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TREFFPUNKT FORSCHUNG 6 Phys. Unserer Zeit 1/2012 (43) www.phiuz.de © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim FESTKÖRPERPHYISK | Gitter aus magnetischen Wirbeln Ein zentrales Problem der voranschreitenden Miniaturisierung magne- tischer Datenspeicher ist die Stabilität der Magnetisierung von Nano- strukturen. Magnetische Skyrmionen – wirbelförmige Spinstrukturen von außergewöhnlicher Stabilität – bieten aufgrund ihres topologi- schen Schutzes eine ungewöhnliche Perspektive. Nun hat unsere Kolla- boration aus Hamburg, Jülich und Kiel erstmals ein regelmäßiges Gitter aus magnetischen Skyrmionen auf einer Oberfläche gefunden. Quan- tenmechanische Rechnungen konnten klären, warum die Natur diese magnetischen Wirbel ausbildet. Vor etwa 50 Jahren untersuchte der englische Physiker Tony Skyrme sta- bile mathematische Lösungen von Feldtheorien, die sich durch ihre topologischen Eigenschaften be- schreiben lassen [1]. Ein einfaches Beispiel veranschaulicht dies in Abbildung 1a in einer Dimension. Gezeigt ist die Domänenstruktur in einer ferromagnetischen Kette von Atomen. Die Magnetisierung eines Atoms (atomarer Stabmagnet) ist durch einen Pfeil gekennzeichnet. Sie ist am linken und rechten Rand der Kette nach oben ausgerichtet, wäh- rend sich in der Mitte eine Domäne mit entgegengesetzter Orientierung findet. Dazwischen dreht die Magne- tisierung in den Domänenwänden. Wie Abbildung 1a zeigt, können beide Domänenwände den gleichen Drehsinn haben (hier entgegen dem Uhrzeigersinn) oder in jeweils ent- gegengesetzte Richtungen drehen (Abbildung 1c). Mathematisch lässt sich dieser Unterschied dadurch beschreiben, dass man den Winkel Θ eines jeden Spins gegenüber der z-Achse entlang der Kette auf einen Einheitskreis abbildet. Im ersten Fall wird der Mittelpunkt einmal umrundet (Abbil- dung 1a rechts). Man spricht dann von der Windungszahl 1. Im zweiten Fall wird der Kreis nur halb umrun- det (Abbildung 1c rechts), dann dreht Θ zurück auf Null, und die Windungszahl ist 0. Diese Charakterisierung der Spinstrukturen mit einer Windungs- zahl, die auch als Skyrmionen-Zahl bezeichnet wird, erscheint auf den ersten Blick wie eine mathematische Spielerei. Man kann aber zeigen, dass die Struktur mit Windungszahl 1 (Skyrmion) eine besondere Stabilität auszeichnet, die aus ihrer Topologie resultiert. Ein in positiver z-Richtung angelegtes, externes Magnetfeld führt zu einem Schrumpfen der mittleren Domäne. Dabei bewegen sich zwei Domänenwände aufeinander zu. Im Falle des Skyrmions (Abbildung 1b) wird Θ den Einheitskreis auf immer kürzeren räumlichen Distanzen durchlaufen, die mittlere Domäne kann aber durch kontinuierliche Änderungen nicht vollständig ausge- löscht werden. Ganz anders ist dies für die Struk- tur mit Windungszahl 0: Die Kurve von Θ zieht sich am Einheitskreis zu einem Punkt zusammen (Abbil- dung 1d rechts), und die mittlere Domäne verschwindet. Damit ist die Skyrmionen-Struktur wegen ihrer topologischen Eigenschaften (Win- dungszahl 1) gegenüber der Wirkung eines Magnetfelds geschützt, wäh- rend ein topologisch trivialer Zu- stand (Windungszahl 0) ausgelöscht werden kann. Das nun in Hamburg experimen- tell gefundene Skyrmionen-Gitter [2] zeigt Wirbel mit einem Durchmesser von nur wenigen Atomen (Abbil- dung 2) und ist damit um mindestens eine Größenordnung kleiner als die bisher bekannten Skyrmionen [3, 4]. Diese zweidimensionale magnetische Struktur tritt in einem atomar dün- nen Eisenfilm auf einer Oberfläche des Übergangsmetalls Iridium auf. Theoretische Berechnungen konnten die Ursache für das Auftreten dieser komplexen Struktur als Zusammen- spiel verschiedener magnetischer Wechselwirkungen erklären, die so in größeren Skyrmionen nicht wirksam werden können: Eine relativistische Wechselwirkung zwischen zwei benachbarten Spins verursacht die Verkippung der Magnetisierung in einer bestimmten Drehrichtung, Abb. 1 Eindimensionales Beispiel einer topologisch geschützten magnetischen Struktur (a, b) und einer topologisch trivialen Spinordnung (c, d). Rechts: Verlauf der Orientierung der Spins entlang der Kette am Einheitskreis. In a) wird der Kreis einmal umrundet, die Windungszahl ist 1, in c) ist die Windungszahl 0. Unter dem Einfluss eines Magnetfeldes (b, d) zeigt sich die Stabilität der Struktur mit Win- dungszahl 1, während die Domänenstruktur in d) verschwindet.

Gitter aus magnetischen Wirbeln

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

6 Phys. Unserer Zeit 1/2012 (43) www.phiuz.de © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

F E S T K Ö R PE R PH Y I S K |Gitter aus magnetischen Wirbeln Ein zentrales Problem der voranschreitenden Miniaturisierung magne-tischer Datenspeicher ist die Stabilität der Magnetisierung von Nano-strukturen. Magnetische Skyrmionen – wirbelförmige Spinstrukturenvon außergewöhnlicher Stabilität – bieten aufgrund ihres topologi-schen Schutzes eine ungewöhnliche Perspektive. Nun hat unsere Kolla-boration aus Hamburg, Jülich und Kiel erstmals ein regelmäßiges Gitteraus magnetischen Skyrmionen auf einer Oberfläche gefunden. Quan-tenmechanische Rechnungen konnten klären, warum die Natur diesemagnetischen Wirbel ausbildet.

Vor etwa 50 Jahren untersuchte derenglische Physiker Tony Skyrme sta-bile mathematische Lösungen vonFeldtheorien, die sich durch ihretopologischen Eigenschaften be-schreiben lassen [1]. Ein einfachesBeispiel veranschaulicht dies inAbbildung 1a in einer Dimension.Gezeigt ist die Domänenstruktur ineiner ferromagnetischen Kette vonAtomen. Die Magnetisierung einesAtoms (atomarer Stabmagnet) istdurch einen Pfeil gekennzeichnet. Sieist am linken und rechten Rand derKette nach oben ausgerichtet, wäh-rend sich in der Mitte eine Domänemit entgegengesetzter Orientierungfindet. Dazwischen dreht die Magne-tisierung in den Domänenwänden.

Wie Abbildung 1a zeigt, könnenbeide Domänenwände den gleichenDrehsinn haben (hier entgegen demUhrzeigersinn) oder in jeweils ent-gegengesetzte Richtungen drehen(Abbildung 1c).

Mathematisch lässt sich dieserUnterschied dadurch beschreiben,dass man den Winkel Θ eines jedenSpins gegenüber der z-Achse entlangder Kette auf einen Einheitskreisabbildet. Im ersten Fall wird derMittelpunkt einmal umrundet (Abbil-dung 1a rechts). Man spricht dannvon der Windungszahl 1. Im zweitenFall wird der Kreis nur halb umrun-det (Abbildung 1c rechts), danndreht Θ zurück auf Null, und dieWindungszahl ist 0.

Diese Charakterisierung derSpinstrukturen mit einer Windungs-zahl, die auch als Skyrmionen-Zahlbezeichnet wird, erscheint auf denersten Blick wie eine mathematischeSpielerei. Man kann aber zeigen, dassdie Struktur mit Windungszahl 1(Skyrmion) eine besondere Stabilitätauszeichnet, die aus ihrer Topologieresultiert. Ein in positiver z-Richtungangelegtes, externes Magnetfeld führtzu einem Schrumpfen der mittlerenDomäne. Dabei bewegen sich zweiDomänenwände aufeinander zu. ImFalle des Skyrmions (Abbildung 1b)wird Θ den Einheitskreis auf immerkürzeren räumlichen Distanzendurchlaufen, die mittlere Domänekann aber durch kontinuierlicheÄnderungen nicht vollständig ausge-löscht werden.

Ganz anders ist dies für die Struk-tur mit Windungszahl 0: Die Kurvevon Θ zieht sich am Einheitskreis zu einem Punkt zusammen (Abbil-dung 1d rechts), und die mittlereDomäne verschwindet. Damit ist dieSkyrmionen-Struktur wegen ihrertopologischen Eigenschaften (Win-dungszahl 1) gegenüber der Wirkungeines Magnetfelds geschützt, wäh-rend ein topologisch trivialer Zu-stand (Windungszahl 0) ausgelöschtwerden kann.

Das nun in Hamburg experimen-tell gefundene Skyrmionen-Gitter [2]zeigt Wirbel mit einem Durchmesservon nur wenigen Atomen (Abbil-dung 2) und ist damit um mindestenseine Größenordnung kleiner als diebisher bekannten Skyrmionen [3, 4].Diese zweidimensionale magnetischeStruktur tritt in einem atomar dün-nen Eisenfilm auf einer Oberflächedes Übergangsmetalls Iridium auf.Theoretische Berechnungen konntendie Ursache für das Auftreten dieserkomplexen Struktur als Zusammen-spiel verschiedener magnetischerWechselwirkungen erklären, die so ingrößeren Skyrmionen nicht wirksamwerden können: Eine relativistischeWechselwirkung zwischen zweibenachbarten Spins verursacht dieVerkippung der Magnetisierung ineiner bestimmten Drehrichtung,

Abb. 1 Eindimensionales Beispiel einer topologisch geschützten magnetischenStruktur (a, b) und einer topologisch trivialen Spinordnung (c, d). Rechts: Verlaufder Orientierung der Spins entlang der Kette am Einheitskreis. In a) wird der Kreiseinmal umrundet, die Windungszahl ist 1, in c) ist die Windungszahl 0. Unter demEinfluss eines Magnetfeldes (b, d) zeigt sich die Stabilität der Struktur mit Win-dungszahl 1, während die Domänenstruktur in d) verschwindet.

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N A N O E L E K T RO N I K |Einzelne Elektronen surfen auf einer Schallwelle

Schaltkreise, die mit einzelnen Elektronen arbeiten, können die Leis-tungsfähigkeit von Computern enorm steigern. Sie benötigen abereinen Mechanismus, um einzelne Elektronen zu befördern. ZwischenQuantenpunkten ist dies nur möglich, wenn diese sehr eng beieinanderliegen. Am Institut-Néel CNRS Grenoble ist es unserer Forschergruppezusammen mit Kollegen aus Tokio und Bochum gelungen [1, 2], einzel-ne Elektronen mit einer Schallwelle zwischen zwei benachbarten Quan-tenpunkten zu befördern. Dies bedeutet einen großen Schritt in Rich-tung Quanten-Informationstechnologie mit einzelnen Elektronen.

einzelnen Ladungsträger zu ver-schieben.

Experimentell kann man die Prä-senz eines einzelnen Elektrons mitHilfe eines Quantenpunktkontaktes – einer Art Nanostrommeter – nach-weisen. Hierzu wird ein Strom direktneben dem Quantenpunkt durch

eine kleine Verengung vorbeigeleitetund gemessen (grüne Elektrode inAbbildung 1). Wenn man diesesElektron entfernt oder ein zweiteshinzufügt, hat dies einen Einfluss aufden Strom, der durch das Nanostrom-meter fließt (Abbildung 2). DerGrund dafür ist, dass weniger nega-tive Ladung im Quantenpunkt denbenachbarten Quantenpunktkontaktverbreitert und sein elektrischerWiderstand sinkt. Bei mehr negativerLadung im Quantenpunkt ist esumgekehrt.

Zusätzlich zu ihrer elektrischenLadung haben Elektronen einenDrehimpuls (Spin), der wie ein Krei-sel eine Drehrichtung hat und belie-big ausgerichtet werden kann. DerSpin lässt sich mit Quanteninforma-tion kodieren. Auf diese Weise ist esgelungen, einzelne Elektronen zumanipulieren und statt klassischerBits (Zustände 0 und 1) auch die

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In einem gewöhnlichen Schaltkreisfließen pro Sekunde mehrere Billi-onen Elektronen. In der Nanotechno-logie ist es mittlerweile möglich, ein-zelne Elektronen in cirka 100 nmgroßen elektronischen Inseln (Quan-tenpunkten) „einzufangen.“ DieAufgabe besteht nun darin, diese

während eine schwache Wechselwir-kung zwischen je vier Spins ein zwei-dimensionales Gitter formt. Dannentsteht ein nahezu quadratischesMuster, das von der hexagonalen

Anordnung der Atome entkoppelt ist.Durch seine Topologie muss dieseSpinstruktur ungewöhnlich stabilsein, was auch experimentell beob-achtet wird.

Für zukünftige Anwendungenzum Beispiel im Bereich der Spintro-nik eröffnen die gefundenen magne-tischen Skyrmionen völlig neue Mög-lichkeiten, werfen gleichzeitig aberauch neue Fragen auf: Wie wirktelektrischer Strom auf die Skyrmio-nen, und lassen sich die magneti-schen Wirbel vielleicht sogar gezieltbewegen? Weltweit existieren Bestre-bungen, isolierte Skyrmionen als Bitszur magnetischen Datenspeicherungzu verwenden. Unsere Entdeckung[2] zeigt, dass eine weitere Miniaturi-sierung dieser vergleichsweise gro-ßen Strukturen bis auf eine atomareSkala hin möglich ist.

Literatur[1] T. H. Skyrme, Proc. R. Soc. Lond. Ser. A

1961, 260, 127.[2] S. Heinze et al., Nature Phys. 2011, 7, 713.[3] S. Mühlbauer et al., Science 2009, 323, 915.[4] X. Z. Yu et al., Nature 2010, 465, 901.

Stefan Heinze, Uni Kiel; Kirsten von Bergmann,Uni Hamburg;

Gustav Bihlmayer,Forschungszentrum Jülich

a) Die winzigen Wirbel aus jeweils nur etwa 15 Atomen bilden ein regelmäßiges,nahezu quadratisches Gitter. Die farbigen Kegel zeigen die Orientierung der magne-tischen Ausrichtung der einzelnen hexagonal angeordneten Eisenatome an. DieEinschübe zeigen als Graustufenbild ein simuliertes magnetisches Rastertunnelmi-kroskopiebild und in blauweiß die Skyrmionen-Dichte (blau bedeutet hohe Dichte).b) Messung mit spinpolarisierter Rastertunnelmikroskopie auf zwei Fe-Lagen, diedurch eine vergrabene atomar hohe Iridium-Stufenkante getrennt sind. c) DreiBilder (8 nm x 8 nm) der gemessenen Magnetisierungskomponenten entlangunterschiedlicher Achsen (Pfeile), zusammen mit Einschüben (Grauskala) einersimulierten Messung des Skyrmionen-Gitters.

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