18

Click here to load reader

Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

208 v. A r d e n n e , U n i v e r s a l - E l e k t r o n e n m i k r o s k o p m i t H 0 c h l e i s t u n g s m a g n e t - O b j e k t i v V Kollold- [ Zeitschrift

Eine ausffihrliche Untersuchung fiber die Ver- ringerung der Objekterhitzung dutch die Fein- vorblende bei einer grSBeren Anzahl bekannter Objekte ist zur Zeit im Gange.

Eine mit dem beschriebenen Instrtiment bei bester Zentriertlng erzielte Aufnahme yon sehr fei- nen Zinkkristallen stark unterschiedlicher GrSge bringt Fig.19. Einen 700000 fach vergrSBerten Aus- schnitt aus der Elektronenaufnahme Fig.19 bringt Fig. 20. Aus ihr I/iBt sich ein AuflSsungsvermSgen yon zurZeit etwa 12-15AE. folgern. Das praktisch erz~elte AuflSsungsverm6gen ist also etwas mehr als halb so grog wie die aus den Linsenkonstanten berechnete gfinstigste AuflSsung. Der Grund ffir die Minderleistung gegenfiber dem theoretischen Wert dfirfte in StSrungen der Rotationssym- metrie des Objektivfeldes (verursacht z. B. durch auch bei der benutzten Feinkornlegierung noch verbMbende magnetische Inhomogenit/it des Polschuhspitzen-Materials) zu suchen sein. Nit dem AufliJsungsvermSgen yon 12--15AE. ist nunmehr praktisch mit sehr ~ihnlicken Objektiv- daten, wie frfiher angenommen, etwa jene Lei- stung des Ubermikroskopes erreicht, die der Ver- fasser 1938 in einer Arbeit ~~ fiber die Grenzen des AuflSsungsvermSgens bei dem Ubermikroskop abgesch~itzt hatte.

IX. Zusammenfassung. Eine neue Form des Universal-Elektronen-

mikroskopes wird beschrieben. Ein groger Fort- schritt im AuflSsungsverm6gen des Ubermikro- skopes auf etwa 12 bis 15 AE. wird erreicht durch ein Objektiv mit Hochleistungsmagnet, bei dem mit ungef~ihr gleichen Polschuhbohrungen und Polschuhabst~inden wie bei guten Objektiven tier Industrie es gelungen ist, die maximale Feld-

so) M. v. Ardenne, Z. Physik 108, 338 (1938).

stfirke auf tier Achse etwa zu verdoppeln (Wert B o ~ 26000 Gaug), die Brennweite auf die H/ilfte zu verringern (Weft fm in= 0,8 mm) und bei der Spannung yon 60 kV den Betrieb mit einer Objektlage nahe dem Feldmaximum zu realisieren. Durch eine feine, einrfickbare, einmal zu justierende Blende (z. B. 6 # Durchmesser) dicht oberhalb des Objektes gelingt es trotz der (bei Ausnutzung der hSheren AuflSsung eintretenden) starken Zu- nahme der Elektronendichte, eine kritische Objekterhitzung bei vielen Objektarten zu ver- meiden. Die Wirkung der Feinvorblende beruht darauf, dab im Bemessungsgrenzfall gerade die- jenige sehr kleine (daher durch W~rmeableitung gekfihlte) Fl~iche des Objektes durchstrahlt wird, die im Endbild hochvergrSgert erscheint. Die Vorblende ist gMchzeitig als Elektronenauff~inger zur Messung der Elektronendichte am Objekt sowie als Hilfseinrichtung zur Herbeiffihrung der gtinstigsten Beleuchtungsapertur (aopt = 1,2.10 -2) ausgebildet. Als weitere Neuerungen werden ein Wechselprojektiv mit Mehrschichten-Polschuh- system, ein unmittelbar von den Elektronen ge- troffenes Selenphotoelement neben der Leucht- schirmklappe als Belichtungsmesser und eine Kleinbildfilm-Kamera beschrieben. Aus einer wiedergegebenen 210000 bzw. 700000fach ver- grSgerten Aufnahme wird ein AuflSsungsver- m6gen yon 12 bis 15 AE. gefolgert.

Dem Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes far physikalische Chemie und Elektrochemie, Herrn Prof. Dr. P. Thiessen sowie der Deut- schen For schungsgemeinscha f t ist der Ver- fasser ffir wirksame Unterstfltzung der Arbeit und Gew~ihrung einer Forschungsbeihilfe sehr zu Dank verpflichtet.

Aus dem Forschungslaboratorium der Deutschen Glastechnischen Gesellschafl, E. V., Arbeitskreis im NSBDT, Franklurt a. M.

Gestalt und t3estaltswandel yon Stoffen im glasigen Zustanfl mit besonderer Beriicksichtigung des t31asfadens.

Ve r suc h e i n e s Entwurfs einer Gestaltshypothese der Glttser.

Von H a n s F r e y t a g

Stoffe im glasigen Zustand bieters ihrer Er- kenntnis und damit souver/inen Beherrschung vor allem als Werkstoff grSgte Hindernisse. Schon die Schwierigkeiten beim Enfwerfen eines verst~indlichen Bildes vom Aufbau glasiger Sub- stanzen und einer befriedigenden Definition des glasigen Zustandes sowie der Dualismus an- organisch--organisch, der scheinbar bei Betrach- tung tier chemisehen Zusammensetzung solcher Stoffe zutage tritt, belegen die yon diesen starren

(Frankfurt a.M.). (Eingegangen am 26. Mai 1944)

Stoffen eingenommene Sonderstellung. Ver- scMirft wird die Sachlage noch durch ihre eigen- schaftsbegrfindete mannigfache Anwendung als Werkstoffe (1).

Die in letzter Zeit im Vordergrund des tech- nischen Interesses stehenden Glasfiiden (ein- schlieglich der analog erzeugten SiOz-Glas-, Schlacken- und Gesteinsf~iden) erscheinen als zum Teil mit unerwarteten Eigenschaften begabte fiebilde. Sie unterscheiden sich nicht unerheb-

Page 2: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 -I Freytag, Gestalt und Gestaltswandel yon Stoffen im glasigen Zustand 9.09 H. 2/3 (1944).J

lich vom r/iumlich anders ausgedehnten Aus- gangsmaterial. Es liegt nahe, yon solcher Er- fahrung ausgehend, wenigstens versuchsweise Vorstellungen zu entwickeln, ob und wie sich eine offenbare r~umliche Wandlung der glasigen Stoffe auf ihre Eigenschaften auswirkt. Das Vorhaben verfolgt den Zweck, die experimenfelle Forschung auf dem Gebiet des Werkstoffes Gias in neue Bahnen zu lenken. Erleichtert wird die morphologische Befrachtung wesentlich dadurch, dag sie am der Darstellung der fheoretischen Chemie vom ,,Standpnnkt einer gestalthaften Atomlehre" von K. L. Wolf (2) anknfipfen kann.

I. Allgemeine Beschreibung der Glas- Hidenbildung. Einebildsame (erwe~chte oder schmelzfl~issige) Glasmasse beliebiger r~iumlicher Ausdehnung wird durch Aus/ibung eines Zuges in ein wohldefiniertes r~umliches Gebilde mit besonderer Bevorzugung einer Dimension (in Ziehrichtung) fibergefflhrf. Nach den Dar- legungen yon Wo. Ostwald (3) ist dieses Ge- schehen als Difformationsgeriese zu be- zeichnen. Ein kleines ebenes oder gekrflmmfes StOck der Glasmassenoberfl~iche wird in trans- latorische Bewegung versefzt. GrSl~e, Gestalt und Bewegungsgeschwindigkeit dieser stereo- metrischen Keimscheibe bestimmen den Quer- schnitt des Glasfadens, sein Aussehen (4). Bei der praktischen Herstellung tritt an Stelle der Keimscheibe eine Keimglasmasse. Erfolgt die Fadenbildung derart, dag in schmelzfl~issiges Glas ein- Stab eingetaucht und dann heraus- gezogen wird, so liegt bibasales Wachstum vor, well die vom Faden zum Wachstum benStigfe Subsfanz sowohl yon der Schmelze als auch yon der Keimglasmasse zugeffihrf wird. Bei Her- stellung der Glasseide nach dem D0sen-Zieh- verfahren (5) wird mit einem Metallhfikchen aus der aus der DOse austretenden Glasschmelze eine Keimmasse herausgeholf und nach unten abgezo- gen. Der so gewonnene Faden entstand durch bi- basales Wachstum; ist er jedoch in Fortffihrung des Verfahrens an der Umlauftrommel befestigt, so w~ichst er nut noch basal. Dos gleiche gilt auch for das sogenannte Muffel-DOsenziehver- fahren (Th0ringer Verfahren) (6) und dos Stab- Ziehverfahren (5). Beim Dfisen-Zieh- (5) und Schleuderverfahren (5) handelt es sich wieder urn bibasales Wachstum, denn beim ersteren wird durch den Blasstrom aus der aus der DOse ausfretenden Glasmasse eine --vermutlich als Tropfen ausgebildete - - Keimglasmasse heraus- gerissen, beim letzteren werden infolge der Flieh- kraft ebenfalls TrSpfchen der Glasmasse fort- geschleudert, die hinter sich einen Glasfaden her- ziehen. Die geblasenen Glasfasern (7) weisen gelegentlich an einem Ende ein kleines TrSpfchen auf, den Rest der Keimglasmasse; das gleiche

zeigen in viel grSgerem Umfange die durch Schleudern erzeugten Fasern.

Nach dem Vorgehen yon Wo. Ostwald (3) soll das der Glasfadenherstellung dienende bild- same GIas Nfihrglas genannt werden; tier materialliefernde Vorgang ist thermischer Natur: Erweichen und Schmelzen (bei organischen G1/isern gibt es nat0rlich entsprechende Ab- weichungen). Die Mobilisierung des N/ihrglases for die Difformationsgenese wird dutch Erhitzen erreicht (Erteilung einer bestimmten Viskositfit). Denkbar ist, dab geschmolzenem N/ihrglas durch Druck zus/itzlich hShere Beweglichkeit auf- gezwungen wird . Energieliefernder Vorgang bei der Glasfadengenese ist der am bildsamen N/ihr- glas von angen ansetzende Zug, sei er dutch Trommelumlauf, dutch Zentrifugalkraft oder dutch Gas- bzw. DampfstrSme hoher Geschwin- digkeit ausgefibt. Im ersteren Fall entstehen end- lose Ffiden (Olasseide), im zweiten und dritten Glas- fasern (ouch SiOz-Glas-, Schlacken-und Gesteins- f/iden bzw.-fasern). Daraus erhellt, dal~ bei der Glasfadengenese der Wachstumsvektor akziden -~ tell ist. Der Ernfihrungsvekfor ist zentripetal zur Keimglasmasse und im allgemeinen wohl ebenfalls akzidenfell. Nach ErschSpfung des yon auBen gelieferten N~ihrglases erscheint unter sehr gfinstigen thermischen Bedingungen ein autonomer Ernfihrungsvektor beschr/inkt mSg- lich (Heranziehung des noch bildsamen Faden- inneren zum Fadenwachstum: Streckung).

Die Keimglasmasse ist gewissermal~en nur prim/it bei der Erzeugung endloser Glasffiden vorhanden, im Verlauf ihrer Entstehung fiber- nimmt diese Funktion der schon vSllig erstarrte, filteste Tell des Glasfadens selbsf. Bei endlichen Glasffiden hingegen ist stets gegebenenfalls zum Tell difformierfe Keimglasmasse vorhanden. Selbstverst/indlich bleibt unter Voraussetzung konstanter Ziehgeschwindigkeit und Viskosit~it des N~ihrglases der Querschnitt jener Ffiden weitgehend unver/indert, w/ihrend bei diesen Dickenschwankungen hfiufiger sind.

Der formative Mechanismus wurde schon wiederholt angedeutet. FOr endlose Glasf~iden ist er im wesentlichen eine DOse mit zugehSriger Zieheinrichtung. Bis zu einem gewissen Grade hingegen kommen bei der Glasfaserherstellung sowohl formativer Mechanismus, als auch for- mativer Physikochemismus in Betracht. Beim Dfisen-Blasverfahren gibt es eine Dtise zur Glas- ffidenbildung, die dutch Zuffihrung hochgespann- ten Dampfes zum formativen Mechanismus er- g~inzt wird. Der Dampf reil3t yon den Prim~ir- ffiden an sich schon difformierte Keimglasmassen ab, wodurch eine Verselbst~indigung der Faden- bildung eintritt, die sehr deutlich bei der aul3er- ordentlich originellen SiO2-Glasffidenherstellung

14

Page 3: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

0.10 Freytag, Gestalt und Gestaltswandel yon Stoffen im glasigen Zustand F Kolloid- LZeitschrift

wird: die Erweichungs- und Schmelzvorg~inge im entstehenden Faden betonen hierbei den forma- riven Physikochemismus. Am deutlichsten ist dieser beim Schleuderverfahren, bei dem sich die abgeschleuderte Keimglasmasse grogenteils als N~ihrglas verh~ilt, in dem sich in kurzer Zeit- spanne Erweichungs- und Schmelzvorg~inge ab- spielen.

If. Grundversuche zur Glasf/iden- genese. Der Glasfaden wird zwar nach recht allgemeinen und einfachen Gesetzm/igigkeiten gebildet. Die Berficksichtigung der Viskositfit des Glases und der Temperaturverl/iufe zeigen jedoch schon, wie entscheidend die den Faden aufbauende Materie sein mug. Die Wechsel- wirkung zwischen Materie Glas und Vorgang Difformation werden noch klarer, wenn alle M~iglichkeiten einer Glasfadenerzeugung er~rtert werden.

Gel~iufig ist der Fadenziehversuch, der darin besteht, dab ein Glasstab oder -rohr (grunds~itz- lich gibt es Massivglas- und Glashohlf~iden, w~h-

"rend gekammerte F~den angen~ihert jene sind, die sogenannte ,,Spinnzuf/illigkeiten" nach P.-A. Koch (8) aufweisen) in der Mitte zum Erweichen erhitzt und an den starren Enden auseinander- gezogen wird. Oder in eine im Tiegel befindliche Glasschmelze wird ein Stab eingetaucht und her- ausgezogen. In beiden F~illen entstehen - - durch Difformation - - f ib r i l l a r -d i f forme Systeme (9): Glasf~iden verschiedener Dicke. Nach der Wo. Ostwaldschen Systematik ist hierbei zwi- schen grob- ( > 500 m# = 0,5#) und kolloid- difformem System (< 500 m# ---- 0,5 #) zu unter- scheiden. Die bisher technisch hergestellten Glasf~iden sind mit 1,5#, durchschnittlich aber 5 bis 10# und mehr, grobdifform. Es werden von nahe der 0,5#-Grenze gelegenen Glasffiden be- sondere Eigenschaften zu erwarten sein, was sp/iter begr~indet wird.

Auger der Difformationsgenese der Glas- f~den ist,noch eine andere Genese denkbar und durchffihrbar, wenn sie auch kaum jemals ver- sueht werden,dfirfte. Sie verlangt eine geeignete Form, die im wesentlichen aus einer Rille yon einigen #Tiefe und Breite bestehen soll. Sie wird mit fltissigem oder bildsamem Glase aus- geftillt, der Uberschug durch Abstreichen ent- fernt. Naeh Abk~hlen wird das Ergebnis ein Glasfaden sein. Man kann diese Herstellung mittels einer zweiteiligen Form variieren: der Glasfaden wird gepreBt. So gewonnene dlas- f~iden seien Glas fadenforml ing und Glas- fadenpreBling genannt.

In die Formrille kignnte man ein Glaspulver- dispersoid streuen, dessert durchsehnittliche Teil- chengri~ge nat~rlich nicht grUger sein dtirfte als die Rillenbreite und -tiefe. Temperatur-

erhiJhung erg/ibe zun~chst ein Fritten- und dann ein Sinterdispersoid (10) in Fadenform, und erst bei weiterer Temperatursteigerung wfirden dar- fiber hinaus die Glasteilchen durch- und zusam- menschmelzen. Das Ergebnis w~ire ein Glas- fadenformling. Der Unterschied zwischen diesem und den F r i t t en - und Sin terd isperso id- glasf~iden ist darin zu erblicken, dab die letz- teren ein kohfirentes Dispersoid (10) darstellen, dessert Steife um so weniger merkbar sein d~irfte, je geringer der mittlere Durchmesser der Einzel- teilchen dieses Fadengebildes w~ire, w~ihrend der durch viglliges Schmelzen der Teilchen ent- standene Glasfaden dem Aussehen nach dem GlasfadenpreBling oder -formling gleichen w~rde.

Um Glasf~iden herzustellen, ki~nnte man auch so vorgehen, dab ein an den Enden fluBs~iurefest geschafzter Glasstab der FluBs~iurewirkung aus- gesetzt werden wfirde. Die Ltisungsbedingungen mtigten so gew~ihlt werden, dab der periphere Abbau der Glassubstanz gleichmfiBig erfolgt. Im Ergebnis w~ire solche Genese ~ihnlich jener, bei der ein Faden aus einem Glasfilm oder Glas- zylinder oder -block durch mechanische Be- arbeitung gewonnen werden warde. Eine prak- fische Verwirklichung dieser Verfahren kommt natiirlich nicht in Frage.

Obwohl im Fall der Glasffidenformlinge und -preBlinge eine bestimmte N~ihrglasmenge bevor- zugt in einer Raumrichtung ausgebildet wird, kann von einer Difformationsgenese nicht ge- sprochen werden. Es fehlt das Merkmal der Difformation, die Wirkung einer ger ich te ten Kraft zur Bildung des Fadens. Eine Form wird lediglich gleichmfiBig und fast gleichzeitig mif N~ihrglas ausgef~l l t wie ein Gef~ig. Deshalb soll diese Glasfadenbildung spontane Genese genannt werden. Die Friften- und Sinterdisper- soid-Glasf~iden entstehen gleichfalls auf diese Weise. GewiB l~igf sich die zum Friften und Sintern fiihrende Erhitzung in Formrillenrichtung leifen, so dab der koh~irente Dispersoidfaden inkrementweise entsteht; dies ist aber keine ge- nfigende Voraussetzung far die Anerkennung dieses Verfahrens als Difformationsgenese. Eine entfernte Khnlichkeit mit der K o n d e n s a t i o n s- genese mag vorhanden sein. Die.gedachte und im Rahmen bestimmfer Untersuchungen (man denke an das Ab~itzen yon Glasf/iden zur Festig- keifssteigerung) durchffihrbare Genese yon Glas- f~iden durch periphere Volumverkleinerung kenn- zeichnet sich einwandfrei als Dissolut ions- genese (3). Das Zerschneiden eines Glasfilms oder Herausarbeiten aus einem Glasblock ent- spricht der Dispersionsgenese.

III. Vergleich der Glasf~idengenesen. Die verwirklichbaren bzw. nur denkbaren Glas- ffidgngebilde unferscheiden sich zum Teil schon

Page 4: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 7 Freytag Ges'mlt und Gestaitswandel yon Stoffen im glasigen Zustand 9.11 H. 2/S 0.944) _1

durch ihr Aussehen. Der Unterschied ist nur gering zwischen den durch Difformation und als Formling bzw. PreNing entstandenen Fiiden, er ist besonders grog bet Fritten- und Sinter- dispersoidglasf/iden gegenfiber jenen oder den

�9 dissolutions- oder dispersions-genetisch gewonne- nen. Sicherlich handelt es sich in s~imtlichen F~llen um die gleiche Substanz, einen Stoff im glasigen Zustand, nach Wo. Os twald (9) also um eine Aggregationsmetastase test ~ flfissig, die ether O b e r f l f i c h e n e n t w i c k l u n g unter- zogen wird. Die Glasf/iden gleichen einander dem prinzipiellen Aussehen nach, dennoch sind aber trotz Wahrung yon Zustand und Stoff die Gebilde verschieden, da die ihrer Genese zugrundeliegenden Vorgiinge verschieden sind.

Auf diese Weise erhellt der Begriff der f iugeren Gestalt und die Erkenntnis yon der Verschiedenheit der Gestaltungsvorgiinge sowie eine tiefe Wechselwirkung zwischen diesen und dem einem G e s t a l t s w a n d e l unterworfenen Stoff. Die Existenz ether ~ugeren verlangt zwangsl~iufig die Existenz einer in n e r e n Gestalt. Die erstere kbnnte mit feinerem Sprachgeffihl i m Deutschen besser Fo rm heigen. Einem Stoff lassen sich bis zu einem gewissen Grade beliebige Formen erteilen. Die innere Gestalt (im folgenden nut Gestalt genannt) ist hingegen etwasOegebenes; sie ist su bs tanzgebunden(11) ,

Tabe l le

dem Stoff eigentfimlich. F o r m w a n d e i , For- mung haben ffir einen gegebenen Stoff weit- gesteckte Grenzen. Gestaltswandel, Gestaltung jedoch sind nur beschr~nkt miJglich. Gestalts- wandel bedingt nicht Formwandel; dieser kann aber Gestaltswandel zur Folge haben. Die Glas- fiidengenese nach dem Prinzip der Difformation stellt den verh~iltnism~gig seltenen Fall ether Verknfipfung yon Gestalts- und Formwandel dar.

IV. Ges ta l t swande lvorg~ inge . Das Wesen tings Gestaltswandels, eines Ergebnisses des Einflusses verschiedener Vorg~inge auf die Ge- stalt eines Stoffes, 1/igt sich nur erkennen, wenn Klarheit fiber die einzelnen Gesta!tungsvorg/inge herrscht. Nachstehend soll daher eine systema- tische Ubersicht tier miSglichen Gestaltungsvor- g~inge (vgl. Tabelle I) gegeben werden. Sit kiJnnen einen Stoff in seiner Gesamtheit erfassen oder sich nur auf Teile (Oberfl~che und Schich- fen) erstrecken. Vor allem bet starren Stoffen werden sie sich recht h~iufig auf Oberflfichen- gebiete beschrfinken. Deshalb wollen wir zwi- schen i n t e g r a l e m (i) und p a r t i e l l e m (p) Gestaltswandel unterscheiden, die durch geeignete Verfahrensfahrung ineinander fibergehen k~innen. Ferner wollen wir jefzt schon festhalten (doch sp~ter begrfinden), dag das Endergebnis eines jeden Gestaltswandels keine dem ursprfinglichen Zustand und Stoff fremde Substanz skin soll.

I. Zusammenfassung der ffir Stoffe im giasigen Zustand in Betracht kommenden Gestaltungsvorg~inge (12).

Gestaltungsvorgang ~, ..Ab-Ab- Art: M6gliche Kombination mit " i KUrzung i oder p

Erhitzen, Abktihlen (Abschrecken)

Drilcken .(Pressen), Abscheren

Reiben, Feilen, Schleifen, Polieren

Zerkleinern, Zertrfimmern, ZerreifSen, Mahlen, Zerschneiden, Zersligen, Zerreiben

Verfestigen: Fritten und Sintern

Physikalisch-chemische Reaktionen: Strahlungsreaktionen, Elektrolyse, Ionenwanderung

Ziehen (Recken, Strecken, Biegen)

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

(0

(g)

Nunmehr sind weitere Unterscheidungen der Glasf~idengenesen m6glich: Der Difformationsgenese liegen (a)- und (g)-Vorg~inge zugrunde. Der spon- tanen Oenese vorbereitend (a)-, abschliel~end (b)- bzw. vorbereitend (d)- und abschliegend (e)- und (a)-Vorg~inge. Der Dissolutionsgenese entspricht nur

i. gelegerglich p

i und p

P

i und p

i und p

i und p

(b) willkfirlich (g) willkfirlich (a) willkfirlich (b) willktirlich (d) willkfirlich und zwangsl~iufig (a) zwangsl/iufig (b) zwangsl/iufig (d) teilweise (a) zwangsl~iufig (b) zwangsl~tufig (c) teilweise (a) zwangsI~iufig (b) willkfirlich (teilweise) (a) willkflrlich, zwangsl~iufig

i, (a) zwangsl~iufig selten p (b) teilweise

Formwandel, w~ihrend die Dispersionsgenese (d)-Vor- g~inge umfagt, die begleitet werden yon (a)-, (b)- und (c)-Vorglingen.

V. Einige glaskundliche und glastechno- logischeBeispielef t i rWirkungundAnwendung yon Gestaltsvorg~ingen. Das bier im Vorder-

14"

Page 5: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

~.12 i~reytag, Gestalt und Gestaltswandel yon Stoffen im glasigea Zustand F Kolloid- [. Zeitschrift

grund stehende Beispiel der Glasfadenbildung wurde schon gekennzeichnet. Der morphologischen Be- trachtungsweise gem~ig handelt es sich bei der Her- stellung gebl~ihten Glases (10) vorbereitend um (d)-, dann urn (e)- als integrale Vorg~inge; das starre koh~irente Glaspulverdispersoid kommt durch vor- bereitende partielle (e)- und abschliegende partielIe (a)-Vorg~nge zustande.

Beim Schleifen und Polieren des Glases linden sowohl partielle (c)- als auch (b)- und (a)-Vorg~inge statt, die miteinander zwangsl~ufig verbunden sind.

Die bei manchen Brillengl~isern st6rende strahlen- bewirkte Verf~irbung ist die Folge eines integralen (f)-Vorganges. Die bei Ausfibung eines Druckes im Glase auftretende negative Doppelbrechung ent- spricht einem partiellen (b)-Vorgang.

Das Eisblumenglas (13) ist das Ergebnis vorbe- reitender, partieller (d)- und ebensolcher abschliegen- der Vorg~inge.

VI. Der T y p u s yon S to f fen im glas i - gen Z us t a nd . Von Gestaltswandel kann grund- s/ifzlich nur im Hinblick auf eine ursprfingliche Gestalt gesprochen werden. Besitzt man erst yon dieser eine Vorsfellung, dann l/igt sich das Ausmag der Wirkung der Gestaltungsvorg~inge erkennen. Aus den Abschnitten I I I, IV und V geht bereits hervor, dab unfer Wandel der Ge- stalt keineswegs die Umsefzung eines Stoffes in einen neuen yon daher vSllig neuer Gestalt verstanden werden dart. Vie lmehr f i nde r G e s t a l t s w a n d e l nach unserer Auffassung s t e t s u n t e r W a h r u n g und in den Grenzen der s t o f f l i c h e n G e g e b e n h e i t s t a t t .

Zur Festlegung des Zustandstypus mal~- gebend sind vornehmlich die klassischen Studien G. T a m m a n n s (14), wonach die meisten Sub- stanzen (Elemente, anorganische und organische Verbindungen) sich in den glasigen Zustand fiber- ffihren lassen, gegebenenfalls durch Anwendung technischer Kunstgriffe [Zerst~iubung von Schmel- zen (15); Kondensation stark verdfinnfer D~impfe ant tiefst abgekfihlten festen KSrpern (16)]. Mal3- gebend seien ferner die Uberlegungen yon A. Smekal (17), den sie zur Annahme gemischter Bin.dungen als Voraussetzung der Bildung eines glasigen Zustandes zwingen (Smekalsche Be- dingung). Danach sind neben anorganischen und organischen auch organisch-anorganische Misch- glfiser mSglich. Ein. bekanntes Beispiel ffir diese ist das Antimontrijodid-Arsentrijodid-Riperin- Mischglas, das als Einbettungsmittel bei Be- stimmung hoher Brechzahlen gebraucht wird (18). ,,Der Glaszustand ist bier in allgemeinsfer Weise zu verstehen" (1), eine Selbstverst~indlich- keit, yon der die morphologische Betrachtungs- weise ausgeht.

Die Gl~iser haben verschiedene chemische Zusammensetzung und daher auch, tier sie auf- bauenden Substanz gem~ig, verschiedene stoff- gebundene Gestalt. All diese Gestalten lassen sich, analog dem Wolfschen Beispiel: Ellipse,

Parabel usw. sind Kegelschnitte (2), auf ein Urb i ld zurfickffihren, auf den Z u s t a n d s - t y p u s Glas. Ein ihm angehSrender Stoff kann, was unschwer denkbar ist, ohne ihn zu verlassen, Abwandlungen erfahren, die nicht mit seiner Urn- und seiner Neugestaltung verbunden sind. Eine Substanz vermag sonach im glasigen Zu- stand (Wahrung des Zustandstypus) eine Folge unterschiedlicher, doch n~ichstverwandter Ge- sfalten (Wahrung des Stofftypus) zu zeigen. Mit anderen Worten: g e s t u f t e n G e s t a I t s w a n d e l als Z[el der Ges t a l tungsvorg~ inge .

Nach der Gestaltslehre kSnnen in einem Sfoff mehrere Gestalten koexistieren. Dem Zustands- typus lassen sich alle Gl~iser zuordnen; dem Stofftypus nur ein Glas mit einer Folge mSglicher Gestalten.

VII. Die f i e s t a l t s e i n h e i f von S to f fen im g las igen Zu s t a n d . Die widerspruchslose Denkbarkeit eines Gestaltswandels im Rahmen des Zustands- und Stofftypus erlaubt weitere Annahmen. Hergestellf werden etwa zwei Gl~iser, die stofftypisch einander gleich sind und sich nur durch die ihnen entsprechenden Gestalts- wandelsfufen unterscheiden: A 1 und A S. Es ist weiterhin vorstellbar, dag die beiden unter so geeigneten Bedingungen miteinander vermischt werden, dag sie nichf - - infolge eines Gestalts- wandels - - ganz oder teilweise ineinander fiber- gehen. Die Vermischung soll ein ,,homogenisiertes" MischglasA ergeben. Natfrlich mug A alle Eigenschaften yon A1 und As, aber im Verh~iltnis ihrer mengenm/igigen Mischung, aufweisen. Eine homogene Mischung der Komponenten erscheint offenbar nur mSglich, wenn man sich diese aus einander entsprechenden Einheiten aufgebaut denkt , die Tr~iger des Zustands- und Stofftypus sind und jeweils die beiden fiestaltswandel- stufen darstellen. Wir wollen sie G e s t a l t s e i n - h e it e n (GE) nennen. Das A1-Glas besteht also aus XGEA1, das A2-Glas aus yGEA2, alas Mischglas A aus einem Verband XGEA1 + yGEA~. Domi- nieren werden die Eigensehaften tier mengen- m~igig fiberwiegenden Komponente.

Durch Abkfhlen [(a)-Vorgang I schmelz- flfissigen Glases werden nach unserer Auffassung zun~ichst zahlreiche, forfgesetztem Gestaltswandel unterliegende Gestaltseinheifen, die in ver- schiedenen Sfufen ,,Iixiert" werden. Gebildet werden beispielsweise: UGEA1, VGEA~, WGEA3 . . . . . . ZGEAn. Von der Verknfipfung tier zahl- reichen und mannigfachen Gestaltseinheiten ab- gesehen wird jedes Mischglas A aus den Gl~isern A1, A2 . . . . . . An aufgebaut sein. Die der gleichen Gesfaltswandelstufe entstammenden Gestaltsein- heiten erg/iben, aus dem Mischglasverband irgend- wie herausgdSst , scharf definierte, verschiedene

Page 6: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 -] Freytag, Gestalt und Gestaltswandel y o n S t o f f e n im glasigen Zustand 218 H. 2[3 (1944) _1

Gl~iser. Jedes von ihnen wollen wit als idea les Glas, jedes Mischglas idealer Gl~iser als reales Glas bezeichnen. Wir vertre~en die Anschauung, dab jedes be l ieb ige , reale Glas ein Mischglas ist. Die sf~indig auf es einwirkenden Gesfaltungs- vorg~inge unterwerfen es einem st~indigen Ge- staltswandel unterschiedlicher StufenhShe. Das bedingt, dab nicht nur jedes reale Glas etwas Individuelles darstellt, sondern dab es auch diese Ind iv idua i i t~ i t zu ~indern vermag. Der Zusammensetzung und dem Verhalten nach ist das reale Glas v i e lge s t a l t i g .

Nach der Gestaltslehre muB als Molekfil eine Raumanordnung der kleinstmSglichert Zahl yon elementaren Atomen angesehen werden, ,,welche bei der vorgegebenen Zusammensetzung aus den Atomen der befeiligten elementaren Stoffe s~imt- lithe Symmetrieeigenschaften des Makrokrisfalls enthalten, so dab aus ihrer periodischert An- einanderreihung das Makromolek~il . . . hervor- gebracht wird" (19). Das Molekfil ist aber zu-

Tabe l le II. Allgemeine Kennzeichrturig

Zus tands typus Glas (glasiger Zustand): Kann umfassen: EIemente

Verbindungen anorganische, organische, anorganische und organische

Stoff typus (Stoff im g l a s i g e n Z u s t a n d ) : Dart umfassen: jeweils nur einen Stoff

odernur ein Stoffgemisch

gleich ,,die kleinste, den Charakter einer bestimm- ten . . .Verbindung . . . noch tragenden Gestalts- einh~it" (20). In Fortentwicklung unserer Vor- stellung und in sinngemiil3er Ab~inderung der bezfJglich tier kristallisierten Silikate als hoch- molekulare KSrper gemachten Aussage (19), ist die Gestaltseinheit der Gliiser diejenige Raum- anordnung der kleinstmSglichen Zahl yon ele- mentaren Atomen (Ionen), die bei vorgegebener Zusammensetzung aus den Atomen (Ionen) der beteiligten elementaren Stoffe s~imtliche zu- stands- und stofftypischen Eigenschaften und Eigenttimlichkeiten tr~igf und Gesfalfswandel- f~ihigkeit besitzt. Die Gestaltseinheit ist bei glasigen Stoffen in gewisser Hinsicht dem Molekfil f ibergeordne t . Nach morphologischer Be- trachtungsweise sind die Gliiser t1"o ch In o 1 e k u 1 a r.

Einbeziehttrlg experimentell gesicherfer, all- gemeiner Anschauungen und Folgerungen daraus in unser Bild ffihrt zu einer in Tabelle II ver- suchten allgemeinen Kennzeichnung der Gl~iser.

der Gl~iser nach Typus und Eigenschaften.

Gekennzeichnet dutch:

Beweglichkeit Unordnungsgrad Oemischte Bindungen

zustandstypische (allgemeine) Eigenschaften Zusammensetzbarkeit aus Oestaltseinheiten (OE)

Gestaltswandelf~ihigkeit Mannigfaltigkeit

VIII. E i g e n s c h a f t e n tier O e s t a l t s e i n - he i t en und ihr Verband. Zur Kennzeich- nung des glasigen Zustandes nehmen wir mit G. F. Hf i t t ig (21) die dutch den Beweglichkeits- grad definierte Beweglichkeit 2 der Teilchen sowie den Unordnungsgrad U. Jedem idealen Glas wird ein bestimmtes it und ein bestimmtes U '~ charakteristisch sein. Im Hti t t ig-Diagramm r (vgl. Fig. 1) wird j edem Glas A1, As . . .An j e ein Punkt (1, 2, 3 . . . . n) mit den Koordinaten it1, ' U1; it2, Us; . . . 2n, Un entsprechen, dem realen Glase die so erhaltene Punktmenge. Jeder Punkt stellt dieVielzahl der fibereinstirnmenden Gestalts- _~ einheiten tier idealen Gl~ser dar. Die Gestalts- einheiten ktJnnert gleiche U - u n d verschiedene it-Werte oder verschiedene U- und gleiche it- ~i- Werte besitzen. Jeder Oestaltswandel muB sich / , in diesem Bilde offenbaren, wenn mart die einzel- /1~! rten Punkte g e w i c h t e t betrachtet (ira realen Glase sind verschiedene Massen idealer Gl~iser gemischt) urld den Schwerpunkt R der Punkt- menge bestimmt. Jeder Gestaltswandel wird eine Verlagerung yon R zur Folge laaben, sei es, dab

eine beschr~inkfe Anzahl von GEA1 in GEAn fibergeht, sei es, daf~ es beispielsweise alle tun

i I I

I Flfissiget Zustantl I

Orelnunqen I Olasiger2ustand m i t s tarker I

Selbstdiffusion i ~o og -RTaT sTatTe , 06

. . . . . . . . . _ u . : . . . . . . . l_._.3o....J 09 sonstige reale , ~o it ~ d ~ [ o r . Ordnuncen lo : on

v m , . ___,{] - - g n o r d n u n 4 t s g r a d

T

I

Fig. I. Darstellung idealer Gliiser und des ihnen entsprechen- den realen 01ases im Hfittigsclaen Diagramm der Aggregat-

zusthnde (vergleiche Text).

Page 7: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

214 F r e y t a g , G e s t a l t und G e s t a l t s w a n d e l von Stoffen i m g l a s i g e n Z u s t a n d F Kollold- LZeitschrift

oder samtliche Gestaltseinheiten auger den (3EA x zu diesen werden. Die Koordinaten yon R geben Beweglichkeit und Unordnungsg?ad ffir das reale filas an. Im Verlauf eines Gestaltswandels sind dem realen Glas verschiedene Am und Um zuzu- schreiben , im letzterw/ihnten Fall werden sie identisch mit den Koordinaten des Glas Ax (Pnnkt x der graphischen Darstellung).

Aus Fig. 1 wird ersichtlich, dab unter den hier getroffenen Voraussetzungen reale Gl~iser denkbar sind, die Gestaltseinheiten enthalten, die ,,vollkommen starr und vollkommen un- geordnet "(21) sind, desgleichen fiestaltseinheiten, die dem Gebiet der ,,realen Kristalle und sonstigen realen Ordnungen" (21) angehtken (es ist abet nieht beabsichtigt, eine Erweiterung unserer Anschauungen auf dieses Gebiet yorzunehmen). Maggebend ffir die Beurteilung eines realen Glases kann nur die Schwerpunktslage sein. Befindet sich R der Punktmenge im Gebiet der realen Kristalle, so ist das filas entgiast; befindet sich R i m Gebiet des flfissigen Zustandes, so ist das Glas geschmolzen.

Zu einem Bild der Gestaltseinheit selbst und zu einer Vorstellung yon der Verknfipfung der zahlreichen und mannigfaltigen Gestaltseinheiten gelangen wir durch Ubernahme der Z a c h a r f a s e n- Warrenschen Vorstellung eines zustands-typi- schen, experimentell wahrscheintich gemachten r~iumlichen Netzwerks. Unserer Auffassung nach sollen die Gestaltseinheiten aus solchen Netz- werken aufgebaut sein (22).

Ftir die Gestaltseinheiten g~ilte im fabrigen folgendes:

1. Sie besifzen ein Zacha r i a sen -War ren - sches Netzwerk yon unterschiedlicher r~iumlicher Ausdehnung.

2. Das Netzwerk weist verschiedenen Ver- netzungsgrad auf.

3. Jede Gestaltseinheit hat eine Anzahl yon Verknfipfungsstellen. Im einfachen Fall eines SiO~-filases ktinnen diese an Si- und O-Ionen verwirklicht werden.

4. Die Verkntipfung der fiestaltseinheiten untereinander erfolgt wie innerhalb ihrer Netz- werke, n~imlich so, dab sich j eweils ein Si-lon zwischen zwei O-Ionen befindet.

5. Die Verkntipfung der Gestaltseinheiten ist unfereinander je nach derZahl ihrerVerkntipfungs- stellen verschieden stark.

6. Art und Zahl der Verkntipfungsstellen sefzt keine besfimmte r~iumliche Ausdehnung, Vernetzung, Beweglichkeit und keinen bestimm- ten Unordnungsgrad innerhalb der Gestalts- einheiten voraus.

7. Die Gestalfseinheiten stimmen fiberein (sind einander gleichwerfig), wenn sie gleiche

r~iumliche Ausdehnung, gleiche Vernetzung, gleiche Beweglichkeit, gleichen Unordnungsgrad haben, ohne Rficksicht auf Zahl und Art der Verkntipfungsstellen.

8. Gestaltswandel ist ohne Anderung d~r Zahl und Art der Verknfipfungsstellen m~glich.

9. Auger den an den Verkntipfungsstellen wirksamen Bindekr~iften sind zwischen den Ge- staltseinheiten noch andere (Rest-?)Kr~ifte (,,Wirksph~iren") angenommen.

Was das Netzwerk der Gestaltseinheiten betrifft, so ist daran zu denken, dab z. B. eine [SiO,]4--Gruppe sowohl in einer plan-, als auch in zwei raumsymmefrischen Anordnungen aus- gebildet sefn kann. RiJntgenographische Unter- suchungen ergaben allerdings, dab die Tetraeder- anordnung die bevorzugte zu sein scheint. Ge- m~iB 4, 5. und 6. verknfipfen sich die Gestalts- einheifen zum realen Glase. Selbsfverst~indlich mtissen wir annehmen, dab diese Verkntipfung gleichfalls dem Prinzip der (,,teilveeise geordne- ten") Unordnung unterliegt. Sicher ]edoch ist, dab glefchwertige Gestaltseinhe/ten immerwieder auftreten werden. Die Unordnung des Gestalts- einheitenverbandes wird nofwendigerweise yore Gestaltswandel auch in Mitleidenschaft gezogen. Ware dfe Verknfipfung der Gesfaltseinheiten so beschaffen, dab deren Raumnetzwerk sich kon- tinuierlich erstrecken wfirde, k~Jnnte ein Gestalts- wandel nur in beschr/inktem Umfang und nur integral verlaufen. Es bestfinde ein Wider- spruch ztir Wirklichkeif, die ja partiellen Ge- staltswandel kennt. Dieser Widerspruch wird aber sofort aufgehoben durch die Annahme, dab die Gestaltseinheiten miteinander so verknfipft sind (vgl. Punkt 7), dab zwischen ihnen freie R~ume verschiedener Ausdehnung entstehen, in denen die Gestaltseinheitenwirksph/ire zurGeltung kommt. Der Gestaltseinheifenverband realer und idealer G1/iser ist durch ein Hohlraumsystem ausgezeichnet (vgl. das Schema in Fig. 2). Stoffe im glasigen Zustand sind unserer Ansiehf nach inhomogen.

Nit einiger Ann/iherung lassen sich die Raum- nefzwerke schematisch sph~irisch ,,einhfiIlen";

A1 'i "~,'--Oedaehte Einhiillung

~,-' zur Verdeullichung J ~ / .tler riiuralichen ~usdelmu_n#

~ J 2 einer 6Z

"Ag Fig. 2. Schematische Darstellung eines Gestaltseinheiten- verbandes (nur angen~thert, da nicht r/iumlieh gezeiehnet) aus ffinf Oestaltzeinheiten (hiervon sind vier gleiehwertig).

Page 8: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 10S -I Freyfag, Gestal t und Gesta l t swandel yon Stoffen im glas igen Z u s t an d 215 H. 2/3 (1944) 3

die NoB zur Erleichterung der Vorstellung ge- dachten Gebilde schwanken zwischen Kugel und Ellipsoid als Extreme und zeigen meistens (,,am6boide") Ausstalpungen. Je nachdem, ob eine Verknfipfung an einer oder mehreren Stellen stattfindet (woraus sich Schwtiehe und Stufung der Stfirke der Verknflpfungen ergibt), ber/1hren sich die Umh/111ungsgebilde an Punkten, Linfen oder F1/ichen, wodurch abet nut die zeichnerische Darstellung unterstfitzt werden soil.

Die GriJBe der Gestaltseinheiten diirfte viel- leicht an der Grenze der Dimensionsbereiche hoch- und kolloiddisperser Systeme liegen.

IX. Die Hohlrfiume in Stoffen im gla- sigen Zustand. Die Existenz eines Hohlraum- systems in G1/isern, die wir vorhin abgeleitet haben, ist allein schon durch die Annahme des Ranmnetzwerks f/1r die Gestaltseinheiten nahe- gelegt. Bekanntlich werden die Hohlr/iume des [SiO4]-Gerfistes als Sitz der Alkali-Ionen an- gesehen (23). Zweifellos handelt es sich bei diesen um die yon E. Manegold als Kraftdiume mit Ger~iststruktur bezeichneten Hohlraumsysteme (24). Sie sind im Zuge eines Gestaltswandels ver/inderlich. Das Hohlraumsystem, das den Gestaltsdnheiten eigen ist, wird unseres Er- achtens erg~inzt durch ein Hohlraumsystem, das s ich zwischen ihnen befindet, durch deren Verkntipfung entsteht und damit dem Gestaltseinheitenverband eigenttimlich ist. Seine Abmessungen d/1rften hoch- bis kolloiddis- perser Gri3Benordnung entsprechen. Die zu- sammenh/ingenden Kraftrfiume yon Gerfist- struktur sind durch einen bestimmten wandel- baren Unordnungsgrad ausgezeichnet. Unter gewissen, vom Gestaltswandel dikfierten Be- dingungen kann dieses ganz oder te/lweise fn einen submikroskopischen Kapillarraum /1ber- gehen. In diesem System nun sind Kr/ifte wirk- sam, die den Gestaltseinheiten zuzuschrefben sind (vgl. VIII, 9). Bei Aufweitung werden sie erg~inzt oder abgeli3sf durch Kapillarkr/ifte.

Die Glasoberflfiche ist nach diesen Vorstel- lungen versehen mit einer Vielzahl yon Offnungs- stel len, Poren submikroskopischer Gri3gen- ordnung, die sich im Verlauf eines Gestalts- wandels verkleinern oder vergr6Bern ki)nnen. Vermutlich sind die Poren auch Orte besonderer Wirksamkeit.

X. Beschreibung des Oes ta l t swandel - ver laufes an glasigen Sfoffen im Zu- sammenhang mit E r f a h r u n g s t a t s a c h e n sowie Versuche zu ihrer ges fa l t shypo- the t i schen Deutung. Eine ersch/Jpfende mor- phologisehe Analyse und Deutung auch nur aller- wichtigster Erfahrungstatsachen wfirde den Rah- men dieser Arbeit iibersteigen. Sie bleibt sptiteren

Untersuchungen vorbehalten. Jedoch diirften die nachstehend in diesem Sinne besprochenen Bei- spiele genfigen, die Zwanglosigkeit darzutun, mit der unsere Anschauung eine Reihe yon Erscheinun- gen unserer Mefnung nach zu deuten vermag, und den Wert erkennen lassen, den manche experimen- telle Ergebnisse far die Vertiefung unserer Be- trachtungsweise besitzen.

Im Verlauf eines Gestalfswandels (durch Erhitzen) werden offenbar zun~ichst die schw~ich- sten Verkn/1pfungsstellen ,,gelockert" und endlich gel~st. Die Gestaltseinheifen erhalten zuneh- mende Selbst~indigkeit, der Gestaltseinheiten- verband erh/ilt ein lockeres Geffige, wobef sich zugleich das Hohlraumsystem (vgl. IX.) aufweitet, die darin als wirksam angenommenen Krfifte erst in dem Mage, als die Gestaltseinheiten selbst yore Gestaltswandel ergriffen wurden, schwficher werden. Alle Stufen des Gestaltswandels sind fixierbar (Abschrecken).

Die nach unserer kleinen Systematik (a)- Vorg/inge genannten Gestaltungsvorgfinge sind die wichtigsten; sie umfassen die Bereiche des Erweichens, Verflfissigens und Erstarrens. Nach G. F. H/1ttig (25) sind sie klassische Zustands- finderungen A start -+ A fliissig bzw. A flfissig

A starr. Diese Einreihung erscheint hier um so berechtigter, als in der Tat, wie es die Gestalts- hypothese auch erfordert, der Gestaltswandel fiber eine Fiille yon Zwischenzustfinden verl~i~ft.

1 a. A s t a r r ~ A f 1 ii s s i g. Kennzeichnend ffir Gl~ser ist, dab sie bei Temperaturstefgerung ein GeNet durchschreiten, in dem der betreffende Stoff bildsam ist, und erst dann jenes Gebiet erreichen, in dem der Stoff fl/1ssig ist. Besonders eiger~tfimlich erscheint das hierbei offenbarte ,,Nach-und-nach"-Prinzip, nach dem sich die ein- zelnen Gebietsteile verwirklichen. Geeignete Erhit- zung hat zunfichst zur Folge, dab die schwfichsten Verkn/1pfungen zwischen den Gestaltseinheiten sich lockern und dann Risen, Wodurch eine erste Auflockerung erzielt wird. Mit weiterer Tempera- tursteigerung nimmt sie in dem Sinne zu, dab nunmehr auch die st~irkeren Verkn~ipfungen aufgehen und der Gestaltseinheitenverband all- mfihlich den h6chsten Grad von Bildsamkeit (Verselbstfindigung) erreicht. Neben bereits ge- Risten Verknfipfungen der einen Gestaltswandel- stufe bestehen immer noch ungel~ste oder nur gelockerte Verkn/1pfungen, die erst in tier n~ichsten gelockert bzw. gel~st werden. Im Laufe der Zeit Risen sich auch bei konstanter Temperatur schlieglich alle Verknfipfungen (Zeitfaktor!), was sich aus sptiter zu erw/ihnenden Erfahrungen folgern l~Bt. Die r~iumliche, ami3boide Aus -~- dehnung der Gestaltseinheiten wirkt sich nach Art einer ,,sterischen Hinderung" aus und ver- ursacht einen (inneren) Widerstand, der sich

Page 9: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

216 Freyfag, Gestal t und Gesta l t swandel yon Stoffen im glasigen Zus tand F KoUoid- LZeitschrift

einem zwanglosen Aneinandervorbei-Gleiten ent- gegenstellt. Dieser Widerstand wird erh~ht dutch einen Gestaltswandel, den die Gestalts- einheiten im Stadium ihrer Verselbsfiindigung erfahren. Zu Beginn eines Erhitzens werden vornehmlich die an der Oberfl~iche liegenden Gestaltseinheiten aus fhrer Verknfipfung geI6st, well sie wegen ihres Angrenzens an den freien Raum die durchschnittlich gerfngste ZahI yon Verkntipfungsstellen aufweisen. So werden also die Oberfl~ichen-Gestaltseinheiten rascher selb- st~indig, sie unterliegen dem Gestaltswandel frtiher als die Gestaltseinheiten im Innern des Glases. Diese Erscheinung beh~ilt lange ihren zeitlichen Vorsprung gegenfiber dem restlichen Gestaltseinheitenverband bet. Sie deutet das ffir das Fritten und Sintern wichtige O b e r f 1 ~i c h e n- schmelzen mit vorangehender ,,Aktivierung". Auch das bekannte Kleben l~igt sich vielleicht durch Freiwerden yon Bindekriiften an den Oberfl~ichen-Gestaltseinheiten beim Erhitzen er- kl~iren. Je kleiner die Glasmasse ist, je grBBer also die Oberfl~ichenentwicklung, desto verh/ilt- nism~igig mehr Gestalfseinheiten gibt es, die mit den inneren nur schwach verknfipft sind. Daher ~iugert sich bet Glaspulverdispersoiden am deut- lfchsten das Oberfl/ichenschmelzen als Rund- schmelzen und schlieglich als Fritfen und Sintern.

Fortgesetzte Temperatursteigerung erh6ht den Gestaltswandel. Es findet eine Folge yon Gestalts~inderungen statt, die schlieglich das Netzwerk der Gestaltseinheiten selbst ergreifen. Die Beweglichkeit und der Unordnungsgrad nehmen zu (vgl. Fig. 1). Endlich ist ein Zustand des Flfissigseins erreicht, der als statistisch un- geordneter bezeichnet wird. All diese Vorg~inge bedingen, dab die gleichwertigen Gestaltseinhei- ten bet gleicher Temperatur zwar gleichen Ge- staltswandel in gleicher Zeif erfahren, das Ge- samtgeschehen aber - - im Hinblick auf den sp~iteren Gestaltswandel anderer Gestaltsein- heiten bei anderen Temperaturen - - Zeit be- ansprucht. Aus der Vielzahl gleich- und un- gleichwertiger Gestaltseinheiten ergibt sich ftir den Gestaltswandel ein Temperaturbereich. Da er verschieden rasch durchschritten werden kann, so ffihrt der Gestaltswandel nat~irlich dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, insbesondere wenn die verschiedenen Stufen fixiert werden. In diesem Temperaturbereich erkennen wir den eines st~indigen und vielffiltigen Gestaltswandels: das Transformationsintervall.

Die Verfltissigung ist Gestaltswandel im Sinne eines Zerreigens 6es r/iumlichen Netzwerkes der Gestaltseinheiten. AngeSichts der in den Schmel- zen verwirklichten Unordnung dfirfte es unter Umst~inden mtiglich sein, dab in ihr auch mehr oder minder groge Teile des Netzwerks als

,,Erinnerung" erhalten bleiben, die weitere Mbglichkeiten zur Gestaltung der Gestalts- einheiten bieten. Gestaltshypothetisch ist es erlaubt und sogar notwendig anzunehmen, daiS diese zahllosen, vielgestaltigen Netzwerkreste in bestimmtem Ausmage stets gleichwertige oder doch sehr fihnliche Gestaltseinheiten liefern. Dieser Gedanke erscheinf uns deshalb besonders interessant, well dann die M6glichkeit nicht yon der Hand zu weisen ist, daiS Gl~iser abh/ingig sein kiJnnen vom Rohstoff. Unter gleichen - - idealen - - Bedingungen wtirde z. B. ein Glas, das aus einem kristallisierten Stoff S gewonnen wurde, ein Individuum mit anderer ,,Erinnerung" dar- stellen als ein aus einem anders kristallisierten, aber ch~misch mit S identischen S%ffT er- schmolzenes Glas. Sie wtirden beide infolge des Gestaltswandels ihre ungleichartige ,,Erinnerung" verlieren, je h~iufiger man Sie einem Gestaltswandel (mehrmaliges Schmelzen) unterziehen wiirde, well es im abschliegenden Verfltissigungs- oder sp~iter im abschlieiSenden Abkfihlungsvorgang mit den sich stets ~indernden Netzwerkresten zur Bildung stets unterschiedlicherer Gestaltsein- heifen k~ime.

Das von G. F. Ht i t t ig (26) erstmals nach- gewiesene Erinnerungsverm6gen der festen Ma- ferie am Beispiel des Ba(OH)~ und BaO~ ist gestaltshypothetisch bei Gltisern durchaus ver- tretbar. Hierher gehtirt als Beleg zweifellos die Jenckelsche Beobachtung, daiS Goldchlorid- l~sungen verschieden rasch von As2Os-Glas- bzw. As~O3-Kfistall-L6sungen reduziert werden (27).

lb. A flfissig --> A s tar r . Grunds~itzlich sind diese Geschehnisse als Rficklauf der unter la) geschilderten aufzufassen. Die Temperatur- erniedrigung ffihrt sehlieiSlich zu e inem Glas. Neben dem vermuteten ,,Erinnerungsfaktor" ist nunmehr besonders ausschlaggebend die Ge- s c h w i n d i g k e i t des sich vollziehenden Gestalts- wandels.

Versfiindlich ist es, daiS Gl~iser, je nachdem in welcher Stufe des Gestaltswandels sie fixiert wurden, d.h. von weleher Temperatur sie ab- schreckte, v e r s c h i e d e n e Eigensehaften auf- wefsen. Eine Anzahl yon Gesfaltseinheiten kann fixiert werden, die wegen ihres niedfigen Un- ordnungsgrades geradezu ,,Kristallkeime" sind. Uberhaupf isf es wegen der Vielzahl yon Ge- staltseinheiten erkl~irlich, d a i S - nach G. Tam- mann - - d i e Bildung der Kristallisationszentren den Wahrscheinlichkeitsgesetzen folgt. Bemer- kenswert in diesem Zusammenhange ist die morphologische Ansicht T a m m a n n s (28), ,,daiS beim Schmelzen nicht a11e Molekfile sofort in denselben Zusfand fibergehen, sondern daiS ein Teil derselben ffir die Keimbildung geeigneter

Page 10: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 -[ F r e y t a g , G e s t a l t u n d G e s t a l t s w a n d e l yon S tof fen im g l a s i g e n Z u s t a n d 217 H. 2/3 (1944) A

bleibt, oder dab der Ubergang aus dem ani- sotropen Zustand in den isotropen eine merkliche Zeit beanspruchen kann". Die Tropfenmethode, die G. Tammanil und A. E lb raech t e r (15) erfolgreich zur Erzielung des glasfgen Zilstandes benutzten, ist gestaltshypothetisch verstfindlich: die Wahrscheinlichkeit tier Anwesenheit ein oder mehrerer weitgehend geordneter Gestaltseinheiten in einem erstarrten Schmelztropfen wird um so geringer sein, je feiner die Schmelze zersttiubt wird. Die Absehreckung vollzfeht sich bei kleinen Tropfen so rasch, dab ,,in der Eile" vornehmlich nur Gestaltseinheiten yon hohem Unordnuilgsgrad zu entstehen vermSgen.

Die yon H. Salmang und K.v. S toesser (29) untersuchte Abhtingigkeit des spezifischen Gewichtes eines Fensterglases yon der Ab- schrecktemperatur ergab Konstanz bis zu 475 ~ yon da an ein jtihes Absinkeil und yon fiber 6000 an langsamere Abnahme. Um dies morphologisch zu verstehen, mug man sich unserer Anschauung erinneril, dab die Gestaltseinheiten so mit- einander verknfipft sind, dab ein Hohlraum- system mit Gertiststruktur im Glase vorliegt. Der Gestaltswandel setzte offensichtlich beim untersuchten Glase erst bei 4750 mit ether solchen Auflockerung des Gestaltsefnheitenverbandes ein, dab die Hohlraumailsweitnng merklich begann. Das spezifische Gewicht des in dieser Gestalts- wandelstufe fixierten Glases ist niedriger. Nit steigender Temperatur nimmt die Ausweitung zu, damit auch die Verselbstfindigung der Ge- staltseinheiten; da jedoch das Raumnetzwerk vom Gestaltswandel bei h~heren Temperatilren immer sttirker ergriffen wird, die Verfltissigung wegen der Sprengung starker Bindungen relativ langsamer vonstatten geht, so verlfiuft die Ab- nahme des spezifischen Gewichtes langsamer and strebt einem Endwert (spezifisches Gewicht der Schmelze) zu.

Voil den glefchen Verfassern (29) wurde die Abhtingigkeit des spezifischen Gewichtes yon tier Erhitzungsdauer bei abgeschreckten Fenster- gltisern studiert. Bei Einhaltung konstanter Temperatur finder vorerst die Ausweitung der Hohlrtiume start; das spezifische Gewicht sinkt. Im Verlauf des konstant geleiteten Gestalts- wandels erfahren die Gestaltseinheiten sttirkere Anderungen ihrer rtiumlichen Ailsdehnung (der Raumbeanspruchung), die schlieBlich (Faktor Zeit!) das Netzwerk ergreifen und eine Ver- engung der Hohlrtiume verursachen. Das spezi- fische Gewicht steigt wieder an. Der konstant geleitete Gestaltswandel kann zu so weit geor'd- neten Gestaltseinheiten ftihren, dab Entglasung und damit ein weiteres Ansteigen der Dichte mt~glich wird. DaB der Gestaltswandel, der sfch im Rahmen einer Abkfihlung vollzieht, ebenfalls

Zeit braucht, ist aus der yon Salmang rind v. S toesser (29) gefundenen Abh~ingigkeit der Dichte yon der Abktihlungsgeschwindigkeit zu ersehen. Die Deutnng ist analog der vorgebrach- fen.

Der Ze i t f ak to r tritt kraB in Erscheinung, wenn etwa ein Glasstab unter seinem eigenen geringen Gewicht Durchbiegungen erleidet. Diese ,,s~ikulare FlieBf~ihigkeit" (9) ist wohl ein ein- drucksvolles Beispiel ffir den sieh st~indig vo11- zfehenden Gestaltswandel tinter milden Bedfn- gungen bzw. normalen Verh~iltnissen, der alle Stufen umfal~t, wenn hinreichend Zeit zur Ver- ftigung steht. Die Erklfirung bietet Ilach obigem kaum Sehwierigkeit. Die angen~ihert konstante Zimmertemperatur trod die sehr lang~ Zeitdauer der Erscheinung bedingen einander.

Marl dart sonach mit einigem Reeht behaup- ten, dab diese Art yon Untersuchungen besonders geeignet ist, morphologfsche Aufsehl0sse zu vermitteln. DaB sieh stofftypisch andere Gl~iser auch anders verhalten, tiberrascht bei unserer Betrachfungsweise nicht. Wir erwarten sogar, dab sfch diesbeztiglich zwei praktisch gleich hergestellte Glfiser anders verhalten mtissen (morphologische Vergangenhei t) . Die Ge- staltshypothese beruht geradezu auf dem viel- f~iltigen Verhalten der Gl~iser. Von unserem Standpnnkt aus kann die bisherige Erfahrung, dab die thermische Vorgeschfchte yon EinfluB auf die Struktur des Glases ist, mit Genugtuung zur Kenntnis genommen werden.

Ftir das Verstiindnis des Auslaugens, ftir die chemische Angreifbarkeit eines Glases an sich (vgl. X, 8.) und - - hfer - - fn Abhfingigkeit yon der Absehrecktemperatur ist die Annahme eines Hohlraumsystems yon besonderem Wert. Die gestaltswandelbedingte Hohlraumausweitung and das davon abhfingende le[chtere Eindringen yon Fltissigkeit in das Glas spiegett die yon H. Salmang und K.v. S toesser (29) mit- geteilte Kurve der Abh~ingigkeit der Auslaugwerte yon der Abschrecktemperatur wieder (30).

Bekanntlich zeigen unfer bestimmten Be- dingungen vfele Gliiser eine Erscheiilnng, die, mit der Ausbildung yon Kristallen endend, Entglasuilg heiBt, vorher Alterung genannt wird. Wir haben schon einigemale angedeutet, dab in jedem Glase Gestaltsefnheften vorhanden sein mtissen, deren Ordnungsgrad so hoe h ist, dab sie verhfiltnismfiBig leieht in Kristalle fibergehen kgilnen. Dutch langsames Erhitzen, nicht zu rasches Abkfihlen bzw. langsames Abkfihlen linden die Gestaltsefnheiten erileut Gelegenheit, ihren Gestaltswandel durch Ordilung zu vollenden bzw. es wird die Bildung yon hinsichtlich ihres Ord- nungsgrades gleichwertigen Gestalfseinheiten ver- anlaBt. Ein entglastes Glas wird neben Kristallen

Page 11: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

218 Fresrtag, Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand V Kolloid- LZeitschrift

Gestattseinheiten von geringerem (Kristallkeime) und sehr hohem Unordnungsgrad enthal ten. In tier Alterung mug man einen die Entglasung vorbereitenden Gestaltswandel erblicken. Die bei gewissen G1/isern spontan auftretende Ent- glasung kommt unter starker W~irmeentwicklung zustande. Daraus daft gefolgert werden, dab die ungleichwertigen Gestaltseinheiten nach ihrem Energiegehalt geordnet werden kgnnen. Im starren Glase ist ein S t ab i l i t : i t s - (Lab i l i t~ i t s - ) gef~ille vorhanden, das w~ihrend des Gestalts- wandels sieh auswirkt. Die Gestaltseinheit mit geringstem Unordnungsgrad ist offenbar stabfler als diejenige mit hiSherem.

Die thermisehen Nachwirkungen sollen h[er nich{ unerw~ihnt bleiben. Sic sind eine Alterungs- erscheinung starrer Glfiser. Jedes Glas unterHegt in 1 ~in g e r e n Zeitl~iuf{en verschiedenen Tempera- turschwankungen, deren AusmaB zwar gering- fagig, abet dennoch ausreichend ist, um in schon beschrfebener Weise einen Gestaltswandel (siehe s~kulare Fliegf~ihigkeit)herbeizuffihren. Das End- ergebnis ist eine dichtere ,,Packung" der Ge- staltseinheiten. Kfinstlich wird dies (d. h. in wesentlich k~irzerer Zeit) durch Erhitzen auf geeignete Temperatur hervorgerufen. Es ist zu erwarten, dab derart behandelte Gl~iser h{Jheres spezifisches Gewicht zeigen werden.

Der Gestaltswandel erlaubt die Vorstellung, dab bei von augen nach innen fortschreitender Abkfihlung, also Fixierung yon Gestal.tseinheiten, dem Temperaturgeffille entsprechend efne Ref- hung gleichwertiger oder doch weitgehend fiber- einstimmender Gestaltseinheiten miJglich wird. Die Doppelbrechung w~ire sonach der Nachweis dieser Reihung. Die zuers{ abgekfihl{en Schich- ten des Glases enthalten eine Vielzahl yon Ge- stal{seinheiten, die gegenfiber den spfiter fixierten in jeder Hinsicht ungleichwertig sind. Die inneren Schichten bes!tzen in zunehmendem Mage Ge- stal{seinheiten yon immer hiSherem Ordnungs- grad, bezogen auf die fiuBeren Schich{en, well sic l~inger dem Gestal{swandel unterlagen. Aber auch ihre ,,Packung" wird (vgl. oben) wegen der griJBeren Gelegenheit zur Ordnung und Ver- knfpfung dfch{er sein. Es besteht also [nnen V o 1 u m v e r mi n d e r u n g; die Innenschichten wei- sen Zug-, die Augenschichten Druckspannungen auf. Ausgleich der Spannungen wird durch Gestaltswandel (Erhi{zen und Abkfhlen in ge- eigneter Weise) erzielt (,,isotrope" Verteilung der Ges{altseinheiten).

Technisch bedeutungsvoll sind die absichtlich verursachten Spannungen im Hartglase (Modell: Glastr~inen). Durch plStzliches, abet g l e i ch - mfigiges Abschrecken werden groge Gestalts- einheitenverb/inde in einer Stufe ihies Gestalts- wandels fixiert, der zumindest die grSBte Wei,te

der Hohlr~iume entspricht (h~ihere Auslaug- barkeit). Innerhalb einer Scheibe z. B. werden von augen nach innen groBe Verb~inde mit durch- schnittlich schwacher Verknfipfung grogen Ver- b~inden mit durchschnittlich starker Verknfipfung sich gegenfber befinden, und miteinander in mehr oder minder flieBendem Ubergang ver- kn.fpft sein. Infolge der inneren Zugspannung, die vom dichteren GeStaltseinheitenverband aus- gefbt wird, wird ein spontaner Gestaltswandel unter Bildung neuer Oberfl~ichen erfolgen in dem Augenblick, da etwa mittels (c)-Vorg~ingen aus dem weniger dichten fiuBeren Gestalts'einheiten- verband kleinere Gestaltseinheitengruppen ge- waltsam herausgeliSst werden. Der sofort ein- setzende Spannungsausgleich bewirkt einen Zer- fall des Glases in kleine Teile, die vermutlieh aus relativ st~irker miteinander verknfipften Gestaltseinheiten bestehen, w~ihrend die zu die- sen relativ schw~cher verknfipft gewesenen fie- staltseinheiten nunmehr die Bruchfl~ichen bilden.

-Das Studium der Doppelbrechung bietet also eine Weitere MiSglichkeit zur Erforschung des Gestaltswandels und der Morphologie der G1/iser, vielleicht sogar eine bessere als es die riJntgenographische Unfersuchung vermag. C.W. P a r m e l e e , G. L. Clark und A. E. B a d g e r (31) konnten bei Anwendung starker ~iuBerer Ver- spannungen keine ~inderung des RiSntgeninter- ferenzbildes, au ch keine Faserausrichtung der Glasmolekfile beobachten. Hingegen ergab sich eine Ausweitung der Abst~nde bei einem auf 13000 erhitzten Kalkgtas, was vielleicht ffir einen unter solchen Bedingungen stattgefundenen Ge- staltswandel sprechen k/Snnte.-

2. Gestal tswandel dutch Drficken (Pres- sen) und Abscheren [(b)-Vorg/~nge]. Nach der yon G.F. Hfitt ig (32) gegebenen Einteilung wird eine Unterscheidung zwischen Dracken und Ab- scheren gemacht, je nach der Riehtung, in der eine Kraft auf eine durch den starren K6rper fiindurch- gehend gedachte Ebene zur Wirkung gelangt. Da es ffir diese Betrachtung gleichgfiltig ist, ob die Wirk- richtung senkreeht oder parallel zu dieser Ebene ver- 1/~uft, so werden beide Gestaltungsvorg~tnge zusammen- gefal3t. Sie erscheinen vomehmlich dadurch ausge- zeichnet, dab sic zwar mechanischer Natur sind, aber im Rahmen des Zustands- und Stofftypus dem Olase neue Eigenschaften zu verleihen vermiSgen. So ist vorauszusehen, dag bei starrem Glase der Druek eine Verdichtung tier Gestaltseinheit auf Kosten des Hohlraumsystems verursachen wird. Die auftretende negative Doppelbreehung weist dies naeh. Nit Auf- h6ren des Druckes verschwindet die Anisotropie, ein Zeichen daffir, dab die Gestaltseinheiten wieder ihre Ursprfinglichkeit annehmen. Vielleicht daft man daraus schliegen, dag die Oestaltseinheit-Verkntip-

.fungen bei einem solchen Vorgang weitgehend er- halten bleiben und nur ,,scharnierartig" beansprucht werden, womit allerdings eine Beeinflussung des Ord- nungsgrades innerhalb der Oestaltseinheit mit den sich ffir die Beweglichkeit ergebenden Konsequenzen verbunden ist.

Page 12: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 1 Freytag, Gestalt und Gestal tswandel yon Stoffen im glas igen Zustand 219 ~ . ~/s (~9~) 3

Die Kombination der (b)- mit (a)-Vorg~tngen be- einflugt den Gestaltswandel bedeutenck Im Rahmen unserer Anschauung erwarten wir hiervon eine Er- hOhung des spezifischen Oewichtes.

3. Gestal tswandel durch Reiben, Feilen, Schleifen und Polieren [(c)-Vorg~inge]. Nit (a)- und (b)-Vorg~ingen sind sie zwangsl~ufig kom- biniert. Die aufgewendete mechanische Kraft wird teilw'eise in (Reibungs-)W~irme umgesetzt. Es muf3 sich sonach mannigfacher Oestaltswandel ergeben, der sich allerdings NoB auf die Olasoberfl~iche oder einige der ihr n~chstgelegenen Schichten.erstreckt (partieller Gestaltswandel). Durch die Untersuchungen von A. Smekal (32) wissen wir, dab das Ritzen (Abscher- vorgang mit ungleicher Kraftverteilung) als Modell des Schleifens und Polierens zun~ichst Bildsamkeit des Glases (33) in kleinen Bereichen verursacht, was ebenso wie das LosbriJckeln zu neuen Oberfl~chen fiihrt. Aus der Gestaltshypothese ergibt sich in lJber- einstimmung mit anderen Anschauungen, daft ins besondere ,,frische" Glasoberfl~ichen aktiviert er- scheinen. Die in ihnen befindlichen Oestaltseinheiten im Verein mit den Poren sind die Ursache dieser Aktivit~t.

4. Gestal tswandel durch Zerkleinern [(d)- Vorg~inge]. Im allgemeinen handelt kS sich hier um integrale Vorg~inge mit dem Ergebnis einer. Ober- fl~ichenentwicklung. Das Ausmag der Zerkleinerung, die Erzielung verschiedener Teilchengr0gen beein- flugt die verschiedene morphologische Beschaffen- heit der Oberfl~ictien. Unter Zerkleinerung verstehen wir sowohl die Zertrfimmerung einer Glasscheibe als auch die Herstellung eines Glaspulverdispersoids. Die Kanten und Ecken sind bekanntlich - - auch von unserem Standpunkt aus - - Sitz besonderer Aktivit~it (vgl. X, 1 a).

5. Gestal tswandel durchVerfes t igen [(e)- Vorg~inge]. In der Technik verbindet man die (e)- und (d)-Vorg~tnge, urn, in Kombination mit (a)-Vor- g~ingen, zu einem neuemtechnischen Ziel zu gelangen. Wir erw~ihnen vor allem die Herstellung gebl~ihten Olases (10).

6. Gestal tswandel durch physikal isch- ehemische Reakt ionen [(f)-Vorg~inge]. Aus- zuscheiden sind alle Umsetzungen, etwa die Behand- lung eines Glases mit einemAtzgemisch, d/lrch das sich an der Oberfl~iche Fluoride der chemischen Glas- bestaridteile bilden. Hingegen geh6ren hierher die bekannten Verfgrbungserscheinungen verschiedener Gl~iser durch UV-, R6ntgen- und (auch der korpuskula- ren) Ra-Strahlung. Ktinftige Untersuchungen werden zu zeigen haben, ob fiicht diese Strahlungsreaktionen, die den Gehalt der Gl~ser an bestimmten Kationen zur Voraussetzung haben, sich an den ,,Wandungen" des Hohlraumsystems zwischen den Gestaltseinheiten abspielen, die ,,innere Oberfl~iche" eines Glases solche Reaktionen tlberhaupt erst ermSgIicht. In ~ihnlicher Weise k6nnte man vielleicht morphologisch Ionen- wanderung tind Ionenaustausch auf elektrolytischem Wege deuten (34). Die Wandungen der Kraftr~iume sind ja Bahnen des Material- und Energietran_sportes.

7. Oestal tswandel durch Ziehen [(g)-Vor- g~inge]. Die das Ziehen bewirkende Kraft wird senk- reeht zu einer den GlaskSrper durchsetzend gedachten Ebene (35) angesetzt, bei einem Glasstab in Richtung der Stabseele. Die Zugwirkung besteht letzlich darin, daf5 ~ beginnend bei den schw~ichsten Verknfipfungs- stellen und unterstfitzt yon besonders grogen Offnungs- stellen oder durch Oberflachenverletzungen (Kerb- stellen) - - Gesfaltseinheite• voneinander gerissen werden. Es bilden sich zwei neue, mit den schon mehr-

fach begrfindeten Eigenschaften ausgerfistete Glas- oberflfichen.

Die VerhNtnisse liegen ~ihnIich wie bei der Zer- trfimmerung eines Glases dutch Druck bzw. Schlag. Infolge des Hohlraumsystems zwischen den Gestalts- einheiten ist das Gins ein inhomogener KOrper. Die Trennung yon Oestaltseinheits-Gruppen wird stets dort einsetzen, wo die Gestaltseinheiten untereinander am schw~ichsten verkntipft'sind. Wir vermuten, dab der Verlauf tines Sprunges in einer Olasscheibe die schw~ichsten Verkntipfungsstellen innerhalb eines Oestaltseinheits-Verbandes angibt. Da dies abet bei jedem Glase anders sein mul3, so erscheint eine Re- produktion weitgehend unmOglich, der Sprungver- lauf ,,zuf~illig".

Die (g)-Vorg~nge laufen anch in Kombination mit (a)-Vorg~ingen ab, ~wenn man die Zugkr~fte an einer bildsamen Glasmasse ansetzt. Oewonnen werden so Stangen (R6hren) und Glasf~iden (Glashohlf~den). Der Glasfaden l~il~t derart viele morphologische Eigen- ttimlichkeiten erwarten, dag dieses Gebilde gesondert in Abschnitt XI behandelt wird.

3ederlfalls besteht kein Zweifel darfiber, dag Bruch- und Zerreil~vorg~ingen eine hohe Bedeutung ffir die Morphologie der Ol~iser zukommt.

8. P h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e Vorgf inge an der Glasoberf l~iche. Darunter werden Vorg~inge verstanden, die s[ch ausschliel31ich an der OberflS.che oder in den ihr n~ichstgelegenen Schichten bzw. im Intern eines Olases unter wesentlicher Befeiligung der Oberfl~ichenkrMte abspielen. Im Vordergrund auch des fechnischen Interesses stehen die Adsorption yon Gasen und D~impfen, die Gasdurchl~issigkeit der Gl~iser, die chemische Angreifbarkeit (Auslaugen), die Verschmufzung als Sonderfall der Adsorption fester und flfissfger Stoffe und die Wechsel, wirkung zwischen Ol/isern und Glas und anderen Stoffen (z. B. Metall). Letztere mfissen wohl zu den Reakfionen im fesfen Zusfand gezfihlt werden. Die Ionenwanderung wurde schon in Abschnitt X, 6 erw~ihnt.

Gem/ig unserer morphologischen Auffassurlg und in Kenntnfs verschiedener einschlfigiger Unter- suchungsergebnisse stellen die Poren der Glasober- fl~iche wahrscheinlich Orfe besonderer Kr~ifteent- faltung dar (vgl.tX.). Man dart vielleicht yon einer ,,Saugwirkung" oder einem ,,Schliirfeffekt" spre- chert. Von entscheidender Bedeutung ist zweifellos die GrSl3e der vermufeten Offnungen. Es isf nahe- liegend anzunehmen, daft eine Anzahl Abmessun- gen besitzt, die ibrer OrSBenordnung nach den S m e ka I schen Kerbstellen zuzuz~ihlen sind 06). Verletzungen durch mechanfsche Angriffe k(Jnnen in unserem Sinne ebenfalls die Glasoberfl/iche zus~itzlich akfivieren. Mit all dem soil fiber die Kerbstellen selbst and ihre Theorie yon unserem Standpunkt aus zun/ichst nichts gesagf werden, wenn es uns auch scheint, dal3 zwischen ihr und der Gestaltshypofhese keine unfiberbrfickbaren Gegens~itze bestehen. Uns interessiert lediglich

Page 13: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

220 Freytag, Gestal t und Gesta l t swandel yon Stoffen im glasigen Zus tand g Kolloid- LZeitschrift

die MSglichkeit, die Aktivit~it durch Oberfl~ichen- verletzungen zu erhtihen.

Die Glasober- als Grenzfl~iche gegen Luft oder andere Gase (und D/impfe) wirkt gem~iB unserer Vorstellung wie folgt: Die freien Ver- kntipfungsstellen der bloBgelegten Gestaltsein- heiten des Glases halten Atome (lonen) und Molekfile der Gase und D~impfe test. Bei Tem- peratursteigerung werden diese Bindungen ge- 16st. Die GIasoberfl/iche adsorbfert beispiels- weise Wasserdampf; dfeser kann dureh Trocknen vollkommen entfernt werden [tempor~ire Wasser- haut naeh Warburg und lhmor[ (30)]. Ein Teil der Gase und D/impfe dringt infolge der ,,Saugwirkung" der Poren in das Innere des Glases. Die in den Hohlr~iumen vorhandenen energetischen Verh~iltnisse ffihren zu einem wesentlich festeren Halten der geschltirften Gase und D~impfe, die in den kommunizierenden Ka- n~ilen l~ings der ,,Wandungen" wandern kCJnnen (,,Platzwechsel" ?)und schlieBli'ch sich im gesamfen Hohlraumsystem verteilt befinden. Auf gleichem Wege mfissen Diffusionen mSglich seth, etwa wenn ein Metall mit Glas in engste Berfihrung (dutch Versehmelzen) gebraeht wird. Tempera- tursteigerungen hierbei sind nattirlich schon hinsichtlich der Beweglichkeit der wandernden Teilchen gOnstig.

Die Abhfingigkeit dieser Geschehnisse vom Gestaltswandel ist deutlich (vgl. X, I b). Bet Betrachfung der Angreifbarkeit des Glases dutch Wasser ist es zuniichst unwichtig, in weleher Weise es in das Glas ,,eingebaut" wird. Wir wollen annehmen, dab es in dem etwas grSber anzusehen- den Hohlraumsgsfem zwischen den Gestaltseinhei- ten festgehalten bzw. transportiert wird, w~ihrend die Netzwerk-Hohlr~iume in alkalihaltigen Gl~i- sern den Alkali-Ionen vorbehalten bleiben, wobei eine Adsorption in den gr/Jberen Hohlriiumen, nsbesondere bei ,,Platzmangel" (hohem Alkali- gehalt) nicht grunds/itzlich auszuschliel3en ist. Umgekehrf mug bei ,,UberfNlung" der gr/Jberen und ,,Freisein" der Netzwerk-Hohlr~ume ein Eindringen des Wassers in diese mi3glich sein. Natfirlich ist beim Wasser zu berficksichtigen, dab es besonders bei hi3heren Temperaturen auch als S/lure zu wirken vermag, also ein Einbau yon H- und OH-Ionen denkbar ist. H-Ioneneinbau wfire fiber chemfsche Reaktfonen, etwa beim Her- ausholen yon Alkalien mittels S/iuren, m6glieh.

Gase, D~impfe und Flt~ssigkeiten werden yon den Poren angesogen; sie dringen anfangs ver- h~iltnism~igig rasch, sp~iter immer langsamer efn. Denn trotz der Begfinstigung dieser'Wanderungen dureh die Transporfeigenschaften der Hohl- raumwandungen bieten die vielf~ltigen Ver- zweigungen zunehmend erhebliche Widersfiinde, die zu fiberwinden sind. Bet abgeschrecktem

Glase sind zwar die HohMiume etwas welter, doch ~indert sich voraussichtlich die DurchlaB- mfiglichkeit nur insofern, als nunmehr auch grfiBere Teilchen eindringen k~3nnen, und kleinere mit etwas grtiBerer Geschwindigkeit wandern darften. Die Abh~ingigkeit der Gasdurchl~issig- keit der Gl~iser vonder Temperatur (37) ist aus solchen Uberlegungen selbstverst~indlich.

Aus allem erhellt einwandfrei, dab f~r die Auswirkung chemischer Angriffe auf ein Glas die morphologische Vergangenheit-seiner Ober- fl~iche von entscheidender Bedeutung ist. Des- halb muff man den EinfluB bedenken, den Ein- wirkungen einer Flfissigkeit bet ihrer Siede- temperatur haben ktinnen. Zweifellos wird die Glasoberfl~iche einem Gestaltswandel unterworfen, der nicht ohne Folgen ffir den Verlauf des chemi- schen Angriffs sein kann. Beleg hierffir scheint uns eine Beobachtung yon Warburg und Ihmori (38) zu seth, die durch Behandlung ether Glasoberfl~iche mit siedendem Wasser deren'Wasserdampfadsorption verringerten. Es ist schwierig anzunehmen, dab die in den Raum wirksamen Kr~ifte der Oberfl~ichen-Gestaltsein- heiten dauernd abges~ittigt worden sind. Wahr- scheinlicher ist es abel dab dutch siedendes Wasser in den ersten Oberfl~ichenschichten des Glases das Hohlraumsystem aufgeweitet wurde und Wasser aufnahm. Nach der Abkfihlung ,,verstopfte" dieses Wasser die Poren, so dab tier Schlarfeffekt geringer wurde oder gar ver- schwand un~d die an sich verh~iltnism~iBig geringe Oberfl~ichenadsorption zur~ckblieb. Die beob- achtete Adsorption war kleiner. Die Entfernung des Alkali aus der Glasdberfl~iche ist natfirlich auch als ein die Wasseradsorption verringernder Einflug zu betrachfen.

Gestaltshypofhetisch auaerordentlich befriedigend ist die bet Best~ndigkeitsuntersuchungen an Gl~isern getroffene Unterscheidung zwischen Form- und Bruchfl~ichen, zwischen schliffgerauhten Formfl~tchen und Glaspulverdispersoiden verschiedener KorngrOge, vor allem die Forderung, Prtlfungen nut frischer Bruchglasfl~chen vorzunehmen. Diese haben die ktirzeste morphologische Vergangenheit. Zu berfick- sichtigen ist jedoch die Tatsache der lndividualit~it der Gl~tser, der zu begegnen praktisch nur mittels Versuehsgrogreihen m6glich ist. Das gilt aueh von den Untersuchungen fiber Vorg~inge wie Atzen, Ver- witterung, Verschmutzung und das Entstehen von Flecken auf optischen Gl~isern.

XI. Der Glasfaden yore S t a n d p u n k t der Ges ta l t shypothese . Taucht man einen Stab in die N~ihrglasschmelze, so bleibt an ibm ein Teil kleben (Keimglasmasse). Beim Heratts- heben setzt sofort die Abk~hlung ein (hat tier Stab eine andere Temperatur als die Schmelze, so erfolgt Abkahlung schon an der Eintauch- stelle) und damit die Folge des Gestaltswandels in allen Stufen. Eine anschauliche, morpholo-

Page 14: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 -I F rey tag , Ges ta l t lind Ges ta l t swande l von Stoffen im g las igen Z u s t a n d 221 H. 2/3 (1944) J

gische Einstellung verratende Beschreibung des Fadenziehens aus einer Glassschmelze gab 13. Tammann (39). In einer bestimmten Stufe des Gestalfswandels (die Beziehung zur Viskosit/it infolge der rfiumlichen Ausdehnung der Gestalfs- einheiten und der zwischen ihnen wirksamen Krfifte wurde schon angedeutet) liegen rlunmehr Gestaltseinheiten vor, die durch den ausgeribten Zug gegeneinander (etwa nach dem Beispiel der Verschiebung zweier glattpolierter, test aneirl- ander gedrfickter Olasscheiben) verschoben wer- den. Diese Verschiebung wird urn so leichter erfolgerl, je weniger Verknripfungsstellen sie untereinander aufweisen, je geringer also die Kr/ifte zwischen den Oestaltseinheiten sind. Das Minimum, das nichf ohne 13efahr des Reil3ens des gebildefen Fadens unterschriffen werden dart, sorgf ffir den Zusammenhalt der Nfihrglas- t(efmglasmassenverbirldung, die 'die Material- zufuhr gew~ihrleistef. Sie wird in der Praxis unter Ausnutzung der Schwere gesichert, indem nach unfen gezogen wird. Das Herausholen der Gestalfseinheiten aus ihrer weitgehende Selb- st/indigkeit noch zeigerlden Arlhfiufung, demnach in einem Zeitintervall der ersten 13estaltswandel- stufen, erfolgt vielleichf nach einer bestimmfen AuswahlregeI: Mitgerissen kiJnnen nur jene Ges ta l t se inhe i t en werden, die d ie meisfen Verknr ipfungsste l len besifzen, daher im wei teren Verlauf des 13esfalts- wandels die st~irkste Verknripfung er- fahren. Alle anderen Gestaltseinheifen reiBen beim Herausheben wieder ab, gleiteu zurflck und verbleiben im SchmelzfluB. Damif werden sie keineswegs frir die weitere Glasf~idenerzeugung unbrauchbar. Nach unsererl Vorsfellungen er- geben die inzwischen aus diesen Gesfalfseinheiten enfstandenen Bruchstficke neue Gestaltseinheiten, die durchaus der obigen Auswahlregel folgen k~innen. Wfire das rlfimlich nichf der Fall, so mtiBfe beim Fadenziehen im LaMe der Zeit eine Entmischung stattfinden; in der 131asschmelze verbliebe ein ftir die Weiterverarbeiiung un- brauchbarer Rest yon Gestaltseinheitenbruch- stricken. Eine Ausscheidung unbrauchbarer Ge- staltseinheiten kiJnnte aber auch in einer Zone des bildsamen 131ases irgendwo knapp fiber der Schmelze zu einer Stauung Anlal3 geben, die sich technisch erschwerend auswirken mrigte. Viel- leichI kommt es tatsfichlich zu einer solchen Erscheinung, die ein Abreigen der F~den rlahe der Drisen verursacht. Das Reigen an anderen Stellen der 131asffiden hat natfirlich andere Grfinde.

Noch eine zweite Auswahlregel ist zu erwarten. Wir schlossen auf eine verschiedene, teilweise ,,am6boide" rfiumliche Ausdehnung der Gestaltseinheiten. Es erscheint uns daher rlicht

ausgeschlossen, dab zus~itzlich eine Auswahl nach rfiumlicher Ausdehnung erfolgt, was um so weniger unwahrscheinlich ist, als nach unserer Anschauung rfiumliche Ausdehnung der (3estalfseinheiten und Art und Zahl der Ver- knfipfungssfellen voneirlarlder unabhfingig sind. Bevorzugt werden offenbar mehr ellipsoidische Gestaltseinheiten mit m/Jglichst zahlreichen Ver- knfipfungssfeIlen, also maximaler Verknfipfung. In diesem Sinne dfirfte vielleicht doch vorl eirler ,,Ziehsfruktur" der Glasffiden gesprochen werden, die A. Smekal (40) als eine ketfenarfige Auf- reihung der Olasmolekflle parallel zur Faden- achse beschrieb. Auch wurde eine Annfiherung an eine ,,symmefrische" Molekularbausfeine- anordnung (7) in Erwfigung gezogen. A.A. Griff i th (41) vermutete eine Anordnung der Glasmolek/ile in der Glasoberflfiche in Zieh- richtung.

Die bekannt hohe ReiBfestigkeit der Olas- ffiden bietef unseres Erachtens auf Grund der " von uns abgeleifefen Auswahlregeln rlichts Uber- raschendes (42). Uberlegen wir nfimlich welter, dab bei ErhiJhung der Ziehgeschwindigkeit unter grinstigen Viskositfits- und Abkfihlungsverhfilf- nissen dfinnere Ffiden enfstehen, so bedeutet dies nichts anderes als eine noch sch/irfere Befolgung der Auswahlregeln. Die chemische Zusammen- sefzung des 131ases ist, da sie ja die Gestalts- eirlheiten besfimmf, yon ausschlaggebender Wich- figkeit. Die Folgerungen daraus sind naheliegend.

Die Zunahme der Reil3fesfigkeit mit ab- nehmendem Fadendurchmesser teilen die Glas- ffiden mif Ffiden und dfinnen Stfiben aus gfinz- lich anderen Sfoffen. Diese Eigenschaft ist weder znstands- noch stofftypisch (7). Sie steht aber im Einklang mit den Forderungen der Gestalts- hypothese, wie aber sofort zu ersehen sein wird, nur bezfigIich eines bestimmten Fadendicken- intervalls. Bei einer Fade'ndicke yon etwa 0,5# (die noch nicht technisch erzielt wurde) beginnt die Oberfl~ichenentwicklurlg besonders rasch zu- zunehmen. Das heigf aber rlach den beiden Aus- wahlregeln, dab zwar zwlscherl den e/lipsoidisch betonfen Gestalfseinheiten die Verkrlfipfungen stfirker als sonsf sind, zugleich ergibf die Vor- stellung, dab re/ativ mehr Gestaltseinheifen die Oberfl~che bilden mrissen. Der Zusammerlhalt des festgeknripften Gestaltsverbandes wird, je mehr freigelegte Oestalfseinheiten an der Ober- fl/iche sind, wieder in Wirklichkeit schwficher. Man braucht sich NoB das Extrem vorzustellen, dab der O/asfaden nur aus einer ,,Kefte" ellip- soidischer Gesfaltseinheiten besteht. So zwingen uns unsere Uberlegurlgen zu der Voraussage, dab - - entgegen frtiherer Ansicht - - mit zu- nehmender Fadendf inne der Glasfaden n a c h d e r Fes t igke i t szunahme e ineFes t ig -

Page 15: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

229~ Freytag , Ges ta l t und Ges ta l t swande l yon Stoffen im g las igen Z u s t a n d V Kolloid- [_Ze/tschrift

ke i t sabnahme von ether bes t immten , ,kr i t i schen" Fadendicke an zeigen wird, die im Hinblick auf frtiheren Gebrauch des Aus- drucks ,,kritische Fadendicke" (7) im wahrsten Sinne des Wortes kritisch sein dtirfte. Die be- kannte Festigkeits-Fadendurchmesserkurve wird nach ihrem Anstieg ein Umbiegen und dann vor- aussichtlich einen steilen Abfall aufweisen; der abfallende Ast wird durch den Koordinaten- ursprung gehen, wie es f ir die Fadendicke Null vernfinftigerweise erwartet werden sollt.e.

Obwohl wit glauben, die hohe Festigkeit der GIasf/iden morphologisch hinreichend erkIfiren zu kbnnen, set doch noch kurz auf die Kerb- stellentheorie eingegangen. Mit ihr vermutet A. Smekal (36), dab die Glasfiidenoberfl~iche praktisch frei von Kerbstellen ist. Bertick- sichtigen wit unsere frtihere Annahme, dab unter bestimmten Bedingungen die Poren Kerbstellen- dimensfonen haben ki~nnen, so ftihrt die zweite Auswahlregel zu dem Schlug, dab auch unter solcher Voraussetzung in der Glasf/idenoberfl~iche relativ weniger Poren enthalten sein werden, trotz ihrer grogen Entwicklung. Das ergibt sich wohl aus der bevorzugt ellipsoidischen r~iumlichen Ausdehnung der Gestaltseinheiten, wenn man sie schematisch mit kugeligen Ge- staltseinheiten gleichen Volumens in Fadenauf- reihung vergleieht.

Immerhin dtirften noch immer gentigend Poren geringerer Abmessungen in der 61asf~iden- oberfliiche vorhanden sein, um --gemeinsam mit der an sich aktiveren Oberfl/iche - - ver- schiedene Erscheinungen, wie Alterung, chemische Angreifbarkeit u. ~i. m. herbeizufiihren, die tech- nisch von hohem Interesse sind. Die Dfrme tier F~iden bedingt ein weniger ausgedehntes Hohl- raumsystem zwischen den Gestaltseinheiten, so ~ dab sie-verh/iltnismfigig rasch yon Gasen, D~impfen und Fltissigkeiten angegriffen werden kiSnnen.

Die yon P.-A. Koch und (3. Satlow (43) festgestellte geringe Nagfestigkeit kann vielleicht so gedeUtet werden, dab alas bet Zimmertempera- tur eindringende Wasser - - in dem die Prffung erfolgt - - an der ,,inneren Oberfliiche" der Glas- fiiden ,,korrodierend" wirkt, die Alkali-Ionen aus den Hohlr~iumen der Gestaltseinheiten heraus- lbst, ohne dab ]edoch in der ktirzen Zeit die Ionen in das umgebende Wasser herausdiffundieren kiSnnten. Unter solchen milden Bedingungen war bet unseren Versuchen kein Alkali im Wasser nachweisbar, bei Siedetemperatur jedoch nach wenigen Minuten. Die danach anzunehmende unverh~iltnismiigig hohe Laugenkonzentration (ira Falle alkalihaltiger Glasf~iden) oder all- gemeiner Kationenkonzentrafion in den Hohl- riiumen zwischen den 6estaltseinheiten kann

vielleicht augerdem als eine Art ,,Schmierung" wirken, die zur Herabsetzung tier Festigkeit beitrfge.

Diese Vorg~inge im Innern tier GIasf/iden ki3nnen durch ihre Alterung vorbereitet worden sein. Bekanntlich besitzen frisch gezogene Glas- f~iden gegenfber ~ilteren eine hiJhere Festigkeit. Zwanglos daft dies wohl mit der Wirkung auf- genommener Gase wie CO 2 und D~impfen wieWas- serdampf erkl~irt werden. Alkalihaltige Glasf~iden werden von ihnen unter Ausnutzung der inneren Oberfl/iche sfcherlich Ieicht korrodfert, was z u ether schnellen Festfgkeifsabnahme. ffihrt. Mit siedendem Wasser lange genug behandelte Glas- fiiden zerfallen in der Tat ZLI Splitterchen schon bet geringsten Beanspruchungen, wie Zusammen- drfcken zwischen zwei Fingern.

Verschiedene Untersuchungen erbrachten den Nachweis einer Anreicherung yon Alkali-lonen in den Oberfl~ichenschichfen mancher Gl~iser (44). Je grBBer die Oberfl~iche- so mug man schliegen --, desto st~irker tritt diese Alkali- anreicherung in Erscheinung. Bei Glasf~iden ist sie sicherlich zu erwarten und yon unserem Stand- punkt aus vermutlich insofern nicht ganz fiber- raschend, wenn man sfch der zweiten Auswahl- regel erinnert, nach der eine Bevorzugung der 6estaltseinheit nach r~iumlicher Ausdehnung eine ,,Ziehstruktur" wahrscheinlich macht. Diese riiumliche Ausdehnung kann durchaus mit dem Einbau der Alkali-Ionen innerhalb der Gestalts- einheiten in Zusammenhang stehen und auch damit, dab die erwiihnte Auswahlregel zuerst fir die ~iugeren Oestalfsefnheifen Gfltigkeit hat. Beim Ziehen werden sie nach auBen gedrfckt. Wir sehen uns daher gezwungen anzunehmen, dab in Glasf~iden grundsiitzlich mit einer che mi- schen ,,Ziehstruktur" zu rechnen ist, die sich ri3ntgenographisch an der Halo-Ausbfldung im Gegensatz zu der bet Glasst~iben gleicher chemi- scher Zusammensefzung erkennen lassen dfrfte. Die Entfernung der Alkali-Ionen (und Erdalkali. Ionen) mittels Wasser und - - energischer noch

- - S~iuren muB zu 61asfiiden ffihren, die Si20- Glasfiiden iihnlich sind. Auch dies dfirfte rSnt- genographisch nachzuweisen sein.

Die chemische ,,Ziehstruktur" der 61asf~iden mug natfrlich den chemischen Angriff wesent- lich erleichtern. Vor allem gilt dies ffir die Alterung mit ihren Folgen far die Festigkeit. Fortschaffen dieser alkali(kationen-)reicheren Oberfl/ichenschichten wird festigkeits.erh6hend wirken (Ab~itzen yon Glasf~den).

Die Abktihlung der Glasf~iden erfolgt auger- ordentlich rasch; sie sind ja sehr dtinn, und ihre Oberflfiche ist daher groin. Immerhin wird sie keirleswegs einheitlich den ganzen Glasfaden betreffen, vielmehr wird ein Temperaturgef~ille

Page 16: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

~a~d 108 "[ Freytag, Gestal t und Gestal tswandel yon Stoffen im glas lgen Zustand 221~ H. 213 0-944)_]

von augen nach innen herrschen, das zu den bekannten Spannungserscheinungen ftihrt. Die in Abschnitt X, I b, vorgebrachten Uberlegungen dfirften wohl ffir Glasffiden ebenfalls gfilfig seth, nur mit den sich aus den Auswahlregeln ergeben- den Einschrfinkungen. Die geweiteten Poren und Hohlrfiume erMchtern den chemischen Angriff; Ab/itzen wfirde, falls die Poren oder einige unter ihnen KerbsfellengrOBe aufweisen wfirden, Fesfigkeifsanstieg bewirken, was im Einklang mit der Erfahrung steht.

Es liegt uns ferne, behaupten zu wolJen, die Gesfaltshypothese kiJnnte schon jetzt die Festig- keifseigenschaffen befriedigend erklfiren, doch bietet sie hierzu verschiedene M6glichkeiten, die unseres Erachfens den Vorfeil der Anschautich- keit haben.

Vor einiger Zeif wurde die Ansicht vertrefen (7), dab die Anf/irbbarkeif yon Glasf/idenferfi- gungen (44) und alas Verhalten der zur Glas- ffidenherstellung besonders wichfigen Schffchten und Schm~ilzen (45) ant Glasf~idenoberfl~ichen zur Annahme besonderer, an gew6hnlichen Glas- oberflfichen nicht vorhandenen Krfifte zwingt.

Nach verschiedenen Beobachtungen verhalfen sich Farbstoffe, die an die Glasfadenoberflfiche gel/Jst herangebrachf werden, verschieden. Dies hfingt sowohl yon der Glasfadenoberfl/iche bzw. der Art der Glasffiden in chemischer Hin- sicht, als auch yon der Art der Farbstoffe selbst ab. Farbstoffen, die Glasf/iden leicht, allerdings nicht dauerhaft, anf~irben, stehen Farbstoffe gegenfiber, die viJllig indifferent sind. Zu den ersteren gehi3ren vor allem basische Farbstoffe. H[ndernd sind naffirlfch die Schlichten und Schm/ilzen, doch ist es denkbar, dab manche yon ihnen in d/inner Schicht Farbstoffe hindurch- diffundferen lassen, ohne sich selbst anzuffirben. Diese organischen Substanzen mfissen vorher entfernf werden, um unliebsame Komplikationen zu vermeiden.

Die Anf/irbbarkeit ist eine Frage der Alterung der Glasf~idenoberfl~ichen, die an sich relativ frei- gelegtere GestaKseinheiten besitzen als normale Glasoberflfiehen. Die Grfinde hferffir wurden schon in anderem Zusammenhange genannt. Hinzuzfihlen wollen wir aber auch die yon uns vorhin vermu~ete Anreicherung der Glasffiden- oberfl/iche an Alkali. Um nun Glasffiden ffir verschiedene Farbstoffe annahmeffihig zu machen, isfes eigentlich gemfig unserer Anschauung nur notwendig, die gealterten bzw. chemisch an- geeigneten Glasf~idenoberfl~ichen durch frische zu ersetzen. Praktisch wird das durch Fortfitzen mit Flugsfiure erzielt. Es zeigte sich dabei aber, dab die neuen GIasffidenoberflfichen nach kurzer Zeff die Annahmeffihigkeft wieder verlieren, sie jedoeh lange behalten, wenn sie vorher mit

Lauge behandelt werden. Zweifellos liegen Alterungserscheinungen vor. Werden die Binde- krMte der Glasfadenoberflfiche i edoch mit Alkalf- Ionen abges/ittfgf, ,,konservfert", so kiJnnen sie jederzeit durch Farbstoffmolekfile unter Aus- tausch gegen diese besetzt werden. Flugs~ure- und Laugenbehandlung dauern nur kurze Zeit unter milden Bedfngungen, so dab im letzteren Falle chemische Umsetzungen mit tier Glas- subsfanz unwahrscheinlich sind. Die Lauge ver- st~irkt merkwfirdigerweise den Aktivierungs- effekt. Eine Deutnng ist noch nicht mtJglich, hierzu w/iren noch mehr Erfahrungen erforderlfCh. Die ,,Saugwirkung" tier Poren wird bet der An- f/irbung gegebenenfalls zu ,,Anh/iufungen" ffihren bzw. an den Offnungsstellen eine besondere Haftung des Farbstoffs bedingen. Versuche bezaglich des Anffirbeverm/Jgens liegen Ver- schiedenheiten je nach Herkunft und chemischer Zusammensefzung erkennen. Sicherlich fst dann bet gleicher chemischer Zi~sammensefzung die morphologische Vergangenheit der Glasfiiden enfscheidend. In Anbetracht der wechselvollen Individualit~t der Glfiser ist das zu erwarfen. Das Ziel der Forschung mug eine solche Beherr- schung der Glasffidengenese sein, dab ffir be- stimmte technfsche Zwecke stets Glasffiden prakfisch gMcher morphologischer Vergangen- heir verfflgbar sind.

Gleiches gilt nofwendigerweise auch ffir das Problem der Schlichten und Schmfilzen. Wir konnten seinerzeit nachweisen (45), dab sie sich niemals durch geeignete L6sungsmittel von der Glasfadenoberfl/iche vi311ig entfernen lassen, was im Hinblick auf verschiedene Veredlnngen der Glasf/idenfertigungen yon Nachteil ist. Die fesie HMfung der Schlichten und Schm/ilzen wird aber vor allem dadurch verursacht, dab die Substanzen stets auf frfsche Glasf~idenoberflfichen gebracht werden. Welcher Art die Haffung der Schliclit- und Schmfilzmitfel (und der Farbstoffe) auf den Glasffiden i st, ob es sich nur um eine widerstandsf~ihige Adsorption handelt oder um ech/e molekulare Verbindungen, das kann gegen- w/irtig noch nicht - - auch gestaltshypotJaetisch nicht - - einwandfrei entschieden werden. Es gen/igt zunfichst, dab unsere Anschauung weite Versuchsbahnen ertiffnet.

Abschliegend set auf die frfiher vorsichtig gefiuBerte ,,Isomerie" des glasigen Zustandes, in dem sich Glasf/iden befinden sollten, eingegangen (7). Dieser Ausdruck hat nach der Gestalts- hypothese keine Berechtigung mehr, in solchem Zusammenhange gebraucht zu werden. Es sollte damals lediglich die IndNidualit/it der Glasf~iden im besonderen, tier Gl~ser im all- gemeinen, die eine morphologische Betrachtung nahe legt, gekennzeichnet werden. Zu Recht

Page 17: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

224 Freytag, Gestalt und Gestaltswandel yon Stoffen im glasigen Zustand [- Kolloid- [_Zeitschrift

besteht, daB die mit Gestaltung verbundene Formung eines Fadens (Analoges h~itte ffir Glas- filme zu gelten) aus einem Glase zweifellos diesem Gebilde Eigenschaften erteilt, die von denjenigen einer beliebigen Glasmasse abweichen.

XII. Die Ges ta l t shypothse und andereAn- schauungen vom glasigen Zustand. Das zur Diskussion vorgelegte, zun~chst nur in seinen firund- zfigen skizzierte, daher noch unvollst~indige Bild vom Aufbau eines Stoffes im glasigen Zustand im Rahmen morphologischer Betrachtungsweise zeigt naturgem~B verschiedentlich Ankl~nge an fremde Anschauungen. Die Zachariasen-Warrensche (Netzwerk-)Hypo- these wurde hinsichtlich des Aufbaues der Gestalts- einheit fibernommen. Die kontinuierliche Ausdehnung des Netzwerks wird auf diese beschr~nkt, im fibrigen eine gewisse Diskontinuit~t, eine DurchlOcherung des Netzwerks und damit ein zweites Kraftraumsystem eingeffihrt neben den vom Vernetzungsgrad abh~n- gigen Kraftr~umen innerhalb der GestaItseinheit. Man wird aber auch an die L e b e d e f f sche (Kristallit-) Hypothese erinnert und unverkennbar ist ein Anklang an die Vorstellung von Eric Pres ton (46), der sich das filas aus Bezirken definierter Zusammensetzung aufgebaut denkt. Selbstverst~ndlich bestehen ge- wisse Ahnlichkeiten noch mit anderen Ansichten, was hier im einzelnen anzugeben wohl unnOtig ist (vgl. W. Eitel , a. a. O.).

Endlich ist hervorzuheben, dab die in dieser Arbeit mal~gebende morphologische Betrachtungs- weise ihren Ausgang yon den Erseheinungen nahm, die uns yon den Glasf~iden geboten werden, und es sich hier erneut best~tigt, dab der Glasfaden nicht nur wegen seiner gesamttechnischen Bedeutung (47) Hauptgegenstand der Glasforschung ist.

Z u s a m m e n f a s s u n g . I. Die Glasf/idengenese wird fn Anlehnung

an die yon Wo. Os fwa ld gegebene Systematfk besehrieben, als Difformationsgenese gekenn- zeichnet und efnfge zur Behandlung einschl/igfger Fragen erforderliche Begriffe festgelegt.

2) Die M~glichkeit anderer Glasf~idengenesen wird besprochen; durch ihren Vergleich wird unter Heranziehung des von K. L. Wolf erstmals in der theoretischen Chemie vertretenen Stand- punktes einer gestalthaften Atomlehre die Dif- formationsgenese des Glasfadens als gleich- zeitiger Form-und Gestaltswandel geschildert. Die Gestaltswandel bedingenden Vorg~inge werden er~rtert und hierzu glaskundliche und glas- technologische Beispiele erwiihnt.

3. Unter Berficksichfigung der drei Haupt- eigenschaften der Gestalt wird der Zustands- typus Glas und in seinem Bereich der Stoff- typus entwiekelt. Es wird angenommen, dab jeder Sfoff im glasigen Zustand aus Gestalts- einheiten aufgebaut ist, die letzte Tr~iger aller zustands- und stofftypischen Eigenschaften sind. In ihnen ist das Z a c h a r i a s e n - W a r r e n s c h e Netzwerk verwirklicht. Die Gesfaltseinheiten verffigen fiber eine beeinflugbare Selbst~indigkeit, insofern sie untereinander verschieden stark

verknfipft sind. Zwischen den Gestalfseinheiten befindet sich ein aus Kraftr~,iumen bestehendes Hohlraumsgstem yon Gertiststruktur. Die notwen- digen Eigerischaften tier Gestaltseinheiten und des Hohlraumsystems werden zusammengestellt. Im Hfi t t ig-Diagramm der Aggregatzustiinde lassen sich die Gestaltseinheifen kennzeichnen. In einem filase gibt es nach der Gestaltshypothese zahlreiche einander gleich- und ungleichwertige Gestaltseinheiten, die s~imtlich ffir sich und im Verband stufenweisem Gestaltswandel unter- liegen, der durch Gestaltungsvorg~inge bewirkt wird. Gleichwertigen Gestaltseinheiten elltspricht im Hfi t t ig-Diagramm ein Punkt. Die Gesamt- heit gleichwertiger Gestaltseinheiten wird ideales Glas, die Gesamtheit aller gleich- und ungleich- wertiger Gestalfseinheiten reales Glas genannt. Dieses wird durch eine gewichtefe Punktmenge dargestellt, deren Schwerpunkt mittlere Beweg- lichkeit und mittleren Unordnungsgrad zu Ko- ordin'aten hat.

4. Es wird versucht, den Gestaltswandel als Ziel der Gestaltungsvorg/inge zu beschreiben und zur Deutung voff einigen Erfahrungstatsachen heranzuziehen bzw. d[ese ffir den feineren Ausbau der Gestaltshypothese zu benutzen.

5. Die Vorgiinge bet der Glasf~idenherstellung werden nach der Gestaltshypothese zu beschreiben versucht. Es wird angenommen, dab die Dif- formationsgenese der Glasfiiden zwei Auswahl- regeln befolgt: nach der Festigkeit der Verknfip- fungsstellen der Gesfaltseinheiten des Glases und nach ihrer r~iumlichen Ausdehnung. Die Gestalts- hypothese ffihrt zu besonderen Ansichten. fiber das physikalische und chemische Verhalten der Glasfiiden und zu zwe[ Voraussagen: Abnahme der Festigkeit nach anf~ir~glicher Ztmahme mit zunehmender Fadendfinne, und chemisehe ,,Zieh- struktur" infolge Kationenanreicherung in den Oberfl~ichensehichten, die s[eh im Gegensatz zu Glasst~iben gleicher chemischer Zusammensetzung ri3ntgenographisch wird nachweisen lassen mflssen.

S c h r i f t t u m u n d B e m e r k u n g e n . 1. Vergleiche die Darlegung der Notwendigkeit ether

Dreiteilung des Fachgebietes Glas in Glas- kunde, Glastechnologie und Glasan- wendungstechnik yon H. Maurach und Hans Freytag, Glastechn. Ber. 20, 99 (1942), sowie (in tschechischer Ubersetzung) Sklfi~sk6 rozhledy 19, !79 (1942).

2. K.L.Wolf , Theoretische Chemie. Eine Ein- ffihrung vom Standpunkt einer gestalthaften Atomlehre, Tell I und II (Leipzig 1941/1942).

3. Wo. Ostwald, Kolloid-Z. 102, 35 (1943). 4. Unter ,,Aussehen" ist das dem unbewaffneten

Auge sich darbietende gulSere zu verstehen. Die Betrachtung mit dem Elektronen-Uber- mikroskop liefert eingehendere Aufschlfisse. Ob die yon P.-A. Koch, Hans Frey tag und M. v. Ardenne insbesondere an Schlacken-

Page 18: Gestalt und Gestaltswandel von Stoffen im glasigen Zustand mit besonderer Berücksichtigung des Glasfadens

Band 108 -] Freytag, Gestalt und Gestal~wandel yon Stoffen im glasigen Zustand 225 H. 2/3 (1944)l

f~iden beobachteten Auswfichse einer periodi- dischen Querschnitts~inderung, die durch Her- stellungsvorg~inge verursacht wird, zu ver- danken ist, bleibt zun/ichst eine m6gliche Ver- rnutung. Vgl. Glastechn. Ber. 21, Nr. 12 (1943).

5. Eine kurze Darstellung der Hersteliungsverfahren ffir Glasseide und Glasfasern wurde an anderer Stelle gegeben: Hans F r e y t a g , Nelitands Textiiber. 25, Nr. 2, 37 (1944).

6. In der unter (5) zitierten Arbeit wurde dieses Veffahren nicht beschrieben. Es wird zur Hersteilung von Isolierglasfasern gebraucht und bedient sich einer Schamotte-Muffel, aus der (lurch eine Reihe von L6chern (Dfisen) das bildsame Olas austritt. Die Keimgias- masse, ctwa mitteis eines Olasstabes gefaBt, wird mit dem anh~ingenden Faden am Umfang einer rotierenden Trommel hefestigt.

7. Bezfiglich der Unterscheidung von Glasfaden, Glasseide und Glasfaser vgl. die Arbeit yon P.-A. Koch , Kolloid-Z. 108, 225 (1944), sowie auch Hans F r e y t a g und P.-A. Koch , Glastechn. Ber. 21, 7 (1943), dort insbesondere das Kochsche Schema.

8. P.-A. Koch , O1/istechn. Ber. 19, 153 (1941). 9. Vgi. WO. O s t w a l d , Kolloid-Z. 100, 2 (1942),

insbesondere Seite 22. 10. Hierzu einige Ausftihrungen in anderem Zu-

sammenhange nebst Schrifttum bei Hans F r e y t a g , Olastechn. Ber. 21, 213 (1943). - - Auf die Difformation gebl~ihten bzw. sich bl~ihenden Olases soll hier nicht eingegangen werden. Im fibrigen entstfinden eine Art ge- kammerte Olasf~iden.

11. Vgl. K . L . W o i f , a . a .O . , S. 12ft. - - Besonders sei hingewiesen auf die Zusammenfassung der Gestaitseigenschaften (S. 14). Form und Ge- stalt werden dort einander gleichgesetzt, doch vereinfacht deren Unterscheidung manches. Der Ausdruck ,,~iuf3ere Gestait" wird auch verwendet.

12. In diesem Zusammenhang sind seibstverst~indlich die Reaktionen im festen Zustand zu beachten. Vgl. G .F . H f i t t i g , Zwischenzustande bei Reaktionen im festen Zustand und ihre Be- deutung far die Katalyse. Handbuch der Katalyse, Bd. 6 (Wien 1943), 402ff.

13. Hans F r e y t a g , Olastechn. Ber. 20, 71 (1942). 14. G. T a m m a n n , Der Giaszustand (Leipzig 1933). 15. G. T a m m a n n und A. E l b r a e c h t e r , Z. anorg.

alig. Chem. 207, 268 (1932). 16. L. H a m b u r g e r , Kolloid-Z. 23, 177 (1918). 17. A. S m e k a l , Nova Acta Leopoldina, N. F. 11

(1942).

18. Vgl. K i o c k m a n n - R a m d o h r , Lehrbuch der Mineralogie (Stuttgart 1942), 147.

19. K. L .Wolf , a. a. O., S. 222. 20. K. L .Wol f , a. a. O., S. 16. 21. G .F . H f i t t i g , Kolloid-Z. 104, 161 (1943). 22. Vgl. Schrifttum und Besprechung der Struktur-

hypothesen der Gi/~ser bei W. E i t e l , Physika- lische Chemic der Siiikate, 2. Auflage (Leipzig 1941), 143ff.

23. A. D i e t z e l , Nafurwiss. 31, 110 (1943). 24. E. N a n e g o l d , Koiloid-Z. 80, 253 (1937). 25. G. F. H a t t i g , Handhuch der Katalyse, Bd. 6

(Wien 1943), 373. 26. G. F. H f i t t i g , Handbuch der Kataiyse, Bd. 6

(Wien 1943), 518. G. F. H f i t t i g und W. K u n d a , Kolioid-Z. 106, 166 (1944);

27. E . J e n c k e l , Z. anorg, allg. Chem. 192, 314(1929). 28. 0. T a m m a n n , siehe Schrifttum 14. 29. H. S a l m a n g urid K. v. S t o e s s e r , Glastechn.

Ber. 8, 463 (1930). 30. Auf die h6here Auslaugbarkeit abgeschreckter

Ol~iser wiesen schon G. K e p p e l e r und Ip- p a c h h i n . Vgl. D r a i l e - K e p p e l e r , Die Glas- fabrikation, 2. Auflage (Mfinchen 1926), 232.

C.W. P a r m e l e e , O.L. C la rk und A .E . Bad - ger , J. Soc. Glass Technol. 13, 285 (1929).

A. S m e k a l , Naturwiss. 30, 224 (1942). E. M a d e l u n g , Naturwiss. 30, 223 (1942). Schrifttum tiber einschi~igige Arbeiten bei W.

E i t e i , a . a .O. , S. l14ff, und 633. G. F. H f i t t i g , Handbuch der Kataiyse, Bd. 6

(Wien 1943), 402. A. S m e k a l , Erg. exakt. Naturwiss. 15, 106 (1936). Vgl. Schrifttum und Ausfiihrungen yon W. Ei t e 1,

a. a. 0., S. 444. W a r b u r g und l h m o r i , zitiert nach D r a l l e -

K e p p e l e r , a. a. O., S. 79. G. T a m m a n n , siehe Schriftttim 14. A. S m e k a l , Nova Acta Leopoldina 5, 512 (1938). A. A. G r i f f i t h , Philos. Trans. A 221, 163 (1926). An dieser Steile sei darauf verwiesen, daft der

,,abschliel~ende Vorgang des Zerreif~ens", ,,ebenso wie der chemische Zersetzungsvor- gang in einem L6sen chemischer Bindungen" besteht [siehe O. F. Hf i f t i g , Handhuch tier Kataiyse, Bd. 6 (Wien 1943), 402].

43. P.-A. Koch und G. S a t l o w , Klepzigs Textil-Z. 43, 542 (1940); 44, 104 (1941).

44. Hans F r e y t a g , Klepzigs Textil-Z. 45, 49 (1942). 45. Hans F r e y t a g , Glastechn. Ber. 21, 149 (1943). 46. Eric P r e s t o n , J. Soc. Glass Technoi. 26, 82

(1942). 47. G. S a t l o w , Allg._Textil-Z. 2, 40 (1944). - - Man

beachte dort die zahlreichen Schrif t tums- angaben.

31.

32~ 33. 34.

35.

36. 37.

38.

39. 40. 41. 42.

Aus dem Lehrstuhl ]ar Faserstollkunde an tier Technischen Hochschule Dresden (Inhaber: Pro]. Dr:.Ing. Koch).

Text i l e Glasf~iden. V o n Paul-.4ugust Koch (Dresden). (l~ingegangen am 15. August 1944)

Wennschon die Gewirmung von G l a s f ~ d e n lange vor Begirm der Produkt ion von kfinstlicher Seide bekannt war (1), haben diese doch erst im letzten Jahrzehnt Bedeutung als t e x t i l e r R o h - s t o f f gefunden, sei tdem es gelungen ist, mit te ls neuar t iger oder verfefnerter Herstel lungsver- fahren GlasfMen in solcher Feinhei t und in einer Ablieferungsform zu erzeugen, die ein

Verspinnen bzw. Verweben m6glich macht . Hfnsichtlich der erforderlichen Feinhei t kann ein Faden(Faser- )durchmesser von etwa 12# als obere Grenze angesehen werden. Darfiber hinaus [st eine text i le Verarbe i tbarke i t I lanlentl ich wegen gesteigerter SprSde und Steffheit nicht gegeben.

Uber die Herstel lung yon G l a s s e i d e und

15