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September 2019 | 4 Euro Nr. 207 Herausgegeben vom Nordfriisk Instituut 200 Jahre Seebad Wyk Seite 18 Sönke Nissen neu bewertet Seite 16 Oktoberfeste in Nordfriesland Seite 20 Geschichte der Guttempler Seite 11

Geschichte der Sönke Nissen 200 Jahre Oktoberfeste Guttempler … · 2020. 3. 17. · 2 Nordfriesland 207 – September 2019 Tourismus in NF hat Geschichte und Zukunft Im Jahre 1819

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  • September 2019 | 4 Euro Nr. 207

    Herausgegebenvom

    Nordfriisk Instituut

    Nordfriisk InstituutSüderstr. 30D-25821 Bräist/Bredstedt, NFwww.nordfriiskinstituut.eu

    C 1337 I Postvertriebsstück Entgelt bezahlt

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    200 JahreSeebad Wyk

    Seite 18

    Sönke Nissen neu bewertet

    Seite 16

    Oktoberfestein Nordfriesland

    Seite 20

    Geschichte derGuttempler

    Seite 11

  • Sanwiser – Jarling 2020 Ein nordfriesischer Kalender

    siirffrdron.wwwverlag@nordfel 04671–601TTel 04671–6012–0

    25821 Bräist/B . 30 Süderstrr. 30

    Nordfriisk

    eu.tuutitsniksfriiskinstituut.de

    12–0 Bredstedt, NF

    Instituut

    Sanwiser – Jarling 2020Fotos von Mirko HonnensKalendarium in Friesisch u. PlattdeutschHrsg. von G. Hoffmann, M. Honnens,M. Kunz14 Blätter 30 x 40 cm, 16,80 EURISBN 978-3-88007-424-8

    Die Schönheit des passenden Moments

    „Jarling“ ist Nordfriesisch und heißt„dieses Jahr“. JARLING, der Fotoka-lender aus Nordfriesland, spiegeltdie Eigenart der Region nicht nur imBild wider, sondern auch in denSprachen Friesisch und Platt-deutsch.

    „Ich hoffe, dass ich durch meine Bil-der auf die Schönheit der nordfrie-sischen Landschaft aufmerksammachen kann. Denn immer öfterbeschleicht mich dabei auch derGedanke, dass unsere Kinder undKindeskinder diese einzigartige Viel-falt so nicht mehr erleben dürfen“,so Mirko Honnens, der Fotografdes diesjährigen JARLING.

    Hoolmer Freesch (Ockholmer Friesisch)zusammengestellt von Johann-Meinert Petersenrund 2700 deutsche Stichwörter, über 3000 Beispielsätze, 239 Seiten

    Demnächst im Nordfriisk Instituut:

    BasiswörterbuchDeutsch-FriesischNordergoesharder Mundart

  • Nordfriesland 207 – September 2019 1

    Lars Harms: Tourismus in NF hat Geschichte und Zukunft 2

    Plattdeutsch-Preis für Karl-Peter Kööp 3Bahne Bahnsen im Präsidium der FUEN 3Sinti und Roma üben scharfe Kritik an SAT.1 3Sorbisch-Unterricht in Brandenburg als Wahlkampfthema 4Neuer Vorsitz bei Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 4 Uwe Johannsen gestorben 4Minderheiten ins Grundgesetz 5Neues aus dem Nordfriisk Instituut 5Ellins wäält 6Nordfriesland im Sommer 8Üt da friiske feriine 10

    Claas Riecken:Kampf dem Alkohol 11Marco L. Petersen:Schienen für den Völkermord? 16Ulrike Wolff-omsen:200-mal Badesaison 18Christoph G. Schmidt:„Ik lewe för deheer dai!“ 20Claas Riecken: Wo kommst du her? 24

    At as nimer tu leed för en iarst feer 29Faan Merle Sievers

    Witwensitze 30Bemerkenswert (und) ärgerlich 30Hinweis 30Amrumer Sklave in Nordafrika 31Ungeschönt 31Klappholttal 32Bostelmann-Film 32

    Frauen in Föhrer Tracht werden in einem Segelboot per Taudurch den Wyker Hafen gezogen. Das war der Wetteinsatz des Wyker Bürgermeisters. Siehe „Ellins wäält“ in diesem Heft.Foto: Erk RoeloffsRedaktionsschluss dieser Ausgabe: 30.8.2019

    Nummer 207von NORDFRIESLAND bietetAktuelles und Historisches, teil-weise beides zugleich. Im Juli2019 hielt der Historiker MarcoL. Petersen einen Vortrag überSönke Nissen im Nordfriisk Insti-tuut, der betroffen und nachdenk-lich machte. Bislang war SönkeNissen in Nordfriesland als eineArt „Lichtgestalt“ gesehen worden.In diesem Heft kann man Verstö-rendes über ihn lesen. Die von Syltstammende Gymnasiastin MaylisRoßberg hat 2019 einen Poetry-Slam-Text auf Dänisch verfasst. Esist eine Liebeserklärung an Sylt,Nordfriesland und das deutsch-dä-nisch-friesische Grenzland. FürNORDFRIESLAND hat sie esauf Deutsch übersetzt. UlrikeWolff-Thomsen geht auf 200Jahre Seebad Wyk ein, ebenso El-lin Nickelsen in „Ellins wäält“.Lars Harms äußert sich in seinemKommentar anlässlich des WykerJubiläums zum Thema Tourismusin Nordfriesland. Christoph G.Schmidt befasst sich, angeregtdurch Oktoberfeste vielerorts, mitdem, was an fremden Bräuchenfasziniert, und Claas Riecken be-leuchtet die frühe Geschichte derGuttempler.

  • 2 Nordfriesland 207 – September 2019

    Tourismus in NF hat Geschichte und Zukunft

    Im Jahre 1819 wurde das SeebadWyk auf Föhr gegründet. Wirkönnen also auf 200 Jahre Touris-mus in Nordfriesland zurückbli-cken. Ich möchte hier nur die letz-ten drei Jahrzehnte kommentieren– die Zeit, die ich im Tourismusund in der Politik selbst erlebthabe: Vor 30 Jahren ging es vor-nehmlich darum, die Qualität derQuartiere und die Buchungsmög-lichkeiten zu verbessern. Es solltenKategorisierungen vorgenommenwerden und die Vermieter solltensich vor allem darauf einlassen, dieeinmal erreichten Standards nichtwieder zu senken. Erst die Grenz-öffnung gen Osten und das Inter-net brachten den wirklichenDurchbruch. Die Konkurrenzstieg immens an und die neuenFerienquartiere in den neuen Bun-desländern waren nach einigerZeit besser ausgestattet als die hie-sigen. Darüber hinaus gab es nunauch weltweit agierende Bu-chungsplattformen. Konkurrenzhat hier also zum Durchbruch ge-führt.

    Gleiches gilt für die Ortsentwick-lungen. Auch hier führte die Kon-kurrenz mit den neuen Urlaubsge-bieten an der Ostsee und natürlichauch die Globalisierung im Touris-mus zu einem enormen Wettbe-werbsdruck. Orte wie St.-Peter-Or-ding oder Husum haben sich er-staunlich schnell und gut entwi-ckelt. Aber man darf nicht verges-sen, dass die eine oder andere Bau-sünde auf das Konto des Tourismusgeht. Aus den Sünden der 60er-und 70er-Jahre hat man jedenfallsnicht immer und überall gelernt.Das ist sozusagen eine der Kehrsei-ten des Tourismus.Betrachtet man die Entwicklungdes Tourismus in Nordfriesland,dann ist eine Infrastrukturmaß-nahme nicht wegzudenken: Ohneden Bau der A 23 wäre dieser Auf-schwung so nicht denkbar gewesen.Die gute Verkehrsanbindung warund ist immer noch eine extremwichtige Voraussetzung, um denTourismus überhaupt entwickelnzu können. Hinzu kommt abernoch eine andere Art der Anbin-dung, die immer wichtiger für denGast selbst, aber auch für die Be-triebe ist, nämlich die Anbindungan das Internet. Wer hier die Zeitverschläft, hat auf Dauer verloren. Es gibt aber einen Bereich, wo esimmer noch nicht durchgehend ge-lungen ist, die Probleme der Ver-gangenheit abzuschütteln. Zwargibt es viele Betriebe, die guteLöhne zahlen und gute Arbeitsbe-dingungen bieten, aber es gibt ebenauch die Betriebe, die dies nichttun. So war es schon vor 30 Jahren,

    aber so kannes nicht blei-ben. Nurwenn guteArbeitsbedin-gungen herr-schen und dieLeute ordent-liches Geldverdienen können, wird sich derTourismus in Nordfriesland weiter-entwickeln können. Das ist, wennman so will, die absolute Grundvor -aussetzung, um am Markt weiter-hin eine Chance zu haben.Wenn wir über qualitativ hochwer-tigen Tourismus reden, dann gehtes vor allem darum, Natur, Kulturund Erlebnis zusammen zu binden.Im Bereich der Umwelt ist schonsehr viel passiert und auch die kul-turellen Angebote sind vielfältig.Und trotzdem muss es weiter ge-hen. Im Fahrradtourismus gibt esriesige Potentiale. Der National-park Wattenmeer ist nicht nur einNatur-Highlight, sondern eigent-lich auch ein Weltkulturerbe mitInseln und Halligen. Und neuer-dings wird durch die zweisprachigeBeschilderung noch intensiver aufdie friesische Kultur hingewiesen.Der nordfriesische Tourismus hatalso noch Potentiale, die nur ge-weckt werden wollen – genausowie vor 30 Jahren.

    Lars Harms (MdL), Hüsem/Husum, NF

    Vorsitzender des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag,

    war von 1989 bis 2000 Leiter der Touristinformation in Heide

    Häägar

    Lars Harms

    Foto: Privat

  • Nordfriesland 207 – September 2019 3

    Plattdeutsch-Preis fürKarl-Peter Kööp

    Beim NDR-Schreibwettbewerbfür Plattdeutsch „Vertell doch mal“siegte im Juni 2019 Karl-PeterKööp aus Husum; er war einstMitarbeiter des Nordfriisk Insti-tuut. Der pensionierte Historikerund Germanist, Jahrgang 1951,

    hatte die Geschichte „Sunst nix“eingereicht. In der Erzählungtaucht der vor 30 Jahren verstor-bene Vater des Protagonisten in

    der heutigen Zeit wieder auf; vomHandy bis zur Regel, dass in derKüche nicht geraucht werdendarf, irritiert ihn so manches. Red.

    Karl-Peter Kööp

    Foto: Volkert Bandixen

    Im Juni 2019 wurdeBahne Bahnsen, Vor-sitzender der Friisk Foriining, im slowaki-schen Bratislava (Press-burg) für drei Jahrezum Vizepräsidentender FöderalistischenUnion EuropäischerVolksgruppen, FederalUnion of European Na-

    tionalities (FUEN), gewählt. Zu-gleich wurde das 70. Jubiläum derFUEN gefeiert, die 1949 vomFöhrer Dr. Frederik Paulsen mit-begründet worden war. Der am-tierende Präsident, Loránt Vincze(Ungarn in Rumänien), wurde fürdrei Jahre wiedergewählt. Ihm zurSeite stehen sechs Vizepräsiden-ten.

    Red.

    Bahne Bahnsen im Präsidium der FUEN

    Loránt Vincze, Ilse Johanna Christiansen, Bahne BahnsenFoto: Frasche Rädj

    Der Zentralrat Deutscher Sintiund Roma wirft dem Fernsehsen-der SAT.1 vor, mit seiner Doku-mentation „Roma: Ein Volk zwi-schen Armut und Angeberei“Hassrede und Gewalt gegen Min-derheiten zu schüren. Der vonSpiegel TV produzierte Filmwurde am 7. August 2019 in derReihe „Akte 20.19“ auf SAT.1 aus-gestrahlt und ist weiterhin im In-ternet zu sehen. Er diffamiere dieAngehörigen von Sinti und Roma

    „auf eine widerwärtigeund rassistische Art“.Der Zentralrat sieht denFilm in der Tradition ei-nes filmischen Mach-werks wie „Jud Süß“oder des NS-Propagan-dafilms über das GhettoTheresienstadt „DerFührer schenkt den Ju-den eine Stadt“. DenRoma würde ein Hang zu Krimi-nalität und eine Affinität zu Rat-

    ten unterstellt. SAT.1 weist dieKritik zurück. Red.

    Kann man mit einem Film ein ganzes „Volk“charakterisieren?

    Foto: SAT.1

    Sinti und Roma üben scharfe Kritik an SAT.1

  • 4 Nordfriesland 207 – September 2019

    Die Partei „Die Linke“ in Bran-denburg hat das Thema des sorbischen Schulunterrichts fürden Landtagswahlkampf aufge-griffen. Die Spitzenkandidatinder Linken zur Landtagswahl am1. September 2019, Kathrin Dan-nenberg, schloss sich den Positionen einer Elterninitiativean und fordert „geschlossene Bildungsketten von der Kita bis in die Berufsausbildung und insStudium“. Die Linke setzte Wahl-plakate auf Deutsch und Sor-bisch ein. NfI

    Nach 16 Jahren im Amt desVorsitzenden der Gesell-schaft für Schleswig-Hol-steinische Geschichte kandi-dierte Jörg-Dietrich Ka-mischke, der ehemaligeLandrat des Kreises Schles-wig-Flensburg, nicht wieder.Zu seinem Nachfolger wurde

    im Juni 2019 der ehemalige Direk-tor des Nordfriisk Instituut, Prof. Dr.Thomas Steensen, gewählt. DieGesellschaft besteht seit 1833, gibthistorische Zeitschriften, Buchrei-hen sowie Mitteilungen heraus undveranstaltet alle zwei Jahre einen„Tag der Schleswig-HolsteinischenGeschichte“. NfI

    Sorbisch-Unterricht in Brandenburg als Wahlkampfthema

    Neuer Vorsitz bei der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte

    Wahlplakate zur Landtagswahl 2019 in Brandenburg

    Foto: Die Linke

    Am 19. Juli 2019 starb Uwe ErkJohannsen, Kirchbarkau, nach lan-ger, schwerer Krankheit. Er war am31. März 1941 geboren, stammteaus Risum und war dort als jüngs-tes von neun Kindern des Land-wirts Hermann Johannsen aufge-wachsen. Seine Mutter stammtevon Föhr und brachte ihm Feringbei. Daher beherrschte er sowohlMooringer Frasch als auch Fering aufMuttersprachniveau, eine Selten-heit. Zum Studium der Fächer La-tein, Geschichte und Religion gingUwe Johannsen an die Universitätnach Kiel und studierte zunächstauf höheres Lehramt, machte dannaber das Realschullehrerexamen,zog mit seiner Lindholmer FrauBärbel, geb. Caye, nach Kirchbar-

    kau und unterrichtete im nahegele-genen Kiel. Von 1969 bis 1971 warer wissenschaftlicher Assistent ander Nordfriesischen Wörterbuch-stelle in Kiel, bevor er in den Schul-dienst ging. Sein damaliger KollegeOmmo Wilts erinnert sich an ihnals die „Seele der Wörterbuch-stelle“, weil er sprachlich absolutkompetent und von einer sehr ge-winnenden Freundlichkeit war.Durch seine familiären Kontaktesorgte Johannsen dafür, dass seinNachfolger ab 1972, Alastair Wal-ker, einen guten Start bei den nord-friesischen Gewährsleuten für seinedialektologischen Studien bekam.Zusammen mit Albert Pantenschrieb Uwe Johannsen in NORD-FRIESLAND 15/16 (Nov. 1970,

    S. 190-191) eine kritische Analysedes Friesenkongresses vom Juni desJahres in Husum. Im Nordfriesi-schen Jahrbuch 1977 erschien vonseiner Hand ein bedeutender Auf-satz über die Geschichte und Hin-tergründe der „Bohmstedter Richt-linien“ von 1926.

    Claas Riecken

    Uwe Johannsen gestorben

    Uwe Johannsen

    Foto: Privat

    Jörg-Dietrich Kamischke, Thomas Steensen

    Foto: GSHG

  • Nordfriesland 207 – September 2019 5

    Am 31. Juli endete für MarleenDölling das Freiwillige Soziale Jahr(FSJ) am Nordfriisk Instituut. Siewar in zahlreiche Projekte einge-bunden, hat Konzepte für die pä-dagogische Nutzung des NordfriiskFutuur erstellt und in den letztenMonaten intensiv am Nordergoes-harder Wörterbuch mitgearbeitet.Das Nordfriisk Instituut dankt ihrherzlich.Anne Paulsen-Schwarz hat als Ho-norarkraft damit begonnen, einenordfriesische Gebrauchsgrammatikzu erstellen. Das entsprechende Bun-desprojekt war schon längere Zeitbeantragt, im Frühsommer wurdendie Mittel für das laufende Kalender-jahr freigegeben. Zu ihrer Unterstüt-zung hat das Instituut mit Johanna

    Gregersen erst-mals eine studen-tische Hilfskrafteingestellt, undab Septemberwird auch dieLeipziger Lin-guistin Lena Ter-hart mitarbeiten.Im Sekretariatübernahm imJuli KatrinHochgesang dieElternzeitvertre-tung für EllenFrömming; sieist zuständig fürden Bereich Ver-lag und Vertrieb.

    cgs

    Die Ministerpräsidenten von Schles-wig-Holstein und Sachsen, DanielGünther und Michael Kretschmer(beide CDU), haben Mitte August2019 angekündigt, sich mit einergemeinsamen Bundesratsinitiativedafür einzusetzen, dass die vier an-gestammten Minderheiten undVolksgruppen in Deutschland durch

    das Grundgesetz geschützt werden.Es handelt sich dabei um Dänen,Sorben, Friesen sowie die DeutschenSinti und Roma. Bei den Minder-heiten und Volksgruppen gab es da-für Zustimmung, so auch in einemKommentar von Prof. Dr. JørgenKühl, Europa-Universität Flensburg,in Flensborg Avis.

    Die Sorben waren als nationaleMinderheit seit 1968 von der DDR-Verfassung geschützt gewesen. Die-ser Schutz auf gesamtstaatlicherEbene entfiel 1990 bei der Wieder-vereinigung; die Minderheiten derDänen, Friesen sowie der Sinti undRoma hatten diesen Schutz in deralten Bundesrepublik nie erhalten.Die parlamentarische Hürde isthoch: eine 2/3-Mehrheit sowohl imBundestag als auch im Bundesrat isterforderlich. Immer wieder gab esvergebliche Vorstöße der Minderhei-ten, eine Verankerung im Grundge-setz zu erreichen, zuletzt 2018 vomSSW mit einem Antrag an die Lan-desregierung Schleswig-Holsteins,sich im Bundesrat darum zu bemü-hen. Damals warnte der SSW davor,dass die AfD eine Grundgesetzände-rung anstrebe mit dem Passus,Deutsch als einzig zulässige Landes-sprache Deutschlands festzuschrei-ben. Damit würden alle Landesge-setze zur Förderung von Regional-und Minderheitensprachen inDeutschland verfassungswidrig, gabLars Harms (SSW) im Jahre 2018zu bedenken.

    cr

    Minderheiten ins Grundgesetz

    „Den Völkern und Volksgruppen Deutschlands“ wäre eine bessere Über-schrift am Reichstagsgebäude. Dort steht: „Dem Deutschen Volke“.

    Foto: WikiCom

    mons

    Marleen Dölling, Franziska Böhmer und Christoph G.Schmidt (rechts) 2018 zu Besuch bei Hans WernerPaulsen (Mitte) in Fahretoft.

    Neues aus dem Nordfriisk Instituut

    Foto: Claas Riecken

  • 6 Nordfriesland 207 – September 2019

    200 juar Hauptstadt Wyk

    „Mensk dü, diar heest wat ferpaa-set. A Wik hee feiert, 200 juar „See-bad“! Huaram wiarst dü goor eidiarmad, beest dach ölers leewen sotrau ferbünjen. An feire meest dachuk hal!“ – Dön tau seed an slaketen fein Walli-Is an luket ütj auer astrunkurwer föörbi a musiikpawil-jong. „Dü, iarelk saad, ik haa detgoor ei so rocht mäfingen. An dowiar det weder uk noch so en betjgremelig, diar haa ik mi a Wik detwegaanj ei uunden an san leewer enweg leeder tu’t Holi-Beach-Partygingen. Wat wiar do so apartig fölluas det weg tuföören?“ – „Dü leestuk nian bleed, ei woor? Faan a 15.–21. jüüle wiar det Seebad-Jubiläumbi a Wik an a trachtensköölen faanFeer hed en weed luupen mä a Wi-ker büürföögels, dat jo muar üüs200 wüfen uun fering tu a Wikskaafe küd. An muar noch – datdöndiar sköölen uk noch tup a Fle-

    dermüs-Quadrille daanse wul. Heer,üüb a Sunwaal, bi a Pavillon.“„Och jä, det mut jo en bilj weesenhaa, wat ham so gau ei welerschocht. Ik kön mi det rocht so föör -stel, wat en fein bilj det as: auer 200wüfen uun üüs smok fering. Diarkön ham det skäält bi a A 7 ooberbeeft fersteeg. An, sai uun: haa jodet weed do wonen?“ – „Uha, anhü – tu letst skul’s aphual mä’t tee-len, auer jo bluat 240 ruusen besu-rigt hed för dön wüfen. A feringwüfen haa ei bluat at weed wonen,jo haa uk noch a Wik wiset, dat gitspiinelk as!“, hööget ham det ian. „Atrachtenferianer gung diarfaan ütj,dat at 299 wüfen uun fering wiar:jongensfering, söndais-fering, fest-tracht an uk maningen uun klee-ten, wat jo efter ual biljen neiütjseid haa. Det wiar en stood, walik di sai.“ – „Och mensk, det spiitmi nü oober, det hed ik dach halsen. Arke dracht as jo gans wataanjs. Ik liaw ei, dat at tau likede-nigen jaft. Wat en woner, dat diarnoch so fölen faan Feer lun det tu-rocht fingen haa, jo för dediar daiuuntutjin. För’t fering brükst josaacht en halper, an wan a kluaseral wat linger lei, skal det salwerrensket, at skorluk pletet an at hals-an braanjduk nei buid wurd. Det asei am letjet, wat a wüfen diar üübjo nimen haa. Piinelk, wan’s do eiens för arke en ruus hed an do uk

    aphääl tu teelen – so üüs wiar’s eimuar wäärt, widjer tu teelen, knaapdat det weed wonen wiar. Diarbiwiar det weed jo iantelk en albernsaag, det würtelk grat ding wiar’t jo, dat diar so’n bruket skööl tupkaam tesk at gewicht an a tank-steed.“„Oober jo haa en weed wonen!Diar as dach was wat uun a pot ki-men för a ferianer, dan a Wik heedach was en seeker en betj watspring leet, wan diar so föl meut amdet fest den wurd, wat jo muar aWik wat uungungt.“„Na, wat spring leet – det wel widach leewer ei so gratem sai. Detweed wiar iarer so „sportelk“. Jil heeat steed jo ei, man stark maaner. Anso haa a büürföögels an noch högölern üüs wanst uunbeeden, aaldön wüfen üüb en buat mä entuum auer de ual huuwen tu tjin.So tu saien en „freikoord“ för en te-melk letj Hafenrundfahrt faan auaster tu a waaster kaaje.“ – Jo ska-bet bialen luas bi de toocht. Dehuuwen tesk reederei an Heimatha-fen as nü wooraftig ei briad.

    Ellin Nickelsen, die von Föhr stammtund in Lüneburg im höheren Schul-dienst tätig ist, schreibt zumeist hu-moristische Betrachtungen in ihrerMuttersprache Fering. Diesmal gehtes um die Feierlichkeiten zum 200.Jubiläum des Seebads Wyk auf Föhrim Sommer 2019.

    Der Wyker Bürgermeister wettete, dass keine 200 Frauen in Föhrer Trachtnach Wyk kommen würden. Es kamen 299.

    Fotos (3): Erk Roeloffs

    Foto: Privat

  • Nordfriesland 207 – September 2019 7

    „An gans fein wiar uk noch, dat atrachtensköölen a Fledermüs-Qua-drille faan Strauß iinööwet an detüüb a Sunwaal daanset haa.“ –„Uha, a Fledermüs-Quadrille – detas ei ianfach. Schocht ianfach ütj,man det üüb a rä tu fun ... Ik mutsai, det as mä alerhant ööwin fer-bünjen. Hed’s do en gud kapeldiarbi – det stak wiar dach jüst döndiar daar uk apfeerd wurden, so heda wüfen dach was en fein orkester.“– „Teenk dach ei diaram! För a fe-ring wüfen lingd a „konserven“ –det wiar uk dach bütjen an muarwat tu lukin för a baaselidj. Ooberik mut sai, jo haa det fein daanset– a Quadrille paaset gud tu’t fering,an wan det soföl smok wüfen uuna rä daanse – diar komt en ameri-koonsken Line-Dance ei mä.“„Jawel, man det wiar dach uk entoocht weesen – uun a letst 200juar san so föl feringen ütjwaanerdan üüsen, det witj ik noch, wiar ukföl auer tu New York tu a SteubenParade an haa diar a feringen halfertreeden, haa süngen, daanset an

    san diar üüs Ehrengäste mälepenuun a rundtsuch.“ – „Hauaha, derundtsuch – jä, de hed jo jo uknoch letst söndai.“ – „Nü oober, ikhaa en bilj uun’t bleed sen. – Diarstraald en temelk skoonken maanuun en baaseuuntuch faan dune-mals – ruad witj stripelt auer enbük üüs en tromel – trocht’t bilj.Wiar det de festrundtsuch mä atrachten – ik liaw det ei. Det wurt

    jo imer ringer. Hü neem a jong lidjdet: Fremdschämen? – Wat a lidj weltoocht haa, wat det jubiläum uun’tFernseen uun a nachrichten siig.“ –„Och, diar maage di nian toochteram. Fernseen, OK Schleswig-Hol-stein, NDR – jo wiar altumool eidiar. Haa was nian plaats muar üüba damper fingen. Of uk, jo san ian-fach ferjiden wurden.“ – „Manhat-tan – oder man hätt’n nich!“

    Das Event brachte viele schöne Bilder hervor.

    Alles drängte sich zum Hafen, als der Wyker Bürgermeister seine verlorene Wette einlöste, siehe Titelbild.

  • 8 Nordfriesland 207 – September 2019

    30. Mai – 30. August 2019

    ■ Die Husumer Marienkirchebraucht eine neue Orgel. An För-dergeldern stehen 1,2 Mio. Eurozur Verfügung. Die Orgel und derEinbau sollen aber insgesamt 1,5Mio. kosten. Um beim Aufbringendes fehlenden Betrages zu helfen,bietet der frühere schleswig-holstei-nische Ministerpräsident PeterHarry Carstensen, als gebürtigerNordstrander eng mit der Stadt Hu-sum verbunden, eine Wette an: DieHusumer sollen bis zum 30. Sep-tember pro Kopf einen Euro, also22.222 Euro dem Spendenkontohinzufügen. Falls sie es schaffen,würde Carstensen ein Husumer Se-niorenhaus besuchen und den Be-wohnerinnen und Bewohnern vor-lesen. Ein Husumer Bürger, deranonym bleiben möchte, hat zuge-sagt, den gesammelten Betrag zuverdoppeln. Spenden werden erbe-

    ten auf das Konto der Nord-Ostsee-Sparkasse, Stichwort „Orgelretten“,IBAN: DE 47 2175 0000 01061704 34. In vielen Geschäften inHusum stehen zudem Sammeldo-sen. Alt-Ministerpräsident Carsten-sen hat die Wette bei der Eröffnungder Husumer Hafentage am 15. Au-gust offiziell ausgerufen.

    ■ Die Kosten für die Unterbrin-gung und Pflege in Heimeinrich-tungen steigen deutlich. DoktorSönke E. Schulz, Geschäftsführerdes schleswig-holsteinischen Land-kreistages, wies darauf hin, dass im-mer mehr Heimbewohner oderihre Familien Sozialhilfe zur Finan-zierung ihrer Eigenanteile beantra-gen müssen. Der Kreis Nordfries-land teilte mit, dass der durch-schnittliche Eigenanteil seit 2017um 16% angewachsen sei. Die Aus-gaben des Kreises für Hilfe zurPflege stiegen binnen eines Jahresum 282.000 Euro auf über 3 Mio.Euro. Hatte der Landkreistag aufeinen zu hoch angesetzten Gewinn-anteil als Ursache für die Preisstei-gerung hingewiesen, betonten dieHeimbetreiber, dass vor allem Lohn-steigerungen, in Folge der kriti-schen Lage auf dem Pflegedienst-Arbeitsmarkt, dafür verantwortlichseien. Man wolle den Pflegekräften

    gute Arbeitsbedingungen und denBewohnern eine optimale Versor-gung gewährleisten.

    ■ Am 4. August feierte der Teten-büller Boßelverein sein 125-jähri-ges Bestehen. Den Auftakt bildeteein Feldkampf mit Boßlern aus ver-schiedenen Altersklassen und ver-schiedenen regionalen Vereinen ge-gen 40 Tetenbüller aus allen Alters-klassen. Das launige Fest bei Mu-sik, Grillwurst und Bier klang aufdem Grillplatz am Feuerwehrgerä-tehaus bei der Kirche aus.

    ■ Der Bordelumer Bürger- undHandwerkerverein sucht einenneuen Vorsitzenden. AmtsinhaberJürgen Pioch erklärte den zur Ver-sammlung erschienenen 18 Mitglie-dern, dass er nicht mehr für sein Amtkandidieren wolle. Seit drei Jahrenbemühen er und die andern Vor-standsmitglieder sich, eine Person zufinden, die bereit ist, die Verantwor-tung zu übernehmen. Bis zum Endedes Jahres fallen alle in den vergan-genen Jahren normalerweise vondem Verein organisierten Veranstal-tungen aus. Die Bordelumer Kita-Leiterin Bärbel Becker sowie Bürger-meister Peter Reinhold Petersen, dieals Gäste gekommen waren, appel-lierten an den Verein, sein umfang-reiches Know-How über seine ver-schiedenen Aktivitäten anderen inte-ressierten Vereinen und der Ge-meinde insgesamt, für die sein Wir-ken wesentliche Bedeutung habe, zurVerfügung zu stellen. Schweren Her-zens stellte Pioch die Auflösung desVereins zur Abstimmung. Für diewäre laut Satzung eine Drei-Viertel-Mehrheit der anwesenden Mitglie-der erforderlich gewesen. Es stimm-ten 13 Mitglieder für die Auflösung,drei dagegen, zwei enthielten sich.Damit fehlte eine Stimme für denBeschluss. Bürgermeister Petersen,der sich erleichtert darüber zeigte,dass der Verein noch weiter besteht,dankte allen für die geleistete Arbeitund gab der Hoffnung Ausdruck,dass bis zum Ende des Jahres eineLösung gefunden werde könnte.

    Europawahl am 26. Mai 2019 in NF

  • Nordfriesland 207 – September 2019 9

    ■ „Dieser Bau ist einMeilenstein für dieDaseinsvorsorge undfür die Lebensqualitätauf der Hallig“, sagteDr. Norbert Nieszery,Vorsteher des AmtesPellworm, bei der Er-öffnung des neuenMarkttreffs auf derHanswarft der HalligHooge, Anfang Juli.HalligbürgermeisterinKatja Just, ihr Stellver-treter Michael Klischsowie Ministerpräsi-dent Daniel Günthereröffneten den Neu-bau gemeinsam.„Wenn es den Halli-gen gut geht, danngeht es auch Schles-wig-Holstein gut“, be-tonte der Landeschef.Daher werde das Land auch weiter-hin in Hallig- und Küstenschutz in-vestieren. Land und Gemeinde ha-ben seit den ersten Planungen imJahre 2013 rund 2,1 Mio. Euro fürdas Projekt aufgebracht. Nordfries-lands Landrat Dieter Harrsen hobhervor, dass es sehr wichtig sei, dassMenschen auch künftig die Bereit-schaft aufbrächten, auf einer Halligzu leben. Mit dem Markttreff seiein wichtiger Schritt in diese Rich-tung getan. Der neue Treff bietet bisher einenLaden; geplant sind die Einrich-tung einer Krankenstation sowieRäume für kulturelle und sozialeAktivitäten und ein Hochwasser-schutzraum.

    ■ Auf Sylt wird über das Vorha-ben, unmittelbar neben dem vorge-schichtlichen Hügelgrab Deng-hoog ein Bauprojekt zu verwirkli-chen, seit geraumer Zeit heftig dis-kutiert. Anfang Juni hatte derschleswig-holsteinische Ombuds-mann für Denkmalschutz, Dr. Wil-helm Poser, Experten vom Archäo-logischen Landesamt Schleswig-Holstein, Vertreter der KommuneWenningstedt, des Kreises Nord-

    friesland, der Sölring Foriining, indessen Besitz sich der Denghoogbefindet, sowie auch des Bauherreneingeladen, um die Risiken desNeubaus für die historische Stättezu erörtern und geeignete Schutz-maßnahmen ins Auge zu fassen.Die öffentliche Diskussion über dasThema ist aber erst einmal zuEnde, denn die Teilnehmenden derBeratung vereinbarten Vertraulich-keit.

    ■ Im Rahmen einer Feierstunde inSchwabstedt erhielt der MildstedterSprachpfleger Frenz Bertram das„Grote P“, den vom Fördervein fürdas Plattdeutsche Zentrum in Leckfür besondere Verdienste um dasNiederdeutsche vergebenen Preis.Dem studierten Bauingenieur undpensionierten Studiendirektor wurdeder Preis für jahrzehntelanges Enga-gement verliehen, insbesondere imRahmen seines schriftstellerischenWirkens. Seit 1954 spielt Bertramplattdeutsches Theater, 1980 über-nahm er die Leitung der Mildsted-ter Theatergruppe. Er verfasste zahl-reiche Sketche, kürzere und längereTheaterstücke und auch plattdeut-sche Geschichten. Anlässlich der

    750-Jahr-Feier der Treenegemeindewurde auf der Freilichtbühne imSchwabstedter Nachtigallental seinStück „De gollen Ked“ uraufgeführt.Frenz Bertram ist zudem Schriftlei-ter des Heimatkalenders ZwischenEider und Wiedau und er gehört derSchriftleitung des NordfriesischenJahrbuchs an.

    ■ Das Museum Kunst der West-küste (MKdW) wurde am 31. Juli2009 eröffnet und feiert 2019 seinzehnjähriges Bestehen mit zweiAusstellungen: „10 Jahre MKdW -Meisterwerke“ (1. August 2019 bis12. Januar 2020) sowie „10 JahreMKdW – Contemporary“ (16. Juli2019 bis 12. Januar 2020). Gezeigtwerden Bilder aus den eigenenSammlungen, ergänzt durch Expo-nate aus deutschen und internatio-nalen Museen und Privatsammlun-gen. Das MKdW verfügt über eineSammlung von über 800 Kunst-werken zum Thema „Meer undKüste“ und hat bisher 75 themati-sche Wechselausstellungen gezeigt.Seit 2009 verzeichnet das Museumkonstant hohe Besucherzahlen vonbis zu 42.000 Gästen jährlich.

    Fiete Pingel/Claas Riecken

    Alte Meister und moderne Künstler, das Museum Kunst der Westküste zeigt zwei Aus-stellungen bis Januar 2020.

  • 10 Nordfriesland 207 – September 2019

    Harfsthuuchschölj –önjmalding låptE Friisk Foriining lååsit uk jarlingwi tu en harfsthuuchschölj, weer efrasche spräke önj e fokus stoont.Et gungt foon di 17. bit tu e 20. ok-toober. Deer wårt frasch, fering,

    sölring, öömrang, fräisch unti frysk snåå-ked.Et harfsthuuchschöljfant stää önj Jarplund.Heer kaame da diilj-naamere önj äinkelt-unti dööweltdörnscheuner. Et program be-stoont üt ünlike årbes-floose, weer följk watnaies liire än uk spoosheewe koon. Uk en ütfluch, enteooterforstaling än en musiikeenwårde diilj foont program weese.Följk koon uk seelew wat önjbiidjeunti en latj fordreeging hüülje.

    Mald de bai üs, wan dü en toochtehääst. For da bjarne wårt et en äinprogram jeewe. E önjmalding låptbit tu e 1. oktuuber.

    Ilwe Boysen

    Vom 19. bis 21. Juli 2019 fand inNiebüll das „7. Friesisch-Histori-sche Treyben“ an der Wehle statt,organisiert vom Verein Frisia His-torica. Wie in der Mittelalterszeneüblich setzt Nordfrieslands größtesMittelalterfest nicht in jedemPunkt auf historische Überliefe-rung, sondern vor allem auf ein Le-bensgefühl, das viele Anhänger fin-det. Neben Marktleuten, Händlernund Handwerkern stand viel Live-musik auf dem Programm, u. a. von„Frisia non cantat“, einer Gruppeum Stefan Nissen, dem Vorsitzen-den von Frisia Historica.

    Red.

    Im Juni 2019 begrüßte der Ööm-rang Ferian Mitglieder und Gästezu seiner Jahreshauptversammlung.Zugleich konnte auf 25 Jahre Be-stehen des Öömrang hüs als Mu-seum zurückgeblickt werden. DasHaus aus dem 18. Jahrhundertwird von Badegästen sehr gut ange-nommen, bildet aber auch einenKristallisationspunkt des einheimi-schen Interesses für die AmrumerGeschichte. Jens Quedens, Erster Vorsitzenderseit der Vereinsgründung 1974, dererwartungsgemäß wiedergewählt

    wurde, kündigte an,dass dies seine letz-te Amtsperiode seinwerde. Die ZweiteVorsitzende KinkaTadsen, SchriftführerBernhard Tadsen undKassenwart ChristianEngels wurden eben-falls wiedergewählt.Die fünf Bereiche desVereins 1. Natur/Landschaft, 2. Öömrang Hüs, 3. Tracht/Kultur, 4. Öffentlichkeits-arbeit/Festausschuss und 5. Spra-

    che/Schrift konnten mit vielen In-sulanern ehrenamtlich besetzt wer-den. Red.

    Niebüller Wehlentreyben

    25 Jahre Öömrang hüs

    Vom 17. bis zum 20. Oktober 2019 gibt es in Jarp -lund bei Flensburg die „Harfsthuuchschölj“.

    Trommel, Dudelsack und Horn

    Foto: Friisk Foriining

    Das Öömrang hüs in Nebel auf Amrum. VielePaare heiraten im Haus.

    Foto: WikiCom

    mons

    Foto: Frisia Historica

  • Nordfriesland 207 – September 2019 11

    Die Guttempler, die ihre Organisation heute„IOGT International“ (bis 2006: InternationalOrganization of Good Templars) nennen, wurden1851 in den USA gegründet. Man wählte damalsdie Form eines weltlichen Ordens mit Bezug aufdie mittelalterlichen Tempelritter und nannte sichab 1852 „Independent Order of Good Templars“.Der Orden wollte wie die Kreuzritter kämpfen, al-lerdings gegen den Alkohol, und wie sie Verwun-deten und Kranken helfen, in diesem Fall Alko-holkranken. Die Organisationsform als hierar-chischer Orden mit örtlichen Logen und überge-ordneten Großlogen, ranghöheren und rangnie-deren Graden und einem feierlichen Aufnahme-ritus erinnert an Freimaurerlogen, aber in diesenÄußerlichkeiten erschöpfen sich die Parallelenweitgehend. Frauen sind seit 1856 ebenso wieMänner bei den Guttemplern vertreten, Ärzteebenso wie Arbeiter. Im Gegensatz zur Mehrheitder Gesellschaft sahen sie im Alkoholismus kein„Laster“, sondern eine Krankheit. Wer das feierli-che Gelübde des Ordens ablegte – mit dem abso-luten Verzicht auf Alkohol als Kern – konnte Gut-templer werden. Die straffe Form des Ordens be-deutete für viele alkoholkranke Mitglieder, sich alsTeil einer engen, haltgebenden Gemeinschaft zuempfinden und so leichter abstinent werden undbleiben zu können. Es handelte sich jedoch nieum einen Orden, der als Wohn- und Arbeitsge-meinschaft lebte wie kirchliche Orden (Klöster)oder manche weltlichen Orden. Die Guttemplertrafen sich wie jeder Verein zu festgesetzten Tagen,zumeist am Wochenende, entweder in Sälen oderHinterzimmern von Lokalen oder in eigenen

    Häusern. Neben „trockenen“ Alkohokranken wa-ren viele Familienangehörige von AlkoholkrankenMitglieder bei den Guttemplern, aber auch Men-schen ohne persönlichen oder familiären Alkoho-lismus, darunter nicht wenige Ärzte.Von ihrem Gründungsland USA breiteten sich dieGuttempler 1868 nach Großbritannien und vondort nach Skandinavien aus. Ab 1873 gab es inHamburg eine von Briten gegründete englisch-sprachige Guttemplerloge, die bald wieder ein-ging. Dauerhaft ins Deutsche Reich kamen dieGuttempler über Skandinavien. Dort war die Ab -stinenzbewegung besonders stark. Von Dänemarkaus wurde eine dänischsprachige Loge 1883 inHadersleben im damals preußischen Nordschles-wig gegründet, die erste in Preußen. Bald folgtenandere Logen in Nordschleswig, allesamt dänisch-sprachig, die sich 1888 zu Tysklands Storloge(Deutschlands Großloge) zusammenschlossen. In

    Claas Riecken:

    Kampf dem AlkoholDie Guttempler in Nordfriesland von 1889 bis 1913

    Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Alkoholismus in weiten Teilen der Bevölke-rung Europas und Nordamerikas zu einem unübersehbaren Problem. Als Gegenbewe-gung erstarkte die Abstinenzbewegung. Zu ihr gehört die Guttempler-Organisation,die es bis heute gibt und die in Deutschland ihre Blüte vor dem Ersten Weltkrieg er-lebte. Einer der frühen Vorsitzenden der deutschen Guttempler war ein Lehrer inNordfriesland.

    Joachim und Marie-Louise Zöhrens und ihre Enkelin Nicole Grund kümmern sich um das Guttempler-Mu-seum in Mildstedt.

    Foto: Claas Riecken

  • 12 Nordfriesland 207 – September 2019

    Flensburg hob man 1887 eine Loge aus der Taufe,die deutsch- und dänischsprachig war, reindeutschsprachige um Flensburg herum folgten.Als sich die deutschsprachigen Logen 1889 zusam-menschlossen wurden sie als „Deutschlands Groß-loge II“ bezeichnet, die dänischsprachigen inNordschleswig nun als „Deutschlands Großloge I“. Die deutsch-dänische Nationalitätenfrage bei denGuttemplern müsste noch näher erforscht wer-den. Sie könnte bei allen Spannungen, die es ge-geben zu haben scheint, mehr von Versöhnung ge-prägt gewesen sein als in anderen Gruppen. Auf-fällig sind die national-, sozial- und geschlechtse-manzipatorischen Ansätze der Guttempler. Siepflegten internationale Zusammenarbeit über dieGrenzen von Nationalstaaten hinweg, sie prakti-zierten Gleichberechtigung vom Arzt bis zum Ar-beiter und sie nahmen Männer und Frauen auf. Bei der Gründung der deutschen Großloge 1889in Flensburg wurde die Versammlung polizeilichüberwacht. Die Behörden argwöhnten, dass dieGuttempler eine verdächtige politische Gesell-schaft seien. Ob dabei die Tatsache eine Rollespielte, dass Deutsche und Dänen hier in einer in-ternationalen Organisation zusammenarbeiteten,ob es Furcht vor einem Verein war, der sich überdie sozialen Klassenschranken seiner Zeit hinweg-setzte oder welche Befürchtungen die preußischeObrigkeit sonst hatte, ist nicht genau bekannt.Dass die Guttempler deutschen Regierungsstellenund Behörden suspekt waren, änderte sich in denJahren danach, ja, es drehte sich sogar um. DieGuttempler erfreuten sich in den Jahren vor dem

    Ersten Weltkrieg allerhöchstenZuspruchs. Städte und Gemein-den waren hilfreich beim Erwerbvon Logenhäusern. Wo die Logenarbeiteten, konnten die kommu-nalen Armenkassen sparen. ImJahre 1910 zur Einweihung derMarineschule in Mürwik beiFlensburg lobte Kaiser Wilhelm II.die Guttempler-Logen und dieBlaukreuzvereine, denn dennächsten Krieg werde diejenigeNation gewinnen, die am wenigs-ten Alkohol trinke, sagte er etwasverklausuliert. Nach 1889 breitete sich der Gut-

    templer-Orden in deutscher Sprache in Schleswig-Holstein und dann in Hamburg und Nord-deutschland mit zunehmender Dynamik aus,schließlich im ganzen Deutschen Reich, allerdingskaum in katholischen Gebieten. Zunächst lag derSchwerpunkt in Schleswig-Holstein. Im Jahre1907 wurde die Geschäftsstelle von Flensburgnach Hamburg verlegt. Von 238 Mitgliedern derdeutschsprachigen Großloge 1889 steigerten sichdie Guttempler bis 1913 im Deutschen Reich aufeinen Mitgliederstand von über 56 000 in 1440Grundlogen, dazu über 20 000 Jugendliche in517 Jugendlogen. Zusammen mit weiteren Fami-lienangehörigen schätzt man 90 000 Menschenfür die Zeit um 1913/14 als mit den Guttemplernverbunden – ein Stand, den die Organisation niewieder erreichte. Wenn man die Karte der Logengründungen inNordfriesland betrachtet, wird ein früher Schwer-punkt auf der Geest deutlich, in Gebieten, wonoch Sønderjysk gesprochen wurde. Zusammenmit der allerersten Gründung in Nordfriesland,„Einigkeit“ in Enge am 3. März 1889, ist aucheine Loge „Plantagen“ aus Ulderup im Verzeichnisdes Mildstedter Museums eingetragen. Dasmüsste Ulderup bei Sonderburg sein. Möglicher-weise standen die dänischen Nordschleswiger Patebei der nordfriesischen Gründung. So könnte derfrühe Schwerpunkt sprachliche Gründe haben. Inder Karrharde und auf der Geest um Viöl und Jol-delund, wo noch Sønderjysk gesprochen wurde,könnte es dänischsprachigen Nordschleswigernleicht gefallen sein, Logen anzuregen.

    Das Logenhaus der Guttempler in Bredstedt (ganz links)

    Foto: Guttempler-Museum Mildstedt

  • Nordfriesland 207 – September 2019 13

    Auf dem heutigen Kreisgebiet Nordfrieslands entstanden zwischen 1889 und 1913 über 60 Guttemp-ler-Logen. Nicht alle scheinen dokumentiert zu sein, einige gingen nach wenigen Jahren wieder ein,manche lösten sich erst nach Jahrzehnten auf – 2019 bestehen nur noch fünf: Tinnum auf Sylt, Wykauf Föhr, Risum-Lindholm und zwei Gemeinschaften, die in Mildstedt ihr Zentrum haben.

    Der helle Fleck im nördlichen Kreisgebiet irritiert. Es ist nicht auszuschließen, dass es hier Logen gab,die dänischsprachig waren und daher in den benutzten Quellen nicht auftauchen.

    Ein Verzeichnis aus dem Guttempler-Museum Mildstedt listet 54 Logengründungen zwischen 1889und 1913 auf. Den Werken von Frenz Bertram und Friedrich Weiß wurden Daten von zwölf weiterenLogen entnommen; manche Angaben sind nicht ganz klar oder widersprechen sich. Jugend- und Wehr-logen sind nicht verzeichnet.

  • 14 Nordfriesland 207 – September 2019

    Ein weiterer Grund für das frühe Ausbreitungsge-biet war eine prägnante Persönlichkeit: der Dorf-schullehrer von Soholm Peter Hansen Petersen(1859–1925). Er wurde Guttempler und über-wand so seine Trunksucht. Daraufhin setzte er sichmit ganzer Energie für die Guttempler ein undwar von 1892 bis 1894 als Großtempler Vorsit-zender der gesamten deutschen Guttempler bzw.der Großloge II. Es wird von ihm berichtet, dasser jeden Abend und jeden Sonntag von Soholmaus über die Dörfer ging und für den Orden warb.Er regte die Gründung einiger Logen direkt an, u. a. in Oldenswort, Risum und Dagebüll. DieGroßloge II teilte sich bald nach ihrer Gründungin Distrikte unter dem Vorsitz von Distrikts-Templern und Distriks-Sekretären. Die Einteilun-gen wurden mehrfach verändert, doch Nordfries-land gehörte schließlich zum 2. Distrikt, der dieganze Westküste von Nordschleswig bis zur Eiderumfasste. Größeren Einfluss auf das Umland hatten Gut-templer in zwei nordfriesischen Städten: Bredstedtund Husum. Die Bredstedter Loge „Liever düd asSlav“ von 1898 verfügte über ein Logenhaus bzw.einen angemieteten Saal am Markt. Sie half bei derGründung der Loge „Friesens Hoffnung“ 1912 inOckholm, der Wiederbelebung der BordelumerLoge 1912 und der Unterstützung der DörpumerLoge „Am klaren Bache“. Während die meistenmehrfachen Logengründungen an ein und dem-selben Ort darauf zurückzuführen sind, dass eine

    Loge eingegangen war und eineneue gegründet wurde, gab es inHusum tatsächlich mehrere Logenparallel: die Loge „Heimath“wurde 1891 in Simonsberg in Ei-derstedt gegründet und 1894 nachHusum verlegt. Im Jahre 1897konnte sie von der Stadt Husumein eigenes Haus erwerben undwuchs auf etwa 100 Mitglieder an.Ein Jahr später gründete sich inHusum die Loge „Doppeleiche“,im Jahre 1906 die Loge „Frühling“und 1909 die Loge „TheodorStorm“. Daneben gab es in Hu-sum auch eine Jugend- und eineWehrloge. Bei Wehrlogen han-delte es sich um Guttempler-Lo-

    gen, in denen ältere Jugendliche lernen sollten, sichder Verlockung des Alkohols zu erwehren. DieHusumer Guttempler waren an sehr vielen Logen-gründungen in Nordfriesland beteiligt, von Syltbis Eiderstedt.

    Peter Hansen Petersen (1859–1925), Lehrer in Soholm,Vorsitzender der deutschen Guttempler 1892 bis 1894.

    Hochtempler, Distrikts-Templer, Großtempler. Es gab viele Grade.

    Foto: Guttempler-Museum Mildstedt

    Foto: Friedrich Weß (1914), Seite 53

  • Nordfriesland 207 – September 2019 15

    Eine Herausforderung für die Guttempler, offen-bar vor allem in Nordfriesland und Dithmarschen,stellte die Gewohnheit weiter Bevölkerungskreisedar, Dünnbier als alltägliches Getränk zu konsu-mieren und nicht als (gefährlichen) Alkohol anzu-sehen. Das auch „Braunbier“ oder „Haus(stands)-bier“ genannte Malzgetränk hatte einen schwachenAlkoholgehalt und wurde wohl besonders in derMarsch, wo es kein trinkbares Grundwasser gibt,traditionell viel getrunken. Im Jahre 1892 fand diejährliche Großlogensitzung für Deutschland imnordfriesischen Leck statt, auf der Lehrer Petersenaus Soholm zum Vorsitzenden der deutschen Gut-templer gewählt wurde. Der besorgte Weltverbandentsandte die Schottin Charlotte Gray und denSchweden Edvard Wavrinsky (1848–1924), Abge-ordneter des schwedischen Reichstags, zur Sitzung,denn in Leck hielt die Mehrheit das Dünnbier of-fenbar für nicht schädlich. Die harten Abstinenzlerkonnten sich 1892 nicht durchsetzen. Dünnbierblieb bei den Guttemplern in Deutschland erlaubt,wurde auch „Guttemplerbier“ genannt, und erst1898 und 1903 setzte sich die harte Linie schritt-weise durch, dass Alkoholkranke gar keinen Alko-hol trinken sollten und Dünnbier bei den Gut-templern nicht mehr erlaubt war. Die Folge wareine Abspaltung von sogenannten „Freien Logen“.Doch auf Dauer schadete das den Guttemplernnicht.Viele Fragen bleiben beim derzeitigen Forschungs-stand offen. Wenn sich genügend Quellen finden,kann eine größere Untersuchung über die Gut-templer (in Nordfriesland) geschrieben werden.Warum etablierten sich die Guttempler so frühausgerechnet im ländlichen Raum?Im Jahre 1914 verfügten die Guttempler im Deut-schen Reich über 71 Logenhäuser, davon alleinzehn in Nordfriesland. In einer Zeit, als Gruppendruck beim Trinkennoch eine viel größere Rolle spielte als heute,konnten sich „trockene“ Alkoholkranke und an-dere Abstinenzler in einer Organisation wie denGuttemplern willkommen und verstanden fühlen.Viele kamen endlich los vom Alkohol, von einerDroge, die für manche beherrschbar ist oderscheint, für andere aber der direkte Weg ins Ver-derben ist. Nicht alle Außenstehenden hielten undhalten den abstinenten Gegenentwurf zum gesell-schaftlich akzeptierten Alkoholtrinken ohne Spott

    aus. In Dithmarschen und Eiderstedt und viel-leicht auch noch anderswo wurden die Guttemp-ler wegen ihrer Akkürzung IOGT hier und da als„Jüm ole Grog-Trinkers“ (Ihr alten Grog-Trinker)verspottet. Bis heute gibt es in Nordfriesland viele Menschen,die sich sicher sind, dass sie ohne die Guttempleran den Folgen des Alkoholismus schon längst ge-storben wären. Die Guttempler-Organisation hatseit 1913 viele Veränderungen erfahren. Manspricht heute nicht mehr von Logen, sondern vonGemeinschaften, die Organisation wird nur nochin Deutschland „Guttempler“ genannt, sonstIOGT, um auch in nicht-christlichen Ländernwirken zu können. Im September 2019 werdendie Guttempler in Mildstedt bei Husum 130 Jahre(deutsche) Guttempler in Deutschland undSchleswig-Holstein feiern, außerdem 20 JahreGuttempler-Museum Mildstedt.

    Weitere Hinweise:Frenz Bertram: „Liever düd as Slav“ Guttempler-

    Loge Nr. 102, Bredstedt. In: NordfriesischesJahrbuch 25 (1989). S. 53–62.

    Frenz Bertram: Von den Anfängen der Guttemp-ler-Logen in und um Husum. In: Zwischen Ei-der und Wiedau 1994. S. 114–123.

    Frenz Bertram: Das Guttempler-Zentrum Mild-stedt. In: Zwischen Eider und Wiedau 2000. S. 190–194.

    Theo Gläß/Wilhelm Biel: Der Guttempler-Ordenin Deutschland. Bd. 1. Hamburg 1979.

    Jörn Norden: Guttempler in Friedrichstadt. In:Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrich-städter Stadtgeschichte 75 (2008). S. 33–46.

    Friedrich Weiß: Geschichte von DeutschlandsGroßloge II des Internationalen Guttempleror-dens. Hamburg 1914.

    Das traditionelle Logo der Guttempler

    Foto: Guttempler-Museum Mildstedt

  • 16 Nordfriesland 207 – September 2019

    „Als Andenken an sein Werk“ steht auf derschlichten Gedenktafel, die der OstermooringerFriesenverein anlässlich der Benennung des„Sönke-Nissen-Wäi“ vor dem Geburtshaus inKlockries hat aufstellen lassen. Wesentlich auf-fälliger sind die Höfe mit den grünen Dächern,die sich im „Sönke-Nissen-Koog“ wie an einerPerlenschnur entlang der nordfriesischen Küsteaufreihen. Sie tragen dazu noch ortsfremde Be-zeichnungen wie Karasland, Keetmanshoop oderElizabethbay. Es sind Namen von Stationen einerEisenbahnlinie im heutigen Namibia, für derenBau Sönke Nissen verantwortlich war und diegleichsam als Etappen seines ungewöhnlichenLebensweges gelten können. Ein Leben, daszweifellos wie geschaffen ist für eine Legenden-bildung.

    1870 als jüngster Sohn eines Zimmermanns ge-boren, war es ihm eigentlich bestimmt, einmaldie kleine elterliche Hofstelle zu übernehmen.Die Pläne des talentierten Nordfriesen waren je-doch ambitionierter. Er durchlief in Hamburgeine Ausbildung zum Techniker und fand darauf-hin Anstellung bei einer Bahnbaufirma in Altona.Als diese den staatlichen Auftrag zum Bau vonKolonialbahnen erhielt, ging Nissen als leitenderIngenieur zunächst nach Deutsch-Ostafrika undschließlich nach „Deutsch-Südwest“. Im Wüsten-sand stieß man auf ein Diamantenvorkommenund Nissen wusste die Gunst der Stunde zu nut-zen, so dass er als reicher Mann nach Deutschlandzurückkehrte. Als Gutsbesitzer ließ er sich imstormarnschen Glinde nieder und legte sein Ver-mögen vielseitig und umsichtig an. Auch inNordfriesland erwarb er Grund und Immobilien,und noch kurz vor seinem Tod begann er, in dieEindeichung jenes Kooges zu investieren, derdurch die Namensgebung das Andenken an ihnbewahren sollte.Gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Storm oderNolde gehört er heute zu den wichtigsten Vertre-tern in der nordfriesischen Erinnerungskultur.Seine fachlichen wie menschlichen Eigenschaftenwerden stets in höchsten Tönen gelobt. Auffälligist allerdings, dass in keinem der vielen Texte zuNissen die Zeit in den Kolonien kritische Beach-tung findet. Auch nicht, nachdem in den letztenJahren der Vernichtungskrieg gegen die Völker derHerero und Nama immer öfter in der deutschen

    Marco L. Petersen:

    Schienen für den Völkermord?Anstoß für eine Neubewertung von Sönke Nissen

    Als im Juli 2019 der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther die Republik Namibia besuchte, begleitete ihn die Debatte über ein unrühmliches Kapiteldeutsch-namibischer Geschichte. Zwischen 1904 und 1908 führte die deutsche Schutz-truppe in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika einen Krieg gegen die einhei-mische Bevölkerung, der heute offiziell als Völkermord eingeordnet wird. In Nordfries-land jedoch scheint die deutsche Kolonialgeschichte so weit enfernt wie das Watten-meer von der Wüste. Hier ehrt man noch immer unkritisch einen Mann, der tief ver-strickt war in das System von Kolonialismus, Ausbeutung und Tod: Sönke Nissen.

    Die Gedenktafel für Sönke Nissen in Klockries. Nord-friesische Idylle im Kontrast zum Geschehen in dendeutschen Kolonien.

    Foto: Marco L. Petersen

  • Nordfriesland 207 – September 2019 17

    Öffentlichkeit thematisiert wurde. Dabei war Nis-sens Auftrag klar formuliert: Die möglichstschnelle Fertigstellung einer Kriegsbahn. DerGroßteil der dazu benötigten Arbeitskräfte wurdedurch Kriegsgefangene gedeckt. Für die inhaftier-ten Männer, Frauen und Kinder errichtete mansogenannte „Konzentrationslager“ nach briti-schem Vorbild. Wie inzwischen belegt werdenkann, unterhielt auch Nissen eigene Lager für dieZwangsarbeiter beim Bahnbau. In den Drahtge-hegen herrschten erschreckende Bedingungen. In-nerhalb von 18 Monaten starben unter Nissen1369 von insgesamt 2014 Gefangenen an Skor-but, Lungenentzündungen und Überarbeitung.Als Bauleiter hat er diese Umstände nicht nur inKauf genommen, sondern im Sinne der Projekteund seiner Karriere methodisch genutzt – als Ei-senbahningenieur und als Anteilseigner an Dia-

    mantenminen, in denen die Verhält-nisse ebenfalls unmenschlich waren.Die Quellen lassen keinen Zweifel da-ran, dass Nissen damit ein wichtigerTeil der kolonialen Ausbeutung, Un-terdrückung und Vernichtung von tau-senden Menschen in Namibia war.Das Wattenmeer liegt viel näher ander Wüste, als es vielleicht den An-schein haben mag. Die Diskussionum den Umgang mit dem kolonialenErbe begleitet demnach nicht nur denMinisterpräsidenten auf seiner Reisenach Afrika, sie wird auch in Nord-friesland geführt werden müssen.

    Marco L. Petersenstammt aus Leek/Leck, NF, und ist als

    Historiker an der Dansk Centralbibliotekin Flensburg tätig. Über Sönke Nissen forschte er

    u. a. im Staatsarchiv in Namibia und hielt im Nordfriisk Instituut im

    Juli 2019 einen Vortrag dazu.

    Literatur:

    Marco L. Petersen: Deiche, Tod und Diaman-ten. Erinnerungsarbeit zur Biografie des nord-friesischen Kolonialakteurs Sönke Nissen. In:Marco L. Petersen (Hrsg.): Sønderjylland-Schleswig Kolonial. Das Erbe des Kolonialis-mus in der Region zwischen Eider und Königs -au. Odense 2018. S. 385–418

    Die einheitlich grün-weißen Bauernhöfe prägen den 1926 fertiggestellten Sönke-Nissen-Koog. Sie haben teilweiseNamen von afrikanischen Bahnstationen. Die Vollendung des nach ihm benannten Kooges erlebte Sönke Nissen(1870–1923) nicht mehr mit. Er finanzierte den Bau des Kooges maßgeblich.

    Sönke Nissen, zweiter von rechts, in Deutsch-Südwestafrika

    Foto: WikiCom

    mons

    Foto: Mit frdl. Genehmigung v. O. Levinson

  • 18 Nordfriesland 207 – September 2019

    Eine erste große Blütezeit erlebte der Ort in den1840er-Jahren: Der dänische König ChristianVIII. verlegte seine Sommerresidenz nach Wyk(Abb. 1). Mit ihm kamen viele illustre Gäste aufdie Insel, darunter der Märchendichter HansChristian Andersen, der sich sehr wohl fühlteund jeden Tag ein Bad nahm. Nach 1864 reisteverstärkt der preußische Adel nach Föhr: Victoriavon Preußen, mehrmals mit ihrer Familie zuGast auf der Insel, schuf hier sehr qualitätvolle

    Aquarelle, die das große Interesse der „Fremden“an friesischer Tracht und Kultur bekunden (Abb.2). Der Walzerkönig Johann Strauß, der seineHochzeitsreise 1878 in Wyk verlebte, kompo-nierte eigens den Walzer „Nordseebilder“, in derdie Stimmungen des Meeres anklingen. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Strandals neuer Freizeitraum entdeckt. Als Gradmesserfür diesen Wandel dienen veränderte Baderegeln,das Ausweisen von Strandabschnitten in Frauen-,

    Ulrike Wolff-Thomsen:

    200-mal BadesaisonDas Seebad Wyk auf Föhr 1819 – 2019

    Das Seebad Wyk, das am 15. Juli 1819 in die erste Saison startete, gilt als das äl-teste Seebad Dänemarks, als ältestes an der schleswig-holsteinischen Westküste undals eines der ältesten Deutschlands. Nach dem Vorbild englischer Seebäder, dieMitte des 18. Jahrhunderts gegründet worden waren, wurden seitdem auch in WykBadekuren in kaltem Seewasser sowie im Warmbadehaus am Sandwall angeboten.Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen, Direktorin des Museums Kunst der Westküste in Al-kersum auf Föhr, gibt einen nicht nur kunsthistorischen Rückblick:

    Abb. 1: Johann Friedrich Fritz: „Ankunft von König Christian VIII. auf Föhr“, 1842, Lithografie, 38 x 50 cm, Dr. Carl Häberlin-Friesen-Museum, Wyk

  • Nordfriesland 207 – September 2019 19Nordfriesland 207 – September 2019 19

    Männer- und Familienbe-reich sowie die Entwick-lung der Bademode, die aufdie jeweilig geltenden Vor-stellungen von Anstandund Sittlichkeit reagiert(Abb. 3). Nach 1898 spieltdas Nordsee-Sanatoriumvon Karl Gmelin am FöhrerSüdstrand als eines der be-deutendsten SanatorienEuropas eine wichtigeRolle. Das von dem bedeu-tenden Reform- und Ju-gendstilarchitekten AugustEndell entworfene Gebäu-deensemble zog ein interna-tionales Publikum an. Indieser Zeit kamen die größ-ten ausländischen Besuchergruppen aus Öster-reich-Ungarn und Russland. Ein Kuraufenthalterstreckte sich in der Regel auf mehr als sechsWochen.

    Gravierende Veränderungen traten im 20. Jahr-hundert ein, führt man sich angesichts der stetigsteigenden Gästezahlen die damit verbundenenlogistischen und gastronomischen Herausforde-rungen für die Insel vor Augen: 1819 wurden 61 Gäste willkommen geheißen, um 1900 warenes rund 7000 Kurende und Badegäste und heutewerden mehr als 200.000 Urlauber mit mehr alszwei Millionen Übernachtungen gezählt (Abb.4). Der Tourismus hat Föhr verändert. In Nie-

    blum gibt es heute beispielsweise 70% Zweit-haus- und Zweitwohnungsinhaber. Welche Fol-gen hat dies für das Sozialgefüge in den Dörfern?Wer bringt sich noch aktiv in das soziale Lebenoder in die Freiwillige Feuerwehr ein? Tourismusstößt dann an seine Grenzen, wenn er das ver-drängt, was seine Grundlage ist.

    Abb. 2: Victoria von Preußen: „Frauen bei der Ernte“, 1865, Aquarell 33,8 x37,3 cm, Archiv des Hauses Hessen, Schloss Fasanerie, Eichenzell

    Abb. 3: Paul Wilhelm: „Badegäste am geflaggten Strand“,1909, Öl auf Malpappe, 24,4 x 34,4 cm, Museum Kunstder Westküste, Alkersum/Föhr

    Literatur:Museum Kunst der Westküste (Hrsg.): 200 xBadesaison. Seebad Wyk auf Föhr 1819 bis2019. Köln 2019.

    Abb. 4: Broschüre „Wyk auf Föhr läßt Wel-len und Herzen höher schlagen“, 1980er-Jahre, Inselarchiv Föhr, Alkersum

    Foto: Kulturstiftung des Hauses Hessen

    Foto: Lukas Spörl

  • 20 Nordfriesland 207 – September 2019

    „Es ist eine super Stimmung dort unten. Diekönnen einfach am besten feiern, die Bayern.“Nein, das Feiern in Dirndl und Lederhosen seikeine kulturelle Kapitulation der Nordfriesen,kein Verrat am Friesentum, sondern einfach nurKult, sagt ein ansonsten nordfriesisch-traditions-bewusster Handwerksmeister aus Risum-Lind-holm. Seit Jahren fährt er mit fünf Freunden dierund 950 km zum Münchner Oktoberfest. Auchdie Utersumer Trachtengruppe hat bereits amdortigen Festumzug mitgewirkt. Man nimmt teilan einer fremden Tradition. Aber, und das ist neu, inzwischen beschränkt sichdiese Art zu feiern nicht mehr auf Bayern, son-dern breitet sich immer mehr aus. Das Oktober-fest in Hannover entstand 1964, ein Einzelfall.Über die Bundeswehr gelangte diese „Gaudi“später unter anderem nach Leck und Eckern-förde. Alles noch in einem halbwegs geschlosse-nen Umfeld, als exotisches Phänomen. In letzterZeit aber sprießen Oktoberfeste scheinbar über-all: Seit sieben Jahren z. B. im Ual Fering Wiarts-hüs, dem Alten Föhringer Wirtshaus in Oldsumauf Föhr – einem Kulminationsort friesischer

    Kultur. Auf Föhr sind friesische Sprache,Tracht und Selbstbewusstsein normaler-weise fest verankert. Im Herbst aberscheint dies anders zu sein: Friesen zie-hen sich klischeehaft bayerisch an,schwenken Maßkrüge zu alpenländi-scher Musik, tanzen auf den Tischen, es-sen süddeutsche Gerichte. „Ik lewe fördeheer dai!“ (Ich lebe für diesen Tag!),sagt eine Föhrer Teilnehmerin auf Frie-sisch begeistert. Endlich gebe es mal et-was Abwechslung, fügt sie hinzu. UndOldsum ist kein Einzelfall.

    Ein Besuch bei „Lolles Kostümverleih“ in Brek -lum. Ingelore Bohnert (Lolle) betreibt das Ge-schäft seit 15 Jahren. Sie hat rund 120 Lederho-sen und etwa 160 Dirndl im Fundus – und dieNachfrage ist da; Hauptsaison für ihr Geschäftsei um Silvester, die Zeit des Rummelpottlaufens,zu dem man sich traditionsgemäß verkleidet undeben im September, zur Oktoberfestzeit. Lässtsich in Dirndl und Lederhose also vielleicht ein-fach besser feiern, fühlt man sich womöglich bes-ser, einer Gruppezugehörig undvom üblichen Be-nimmzwang be-freit zugleich?Eine nicht reprä-sentative Um-frage im weiterenBekanntenkreis:Frauen, nicht nurin Bayern, schät-zen am Dirndl,dass man darinimmer eine gute

    Christoph G. Schmidt:

    „Ik lewe för deheer dai!“Oktoberfeste in Nordfriesland – von der Aneignung fremder Bräuche

    Es wird wieder Herbst in Nordfriesland. Und mit dem Herbst sprießt vielerorts et-was, das manchem merkwürdig erscheint: Oktoberfeste. Im Norden? Das gehörtdoch nach Bayern. Oder etwa nicht? Christoph G. Schmidt sah sich das Phänomen imHerbst 2018 zusammen mit Claas Riecken an und zieht hier Bilanz:

    Föhrerinnen in München

    Lolles Kostümverleih in Bre-klum: Rummelpott und Okto-berfest sind Hochsaison

    Foto: Christoph G. Schm

    idt

    Foto: Privat

  • Nordfriesland 207 – September 2019 21

    Figur mache. Was dagegenMänner zu Kniebund-Trach-tenhosen und karierten Ober-hemden treibt, bleibt ehervage. „Kultig“ sei es halt, heißtes wortkarg. Die Wiesntracht ist übrigensauch in München stark imKommen. Was vielleicht über-rascht, gehörte sie nicht schonimmer dazu? Nein, gehörte sienicht. Im Jahre 1810 und nochsehr lange danach kamen dieMünchner vor allem in elegan-ter Stadtmode auf die Wiesn.Noch in den 1990er-Jahrengalten Dirndl und Lederhosenbei jungen Leuten vielfach alsspießig. Die zunehmende Uni-formierung in „Tracht“ beganntatsächlich erst um die Jahrtau-sendwende. Wissenschaftlich untersuchthaben die Verhaltensweisenrund um das Münchener Ok-toberfest u. a. die EthnologinSimone Egger („PhänomenWiesntracht“, 2008) und diePsychologin Brigitte Veiz(„Masse, Rausch und Ritual“,2001). Doch was da herausge-funden wurde, passt auf Nordfriesland nur halboder gar nicht. Für die Erklärungen als rausch-hafte Massenbegeisterung sind die meisten nord-friesischen Oktoberfeste nicht groß genug, unddie These, warum Lederhosen und Dirndl getra-gen werden, trifft hier wohl auch nicht zu: Hiersind es nicht orientierungslose Großstädter, diesich durch die Wiesn tracht kulturelle Zugehörig-keit und Identität zumindest für einen Abend er-hoffen. In Arlewatt, Breklum, Oldsum, Lade-lund, Leck, Risum-Lindholm oder Süderlügumhat man das doch jeden Tag: das Regionale, dasLändliche, das Dazugehören. Wozu also nunbayerisch tun?Trachtenbeauftragte in Schleswig-Holstein kön-nen dem Lederhosen- und Dirndl-Rummel er-wartungsgemäß wenig abgewinnen. Am Telefonsagt man uns, eine echte Tracht sei das nicht,

    man wolle mit derlei möglichst nichts zu tun ha-ben und schon gar nicht verwechselt werden.Eine echte Tracht könne man sich auch nichtmal so eben kaufen wie ein Dirndl.Überraschenderweise sieht man das in Bayernähnlich: „Gerade bei den ‚kleinen Leuten‘ wurdegenauestens darauf geschaut, dass sie nichts an-deres angezogen haben, als es ihnen zustand, dassihr Gewand nicht zu üppig wurde … und dassdie Unterschiede gegenüber den höheren Stän-den gewahrt blieben“, so schreibt der bayerischeTrachtenverband auf seiner Webseite. Tracht alsZwang zur Bescheidenheit, ja auch als Ausdruckverordneter Sittsamkeit, das will so gar nicht zumheutigen Eindruck passen. Dazu lohnt ein Blickin die Geschichte: Das Dirndl ist nämlich nurdie Unterkleidung der eigentlichen Tracht. Städ-ter auf Sommerfrische im vorletzten Jahrhundert

    Ohne die „Schwere“ der alten Tracht und deren „Versteifungen“ „demweiblichen Körper Halt und schöne Form“ geben. Bericht in der NS-Zeit-schrift „Frauen-Warte“ über Trachtenarbeit, September 1942

    Abbildung: Frauen-Warte Nr.5, 1943

  • 22 Nordfriesland 207 – September 2019

    wollten Landleben spielen; das traditionelleObergewand aber war ihnen zu kompliziert, zuhinderlich und zu teuer. Also ließ man es einfachweg. Der immer noch hochgeschlossene Charak-ter des so entstandenen „volkstümlichen“ Som-merkleides aber fiel dann erst im Dritten Reich:Die Trachtenbeauftragte der NS-Frauenschaft,Gertrud Pesendörfer, wollte die traditionelleKleidung von „artfremden“, vor allem von kirch-lichen Einflüssen reinigen und schuf eine eroti-sierende Form, bei der deutlich mehr Haut ge-zeigt werden konnte als im katholischen Milieubislang schicklich war, ganz einem Zeitgeist fol-gend, der gestählte Körper und Fruchtbarkeitpropagierte – auf ihren Entwürfe gehen bis heutedie gängigen Dirndlformen zurück. Unpolitischwar diese Kleidung nicht.Was also bringt Menschen nun dazu, sich inNordfriesland freiwillig so zu kleiden? Ist es wo-möglich ein bedenklicher politischer Trend, dersich hier spiegelt, wie mancher Kulturpessimistfürchtet? In ihrer Feier-Kluft würden die jungenLeute aussehen wie auf Bildern aus der NS-Pro-

    paganda; Uniformierung, Volkstümelei und Aus-grenzung seien da nicht fern, wenn auch wohlnur bedingt beabsichtigt.Oder geht es ganz einfach nur darum, sich zuverkleiden, wie eine Kundin des erwähnten Kos-tümverleihs meint? „Oktoberfest“ als Motto-party? Man könnte das Phänomen „Oktoberfest“als schlichten Spaß verstehen, als witziges Grup-penevent, eine Mode, die sich bald überlebt ha-ben wird. Darüber hinaus vielleicht auch nochals positiven Ausdruck der Globalisierung, derBefreiung von engräumigem Denken. Früherging doch alles klein-klein zu: Rivalitäten bei-spielsweise von Risum mit Lindholm, von Föhrmit Amrum, Westerland-Föhr gegen Osterland-Föhr und alle Nordfriesen gemeinsam gegen dieDithmarscher. Heute haben wir Halloween undValentinstag. Wir sind global! Bedienen wir unsdoch einfach an dem, was die Welt so bietet –die Friesen waren schon immer internationalerals andere: Als Seefahrer hatten sie im 18. Jahr-hundert Fliesen aus den Niederlanden im Ge-päck, die Föhrer Auswanderer nach den USAbrachten bei Rückwanderung oder Besuchen aufFöhr den Manhattan-Cocktail mit. Warum alsonicht ein paar Tage in bayerischer Gewandung?Freilich, Norddeutsche im Allgemeinen tun sicheher schwer mit eigener Tracht und eigenen Tra-ditionen, vieles ist schon seit Jahrzehnten verlo-rengegangen. „Mia san mia“ (wir sind wir) – die-ser oft gehörte, kraftvolle Satz wirkt aus der Fernewie ein Motto aller Bayern, die demnach sämt-lich vor Selbstbewusstsein strotzen müssten (dieParallele zur Selbstbeschreibung des alttestamen-tarischen Gottes als „Ich bin, der ich bin“ ist of-fensichtlich). Vermeintliche Vitalität pur, fürmanche sicher attraktiv. Was man in seiner Um-gebung zu vermissen meint, sucht man sich an-derswo, einen guten Schuss Verklärung inbegrif-fen.Wem das südliche Vorbild zu laut und burschikoserscheint, der liebäugelt vielleicht mit einer ande-ren Himmelsrichtung: Hier und da sieht man sie,eingestreut ins ohnehin nicht mehr homogeneOrtsbild – Holzhäuser in rot, mit weißen Fens-terrahmen. Ein Traum von Schweden, von Na-turverbundenheit, von weitem, stillem Land, voneiner Welt, die noch etwas mehr in Ordnungscheint als sie sich bei uns anfühlt, vielleicht auch

    Alle Jahre wieder: Oktoberfest im nordfriesischen Ar-lewatt, hier das Plakat von 2016

  • Nordfriesland 207 – September 2019 23

    von „Folkhemmet“, dem Inbild einer solidari-schen und sozialen Gesellschaft. Dabei ist auchdas uniforme Schwedenhaus ein Kunstgebilde.Einst war die Farbe nur das zweckmäßige Neben-produkt des Kupferbergbaus im mittelschwedi-schen Falun; erst Carl Larsson mit seinen volks-tümlichen Zeichnungen sorgte unbeabsichtigtdafür, dass um 1900 diese Farbgebung zum In-begriff schwedischer Idylle geworden war. Ähn-lich sieht es mit anderen Schwedensymbolen aus:Das Luciafest wurde ab 1927 am Freilichtmu-seum Skansen in Stockholm propagiert, „wieder-belebt“ nach spärlichen, regionalen Quellen.Heute wird es sogar in Dänemark allerorten ge-feiert, und davon ausgehend inzwischen auch inunserer Region. Für Mittsommer gilt Vergleich-bares. Manchem Kenner gerät hier sofort das Biike-brennen in den Sinn. War es da nicht ähnlich?Hat nicht C.P. Hansen mit viel Phantasie aus ge-ringen Resten verschiedener Bräuche im 19.Jahrhundert eine neue Sylter Tradition konstru-iert, die dann 1972 – über 100 Jahre später – vonder Jugendgruppe des Nordfriisk Instituut aufge-griffen wurde und sich wie ein Lauffeuer zumSymbol nordfriesischer Identität verwandelt hat?Bräuche, Traditionen, Rituale erfüllen zu denZeiten, in denen sie entstanden, einen Sinn. Ge-sellschaftlich wichtige Zeitpunkte im Jahreslaufwurden auf bestimmte Art gefeiert, man denkean Erntedank, das immer mehr an Bedeutungverliert, oder an die längst vergessenen Wegmar-

    ken Lichtmeß oder Michaelis, andenen vielerorts Dienstverhält-nisse gewechselt oder Geldbeträgefällig wurden. Manchmal lebensolche Bräuche vom ursprüngli-chen Inhalt entkoppelt als Folk-lore weiter. Oft aber verschwindensie zusammen mit dem Anlassoder verlieren synchron zu Institu-tionen wie Kirche oder Vereins-kultur an Strahlkraft. EmotionaleLücken aber bleiben, es gibt offen-sichtlich das Bedürfnis, sozialenZusammenhalt zu zelebrieren.Neue Formen hierfür zu finden,die von möglichst vielen mitgetra-gen werden, ist da nicht leicht, die

    Gesellschaft wird bekanntlich immer heteroge-ner. Auch wenn in letzter Zeit herausgestellte Re-gionalität und handwerkliche Produkte stark imKommen sind: sie stehen nicht zuerst für ge-wachsene Eigenart und regionalen Zusammen-halt, sondern sie sind Produkte, die in einer un-gemütlich globalisierten und durchrationalisier-ten Umgebung das Bedürfnis nach Heimeligkeitgeschäftsmäßig bedienen. Dass die Biike-Ideevor 40 Jahren so nachhaltig eingeschlagen hat,ist aus friesischer Sicht ein Glücksfall für das Re-gionalbewusstsein, aber dürfte demnach ein Zu-fallstreffer sein. In Wittdün auf Amrum feierte die Strandbar„Seehund“ 2018 mit ihren Gästen ein „Friesi-sches Oktoberfest“, im Festzelt, aber mit Shan-tychor und Seemannsliedern, und mit Gästen innormaler Allwetterkleidung. Welche Vorbilderwir für das öffentlich zelebrierte Leben nutzen -aus Süddeutschland, aus Übersee oder aus derRegion –, was man als wie identitätsstiftend pro-pagiert, hat man also selber in der Hand. AllerWahrscheinlichkeit nach darf man hier jedochnur noch gruppenweise denken und nicht mehrhoffen, die gesamte Gesellschaft eines bestimm-ten Raumes zu erreichen.

    Kennen Sie ausgestorbene Bräuche aus Nord-friesland, die es lohnen würden, wiederbelebtzu werden? Schreiben Sie uns, wir sind ge-spannt.

    Schweden? Nein, Langenhorn.

    Foto: Christoph G. Schm

    idt

  • 24 Nordfriesland 207 – September 2019

    Für das Gespräch über ihr Gedicht hat MaylisRoßberg die Dansk Centralbibliotek in Flensburgvorgeschlagen. Die großzügigen Räumlichkeiteneignen sich hervorragend dafür. In Sichtweite liegtihre alte Schule, das Gymnasium der dänischenMinderheit Duborg-Skolen. Noch ein Jahr bis zumAbitur hat die 19-jährige Schülerin vor sich, die

    derzeit in Flensburg wohnt. Von 2016 bis 2017absolvierte sie ein Austauschjahr in den USA.Wieder nach Flensburg zurückgekehrt suchte sieNeues, nicht mehr Duborg-Skolen, sondern eineSchule in Apenrade, keine Minderheitenschule,sondern ein „ganz normales“ dänisches Gymna-sium. Dort fährt sie zum Unterricht von Flens-burg aus jeden Tag hin – und dort gilt sie als „dieDeutsche“, auch wenn ihr Dänisch hervorragendist. Den deutschen/südschleswigschen Akzent hö-ren viele Dänen nördlich der Grenze heraus. Aufgewachsen ist Maylis in List auf Sylt, wo ihreEltern noch heute leben und ihr Vater für den SSWin der Kommunalpolitik wirkt. Geboren und auf-gewachsen sind ihre Eltern nicht mit dänischerIdentität. Dass Maylis und ihr Bruder Morten aufSylt den dänischen Kindergarten und die dänischeSchule besuchten, brachte schließlich die ganze Fa-milie zur dänischen Minderheit. Schon in der Mit-telstufe ging Maylis nach Flensburg auf die Du-borg-Schule mit Internatsteil. Seit wann die Familieauf Sylt ansässig ist, weiß sie nicht: „Schon ewig“,glaubt sie. Ein Blick in die Bestände des NordfriiskInstituut hilft: Die Roßbergs kamen 1886 aus Sach-sen nach Sylt. Großmutter Elke Roßberg (1933–2015) wirkte lange als Chorleiterin auf der Insel,erlernte Sylter Friesisch (Sölring) und erhielt für ihrsylterfriesisches Chor-Engagement den C. P. Han-sen-Preis. Aber sie sprach Sölring nicht als Mutter-sprache und gab es in der Familie auch nicht weiter,bedauert Maylis heute. „Und wo kommst du her?“ Oh, diese Frage findetsie schwierig. Meist antwortet sie: „Ich wohne inFlensburg.“ Sie fühlt sich als Sylterin, auch alsNordfriesin, als jemand aus dem Grenzland,

    Claas Riecken:

    Wo kommst du her?Maylis Roßberg, aufgewachsen in List auf Sylt, gibt Antworten.

    Am 6. Juni 2019 war ein Poetry-Slam-Text in dänischer Sprache von Maylis Roßbergin einer Beilage zu „Flensborg Avis“, der Zeitung der dänischen Minderheit, abge-druckt. Der Text ist eine Liebeserklärung an Sylt, an Nordfriesland, an das deutsch-dänisch-friesische Grenzland – und er ist eine Identitätsbestimmung. Mit der 19-jäh-rigen Autorin sprach Claas Riecken:

    Maylis Roßberg

    Der Flenburger Hafen, im Hintergrund Duborg-Skolen

    Foto: Claas Riecken

    Fotos (2): WikiCom

    mons

  • Nordfriesland 207 – September 2019 25

    deutsch und dänisch. In den USA fand sie es ganzschwierig, da wurde für sie die Frage der (natio-nalen) Identität erstmals richtig groß. Auf dieFrage nach ihrer Herkunft antwortete sie dort an-fangs, sie sei halb deutsch, halb dänisch. Die Ame-rikaner wollten dann wissen, ob die Mutter oderder Vater dänisch sei, und es kam ganz schlechtan, wenn Maylis sagte, dass die Eltern von Ab-stammung und Staatsangehörigkeit her beidedeutsch seien. Eine Gesinnungsnationalitätkonnte oder wollte man sich in einem Vorort destexanischen Houston, wo sie ihr Austauschjahrverbrachte, gar nicht vorstellen. Später sagte sieden Fragenden häufig, dass sie Europäerin sei, wasden meisten Amerikanern als Antwort völlig aus-reichte. Überhaupt USA. „Der Aufenthalt stecktmir noch in den Knochen, obwohl er schon zweiJahre her ist. Im land of the free fühlte ich michteilweise meiner Freiheit beraubt, denn Austausch-schüler dürfen dort nicht selbst Auto fahren, deröffentliche Nahverkehr ist unterentwickelt, Fuß-und Radwege gibt es kaum und man muss ständigfragen, ob man gefahren wird.“ Damals herrschteWahlkampf und Donald Trump wurde zum Prä-sidenten gewählt, was sie überhaupt nicht ver-stand. Sie, die schon immer gerne diskutierte, hin-terfragte. Das war im republikanischen Süden derUSA verpönt. Heute ist sie im Jugendverband desSSW, dem SSW-U(ungdom; Jugend), aktiv.Seit sie 15 ist, schreibt sie Gedichte, anfangs nurauf Deutsch. Dann entdeckte sie Poetry-Slams,

    List auf Sylt

    Maylis am Sylter Strand

    Fotos (3): Privat

  • 26 Nordfriesland 207 – September 2019

    nahm mehrfach teil. Der Anlass für den vorlie-genden Text „Jeg kommer fra …“ ist schnell er-zählt: „Ich war irgendwann echt genervt von derewigen Fragerei meiner Mitschülerinnen undMitschüler in Apenrade, was ich denn nun binund wo ich wirklich herkomme.“ Typisches Un-verständnis von Mehrheitsbevölkerungen?,könnte man fragen. Nicht nur in Houston, auchin Dänemark und Deutschland? „Das mit denGoldhörnern am Schluß des Textes war mirwichtig, weil mich das im Dänisch-Unterricht sobeeindruckt hat, auch Oehlenschlägers Gedichtvon 1802 über die Goldhörner.“ „Der har jegrod“ (da bin ich verwurzelt) sei hingegen keineAnspielung auf Hans Christian Andersens be-

    rühmtes Lied „I Danmark er jeg født […] der harjeg rod“ (In Dänemark bin ich geboren […] dabin ich verwurzelt“, das sei wohl eher eine zufäl-lige Ähnlichkeit.Zum Jahrestreffen der dänischen Minderheit2019 im Juni trug sie „Jeg kommer fra …“ als Ju-gendrede in Keitum auf Sylt vor. Auf der Face-book-Seite von Flensborg Avis kann man sich dasals Video ansehen. Anfang September wird diedänische Königin Margarethe II. Schleswig-Hol-stein besuchen. Bei diesem Besuch soll Maylisder Königin ihren Text auch vortragen. „Und,nervös?“ „Ach was, kein Stück. Ich liebe es, aufder Bühne zu stehen“, kommt es von Maylisüberzeugend zurück. Maylis Roßberg hat unzweifelhaft Talent undEhrgeiz. Sie träumt von einem Beruf auf inter-nationaler Ebene, vielleicht im diplomatischenDienst. Sie lernt jetzt nebenher noch mehr Spra-chen: Spanisch, Französisch, es fällt ihr leicht.Und Sylt? Zurück auf die Insel ziehen? „Ja, viel-leicht irgendwann, später einmal, aber wohl ehernicht“, sagt sie, weil man sich ein eigenes Hausauf Sylt kaum noch leisten könne. Was Maylis inihrem Text geschrieben hat und was sie im Ge-spräch erzählt, hat ganz individuelle Züge und esscheint doch typisch für viele junge Menschen inNordfriesland zu sein, besonders auf den Inseln.

    Houston in Texas

    Die Goldhörner von Gallehus bei Mögeltondern, Repliken.Die Originale wurden gestohlen und eingeschmolzen.

    Fotos (2): WikiCom

    mons

  • Nordfriesland 207 – September 2019 27

    „Jeg kommer fra …“1) Jeg kommer fra en ø.Med kæmpe klitter, hylende have og dejlige diger.Jeg kommer fra en lille bitte landsby,Som flere får end mennesker harOg med en kilometerlang hvid sand strand.Og ja for fanden, jeg savner den tid.Jeg savner den kolde vest vind,Og det sjældne rav og de skønneste muslinger, som jegvar så god til at find’.Jeg savner mågernes sang,Og de hyggelige aftener, med mor og farog gamle historier om stormfloder og valfang. Jeg savner min barndom. Mit allerførste hjem.Det sted jeg aldrig vil glem’.Her, hvor melankoli og følelsen af kærlighed og familieligger i luften.Her hvor mit anker sidder fast i fortidens rod.Det sted jeg snart, dog aldrig forlod.

    2) Jeg kommer fra en dansk-tysk by.Hvor jeg for anden gang fandt ly.En by, som hjalp mig med at finde den rette vej.Her, hvor venner blev familie Og familie var langt væk.Her, hvor det første kys, Den første dråbe alkohol,Det første ”heartbreak”Fandt sted og stadigvæk ligger i luften og skjult Mellem byens smalle gasser,Og på fjordens dybe havbund.Den by, hvor jeg fandt hjem i venner,I ham og de lysegrå, tidlige morgenstund.

    3) Jeg kommer fra et land, Som bliver kaldt ”The land of the free”Hvor striberne og stjernerne viser vej, Om det er den rette eller ej,Det ved man dog ik’.Fordi nogle gange,der bliver ”The land of the free”til ”the land where I can’t see, what’s right or wrong.Where I do or do not belong”.And instead of being homesick of the places I once called home.I build up a new one, with me, myself and I, all alone.Og det år, det tog alt jeg havde.Det tog min forstand, et stykke af mit hjerte, min glædeog min smerte.Og jeg kom tilbage.Som et puslespil, der manglede en hel del brikker.

    „Woher ich komme …“1) Ich komme von einer Insel.Mit riesigen Dünen, heulenden Meeren und tollen Deichen.Ich komme aus einem winzigen, kleinen Dorf,das mehr Schafe als Menschenund einen kilometerlangen weißen Sandstrand hat.Und ja, verdammt,ich vermisse diese Zeit.Ich vermisse den kalten Westwind,und die seltenen Bernsteine und die schönsten Muscheln, die ich so gerne gesammelt habe.Ich vermisse den Gesang der Möwen,und die gemütlichen Abende, mit Mama und Papaund alte Geschichten über Sturmfluten und Walfang.Ich vermisse meine Kindheit.Mein allererstes Zuhause.Den Ort, den ich niemals vergessen werde.Hier, wo Melancholie und Gefühle aus Liebe und Familie in der Luft liegen.Hier, wo mein Anker in den Wurzeln der Vergangenheitfestsitzt.Den Ort, den ich bald, aber niemals verließ.

    2) Ich komme aus einer deutsch-dänischen Stadt.Wo ich zum zweiten Mal ein Zuhause fand.Eine Stadt, die mir half, den richtigen Weg zu finden.Hier, wo Freunde zu Familie wurdenund Familie weit weg war.Hier, wo der erste Kuss,der erste Tropfen Alkohol,der erste „Heartbreak“ immer noch in der Luft liegt.Versteckt zwischen den schmalen Gassen der Stadtund versunken, auf dem Grund des Fjordes. Die Stadt, wo ich Zuhause in Freunden, in ihm und in den hellgrauen, frühen Morgenstunden fand.

    3) Ich komme aus einem Land,dass das „Land der Freiheit“ genannt wird Wo Streifen und Sterne den Weg weisen,ganz egal ob es der richtige ist,denn das weiß man nicht.Denn manchmal,wird das „Land der Freiheit“zum Land, wo ich nicht sehen kann, was richtig und falsch ist.Wo ich hingehöre oder nicht hingehöre.Und anstatt Heimweh zu haben nach den Orten,die ich Zuhause nannte.Habe ich mir ein eigenes aufgebaut, mit mir ganz allein.Und dieses Jahr, das nahm alles, was ich hatte.Es nahm mir meinen Verstand, ein Stück meines Herzens,meine Freude und meinen Schmerz.Und ich kam nach Hause. Wie ein Puzzle, manche Teilefehlten.

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  • 28 Nordfriesland 207 – September 2019

    Med et hjerte, hvis ene del nu på den anden side af jor-den liggerJeg kom tilbage. Hjem måske,For kun at opdage og se,at Nordsøen stadigvæk har samme farve og form,at kun vinden fra Nordøst, bliver til den værste storm. At mågerne stadigvæk synger den samme sangog at de hvide strande, stadigvæk er lige så lang.

    4) Jeg kommer fra en dansk-tysk by.Hvor jeg for 4 gang fandt ly,En by, som for anden gang hjalp mig med at finde denrette vej.Her, hvor 70 kvadratmeter blev til mit egetHer, hvor jeg blev så æld gammel, og alligevel er så ung,Hvor følelserne fylder og tankerne er tunge,Her hvor de mørkeste tider, lod mig fare vild i nattensindreOg de lyseste øjeblikke, gjorde skyggerne mindre.Her, hvor jeg engang imellem skal faste,– fordi jeg glemte at handle ind …Og her, hvor jeg ikke bare kan spørge min mor,Når der er noget jeg ikke kan finde …

    Her, hvor nætter bliver til dage hvor job og regninger regererog her, hvor jeg for første gang sagde.At jeg tror, at jeg ved hvem jeg er.

    5) Jeg kommer fra et land,Som aldrig har været mit praktiske hjem,Men hvor jeg alligevel,Hver eneste dag tager hen.Fordi jeg elsker det.Fordi mit hjerte slår i samme takt,med jer og os og dem.Fordi jeg selv altid har sagt,At mit hjerte vælger, hvor jeg hører hjem’.Og at det ikke kommer an på, slægt eller blod,men på følelser og tryghed, derimod.Og så spørger du mig, „Hvor jeg og min accent og demange historier kommer fra?“Og jeg svarer: der, hvor sort og hvid bliver til gråder, hvor guldhornene låder, hvor sprogene blandes Og kulturerne også.Hvor grænser er åbne,Og ingen slås. Her er jeg hjemme, her har jeg rodDet sted jeg snart, dog aldrig forlod.

    Mit einem Herz, dessen eine Hälfte jetzt auf der anderenSeite der Welt liegtIch kam nach Hause, vielleicht,nur um zu sehen,dass die Nordsee immer noch die gleiche Farbe und die glei-che Form hat,dass nur der Wind aus Nordost, zum allerschlimmstenSturm wird,dass die Möwen immer noch das gleiche Lied singenund dass die weißen Strände, immer noch genau so langsind.

    4) Ich komme aus einer dänisch-deutschen Stadt.Wo ich zum vierten Mal ein Zuhause fand,eine Stadt, die mir zum zweiten Mal half, den richtigen Wegzu finden.Hier, wo 70 Quadratmeter meins wurdenHier, wo ich so alt wurde, und trotzdem so jung bin,wo Gefühle beherrschen und die Gedanken schwer sind.Hier, wo ich mich in den dunkelsten Zeiten, im Innerender Nächte verliefUnd wo die hellsten Augenblicke, die Schatten kleinermachten.Hier, wo ich ab und zu mal fasten muss,– weil ich vergessen habe einzukaufen …Und hier, wo ich nicht einfach meine Mutter fragen kann,wenn ich etwas nicht finde.Hier, wo Nächte zu Tagen werdenWo Job und Rechnungen regierenUnd hier, wo ich zum ersten Mal sagte,dass ich glaube, dass ich weiß, wer ich bin.

    5) Ich komme aus einem Land,das nie mein praktisches Zuhause waraber wo ich trotzdem jeden Tag hinfahre,weil ich es liebe.Weil mein Herz im gleichen Takt schlägt,mit euch und uns und denen.Weil ich selber immer gesagt habe,dass mein Herz sich aussucht, wo ich Zuhause binund dass es nicht auf Blut oder Vorfahren ankommt,aber auf Gefühle und Geborgenheit.Und dann fragst du mich: „Wo ich und mein Akzent unddie vielen Geschichten herkommen?“Und ich antworte:Da, wo schwarz und weiß zu grau wirdDa, wo die Goldhörner lagenDa, wo Sprachen gemischt werdenUnd Kulturen auch.Wo Grenzen offen sindUnd keiner sich bekriegt.Hier bin ich zu Hause, hier habe ich meine Wurzeln.Der Ort, den ich bald, aber niemals verließ.

  • Nordfriesland 207 – September 2019 29

    At as nimer tu leed fören iarst feer Faan Merle Sievers

    At as en söndai üüs arken ölern uuna eftersomer. At laacht wurt nü bi-letjen en betj harewstig an a bleedenbegan jo tu ferklöörin.Ualaatj sat üüs arken sön-dai, wan at det weder tu-leet, oner san lefst aapel-buum, üüs ik at guard -puurt eebenmaaget. Det-heer bilj gungt mä misant min ääder jongens-juaren an ik wurd det mäseekerhaid rocht mast.Üüs hi mi schocht, fera-nert ham sin gesicht, watölers so grimig ütj -schocht, tu en frinjelk ge-sicht an san mös fertjochtham tu en laachin. „Na!“, sait ualaatj,„komst dü am adjis tusaien?“ Üüs ik dön wur-den hiar, wurd ik ganswonerlik tu mud. „Jä, jüst“, swaare ik, „anam iarelk tu weesen,frööge ik mi ei. Ik saneentelk en betj baang ...“Üüs ik det sai, ramle mial a tuaren auer a schuu-ken deel. Det as jo nü atiarst feer, det ik gans alia-ning hen uun’t ütjlunkeer skal. Ualaatj stääntap an namt mi uun ia-rem. Wan hi diar as, sanik leewen gau berauigt. „Witjst dü“, määnt ual -aatj, „arke iarst feer köneen baang maage. Det asuk gans normaal“, fer -täält hi widjer. „An at as

    uk normaal, det arke iarst feer diapreeget maaget, oober det as jo ukferlicht goor ei ring, of?“ „Naja, ik küd diar uk üüb fer-sichte“, sai ik an teenk gliktidjig,dat ualaatj ferlicht dach irgenthürocht hee. „An uk wan diar surgen an ünsee-kerhaiden san, as en iarst feer uk engroosaartig saag“, fertäält hi. Ikkön’t ei halep, ik drei mä a uugen.Ualaatj wal mi dach bluat diarfaanauertjüüge, det ik maaren äädermin rais auer tu Ingelun uuntreed. „An wat as nü so groosaartig diarbi?“,fraage ik bal en betj patsig, uk wanik det goor ei uun san haa. Ualaatj

    luket mi mä sin jonkblä uugen uun. „Mä arke iarst feer wurt ham wiiseran feit diartu uk muar mud. Iarstfeeren san würtelk böös wichtiguun’t leewent, auer jo üs halep tuwaaksen, witjst dü?“, sait hi. „Ach ualaatj, dü könst saacht! Dübeest nü al so ual, mä tauantachen-tig heest dü jo uk nian iarst feermuar föör di!“ Jüst haa ik det gra-tem saad, do dee hi mi al iarig, oo-ber det as jo a woorhaid. Ualaatjskintj rian tunant tu weesen an könat goor ei faade, wat ik jüst saadhed. „Wat saist?“, fraaget hi gans ünsee-ker efter en letj sküür.

    „Na, dü heest dach al alesuun din leewent maaget,wat skääl dü do noch tu’tiarst feer du? Diar jaft atdach niks!“, swaare ik.Diarüübhen stäänt hi apan gungt iin uun’t hüs.Nü as hi dol, teenk ikuun de uugenblak. Oo-ber do komt ualaatj alturag, mä en letj paktjeoner a iarem. „Luke“, sait hi, „ik haami föör en sküür turagso’n neimuudsk tilefoonkeeft, hü het det noch?“ „Dü määnst en handy, anhuaram heest dü so watkeeft, ualaatj?“, fraage ik. „Ik wal dach widjerhenmä min enkelin snaake anharke, wat dü diar sodrafst uun Ingelun. Watskal ik ölers arken söndaimaage?“ Ik san rocht reerdfaan sin uunswurd. „Förmi as det mä so’n handygans nei an ik witj goor ei,hü ham mä sowat am-gungt. Üübtu fertäält dinmam a hiale tidj wat faan‚Whatsapp‘, ik witj uk ei,wat hat diarmä määnt!“,siket ualaatj. „Man wat ikdiarmä eentelk sai wal“,fertäält ualaatj gans stoltmä sin handy uun a hun,„at as nimer tu leed för eniarst feer!“

    Bei der großen Abschlussgala mit Preisverleihung desLiteraturwettbewerbs „Ferteel iinjsen!“ 2018 konnteMerle Sievers (links), Friesisch-Studentin aus Flens-burg, nicht teilnehmen. Ihr wurde der 4. Preis späteran der Europa-Universität Flensburg überreicht. Ne-ben Merle im Bild ihre Fering-Dozentin Anne Paulsen-Schwarz. In der Geschichte von Merle Sievers geht esdarum, dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu lernen.

    Foto: Hauke Heyen

  • 30 Nordfriesland 207 – September 2019

    Witwensitze2017 gab es bei schönster Krokus-blüte im Schloss vor Husum eineTagung zum Thema „Witwen undWitwensitze in Schleswig-Hol-stein“. Nun liegt der Tagungsbandvor:

    Oliver Auge, Nina Gallion, ThomasSteensen (Hrsg.): Fürstliche Witwenund Witwensitze in Schleswig-Hol-stein. 319 S., 24,00 Euro, Matthie-sen Verlag, Husum 2019 (Quellenund Forschungen zur GeschichteSchleswig-Holsteins 127).Fürstliches Leben gehört nicht zuden ersten Themen, die allgemeinmit Nordfriesland verbunden wer-den. Dennoch findet sich imSchloss vor Husum einer dieserSitze fürstlicher Witwen, an demsich fürstliches Leben in Nordfries-land abspielte. Dessen Bedeutungfür und Einfluss auf die Region –sowohl wirtschaftlich als auch kul-turell – wird dargestellt in Beiträgenvon Melanie Greinert und AlbertPanten. Ihnen zur Seite gestellt sindweitere Aufsätze zu Witwensitzen inKiel, Reinbek, Odense und auf Al-

    sen sowie solche der Plöner Her-zöge, Eutiner Fürstbischöfe undHerzöge von Sachsen-Lauenburg.Die damaligen Tagungsleiter Prof.Dr. Thomas Steensen und Prof. Dr.Oliver Auge verfassten ein Geleit-wort und ein Vorwort, in dem aufdie Bedeutung der Witwensitze all-gemein und in Schleswig-Holsteineingegangen wird. Einige Aufsätzesind farbig bebildert und geben denWitwensitzen und mit ihnen ver-bundenen Personen ein Gesicht. Er-gänzt wird der Tagungsband durchein Personen- und Ortsregister. Einin Nordfriesland weniger verbreite-tes Thema hat so eine ansprechendeDarstellung erhalten.

    Franziska Böhmer

    Bemerkenswert (und)ärgerlichDies ist ein bemerkenswertes, ausnordfriesischer Warte allerdings auchärgerliches Buch. Joke Corporaal: Solange der Baumblüht. Eine kurze Geschichte der frie-sischen Literatur. 144 S., 15,00 Euro,Tresoar, Leeuwarden 2018.Der Titel stammt aus der poetischen„Ewigkeitsformel“ des altfriesischenRechts: „ … solange der Wind vonden Wolken weht und das Grasgrünt und der Baum blüht und dieSonne aufgeht und die Welt besteht“.Wie schön der Baum der westfriesi-schen Literatur blüht, wird in diesemBuch eindrücklich und in gut lesbarerSprache vor Augen geführt. In siebenKapiteln geht es um Epochen, Merk-male, Höhe- und Tiefpunkte. In„Fenstertexten“ werden zudem be-sondere Aspekte behandelt. Der Bo-gen reicht von den ältesten friesischenRunen bis zu friesischen Romanendes 21. Jahrhunderts. Das Buch er-schien 2018, als Ljouwert/ Leeuwar-den als europäische Kulturhauptstadtfirmieren konnte. Dass es auch indeutscher Sprache herauskam, kannman nur sehr begrüßen, denn wenigist in Deutschland über die reichewestfriesische Literatur bekannt. Warum nun ist das