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Wie baut man 100 Jahre nach dem Stapellauf den wichtigsten Schoner nach, der je unter deutscher Flagge segelte, Vorbild für die „Meteore“ des Kaisers? Ohne Originalpläne? Ohne Original? Genau wie einst. Mit aller Entschlossenheit, die schon „Germania“ schuf Foto: YACHT classic REKONSTRUKTION GERMANIA Konstrukt des Willens 27 Rekonstruktion – Einst in Kiel genietet, entstand „Germania“ in Spanien von Neuem. Replik und Geschichte ....... Seite 26 Klasse – Schoner haben eine lange Evolution durchlaufen. Vom Fracht- und Fangschiff zum Ocean Racer ..... Seite 36 Konstrukteur – Max Oertz war erst 37, als er die Krupp-Yacht zeichnete. „Germania“ machte ihn unsterblich .......... Seite 46 INHALT

GeRMAniA - YACHT onlineyacht.de/.../YC02_S_26-35_GERMANIA_Nachbau_Echttext.indd.pdfdes „Germania“-Projekts zunächst die Suche nach konstruk - tionsplänen, Stücklisten, Skizzen,

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    Wie baut man 100 Jahre nach dem Stapellauf den wichtigsten

    Schoner nach, der je unter deutscher Flagge segelte,

    Vorbild für die „Meteore“ des kaisers? Ohne Originalpläne?

    Ohne Original? Genau wie einst. Mit aller entschlossenheit,

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    Rekonstruktion – Einst in Kiel genietet, entstand „Germania“ in Spanien von Neuem. Replik und Geschichte . . . . . . . Seite 26

    klasse – Schoner haben eine lange Evolution durchlaufen. Vom Fracht- und Fangschiff zum Ocean Racer . . . . . Seite 36

    konstrukteur – Max Oertz war erst 37, als er die Krupp-Yacht zeichnete. „Germania“ machte ihn unsterblich . . . . . . . . . . Seite 46

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    „ S i e W e R d e n k e i n e n u n T e R S C H i e d e R k e n n e n . b i S Au F d e n P e R M A n e n T G e FA H R e n e n A n k e R “ R A i n e R H A n T k e, P R O J e k T l e i T e R d e R „ G e R M A n i A n O VA“

    d rei Meter hohe Sicherheitszäune schirmen sie ab. Als könnte sie andernfalls einfach so verschwinden. der Zugang zur Werfthalle und zu den docks ist mit drehtüren, Gattern und Schranken versperrt. die Factoria naval de Marin, eine halbe Autostunde vom nordspanischen Vigo entfernt, tief in einem Fjord gelegen, ist kein einladender Ort. Sie versprüht den Charme eines Marinestützpunkts. Schmucklos, kühl, abweisend. besucher unerwünscht.

    unvorstellbar, dass dies die Geburtsstätte von „Y 105“ sein soll. So heißt die neue „Germania“ in der nomenklatur des betriebs, eine simple baunummer. dahinter aber verbirgt sich ein Star der deutschen Yachtsportgeschichte. 47,20 Me-ter über deck, stark wie Stahl, und doch von rarer eleganz. Stolz des kaiserreichs. erster heimischer Rennschoner der big Class. ein boot ohne beispiel.

    die Werftleute sprechen nicht darüber. dabei ist der bauauftrag wie ein Glücksfall für sie, die nahe Vollendung ein Meilenstein, der Anblick ein Gedicht. Aber sie dürfen nichts sagen. niemand, der eingeweiht ist, darf das. die Ver-träge sehen für indiskretionen drakonische Strafen vor.

    Carlos Morales, Chef der Yacht-Abteilung bei der Factoria naval, könnte stundenlang erzählen. Stolz würde in seiner Stimme schwingen, Glanz in seinen dunklen Augen liegen. Stattdessen wiegelt er Anfragen routiniert ab. keine informationen. kein durchkommen, nirgends.

    einzig die See bietet einen Zugang. Von der kleinen Marina im Westen kommend, passiert man mit dem boot die Promenade, dann öffnet sich an Steuerbord das große Ha-

    fenbecken. Mitten darin die Werft, direkt davor der nach-bau, den es offiziell gar nicht gibt und der doch bald aller-orten Gesprächsthema sein wird: „Germania nova.“

    es ist das weit und breit einzige Segelschiff in der ansonsten wie Ödland anmutenden umgebung. kein kon-trast könnte härter wirken. ewige Schönheit vor roher Hafenkulisse. Als wäre es eigens inszeniert. der strahlend weiße Rumpf spiegelt sich im leicht bewegten Atlantik-wasser, überragt vom großen deckshaus, von Schoner- und Großmast, den klüverbaum 8,25 Meter über die Schanz gen Meer gereckt wie ein Fingerzeig.

    Am 23. März gleitet das boot auf seinem riesigen la-gerbock sanft die Helling hinunter. Zum ersten Mal berührt seine kielsohle die See. Acht Mann an deck. die Aufbauten und Mastlöcher unter Folie, als gelte es, jeden Regentropfen, jeden Sonnenstrahl abzuhalten. Tauwerk verbindet die Re-lingsstützen provisorisch, die es 1908 noch nicht gab.

    Zwei Schlepper dirigieren den Schoner später im Hafen an seinen liegeplatz, einer vorn, einer achtern. Am 29. März hebt ein 70 Meter hoher industriekran die baum-dicken Masten samt Stengen ins Schiff. es wirkt aus der Fer-ne kaum spektakulärer als der alljährliche krantermin einer 40-Fuß-Fahrtenyacht.

    dann verholt die Werft ihr vielleicht wichtigstes Werk wieder in die unsichtbarkeit, legt „Germania nova“ von land her fast völlig verborgen zwischen einen Versorger und eine aufgepallte Motoryacht. dort wird sie bleiben, bis im Mai die Abnahme ansteht. Zutritt strengstens verboten. Fo

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    Kennzeichen „Nova“. An Backbord verrät der Plattenanker die Replik. Auf Krupps Rennyacht blieb die Klüse leer

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    Bauplatz Marin. Ende April fehlten nur noch die Dacronsegel. Und letzter Schliff an wie unter Deck

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    Rainer Hantke von der Projektmanagementfirma, die den bau koordiniert, erklärt die für klassiker eher unübliche Scheu mit der Vorläufigkeit des erscheinungsbildes. das deck sei unaufgeräumt, voller Provisorien. die Ziergöhl fehle. die ersten bilder, so der 70-Jährige, zeigten „eine noch unfertige“ Yacht. darauf sei unbedingt hinzuweisen.

    A lles soll perfekt werden bei diesem Schoner. Wie vor 102 Jahren, als konstrukteur Max Oertz seine ganze ingen ieurskunst und all sein Talent aufbot, um ihn zu zeich-nen. Wie auf der krupp-Werft in kiel, wo Heerscharen von Arbeitern in nur einem Jahr meisterlich hindengelten, was es so nie zuvor gegeben hatte.

    die Strenge, die Stringenz der Verantwortlichen ist kein Selbstzweck. Sie hat ein Ziel: unbedingte Werktreue. Fast meint man, es ginge den Machern um die Wahrung eines Vermächtnisses. um die unbedingte einhaltung all je-ner Standards, die „Germania“ im deutschen Yachtbau einst so weit nach oben verschoben hat.

    und tatsächlich muss man schon genau hinschauen, um den nachbau vom Original unterscheiden zu können. nur wenn man nahe genug herankommt, fallen details auf, die aus einer anderen Zeit stammen.

    die beschläge auf dem klüverbaum, die nicht wie geschmiedet wirken, sondern so makellos wie industriell in Serie gefertigt. der in Awlgrip lackierte Rumpf, der auffällig glänzt; anfangs des 20. Jahrhunderts gab es so gute Yacht-farben noch nicht. die stählernen Rumpfplatten, die derart sauber geschnitten, verschweißt und verschliffen sind, dass das Auge kaum Übergänge auszumachen vermag. das Holz der Masten, blöcke und Aufbauten, das so homogen gefräst, nachbearbeitet und lackiert ist, dass man schon auf die Pati-na hofft, die erst viele Seemeilen bringen werden.

    und dann natürlich das Grundgeschirr. Am backbord-bug fährt die „nova“ auf Geheiß des Germanischen lloyd, der sie abgenommen hat, permanent einen Anker – der au-genfälligste unterschied. bei ihrem Vorbild dagegen blieb die klüse frei; die krupp’sche Rennyacht hatte nur einen ein-fachen Admiralitätsanker, der an deck gelascht war.

    Ansonsten aber sieht die Replik von Marin aus wie eine Zwillingsschwester des kieler Originals. „Sie werden keinen unterschied erkennen“, meint der Projektleiter fast beiläufig. es könnte auch unbescheiden rüberkommen. Aber Rainer Hantke ist kein Aufschneider. Auf seine leise, vorsich-tige, fast nervöse Art ist er einfach nur stolz auf diesen be-sonderen bau.

    bis weit in die Spezifikation hinein, teils bis auf den letzten Zentimeter, entsprechen sich die boote. länge, brei-te, Masthöhen, Takelage – die Übereinstimmung ist nahezu 100-prozentig (s. technische daten S. 32). Wo es Abweichun-gen gibt, in der Größe der Aufbauten und Skylights etwa, bleiben sie unsichtbar geringfügig.

    das ist umso bemerkenswerter, als es für den nach-bau keine Original-unterlagen gab. der nachlass von Max Oertz gilt als verschollen. Anders als bei Repliken wie den Herreshoff-Schonern „eleonora“ (ex-„Westwood“) und „ele-na“, wo sämtliche Zeichnungen vorlagen, stand am Anfang des „Germania“-Projekts zunächst die Suche nach konstruk-tionsplänen, Stücklisten, Skizzen, bilddokumenten. eine wo-chenlange Recherche.

    nur fragmentarisch vorliegende daten mussten nach und nach komplettiert werden. in Archiven wie dem der YACHT und der englischen „Yachting Monthly“ fanden sich Risse und ein Segelplan – stark verkleinert, mäßig reprodu-ziert, aber immerhin.

    Auch die Spezifikation und Riggmaße ließen sich so weitgehend erschließen. Alte Fotos wie jene aus dem Album vom bau der „Germania“ halfen beim detailstudium. Außer der krupp-Stiftung verfügt nur das interessenten zugäng-liche Privatarchiv des Wiesbadener Sammlers Volker Christ-mann darüber. eine wichtige Quelle.

    der enkel von Max Oertz, Matthias Oertz, Architekt in Hamburg, war dem Vernehmen nach ebenfalls in das Pro-jekt involviert. Ja, selbst das Modell des Schoners, das in der Villa Hügel in einer Glasvitrine ausgestellt ist, wurde zu Re-konstruktionszwecken herangezogen. Man hört, dass das Haus krupp, namentlich in der Person des nachlassverwal-ters berthold beitz, nicht eben amüsiert gewesen sein soll.

    „ i C H Ü b e R F Ü H R T e M i C H S e l b S T dA b e i , W i e l e i C H T d e R G R O S S e S C H O n e R Au F d e M R u d e R l i e G T “ e R n S T i lG e n S e e, YAC H T - R e d A k T e u R , n AC H e i n e M P R O b e S C H l AG 1909

    Mächtiges Potenzial. „Germania“ messerte wie keine Zweite durch die See. Zahlreich waren ihre Regatta-Erfolge

    Gewaltige Dimension. 1907 gab es im Kaiser-reich keine Erfahrung im Bau vergleichbar großer Yachten. Die Replik dagegen ist routiniert geschweißt

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    die Fertigung im Ausland ist nicht das einzige, was die „nova“ von „Germania“ unterscheidet. unter deck und im Verborgenen hat sich manches verändert.

    das kajütlayout zum beispiel. niemand braucht mehr Rohrkojen für 20 Mann Freiwache, weil die Crewstärke auf ein drittel geschrumpft ist. eine eislast für die kühlung von lebensmitteln und Getränken wäre ebenfalls ein Anachro-nismus. Jetzt gibt es riesige kühl- und Gefrierschränke. kli-maanlagen im ganzen Schiff – Technik, die erst drei Jahre nach dem Stapellauf der krupp-Yacht erfunden wurde. es gibt re dundante bordelektrik und navigationselektronik, ein ausfahrbares bugstrahlruder, drei Generatoren und natür-lich einen Schiffsdiesel. das Original wurde noch unter Se-geln an seine boje auf der kieler Förde dirigiert. undenkbar heute. immerhin ist die Maschine mit 408 PS ausgesprochen klein dimensioniert, was für die effizienz von Oertz’ linien spricht. ihre belüftung versteckt sich unter Skylight-Gittern.

    Ventis und braskers, zwei Spezialbetriebe aus Hol-land, haben Masten, Spieren und blöcke geliefert. durch ihre Hände und über ihre Werkbänke gingen alle Riggs für die großen Schoner-Repliken der vergangenen Jahre, zuletzt „Atlantic“ (classic 1/08), nun „Germania“. Anders als anno 1908 sind die Masten hohl verleimt statt aus vollen Stämmen gehobelt. bei der „nova“ sorgt das gewichtsoptimierte Rigg für wertvollen Spielraum bei der Ausrüstung. Weil der Schwerpunkt durch die leichteren Masten nach unten wan-derte, braucht sie bei gleicher Stabilität erheblich weniger ballast. das erklärt auch, warum sie trotz der vielen kom-fort-Accessoires insgesamt kaum mehr verdrängt als ihr Vorbild – 260 statt 250 Tonnen.

    Selbst die Segel bringen Gewichtsvorteile. beim Ori-ginal waren sie noch aus baumwolle gewirkt. eine last von mehreren Tonnen, bei nässe kaum zu bändigen! um des hohen Recks Herr zu werden, mussten sie bisweilen schon nach kurzem einsatz aufgetrennt und neu nachgenäht wer-den. „Germania nova“ dagegen fährt dacronsegel – das am engsten mit Mako verwandte, weil ebenfalls gewebte Tuch. Zwar wiegt das Groß noch eine halbe Tonne, ohne Gaffel und Mastringe. Aber das ist vergleichsweise wenig. und zum Setzen gibt es ja nun hydraulische Fallwinden. ein lu-xus, den der ur-Schoner seiner Crew gänzlich vorenthielt.

    Gebaut wurde das Stell nur eine Stunde entfernt von der Werft bei north Sails Spanien – „mit sehr, sehr viel Auf-wand“, wie ein Segelmacher sagt. Zehn Mann waren mit dem Projekt wochenlang ausgelastet, obwohl zunächst nur die Amwind-Garderobe, ein ballonsegel und zwei Fisherman abzuliefern waren, etwa 2500 Quadratmeter alles in allem. „Wir haben zum Teil nach alten Fotos gearbeitet. Profil,

    bahnverlauf, nahtbild und Ausrüstung sollten so authentisch wie möglich sein.“

    in klassikerkreisen wird auf so großen Schonern bei Regatten durchaus schon mal laminat gesetzt. Stilbruch, meinen Puristen. konsequenz, sagen Pragmatiker und argu-mentieren, dass die alten eigner weiland auch nur das beste bestellten, was es für Geld zu kaufen gab. Für die „nova“ sind Hightech-Segel aber allenfalls eine Option, sollte das boot später ernstlich um die Tonnen geprügelt werden und Siege einfahren müssen. immerhin verpflichtet der Oertz-Riss zu standesgemäßen Resultaten. damit hat er einst ja auch auf sich aufmerksam gemacht.

    S chon bei seinem debüt überzeugte er. es ist der 26. Juni 1908. ein strammer nordwest bürstet die Ostsee. die Öffentlichkeit blickt gespannt auf die kieler Woche, wo der Schoner zum ersten Mal antreten soll. Zum eintrimmen blieb wenig Zeit. kurz vor der Wettfahrt verlassen die letzten Hand -werker das boot. Vom kommando „Segel setzen“ an dauert es 40 Minuten, bis die gewaltigen Tücher stehen. Allein 470 Quadratmeter misst das Groß. Jede Hand der 31 Mann star-ken besatzung muss mit ran, selbst der koch. kapitän love-less, ein schneidiger brite, entscheidet sich trotz des starken Windes für den großen Vierkantvortopp, lässt Vollzeug se-geln. die Männer – bezahlte Yachtmatrosen, die ihr Hand-

    werk verstehen – arbeiten emsig. die nötige Routine jedoch haben sie noch nicht.

    in „Germanias“ klasse gehen an diesem Tag noch „Meteor iii“ von kaiser Wilhelm ii. und „Hamburg“ an den Start, die Yacht des norddeutschen Regatta-Vereins. Pünkt-lich donnert der Schuss. die Hanseaten übernehmen sofort die Führung, gefolgt von „Meteor“; „Germania“ startet spät. „diese Reihenfolge änderte sich jedoch schnell“, schreibt die YACHT später. An der Wendemarke vor Fehmarn liegen die drei kontrahentinnen nur 45 Sekunden auseinander. Auf der kreuz zurück nach kiel zieht „Meteor iii“ allmählich davon. Sie holt den Tagessieg. die eigentliche Überraschung aber liefert die debütantin. Obwohl ihre Segel noch nicht recht stehen, kann sie deutlich mehr Höhe laufen. in eingesegeltem Zustand, so scheint es, müsste sie haushoch überlegen sein.

    Seine Majestät geht der Sache am zweiten Regattatag höchstselbst auf den Grund. laut logbuch hat er am 28. Juni die Ruderführung auf „Germania“ inne. es schadet nicht. der kaiser versegelt sein eigenes boot und die „Hamburg“ gleich mit. die näheren umstände sind nicht überliefert, in der YACHT allerdings gibt sich der berichterstatter Mühe zu betonen, man habe auf den unterlegenen Schonern alles ver-sucht, sich der neuen Rivalin zu erwehren. Vergeblich!

    die dritte Wettfahrt, kiel–eckernförde, wird am 30. Juni vollends zum Triumphzug für die novizin von Max

    „ ‚ G e R M A n i A‘ H AT S i C H b e i J e d e M W e T T e R u n d i n J e d e M WA S S e R A l S G u T e S FA H R Z e u G G e Z e i G T “ YAC H T 2/1909 Ü b e R d i e e R S T e R e G AT TA S A i S O n d e S S C H O n e R S

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    Magischer Moment. Der makellos glatte Nachbau vor dem Stapellauf. Nur die Ziergöhl fehlt noch

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    „Germania“ „Germania Nova“Baubeginn/Fertigstellung. . . . 1907/08 . . . . . . . . . . . . 2008/11 Länge über alles . . . . . . . . . . . . . . 60,40 m . . . . . . . . . . . . 60,40 mLänge über Deck . . . . . . . . . . . . . 47,21 m . . . . . . . . . . . . 47,20 mLänge Wasserlinie . . . . . . . . . . . . 32,94 m . . . . . . . . . . . . 33,00 mBreite über alles . . . . . . . . . . . . . . . 8,16 m . . . . . . . . . . . . . . 8,10 mTiefgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5,41 m . . . . . . . . . . . . . . 5,41 mVerdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 t . . . . . . . . . . . . . . . . 260 tBallast/-anteil. . . . . . . . . . . . . . 87 t/35 % . . . . . . . . . . 55 t/21 % Segelfläche am Wind . . . . . . . . 1313 m2 . . . . . . . . . . . . 1300 m2Segeltragezahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5,7Segeltuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . Baumwolle . . . . . . . . . . . . . DacronHöhe Großmast mit Stenge . . 42,66 m . . . . . . . . . . . . 42,66 mHöhe Schonermast m. Stg. . . 40,66 m . . . . . . . . . . . . 40,66 mÜberstand Klüverbaum . . . . . . . . 8,25 m . . . . . . . . . . . . . 8,25 mLänge Großbaum . . . . . . . . . . . . . 26,00 m . . . . . . . . . . . . 26,00 mRumpf. . . . . . . . . . . . . Stahl, glattgenietet . . Stahl, geschweißtMasten/Klüver . . . . . . . . . . . Oregon Pine . . . . . . . Oregon PineSpieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spruce . . . . . . . . . . . . Spruce Deck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . White Pine . . . . . . . Burma Teak Winschen (mechan./hydraul.). . . . keine . . . . . . . . . . . . . . . . 6/11Hauptmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . keine . . 300 kW /408 PSGeneratoren/Leistung . . . . . . . . . . keine . . . . . . . . . 3/110 kW Frischwasser. . . . . . . . . . . . . . . unbekannt . . . . . . . . . . . . . 9000 lWatermaker (Kapazität/Tag) . . . . . keine . . . . . . . . . . . . . 6200 l Kapazität Dieseltanks . . . . . . . . . . . keine . . . . . . . . . . . 13 300 l Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Gäste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 . . . . . . . . . . 10 plus 2 Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704 024 Mark . . ca. 30 Mio. Euro

    Den Segelplan der „Germania“ finden Sie auf Seite 40

    d arf man so etwas überhaupt: ein boot dieser bedeutung einfach kopieren? ist es nicht Anmaßung, ideenklau, ei-ne unautorisierte Wiederverwertung? Oder muss man den nachbau vielmehr als eine Art nautische denkmalpflege ver-stehen, als Huldigung an den konstrukteur, den eigner, die ganze wundervolle Ära der alten Rennschoner?

    darüber mag es geteilte Ansichten geben. Fraglos aber wird „Germania nova“ die klassikerszene bereichern. Zumal hierzulande, wo boote dieses kalibers bisher völlig fehlten. Zumal yachthistorisch, weil Repliken selten mit so hohem Anspruch an die Authentizität angegangen werden.

    der eigner wollte eigentlich sogar in deutschland fertigen lassen, wie weiland krupp. der Preis, so heißt es, sei „zweitrangig“ gewesen. es fand sich zum Zeitpunkt der Ausschreibung, als das Wort „Finanzkrise“ noch nicht zum allgemeinen Sprachschatz zählte und die Werften voll aus-gelastet waren, jedoch kein heimischer bauplatz. So kam die Factoria naval de Marin zum Zug – allenfalls insidern be-kannt, nach der Rekonstruktion von „elena“ 2002 jedoch ar-riviert in der Wiedergeburt von Schonern dieses Formats.

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    Oertz’ Reißbrett. Wieder läuft „Germania“ klar vor der kon-kurrenz ins Ziel. das Volk jubelt. noch am selben Abend be-stellt der kaiser eine neue „Meteor“ – zu zeichnen von Oertz, zu bauen von krupp.

    b egonnen hat diese erfolgsgeschichte mit einer Hochzeit. Wilhelm ii. persönlich soll sie eingefädelt haben. Zusam-mengeführt werden, man schreibt das Jahr 1906, der lega-tionsrat dr. iur. Gustav Georg Friedrich Maria von bohlen und Halbach und bertha krupp – seit dem Tod ihres Vaters Friedrich Alfred vier Jahre zuvor die Alleinerbin des gleich-namigen Stahl-imperiums in essen.

    das kaiserreich ist damals eine von Hierarchien ge-prägte, in sich stabile Welt. der 47-jährige Monarch regiert bereits seit 20 Jahren. ebenso lange hat er die nach der Reichsgründung 1871 entstandene kriegsmarine zu seiner größten leidenschaft und kiel zu deren wichtigstem Stütz-punkt erklärt. Hier beginnt mit dem 1895 eröffneten kanal der strategisch bedeutsame Weg von der deutschen Ostsee-küste an die elbmündung. Hier dröhnen die niethämmer der Werften, weil das Flottengesetz von 1898 zu einer giganti-schen bautätigkeit geführt hat. und hier findet noch eine Sa-che statt, die sich von Politik und Gesellschaft jener Zeit nicht trennen lässt: Segelsport.

    im Jahr 1906 dirigiert Wilhelm ii. bereits seinen drit-ten big-Class-Schoner „Meteor“ auf der durch den kaiser-lichen Yacht Club ausgerichteten kieler Woche. Viel konkur-renz hat er nicht. in „Schoner-kreuzer-klasse A“ startet allen-

    falls eine Handvoll Yachten. das stärker noch betrauerte di-lemma aber: Alle boote kommen aus dem Ausland, das des kaisers inklusive. ein Stachel, der tief sitzt.

    Zur gleichen Zeit in essen. Auf der Villa Hügel taucht Gustav krupp von bohlen und Halbach in ein ihm fremdes Metier ein. der neue Hausherr, von den Chronisten als über-durchschnittlich intelligent und fleißig charakterisiert, findet schnell eine idee, wie er sein Profil schärfen kann. denn es gibt eine vakante Facette aus dem reich gefüllten leben des verstorbenen Schwiegervaters zu besetzen: das Segeln vor kiel und die damit einhergehenden geschäftlichen und ge-sellschaftlichen kontakte.

    der neue krupp erkennt das und engagiert für seinen eintritt in den Segelsport den namhaftesten deutschen kon-strukteur jener Tage, Max Oertz. Sein Auftrag lautet: eine Yacht, die der „Meteor“ nachjagen könne, anders als der Schoner des kaisers aber „deutsch vom kiel bis zum Flag-genknopf“ sein solle. die erstleistung aus kruppstahl, noch dazu „Germania“ getauft, hätte man auch als unverfroren-heit verstehen können. diplomatisch daran war lediglich die Geste, nicht größer zu planen als die aktuelle „Meteor iii“.

    Gustav krupp hat Glück. Sein Schoner ist nicht nur schnell. er wirkt identitätsstiftend. der nationale kompe-tenzbeweis, den die Yacht darstellt, begeistert den kaiser derart, dass seine Freude darüber die erlittenen niederlagen durch „Germania“ überstrahlt.

    es gab durchaus Gründe, warum sich zuvor weder Werften noch konstrukteure an den bau eines großen Renn-

    Der Schoner war trotz seiner Bestimmung für die Regattabahn kommod eingerichtet, die Polster mit grünem Leder bezogen – ein früher Cruiser/Racer

    Im sogenannten Damensalon stand ein Piano. Die Galley musste auf See bis zu 40 Mann versorgen

    Der Nachbau verfügt über ein völlig anderes Kajüt -layout und allen Komfort. Nur der Stil ist ähnlich

    schoners gewagt hatten. Für potenzielle Auftraggeber war es mindestens unwahrscheinlich, wenn nicht unvorstellbar, dass ein solches Projekt in deutschland quasi aus dem nichts realisierbar sei. der adlige krupp sah das anders. er ging ein kalkuliertes Risiko ein. in der Tat waren weder Max Oertz noch die Werft, die ja bedeutend größere Marineeinheiten baute, neu im Geschäft. dennoch gaben die dimensionen und der Anspruch des Projekts gleich mehrere Rätsel auf.

    da war zunächst die konstruktion selbst. Oertz setzte auf die erfolgsrezepte seiner kleineren Rennyachten: kurzer kiel, tiefer ballast, geringe benetzte Fläche, aus bootsbaue-rischer Sicht eine Herausforderung. nicht umsonst wurden die Schoner der konkurrenz auf lange kiele gelegt – man konn te sie darauf bauen und zu Wasser lassen. Oertz aber schaute nicht bei amerikanischen und britischen konkurren-ten ab. er war ingenieur, wollte neues erfinden.

    der tief angebrachte ballast stellte besondere Anfor-derungen an die Festigkeit des Rumpfes. die Steven wurden schließlich geschmiedet, die Sponungen für die Außenhaut eingefräst, die beplankung glatt genietet und mittschiffs mit kimmstringern versteift. das Rückgrat bildete ein ausgeklü-geltes Spantengerüst. kopfzerbrechen bereitete der bleikiel. es ging um die befestigung von nicht weniger als 87 Tonnen Außenballast, unbekanntes Terrain damals. das blei wurde schließlich in Segmenten gegossen, die durch eine kompli-zierte konstruktion unter dem Rumpf zu halten waren.

    Trotz der bestimmung für Wettfahrten: beim innen-ausbau des Schiffes sollte es an nichts fehlen. „die Polster-

    möbel in dem gemütlichen und überraschend geräumigen Wohnzimmer sind mit jenem lindgrünen leder überzogen, dessen Ton an das licht durchlassende Grün junger buchen-blätter erinnert“, beschrieb die YACHT 1909 den eindruck unter deck. „die große Gästekabine ist mit einem doppel-waschtisch, jederseits einem Sofa und einer koje sowie reich-lichen Gelassen und Spinden versehen und verfügt über eine abgeschlossene badekammer mit W.C.“ ein Horror für den konstrukteur, dessen Arbeit ja nicht nach Wohnlichkeit, son-dern an späteren Rennerfolgen bewertet werden würde.

    e nde April in Vigo. die tiefstehende Sonne taucht das Werftareal in warmes licht. Abends um halb acht herrscht immer noch emsiges Treiben an bord. eine große kreissäge kreischt an deck, Paletten voller Holzleisten dane-ben. die Schanz ist außenbords mit Maskierband und Papier abgeklebt, letzte lackierarbeiten stehen an. Auch von unter deck dringen die Geräusche von Akkuschraubern, Hämmern herauf, ab und an ein lauter Fluch. Premierenfieber.

    Wenn die Tests Anfang Mai abgeschlossen sind, geht der Schoner in See. Über Gibraltar ins Mittelmeer, wahr-scheinlich Monaco. Ob der Oertz-Schoner je in seiner alten Heimat aufkreuzt? nächstes Jahr wird der ehemals kaiser-liche Yacht Club 125 Jahre alt. die kieler Woche wäre die perfekte bühne für die perfekte Replik.

    lasse Johannsen, Jochen Rieker

    Teil II des „Germania“-Spezials ab Seite 36: Die Schoner-Klasse

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