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04 SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL Geschichte auf Schienen Ein Ahrensburger Eisenbahnfan will den Regierungszug der ehemaligen DDR wieder zum Rollen bringen. Ehrgeiziges Projekt: Der Ahrensburger Axel Zwingenberger möchte Teile des Regierungszuges der ehemaligen DDR für kulturelle Zwecke nutzen. FOTOS: RÜSCHER

Geschichte auf Schienen

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04 SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL

Geschichteauf Schienen

Ein Ahrensburger Eisenbahnfan will denRegierungszug der ehemaligen DDR

wieder zum Rollen bringen.

Ehrgeiziges Projekt: Der AhrensburgerAxel Zwingenberger möchte Teile des

Regierungszuges der ehemaligen DDR fürkulturelle Zwecke nutzen. FOTOS: RÜSCHER

Freitag, 2. Oktober 2015 05

VON MANFRED RÜSCHERZugegeben: Die Sache klingt abenteuerlich.Oder wie würden Sie es nennen, wenn je-mand in der Familie sagt: „Ich kaufe einenZug?“ Keine Spielzeugeisenbahn, sonderneinen richtigen Zug. Tonnenschwer, rostig,zum Teil geplündert, Graffiti an den grünenSeitenwänden – also nicht im allerbestenZustand. Und überhaupt: Was macht mandamit? Der in Ahrensburg lebende Boogie-Woogie-Pianist Axel Zwingenberger tat ge-nau das. Er suchte in jedem WinkelDeutschlands nach den Waggons des Regie-rungszuges der ehemaligen DDR – und erwurde fündig.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung(die morgen gefeiert wird) soll der Regie-rungszug wieder Fahrt aufnehmen. Nichtsofort und nicht komplett, aber der Plansteht. „Klar, das ist schon etwas verrückt“,sagt der Eisenbahnfan Axel Zwingenberger.„Aber geschichtlich und technisch ist dasein einzigartiges Denkmal, diesen Zug gibtes nur ein einziges Mal.“ So sieht das auchdie Deutsche Stiftung Denkmalschutz, de-ren Treuhandstiftung „Kultur auf Schie-nen“ die in Sachsen-Anhalt beheimateteSammlung historischer Schienenfahrzeugefachkundig betreut.

Die Deutsche Bahn hatte nach der Grenz-öffnung wenig Interesse am Erhalt der Wa-gen, sie sollten verschrottet werden. „Ichhabe ein Kaufangebot gemacht, wurde aberzunächst von einem Schrotthändler über-boten. „Durch Zufall habe ich wenige Tagevor der geplanten Verschrottung davon er-fahren und mein Angebot nachgebessert“,lächelt der Musiker. „Das war wirklichknapp, der Zug wäre sonst für immer ver-schwunden.“ Die Wagen standen unter an-derem auf abgelegenen Bahnhöfen, in ei-nem Munitionsdepot bei Torgau und aufdem Fliegerhorst Erding bei München.

Inzwischen gehören Zwingenbergermehr als 25 der in den 60er Jahren gebauten

Eisenbahnwagen: Salonwagen, Schlafwa-gen und Spezialwagen aller Art. Nicht nuraus dem Regierungszug (auch Staatszug ge-nannt), sondern auch aus dem Führungs-zug des Ministeriums für Nationale Vertei-digung der DDR und dem Führungszug desMinisteriums für Verkehrswesen der DDR.

Das SH Journal durfte die Wagen exklu-siv besichtigen und fand Bemerkens- undSehenswertes: Beleuchtete Kartentische imStabswagen oder große, hellgraue „zwei-sprachige Schreibmaschinen“ für Deutschund Russisch im Nachrichtenwagen der frü-heren NVA. Die Schreibkraft tippte wie ge-wohnt, durch das Umlegen eines Hebelswurden die Buchstaben automatisch in ky-rillischer Sprache gesetzt. Fast jeder Wagenhat eine eigene, mehr oder weniger großeBordküche, selbst die Gepäckwagen bieteneine Kochgelegenheit. Kurios ist auch derAutotransportwagen: Äußerlich ein norma-ler D-Zugwagen, hat der Waggon innen

Platz für zwei hintereinander parkendeStaatslimousinen. Die Stirnwand wurdeseitlich weggeklappt, über zwei Rampenfuhren die Limousinen des Politbüros hin-ein. Per Handkurbel wurden die Stellflä-chen seitlich verschoben, schließlich muss-ten die Fahrer Platz zum Aussteigen haben.Übrigens: Auch Konrad Adenauers Sonder-zug hatte einen Autotransportwagen. Aller-dings fuhr der Mercedes seitlich in denWaggon und wurde auf einer Drehscheibein Längsrichtung gedreht. Ein Einzelstückist auch der Sanitärwagen: ein Mittelgangund zu beiden Seiten WC-Kabinen und Du-schen. Oder der OP-Wagen aus dem NVA-Zug mit einem komplett eingerichtetenOperationssaal.

Wer nun glaubt, der Regierungszug sei lu-xuriös ausgestattet, der irrt. Für damaligeDDR-Verhältnisse zwar komfortabel (in denBordküchen befinden sich zum Teil Gefrier-truhen und riesige Kühlschränke), >>>

Spröder Charme: Der rollende Konferenzraum für Minister undRegierungsmitglieder ist komplett erhalten. Die Stasi hatte den Wagenverwanzt.

Bemerkenswerte Technik: Auf diesen Schreibmaschinen konnteDeutsch und Russisch geschrieben werden. Durch das Umlegen einesHebels wurde die Sprache ausgewählt.

Mai 1970: Bundeskanzler Willy Brandt (links) erwartet im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe denDDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph. HESSISCHE NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE

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STRENG GEHEIMSONDERZUG VON GLEIS 49

Für die Fahrten des DDR-Regierungszu-ges gab es stets eine spezielle Dienstan-weisung, die als „Vertrauliche Ver-schlusssache“ eingestuft wurde. Sie warso geheim, dass sie auch nicht im Ver-zeichnis der Dienstvorschriften auftauch-te. Abfahrtspunkt war Gleis 49 des Bahn-hofs Berlin-Lichtenberg. Um die Sicht aufden Zug von anderen Bahnsteigen zu ver-hindern, wurde ein Zug mit Leerwagen aufdas Parallelgleis gestellt.Zum Regierungszug gehörten noch einVorzug(Salon-undGepäckwagen),der imVolksmund scherzhaft „Minenräumer“genannt wurde, und ein Nachzug (einzelneLokomotive). Die Schranken entlang derStrecke mussten zehn Minuten vor derDurchfahrt geschlossen und durftenselbst fürFeuerwehroderNotarztnichtge-öffnet werden. Die Bahntrasse musste füreine Stunde freigehalten werden, die zu-ständigen Dispatcher bekamen keine In-formationen über die Zugbewegungen.Der für den Westen wohl bekannteste Ein-satz des Regierungszuges war im Mai1970 – beim Treffen von DDR-Minister-präsident Willi Stoph und BundeskanzlerWilly Brandt in Kassel.Neben dem Regierungszug (27 Wagen)gab es noch den Führungszug des Minis-teriums fürVerkehrswesen (sechsWagen)und den Führungszug des Ministeriums fürNationale Verteidigung (NVA-Zug) mit 24Wagen. Einige Wagen waren mit Tausch-Drehgestellen ausgerüstet, sie konntenauf den russischen Breitspurgleisen ein-gesetzt werden.

>>> reiste die Staatsführung eher beschei-den per Bahn. Lediglich Echtholz-Furnierin den Schlafkabinen, Gängen und Konfe-renzräumen vermitteln eine zwar nüchter-ne, aber dennoch gewisse Behaglichkeit, et-wa im rollenden Besprechungsraum für Mi-nister und Regierungsmitglieder. WeilErich Mielke und die Stasi der eigenen Re-gierung nicht trauten, war dieser Wagenverwanzt: Zwölf Wanzen hatte die Stasi in-stalliert – und nicht wieder abmon-tiert.

Nach der Wende kam dieStunde der Plünderer: DieStaatswappen der DDR (sie-he rechts) an den Zugwändenbaute die Reichsbahn nochselbst ab. „Ich habe aus der Ei-senbahnszene zwei erwerben kön-nen und gehe davon aus, dass die auchwirklich echt sind“, sagt Zwingenberger.Verschwunden sind zum Beispiel die DR-Buchstaben (Deutsche Reichsbahn) aus Ni-rosta-Stahl und viele Einrichtungsgegen-

stände. Erhalten blieben zum Glück großeTeile des Nachrichtenwagens – russischeTechnik vom Feinsten – und die Einrichtun-gen fast aller Küchen. Auch der rollende Be-sprechungsraum ist in seinem sprödenCharme fast komplett: Schalensessel undein Konferenztisch. Ebenso blieben diemeisten Schlafabteile vollständig. Auch dieEnergieversorgung in den Maschinenwa-gen ist vorhanden, riesige Sechszylinder-

Motoren sorgten für Strom im Zug.„Die funktionieren heute noch“,

sagt Zwingenberger.Und die Lokomotiven? Der

Regierungszug wurde stetsvon zwei V 180 Diesellokomo-

tiven gezogen (neu: Baureihe118), eine aus dem Jahr 1965 hat

Axel Zwingenberger im Lokschup-pen. „Die habe ich bei einer Logistikfirma

in Dresden gefunden, leider grün und weißlackiert“, sagt der Musiker. Zurzeit be-kommt die V 118 ihre Original-Farbgebungzurück: bordeauxrot und eine beige Bauch-

binde sowie ein beigefarbenes Dach.„Die Restaurierung wird noch dauern“,

weiß Zwingenberger, der die Waggons zumTeil einer musealen Nutzung und für eisen-bahnbezogene Kulturveranstaltungen(Kultur auf Schienen) nutzen möchte. DerDenkmalbescheid des Landes Sachsen-An-halt kommt zu dem Schluss: „Als einzigar-tiges Dokument für die Tätigkeit der Regie-rung der DDR beansprucht der Zug ein öf-fentliches Interesse im Sinne des Denkmal-schutzgesetzes.“

Der Regierungszug, wie auch der NVA-Führungszug und der des Ministeriums fürVerkehrswesen, unterlagen zu DDR-Zeitenstrengsten Sicherheitsvorschriften (sieheExtra-Info). Das Personal – vom Lokführerbis zur Servicekraft im Speisewagen – be-stand zum Teil aus Stasi-Mitarbeitern, dasFotografieren des Zuges war streng verbo-ten. l

Wer mehr wissen möchte: Viele Informationen gibt esunter www.kultur-auf-schienen.de.

Für alle Fälle: Im NVA-Zug gibt es einen spartanisch ausgestatteten OP-Wagen.

Farbwechsel: Eine Logistikfirma hatte die V 180 grün und weiß lackiert (links). Nun soll sie ihreoriginalgetreue rot-beige Lackierung wiederbekommen.