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Mitte der achtziger Jahre, als der JCM 800 tonangebend war, fing man auch bei Marshall an, sich auf Allzweck- Geräte zu konzentrieren. Vom programmierbaren Midi- Preamp bis zum Mehrkanal-Amp mit allen möglichen Zusatzfunktionen wurde alles produziert, was Musiker dieser Ära sich so erwünschten. Dass diese Equipment- Weiterentwicklung irgendwann mal den Status „unsexy“ erreichen würde, war nur eine Frage der Zeit. Welchen Stellenwert Klassiker wie die durch Hendrix be- rühmt gewordene 1959 Lead Series oder sein 50 Watt Pendant 1987 heute immer noch haben, sieht man an Marshalls Reissue-Katalog, der auch gleich noch „hand- wired“-Optionen mit einschließt. Der 100 Watt 1959 ist, mal abgesehen vom 200 Watt Major Modell, wie man es von Ritchie Blackmore kennt, das ultimative, kaum zu bändigende Power-Paket. Die angestrebte Endstufen-Röh- rensättigung führte meistens zur unvermeidbaren Gehör- schädigung. Nur durch geschickten Einsatz von Pedalen oder unsachgemäße Behandlung des Verstärkers, wie bei- spielsweise Entnahme von Endstufenröhren oder Bias- Manipulationen, ließ sich damals in den 1960er und 1970er Jahren, als die Verwendung von Powersoaks noch nicht ins Bewusstsein gedrungen war, etwas daran än- dern. Klanglich war dieser Amp mit seinem zweikanali- gem Layout unwahrscheinlich flexibel. Die vier Eingänge GRAND AMPLIFIERS 142 grand gtrs Er ist das Produkt einer langjährigen Liaison zwischen dem Metal-Heroen Yngwie Malmsteen und Amp-Produzent Jim Marshall. Der namensgebende Pro- motionfaktor kann jedoch das technologische Kernanliegen dieses Verstärkers nur marginal überlagern, das da lautet: „Ich bin der, auf den ihr gewartet habt!“ Von Axel Heilhecker Marshall YJM 100

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Mitte der achtziger Jahre, als der JCM 800 tonangebendwar, fing man auch bei Marshall an, sich auf Allzweck-Geräte zu konzentrieren. Vom programmierbaren Midi-Preamp bis zum Mehrkanal-Amp mit allen möglichenZusatzfunktionen wurde alles produziert, was Musikerdieser Ära sich so erwünschten. Dass diese Equipment-Weiterentwicklung irgendwann mal den Status „unsexy“erreichen würde, war nur eine Frage der Zeit.

Welchen Stellenwert Klassiker wie die durch Hendrix be-rühmt gewordene 1959 Lead Series oder sein 50 WattPendant 1987 heute immer noch haben, sieht man anMarshalls Reissue-Katalog, der auch gleich noch „hand-

wired“-Optionen mit einschließt. Der 100 Watt 1959 ist,mal abgesehen vom 200 Watt Major Modell, wie man esvon Ritchie Blackmore kennt, das ultimative, kaum zubändigende Power-Paket. Die angestrebte Endstufen-Röh-rensättigung führte meistens zur unvermeidbaren Gehör-schädigung. Nur durch geschickten Einsatz von Pedalenoder unsachgemäße Behandlung des Verstärkers, wie bei-spielsweise Entnahme von Endstufenröhren oder Bias-Manipulationen, ließ sich damals in den 1960er und1970er Jahren, als die Verwendung von Powersoaks nochnicht ins Bewusstsein gedrungen war, etwas daran än-dern. Klanglich war dieser Amp mit seinem zweikanali-gem Layout unwahrscheinlich flexibel. Die vier Eingänge

GRAND AMPLIFIERS

142 grand gtrs

Er ist das Produkt einer langjährigen Liaison zwischen dem Metal-Heroen Yngwie Malmsteen und Amp-Produzent Jim Marshall. Der namensgebende Pro-motionfaktor kann jedoch das technologische Kernanliegen dieses Verstärkersnur marginal überlagern, das da lautet: „Ich bin der, auf den ihr gewartet habt!“Von Axel Heilhecker

Marshall YJM 100

sem Amp auch noch eine variable Powerreduktion(Electronic Power Attenuation) von 100 auf 0,05 Watt,die sich hören lassen kann. Man kann sich bei Wohnzim-merlautstärke den optimal und groß klingenden Soundin einer halben Minute einstellen. Der passende Arbeits -pegel, entsprechend arm an Nebengeräuschen, ist leichtzu finden, natürlich abhängig von den verwendetenBoostern. Aber selbst die kann man ruhigstellen mithilfedes im Amp integrierten Noisegates, welches in derHauptsache für den Onboard Overdrive gedacht ist. DasGate arbeitet absolut zufriedenstellend, klangneutral undist auf dem rückseitigen Panel justierbar. Genauso wieder an Malmsteens favorisiertem DOD Overdrive 250 an-gelehnte integrierte Booster in Volume und Drive dorteinstellbar ist. Dieser Booster liegt prinzipiell an Kanal 1an, kann aber durch das patchen der Kanäle umverteiltwerden, ebenso wie das Gate. So sind etliche Kombina-tionen möglich. Die On/Off-Funktionen sind über denzugehörigen Fußschalter abrufbar. Neben diesen be-schriebenen Gate und Overdrive liegen auch noch derEffektloop und der Hall an. Mit dem integrierten Over-drive und der nachgeschalteten Kanalstruktur lassensich schon ziemlich gute Sounds im Sinne von Hard-

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unterschiedlicher Anpassung und Charakteristik wurdenzur Klangbildung gebrückt, um so durch variable Beimi-schung den gewünschten Sound einzustellen. Das funk-tioniert in seiner Variabilität dadurch besser als bei Ampsmit Kanalumschaltung und legt den Fokus auf die Regel-möglichkeit an Instrument und den angeschlossenenBoostern. Was braucht man mehr? Gut, im Vergleich zuJimi Hendrix’ Zeiten sind die Ansprüche an Effekte imLive-Setup gewachsen. So braucht man einen Effektloopoder ein Noisegate. Mit diesen Aspekten hat man sich beider Produktion des YJM 100 anscheinend gründlich be-fasst und ein Gerät entwickelt, welches sowohl den Pu-risten als auch den Modernisten gerecht wird.

Last Gunmen Show Wer einen 1959er mit Variabilität benötigt, wird hierkomplett bedient. Klar ist, dass auch YngwieMalmsteen weiß, wie Marshall Amps ticken, undso wird hier all das prominent, was man wirk-

lich braucht, bis auf den Digitalhall vielleicht.Aber für einen Springreverb war vielleicht schon kein

Platz mehr, trotz des Gehäuses im Marshall Major For-mat. Wie schon beim „Slash AFD“ gibt’s hier auch dieRöhrenabschaltung von „4 auf 2“, somit von 100 auf ca.50 Watt: Ein absolut tolles Feature, denn wer hat schonLust, immer zwei Amps mit sich herumzuschleppen, alsoeinen 1959 und den 1987. Dieses Feature ist mit einemRe-Biasing der Röhren gekoppelt, um optimale Leistungzu garantieren. Aber damit nicht genug, es gibt bei die-

listisch vielfältige Welt belassen, und dennoch darüberhinaus mehr Komfort und Feinschliff ermöglichen. Sokann man getrost jede Art von Booster oder Preampvor den Amp hängen und auf dessen offene Eingangs-Struktur vertrauen. Das Mischen der Kanäle sollte manessenziell mit einbeziehen, da man dank der Leistungs-reduzierbarkeit genügend Regelspielraum für die Ein-gänge zur Verfügung hat. Das lässt sich bei einemreinrassigen 1959 eben auch nur mit Powersoak be-werkstelligen, denn wir haben hier nun mal keine Mas-terregelung zur Verfügung. Gott sei Dank!

Multifunktionstool Die Auto-Biasing Funktion erleichtert den Röhrenwech-sel erheblich, sogar individuelle Manipulationen sind hierauf einfache Weise möglich, falls man wirklich die Röh-ren heißer anfahren möchte. Defekte Röhren werden perLED angezeigt – löblich. Der Amp ist zwar nicht hand-verdrahtet, er ist auf Platinen-Technologie gestützt. Da-rüber kann man geteilter Meinung sein, abwägen undsich überlegen, was und wie man ihn einsetzen möchte.Man kann vielleicht doch nicht alles haben und brauchtes auch nicht! Für mich stellt der Amp im Moment inauffallender Weise eine Art „Plexi-Schweizer-Messer“ dar.In den Achtzigern habe ich tatsächlich mal ein SchweizerMesser mit Marshall-Logo als Werbegeschenk bekom-men – dieser Amp wäre damals schon eine echte Berei-cherung gewesen. Aber auch jetzt ist er schon eineextreme Versuchung. �

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rock und klassischem Metal erzeugen, die durch dieVariabilität der Endstufencharakteristik genau auf denPunkt gebracht werden können. Ich bin kein Malms-teen-Experte, aber denke, dass dessen Sound hier re-präsentiert wird. Das Gute an diesem Amp ist, dassMalmsteen genügend Old School Gene zu eigen sind,die dem YJM, als einem erweiterten 1959, bewusst seinhauseigenes Terrain und somit eine weite, musik-sti-

DETAILSHersteller: Marshall

Modell: YJM100 Amp

Ausführung:Vollröhre-Topteil in

Platinen-Bauweise

Kanäle: 2 Stück

3-Band-EQ: Bass, Middle & Treble

Leistung: 100 Watt, reduzierbar

auf 50 Watt

Röhren: 4x ECC83, 4x EL34

Leistungsregelung Endstufe:

EPA (Electronic Power Attenuation),

bis zu 0,05 Watt

Effekte: Boost, Reverb, Noisegate

Effekt-Loop: seriell

Bias:Auto-Bias

Abmessungen (B x H x T):

74,5 x 29 x 28 cm

Gewicht: 24 kg

Preis: 1.850 Euro

Zubehör: original Marshall Fußschalter

PEDL-00046

Vertrieb:Musik Meyer

www.marshallamps.de