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Gesetz zu Online-Durchsuchungen ist verfassungswidrig · Systeme zuzugreifen und diese zu infiltrieren. Dies sollte den Staatsschutzbehörden ein wirksames Instrument zur Bekämpfung

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DFN Infobrief Recht | März 2008 | Seite 2

Am 27.02.2008 hat das Bundesverfassungsge-richt in seinem Urteil zum nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz 1 die dort vorgesehenen „Online-Durchsuchungen“ für verfassungswidrig und die entsprechenden Paragraphen für nichtig erklärt. In den aufgehobenen Normen wurde der Verfassungsschutz ermächtigt, unter bestimmten Voraussetzungen internetbasierte Kommunikati-on zu beobachten und auf informationstechnische Systeme zuzugreifen und diese zu infiltrieren. Dies sollte den Staatsschutzbehörden ein wirksames Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus an die Hand geben.

Das nunmehr ergangene Urteil des Bundesver-fassungsgerichts kann durchaus als Fortentwick-lung oder Ergänzung des Volkszählungsurteils von 1983 2 gesehen werden. Damals hatte das Gericht den Gefahren Rechnung getragen, die mit der fortschreitenden technischen Entwicklung und der automatisierten Verknüpfung personenbezo-gener Daten einhergingen. Es war gleichzeitig die Geburtsstunde des Rechts auf „Informationelle Selbstbestimmung“ als Ausprägung des Allgemei-nen Persönlichkeitsrechts. Im Laufe der Jahre hat sich gerade dieses Recht als enorm wichtig für die Privatsphäre und den Persönlichkeitsschutz des Einzelnen erwiesen und spielte insbesondere für die Entwicklung eines umfassenden Datenschutzes eine herausragende Rolle.

So wirksam das Recht auf informationelle Selbst-bestimmung auch war und noch immer ist und so weit sein Anwendungsbereich oft gesehen wird, hat es auch seine Grenzen. So sah sich das Bun-desverfassungsgericht im aktuellen Urteil nicht in der Lage, die Maßnahmen, die durch das Verfas-sungsschutzgesetz vorgesehen wurden, an diesem Grundrecht zu messen. Ebenso wenig waren an-dere Freiheitsgrundrechte in vollem Umfang ein-schlägig. Dies führte dazu, dass die Verfassungs-richter eine neue Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelten. So entstand ein Recht, das zum Teil bereits als „Computer-Grundrecht“ 3 bezeichnet wird: das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Inte-grität informationstechnischer Systeme“.

Das Gericht hat mit seinem Urteil aber kei-neswegs jegliche Überwachung von Internetkom-munikation oder den Zugriff auf IT-Systeme oder Speichermedien für die Zukunft verboten. Denn zum einen ist zwischen Maßnahmen von unter-schiedlicher Eingriffsqualität zu unterscheiden, zum anderen ist auch das neue „Computer-Grund-recht“ kein unantastbares Recht, sondern das Urteil zeigt genaue Voraussetzungen auf, unter denen die Maßnahmen zulässig sein können. Das angegriffene Gesetz aber sah die strengen Voraus-setzungen des neuen Grundrechts nicht vor und war zu unbestimmt, weshalb es nun aufgehoben wurde.

Von den Beschwerdeführern wurden im We-sentlichen die beiden anfangs genannten Über-wachungsmethoden angegriffen: Zum einen das heimliche Beobachten und die Aufklärung von In-ternetkommunikation, zum anderen der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme. Unter der „Aufklärung“ wird der Zugriff auf Internet-kommunikation auf dem technisch dafür vorgese-henen Weg verstanden, etwa durch das Aufrufen von Internetseiten oder die Teilnahme an Chats. Dagegen geschieht der Zugriff auf IT-Systeme durch eine technische Infiltration, beispielsweise durch das Ausnutzen von Sicherheitslücken oder das Einschleusen von Spähprogrammen (Stichwort „Bundestrojaner“). Der Zugriff auf den Kommu-nikationsinhalt während der Übermittlung stellt grundsätzlich einen Eingriff in das Fernmeldege-heimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) dar, auch wenn etwa ein auf dem Computer installiertes Programm den Kommunikationsvorgang aufzeichnet oder über-trägt (so genannte „Quell-Telekommunikations-überwachung“). Bei der technischen Infiltration kommt hingegen ein Verstoß gegen die Unver-letzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) in Betracht, denn schließlich dringt ein „Bundestro-janer“ in den häuslichen Personalcomputer eines Betroffenen ein. Letztlich fallen die einzelnen erhobenen Daten unter den Schutz des Grund-rechts auf informationell Selbstbestimmung, da die Gefahr besteht, dass die Daten später verar-beitet und somit zu einem Persönlichkeitsprofil verknüpft werden.

Gesetz zu Online-Durchsuchungen ist verfassungswidrig

Karlsruher Verfassungsrichter erklären nordrhein-westfälisches Ermächti-gungsgesetz für nichtig und begründen neues „Computer-Grundrecht“

Dipl.-Jur. Hannes Obex

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Soweit diese Grundrechte tatsächlich betrof-fen sind, müssen sich die Eingriffe an ihnen messen lassen und die jeweiligen Eingriffsvoraussetzungen erfüllen. Das Verfassungsgericht ist allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass die genannten Grundrechte nur Einzelaspekte, nicht aber die ge-samte Bandbreite und das Gefahrenpotential der neuartigen Maßnahmen erfassen. So ist etwa das Fernmeldegeheimnis nicht betroffen, wenn auch nur ein Kommunikationsteilnehmer den Zugriff er-laubt, also zum Beispiel den Ermittlern den Zugang zu geschlossenen Chaträumen oder seinem Email-Postfach ermöglicht. Ebenso erfasst das Grund-recht nicht die Kenntnisnahme ohnehin frei für jedermann zugänglicher Inhalte, etwa bei öffent-lichen Chats, Diskussionsforen oder anderen unge-schützten Internetseiten. Das gleiche gilt, wenn auf die Daten vor oder nach dem Kommunikationsvor-gang zugegriffen wird, da nur die Vertraulichkeit des Übermittlungsvorgangs sowie dessen äußere Umstände geschützt sind, nicht aber die bereits oder noch nicht übermittelten Daten.

Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist dagegen nur betroffen, wenn der Eingriff in der räumlichen Sphäre stattfindet, in der sich das Privatleben ent-faltet, also wenn etwa Ermittler in Wohn- oder Ge-schäftsräume eindringen um dort Überwachungs-software zu installieren. Informationstechnische Systeme können jedoch standortunabhängig ein-gesetzt werden, und für den Zugriff muss die räum-liche Integrität nicht verletzt werden. Vielmehr ist von überall aus eine Infiltration möglich, sodass Art. 13 GG oftmals nicht anwendbar ist.

Das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung erfasst schließlich nur diejenigen Gefahren, die durch die Verknüpfung einzelner, als solcher „harmloser“ Daten entstehen. Das Gericht stellt aber fest, dass die angegriffenen Maßnahmen eine solche weitergehende Verknüpfung und Verarbei-tung oft überflüssig machen. Denn durch die ver-breitete Nutzung von Computern oder anderen IT-Systemen und deren Verwendung als umfassender Speicher sämtlicher privater und geschäftsbezo-gener Daten enthalten die Speichermedien bereits vollständige Profile ihrer Nutzer. Auf Festplatten finden sich beispielsweise Rechnungen, Überwei-sungen, Briefe, Mails, private Fotos und Videos und vieles mehr. Zu diesen bewusst abgelegten Daten kommen zusätzlich unbewusst anfallende Daten wie die bei der Internetnutzung automatisch ge-speicherten Informationen zum Verlauf, Cookies oder der Cache-Speicher. Die Gefahr für die Per-sönlichkeitsentfaltung des Einzelnen ist dabei nach Auffassung der Richter ungleich höher als bei der Erhebung von Einzeldaten, weshalb das alte Recht auf informationell Selbstbestimmung nicht mehr ausreicht.

Nach dem neuen Urteil sind hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Verfassung die beiden Maß-nahmen zu unterscheiden. Die Aufklärung der Kommunikation ist, sofern sie ohne Einwilligung eines Beteiligten geschieht und nicht nur öffent-lich zugängliche Kommunikationswege erfasst, ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis. Eine ge-setzliche Ermächtigung muss daher (nur) die Vo-raussetzungen der Schranken des Art. 10 Abs. 2 GG erfüllen. Das heißt, ein Gesetz, welches die Interes-sen des Einzelnen angemessen berücksichtigt, darf für bestimmte Zwecke einen Eingriff anordnen. Eine so genannte „Quellen-Telekommunikations-überwachung“, bei der eine auf dem Computer befindliche Software ausschließlich die aus- und eingehende Kommunikation aufzeichnet und wei-terleitet, ist daher im Rahmen des Art. 10 GG mit einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage möglich.

Der Zugriff auf IT-Systeme hat jedoch eine ande-re Qualität, da sie mit umfassenden Einblicken in das gesamte System sowie mit der Möglichkeiten der Manipulation und externen Steuerung ein-hergeht. Die Nutzung von IT-Systemen hat nach Ansicht der Richter für die Entfaltung der Persön-lichkeit des Einzelnen eine früher nicht vorher-sehbare Bedeutung erlangt. Dies liegt zum einen an der Verbreitung und Leistungssteigerung von Personalcomputern, aber auch an der Nutzung von Telekommunikationsgeräten oder elektro-nischen Geräten in Fahrzeugen oder im Haushalt sowie deren Vernetzung. Diese neuen Elemente der Persönlichkeit stünden aber den besonderen Freiheitsgrundrechten im Grundgesetz in ihrer Be-deutung für den Einzelnen und für seine persön-liche Entwicklung gleich. Daher griff das Gericht für die Maßnahme des Zugriffs auf IT-Systeme auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zurück, des-sen Funktion gewissermaßen das Schließen von Schutzlücken ist, die durch vom Grundgesetz nicht vorhergesehene soziale oder technische Entwick-lungen entstehen. Aus diesem Rechtsinstitut he-raus entwickelte es das neue „Grundrecht auf die Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme“.

Wie andere Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird auch das neue Grund-recht nicht schrankenlos gewährt, Eingriffe sind also möglich. Dies gilt sowohl für die präventive Gefahrenabwehr als auch für die repressive Straf-verfolgung. Auf Grund der besonderen Sensibili-tät und der grundlegenden Bedeutung für die Per-sönlichkeit und den Privatbereich des Einzelnen sind die Voraussetzungen aber besonders streng. Nicht jedes Ermittlungsinteresse rechtfertigt daher einen Eingriff. Vielmehr müssen konkrete Tatsa-chen auf eine drohende Gefahr hinweisen, die für

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ein überragend wichtiges Rechtsgut besteht. Dazu gehören zunächst Leib, Leben und Freiheit des Einzelnen. Nach dem Urteil reicht auch die Be-drohung von Allgemeingütern wie der Grundlage oder dem Bestand des Staates oder der Grundlage der Existenz der Menschen, beispielsweise existenz-sichernder Einrichtungen. Bestehen Gefahren für andere Rechtsgüter, muss sich der Staat auf her-kömmliche Ermittlungsmethoden beschränken. Zudem ist erforderlich, dass der Zugriff auf die IT-Systeme zuvor von einem Richter angeordnet wird, da die Maßnahmen heimlich geschehen und der Betroffene daher oft keine Möglichkeit hat, gegen sie vorzugehen. Durch dieses Verfahren soll eine gerichtliche Kontrolle der staatlichen Maß-nahmen gewährleistet werden.

Schließlich zeigt das Urteil auch auf, wie die Pri-vatsphäre zu schützen ist. Nach dem Bundesver-fassungsgericht gibt es einen absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, in den nicht eingegriffen werden darf. Für die Ent-faltung der Persönlichkeit sei es erforderlich, dass höchstpersönliche innere Vorgänge wie Ge-fühle, Gedanken oder Erfahrungen ohne Angst vor staatlicher Kenntnisnahme zum Ausdruck ge-bracht werden können. Da durch die Zugriffe auf IT-Systeme und Internetkommunikation dieser Be-reich berührt werden kann, ist in zwei Schritten sicherzustellen, dass solche Daten nicht verwertet werden. Zunächst müssen im Gesetz und bei der konkreten Maßnahme Vorkehrungen getroffen werden, dass solche Daten gar nicht erst erfasst werden. Das ist aber gerade bei Kommunikations-überwachung und bei automatisierten Zugriffen auf IT-Systeme kaum vermeidbar, insbesondere weil der Inhalt der Daten zum Zeitpunkt des Zu-griffs oft noch nicht bewertbar ist. Deshalb müs-sen in einem zweiten Schritt die gewonnenen Da-ten durchgesehen und den privaten Kernbereich betreffende Informationen unverzüglich gelöscht werden. Das war bereits früher für die „klassische“ Telekommunikationsüberwachung so entschieden worden. Gleichzeitig stellt das Urteil etwas eigent-lich Selbstverständliches klar: private Kommunika-tionsinhalte dürfen dann zur Kenntnis genommen und verwertet werden, wenn Tatsachen dafür vor-liegen, dass der Betroffene solche privaten Inhalte gezielt zur Vermeidung einer Überwachung miss-braucht.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Bundes-verfassungsgericht zum einen sehr wohl die Ge-fahren gesehen hat, die sich aus einer erhöhten terroristischen Bedrohung verbunden mit einer fortschreitenden Vernetzung und Kommunikation auch im kriminellen Bereich ergeben. Gleichzei-tig erkennt es aber auch ein erhöhtes Schutzbe-dürfnis des Einzelnen in Bezug auf die Integrität

und Vertraulichkeit von elektronischer Kom-munikation und von IT-Systemen an. Das dadurch in Verbindung mit dem Sicherheitsbedürfnis und dem Schutzauftrag des Staates entstehende Span-nungsverhältnis löst das Gericht dahingehend, dass es eine gesetzliche Grundlage für IT-Überwa-chungsmaßnahmen grundsätzlich für möglich er-klärt. Die Kommunikationsüberwachung muss sich dabei am Fernmeldegeheimnis messen lassen. Die Infiltration von IT-Systemen und deren Überwa-chung darf dagegen nur bei konkreten Gefahren für überragend wichtige Individual- oder Allge-meinrechtsgüter und auf Grund einer richterlichen Anordnung durchgeführt werden. Zudem muss in beiden Fällen der Kernbereich der privaten Le-bensführung bestmöglich geschützt werden.

Auf Grund dieser sehr konkreten Ausführungen wird erwartet, dass der Gesetzgeber im Rahmen des BKA-Gesetzes, welches sich derzeit in Arbeit befindet, diese verfassungsrechtlichen Anforde-rungen umsetzen und entsprechende Eingriffs-grundlagen schaffen wird. Die Anzahl der Fälle, in denen diese Normen praktische Anwendung fin-den werden, dürfte aber wegen der enorm hohen Hürden – sowohl hinsichtlich der Anforderungen an die Gefahr und das Schutzgut als auch an das Verfahren – recht gering bleiben.

Anmerkungen:

1 http://www.bundesverfassungsgericht.de/ent-scheidungen/rs20080227_1bvr037007.html

2 http://www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv065001.html

3 etwa http://www.sueddeutsche.de/deutsch-land/artikel/889/160452

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Schon seit Jahren beklagt sich die Musikin-dustrie über dramatisch sinkende Verkaufszahlen bei den Plattenverkäufen. Seit dem Jahr 2000 ging der Gesamtumsatz in Deutschland um etwa 50 Prozent zurück. Verantwortlich für diese Mi-sere macht die Branche vor allem die kostenlosen Musiktauschbörsen im Internet: wer als Nutzer die Möglichkeit hat, sich seine Lieblingsmusik un-entgeltlich über Gnutella oder eDonkey herun-terzuladen, erspart sich den Gang zum Platten-laden. Laut einer Analyse des US-amerikanischen Marktforschungsinstituts BigChampagne waren im Mai 2006 weltweit durchschnittlich 9,736 Mil-lionen Menschen in Filesharing-Netzwerken ak-tiv – und das zu jedem beliebigen Zeitpunkt!

Um weitere wirtschaftliche Einbußen der Musik-branche durch kostenloses Filesharing zu unterbin-den, ohne aber zugleich die Privatkopierfreiheit gänzlich aufzugeben, wurde in den vergangenen Jahren das Urheberrechtsgesetz (UrhG) durch den so genannten ersten und zweiten Korb novelliert. Der neu in das Gesetz eingefügte § 19a gibt einem Urheber das ausschließliche Recht, sein Werk drahtlos oder drahtgebunden der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ohne Zustimmung des Ur-hebers darf somit niemand Dateien mit urheber-rechtlich geschützten Inhalten im Internet zum Download anbieten. Weiterhin erfuhr die in § 53 Abs. 1 UrhG geregelte Privatkopierfreiheit eine Einschränkung. Ein urheberrechtlich geschütztes Werk darf nunmehr zu privaten Zwecken nur ver-vielfältigt werden, „soweit nicht zur Vervielfälti-gung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage ver-wendet wird“. Dadurch soll der Download von un-rechtmäßig im Internet öffentlich zugänglich ge-machten Werken verboten werden (nach der alten Fassung des § 53 Abs. 1 UrhG war in der juristischen Literatur umstritten, ob das Herunterladen solcher Werke von der Privatkopierfreiheit gedeckt war).

Unter Fachleuten unklar ist aber bis dato, wann eine Kopiervorlage „offensichtlich rechtswidrig“ im Sinne des neu gefassten § 53 Abs. 1 UrhG ist. In der Regel kann man einer Audio- oder Video-datei nicht ansehen, ob sie mit oder ohne Zustim-mung des Urhebers zum Download ins Internet

gestellt wurde. Auch kann man nicht jedes kostenlose Tauschbörsenangebot unter den Ge-neralverdacht der Illegalität stellen. So nutzen beispielsweise viele noch unbekannte Musikgrup-pen die P2P-Plattformen, um ihre Songs zu Wer-bezwecken einem breiten Publikum kostenlos zur Verfügung zu stellen. Doch auch populäre Bands scheuen nicht vor derartigen Marketingmaßnah-men zurück, wie jüngst die Band Radiohead mit ihrem aktuellen Album „In Rainbows“, dessen Download-Preis von den Fans frei bestimmt wer-den konnte. Dennoch dürfte den meisten Nutzern von Filesharing-Netzwerken dank umfangreicher Aufklärungskampagnen in den Medien inzwi-schen bewusst sein, dass die in Internet-Tauschbör-sen kostenlos angebotenen Werke überwiegend illegal öffentlich zugänglich gemacht wurden.

Dies soll sich jetzt mit der neuen Musiktausch-börse QTrax ändern. Mit großem Werbeaufwand präsentierte sich das Unternehmen am 27.01.2008 auf der weltgrößten Musikmesse Midem in Cannes und versprach, ab dem Folgetag bis zu 25 Millio-nen Songs kostenlos im Internet zum Download bereit zu halten – und das völlig legal! Das Ge-schäftsmodell von QTrax basiert auf der Idee, die Musikverlage und Künstler entsprechend der Zahl der Suchanfragen und Downloads zu vergüten. Ko-stenpflichtige Werbeanzeigen auf den Download- und Suchmasken-Seiten sollen die Finanzierung si-chern. Auf der Midem gab QTrax bekannt, bereits zahlungskräftige Werbepartner wie McDonald’s, eBay und T-Mobile für sich gewonnen zu haben. Zudem sei es nach langer Zeit gelungen, die Nut-zungsrechte an den Musikwerken von allen großen Plattenfirmen und Rechteverwertern zu erhalten.

Was vielen Internetnutzern und Musikinte-ressenten zunächst wie ein wahr gewordener Traum vorkam, erwies sich nur wenige Stunden nach dem offiziell vorgesehenen Start von QTrax als Farce. Drei der vier großen Major-Labels, da-runter Sony BMG, Warner Music und Universal, dementierten, einen Vertrag mit QTrax geschlos-sen zu haben. Lediglich mit dem Mutterkonzern von EMI soll es eine Vereinbarung geben, die jedoch von der Vertriebssparte des Labels noch nicht bestätigt wurde. Die Folge war eine Ver-

Zum (Fehl-) Start der Musiktauschbörse QTrax

Kostenloser Download von Musik bald legal?

Ass. iur. Stefan Bröckers

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VG Wort setzt Urheberpauschale auf Multifunktionsgeräte durch

BGH bestätigt Vergütungspflicht in voller Höhe

von Tina Gausling

All-in-one-Geräte, die gleichermaßen dru-cken, kopieren, scannen und faxen können, er-freuen sich großer Beliebtheit. So überrascht es nicht, dass sich der Umsatz dieser Multifunktions-geräte in den vergangenen Jahren vervielfältigt hat – sehr zum Wohlgefallen der Hersteller. Diese kassierten jedoch jüngst vor dem Bundesgerichts-hof eine herbe Niederlage (BGH, Urteil vom 30. Januar 2008, Az.: I ZR 131/05). Denn nach einer Entscheidung des für das Urheberrecht zustän-digen I. Zivilsenats des BGH sind Multifunktions-geräte in voller Höhe vergütungspflichtig.

Damit erteilte das Gericht der gegen das Urteil des OLG Stuttgart gerichteten Revision des Dru-cker- und Multifunktionsgeräteherstellers Hew-lett-Packard eine Absage und entsprach dem Be-gehren der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort, die unter anderem eine Feststellung dahingehend beantragt hatte, dass Hewlett-Packard für jeden bis zum 31. August 2001 in Verkehr gebrachten Multifunktions-Printer zur Zahlung derjenigen Vergütung verpflichtet ist, die noch in der bis

Ende 2007 geltenden und für den konkreten Fall entscheidenden Fassung des Urhebergesetzes festgelegt ist.

Nach den Bestimmungen des Urhebergesetzes besteht ein Anspruch des Urhebers auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegenüber Her-steller, Importeur und Händler von Vervielfälti-gungsgeräten. Den bis Ende 2007 herrschenden Bestimmungen zufolge handelte es sich dabei um circa 76 Euro bei einem Gerät, mit dem bis zu zwölf Farbkopien pro Minute produziert werden können.

Damit beendeten die Karlsruher Richter einen bereits seit Jahren währenden Rechtsstreit zwi-schen der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort, die eigenen Angaben zufolge die Urheberrechte für über 360.000 Autoren und 8.000 Verlage in Deutschland treuhänderisch verwaltet, und Hew-lett-Packard. Der Multifunktionsgeräte-Hersteller hatte bereits in der Vorinstanz 1 die Auffassung vertreten, dass für Multifunktionsgeräte eine ge-

zögerung des Starts von QTrax. Auch zwei Wochen nach Vorstellung des Unternehmens auf der Midem lässt sich kein Song von der Anbieter-Website herunterladen – angeblich wegen tech-nischer Probleme, wie es auf QTrax.com heißt.

Trotz aller lizenzrechtlicher Probleme bei QTrax und Widerständen aus der Musikindustrie gegen das kostenlose Filesharing gibt es Stimmen, die nach einem Wandel im Umgang mit P2P-Netzwer-ken verlangen. So kritisierte der Urheberrechts- und Cyberlaw-Experte Lawrence Lessig auf der Midem die „Urheberrechtskriege“ der Unterhaltungsindu-strie gegen die zumeist jugendlichen Nutzer. Seiner Ansicht nach ist ein solcher Krieg nicht zu gewin-nen, da er zu einer Radikalisierung führe. Vielmehr setzt Lessig auf Kooperation: „Hätte die Industrie schon vor Jahren Peer-to-Peer-Dienste lizenziert statt sie zu bekriegen, hätten Künstler bereits heu-te viel mehr Geld verdient.“ Ähnlich äußerte sich der frühere EMI-Vizepräsident und heutige Chef der Beraterfirma TAG, Ted Cohen, auf der Midem.

Auch er unterstrich die Notwendigkeit eines Strategiewandels: „Es geht nicht darum, die Leute zu verklagen, sondern zu bedienen.“ Die zukünf-tige Hauptaufgabe der Musikindustrie sieht er vor allem darin, gute Musik für Nutzer auffindbar zu machen. Es gehe nicht um Umsatz pro verkaufter Einheit, sondern darum, einen Anteil der Ausga-ben für Musik zu bekommen. „Musik ist auch nicht entwertet, sie wird neu bewertet“, sagte Cohen.

Einen ersten Schritt in Richtung Wandel hat nunmehr Amazon angekündigt. Das Unterneh-men will noch in diesem Jahr in seinem Online-Musikladen kostengünstige Musikdateien im mp3-Format anbieten, ohne diese mit dem bei kostenpflichtigen Angeboten ansonsten üb-lichen Kopierschutzsystem DRM (Digital Rights Management) zu versehen. Dies ermöglicht eine freie Vervielfältigung der heruntergeladenen Stücke. Der Preis soll pro Song umgerechnet 68 Euro-Cent betragen, pro Album 6,80 Euro.

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ringere als die im Gesetz bestimmte Vergütung zu zahlen sei, da diese zwar als Kopierer verwendet werden könnten, dies aber nur eine der vorhan-denen Funktionen darstelle. Dieser Argumentati-on widersprach der I. Zivilsenat. Vielmehr stehe ein Multifunktionsgerät einem Kopierer gleich, so die Richter.

Von der Industrie werden laut BITKOM rückwir-kend über 50 Millionen Euro verlangt. „Drama-tische Folgen für Hersteller und Handel“ fürchtet daher BITKOM-Hauptgeschäftsführer Rohleder. „Damit werden 70-Euro-Geräte genauso stark be-lastet wie Kopierer für 1000 Euro“, so Rohleder. Bei Multifunktionsgeräten sei die Kopierfunktion aber nur eine von mehreren Produkteigenschaften.

Nach der Bestimmung des § 54 a UrhG des neu-en Urhebergesetzes, das am 1. Januar 2008 das bis dato geltende Urheberrecht ablöste, im vorliegend vom BGH entschiedenen Fall aber noch nicht zur Anwendung gelangte, ist für die Vergütungshöhe nunmehr entscheidend, in welchem Umfang die Geräte tatsächlich für Vervielfältigungen genutzt werden, wobei die Vergütung den Geräte-Her-steller „nicht unzumutbar beeinträchtigen“ darf. Darüber hinaus verlangt die Vorschrift, dass die Vergütung „in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts“ stehen muss. Die Höhe der Vergütung ist somit nicht mehr gesetzlich definiert, sondern muss zwischen den Verwertungsgesellschaften und der Geräteindu-strie neu ausgehandelt werden. „Wir sind zuver-

sichtlich, dass diese Entscheidung auch positiven Einfluss auf die nun anstehenden Verhandlungen zur zukünftigen Vergütungshöhe von Multifunk-tionsgeräten haben wird“, so VG Wort-Vorstand Ferdinand Melichar.

Die Entscheidung des BGH tangiert in zweier-lei Hinsicht auch die Universitäten. Auf der einen Seite stehen die Hochschulen, die als potentielle Erwerber der praktischen Multifunkti-onsgeräte nun möglicherweise deutlich höhere Preise zahlen müssen. Auf der anderen Seite sind die Vorteile für die Verfasser wissenschaftlicher Beiträge zu be-rücksichtigen, denen die von der VG Wort erstrit-tene Urheberpauschale zu Gute kommt.

Es bleibt jedoch weiterhin spannend. So wird sich der BGH im Mai mit der Vergütungspflicht von Ko-pierstationen (Az. I ZR 206/05) und voraussichtlich im kommenden Herbst mit derje-nigen von PCs (Az. I ZR 18/06) auseinandersetzen. Am 6. Dezem-ber 2007 hatte der BGH entschieden, dass Hewlett Packard keine urheberrechtliche Gerätevergütung für Drucker an die VG Wort zahlen muss. Die Ver-wertungsgesellschaft hat bereits eine Verfassungs-be-schwerde gegen dieses Urteil angekündigt (vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/102107). Ob nun die Gerätehersteller ihrerseits das Bundes-verfassungsgericht anrufen, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen:

1 OLG Stuttgart, Urteil vom 6.7.2005, Az.: 4 U 19/05.

ImpressumDer DFN-Infobrief Recht informiert über aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung und daraus resultierende mögliche Auswirkungen auf die Betriebspraxis im Deutschen Forschungs-netz.

HerausgeberVerein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes e. V.DFN-VereinStresemannstr. 78, D - 10963 BerlinE-Mail: [email protected]

RedaktionDFN-Forschungsstelle Recht, WESTFÄLISCHE WILHELMS-UNIVERSITÄT, Institut für Informations-, Tele-kommunikations- und Medienrecht (ITM), Zivilrechtliche AbteilungProf. Dr. Thomas HoerenLeonardo-Campus 9D-48149 MünsterE-Mail: [email protected]

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