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Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 37 Die im folgenden Text benutzten Regionalbe- zeichnungen seien hier kurz zusammengefaßt (Karte 1). Im Norden des Landes, von der Libyschen Wüste im Westen und der Nubischen Wüste im Osten eingeschlossen, zieht sich die Landschaft Nubien an den Ufern des Nils hin. Unternubien wird das Gebiet vom Ersten Katarakt bei Aswan in Ägypten bis zum Zwei- ten, jetzt im Nasser-Stausee versunkenen Kata- rakt genannt. Die Südgrenze des anschließenden Obernubien liegt weniger genau bestimmt in der Gegend des Vierten oder Fünften Katarak- tes. Vom großen Nilknick umschlossen wird die Bayuda, östlich des Nils liegt der Atbai. Daran anschließend bilden die Red Sea Hills eine Bar- riere zum Roten Meer. Der nördlichste Nilzu- fluß ist der nur saisonal Wasser führende Atba- ra; von Nil und Atbara eingeschlossen wird die Butana. Noch weiter südlich befindet sich der Zusammenfluß von Weißem und Blauen Nil. Zwischen beiden Nilen liegt das fruchtbare Gebiet der Gezira („Insel“). Obernubien, Buta- na, Bayuda und die Gezira werden auch als Zen- tralsudan zusammengefaßt. Südlich der Provinz Blauer Nil schließt sich die natürliche Barriere des Sudd an, hinter der die Gebiete nichtmusli- mischer Völker liegen. Westlich vom Blauen Nil befindet sich die Landschaft Kordofan mit der Enklave der Nuba Mountains, noch weiter west- lich das an den Tschad grenzende Darfur, dessen Zentrum die Bergwelt des Gebel Marra bildet. Martin Fitzenreiter Geschichte, Religion und Denkmäler der islamischen Zeit im Nordsudan 1) BILAD AS-SUDAN, das „Land der Schwarzen“ – so nannten die Araber ursprünglich alle Gebiete südlich der Sahara. Und noch heute wird unter dem sudanischen Afrika der breite Landstreifen vom Senegal und Mauretanien im Westen Afrikas, über Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad bis zur Republik Sudan im Osten verstanden. Der moderne Staat Sudan, hervorgegangen aus dem Anglo- Egyptian Sudan genannten Kondominium, umfaßt ein Gebiet, das von Unterschieden ebenso geprägt ist wie von Gemeinsamkeiten. Das riesige Territorium reicht von der Wüste Sahara bis zu den Ausläufern des äquatorialen Regenwaldes und ist zum großen Teil von der semiariden Land- schaft der Sahelzone geprägt. Der das Land von Süd bis Nord durchfließende Nil verbindet die hier lebenden Völker, ihm verdankt der Sudan seit frühester Zeit seine Mittlerfunktion zwischen der Mittelmeerwelt und dem inneren Afrika. In der Antike wurden Anregungen der ägyptischen Hochkultur aufgenommen und im afrikanischen Milieu umgeformt, später bildete das Christentum ein Band, das die südlich der Sahara lebenden Völker mit den Mittelmeerkulturen verband. Seit dem achten Jahrhundert trat der Islam an seine Stelle. An der Schwelle zwischen Arabien und Afrika (von nun an wurde auch die Meeresverbindung zur arabischen Halbinsel, besonders für die Pilgerströme aus dem westlichen Afrika bedeutend) bewies der Islam seine Fähigkeit, einheimische Traditionen aufzunehmen und über sprachliche und ethnische Grenzen hinweg lebendig umzuformen. Er wurde zum Ausdruck eines nationalen Selbstbewußtseins und zugleich im Zusammenleben mit nichtmuslimischen Völkern schweren Belastungsproben unterworfen. Dieses Spannungsverhältnis besteht bis heute und von ihm wird auch in Zukunft vieles im kulturellen und politischen Zusammenleben der Völker dieser Region abhängen. Die Artikelserie soll in drei Teilen die Geschichte, die Religion und die Denkmäler der islamischen Zeit im Nordsudan vorstellen. Teil I: Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 1) Das große Interesse, das auf der Sudanreise der SAG 1995 auch die Denkmäler der islamischen Periode fan- den, bewog mich, diesen Artikel zu schreiben. Allen Reiseteilnehmern sei er gewidmet.

Geschichte, Religion und Denkmäler der islamischen Zeit im ...€¦ · Geschichte, Religion und Denkmäler der islamischen Zeit im Nordsudan1) BILAD AS-SUDAN, das „Land der Schwarzen“

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Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 37

Die im folgenden Text benutzten Regionalbe-zeichnungen seien hier kurz zusammengefaßt(Karte 1). Im Norden des Landes, von derLibyschen Wüste im Westen und der NubischenWüste im Osten eingeschlossen, zieht sich dieLandschaft Nubien an den Ufern des Nils hin.Unternubien wird das Gebiet vom ErstenKatarakt bei Aswan in Ägypten bis zum Zwei-ten, jetzt im Nasser-Stausee versunkenen Kata-rakt genannt. Die Südgrenze des anschließendenObernubien liegt weniger genau bestimmt inder Gegend des Vierten oder Fünften Katarak-tes. Vom großen Nilknick umschlossen wird die

Bayuda, östlich des Nils liegt der Atbai. Darananschließend bilden die Red Sea Hills eine Bar-riere zum Roten Meer. Der nördlichste Nilzu-fluß ist der nur saisonal Wasser führende Atba-ra; von Nil und Atbara eingeschlossen wird dieButana. Noch weiter südlich befindet sich derZusammenfluß von Weißem und Blauen Nil.Zwischen beiden Nilen liegt das fruchtbareGebiet der Gezira („Insel“). Obernubien, Buta-na, Bayuda und die Gezira werden auch als Zen-tralsudan zusammengefaßt. Südlich der ProvinzBlauer Nil schließt sich die natürliche Barrieredes Sudd an, hinter der die Gebiete nichtmusli-mischer Völker liegen. Westlich vom Blauen Nilbefindet sich die Landschaft Kordofan mit derEnklave der Nuba Mountains, noch weiter west-lich das an den Tschad grenzende Darfur, dessenZentrum die Bergwelt des Gebel Marra bildet.

Martin Fitzenreiter

Geschichte, Religion und Denkmälerder islamischen Zeit im Nordsudan1)

BILAD AS-SUDAN, das „Land der Schwarzen“ – so nannten die Araber ursprünglich alle Gebietesüdlich der Sahara. Und noch heute wird unter dem sudanischen Afrika der breite Landstreifen

vom Senegal und Mauretanien im Westen Afrikas, über Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad bis zurRepublik Sudan im Osten verstanden. Der moderne Staat Sudan, hervorgegangen aus dem Anglo-

Egyptian Sudan genannten Kondominium, umfaßt ein Gebiet, das von Unterschieden ebensogeprägt ist wie von Gemeinsamkeiten. Das riesige Territorium reicht von der Wüste Sahara bis zuden Ausläufern des äquatorialen Regenwaldes und ist zum großen Teil von der semiariden Land-schaft der Sahelzone geprägt. Der das Land von Süd bis Nord durchfließende Nil verbindet die

hier lebenden Völker, ihm verdankt der Sudan seit frühester Zeit seine Mittlerfunktion zwischender Mittelmeerwelt und dem inneren Afrika. In der Antike wurden Anregungen der ägyptischen

Hochkultur aufgenommen und im afrikanischen Milieu umgeformt, später bildete das Christentumein Band, das die südlich der Sahara lebenden Völker mit den Mittelmeerkulturen verband.

Seit dem achten Jahrhundert trat der Islam an seine Stelle. An der Schwelle zwischen Arabien undAfrika (von nun an wurde auch die Meeresverbindung zur arabischen Halbinsel, besonders für diePilgerströme aus dem westlichen Afrika bedeutend) bewies der Islam seine Fähigkeit, einheimische

Traditionen aufzunehmen und über sprachliche und ethnische Grenzen hinweg lebendigumzuformen. Er wurde zum Ausdruck eines nationalen Selbstbewußtseins und zugleich im

Zusammenleben mit nichtmuslimischen Völkern schweren Belastungsproben unterworfen. DiesesSpannungsverhältnis besteht bis heute und von ihm wird auch in Zukunft vieles im kulturellen und

politischen Zusammenleben der Völker dieser Region abhängen.Die Artikelserie soll in drei Teilen die Geschichte, die Religion und die Denkmäler der islamischen

Zeit im Nordsudan vorstellen.

Teil I:Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit

1) Das große Interesse, das auf der Sudanreise der SAG1995 auch die Denkmäler der islamischen Periode fan-den, bewog mich, diesen Artikel zu schreiben. AllenReiseteilnehmern sei er gewidmet.

Der Sudan vor der Islamisierung

Das Niltal ist eine der Regionen der Welt, dieschon seit der Steinzeit eine nahezu geschlosse-ne Folge von Besiedlungen und Kulturen auf-weist. Die Überreste mesolithischer (7./6. Jahr-tausend v.u.Z.) und neolithischer (5./4. Jahrtau-send v.u.Z.) Kulturen fand man in derUmgebung von Khartoum. Seit dem frühen 4.Jahrtausend v. u. Z. läßt sich in Unternubien einenahezu ununterbrochene Folge von Besiedelungnachweisen. Über die Kulturen der sog. A-Gruppe und der C-Gruppe sowie die Kerma-Kultur trat das pharaonische Ägypten in Kon-takt mit dem inneren Afrika. Im Mittleren Reich(1970 – 1785 v.u.Z.) wurden Unternubien, imNeuen Reich (1500 – 1100 v.u.Z.) auch großeTeile Obernubiens von Ägypten zeitweisebesetzt. Eine neue Etappe begann mit dem Reichvon Kusch, das schon kurz nach seiner Entste-hung Ägypten eroberte und dessen Könige dortals 25. Dynastie herrschten (713 – 656 v.u.Z.).Nach der Vertreibung aus Ägypten geboten dieKönige von Kusch von ihrer Hauptstadt Meroeaus weiterhin über ein Gebiet, das weite TeileNubiens und des Zentralsudan umfaßte. DasEnde des meroitischen Reiches im 4. Jh. u.Z. istdurch eine Regionalisierung des ursprünglichvon Unternubien bis mindestens Sennar rei-chenden Territoriums gekennzeichnet. Das

Reich zerfiel in mehrere Territorialherrschaften.Um 500 u.Z. hatten sich im nubischen Niltal dreiStaatswesen gebildet: Nobatia mit demHauptort Faras im Norden, Makuria mit demHauptort Old Dongola in Obernubien und imSüden Alodia/Alwa mit dem Hauptort Soba.2)

Neben dem früh christianisierten Ägyptenwar im östlichen Afrika schon um 350 Äthiopi-en offiziell zum Christentum bekehrt worden.Nubien dagegen blieb heidnisch, bis im 6. Jahr-hundert am byzantinischen Hof Bestrebungenaufkamen, die Reiche südlich der ägyptischenGrenze zu missionieren. Diese Missionierunggestaltete sich nach dem Bericht des Kirchenhi-storikers Johannes von Ephesos als ein Wettlaufzwischen den von Kaiser Justinian ausgesandtenorthodoxen Missionaren und den von seinerFrau Theodora geschickten Monophysiten.3)

Auch die ägyptische Kirche war zu dieser Zeitin das vom Kaiser eingesetzte orthodoxe (mel-kitische) Patriarchat von Alexandria und diegrößtenteils monophysitische koptische Bevöl-kerung gespalten. Der monophysitische Pres-byter Julian gelangte als erster nach Nubien und

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit38

Old Dongola

Faras

Soba

'Aydhab

Gebel Adda

Kabushiya

Sennar

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Aswan

Qasr Ibrim

Qerri

Renk

Berber

Shendi

Arbaji / Rufa'a

ad-Damir

Uri

'Ayn Farahel-Fashir

el-Obeid

Bara

Sawakin

Massawa

Gondar

Taqali

Mekka

Fazoghli

Turra

Libysche Wüste

Nubische Wüste

Bayuda

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Tana-See

1. Kat.

2. Kat.

3. Kat.

4. Kat. 5. Kat.

6. Kat.

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Handelswege

Karte 1:Der nördliche Sudan

und angrenzendeGebiete

2) Die Bevölkerung von Nobatia und Makuria sprachNubisch. Ob auch die Bevölkerung von AlodiaNubisch sprach, oder Nubisch nur die Sprache desHofes oder der Oberschicht war, ist ungewiß; Adams1977: 563.

bekehrte 543 den Hof von Faras. 569 wurde derKopte Longinus erster Bischof in Nubien. DerKönig von Alodia wünschte ebenfalls die Mis-sionierung durch Longinus, der 580 dort eintraf.Zu dieser Zeit verhielt sich das dazwischen lie-gende Makuria noch feindlich gegenüber den

Monophysiten, möglicherweise war es orthodoxmissioniert worden. Wenig später wurde Noba-tia von Makuria erobert und Old DongolaHauptstadt des Reiches mit einem bedeutendenBischofssitz.

Für etwa 700 Jahre blieb das Christentum diebestimmende Religion im Niltal bis etwa Sennar,während sich christliche Ideen unter den teil-weise nomadisierenden Völkern der Umgebungkaum durchsetzen konnten.

632 war der Prophet des Islam Muhammad inMedina verstorben; schon 639 zogen arabischeHeere nach Ägypten, wo sie von der koptischenBevölkerung größtenteils als Befreier von denorthodoxen Byzantinern begrüßt wurden. IhrGeneral Amr ibn al-Asi unternahm keinen aufEroberung gerichteten Feldzug nach Nubien, eskam nur zu beiderseitigen Raubzügen. Sein

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 39

3) Politische und soziale Gegensätze wurden im byzanti-nischen Reich besonders in Form religiöser Auseinan-dersetzungen um die Natur Christi ausgetragen. DieMonophysiten sehen in Christus nur eine, rein göttli-che Wesensheit (mono physis), während die Orthodo-xen (Dyophysiten) in seiner Person göttliche undmenschliche Eigenschaften vereint sehen. Auf demKonzil von Kalzedon im Jahre 451 wurde die dyophy-sitische Lehre von der Einheit göttlicher und mensch-licher Eigenschaften in der Person Christi zur einzigwahren Lehre erklärt und die monophysitische Lehreals Heräsie verdammt.

Dies ist ein Vertrag, den der Amir 'Abd Allahibn Sa'd ibn Abi Sarh mit dem Oberhaupt derNuba und mit allen Leuten seines Herr-schaftsbereiches schloß, ein Bündnis mit denNuba, groß oder klein, von der Grenze inAswan zu der von Alwa.'Abd Allah ibn Sa'd verbürgt Sicherheit undWaffenstillstand zwischen ihnen und den Mus-limen von Oberägypten sowie allen anderenMuslimen und ihren Klienten (dhimmi -Schutzbefohlene; Christen und Juden untermuslimischer Herrschaft).Ihr Volk der Nubier sollt unter dem SchutzAllahs und seines Gesandten, des ProphetenMuhammad leben. Wir wollen euch wederangreifen, noch Krieg gegen euch führen, nochRaubzüge durchführen solange ihr die Verein-barung zwischen uns und euch befolgt. Ihrdürft unser Land als Händler betreten, dochnicht als Siedler. Wir dürfen euer Land alsHändler betreten, doch nicht als Siedler. Ihrsollt Muslime oder ihre Klienten beschützendie in euer Land kommen oder dort reisen, bissie es verlassen. Ihr sollt dem Land des Islamjeden zu euch entlaufenen Sklaven zurückge-ben, der einem Muslim entfloh, ihr sollt ihnnicht besitzen, noch sollt ihr einen Muslimbehindern, der kommt um ihn zu holen, bis ergeht. Ihr sollt die Moschee schützen, die dieMuslime auf dem Markt eurer Stadt gebauthaben und niemanden daran hindern dort zubeten; ihr sollt sie sauber halten, sie beleuchtenund respektieren.

Jedes Jahr sollt ihr 360 Sklaven dem Herrscherder Muslime geben. Sie sollen vom normalenTyp der Sklaven eures Landes sein, frei vonkörperlichen Gebrechen, sowohl männlich alsweiblich, weder sehr alte Männer, noch alteFrauen, noch Minderjährige. Sie sollen demGouverneur von Aswan ausgehändigt werden.Kein Muslim soll gezwungen werden, gegeneinen Feind zu kämpfen, der euch angreift, odereuch gegen ihn zu verteidigen von der Grenzevon 'Alwa bis zu der von Aswan. Wenn ihreinen geflohenen Sklaven eines Muslim auf-nehmt, oder einen Muslim oder seinen Klien-ten tötet, oder die Moschee zerstören wollt, diedie Muslime in eurer Stadt gebaut haben, odereinen der 360 Sklaven zurückhaltet, dann seidieser Waffenstillstand und die Sicherheit auf-gehoben und wir und ihr werden zur Feind-schaft zurückehren bis Gott zwischen uns rich-tet, denn er ist der beste aller Richter.An diese Bedingungen sind wir durch dasBündnis mit Gott gebunden und durch seinGelöbnis und das seines Gesandten des Pro-pheten Muhammad. Und ihr seid gebundenuns gegenüber durch das, was das Heiligste ineurem Glauben ist, bei dem Messias, den Apo-steln und allen, die ihr in eurer Religion undGemeinschaft verehrt. Gott sei Zeuge zwi-schen uns und euch.

Geschrieben von 'Umar ibn Sharhabil

im Ramadan, Jahr der Higra 31 (652 u.Z.)

Kasten 1: Text des baqtDer Text wurde von Maqrizi (Khitat, I, 323f) überliefert. Er zitiert ihn aus einem heute ver-schollenen Werk des Ibn Salim al-Aswani, der 969 als Gesandter der Fatimiden am nubischenKönigshof weilte. (Hier nach der Übersetzung von Trimingham 1965 : 61f.)

Nachfolger Abd Allah ibn Sa’d ibn Abi Sarh lei-tete 651/652 eine Expedition, die bis vor dieMauern von Old Dongola führte. Die Belage-rung endete mit einem baqt genannten Frie-densvertrag, der einen jährlichen Tribut von 360Sklaven, freien Handel und den Schutz einerMoschee in Old Dongola forderte.4) Dieser Ver-trag bestand bis in die Zeit der Fatimiden undsicherte den Frieden an der ägyptisch-nubischenGrenze (Kasten 1).

Während die ägyptischen Machthaber in denfolgenden Jahrhunderten kein Interesse anNubien zeigten und in fatimidischer Zeit(953 – 1160) christliche Nubier in der Leibgar-de der Sultane dienten, setzte ein allmählicherZuzug islamischer Nomaden ein, die sich derzentralistischen Politik der Sultane Nordafrikasentziehen wollten. So wanderten schon im 11.Jahrhundert Araber in das nördliche Unternu-bien ein und gingen in der dort lebenden nubi-schen Bevölkerung auf. Nach dem Namen ihresAnführers, Kanz ed-Daula, bezeichneten sie sichals Beni Kanz. Diese Gruppe, die dem Islamanhing, aber die nubische Sprache übernahm,wurde zum nördlichsten Stamm der Niltalnu-bier (Kunuzi/Kenzi). Nach diesem Muster -Einwanderung einer Minderheit, Assimilierungdurch die sudanesische Bevölkerung unterÜbernahme des Islam – setzte sich der Islam imLaufe der Zeit im Sudan durch.5)

Im 13. Jahrhundert endete das friedlicheZusammenleben mit Ägypten. 1272 hattenTruppen von Makuria den ägyptischen Hafen‘Aydhab (Aidab) am Roten Meer erobert undAswan angegriffen. Der mamelukische Sultan

Baibars I. (1260 – 1277) und sein NachfolgerQala’un unternahmen daraufhin mehrere Feld-züge nach Old Dongola, wobei sie Thronstrei-tigkeiten in Makuria ausnutzten. Für kurze Zeitregierten zum Islam übergetretene nubischeKönige, und der Thronsaal von Old Dongolawurde in eine Moschee umgewandelt, woran einDenkstein erinnert6) (Abb. 1). Das Reich aberzerfiel in eine Anzahl kleinerer Herrschaften, dieteilweise noch am christlichen Glauben festhiel-ten. So ist noch 1484 das christliche Kleinkönig-tum Dotawo in Unternubien (Gebel Adda?)belegt.7)

Neben inneren Faktoren hatte eine neue Ein-wanderungswelle arabischer Stämme den Zerfalldes christlichen Reiches befördert. Diese Grup-pen (Rabi’a und Juhayna) zogen im 14. und 15.Jahrhundert von Norden durch das Gebiet derBeja und weiter nach Kordofan. Im Niltal wur-den sie kaum ansässig, übten aber nicht unwe-sentlichen Einfluß bei der Verbreitung des Islamdurch Heirat und politische Allianzen aus. Imsüdlich gelegenen, etwa von Kabushiya bis Sen-nar reichenden Alodia blieb das Christentumnoch fast zwei Jahrhunderte Staatsreligion. Um1500 wurde schließlich dessen Hauptstadt Sobaerobert.

Mit dem Verlöschen der christianisiertenZentralgewalt verschwand auch in der Bevölke-rung das Christentum. Das wird vor allem dar-auf zurückzuführen sein, daß das nubische Chri-stentum stets in Abhängigkeit zum Patriarchat

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit40

Abb. 1:Die Thronhalleder christlichen

Könige vonOld Dongola.

Der Bau wurde1317 in eine

Mosche umge-wandelt.

4) Übersetzungen in: Trimingham 1965: 61f, Adams1977: 451f, Fadl Hasan 1967: 22-24

5) Siehe dazu Teil II.

6) Die Inschrift lautet nach Crawford 1951: 35, Anm. 23:"Dieses gesegnete Tor des Glaubens wurde durch Seifal-Din Abdullahi al-Nasir im Jahre 717 am 16. Rabiaal-auwal (= 1. Juni 1317) geöffnet." Abbildung in FadlHasan 1967: Abb. 2.

7) Adams 1977: 533

in Alexandria stand. Nur der Patriarch konntenubische Bischöfe weihen, Priester wurdenmeist in Ägypten ausgebildet. Mit dem Abbruchder Beziehungen zur Mutterkirche verarmte dasreligiöse Leben und unter der Bevölkerung tra-ten wieder die alten Riten in den Vordergrund.Dennoch berichten noch im 16. und 17. Jahr-hundert Reisende von einer eigenartigenMischung christlicher und heidnischer Riten inNubien.8)

Das Sultanat der Funj9)

Bevölkerung

1540/41 hatten die Osmanen, nach der Erobe-rung Ägyptens im Jahre 1517, einen Vorstoßnach Nubien und entlang der Küste des RotenMeeres unternommen. Nubien wurde bis Saibesetzt und in Aswan, Qasr Ibrim und Sai Fest-ungen gebaut. Die osmanischen Garnisonen bil-deten mit der einheimischen Bevölkerung baldeine eigene Gruppe (Ghuzz, aus türkischOghuz).

Wahrscheinlich bedingt durch die isolierteLage inmitten der umliegenden Wüsten und dendadurch nur geringen Kontakt mit arabisiertenNomaden blieb im mittleren Niltal bis etwaDongola die nubische Sprache und Kultur domi-nierend.

Die in Obernubien lebenden Gruppen derJa’aliyin standen in engerer Verbindung zu den

Nomaden, dennoch blieb auch hier die nubischeSprache teilweise noch bis in das 18. Jahrhundertim Gebrauch. Im Gebiet des alten Reiches vonAlodia lebten die ‘Anaj, die auch als ‘Abdal-lab bezeichnet werden. Ihr Hauptort war Qerriauf dem Ostufer des Nils. Bei allen diesen Völ-kern handelte es sich zum größten Teil um dieNachfahren der dort schon seit Jahrhundertenansässigen Gruppen.10)

Die ‘Abdallab hatten unter Führung von‘Abdallah Jamma („der Sammler“) um 1500große Gebiete des Zentralsudan unter ihrerOberherrschaft vereint und wahrscheinlich diealte Hauptstadt Soba erobert. Beim Vorstoßnach Süden stießen sie 1504 auf die Funj unterFührung von ‘Amara Dunqas und wurdenbesiegt. Die Funj einigten sich jedoch mit den‘Abdallab und beließen sie als Vizekönige imNorden. Die Oberherrschaft der so plötzlich indas Rampenlicht der Geschichte tretenden Funj,die sich selbst als die „Blauen“ (= Tiefschwar-zen) bezeichneten, wurde bis zum Dritten Kata-rakt anerkannt. Es handelt sich bei ihnen wahr-scheinlich um Gruppen der alten Bevölkerungder südlichen Gezira und des Grenzgebietes zuÄthiopien. Etwa zeitgleich mit ihrem Vorstoßentlang des Blauen Nil kam es zur Nordwande-rung der Shilluk am Weißen Nil, die um Fasho-da ein Königreich gründeten, das im Nordenetwa bis Renk reichte.

Das so entstandene Sultanat der Funj bestandaus einer Anzahl von Unterkönigtümern. Kern-gebiet war die Gezira, die direkt dem Sultan inSennar unterstand. Vizekönige herrschten über

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 41

'Amara ibn Adlan (Amara Dunkas) 1504 - 1534

Nayil 1534 - 1551

Abd el Qadir I. ibn 'Amara 1551 - 1558

'Amara ibn Nayil 1558 - 1569

Dakin ibn Nayil 1569 - 1586

Dawra 1586 - 1588

Taiyab ibn Abd el-Qadir 1588 - 1592

Unsa I. 1592 - 1604

Abd el-Qadir II. 1604 - 1606

Adlan von Karkoj 1606 - 1611

Badi I. ibn Abd el-Qadir 1611 - 1617

Rubat 1617 - 1645

Badi II. 1645 - 1680

Unsa II. ibn Nasir, ibn Rubat 1680 - 1692

Badi III. 1692 - 1716

Unsa III. 1716 - 1720

Nul 1720 - 1724

Badi IV. 1724 - 1762

Nasir 1762 - 1769

Ismail 1769 - 1776

Adlan 1776 - 1780

Interregnum bis 1788Idri / Awkal 1788

Tabl / Rubat 1789

Badi V. 1789 - 1790

Hasab Rabbihi 1791

Nuwwar 1792

Badi VI. 1793 - 1798

Ranfa 1799

Interregnum bis 1806Badi VI. (erneut) 1806

Ajban / Badi VI. 1806 - 1821

Kasten 2: Liste der Herrscher der Funj (Nach Crawford 1951: 329f u. O'Fahey 1980: 303)

8) Vantini 1981: 208-2159) Dieser und der folgende Abschnitt folgt weitgehend

O'Fahey u. Spaulding 1974 10) Zu den Stämmen siehe auch Teil II.

das nördliche Niltal, die südlichen Provinzenund Kordofan. Die Vizekönige wurdenManjil/Manjilak genannt, die Gebietsherrendes Nordens, die alle dem Manjil von Qerriunterstanden, führten den Titel Makk oderMek.11) Boten des Funjherrschers, die mitmilitärischer Begleitung durch das Land zogen,garantierten die Loyalität der Gebietsherren.Einmal jährlich mußten diese am Hof des Sult-ans erscheinen und im Bedarfsfall Militärkon-tingente stellen. Die Gebietsherren wurden mitFrauen aus dem Königsclan der Funj verheira-tet, deren Söhne am Sultanshof aufgezogen wur-den und aus denen der Sultan den Nachfolgerseines Vasallen auswählte. Die Nomaden derRandgebiete waren nur locker in dieses Systemder Oberherrschaft eingebunden. Das Reich derFunj reichte zu Zeiten seiner größten Ausdeh-nung vom Dritten Katarakt bis Fazoghli und vonder Küste des Roten Meeres bis nach Kordofan.Seit dem Reich von Meroe gab es damit erstmalswieder ein Großreich zwischen Ägypten undÄthiopien.

Das Sultanat der Funj besaß viele Elementeeines afrikanischen sakralen Königtums.12) DerSultan trat nur verschleiert auf und durfte nichtbeim Essen gesehen werden. Ihm stand ein Ratvon 20 Männern zur Seite, sowie eine Reihewichtiger Beamter, darunter der Amin (Vezir,Oberbefehlshaber), der Jundi (Zeremonienmei-ster, besonders bei der Krönung) und der Sid al-Qum. Letzterer war der persönliche Leibwäch-ter des Sultans und zugleich der Scharfrichter,der auch königliches Blut vergießen durfte.

Die königliche Thronfolge verlief über dieweibliche Linie (Kasten 2). Der neue Sultanmußte während der Krönungszeremonie eineFrau aus dem königlichen Clan der Unsab hei-raten. Aus deren Kindern wurde der nächsteThronfolger ausgewählt, alle anderen Söhnevom Sid al-Qum umgebracht. Eine wichtigeRolle am Hof spielte der Onkel des Sultans müt-terlicherseits, der wahrscheinlich der Sid al-Qum war. Auch Mutter und Schwester des Sul-tans hatten wichtige Positionen inne.

Bei der Krönung wurde dem neuen Sultaneine Kappe mit zwei Hörnern (taqia UmmQurnein)13) aufgesetzt und er auf den heiligenThron kurkur gesetzt. Es folgten Reinigungs-riten und das Pflügen eines Feldes durch den Sul-tan. Einmal im Jahr gab es ein Fest ritueller Anar-chie, bei dem der König durch den Rat abgesetztund von Sid al-Qum getötet werden konnte.Ähnliche Riten werden auch von den Höfen derGebietsherren berichtet.

Spätestens mit der Bildung der Föderationtrat der Sultan ‘Amara Dunqas zum Islam über.

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit42

Abb. 2:Ansicht von Sennar

1821, nach Linantde Bellefonds

(in Crawford 1951).Links die Moschee,rechts der zerstörteTurm des Königs-

palastes.

11) Die dem osmanischen Sultan unterstehendenGebietsherren im Gebiet nördlich des 3. Kataraktestrugen den Titel Khashef. Wie bei ihren südlichenNachbarn war dieses Unterstellungsverhältnis meistnur nominell.

12) Der sakrale König gilt als Verkörperung der Wohl-fahrt seines Reiches. In Krönungsriten und zu jährli-chen Königsfesten wird seinem Körper diese besonde-re Eigenschaft verliehen. Er ist von einer VielzahlTabus umgeben. Körperliche Versehrtheit, Krankheitoder Alter des Königs können den Zustand des ganzenLandes beeinträchtigen, so daß der König zumAbdanken gezwungen, gelegentlich auch getötetwird. Wie häufig der Königsmord tatsächlich auftritt,ist in der Ethnologie umstritten. Als klassisches Bei-spiel gilt das Königtum der Shilluk am Weißen Nil(Evans-Pritchard, E. E.: The Divine Kingship of theShilluk of the Nilotic Sudan, in: Social Anthropologyand Other Essays, New York, 1964: 192-212).

13) Die Hörnerkappe ist ein im Sudan verbreitetes Ele-ment des Königtums. Sie ist aus dem christlichenNubien bekannt und wurde auch von Unterkönigender Funj getragen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daßihr Vorbild die Kappe mit Widderhörnern war, dievon den kuschitischen Königen getragen wurde. Siehedazu: Crawford 1951: 325-327

Neben dem Bündnis mit den schon teilweise isla-misierten Gruppen des Nordens wird auch dieEinbindung in den islamisch kontrolliertenFernhandel eine Rolle bei der Übernahme desislamischen Bekenntnisses gespielt haben. Isla-mische Traditionen und die arabische Sprachehielten aber nur sehr langsam am Hof Einzug.Sultan Badi II. ließ in Sennar die erste Moscheeerbauen (Abb. 2).

1606 wurde der Sultan ‘Abd al-Qadir durchden aufständigen Manjil von Qerri, ‘Ajib, abge-setzt. In die folgenden Kämpfe griff der feki (hei-liger Mann) Idris als Schlichter ein.14) Danachblieb der Norden des Sultanats praktisch von denVizekönigen von Qerri regiert. Kriege mit demäthiopischen Kaiser Susenyos 1618/19 und Ein-fälle der Dinka aus dem Südsudan ab ca. 1630schwächten die Position des Sultans von Sennar.

Mit der Einführung des spanischen Dollarsals allgemeines Wertäquivalent schwand das bisdahin gehaltene Handelsmonopol des Sultansund es kam zur Bildung von neuen Handels-zentren als Konkurrenz zu Sennar, dem bis dahinbedeutendsten Karawanenposten des Sudan.Die in diesen Städten (Berber, Shendi, Arba-ji/Rufa’a) lebenden Händler folgten einem sehrviel orthodoxeren Islam als bisher im Sudanüblich. Hier entstanden Moscheen und Koran-schulen; ad-Damir erlangte unter den Führerndes islamischen Madjhubiya-Ordens weitge-hende Unabhängigkeit.15)

Im 18. Jh. gab es immer wieder Aufstände desNordens gegen die Funj-Sultane, dazu kamenKriege mit den Sultanen von Darfur um die Pro-vinz Kordofan, die schließlich verlorenging. Indieser Zeit stieg der Offizier Abu LikaylikKamtur von den Hamaj, einem Stamm der süd-lichen Gezira, zum mächtigen Vezir auf, derschließlich 1761/62 Sultan Badi IV. absetzte.Von da an waren die Sultane nur noch Puppenin der Hand der Königsmacher von den Hamaj.Diese letzte Periode des Funj-Sultanates istdurch feudale Kämpfe, Schwächung der Zen-tralgewalt, Verschlechterung der wirtschaftli-chen Lage und Behinderung des Handelsgekennzeichnet. Besonders die kriegerischenGebietsfürsten der Shaiqiya am Vierten Kataraktmachten das Niltal für Händler und Reisendenahezu unpassierbar.

Das Sultanat von Darfur

Die Geschichte von Darfur, mit dem Zentrumim Gebel Marra-Gebiet, ist noch sehr wenig

bekannt. Erste Quellen über ein Reich gibt es seitdem frühen Mittelalter, aber auch sie sindzumeist nur orale Traditionen. Danach regiertezuerst eine Dynastie der Daju in Darfur. DerenKönige sollen sehr grausam gewesen sein, ihrletzter ritt auf einer Antilope in den Tschad, woein Daju-Reich noch lange bestand. Nach denDaju hätten die Tunjur geherrscht, eine Dyna-stie, mit deren Königen die Ruinen in Uri und‘Ayn Farah traditionell verbunden werden.16)

Nach ihnen soll die Dynastie der Keira an dieMacht gekommen sein, die Herrscherfamilie deshistorisch bekannten Sultanates von Dar Fur(„Haus der Fur“).

Über den Übergang der Macht an die neueDynastie gibt es mehrere Versionen einer Legen-de, wie sie in Afrika in Zusammenhang mit Ver-änderungen der Tradition häufiger vorkommt.Danach sei ein weiser Fremder, Ahmad al-Ma’qur („der Gelähmte“), ein Araber aus Nord-afrika, gekommen und habe neue Gebräucheund Speisesitten bei den Tunjur eingeführt.Auch habe er die Tochter des Königs geheiratetund mit ihr den ersten Herrscher der neuenDynastie gezeugt. Oft wird mit ihm auch dieEinführung des Islam verbunden.17)

Die Legende kann als Hinweis auf die Bedeu-tung der Handelskontakte mit der islamischenWelt verstanden werden. Darfur war das östlich-ste einer ganzen Reihe von subsaharanischen Rei-chen (Mali, Kanem-Bornu, Waddai), die an derwichtigen Pilger- und Handelsroute von West-afrika zur arabischen Halbinsel und den Han-delswegen von Innerafrika zum Mittelmeer blüh-ten. Darfur selbst war der Ausgangspunkt desberühmten Darb el-’Arba’in, des „Vierzigtage-wegs“ durch die Libysche Wüste nach Ägypten.

Der Dynastienwechsel hatte etwa 1580 statt-gefunden. Die Keira selbst waren schon etwaebensolang wie die Tunjur im Gebel Marra-Gebiet ansässig. Ihr Zentrum war Turra, dessenRuinen mit den Namen früher Keiraherrscher inVerbindung gebracht wurden und wo die Köni-ge auch bestattet wurden. Sultan Daali, angeb-lich der Sohn von Ahmad al-Ma’qur, soll alserster Keiraherrscher das Land in Provinzen ein-geteilt und ein Gesetzesbuch zusammengestellthaben. Unter Sultan Sulayman Solong (ca.1660 – 80), dem ersten sicher faßbaren Herr-scher, soll der Islam eingeführt, die ersten heili-gen Männer nach Darfur gekommen und die

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 43

14) Zur Rolle der heiligen Männer siehe Teil II.15) Zu den Orden siehe Teil II.

16) Zu den Denkmälern siehe Teil III.17) Es ist ein Element oraler Geschichtstradition, Staats-

gründungen, Dynastienwechsel und Erfindungen alskonkrete historische Ereignisse mit einem oder weni-gen Handelnden zu beschreiben.

erste Moschee gebaut worden sein. In den fol-genden Jahren gab es ständige Kriege um dieAusdehnung des Territoriums, besonders mitdem westlich anschließenden, im heutigenTschad gelegenen Sultanat Waddai. Die größteAusdehnung erreichte das Sultanat von Darfurmit der Eroberung Kordofans von den Funj imJahre 1772 durch Sultan Tayrab.

Kordofan

Im Gebiet von Kordofan hatten sich eingewan-derte arabisierte Stämme mit einheimischen,wohl nubischen Bevölkerungsgruppen ver-mischt und sind heute im nördlichen Kordofanals Kamelnomaden unter der Bezeichnung AhlIbl, oder auch Jammaiya oder Badiya bekannt,ihr bekanntester Stamm sind die Kababish. Wei-ter südlich ist die Kamelzucht aufgrund derStechfliegen nicht mehr möglich und man über-nahm von den Ansässigen die Rinderzucht. DieRindernomaden Südkordofans werden alsBaqqara (baqara – arab. „Kuh“) bezeichnet.Die im Norden lebenden Kamelnomaden,besonders die Mahamid, Mahriya, ‘Irayqat,Umm Jalul und Zayadiya, erkannten die Ober-hoheit der Keira meist an, die Rindernomadendes Südens (Rizayqat, Bani Halba, Habba-niya, Ma’all) lieferten sich jedoch zeitweiseschwere Kämpfe mit den Truppen der Fur.

In Kordofan hatten sich, wie auch im Gebietder Funj, im 18. Jh. wichtige Handelsstädte ent-lang der Route aus Zentralafrika nach Ägyptengebildet. Über Bara und el-Obeid lief der Han-del mit Gold, Sklaven und Gummi, um dessenKontrolle es immer wieder Auseinandersetzun-gen gab.

Der Hof von Darfur

Auch das Sultanat der Keira besaß viele Elementedes sakralen Königtums. Der auf Fur als abakuuri („Herr der Ehrerbietung“) bezeichneteSultan trug einen Schleier, so daß sein Gesichtunsichtbar blieb. Er durfte nicht beim Essengesehen werden, er sprach nur über Mittler mitUntergebenen; wenn er nieste, so mußte angeb-lich der gesamte Hofstaat niesen. Die Thronfol-ge erfolgte im Königsclan über die mütterlicheLinie. Der Thronfolger wurde unter den Söhnendes Sultans ausgewählt, häufig folgte aber auchder Bruder auf den Bruder. Bei der Krönungwurde der neue Sultan nach einer siebentägigenSeklusion von den alten Frauen zuerst zum„Trommelhaus“ geführt, dann auf den Thron(auch hier kurkur genannt) gesetzt (auf dem ernur dieses eine Mal sitzen durfte) und mit dem

königlichen Ornat bekleidet. Das wichtigsteFest des Königtums war das jährliche Jalud al-Nahas, das Trommelfest, zu dem man denköniglichen Ahnen opferte und die Trommel-felle der heiligen Trommeln erneuerte. Die hei-ligen Trommeln – besonders al-mansura („dieSiegreiche“) – und weitere Regalia, wie die hei-ligen Speere, der Schirm, die Straußenfedern, derKoran und der Gebetsteppich des Sultans, wur-den im bait al-Nahas („Trommelhaus“) unterAufsicht eines besonderen Beamten verwahrt.

Die Frauen des Königsclans spielten vorallem als Ritualistinnen eine wichtige Rolle.Während die Rolle der Königsmutter und derHauptfrau weniger bedeutend war, hatte dieSchwester des Königs (iiya baasi – „königlicheMutter“) eine wichtige Position inne und besaßsogar eigene Truppen.

Zentrum des Reiches war das königlicheLager, der Fashir (Kasten 3). Er bestand auseiner Reihe von aufeinanderfolgenden Einfrie-dungen, in denen die Hütten des Sultans und derwichtigsten Würdenträger verteilt waren.Erhöhte Plattformen (Diwane) dienten als Sitz-flächen für Empfänge. Der Fashir war in einenördliche, „männliche“ Hälfte für offizielle undöffentliche Anlässe, und eine südliche, „weibli-che“ Hälfte für das Privatleben geteilt. 1791/92wurde die feste Hauptstadt el-Fashir gegründet.

Eine wichtige Einnahmequelle für den Sultanwar die Kontrolle der Handelswege und dergroßen Pilgerroute von Westafrika nach Arabi-en. Handelsgüter waren Elfenbein und Hornvom Nashorn, Straußenfedern, Gummi arabi-cum, Natron und Sklaven.

Das Gebel Marra-Gebiet markiert die Gren-ze der Westausbreitung der arabischen Spracheim sudanischen Afrika. Der Islam setzte sich erstim 18. Jahrhundert am Hof durch. Im Landwurde er von Islamgelehrten verbreitet, die sichhäufig nach der Rückkehr von der Pilgerfahrt inDarfur niederließen. Sie leiteten die Moscheenund Schulen und traten bei Konflikten als Ver-mittler auf. Im Gegensatz zum Niltal spielten dieislamischen Orden in Darfur keine Rolle.

Der Sudan von 1820 bis 189918)

Die Turkiya

Die Eroberung und Besetzung des Sudan durchdas türkisch-ägyptische Heer erfolgte in einerZeit des Umbruchs im Osmanischen Reich undin der gesamten islamischen Welt.

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit44

18) Der folgende Abschnitt beruht weitgehend auf Holt1970.

Der osmanische Statthalter Muhammad Ali(1769 – 1849, reg. 1805 – 1848) hatte in Ägypteneine Herrschaft errichtet, die einerseits ihreUnabhängigkeit vom türkischen Sultan wie auchvon den europäischen Mächten zu erhaltenbestrebt war, andererseits aber auch demeuropäischen Fortschritt auf industriellem wieadministrativem Gebiet offen gegenüber stand.Sein Hauptaugenmerk war auf die Schaffungeiner modernen Armee und die wirtschaftlicheModernisierung des Landes gerichtet. Für die-sen Zweck notwendige Soldaten, d.h. vor allemschwarze Sklaven, sowie den Zugang zu Boden-

schätzen (Gold) erhoffte er im Sudan zu erhal-ten. Außerdem sollten die Handelswege entlangdes Nils wieder geöffnet werden. Begünstigendwirkten sich die Schwäche der Funj und dieStammesrivalitäten im Zentralsudan aus, außer-dem war die türkisch-ägyptische Armee densudanesischen Kriegern weit überlegen. So fan-den die Truppen Muhammad Alis unter demBefehl seines dritten Sohnes Ismael Pascha kaumernsthaften Widerstand, als sie 1820 den Nilaufwärts erst die Reste der aus Ägypten vertrie-benen Mameluken in Neu-Dongola,19) dann dieKleinkönige Obernubiens und schließlich die

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 45

Zariba(Dornenhecke)

Markt

Gehöft desfeki Siraj

Diwan

Diwan

Diwan(Sitzplattformfür Empfänge)

Diwan

Diwan

Trommelhaus(Platz der Regalia)

N

Hütten der HarimsfrauenKüchen etc.

Hütten des Sultans

Gehöft der iiya kuuri (Hauptfrau)

Gehöfte von Beamten unddes Onkels des Sultans

Gehöft des ab sheich(Chef der Sklaventruppen)

Gehöfte von Würdenträgern

Gehöft des feki MalikGehöfte von fuqara(heilige Männer)

orre de (Männertor)bzw. bab al-jibaya(Tor der Steuern)

orre baya(Frauentor)

koriat (Pferdepfleger)u. Pferde (Zeichen königlicher Macht)

falagna(königliche Boten)

korkwa (Leibgarde)sominj dogala (Pagen)

Eunuchen

nördlicher = männlicher Teilfür offizielle Empfänge undRegierungsgeschäfte

südlicher = weiblicher Teilfür Wohnen und Versorgung

falagna(königliche Boten)

Wadi

Kasten 3:Fashir des Sultan Muhammad Fadl (1801-1838) nach al-Tunisi (nach O'Fahey u. Spaulding 1974:145)

Die Wohngebäude des Sultans befinden sich im Zentrum einer Folge von Höfen, die im nördlichen Teil den Regie-rungsgeschäften, im südlichen Teil dem Wohnen und Wirtschaften dienen. Durch die Folge der Höfe und die sich inder Umgebung befindenden Gehöfte der höchsten Würdenträger wird die Struktur des Staates räumlich symboli-siert. Man beachte das Gehöft des Onkels des Sultans (Bruder der Mutter) und die der als Berater und Vermittlerfungierenden Islamgelehrten.

zentrale Provinz des Funj-Sultanates unterwar-fen. Eine zweite Armee unter Deftardar Muham-mad Bey Kusraw fiel 1821 in Kordofan ein undbeseitigte die dortigen Herrschaft der Keira vonDarfur. Nur die Funj-Provinz Taqali im SüdenKordofans bewahrte noch bis in die 70er Jahreihre Unabhängigkeit.

Um dem Ziel der Sklavenausbeute zu genü-gen, drangen die Eroberer weit in den Süden vor,ohne allerdings den gewünschten Erfolg zuhaben. Auch die Einrichtung einer Verwaltung,die für lohnende Steuereinahmen sorgen sollte,erwies sich als problematisch; außerdem hattensich die sudanesischen Stämme zwar der Über-macht unterworfen, aber die Eroberung keines-wegs akzeptiert. 1822 fiel Ismael Pascha in Shen-di einem Attentat zum Opfer, das der letzteStammeskönig der Ja’aliyin, Mek Nimr, ver-üben ließ. Die Folge waren grausame Strafexpe-ditionen, die zeigten, wie wenig die verfeindetensudanesischen Stämme zu dieser Zeit zu gemein-samen Aktionen gegen die Eroberer fähig waren.

Ähnlich ambivalent wie für Ägypten erwiessich die Herrschaft Muhammad Alis für denSudan: Einerseits bedeutete sie den Verlust derUnabhängigkeit und die Ausplünderung desLandes, andererseits wurde durch die Ein-führung der saqia, des Wasserschöpfrades, derbewässerbare Boden vervielfacht und durch dieEinteilung des Landes in Provinzen in etwa dieheutige Struktur des Sudan vorgeprägt (Karte 2).Die wichtigen Häfen Sawakin und Massawa (imheutigen Eritrea) waren schon im 16. Jahrhun-dert von den Osmanen besetzt worden und gin-gen in ägyptische Verwaltung über, in den 60erJahren wurden die Eroberungen nach Südenfortgesetzt und die Provinzen Oberer Nil(Fashoda), Bahr al-Ghazal und Äquatoria ein-gerichtet. Nach Osten wurde das Gebiet derRed Sea Hills und Teile Eritreas in den Provin-zen Sawakin, Kassala (Taka) und Massawazusammengefaßt, im Westen Darfur der Kolonieangeschlossen. 1830 wurde Khartoum zurHauptstadt des Sudan bestimmt (Abb. 3). Es ent-standen die ersten nichtreligiösen Schulen, dieder Ausbildung einheimischer Verwaltungsbe-amter dienten.

Gleichzeitig – auch das parallel zur Entwick-lung in Ägypten – verstärkte sich der europäi-sche Einfluß. Zuerst im Handel, zunehmendauch in der Verwaltung agierten z.T. von tür-

kisch-ägyptischer Seite angestellte Ausländer;zeitweilig lag die Verwaltung ganzer Provinzenin deren Hand (Bahr al-Ghazal von Baker, dannvon Gordon verwaltet, Kordofan von RudolfSlatin). Der Engländer Gordon fungierte1877 – 1879 sogar als Hükümdar, d.h. als Gene-ralgouverneur des gesamten Sudan.

In den sechziger Jahren hatte der Elfenbein-und Sklavenhändler al-Zubayr Rahma, einJa’ali, in Bahr al-Ghazal im westlichen Südsudaneine Herrschaft errichtet, die die türkisch-ägyp-tische Verwaltung zeitweise als Provinz aner-kannte. Auf Druck europäischer Mächte sollteaber der Sklavenhandel eingedämmt werden undman sperrte ihm die Handelswege nach Norden.Al-Zubayr wich nach Westen aus und schloßVerträge mit den Rizayqat, die den Sultan vonDarfur wiederum von der Handelskontrolle aus-schlossen. Es kam zum Krieg zwischen demSultan von Darfur und al-Zubayr. 1874 besetz-te dieser el-Fashir, das kurz darauf von dem tür-kisch-ägyptischen Gouverneur des Sudan über-nommen wurde. Al-Zubayr wurde nach Kairogeladen und dort festgesetzt.

Die Mahdiya

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat-ten mehrere Faktoren die Lage im Sudan ange-spannt. Die Fremdherrschaft durch Türken undEuropäer wurde vor allem von der großenSchicht muslimischer Händler, die meistzugleich religiös engagiert waren, als drückendempfunden. Besonders die unter europäischemDruck eingeleiteten Maßnahmen gegen denSklavenhandel wirkten sich negativ auf die Wirt-schaft aus. Hohe Steuern, Willkür der Behördenund der nahende Staatsbankrott Ägyptens desta-bilisierten die Lage weiter. Mit der Niederschla-gung des nationalägyptischen Aufstandes gegendie türkische Führungsschicht in Ägypten unterAhmad ‘Urabi durch die Engländer im Jahre1882 erreichte diese Entwicklung ihren Tief-punkt, Ägypten wurde faktisch von den Englän-dern besetzt.

Muhammad Ahmad al-Dongolawi (1843 –1885) lebte seit 1871 auf der Nilinsel Aba undbegann sich ab März 1881 als Mahdi („der Recht-geleitete“) zu bezeichnen.20) Er gewann raschZulauf und rief zum Ungehorsam gegenüber denUngläubigen auf. Versuche, von Khartoum ausdie Bewegung zu stoppen, scheiterten. DerMahdi verließ die Insel und zog nach Kordofan.Unter den Baqqara fand er seine treuesten

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit46

19) 1811 hatte Muhammad Ali die bisher Ägyptenbeherrschende Kriegerkaste der Mameluken(Militärsklaven) entmachtet; ein Teil war nach Südenentkommen und hatte sich in el-Urdi (türkisch:Lager), dem heutigen (Neu-) Dongola, angesiedelt.

20) Zum Begriff Mahdi und dem religiösen Programmsiehe Teil II.

Anhänger und begann den Heiligen Krieg gegenalle Besatzer.

Die schnelle Ausbreitung der Rebellion unddie instabile Lage in Ägypten selbst veranlaßtedie englische Regierung, die türkisch-ägyptischeVerwaltung zur Räumung des Sudan zu drän-gen. General Gordon, der schon mehrfach imSudan tätig war, wurde mit der geordnetenÜbergabe beauftragt. Er schickte dem Mahdi einSchreiben, das ihn als König von Kordofan aner-kannte. Gleichzeitig versuchte er, in den übrigen

Landesteilen Herrschaften unter lokalerFührung zu bilden, um eine Vereinigung desSudan unter dem Mahdi zu verhindern. Die mei-sten der eingesetzten Lokalherrscher gingen abersofort zum Mahdi über, der sie gewöhnlich inihrer Stellung bestätigte. Gordon wurde durchden unvermindert schnellen Vormarsch derMahdisten in Khartoum eingeschlossen und fielbei der Eroberung am 26. Januar 1885.

Der Mahdi verlegte das Hauptquartier in seinKriegslager Omdurman westlich von Khar-

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 47

Darfur 1874

Kordofan 1821

Bahr al-Ghazal 1873

Äquatoria 1871

Fash

oda

1863

Sennar 1821

Khartoum 1821

Taka 1840

Massawa 1865

Sawakin 1865

Berber 1821

Dongola 1820

ÄthiopischesKaiserreich

Wad Medani

Khartoum

Omdurman

Nuri

Dongola

Old Dongola

Shendi

Delgo

el-Obeid

Kassala

Wadi Halfa

Aswan

Sawakin

Toshka

Sennar

Fashoda

el-Fashir

Berber

Kosti

Karte 2:Der Sudan untertürkisch-ägyptischerBesetzung –Provinzgrenzenund Jahr derEinrichtung(nach Adams 1977;Fig. 85)

toum, für dessen Aufbau die Ruinen der altenHauptstadt als Lieferant von Baumaterial dien-ten. Aber schon sechs Monate nach dem Fall vonKhartoum starb der Mahdi am 22. Juni 1885.

Eine Reihe objektiver Faktoren hatte denAufstand vorbereitet, aber die besondere Rolledes Mahdi führte ihn zum Sieg. Seinem Charis-ma gelang es, zeitweise die Stammesgrenzen zuverwischen und religiöse Begeisterung in geziel-te Aktionen zu verwandeln. Im Gegensatz zubisherigen Aufständen ging es nicht um dieRestauration der Macht eines Stammes odereiner Händlergruppe, sondern um die Errich-tung des Gottesstaates in dem Gebiet, das durchdie türkisch-ägyptische Besetzung zum Sudangeworden war. Ursprünglich war sogar dieErrichtung der Weltherrschaft das Programm;nationalstaatliche Bestrebungen traten erst nachdem Tod des Mahdi in den Vordergrund.

Khalifa ‘Abdallahi

Khalifa ‘Abdallahi übernahm nach dem Toddes Mahdi die Führung der Mahdiya. Er wareiner der ersten und ergebensten Anhänger desMahdi gewesen und von ihm zum Nachfolgerbestimmt worden. Ihm unterstand die„schwarze Flagge“, die bedeutendste Divisiondes Heeres, und neben dem Schlagen der Krieg-strommeln war nur er berechtigt, das großeHorn (Umm Baya) blasen zu lassen. Er organi-sierte die Verwaltung der eroberten Gebiete,deren wichtigstes Amt, das Bait al-Mal(Schatzhaus und Speicher) in Omdurman ange-siedelt war, wie auch die Garnison der meistenAnsar (Gefolgsleute des Mahdi), die im Winteraber auf ihr Land zurückkehrten. Die Ansar bil-deten im Mahdistenstaat eine Art Militäraristo-kratie, wobei das oft lange Fernbleiben der Nil-talbauern von den Feldern der Wirtschaft schwerschadete. Wichtigste Stütze des Khalifa warendie Krieger seines Stammes der Ta’ishi, einesUnterstammes der Baqqara. Entgegen demüblicherweise sehr negativen Bild, das dieBerichte der in Omdurman gefangengehaltenenEuropäer21) vom Khalifa ‘Abdallahi zeichen, wardieser durchaus bemüht, das durch den Aufstandgeschaffene Reich zu stabilisieren. Verwaltungund Militär wurden mehrfach umstrukturiert,eigene Gold- und Silbermünzen geprägt unddurch die Ernennung seines Sohnes Uthman(Scheich ad-Din) zum Nachfolger und Chef derneuen Leibgarde die Grundlage einer Monarchiegeschaffen. Eine wichtige Rolle spielte auch der

Bruder des Khalifa, Ya’qub. 1891 hatte der Kha-lifa eine Verschwörung der Ashraf (die einebesondere Stellung innehabenden Familienmit-glieder des verstorbenen Mahdi) niederschlagenkönnen und zeitweise seine Position gefestigt.Die ständigen Kriege, die immer wieder aufbre-chenden Stammesrivalitäten und die schwierigeVersorgungslage, besonders nach der Mißernte1888, sowie die drohende Rückeroberung ließeneine langfristige Festigung seiner Macht jedochnicht zu.

Anfängliche Versuche, die Welteroberungs-pläne fortzuführen, scheiterten. Das äthiopischeHeer wurde zwar geschlagen und die HauptstadtGondar geplündert, 1889 fiel der äthiopischeKaiser Yohannis IV. in der Schlacht bei Metem-ma gegen die Mahdisten; Gebietsgewinne konn-ten aber nicht verbucht werden. Briefe des Kha-lifa, u.a. an den Khadiwa (Vizekönig) vonÄgypten und Königin Victoria von England for-derten diese zur Unterwerfung auf (bei letztererverbunden mit dem Vorschlag, sie zu ehelichen).Der nach Nichtbeantwortung der Briefe begon-nene Feldzug nach Ägypten endete 1889 beiToshka mit einem Desaster. 1896 begann dieschrittweise Rückeroberung des Sudan durchÄgypten und England. Unzufriedene Stämmeentfachten Aufstände, z.B. einen großen Auf-stand der Ja’aliyin 1898 angesichts der heran-rückenden anglo-ägyptischen Truppen. Konntedieser von den Mahdisten noch niedergeworfenwerden, so hatten sie gegen die unter Lord Kit-chner entlang der als Nachschublinie errichtetenEisenbahn vorrückenden Armee keine Chance.In mehreren blutigen Schlachten wurden die ver-zweifelt kämpfenden Mahdisten besiegt. Gegendie modernen Maxim-Schnellfeuergewehre derBriten waren die tapferen Stammeskriegermachtlos. Am 2. September 1898 wurde dieHauptstreitmacht der Mahdisten bei Kararinördlich von Omdurman geschlagen; die Erobe-rer besetzten Omdurman und ließen das Grab-mahl des Mahdi zerstören.22) Erst am 24.November 1899 fielen der Khalifa und seine letz-ten Getreuen in Umm Diwaykarat in der Nähevon Kosti.

Die Führungsrolle in der Mahdiya ging aufden postum geborenen Sohn des Mahdi ‘Abd er-Rahman über, der es verstand, seine Bewegungin eine starke religiös-politische Organisationumzuwandeln, deren Bedeutung bis heuteanhält.

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit48

21) Eine Sammlung in: Pleticha, H. (Hrsg.): Der Mahdi-aufstand in Augenzeugenberichten, Düsseldorf, 1967

22) Der Körper des Mahdi wurde exhumiert und in denNil geworfen, sein Schädel auf einem Friedhof beige-setzt. Der heutige Bau des Grabmals wurde in den50er Jahren errichtet.

Während des Mahdi-Aufstandes erlangteauch Darfur seine Unabhängigkeit zurück. Nachder Niederlage der Mahdisten 1898 erneuerte‘Ali Dinar b. Zakariya das Sultanat von Darfur.Durch die türkische Propaganda im I. Weltkriegermutigt, griff er 1916 die Engländer im Sudanan und wurde besiegt, das Land wurde demAnglo-Egyptian Sudan angeschlossen.

Der anglo-ägyptische Sudan

Mit einem Vertrag vom 19. Januar 1899 begrün-deten Großbritannien und Ägypten die gemein-same Herrschaft (Condominium) über denSudan, bei der aber in allen wichtigen FragenGroßbritannien die entscheidende Rolle zukam.Nachdem es bei der zweiten Eroberung desSudan durch das Zusammentreffen mit franzö-sischen Truppen in Fashoda zu einer ernstenpolitischen Krise gekommen war, sicherten Ver-träge mit Frankreich, Italien, Äthiopien und Bel-gien in den nächsten Jahren die Grenzen desSudan. In Darfur blieb bis 1916 das Sultanat des‘Ali Dinar bestehen, mit seiner Angliederunghatte der Sudan seine heutige Gestalt erhalten.

Die englische Politik im Sudan wird in dreiPhasen unterteilt. In der ersten Phase, der „directrule“ 1899 – 1924, wurden alle wesentlichenVerwaltungsposten ausschließlich mit Britenoder Ägyptern besetzt. Zwischen beiden Kolo-nialmächten gab es ständige Rivalitäten, die vonenglischer Seite durch die Heranbildung einereinheimischen Verwaltungsschicht in ihremSinne gelöst werden sollte. Die Gründung desGordon-Memorial-College (der heutigen Uni-versity of Khartoum) sollte diesem Ziel dienen.Mit den nach westlichen Maßstäben geschulten

Absolventen entstand eine politisch sehr aktiveSchicht, die Effendiya. 1918 wurde hier dernationalistisch orientierte „Graduate’s Club“gegründet, der zur Keimzelle der Unabhängig-keitsbewegung wurde. Der Einfluß Ägyptens,das ebenfalls die englische Bevormundung abzu-schütteln bestrebt war, bewirkte in der Gruppeeine Anlehnung an den nördlichen Nachbarn.

Die Auseinandersetzungen zwischen briti-scher und ägyptischer Verwaltung spitzten sichzu, als Ägypten 1922 die vollständige Unabhän-gigkeit wiedererlangte. 1924 kam es beim Abzugägyptischer Truppen zu einem Aufstand einhei-mischer, pro-ägyptisch eingestellter Einheiten,der sich gegen die britische Dominanz richtete.Die britische Seite reagierte, indem sie eine neuePolitik gegenüber dem Sudan einleitete. DieseEtappe wird als „indirect rule“ oder „nativeadministration“ bezeichnet und folgt einem vonLord Lugard ausgearbeiteten Konzept britischerKolonialpolitik in ganz Afrika.23) Die neue Ver-waltung sollte vor allem auf einheimischen, tra-ditionellen Organen auf Dorf-, Stammes- undProvinzebene beruhen. Dadurch sollten ägypti-sche Beamte ersetzt und auch der Einfluß dereinheimischen Effendiya durch die Stärkungtraditioneller Strukturen verringert werden.

War die britische Politik im Norden auf dieEntägyptisierung gerichtet, so ging es im Südenum die Entarabisierung und Entislamisierung.Den Gegensatz zwischen dem islamischen, kul-turell und wirtschaftlich dominierenden Nordenund dem animistischen Süden ausnutzend, woll-te man diesen Landesteil enger an die britischen

Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit 49

Abb. 3:Khartoum um 1860,nach Lejean(in Crawford 1951)

23) Lugard, Lord: The Dual Mandate in British TropicalAfrica, London, 1922

Kolonien in Kenia und Uganda anschließen. Eskam zur sogenannten „Southern Policy“, die denSüden faktisch vom Norden abschloß. Musli-men war das Handeln und Reisen im Süden nichtmehr gestattet, die christliche Missionierungwurde forciert. Durch intensive Sprachstudienversuchte man unter der Vielzahl der gespro-chenen Sprachen größere Gruppierungen zu fin-den, die als Landessprachen geeignet wären.Englisch sollte das Arabisch als Verkehrsspracheersetzen, lokale Verwaltungen und eigeneRechtsvorschriften die Eigenständigkeit beto-nen. Auf die Dauer erwies sich die Politik als einFehlschlag, ihre Folgen (die jedoch nicht nur inden wenigen Jahren der „Southern Policy“ zusuchen sind) aber sind bis heute auf verhängnis-volle Weise spürbar.

In den dreißiger Jahren verbesserte sich dasVerhältnis zwischen Ägypten und Großbritanni-en wieder. Das Herannahen des Zweiten Welt-krieges veranlaßte die Briten zu Zugeständnissen.Der Süden wurde wieder geöffnet und die Ver-waltung durch lokale Führer zugunsten einer zen-tralisierten, aber mit Sudanesen besetzten Verwal-tung aufgegeben. 1936 wurde das Condominumerneuert und die dritte Phase der englischen Politikeingeleitet, in der sich der Einfluß der traditionellenEliten zugunsten der Effendiya verringerte.

Der Anteil sudanesischer Truppen am Siegüber die 1941 von Äthiopien angreifenden Itali-ener stärkte das nationale Selbstbewußtsein, sodaß die Entkolonialisierung auf die Tagesord-nung rückte. Großbritannien bevorzugte dieVariante eines stufenweisen Übergangs zurUnabhängigkeit unter seiner Leitung. Auf deranderen Seite standen Kräfte, die eine Anleh-nung an Ägypten, möglicherweise auch eineUnion des gesamten Niltals propagierten.

In der Auseinandersetzung um diese Positio-nen kam es zur Bildung der ersten politischen Par-teien. 1944 sammelten sich die Liberalen in deral-Ashiqqa („die Brüder“), die für die Einheitdes Niltals unter ägyptischer Krone eintraten.Aus ihr ging die von der Khatmiya24) mehr oderweniger geprägte National Unionist Party (NUP)hervor. 1945 gründete ‘Abd er-Rahman dieUmma-Party als politischen Flügel der Mahdi-sten. Hierbei zeigte sich, wie weit die religiösenGruppierungen die nationalistische Bewegungdominierten. Von der sozialen Zusammenset-zung repräsentierte die Umma-Party vor allemdie traditionellen Grundbesitzer und ihre Klien-tel, während die Effendiya die Unionisten unter-stützte. Für die bei Wahlen notwendige Stim-

menzahl blieb aber die rein nach ihrer Stammes-zugehörigkeit und religiöser Tradition abstim-mende Bevölkerungsmehrheit entscheidend.

1952 übernahmen in Ägypten die Militärsunter General Nagib die Macht und setzten denKönig ab. Die Verhandlungen mit Großbritan-nien wurden daraufhin forciert. Am 12. Febru-ar 1953 legte das „Anglo-Egyptian AgreementConcerning Self-Gouvernment and Self-Deter-mination for the Sudan“ die Schritte zur Unab-hängigkeit fest. Am 1. Januar 1956 wurde derSudan als erstes Land Afrikas nach dem ZweitenWeltkrieg unabhängig. •

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Die Geschichte des Sudan in islamischer Zeit50

24) Zur Rolle der religiösen Gruppierungen bei der Erlan-gung der Unabhängigkeit siehe Teil II.