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Dokumentation Gewaltfreie Kommunikation nach dem Konzept von Marshall B. Rosenberg Seminar mit Désirée Binder vom 24. – 26. November 2016 in Freiburg Wintererstraße 4 79104 Freiburg Tel: +49 (0) 761 - 45 89 56 33 Fax: +49 (0) 761 - 45 89 56 37 www.tandem-freiburg.org [email protected]

GFK Marshall ROSENBERG, Wege zu einer besseren Welt · Dokumentation Gewaltfreie Kommunikation nach dem Konzept von Marshall B. Rosenberg Seminar mit Désirée Binder vom 24. –

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Dokumentation

Gewaltfreie Kommunikation

nach dem Konzept von Marshall B. Rosenberg Seminar mit Désirée Binder vom 24. – 26. November 2016 in Freiburg

● Wintererstraße 4

● 79104 Freiburg

● Tel: +49 (0) 761 - 45 89 56 33

● Fax: +49 (0) 761 - 45 89 56 37

● www.tandem-freiburg.org

[email protected]

Gewaltfreie Kommunikation nach dem Konzept von Marshall B. Rosenberg

3-tägiges Seminar im Institut TANDEM Freiburg vom 24.-26. November 2016; Leitung: Désirée Binder, Dipl.-Psychologin

Donnerstag, 24.11.16 Freitag, 25.11.16 Samstag, 26.11.16

Beginn: 09.00h

(1. Tag: 10.00h)

Begrüßung und Vorstellungs-Runde

geplantes Programm

Vorerfahrungen / Berührungspunkte

M. Rosenberg zur seiner Person und Arbeit aus Buch und Film (‚Liebst du mich?‘)

GEFÜHLE

• Plenumsgespräch • Theorie-Impulse • Übungen

Selbsteinfühlung in schwierigen Situationen

• Übung

‚Gewaltfrei schreien‘ – Umgang mit Wut, Ärger und anderen heftigen Gefühlen

Mittagspause:

12.30 – 14.00h

Wandsprüche / Resonanzen austauschen

Theoretische Einführung:

• Grundlagen, Philosophie • Wolf und Giraffe • Die 4 Schritte der GFK – simple, but

not easy mit Übungen dazwischen

BEDÜRFNISSE

• Theorie-Impulse • Übungen

Hören mit Giraffenohren

• Theorie-Impuls: die vier Ohren der GFK

• Übungen

Fortsetzung und B

B eine persönliche (Konflikt-)Erfahrung aus Wolf- und Giraffen-Perspektive: erinnern, spüren, neu wahrnehmen

BITTEN

• Theorie-Impulse • Übungen

‚Giraffentänze‘

anhand mitgebrachter Fall-Beispiele aus der Praxis der Teilnehmer/innen

Ende: 17.00h

(3. Tag 16.30h)

BEOBACHTUNGEN

• Theorie-Impulse • Übungen

Übersetzung der persönlichen (Konflikt-)Erfahrung vom Beginn in einen GFK-Satz (‚Giraffensprache‘)

Schlussrunde:

Was nehme ich mit? Was nehme ich mir vor?

Feedbackbogen ausfüllen

SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Wissen Gewaltfreie Kommunikation Gute Idee, wenig Wirkung?

Von Barbara Leitner Sendung: Samstag, 19.11.2016 Redaktion: Christoph König Regie: Christoph König Produktion: SWR 2016

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Musik-Akzent - „Whispering Wind“

Take 1: Kauschat Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, wo Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nicht zu mindestens mal gehört worden ist.

Take 2– Gens Diese Gedichtform, wenn ich sehe oder höre, dass du das oder das tust, dann fühle ich mich so und so und ich brauche und ich bitte dich.

Take 3 – Gens Ja, es war irgendwie eine Vision, da gibt es was Neues und es lohnt sich, dort hin zu gucken.

Musik-Akzent

Ansage: Gewaltfreie Kommunikation. Gute Idee, wenig Wirkung? Eine Sendung von Barbara Leitner.

Musik-Akzent

Take 4 – Kauschat Ne Kursteilnehmerin hat erzählt, die arbeitet in einem Kindergarten, dass neulich ein Vater kam und sagte: 'Was, ihr habt jetzt hier auch die dreckigen Flüchtlinge.'

Sprecherin: Irmtraud Kauschat ist Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation aus Darmstadt.

Take 5– Kauschat Und da hat sie gesagt, okay, wollen wir uns mal einen Moment hinsetzen. Und dann hat sie gefragt, was ist denn los. Ja, dann bleibt keine Zeit mehr für unsere Kinder. Da hat sie gesagt, geht es ihnen darum, dass sie sicher sein wollen, dass ihre Kinder hier auch immer noch wichtig sind und sie befürchten, dass die deutschen Kinder oder die schon immer hier waren nicht genug Aufmerksamkeit kriegen, weil sie vermuten, dass wir uns nur um die Flüchtlingskinder kümmern. 'Ja, genau!' Und dann hat sie gefragt, was bräuchten sie denn, um sicher zu sein, dass wir uns auch um die anderen Kinder kümmern, die schon vorher hier waren. Und da hat er angefangen zu erzählen, dass seine Frau, die Mutter der Kinder, vor einem Jahr gestorben ist und die wirklich Fürsorge brauchen und er ihnen das gar nicht alles geben kann. Und da hat sie ihn da abgeholt und gefragt, was er denn denkt, was die Kinder besonders brauchen und hat ihm dann versichert, dass sie gut nach seinen Kindern gucken wird.

Sprecherin:

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Die Erzieherin verhielt sich gegenüber dem Vater, wie sie es im Seminar für Gewaltfreie Kommunikation gelernt hatte: Sie belehrte ihn nicht, dass es für solche Parolen in der Kita keinen Raum gibt. Sie wies ihn nicht zurück und sprach von der Willkommenskultur ihrer Einrichtung. Nein. Statt ihre eigene Meinung der unangenehmen, provozierenden Position entgegen zu setzen, hörte sie dem Mann zunächst einfach nur zu: Was konnte sie hinter seinen Worten an Gefühlen und Bedürfnissen heraus hören? Was mag dem Vater wohl wichtig sein. Erst als er wieder entspannt und offen sein konnte, teilte sie ihm ihre Meinung mit.

Take 6– Kauschat Und da hat er sich bedankt, ist weggegangen und die Sache war erledigt. Und ich vermute, dass wenn wir Menschen, bei denen wir erst mal ein Vorurteil hören, wenn wir die wirklich abholen mit ihren Bedürfnissen und was dahinter steckt, wir viele davon treffen können mit ihren Bedürfnissen und dass sich dann die Vorteile auflösen können und da sehe ich, dass GFK im Kleinen einen guten Beitrag leisten kann.

Sprecherin: Irmtraud Kauschat ist Ärztin und hat eine eigene Praxis in Darmstadt. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass sie dazu auch die GFK – so die gängige Abkürzung - als ein heilendes Mittel kennen lernte. Sie nahm als Betreuerin an einem Jugendcamp teil. Zu ihrer Überraschung erlebte sie, dass dort Jugendliche aus Bosnien, Serbien und Kroatien miteinander sangen, tanzten, spielten und lachten. Zu einer Zeit, als sich deren Eltern in Ex-Jugoslawien gegenseitig umbrachten. Wie ist das möglich, dass die Mädchen und Jungen sich über diese tiefen Verletzungen hinweg verständigen und anfreunden können, wunderte sie sich? Sie hörte, dass sie die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg nutzten...

Take 7 – Kauschat ... zu sehen, jeder andere ist auch ein Mensch und jeder Mensch hat dieselben Bedürfnisse. Und wenn ich das so im Hinterkopf haben kann, selbst wenn jemand etwas tut, was ich überhaupt nicht gut finde, der muss einen Grund dafür haben und ich bin wirklich neugierig, möchte wirklich wissen, warum er so was macht, hilft mir das von Mensch zu Mensch unterwegs zu sein und da fängt für mich der Frieden an. Sprecherin: Der amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg entwickelte den Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation in den 1980er Jahren. Mit diesem Modell lernen Menschen, einander ernsthaft zuzuhören und sich ehrlich mitzuteilen. Es hilft, Konflikte zu lösen, ohne dass es Gewinner und Verlierer gibt – egal ob es um Streit in der Familie, der Schule, am Arbeitsplatz geht oder sogar um kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Gruppen und Völkern. 8 Atmo: Marshall Rosenberg

Sprecherin Marshall Rosenberg – hier auf einem Workshop in Frankfurt am Main. Während seiner lebendigen Präsentationen gab er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern immer wieder Gelegenheit sein Modell auszuprobieren. Zu beobachten, was ist

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wirklich passiert. Was habe ich gesehen, gehört. Dann zu forschen: Welche Gefühle sind damit verbunden? Worauf weisen sie hin? Welches Bedürfnis wird dadurch berührt? Und dann weiter zu suchen: Was würde mir jetzt gut tun und um was kann ich mich oder andere bitten? Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Das sind die vier Schritte, die jeder kennen lernt, der sich mit der Gewaltfreien Kommunikation beschäftigt. Mit ihrer Hilfe beschuldigen sie nicht länger sich selbst oder Andere. 'Ich kann es einfach nicht.' Oder 'Es ist die Schuld meiner Eltern, meiner Chefs, der Regierung!' Vielmehr lernen sie auszusprechen, was sie tatsächlich bewegt und dadurch dem Gegenüber nah zu sein.

9 Atmo: Marshall Rosenberg Sprecherin: Oft betrat er mit zwei Handpuppen die Bühne: Wolf und Giraffe. Der Wolf symbolisierte für ihn ein gewaltvolles, aggressives Auftreten. Die Giraffe ein freundliches, mitfühlendes, dennoch kraftvoll und klares Verhalten. Diese Wandlung vom Wolf zur Giraffe wünschte sich Marshall Rosenberg auch für sich selbst.

Take 10 – Gens Es gibt ja so Geschichten aus seiner Kindheit, wo er beschreiben wird, dass er aus einer sehr sehr gewalttätigen Familie kam und selber auch als Jugendlicher in Gangs war und er sich selber einmal als einer der größten Wölfe beschrieben hat in seinem Vorleben und ich könnte mir vorstellen, dass Marshalls Wunsch für diese ganze Arbeit war, etwas in die Welt zu setzen, wo Menschen/ glückliche, schöne, verbindende Beziehungen leben können.

Sprecherin: Klaus-Dieter Gens aus Havelause/ Brandenburg. Er wurde in den 1990er Jahren als einer der ersten GFK-Trainer in Deutschland ausgebildet. 'Warum sind manche Menschen fähig, sich in andere einzufühlen und auch unter schwierigen Bedingungen Verständnis und Mitgefühl zu entwickeln? Und warum scheinen manche Menschen dazu nicht in der Lage zu sein, verletzen ihr Gegenüber und empfinden nichts dabei?' Diese Fragen bewegten Marshall Rosenberg – geboren 1934 und gestorben 2015 - seit seiner Kindheit. Er studierte Psychologie und wurde Therapeut. In einer Gruppe um seinen Lehrer, den Psychologen und Psychotherapeuten Carl Rogers, erforschte er, was Empathie ist und wie sie wirkt. Den Schlüssel fand er in den Bedürfnissen, dem, was den Menschen im Leben wichtig ist. Für ihn war klar: Alle Menschen auf der Welt kennen das Bedürfnis nach Liebe und Fürsorge, nach Gesundheit und Wohlergehen, nach Kreativität, Lernen und Wachstum und gerade deshalb sind sie miteinander verbunden und können einander auch verstehen. Simran Kaur ist Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation und Yoga-Lehrerin aus Hamburg. Take 11 - Kaur Das ist das Besondere an der GFK und das ist meiner Ansicht auch das, was ihr so zum Durchbruch verholfen hat und den Weg geebnet hat, weil es so hilfreich ist, die Bedürfnisse in den Blick zu bekommen. Wenn ich bei mir selbst weiß, worum es mir geht und ich kann bei meinem Gegenüber hinter dieser Verhaltensweise, die mich vielleicht maßlos ärgert oder stört, wenn ich dahinter gucken kann, was ist der gute

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Grund, dass der Mensch sich so verhält, wofür sich der Mensch einsetzt, dann kann ich idealerweise mit diesem Menschen zusammen überlegen, wie er das bekommen kann, was er braucht auf eine Weise, die für mich auch verträglich ist. Dann braucht er nicht mehr die Strategie weiter zu fahren und ich brauch die Strategie nicht weiter zu bekämpfen, sondern ich kann mit ihm gucken, wie kannst du das, was du da brauchst auf eine andere Weise bekommen, die für andere Menschen angenehmer ist.

Sprecherin: Als Therapeut behandelte Marshall Rosenberg viele Menschen, vor allem Frauen, die unter Depression litten. Bald erkannte er: In einer Sitzung kann er nur individuelle Symptome heilen. Die gesellschaftlichen Strukturen und die Art, miteinander zu sprechen und zu handeln, bleiben davon unbeeinflusst und machen weiter krank. Dieser Zusammenhang scheint heute aktueller denn je und sorgt auch für eine Nachfrage nach diesem Modell. Marshall Rosenberg war in den 1980er Jahren von dem brasilianischen Befreiungspädagogen Paulo Freire fasziniert. Der alphabetisierte die Bauern seines Landes, indem er ihnen half, Protestbriefe an die Regierung zu schreiben. Das inspirierte Rosenberg, auch ein einfaches Modell zu entwickeln, um Menschen zu unterstützen sich für ihr eigenes Leben und die Welt verantwortlich zu fühlen und entsprechend zu handeln. In Referenz zu Mahatma Gandhi und dessen Gewaltfreien Widerstand nannte er seinen Ansatz „Gewaltfrei Kommunikation“, eine Bezeichnung, die oft für Irritationen sorgt. 'Ich schlage andere nicht!' wehren viele den Ansatz auch ab. In den USA begleitete Rosenberg mit seinem Ansatz die Bürgerrechtsbewegung, arbeitete mit Jugendlichen und Streetgangs und war mit vielen Initiativen in Kontakt, die friedensstiftende Fertigkeiten erlernen wollten. Auch in Kriegs- und Krisengebieten, u.a. im Nahen Osten, Irland, Ex-Jugoslawien und Ruanda wurde er gebeten, zu vermitteln.

Atmo 12: Marshall Rosenberg mit deutscher Übersetzung

Sprecherin: 1986 lud eine Münchner Friedensgruppe Marshall Rosenberg zum ersten Mal nach Deutschland ein. Bald gab er jedes Jahr Workshops in München, Berlin und Steyerberg. Dort gründeten sich auch die ersten Übungsgruppen und GFK-Zentren. Zunächst kursierten als Hilfsmittel nur Mitschriften von Seminaren. 2001 erschien Rosenbergs Buch „Gewaltfreie Kommunikation“. Eine Sprache des Lebens“. Inzwischen wurde es über 300.000 Mal verkauft, ist ein Bestseller. Heute bestehen GFK-Netzwerke in mehr als 15 Städten und Regionen in Deutschland. Zwischen Kiel und Konstanz erproben sich in jeder größeren Stadt Menschen in Seminaren und Übungsgruppen in dieser Kommunikationsweise.

Take 13: Kinder A: Man löst Streite. Dann lernt man auch ohne Lehrer da klar zu kommen und ohne Gewalt. B: Wir schauen, was der andere da gefühlt hat und was er so bedrückend fand. C: Dass man sich klar machen kann, was man will, ohne richtig zu schreien und los zu brüllen. Dass man es so machen kann, dass man sich gut versteht. Sprecherin:

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Soziales Lernen in der Reinhardswald-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.

Take 14: Kinder A: Aber ich will jetzt wissen, warum du es gemacht hast. Das ist wirklich blöd. B: Es tut mir leid, ich konnte nur acht Kinder einladen und da blieb mir nichts anderes übrig. A: Lilly ist nicht gekommen. Da hättest du mich wirklich einladen können. B: Ich habe Lilly die Einladung geschrieben und einen Tag vorher wurde das erst klar. Stopp mal. Ich brauche mal kurz meine Ruhe. ich komme gleich wieder. A: Ne. B: Kannst du mich mal in Ruhe lassen.

Take 15: Kinder C:Man fühlt sich in den anderen ein und sagt zu sich im Inneren stopp und sagt, ich komme gleich wieder und klärt den Streit auch, damit der andere auch weiß, er kommt wieder und nicht denkt, der haut jetzt ab. Und dann muss man auch zu sich sagen, was habe ich gemacht und nicht nur, was hat er gemacht. und dann auch mal denken, was man selber für Fehler gemacht hat und sich dafür irgendwie entschuldigen und das mit dem nicht mehr zu machen und hoffentlich gar keine Gewalt mehr einzusetzen.

Sprecherin: Im Rollenspiel üben die Kinder, was sie im Alltag schnell entzweit: Die verpatze Geburtstagseinladung, der verschwundene Ball, ein böses Wort oder eine Hänselei in der Pause. Einmal in der Woche im Fach „Soziales Lernen“ bekommen die Kinder Zeit, solche Situationen zu analysieren: Was ist wirklich geschehen? Was fühlen und was brauchen beide am Konflikt Beteiligten? Wie soll die Sache weiter gehen? Statt schnell zu sagen: 'Du bist nicht mehr mein Freund! Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!', lernen sie hier eine Pause zwischen Auslöser und Reaktion zu setzen und sich gegenseitig besser zu verstehen:

Take 16: Andrea Schwabe Wir selber setzen uns ja so selten Stopp und wenn ich aus so einer Stunde rausgehe wie eben überlege ich auch: Wie gehe ich denn mit Stopp um? Ich setze oft den anderen Menschen Stopp. Ich setze mir kein Stopp. Ich kann nicht von den anderen Menschen erwarten, dass sie stoppen, wenn ich das will. Das allerwichtigste ist, dass ich mir Stopp setze.

Sprecherin: Lehrerin Andrea Schwabe schwört auf die GFK. Sie ist davon überzeugt: Dadurch wird sie als Person gestärkt, ist souveräner, wacher, auch wenn sie längst nicht immer gewaltfrei kommuniziert. Weiterhin kommt sie in bestimmten Situationen doch mal an ihre Grenze, wird ärgerlich und laut. Ändert sich mit Hilfe der GFK das Lernen?

Take 17: Andrea Schwabe Sicher ändert das das Lernen. Für mich ist Lernen in der Schule atmosphärisches Lernen. Die Kinder kommen alle in die Schule und wollen alle lernen und je mehr ich

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es schaffe mit den Kindern eine Lernatmosphäre zu gestalten, um so mehr ist die Intensität des Unterrichts.

Sprecherin: Wie diese Schulkinder besuchten landauf, landab mindestens eine Million Menschen Kurse in der Gewaltfreien Kommunikation. Allein über 300 GFK-Trainerinnen und Trainer arbeiten in Deutschland, so viele wie in keinem anderen Land der Welt, dazu unzählige Professionelle, die das Werkzeug für ihre Arbeit nutzen. Sie bieten ihre Kurse in den Kitas und Schulen, für Krankenhäuser und Pflegestationen, in Unternehmen und Institutionen an. Selbst in Gefängnissen und in der Bundeswehr wird Gewaltfreie Kommunikation zu vermittelt Kommunikationsansätzen. Jochen Hiester, GFK-Trainer aus Koblenz, arbeitet vorwiegend an Schulen.

Take 18: Hiester Allein wenn sich Lehrerinnen und Lehrer gegenseitig Verständnis geben, wir die Atmosphäre ein Stück weit weicher, menschlicher. Nicht so dieses: Ich reiß mich zusammen. Es muss halt so sein. Da ist halt mehr so eine Härte im Umgang miteinander. Allein dieses mehr an Weichheit miteinander ist schon ein großer Gewinn. Das kann schon bei einer einzigen Fortbildung erlebbar werden, dass so ein Aufatmen stattfindet, dass die Leute schon fast Tränen in den Augen haben, / dass auf einmal da Verständnis da ist, dass sie über einen bestimmten Aspekt des Schulsystems gerade am Leiden sind. Es ist natürlich offen, wie lange diese Atmosphäre anhält oder ob das wieder verpufft und nach 2-3 Wochen wieder weg ist.

Sprecherin: Für einige ist so ein Seminar wie ein Durchatmen, Hoffnung schöpfen: Es ist möglich, Bedingungen für ein gutes Lernen zu schaffen. Sie besuchen dann Übungsgruppen und Seminare und üben sich in diesem Ansatz. Andere wiederum resignieren: Was kann ich als einzelner Lehrer, können wir als eine Gruppe schon am Bildungssystem ändern? Sie finden sich mit der Situation ab, auch wenn ihnen einige Aspekte ihres Alltags nicht gut tun. Wieder andere sind skeptisch und hinterfragen den Ansatz: 'Was heißt das, jeder Mensch hat in jedem Moment eine gute Absicht?' Unter anderem diese Grundannahme der Gewaltfreien Kommunikation ruft Widerstand hervor. 'Was soll die gute Absicht eines Kindes sein, das es im Unterricht aufsteht und herumläuft.' Für viele Lehrer steht eines fest: Es stört:

Take 19: Hiester Da gibt es ein: 'Wie. Ich soll jetzt jedes Mal wenn Leute eine Störung machen, herausfinden, weshalb sie es tun?' // Die Lehrerinnen und Lehrer hätten an der Stelle ein Rezept: Welchen Satz muss ich sagen, dann ist die Störung weg. Aber so einfach ist es nun mal nicht. Das ist ein Suchprozess. Wie kann ich herausfinden, was einen Schüler gerade jetzt veranlasst etwas zu tun. Da gibt es keinen Standardsatz dafür.

Sprecherin: Der Anspruch, sich für die Bedürfnisse der Kinder zu öffnen und nun auch noch gewaltfrei zu kommunizieren, wird als eine der vielen zusätzlichen Belastungen ihres Alltages verstanden. Eine zu viel. 'Dafür habe ich keine Zeit, keinen Raum, keine innere Kapazität!'. In dieser Weise entscheiden sich nach einem – möglicherweise sogar inspirierenden - Seminar nicht nur Lehrerinnen und Lehrer. Ähnliches

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geschieht auch mit anderen Teilnehmern an GFK- Seminaren, meint Klaus-Dieter Gens.

Take 20 – Gens Ich glaube, es gibt einen ganzen Teil von Leuten, die fanden das mal interessant, haben das zur Kenntnis genommen, sind aber entweder in ihr herkömmliches Kommunikationsverhalten zurück gegangen bis hin zu Leuten, die locker sagten, dass mache ich nicht. Da verliere ich ja. Da gewinne ich nichts dabei. Die nicht davon überzeugt waren, dass die GFK wirklich diese Kraft hat.

Sprecherin: Zwar meinen Trainerverbände, dass die GFK zu den meistgenutzten Trainingsansätzen im deutschsprachigen Raum gehört. Gleichzeitig sind allerdings auch eingeschworene GFK-ler und auch GGF.-Trainerinnen und Trainer nicht unbeteiligt, dass dieser Kommunikationsansatz nicht überall populär ist. Liv Larsson hört immer wieder von Besserwissereien. Die Schwedin ist als Trainerin der gewaltfreien Kommunikation weltweit tätig, kommt mindestens einmal jährlich nach Deutschland und hat einen Blick für die Besonderheiten von Kulturen entwickelt. Bei den Deutschen fällt ihr besonders der Hang zum Perfektionismus auf.

Take 21: Larsson (Engl.) Ein Thema, was häufig in meinen Seminar benannt wird ist, dass Teilnehmerinnen wirklich krank davon werden, wie die Menschen sprechen, diese GFK-Sprache, dass sie angehalten werden, in einer bestimmten, sehr verqueren Sprache zu reden und die Leute schalten deswegen ab und sagen, sie wollen nicht wieder zu einem GFK-Workshop gehen, weil wenn du es nicht richtig machst, bis du nicht gern gesehen

Sprecherin: Naseweis heißt es: 'Das ist ja kein wirkliches Gefühl', wenn jemand sagt 'Ich fühle mich verletzt oder missachtet. Du gibst ja immer noch jemand die Schuld.' Statt die grundlegende Lektion zu lernen: Aufmerksam zuzuhören, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, zu verstehen, was mit ihm los ist und zu erfassen, welcher Wunsch eigentlich hinter der Aussage steht. Gerade in Deutschland erlebt Liv Larsson einen besonderen Eifer, vor allem das Werkzeug in jedem Moment zu benutzen, statt innerlich in eine gewaltfreie Haltung hinein zu wachsen.

Take 22: Larsson (Engl.) Möglicherweise wollen wir in einer Beziehung, dass die Anderen mit uns lernen und in einer schwierigen Situation zwingen wir unser Gegenüber, auch GFK zu sprechen. Dadurch benutzen wir die Methode, um Anderen zu sagen, wie es richtig geht – und dann wird es gewaltvoll. Wenn ich mehr daran interessiert bin, wie Leute etwas sagen, statt, warum /und welche Verbindung dadurch entsteht, ist es nicht GFK

Atmo 23 - Marshall Rosenberg:

Sprecherin: Bis 2008 kam Marshall Rosenberg auch als weit über 70jähriger beinahe jedes Jahr zu Seminaren in den deutschsprachigen Raum. Im Gespräch mit seinen Trainer-

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Kolleginnen und Kollegen stutzte er allerdings: Wie in keiner andere Region der Welt gab es gerade in Deutschland eine riesige Nachfrage nach der Gewaltfreien Kommunikation. Nirgendwo sonst wurden so viele Trainer ausgebildet, die seinen Ansatz kennenlernen und verbreiten wollten. Das freute ihn. Gleichzeitig wollte er von seinen Kollegen wissen: Wie engagiert ihr Euch mit Hilfe der Gewaltfreie Kommunikation für Frieden in der Welt und dafür, den Menschen dienende Strukturen in der Gesellschaft zu schaffen? Irmtraud Kauschat.

Take 24 – Kauschat Marshall war in den letzten Jahren, als er noch als Trainer unterwegs war, sein Hauptthema war social change, gesellschaftliche Veränderung. Eben um Menschen bewusst zu machen, sie zu animieren, dass wir uns verantwortlich fühlen, was auf der gesamten Erde passiert. Und nicht nur, was in meinem kleinen Bereich passiert. Sprecherin: In dem Sinne verweist auch die GFK-Szene in Deutschland auf ihre Aktivitäten: GFK-Tage in Bonn, am Niederrhein oder Hamburg, mit denen die Aktiven für die Methode werben. Oder dass auch GFK-Trainerinnen und Trainer sich in verschiedenen Flüchtlingsinitiativen engagieren, helfen Ehrenamtliche für das Gespräch zu schulen und bei Konflikten zu vermitteln. Es gibt Kitas und Schulen, die die Art der Kommunikation nutzen, um miteinander in freundlicher Atmosphäre zu lernen. Gemeinschaften gestalten ihr Zusammenleben auf der Basis der Gewaltfreien Kommunikation. Mit Hilfe der GFK lernen Gewalttäter Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch all das wirkt in unserer Zeit nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein und wird in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen. Ganz im Gegenteil: Statt gewaltfrei und verständnisvoll miteinander zu kommunizieren, wird der Ton in der Gesellschaft schärfer. Extreme Gruppierungen haben Zulauf. Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen und Positionen spitzen sich zu. Sollte das ein Anlass sein, um sich von dem Anspruch der Gewaltfreiheit zu verabschieden und den Ansatz zu beerdigen?

Take 25 – Gens Nein. Auf keinen Fall finde ich sie beerdigungswürdig. Es ist eher die Frage, was man von der GFK erwartet.

Sprecherin: Klaus-Dieter Gens. Der GFK-Trainer der ersten Stunde ist inzwischen Rentner, zog ins Berliner Umland und gibt nur noch hin und wieder Seminare. Um die Wirksamkeit der GFK einzuschätzen, verweist er auf ihre Quellen: Sie entstand als ein Beratungsinstrument für Zwie- oder Gruppengespräche. In diesem Bereich änderte sich Einiges, im Privaten. Anders auf der Ebene von Organisationen und Strukturen.

Take 26 – Gens Ich fände es allerdings gut, wenn die GFK in einem Land, in dem es für manche Leute fast wie ein Hobby ist und nicht so dringend notwendig, dass die sich tatsächlich politisch mehr besinnen würden. Dass die Gewaltfreien etwas mehr aus der persönlichen Ecke raus kommen und sich mehr zeigen und auch Stellung nehmen zu bestimmten Dinge, die nach unseren Vorstellungen Wölfisch laufen. Die Art und Weise, wie man mit Flüchtlingen umgeht… denen einfach die Häuser

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anzünden oder die Hilfsvereine anzugreifen. Da sind einfach die Bedürfnisse von bestimmten Menschen ignoriert und Marshalls Idee war, dass man seine eigenen Bedürfnisse und die der anderen im Blick hat und möglichst Wege zu finden, dass unter einen Hut zu bringen. Und ich habe den Eindruck, dass aus der GFK wenig öffentliche Meldungen kommen. Ich glaube, dass sich das immer noch sehr stark im privaten Bereich abspielt und damit ist die Wirksamkeit auch geringer.

Take 27 – Kauschat Ich würde mir wünschen, dass wir mit anderen Organisationen enger zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen.

Sprecherin: Irmtraud Kauschat aus Darmstadt. Sie gehört zu den Gründerinnen eines Netzwerkes für die deutschsprachigen Trainerinnen und Trainer der Gewaltfreien Kommunikation. Sie setzt sich dafür ein, dass die Kollegen enger zusammen arbeiten und erlebt doch, dass die GFK für viele ein Beruf und vielleicht nicht unbedingt die Berufung ist.

Take 28 – Kauschat Es gibt einen Teil der Menschen, die mit GFK unterwegs sind, die das so als persönliche Entwicklungsmöglichkeit sehen. Das finde ich in Ordnung und gleichzeitig finde ich es nicht weit genug. Mir geht es wirklich auch um die politische Relevanz, dass wir Menschen als Menschen sehen und wie wir Änderungen unterstützen können, dass Menschen in anderen Ländern und Erdteilen ein auskömmliches Leben haben. Sprecherin: Eigentlich ist das der Sinn der GFK: Gewaltfreies Denken und Handeln in einem größeren, ja globalen Maßstab einzuüben und durchzusetzen. Die Zeit ist reif dafür. * * * * *

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Wege zu einer besseren Welt

Die gewaltfreie Kommunikation von Marshall B.

Rosenberg

Seminarbericht von David Luczyn

Unsere Welt ist voller Gewalt, nicht nur an den globalen Konfliktherden wie dem Nahen Osten, Kashmir, Jugoslawien, Irland und Afrika, sondern auch um uns herum, in Schulen, Familien und Beziehungen und letztendlich auch in uns selbst. Jemand der sein Leben der Erforschung und der Veränderung des gewaltvollen Umgangs miteinander gewidmet hat, ist der in der Schweiz lebende Amerikaner Dr. Marshall Rosenberg. Als er im Juni 2002 in Frankfurt war besuchte David Luczyn sein Seminar und lernte dabei seine Methode der gewaltfreien Kommunikation (GfK) kennen und schätzen. Durch ein Video von Bärbel Mohr und sein Buch war ich auf Marshall Rosenberg aufmerksam geworden. In beiden erzählt er von massiven Konflikten zwischen Menschen und Volksgruppen, die er mit seiner Methode auflösen konnte, wo jahrelange Feinde zum Innehalten und Nachdenken gebracht wurden und Frieden entstand. Das alleine schon und die aktuellen Geschehnisse seit dem 11. September machten mich neugierig, mehr über diese Methode und ihren Erfinder zu erfahren. Dazu kommt die Einsicht, dass trotz 30 Jahre spiritueller Praxis und Meditation in meinem Kopf noch kein grundlegender Frieden eingetreten ist - ich urteile, bewerte und ärgere mich noch immer. Rosenberg verspricht auch diesbezüglich Verbesserung. Sein Buch (das ich sehr empfehle) lies mich schon erahnen, dass es hier nicht nur um eine Methode oder Technik geht, sondern um eine grundlegende und weitreichende Art der Bewusstseinsänderung, die sich im Denken und in der Sprache ausdrückt. Dies wiederum ist die Voraussetzung, um die Kommunikation sowohl unter Konfliktpartnern als auch in jeder Art von Beziehung zu verändern. Erfolgreiche gewaltfreie Kommunikation ist getragen von Empathie, Verständnis und ehrlichem Selbstausdruck ohne die übliche vorwurfsvolle fordernde Haltung des persönlichen Gekränktseins. Das schließt mit ein, dass ich auch mir selbst gegenüber und meinen Bedürfnissen empathisch, offen und ehrlich bin.

Jenseits von falsch und richtig gibt es einen Ort.

Dort treffen wir uns. (Rumi)

Das Seminar hat mich und wohl auch die meisten der 70 Teilnehmer davon überzeugt, dass dies möglich und dringend notwendig ist. Nur so schaffen wir von innen und unten heraus eine Wandlung unseres gewaltvollen Umgangs miteinander, der mittlerweile auch schon in Form von Computerspielen in die Kinderzimmer erschreckenden Einzug gehalten hat. Wie also funktioniert das? Bereits in seinem Vortrag führt Rosenberg aus, dass das grundlegende Dilemma schon in der Aufteilung der Welt in Gut und Böse, falsch und richtig, besser und schlechter liegt. Die Erziehung, die Religionen und die staatlichen Gesetze und Werte manifestieren und forcieren dies seit Jahrtausenden. Dabei ist es gerade diese Art zu bewerten und zu verurteilen (die meist Vorurteile sind), die zu Kriegen und Auseinandersetzungen führen oder beitragen, wie wir an Bush´s "Achse des Bösen" unschwer erkennen können. Da wir die Bushs, Arafats und Sharons in der Welt nicht erreichen und ändern können, fangen wir erst mal bei uns an, d.h. in unserer Sprache, in der sich diese Bewußtseinshaltung niederschlägt.

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Worte können Fenster sein – oder Mauern

Wir betrachten unsere Art zu sprechen vielleicht nicht als „gewalttätig“, dennoch führen unsere Worte oft zu Verletzungen und Leid – bei uns selbst oder bei anderen. Die GfK will uns sowohl bei der Umgestaltung unserer Sprache von einer verurteilende in eine lebensspendende helfen als uns auch eine neue Art des Zuhörens vermitteln. So sollen aus gewohnheitsmäßigen, automatischen Reaktionen bewusste Antworten werden. Statt Macht und Recht haben zu wollen, drücken wir uns respektvoll und aufmerksam aus und erhöhen so auch die Wahrscheinlichkeit selbst gehört zu werden. Rosenberg bezeichnet dies als „die verlorenen Sprache der Menschheit“. Die erste Übung des Tages dazu lautet: „Denke an eine Person, die etwas gemacht hat, was Dir nicht gefallen hat.“ Das fällt den meisten ziemlich leicht. Man hat eher die Qual der Wahl. In Kleingruppen sollen wir nun diese Tatsache „gewaltfrei“ also empfängerfreundlich kommunizieren, in einer vorgegebenen Art, die er vorher erläutert hat. Das heißt, statt Ärger, Frust, Wut oder Vorwurf und einer Forderung folgenden Ablauf: 1.) Neutral die reinen Tatsachen beschreiben. Das ist schon schwieriger als es klingt, da Worte wie „immer, schon wieder, dauernd, ewig“ und Bewertungen aller Art nicht vorkommen dürfen, also zum Beispiel „Du bist zu spät gekommen“, „Du hast mich nicht angerufen“, „Du hast laut Musik gehört“. 2.) Beschreiben, welche Gefühle dies ausgelöst hat, z.B. „Ich bin jetzt verletzt, verunsichert, verärgert ...“ dabei gilt es jede Kausalität zu 1 und dem anderen zu vermeiden wie „deswegen, .. weil Du ...“ 3.) Welche Bedürfnisse ich habe, z.B. „respektiert, gewertschätzt, gefragt zu werden, bzw. Bedürfnis nach Ruhe, Zuverlässigkeit etc“ 4.) Eine Bitte formulieren, die mit einer konkreten Handlung verbunden ist. Z.B. „Ich möchte Dich bitten unsere Vereinbarung einzuhalten, ... die Musik etwas leiser zu machen etc.“ Erwartungsgemäß tauchen hier die ersten Schwierigkeiten auf, da die meisten meinen mit ihrem Ärger oder dem vorwurfsvollen Ausdruck ihres Ärgers im Recht zu sein. Warum also so umständlich und rücksichtsvoll ausdrücken? Rosenbergs Antwort ist einfach aber unangenehm und auf den ersten Blick nicht leicht nachzuvollziehen: „Niemand anderes kann Gefühle in dir verursachen. Das was er tut, kann Gefühle auslösen, aber Dein Denken darüber was er tun sollte oder müsste bzw. was man tut, was korrekt oder richtig ist, verursacht deine Gefühle von Wut, Schmerz oder Ärger.“ Das ist für viele erst mal starker Tobac und die meisten brauchen Marshalls Unterstützung, um bei den anschließenden Demonstrationen die richtigen Worte zu finden. Sätze wie „Du bist zu spät gekommen und deswegen bin ich sauer“ oder „Weil Du unseren Hochzeitstag vergessen hast, bin ich traurig“, sind uns zwar selbstverständlich und vertraut, aber inhaltlich falsch. Deutlich wird dies vor allem, wenn wir, obwohl wir den Grund noch nicht kennen, Vermutungen anstellen wie „Ich bin ihm nicht (mehr) wichtig genug.“ „Er liebt mich nicht mehr“ etc. und dann stellt sich heraus, der andere hatte einen Unfall und konnte nichts dafür. Ergo: unsere Mutmaßungen waren heiße Luft, unser Schmerz selbst gemacht. Aber selbst, wenn der andere etwas getan hat, was wir nicht mögen, es ist immer ein eigenes (meist unbewusstes) Bedürfnis, das nicht erfüllt wurde und dies gilt es sich bewusst zu machen und einfühlsam zu kommunizieren. Andererseits weiß jeder wie es sonst weiter geht, denn jeder Vorwurf, jede Forderung, jede Bestrafung ist der Beginn von Konflikt und Gewalt. Der andere fühlt sich angegriffen, verteidigt/rechtfertigt sich, greift selbst an oder macht dicht. Ich fühle mich nicht verstanden, verteidige mich und werfe dem Gegenüber Gefühllosigkeit oder Rücksichtslosigkeit vor, wobei ich immer (all)gemeiner werde. Die Konfliktspirale dreht sich.

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Kein Mensch kann dir Gefühle machen – er kann lediglich Auslöser sein.

Daher sind die Trennung von Ursache und Auslöser, die Bewusstmachung von eigenen hintergründigen Bedürfnissen und die vorwurfsfreie Kommunikation der eigenen Gefühle ein zentraler Bestandteil von Rosenbergs Methode. Den gewaltigen Unterschied in der Auswirkung können wir an unzähligen Demonstrationen erleben, die Marshall Rosenberg moderiert. In seiner unnachahmlich sanften und liebevoll humorigen Art löst er jeden Ärgerpropfen in Wohlgefallen bzw. Verständnis auf. Dabei helfen ihm zwei Handpuppen - eine Giraffe und ein Wolf. Die Giraffe ist das Tier mit dem größten Herzen und steht für aus dem Herzen kommende gewaltfreie Kommunikation. Der Wolf repräsentiert unser normales eher abwehrendes Denken und damit das Gros der Menschheit. Rosenberg spiegelt uns auf diese Weise pantomimisch symbolisch, ob wir giraffisch oder wölfisch kommuniziert haben. Das sorgt für manchen Lacher. Wolf gegen Wolf heißt Konflikte, Streit und Krieg. Die „Wolfssprache“ kennt nur zwei Reaktionsmöglichkeiten: a) dem anderen die Schuld geben oder b) sich selbst die Schuld geben. Die B-Typen füllen die Praxen der Psychotherapeuten. Giraffesprache bedeutet aufrichtig und einfühlsam miteinander reden. Statt anderen Leuten die Schuld für unsere Gefühle zu geben, akzeptieren wir unsere Verantwortung, indem wir unsere Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen und Gedanken erkennen und akzeptieren. Also z.B. statt „Du hast mich enttäuscht, weil Du nicht gekommen bist.“ – „Ich war enttäuscht, als Du nicht gekommen bist, weil ich ein paar Dinge mit Dir besprechen wollte.“ Wolf und Giraffe macht den Wolf zumindest zahm und umgänglich, heißt aber für die Giraffe sich immer großherzig zurücknehmen und der aktiv positive Partner zu sein, was nicht immer einfach ist. Da hilft der Spruch aus “Ein Kurs in Wundern”: “Willst Du recht haben oder glücklich sein? Beides zusammen geht nicht.”

Mit dem Leben tanzen

Um das einfühlsame Hinhören zu verbessern, empfiehlt Rosenberg uns „Giraffenohren“ aufzusetzen, greift in seinen Sack und setzt sich tatsächlichen ein Paar Giraffenstoffohren auf. “Wer mit Giraffenohren hört, kann nicht angegriffen und verletzt werden, denn er hört hinter jeder Attacke das dahinter liegende frustrierte Bedürfnis heraus”, erklärt er und erzählt uns von einer Erfahrung in einem palästinensischen Flüchtlingslager, wo in dem Moment wo er als Amerikaner erkannt wurde, ein Mann ihn lautstark als Mörder beschimpfte. In dem er behutsam die verletzten Gefühle des aggressiven Mannes herausfand und ansprach, konnte er diesen auf einer menschlichen Ebene erreichen und wurde am Ende des Seminars von diesem sogar zum Essen in sein Haus eingeladen. Immer wieder sind es die lebendigen Geschichten aus Rosenbergs bewegtem Leben in aller Welt, in Gefängnissen, Schulen und den verschiedensten Institutionen, die berühren und uns überzeugen, dass es sich lohnt, auf diese Weise umzudenken. Aber auch unsere eigenen Erfahrungen in wechselnden Rollen während der Übungen und der nachfolgenden Supervision vor der Gesamtgruppe geben uns einen Geschmack für die Effektivität des Ansatzes. Auch ich bekomme diese Möglichkeit. Der bereits in der Kleingruppe bearbeitete Konflikt mit einem Nachbarsjungen, der gerne vor meinem Fenster Fußball spielt, ist Thema einer Lernerfahrung in gewaltfreier Kommunikation. In der Realität war diese Kommunikation bisher alles andere als gewaltfrei, trotz pädagogischer Bemühungen meinerseits, den richtigen Ton zu treffen. Das spiegelt mir meine Partnerin, die die Rolle des 6-jährigen übernimmt. Trotz meiner vermeintlich

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freundlichen Ansprache zuckt „er“ zurück und gesteht auf Rosenberg Nachfrage, dass er Angst vor mir hat. Mein Satz war: „Das macht bestimmt Spaß, hier Fußball zu spielen, wenn der Ball so schön gegen die Mülltonne knallt und der Putz von der Wand bröselt, aber ... .“ Hier greift Rosenberg ein: „Never throw your but(t) in someones face!“ was heißen soll: „wirf niemals Dein Aber in das Gesicht eines Anderen!“ Der englische Doppelsinn liegt im Wörtchen but, das mit zwei tt „Hinterteil“ bedeutet. Kausale Verknüpfungen einer Tatsache mit meinem Gefühl sind im Rosenbergchen Sinne nicht zulässig, da nicht wahr und uneffektiv. Ich ärgere mich nicht, weil der Kleine Fußball spielt, sondern weil ich a) meine, so was macht man nicht oder so was sollte er nicht tun oder b) weil ich mich in meiner Ruhe gestört fühle und dies nicht respektiert und gewürdigt wird. Dabei weiß der Junge von all dem gar nichts und kann daher auch nicht meinen Ärger verstehen.

„Willst du Frieden in der Welt, schaffe Frieden in dir selbst!“

Rosenberg kommentiert des weiteren: „Ich sehe jemanden, der versucht eine Methode namens GfK anzuwenden, aber ich habe keinerlei Empathie gesehen. Es schien so, als ob Du es ziemlich eilig hattest, zu deinem Aber zu kommen. Es darf nicht Dein Ziel sein, ihn ruhig zu stellen. Das ist niemals das Ziel der GfK, dass zu erreichen, dass Du willst, was der Andere tun soll (oder Du für richtig hältst). Es geht darum, eine bestimmte Qualität der Verbindung zu schaffen, in der die Bedürfnisse von allen befriedigt werden.“ Obwohl ich das mental verstehe, fällt es mir auch im zweiten Anlauf schwer, wirklich Empathie für den Kleinen aufzubringen, daher übernimmt Rosenberg meine Rolle, was den „Jungen“ deutlich entspannen und offen werden lässt. Das liegt auch daran, dass er zuerst noch auf die Angst eingeht, die meine bisherigen Auftritte bei ihm hinterlassen haben und er vermittelt ihm, dass er versteht, dass er deswegen verunsichert ist. Rosenberg macht dies in einer so natürlichen und warmherzigen Art und Weise, dass auch ich davon berührt bin und mir wünsche soviel Menschlichkeit und Stärke zu haben. Dann kommt der sanfte Übergang. Zuerst bestätigt er dem Jungen, dass er auch will, dass er Spaß hat, aber gleichzeitig möchte er ihm sagen, was seine Bedürfnisse sind, um vielleicht zusammen einen Weg zu finden, wie unser beider Bedürfnisse erfüllt werden können. Und dann erklärt er ganz ruhig und ohne Vorwurf, wie es für ihn/mich ist, wenn er beim Arbeiten diese Geräusche hört. (nicht Krach! da dies eine Wertung ist). Und es macht ihn traurig, dass die Art wie er in der Vergangenheit sich ausgedrückt hat ihm Angst gemacht hat, denn das wolle er nicht. Der Rest ist relativ einfach. Entspannung, Verständnis und Anerkennung der Bedürfnisse auf beiden Seiten sind erreicht und auf dieser Basis lässt sich nunmehr leicht eine Lösung finden. Auch ich habe hautnah erlebt und verstanden, wie diese Art der emphatischen Kommunikation wirkt und eine ganz neue Basis geschaffen hat. Von nun an begegne ich meinem Nachbarsjungen mit ganz anderen Gefühlen und einer viel wohlwollenderen Grundhaltung. Dies ist für mich eine im Kleinen, im Alltag erlebte Erfahrung von innerem und äußeren Frieden schaffen, für die ich sehr dankbar bin. Auch die meisten anderen Teilnehmer machen ähnliche Erfahrungen bei ihrer Demonstration und erleben nachdenklich machende Einsichten, egal ob der Konfliktpartner der Chef, der Freund, das eigene Kind oder ein Nachbar ist. Es gibt viel zu lernen und zu ändern. Fangen wir doch einfach bei uns an, nach dem Motto: „ Willst du Frieden in der Welt, schaffe Frieden in dir selbst!“.

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Zur Person:

Dr. Marshall Rosenberg wurde international bekannt als Konfliktmediator und Gründer des internationalen „Center for Nonviolent Communication“ in den USA. In den letzten 30 Jahren hat Dr. Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation in über 40 Ländern an Ausbilder, Schüler, Eltern, Manager, Ärzte, Psychologen, Anwälte, Friedensaktivisten, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben. Kürzlich wurden 13000 Kinder in Jugoslawien in einem Großprojekt unterrichtet, Missverständnisse und Konflikte auf gewaltfreie Art zu lösen. Es gibt auch mittlerweile mehrere Schulprojekte, wo Lehrer auf diese Weise unterrichten. In Israel, wo Marshall Rosenberg regelmäßig aktiv ist, wurde im Jahr 2000 in über 1000 Kindergärten und ca. 70 Schulen ein Programm zur gewaltfreien Kommunikation durchgeführt, das vom Erziehungsministerium empfohlen wurde. Dieses Programm schließt alle religiösen Gruppierungen auch Araber und ultra-orthodoxe Juden mit ein und dauert zwischen 28 – 112 Stunden. Rosenberg lehrt in Europa und den USA und reist regelmäßig weltweit in Krisengebiete, um Mediationen anzubieten. In Amerika war Rosenberg nach dem 11. September in Dutzenden Talkshows eingeladen, um seine Sichtweise der Ereignisse darzustellen. Marshall Rosenberg ist im Februar 2015 im Alter von 80 Jahren gestorben.

Ausgewählte Literatur-Empfehlungen:

Marshall B. Rosenberg. Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann Ingrid Holler. Übungen zur gewaltfreien Kommunikation, Junfermann Marshall B. Rosenberg. Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils. Herder Spektrum GFK im Internet:

www.gewaltfrei-frankfurt.de oder www.gewaltfrei.de oder www.netzwerk-gewaltfrei.net oder www.cnvc.org Kostenlose downloads unter: http://www.gewaltfrei-101uebungen.de/kostenloser-downloadbereich/

Der Vortrag und das Seminar wurden auf Video und Kassette aufgenommen und sind erhältlich bei: www.auditorium-netzwerk.de

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