten geht aus Briefen von Freunden hervor, dass diese meinten, der Künstler hätte in jener Zeit eine größere Anerkennung verdient. Karl Schmidt-Rottluff, der es als ehemaliger Brücke-Maler in der NS-Zeit weitaus schwerer hatte als Kol-be, schrieb 1942 an seinen Freund angesichts dessen 65. Geburtstags: „Ich hoffe, Sie ha-ben inzwischen Ihren Geburtstag gut überstanden u. nicht nur das heimliche Deutschland – auch das offizielle – hat sich Ihrer an dem Tage erinnert.“64

Zu den Kunstprojekten, die immer mal wieder als angebliche NS-Kunstpropaganda in die Kritik geraten, gehört das Skulpturenprogramm am Maschsee in Hannover. Ein Brief im Kolbe-Nachlass zeigt jedoch, dass die Idee dafür auf Justus Bier, den jüdischen Kunsthisto-riker und Leiter der Kestner-Gesellschaft (die 1936 verboten wurde, weil sie sich nicht von Bier trennen wollte) zurückgeht. Er bat Kolbe um Unterstützung, denn es drohte, dass der Stadtbaurat „irgendeinen ihm bequemen Bildhauer“ verpflichten würde. Bier dagegen schlug einen eingeschränkten Wettbewerb vor, zu dem zwei hannoversche Bildhauer so-wie Georg Kolbe und Gerhard Marcks eingeladen werden sollten.65 Bei einem zweiten, dann doch weiter gefassten Wettbewerb siegte Kolbe mit seinem ‚Menschenpaar‘ (s. S. 16).

Häufig wird Kolbe vorgeworfen, dass er an den Ausstellungen im Haus der Deutschen Kunst in München teilnahm. Manchen zeitgenössischen Briefen an den Bildhauer ent-nimmt man jedoch die Klage, dass Kolbes jeweilige Figur dort zu schlecht, zu peripher aufgestellt gewesen sei.66 Ein Zeitzeuge erklärte Kolbes Haltung: „Der Kunstrummel in München war ihm restlos zuwider. An all diesen Münchner Ausstellungen hat er sich mehr pflichtmäßig mit je einer Figur beteiligt.“67 Der Begriff „pflichtgemäß“ ist aus heutiger Sicht schwer verständlich; damals erschien es aber offensichtlich etlichen Freunden des Bildhauers wichtig, dass der öffentliche Kunstbetrieb nicht ganz den Günstlingen und Ewiggestrigen überlassen würde, und deshalb wünschten sie, dass Kolbes Werke mehr Geltung bekämen.

In der Rückschau hat man sich angewöhnt, in jeder Handlung während der NS-Zeit eine Stellungnahme, gar eine billigende, bestätigende Stellungnahme zum NS-Regime zu er-kennen. Gleichzeitig sah man in allen Auszeichnungen eine Bestätigung durch „die Nazis“. 1942 erhielt er zum 65. Geburtstag die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft und 1944 wurde er wie über 1.000 andere Künstler vom Kriegsdienst freigestellt (er kam auf die sogenannte „Gottbegnadetenliste“). Auch bei solchen Ehrungen war die Einschätzung von Zeitgenossen unter Umständen ganz anders. Als Georg Kolbe der Goethe-Preis zuge-sprochen wurde, war Schmidt-Rottluffs Kommentar, dieser sei ja „noch ein liberalistischer Preis“.68 In der Stadt Frankfurt a. M. war Kolbe seit über zwei Jahrzehnten dank der Unter-stützung durch den Museumsleiter Georg Swarzenski besonders präsent. Es war nun die-

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ser jüdische Kunsthistoriker, der – aus seinem städtischen Amt längst entlassen, als Direk-tor des privaten Städelschen Kunstinstitutes jedoch noch aktiv – Kolbe als erster von der geplanten großen Ehrung unterrichtete. Und sicherlich war er an der ungewöhnlichen Entscheidung – denn der Goethepreis war zuvor nur an Schriftsteller vergeben worden – beteiligt gewesen.69

Wo in der NS-Zeit Mechanismen des bürgerlichen Kunstbetriebs der vorangegangenen Zeiten (Weimarer Republik und Kaiserreich) noch funktionierten, bzw. teilweise noch funk-tionierten, muss von Fall zu Fall geklärt werden. Das ist selbst aus dem Rückblick nicht einfach, wie viel schwieriger war die Orientierung für die Künstler und Kunstvermittler je-ner Jahre, die die erste deutsche Diktatur durchleben mussten.

Georg Kolbe, der – wie anfangs gezeigt – Hitler und seine Bewegung sehr kritisch sah, entschied sich aber nicht dafür, seine Art, wie er als Künstler tätig war, völlig zu ändern. Erst seine Bildhauergeneration hatte sich weitgehend von der Auftragssituation befreit: sie präsentierte Kunstwerke in Ausstellungen und wartete auf Käufer oder Besteller – Kolbe hatte dies in sehr großem Maße getan. Sollte der Künstler nun, nur weil die Regierung sich geändert hatte, die Präsentation seiner Werke ändern oder aufgeben? Bisher hatte er un-abhängig von der Kunstauffassung der Machthaber gearbeitet, sollte er nun – wenn auch nur im Umkehrschluss – darauf eingehen, indem er sich zurückzog? Sollte er, noch drasti-scher ausgedrückt, seinen Beruf aufgeben?

Manchmal wird argumentiert, dass Kolbe doch so bekannt war und so gut verdiente, dass er am damaligen Kunstbetrieb gar nicht hätte teilnehmen müssen!70 Allerdings hatte Kol-be in der Weimarer Republik nur von 1926–29 sehr gut verdient. Zuvor und während der Weltwirtschaftskrise war er dagegen von den Krisen direkt betroffen gewesen, Anfang der 1930er Jahre sogar dramatisch. Natürlich haben die meisten anderen Künstler insgesamt noch weniger verdient, aber Kolbe hatte gerade sein Haus gebaut und kam dadurch in Bedrängnis. Es hätte sich für Kolbes Kasse gravierend ausgewirkt, wenn er sich in der NS-Zeit vollständig zurückgezogen und nur ein paar Privataufträge ausgeführt hätte. Obwohl er das nicht tat, schrumpfte seine „Produktion“: 1927 hatte ihm die Gießerei 58 Bronzen geliefert, 1933 waren es nur 14! Zwar gab es 1937 mit 42 Bronzen noch einmal ein sehr erfolgreiches Jahr, anschließend – 1938 – fiel die Produktion mit 21 Bronzegüssen jedoch zurück auf die Hälfte des Vorjahres.71 Im Zweiten Weltkrieg brach durch das kriegsbeding-te Verbot von Bronzegüssen Kolbes „Geschäft“ weitgehend ein.

„Prototypen arischer Auslesemuster“?

Der gravierendste Vorwurf, der Aktstatuen aus der NS-Zeit gemacht wird, besteht darin, dass diese die rassische NS-Ideologie widerspiegeln würden. Solche Behauptungen werden in der Regel nicht durch Belege der zeitgenössischen Rezeption abgesichert; auch ein Ab-gleich mit rassistischen Publikationen der NS-Zeit unterbleibt. Wenn man ein Kunstwerk als rassistisch infiziert kennzeichnen will, wird gerne der Begriff „arisch“ verwendet, obwohl der in der Kunstberichterstattung der NS-Zeit kaum eine Rolle spielt; nicht „arisch“, son-dern „nordisch“ wünschte sich Paul Schultze-Naumburg die in der Kunst dargestellten Menschen.

Auch in Werke von Kolbe wird im nachhinein NS-Ideologie hineininterpretiert. Hinweise auf rassistische Gedankengänge lassen sich im schriftlichen Nachlass Kolbes jedoch nicht finden. Auch seine weitgehend erhaltene Bibliothek enthält nichts Einschlägiges. Wie we-nig es ihm um Schemata der am höchsten geschätzten „nordischen Rasse“ ging, zeigt sich schon allein daran, dass Frauengesichter slawische Backenknochen aufweisen können oder Männerköpfen der ausladende „nordische Hinterkopf“ fehlen kann. Die Nasen sind im Sinne des Schemas meist zu flach.

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Wie die angebliche Freilegung rassistischer Inhalte durch spätere Kritiker funktioniert, zeigt z. B. eine Internetseite, auf der sich die Autorin „erschrocken und neugierig“ mit Skulptu-ren der NS-Zeit beschäftigt.72 Von Kolbes ,Menschenpaar‘ am Maschsee in Hannover wird behauptet: „Sie wissen, wofür sie stehen. Er mit dumpf entschlossener Miene, den musku-lösen Körper in gerader Haltung, er steht für Krieg. Vorher wird er noch ein Kind zeugen mit seinem tadellosen Genital [...]. Sie, mit dem duldsam sanften Gesicht wird eine deut-sche Mutter werden [...]. Sie ist [...] naiv (oder treu) genug, keine Fragen zu stellen, wenn ihr Held aus dem Kampf zurückkehren wird. […] Ein Lebewesen eingeschlossen und fest-geschrieben durch Biologie und Geschlecht. Vermehrungsmaterial.“73

Krieg und Rassenwahn, die Hauptverbrechen im Namen des Nationalsozialismus, werden mit diesem Bildwerk in Verbindung gebracht, als dessen Bedeutung heraus-, beziehungs-weise hineingelesen. Diese Deutung erscheint aus mehrerer Hinsicht absurd. Zu bedenken ist, dass das Modell für die männliche Figur Ivan Loewy (Hans Levi) war und für die Frau-engestalt dessen Schwester Renate posierte; beide standen mehrfach für Kolbe Modell (s. S. 18). Die „nichtarischen“ Geschwister, er Musiker, sie Tänzerin, verkörpern ein Paar, das Kolbe als Freunde darstellen wollte. Die Autorin der zitierten Internetseite weiß über den Künstler und die Entstehungsbedingungen des Werkes nichts, sie scheint auch nichts wis-sen zu wollen.

Kolbe variierte in seiner Gruppe ein früheres Menschenpaar von 1931/32. Dabei handelte es sich um seinen ersten großen Entwurf für ein Nietzsche-Denkmal (neben der Zarathust-ra-Gestalt experimentierte Kolbe anfangs auch mit einem Paar). Der Zusammenhang mit Kolbes Versuchen, Symbolfiguren für Nietzsches Werk und Bedeutung zu schaffen, ist auch noch für die hannoversche Gruppe bestimmend, die Kolbe mit einem direkten Nietz-sche-Zitat als „Menschen hoher Art“ charakterisierte. Der Bildhauer gab selbst eine Inter-pretation seiner Bronzegruppe, die zu der oben zitierten NS-Interpretation in deutlichem Widerspruch steht. Werden da – entsprechend dem, was man von der NS-Ideologie weiß – die Unterschiede zwischen Mann und Frau betont, so erklärte Kolbe dagegen: „Die Kör-per sind von gleichem Wuchs, gleich in der äußeren und inneren Haltung“. Sah die Inter-pretin von heute den Sinn dieses Paares vorrangig darin, sich zu vermehren, so waren die Gestalten für Kolbe „als Freunde vereint“. Verkörpern wollte er: „ein Vorbild menschlicher Würde“74.

Georg Kolbe, Menschenpaar, Gips, 1937 Georg Kolbe, Menschenpaar, 1931/32

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Bei einer anderen Plastik von Georg Kolbe wird der Titel als Beweis für eine rassistische Absicht genommen. Zwei Kunsthistoriker publizierten die Ansicht, dass seine Statue ,Hüterin‘ eigentlich ‚Hüterin der Art‘ heißen müsse, deshalb wurde das Werk einfach um-benannt.75

Damit bezog man sich auf eine gleichnamige Darstellung des Zeichners und Pamphletisten Wolfgang Willrich, an der sich Kolbe orientiert haben soll, um damit ein „rassistisches Leitbild“ vorzustellen.76 Willrichs blonde Frauengestalt legt ihre Hände auf den schwange-ren Bauch, in dem offensichtlich „rassenreiner“ Nachwuchs heranwächst. Kolbes Figur ist weder als schwanger gekennzeichnet noch ist ihre Haltung meines Erachtens so verwandt, dass ein Bezug der beiden Darstellungen naheliegen würde. Eine ähnliche Armhaltung wie bei der ,Hüterin‘ gibt es bei Kolbe schon 25 Jahre vorher.77 Dass sich der Bildhauer am Werk eines fünftklassigen Malers inspiriert haben könnte, ist sowieso schon eine absurde Vorstellung. Zu der Gegenüberstellung der beiden ,Hüterinnen‘ wurde kommentiert: „Für die Art der Umsetzung und Überhöhung des Themas ,Hüterin der Art‘ leistete Kolbe mehr. Der allgemeiner gefaßte Titel seiner Statue konnte aus der Kenntnis der zeitgenössischen Phraseologie leicht verstanden werden.“78 Allerdings war der Begriff „Hüterin der Art“ damals, wie auch vorher oder nachher, nicht gebräuchlich,79 gehörte also weder zur NS-Phraseologie noch sonst zum deutschen Sprachgebrauch. Somit ist der Schluss, eine ‚Hü-terin‘ sei zweifellos eine ‚Hüterin der Art‘, unzutreffend.

In der NS-Kunstforschung ist Willrichs ,Hüterin der Art‘ ein wichtiges Werk; in Hildegard Brenners bahnbrechender Untersuchung zur „Kunstpolitik des Nationalsozialismus“ ist es abgebildet.80 Jeder, der sich mit NS-Kunst beschäftigt, kennt es; in der NS-Zeit dagegen war Willrichs ‚Hüterin der Art‘ kaum bekannt. Es sei denn, man goutierte Willrichs üble Schmähschrift „Säuberung des Kunsttempels“, wo sie als Frontispiz erscheint.81 Es ist übri-gens sehr wahrscheinlich, dass Kolbe dem Verleger Georg Biermann half, gegen das Buch gerichtlich vorzugehen.82

Der Vorwurf des Rassismus, der mit jener Gleichsetzung der beiden ,Hüterinnen‘ gemacht wurde, ist ein extrem schwerer; macht er doch aus dem Künstler den Komplizen eines völkermörderischen Regimes. Dafür konnte allerdings kein Beleg gefunden werden. Nach

Wolfgang Willrich, Hüterin der Art Georg Kolbe, Hüterin, 1938

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dem Gesagten klingt es besonders grotesk, dass das Modell für Kolbes ‚Hüterin‘ mit gro-ßer Wahrscheinlichkeit Evelyn Künnecke gewesen ist, die Tochter des Operetten-Kom-ponisten Eduard Künnecke, in den frühen 1930er Jahren Stepptänzerin und Aktfotomo-dell, später Sängerin, Schauspielerin, frivole Ulknudel und ganz zuletzt in West-Berlin eine der bühnenwirksamen „Drei alten Schachteln“!83

Vor allem die Figuren des Olympiageländes waren in den letzten Jahrzehnten als rassisti-sche Leitbilder interpretiert worden. Hilmar Hoffmann zum Beispiel hatte sie als Werke nach „NS-Redaktionsanweisungen“ gesehen, als „Prototypen arischer Auslesemuster“, „Herrenmenschen“, „unspezifisch trainierte, zu jeder Untat bereite Muskelmänner“.84 Dazu noch einmal ein Blick auf die Figur des ‚Ruhenden Athleten‘, dessen Modell man kennt. Es handelt sich um Ivan Loewy (eigentlich Hans Levi). Diese Identifizierung, die im Kolbe-Archiv nicht dokumentiert ist, wurde mir aus drei verschiedenen Überlieferungen zugetra-gen. Jedes mal wurde erzählt, dass Loewy mit besonderem Stolz seine Freunde und Freundinnen aufs Olympiagelände führte, um vorzuführen, für welche prachtvolle Gestalt er – als Jude (nach der damaligen Definition ,Halbjude‘) – Modell gestanden habe (s. auch oben S. 16). Er war auch das männliche Modell für das ‚Menschenpaar’ am Maschsee in Hannover gewesen.

Künstler in Zeiten der Diktatur

Georg Kolbe war kein Nazi und hatte nicht das Ziel, NS-Inhalte zu verkörpern. Indem er ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten weiterhin seinen Beruf ausübte – und zwar in der Weise, wie er dies zuvor getan hatte – trat er mit seinen Werken an die Öffentlich-keit, wodurch sein Schaffen Kritik und Interpretation – ob positiv, ob negativ – ausgeliefert war. Auch zuvor entsprach die Rezeption nicht immer den Wünschen und Vorstellungen des Künstlers; in einer Diktatur jedoch können unangemessene Interpretationen problema-tische Folgen haben.

Kolbe war sich im Übrigen durchaus bewusst, dass er nicht allgemein verstanden wurde. Interessant ist eine Briefstelle, in der er auf Kritik aus der Gemeinde Diez an der Lahn rea-gierte, die ein Gefallenen-Denkmal von ihm wünschte. Am 19. April 1929 schrieb er: „Ei-nesteils spricht man vom grossen Künstler und andernteils von der Forderung, dass die grosse Masse sein Werk verstehen müsse. Entschuldigen Sie – das gibt es nicht und hat es nie gegeben. Wenn ich nicht etwas aus mir heraus erfinden darf – sondern mich zwingen soll, etwas zu suchen – was der Einwohnerschaft von Diez – die unmöglich in Kunstsachen ein Urteil haben kann, –gefällt – so würde das ein grosses Rätselraten für mich werden, welches mir jede Intention töten müsste.“85 Dieses Zitat belegt gleichzeitig, dass Kolbe – auch dann, wenn er Aufträge annahm – darauf bestand, einen Beitrag nach eigenen Vor-stellungen zu liefern; einfach Vorgaben der Auftraggeber umzusetzen, entsprach nicht seiner Künstlerauffassung. Auch nach 1933 behielt er diese Haltung bei.

Kolbes Stiländerung nach 1927 führte dazu, dass seine neueren Plastiken für öffentliche Aufgaben auch nach 1933 geeignet blieben. Zu dem Grundtenor seines gesamten Wer-kes, der Darstellung schöner junger Menschenkörper, kam nun ein größerer Ernst und stärker betonte Idealität. Von diesen Figuren wurden einige in der Öffentlichkeit aufgestellt und noch mehr in Ausstellungen gezeigt. In der Regel wurden sie in der Presse als Kunst-werke verstanden und nicht als Interpretationen der NS-Ideologie.

Dass eine solche Sehweise aber nicht ausgeschlossen war, belegt ein interessantes Zitat von 1938. Da heißt es, „dass Kolbe, in jenen Jahren, in denen diese neue Welt anfängt Wirklichkeit zu werden, aus sich heraus und als logisches Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung, dazu kam, Menschengestalten zu formen, die den Anforderungen, die die neue Zeit an die Kunst stellt, in höchstem Sinne gerecht zu werden vermögen.“86 Dem-

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nach hätte Kolbe „aus sich heraus“ Figuren geschaffen, die den „Anforderungen“ des NS-Regimes entsprochen hätten. Wenn dies einer breiten Einschätzung entsprochen hätte, dann hätte eine Inanspruchnahme des Künstlers für politische Ziele des NS-Regimes ei-gentlich viel weiter gehen müssen oder können, als sie tatsächlich erfolgte. Denn das, was man Kolbe aus der heutigen Zeit gerne vorwirft, dass er sich habe „vereinnahmen“ lassen, lässt sich kaum belegen. Ganz offensichtlich ist, dass sich keiner der führenden Parteigrö-ßen ernstlich für Georg Kolbe interessierte und engagierte. Anders erging es den neuen Star-Bildhauern Breker und Thorak; aber Goebbels und Hitler begeisterten sich auch für die Arbeiten des älteren Bildhauerkollegen Fritz Klimsch!

Das umfangreiche Zeitungsausschnitt-Archiv des Georg-Kolbe-Museums belegt, dass die Rezeption der Werke Kolbes auch in der NS-Zeit überwiegend auf die traditionellen Berei-che des bürgerlichen Kunstbetriebs beschränkt blieb: Artikel im Feuilleton und Ausstel-lungsberichte. Im Vergleich mit der früheren Rezeption hatte sich so sehr viel nicht geän-dert. Allerdings blieb eine schleichende Anpassung der Diktion angesichts der diktatori-schen Überwachung der Presse nicht aus.

Georg Kolbe, seine Freunde und die Verehrer seiner Kunst waren überwiegend der Mei-nung, dass bei ihm eine Anpassung an den NS-Geist nicht erfolgt sei. Spätere Kritiker sa-hen das nicht selten genau umgekehrt. Die Wahrheit liegt dazwischen. Das bedeutet nicht, es sei hier wiederholt, dass sich Kolbe der NS-Ideologie anpassen wollte, sondern dass die meisten Zeitgenossen der NS-Diktatur zunehmend gar nicht mehr in der Lage waren, sich völlig von der Propaganda-Umwelt zu distanzieren und dass Kolbes Werke das Bildgedächtnis der NS-Zeit mitgeprägt haben.

1 Ursel Berger: ,Ein verdienter Altmeister‘. Die Rolle des Bildhauers Georg Kolbe während der Nazizeit, in: Kunst und Kunstkritik der Dreißigerjahre, Akademie der Künste Berlin Ost 1990; Dies.: Georg Kolbe – Leben und Werk. Mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum, Berlin 1990; 2. Auflage Berlin 1994, S. 109–150; Dies.: Die Athleten von Olympia-Berlin. Wie nazistisch sind die Skulpturen von 1936, in: Der Tages-spiegel, 19.2.1993 (Nachdruck in: Sportstadt Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch 1993 des Sport-museums Berlin, Berlin 1993, S. 116–120); Dies.: „Die Empfindung ist alles“. Die Figurenplastik Georg Kolbes, in: dies. (Hrsg.): Georg Kolbe 1877–1947, Ausst. Kat. Georg-Kolbe-Museum Berlin, Gerhard Marcks-Haus Bremen, München 1997, S. 23–32; Dies.: „Herauf nun, herauf du großer Mittag“. Georg Kolbes Statue für die Nietzsche-Gedächtnishalle und die gescheiterten Vorläuferprojekte, in: Hans Wilderotter, Michael Dorrmann (Hrsg.): Wege nach Weimar. Auf der Suche nach der Einheit von Kunst und Politik, Ausst.Kat. Weimar, Berlin 1999, S. 177–194; Dies.: „Moderne Plastik“ gegen „Die Dekoration der Gewalt“. Zur Rezeption der deutschen Bildhauerei der zwanziger und dreißiger Jahre nach 1945, in: Penelope Curtis (Hrsg.): Taking Positions. Unter-gang einer Tradition. Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich, Ausst.Kat. Henry Moore Institute Leeds, Großbritannien, Georg-Kolbe-Museum Berlin, Gerhard-Marcks-Haus Bremen, Leeds 2001, S. 60–75. 2 Maria von Tiesenhausen (Hrsg.): Georg Kolbe. Briefe und Aufzeichnungen, Tübingen 1987, S. 25. 3 Ebd. 4 Ursel Berger: Georg Kolbe in Istanbul 1917/18, Ausst.Kat. Georg-Kolbe-Museum Berlin, Berlin 2011. 5 Manuskript im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 6 Gerhart Hauptmann: Tagebücher 1914 bis 1918, hrsg. von Peter Sprengel, Berlin 1997, S. 122. 7 Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 80f. (Zeitungsausschnitt im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 8 Josephine Gabler: Georg Kolbe in der NS-Zeit, in: Berger 1997 (wie Anm. 1), S. 87–95, Abb. S. 88. 9 Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 80f. (Zeitungsausschnitt im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 10 In der einzigen Veröffentlichung, in der Kolbes politische Ausrichtung benannt wird, bezeichnete man ihn als einen Linken (1924 in einem Artikel in einer italienischen Zeitschrift. Übersetzung in: Berger 1990/94 [wie Anm. 1], S. 190). 11 Zu dem Modell Eva Rechlin vgl. Ursel Berger: Georg Kolbe und der Tanz, Ausst.Kat. Georg-Kolbe-Museum Berlin, Edwin Scharff Museum Neu-Ulm, Berlin 2003, S. 77–81. 12 Privatbesitz, Nachlass Rudolf Kolbe. 13 Brief an Julia Hauff (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 14 Ivo Beucker (Hrsg): Georg Kolbe. Auf Wegen der Kunst. Schriften, Skizzen, Plastiken, Berlin 1949; Tiesenhausen 1987 (wie Anm. 2).

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15 Georg Kolbe: In einem anderen Land…, in: Das Tagebuch, hrsg. von Leopold Schwarzschild, München 21.1.1933, S. 112f. 16 Aussagen des Zeitzeugen Kurt Meinhardt (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 17 Brief an Erich Cohn, New York (Berger 1990/94 [wie Anm. 1], S. 147). Welche Resonanz die berühmte Weiz-säcker-Rede von 1985 fand, in der die Kapitulation Deutschlands als Befreiung bezeichnet wurde, belegt, wie sehr Kolbe seiner Zeit voraus war. Vgl. auch das Unverständnis von M. v. Tiesenhausen gegenüber Kolbes Äußerung (Tiesenhausen 1987 [wie Anm. 2], S. 187). 18 Vgl. die Briefe an Johannes R. Becher und Klaus Gysi (GK.469, Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 19 Tägliche Rundschau, Berlin, 9.5.1946. 20 Carl Georg Heise: Georg Kolbe, in: Art in America, April 1927, S. 136–138, hier S. 136. 21 Wieland Schmied: Wegbereiter zur modernen Kunst. 50 Jahre Kestner-Gesellschaft, Hannover 1966, S. 237. 22 Joseph Wulf: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Frankfurt a. M. 1966, S. 324. 23 Ottfried Dascher: Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger, Wädenswil 2011. 24 Archiv Sammlung Oskar Reinhart am Römerholz, Winterthur (Ursel Berger: Renée Sintenis ... einmal Göttin, einmal Tierfreundin, in: MuseumsJournal, April 2008, S. 22–24, hier S. 23f.). 25 Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 125 (Briefkonzept im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 26 Marianne Lyra-Wex: Die Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes im Hamburger Kunstverein 1936, Ausst.Kat. Bonn 1988, S. 92. 27 Mitteilungen von Kurt Meinhardt (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 28 Brief vom 31.8.1934. (Friedrich Dross: Ernst Barlach. Die Briefe II, München 1969, S. 490). 29 Brief vom 31.8.1931 an Ottilie Schäfer (Handschriftenabteilung Staatsbibliothek Berlin). 30 Ebda., Brief vom 9.5.1930. 31 Ebda., Brief vom 15.1.1931. 32 Brief vom 28.5.1927 an Rudolf G. Binding, Privatbesitz. 33 Georg Kolbe: Zu Zarathustra’s Erhebung, in: Beucker 1949 (wie Anm. 14), S. 31. 34 Sie wurde aber dennoch gegossen und im Garten des Museums aufgestellt (Berger 1990/94 [wie Anm. 1], Kat. 144). 35 Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im Dritten Reich, Hamburg 1949, S. 49. 36 Paul Westheim: Kulturbilder aus der deutschen Gegenwart, in: ders.: Kunstkritik aus dem Exil, hrsg. von Tanja Frank, Hanau 1985, S. 34–41, hier S. 35. 37 Aus Erzählungen der Schülerin Liselott Specht-Büchting ist bekannt, dass Kolbe gebeten worden war, ein Hitler-Bildnis zu modellieren. Darauf soll er gesagt haben, er hätte Herrn Müller und Herrn Meier porträtiert, warum solle er nicht Herrn Hitler darstellen. Daraufhin sei auf Kolbes Hitler-Bildnis verzichtet worden (Berger 1990/94 [wie Anm. 1], S. 129). 38 Als Kolbe 1946 von dem befreundeten New Yorker Sammler Erich Cohn gefragt wurde, warum er Franco porträtiert habe, antwortete er: „Erstens erkannte ich die Wirklichkeit nicht klar und zweitens war das ein Privatauftrag, formal gesehen interessant, der mir das Kennenlernen Spaniens ermöglichte.“ (Tiesenhausen 1987 [wie Anm. 2], S. 187). Das ist nun wirklich keine befriedigende Antwort. Angesichts der Nachrichtensper-re über den Einsatz der deutschen Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg wird Kolbe in der Tat aus der gleichgeschalteten Presse nur ungenügend über die Zustände in Spanien informiert gewesen sein. 39 www.bayerische-landesbibliothek-online.de/glaspalast 40 www.gdk-research.de 41 Brief von Oskar Schlemmer an Ferdinand Möller, 19.12.1936 (Eberhard Roters: Galerie Ferdinand Möller, Berlin 1984, S. 281). 42 Bruno E. Werner: Die deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin 1940, Abb. S. 170f. Dieses Relief wurde hinter einem ebenfalls politischen Kunstwerk versteckt, dem Kachel-Wandbild von Max Lingner. 43 Paul Schultze-Naumburg: Nordische Schönheit. Ihr Wunschbild im Leben und in der Kunst, München-Berlin 1937, Abb. S. 198f.; Relief zum Wagner-Denkmal, Leipzig, Abb. S. 201. Als vorbildliche Gegenwartskunst wird außerdem nur ein Porträt einer Dänin von dem Maler Wilhelm Petersen (Abb. S. 200) vorgestellt. 44 In Weimar hielt man diese Entscheidung für „eine Sauerei“ (Berger 1999 [wie Anm. 1], S. 190). 45 Am 3.12.1934 schrieb Kreisleiter Kieckhöfer an den Oberbürgermeister von Stralsund: „Weite Kreise der Bevölkerung, insbesondere der Parteigenossenschaft der N.S.D.A.P. sind der Ansicht, dass diese Figurengruppe keine symbolhafte Verkörperung des Frontsoldatentums darstellt. Das Modell stellt vielmehr eine Verkörperung des sportlichen Gedankens dar. Nicht die gestraffte Kraft des Mannes allein darf die hervortretende Ausdrucks-stärke des Frontsoldatentums sein. M. E. muß vielmehr sichtbar das heroische Erlebnis des großen Krieges in den Vordergrund treten, was dieses Modell aber vermissen läßt.“ (Stadtarchiv Stralsund, M 3840, Nr. 156; Werner Stockfrisch: Ordnung gegen Chaos. Zum Menschenbild Georg Kolbes, Diss. Berlin 1984, S. 172; Berger 1990/94 [wie Anm. 1], S. 133). Später wurde Kolbes Gruppe jedoch mehrfach rezipiert. 46 Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 132–134. 47 Allerdings bemängeln Kolbes Freunde in Briefen die schlechte Position von Kolbes Statue (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin) 48 Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 133.

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49 Typoskript im Archiv des Georg-Kolbe-Museums (mit Notiz von M. Schwartzkopff, dass der Brief in dieser Fassung nicht abgesandt wurde. 50 Protokolle der drei Sitzungen des Kunstausschusses: Bundesarchiv, R 18, Bd. 5612, S. 115–119, 235–241, 359–365. 51 Galerie Volker Westphal Berlin, ausgestellt 2006 in der Ausstellung: „Skulpturen im Olympia-Gelände. Mo-delle, Fotografien, Dokumente“, Georg-Kolbe-Museum, Berlin. 52 Protokoll der Sitzung vom 7.3.1935 (Bundesarchiv, Berlin. Rep. 320, Nr. 608, Bl. 115). 53 Typoskript im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. Das beigelegte Foto wurde in einer japanischen Zeitschrift abgebildet. 54 C. G. Heise: Reichssportfeld – künstlerisch gesehen, in: Frankfurter Zeitung, 3.8.1936. 55 Kölnische Zeitung, 28.3.1935. 56 Durchschlag im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 57 Vgl. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (http://bpkgate.picturemaxx.com/). 58 Aussagen des Zeitzeugen Kurt Meinhardt (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). Baldur von Schirach besaß eine Statue von Kolbe. Zu einem staatlichen Auftrag für Braunschweig, der anvisiert war, kam es nicht, diesen erhielt stattdessen Emil Hipp. Werke von Kolbe erwarb auch die Ehefrau des Außenministers Joachim von Ribbentrop, deren Vater und Onkel – die Sektfabrikanten Henkell – Kolbe in den 1920er Jahren porträtiert hatte. Unterstützung fand Kolbe durch den „Reichsarbeitsdienstführer“ Konstantin Hierl, einen Nachbarn im Berliner Westend (Berger 1990/94 [wie Anm. 1], S. 142–144). 59 Georg Kolbe an Erich Cohn (Tiesenhausen 1987 [wie Anm. 2], S. 187). 60 Arie Hartog: Eine saubere Tradtion? Überlegungen zur deutschen figürlichen Bildhauerei, in: Penelope Curtis (Hrsg.): Taking Positions. Untergang einer Tradition. Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich, Ausst.Kat. Henry Moore Institute Leeds, Großbritannien; Georg-Kolbe-Museum Berlin; Gerhard-Marcks-Haus Bremen, Leeds 2001, S. 30–41, hier S. 31. 61 Günter Busch, Martina Rudloff: Gerhard Marcks. Das plastische Werk, Frankfurt a. M., Berlin-Wien 1977, WVZ Nr. 387–389, 392, 424. 62 Adam S. Labuda: Das Kunstgeschichtliche Institut an der Reichsuniversität Posen, in: Jutta Held, Martin Papenbrock (Hrsg.): Schwerpunkt: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, in: Kunst und Politik. Bd. 5, 2003, S. 143–160, hier S. 151. Seltsamer Weise wird Marcks unter den beteiligen Bildhauern nicht genannt, angeführt werden dagegen: „Abel, Albiker, Avenarius, Bleeker, Bronisch, Cauer, von Graevenitz, Klimsch, Kolbe, Nuss und Scheibe.“ 63 Brief vom 14.3.1942 an den Oberbürgermeister von Posen (Durchschlag im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 64 Brief vom 19.4.1942 (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 65 Brief vom 29.10.1935 (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 66 Vgl. z. B. Berger 1990/94 (wie Anm. 1), S. 141. 67 Mitteilungen von Kurt Meinhardt (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin). 68 Brief von August 1936, Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 69 Am 19.6.1936 deutete er Kolbe an: „aber bitte, ganz, ganz vertraulich …, daß in Verbindung … hier noch etwas anderes, und zwar sehr erfreuliches, mit Dir geplant ist.“ (Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin) 70 Hella Reelfs: Bildhauer im Dritten Reich. Zur Karriere von Georg Kolbe, in: Neue Züricher Zeitung, 31.8.1977. 71 Rechnungen der Gießerei im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 72 Die Autorin heißt Susanne Gerber (www.kuukuk.de/text/natio.html). 73 www.kuukuk.de/text/natio.html (letzter Zugriff: 24.3.2013). 74 Typoskript im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 75 Klaus Wolbert: Die Nackten und die Toten des „Dritten Reiches“. Folgen einer politischen Geschichte des Körpers in der Plastik des deutschen Faschismus, Gießen 1982, Abb. S. 41. 76 Hans Ernst Mittig: Künstler auf der Seite des NS-Regimes, in: Constanze Peres, Dieter Schmidt (Hrsg.): Erneu-erung als Tradition. 100 Jahre Dresdner Kunst und Kunstakademie im (inter)nationalen Zusammenhang, Dres-den 1997, S. 137–152, hier S. 148. „Den Titel ,Die Hüterin‘ [...] erkannte schon Wolbert 1982 als Hinweis auf ein rassistisches Leitbild, das Willrich mit seiner ,Hüterin der Art‘ 1937 umgesetzt hatte. Deren Körperhaltung weist schon für sich genommen auf Kolbes teilweise gleichnamiges Werk voraus.“ 77 ‚Mädchenfigur‘, 1912, in: Berger 1990/94 (wie Anm. 1), Kat. Nr. 21. 78 Ebd. S. 149. 79 Das Grimm’sche Wörterbuch kennt den Ausdruck ebenso wenig wie Büchmanns ,Geflügelte Worte‘. Auch in Viktor Klemperers Beobachtungen über die Sprache des Dritten Reiches fehlt er. Aber auch in NS-Publikationen habe ich ihn nicht nachweisen können, außer bei Willrich selbst, der vemutlich den Begriff erfunden hat. Dass der Begriff „Hüterin der Art“ in den zahlreichen Zeitungsausschnitten zu Kolbes Statue im Archiv des Georg-Kolbe-Museums nicht vorkommt, belegt, dass es den Zusammenhang von Kolbes Figur und Willrichs rassisti-scher Darstellung nicht gibt. 80.Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963, Abb. 23. 81 Wolfgang Willrich: Säuberung des Kunsttempels, München, Berlin 1937. Außerdem wurde die Darstellung (übrigens kein Gemälde, wie meist angenommen, sondern nur eine Zeichnung) nur in der NS-Kunstzeitschrift

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‚Das Bild‘ im Dezember 1934 abgebildet, als sie in Berlin in der Ausstellung ‚Die Auslese‘ zu sehen war, wo sich ein „Klüngel“ (Rave 1949 [wie Anm. 35], S. 44) als bahnbrechende Künstlerschaft für das neue System vorzustellen versuchte. 82 Kolbe beantwortete eine Anfrage Biermanns vom 8. November 1937 direkt am folgenden Tag (Tiesenhausen 1987 [wie Anm. 2], S. 159). Biermanns Schreiben ist nicht erhalten; mit Sicherheit hatte der Verleger Kolbe, dem er eigentlich nicht nahe stand, darüber informiert, was er plante. Durch einen Brief des Kunsthändlers Ferdinand Möller an Emil Nolde wissen wir, worum es sich handelte: „Professor Biermann hat den Herausgeber des Buches ,Säuberung des Kunsttempels‘ Willrich wegen Beleidigung verklagt und hat mit einer einstweiligen Verfügung erreicht, daß das Buch [...] nicht mehr verkauft werden darf.“ (Roters 1984 [wie Anm. 41], S. 278). Mittig allerdings missverstand den Brief Kolbes an Biermann „als Zeugnis der Anpassung“. 83 Mehrfach wurde der Autorin mitgeteilt, dass Evelyn Künnecke Kolbe-Modell gewesen sei. Sie selbst soll behauptet haben, für die große ‚Nacht‘ im Berliner Rundfunkhaus Modell gestanden zu haben; damals war sie jedoch erst acht Jahre alt! Anzunehmen ist, dass sie sich an das Modellstehen mit erhobenen Armen erinnerte, somit kommt nur die ‚Hüterin‘ in Frage. Deren Proportionen belegen, dass eine sehr große Frau – wie Künnecke – das Vorbild gewesen war. 84 Süddeutsche Zeitung, 23./24.1.1993. 85 Durchschlag im Archiv des Georg-Kolbe-Museums, Berlin. 86 Hermann Usener: Georg Kolbe – ein deutscher Bildhauer, in: Deutsche Kultur im Leben der Völker, Mittei-lungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums / Deutsche Akade-mie, XIII. Jg., H. 1, S. 1–9, hier S. 9. Das ist der – dem Zeitgeist geschuldete – Schlusssatz einer sonst recht differenzierten Darstellung von Kolbes Entwicklung. Der Autor war nach dem Krieg Ordinarius für Kunstge-schichte in München und Marburg mit dem Spezialgebiet Mittelalter. Die Zeitschrift war das Mitteilungsorgan der Vorgängerinstitution des Goethe-Instituts ‚Deutsche Akademie‘, 1925 gegründet und nach 1933 schlei-chend nazifiziert.