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Die Idee der Etablierung einer österreichischen Tagung der Schriftsachverständigen entstand beim GfS- Kongress 2007, der damals in Österreich (Salzburg) abgehalten wur- de. Da dieser Kongress nur alle drei Jahre und in verschiedenen europäischen Ländern stattfindet, regte Dr. Walter Brandner, damaliger Präsident der Österreichischen Gesell- schaft für Schriftpsychologie und Schriftexpertise, in einem Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Christian Grafl, Leiter des GfS-Kongresses und damaliger Präsident der GfS, an, eine jähr- liche österreichische Tagung zu organisieren. Zweck der Veranstaltung war es zunächst, den auf fast alle Bundesländer verteilten Sach- verständigen für Handschriftenuntersuchung und verwandten Bereichen jährlich eine zeit- und kostenmäßig verträgliche Möglichkeit einer persönlichen Kommunikation, eines Erfah- rungsaustausches und über Vorträge auch aktuelle Informationen im Interesse der Fortbil- dung zu vermitteln. Die Idee wurde von Univ. -Prof. Dr. Grafl begrüßt und Dr. Brandner gebeten, die erste Ta- gung zu organisieren. Der eingeladene Personenkreis umfasste neben den gerichtlich re- gistrierten Sachverständigen auch Personen, die sich mit dieser Materie beschäftigen, etwa aus den Kriminalämtern, der Graphologie und Student/-innen. Dieser erste und erfolgreiche Ansatz fand jährliche Fortsetzungen, wobei die Einladung und Programmgestaltung jeweils von wechselnden Organisationen bzw. Personen über- nommen wurde. Der 1. Österreichische Schriftsachverständigentag 2007 in Wien Die erste Tagung fand am 13. November 2007 statt und begann unter dem Generalthema „Die Nachvollziehbarkeit von Gutachten“ mit nachstehenden Impulsreferaten dreier ge- richtlich zertifizierter Sachverständiger und einer Anregung zur Diskussion, mit Themen, die geeignet waren, aufzuzeigen, in welche Richtung die Tagung künftig orientiert werden soll: Univ. -Prof. Dr. Christian Grafl: „Vollständigkeit der Befundaufnahme“ Dr. Walter Brandner: „Unerklärbare Abweichungen“ Univ. -Doz. Dr. Marianne Nürnberger: „Zur Bewertung der Signifikanz von Einzelbefun- den in Gutachten zur Handschriftenuntersuchung“ Bei dieser ersten Veranstaltung waren fast alle Sachverständigen für Handschriftenunter- suchung aus Österreich und weitere eingeladene Personen anwesend. Das große Interes- se sorgte dafür, dass diese Tagung fortgesetzt wurde, über Einladung und Organisation wechselnder Personen, welche sich dafür bereit erklärt haben. Im weiteren Verlauf fanden 1 Soboth 58 A - 8554 Soboth Tel: +43 / 0664 38 71 962 [email protected] www.graphologica.com Österreichische Schriftsachverständigentage 2007 bis 2013 von Univ.-Doz. Dr. Marianne Nürnberger GRAPHOLOGIENEWS Juli/August 2013

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Die Idee der Etablierung einer österreichischen Tagung der Schriftsachverständigen entstand beim GfS- Kongress 2007, der damals in Österreich (Salzburg) abgehalten wur-de. Da dieser Kongress nur alle drei Jahre und in verschiedenen europäischen Ländern stattfindet, regte Dr. Walter Brandner, damaliger Präsident der Österreichischen Gesell-schaft für Schriftpsychologie und Schriftexpertise, in einem Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Christian Grafl, Leiter des GfS-Kongresses und damaliger Präsident der GfS, an, eine jähr-liche österreichische Tagung zu organisieren.

Zweck der Veranstaltung war es zunächst, den auf fast alle Bundesländer verteilten Sach-verständigen für Handschriftenuntersuchung und verwandten Bereichen jährlich eine zeit- und kostenmäßig verträgliche Möglichkeit einer persönlichen Kommunikation, eines Erfah-rungsaustausches und über Vorträge auch aktuelle Informationen im Interesse der Fortbil-dung zu vermitteln.

Die Idee wurde von Univ. -Prof. Dr. Grafl begrüßt und Dr. Brandner gebeten, die erste Ta-gung zu organisieren. Der eingeladene Personenkreis umfasste neben den gerichtlich re-gistrierten Sachverständigen auch Personen, die sich mit dieser Materie beschäftigen, etwa aus den Kriminalämtern, der Graphologie und Student/-innen.

Dieser erste und erfolgreiche Ansatz fand jährliche Fortsetzungen, wobei die Einladung und Programmgestaltung jeweils von wechselnden Organisationen bzw. Personen über-nommen wurde.

Der 1. Österreichische Schriftsachverständigentag 2007 in WienDie erste Tagung fand am 13. November 2007 statt und begann unter dem Generalthema „Die Nachvollziehbarkeit von Gutachten“ mit nachstehenden Impulsreferaten dreier ge-richtlich zertifizierter Sachverständiger und einer Anregung zur Diskussion, mit Themen, die geeignet waren, aufzuzeigen, in welche Richtung die Tagung künftig orientiert werden soll:

• Univ. -Prof. Dr. Christian Grafl: „Vollständigkeit der Befundaufnahme“

• Dr. Walter Brandner: „Unerklärbare Abweichungen“

• Univ. -Doz. Dr. Marianne Nürnberger: „Zur Bewertung der Signifikanz von Einzelbefun-den in Gutachten zur Handschriftenuntersuchung“

Bei dieser ersten Veranstaltung waren fast alle Sachverständigen für Handschriftenunter-suchung aus Österreich und weitere eingeladene Personen anwesend. Das große Interes-se sorgte dafür, dass diese Tagung fortgesetzt wurde, über Einladung und Organisation wechselnder Personen, welche sich dafür bereit erklärt haben. Im weiteren Verlauf fanden

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die Tagungen nicht nur in Wien, sondern bisher auch in Graz und Klagenfurt und in be-merkenswerter Themenvielfalt statt.

Der 2. Österreichische Schriftsachverständigentag 2009 in WienZum zweiten Sachverständigentag am 12. 2. 2009 lud Univ. Prof. Dr. Christian Grafl, Vorstand der Abtei-lung für Kriminologie des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Handschriftenuntersuchung, die Teilnehmer an die Universität in Wien ein und referierte umfassend zur Novelle der Strafprozessordnung, insbesondere über „Die Stellung des Sach-verständigen im neuen strafprozessualen Vorverfahren“.

Das neue Ermittlungsverfahren, die Bestellung des Sachverständigen und dessen Stellung im Verfahren, Befangenheitsgründe, Fragen zur Befundaufnahme sowie zur Schriftprobenabnahme, die neue erhöhte Warnpflicht bei vermutlichen Kostenüberschreitungen, sowie Fragen des Gebührenanspruches seien hier beispielhaft als Schwerpunkte genannt.

Das umfassende Thema und die eingehende Diskussion sorgten für einen intensiven Nachmittag.

Der 3. Österreichische Schriftsachverständigentag 2010 in WienDie Ausschreibung des dritten Sachverständigentages erfolgte durch das gerichtlich zertifizierte Sach-verständigenteam für Handschriftenuntersuchung des Bundeskriminalamtes (BKA) Wien, Eberhard Kern, Christian Farthofer, Norbert Taubner und Christian Jandrisovits, in dessen Räumlichkeiten.

Die Teilnehmer wurden von Eberhard Kern und vom Leiter der Kriminaltechnik MR Dr. Hirz begrüßt, am Nachmittag erfolgte eine Besichtigung der sehr vielfältig ausgestatteten kriminaltechnischen Abteilungen unter der Führung von MR Dipl. Ing. Johann Fuchsluger.

Univ.-Doz. Dr. Marianne Nürnberger behandelte in ihrem Referat das Thema „Die Fallen der Schriftproben-abnahme“. Für den Sachverständigen ist es wichtig, bei der Schriftprobenabnahme eine stressfreie Situati-on für den Probanden zu schaffen, gleichzeitig soll der Proband durch die gezielte Art der Schriftproben-abnahme zu seiner originären Handschrift veranlasst werden, sodass es ihm schwer fällt, seine Schrift zu verstellen. Buchstaben und Buchstabenverbindungen sollen nicht nur durch den Normtext „Liebe Christia-ne und lieber Max“, sondern darüber hinaus auch im Wortlaut des strittigen Textes und nach Möglichkeit noch zusätzlich in weiteren textlichen Varianten eingeholt werden.

Ergänzend wies Nürnberger darauf hin, dass die kontraproduktive Einwirkung von Begleitpersonen bei der Schriftprobenabnahme durch eine gesetzliche Änderung der Strafprozessordnung im Jahre 2009 vermie-den werden kann, da seither keine Pflicht besteht, zur Befundaufnahme einen größeren Personenkreis ein-zuladen.

Der nachfolgende Vortrag befasste sich mit dem Thema arabischer Handschriften. Kennt man die arabi-sche Schrift nicht, so ergibt ein flüchtiger Blick leicht den Eindruck, dass sich Handschriften dieses Schreibsystems nicht sehr voneinander unterscheiden. Der gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Handschriftenuntersuchung Christian Jandrisovits (BKA) hatte Gelegenheit, sich in einem Auslandsstudium eingehender mit der arabischen Schrift zu befassen. Sein Vortrag über „Arabische Schriften“ zeigte anhand zahlreicher Schriftbeispiele die sehr große Vielfalt und Variation in der arabischen Handschrift, die zwar erst nach einigem „Einlesen“ deutlich wird, aber dann doch einer forensischen Schriftvergleichung unterzogen werden kann.

Ein sehr aktuelles Thema wurde vom gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Kriminologie und Krimi-nalistik sowie Handschriftenuntersuchung Dr. Josef Siska mit der „Elektronischen Schrift“ aufgegriffen. Zu-nehmend erfolgen insbesondere Zustellungsbestätigungen über elektronische Datenerfassungsgeräte, et-wa ein Unterschriftenpad. In einer sehr ausführlichen Diskussion wurde letztlich festgestellt, dass im zu-

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meist vorliegenden Fall, in dem der Schriftzug nur in geringer grafischer Auflösung abgespeichert wird, eine forensische Untersuchung des originalen Schriftzuges nicht möglich ist.

Besondere Probleme ergeben sich insbesondere daraus, dass die Schreibsituation nur bedingt mit dem normalen Schreibvorgang vergleichbar ist und unbeeinflusst entstandenes Vergleichsmaterial, das unter gleichen Bedingungen (Schreibpad) gefertigt wurde, kaum erlangbar ist. Daneben besteht eine Vielzahl auf dem Markt befindlicher Geräte mit unterschiedlicher technischer Zielsetzung und praktisch keinen metho-disch ausreichenden Studien zur Schriftvergleichung.

Da es sich bei der Unterschrift um eine elektronische Aufzeichnung handelt, ist – analog zu Nichtoriginalen – auch nicht sichergestellt, ob es sich um eine originale Aufzeichnung oder um eine Kopie handelt.

Der 4. Österreichische Schriftsachverständigentag 2011 in GrazDie vierte Tagung der österreichischen Schriftsachverständigen fand am 16. März 2011 unter Mitwirkung des Hans Gross Kriminalmuseums der Universität Graz, des Instituts für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Universität Graz, sowie der Österreichischen Gesellschaft für Schriftpsychologie und Schriftexpertise unter der Organisation und Koordination durch deren Vizepräsiden-tin Univ.-Doz. Dr. Marianne Nürnberger in den Räumlichkeiten des o.a. Museums und des o.a. Institutes der Universität Graz statt. Mit gut 40 Teilnehmern war diese Veranstaltung außerordentlich gut besucht.

Nach der Begrüßung durch o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Gernot Kocher als damaligem Dekan der Geisteswis-senschaftlichen Fakultät im kleinen Saal des Kriminalmuseums hielt DDr. Christian Bachhiesl (mittlerweilen habilitierter Dozent) als amtierender Organisator des Kriminalmuseums und profunder Kenner der Ge-schichte der Kriminologie an der Universität Graz seinen ebenso interessanten wie unterhaltsamen Vortrag mit dem Thema „Zur Geschichte der Kriminologie in Graz und ihrem Bezug zur Graphologie und Schrift-vergleichung“, in dem er auf die Gründung dieses ersten und damals weltweit einzigartig umfangreichen Kriminologischen Universitätsinstituts im Jahre 1912 durch Hans Gross verwies und auf die Geschichte der Grazer Kriminalistik mit ihren frühen Bezügen zur Graphologie von Ludwig Klages ebenso wie zur moder-nen Handschriftenvergleichung einging.

Die nachfolgende Führung durch das Hans Gross Kriminalmuseum beeindruckte durch die große Anzahl und Vielfalt der Ausstellungsstücke, verschiedenster Waffen und Mordinstrumente, mit corpora delicti spannender Kriminalfälle und Einblicken in Mentalitäten von Opfern und Tätern. Hans Gross, der die Lehr-mittelsammlung begründet hat, gilt als „Vater der modernen Kriminologie“ und seine Methoden der Verbre-chensaufklärung wurden auf der ganzen Welt übernommen.

Hernach wurden die Teilnehmer in das Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung geleitet, wo die Tagung mit dem Vortrag von Univ. -Doz. Dr. Marianne Nürnberger, zerti-fizierte Sachverständige für Handschriftenuntersuchung, über „Interdisziplinarität in der Handschriftenun-tersuchung“ anhand von praktischen Fragestellungen anschaulich zum zentralen Thema geführt wurde. Fazit ihres Vortrags: Die Handschriftenuntersuchung ist eine eigenständige Disziplin, welche sich zahlrei-cher Hilfswissenschaften von der Psychologie bis zur Physik bedient, und wäre eines eigenen Lehrstuhls würdig.

Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Graz, versorgte die Teilnehmer hernach mit seinem Vortrag über „Einschätzung des Zeitfensters für die noch mögliche Rückbildung von Defiziten der Muskelsteuerung der Schreibhand nach einem Schlaganfall“ mit wertvollem Fachwissen für ihre künftige Arbeit an Testamenten und Altersschriften. Er strich vor allem die Individualität der menschlichen Neurologie heraus, mit den sich hieraus ergebenden Unwägbarkeiten hinsichtlich der Voraussage des Zeitfensters einer möglichen totalen Rekonvaleszenz mit Rückbildung von Schäden nach Schlaganfällen. Er illustrierte seine medizinischen Erklärungen unter anderem mit Bildmate-rialien aus modernsten Untersuchungsverfahren, die auch das Thema der Neurogenese, der Plastizität,

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also der Erneuerbarkeit des Gehirns, streiften, und gab interessante Einblicke in das komplexe Funktionie-ren der Bewegungssteuerung über Muskulatur, Sinnesapparat, Nerven und Gehirn.

Frau Univ.-Doz. Dr. Alena Aigner, Dozentin an der Universität Budweis für Germanistik und an der Universi-tät Linz für Tschechisch, Dolmetscherin für Tschechisch und zertifizierte Sachverständige für forensische Linguistik, beleuchtete verschiedene Aspekte der Interdisziplinarität bei der Schriftuntersuchung und der Textanalyse. Auch bei der Analyse der nicht handgeschriebenen Texte spielt ihre Gestaltung und ihr Layout eine große Rolle und hat somit mit der Handschriftenanalyse viel gemeinsam. Mit der Verbreitung der durch technische Medien verfassten Texte findet die linguistische Textanalyse der geschriebenen Texte immer mehr Verwendung. Der Vortrag resümierte über die Notwendigkeit, sich in den Hilfsdisziplinen auf dem Laufenden zu halten, um die Texte komplexer begutachten zu können.

Der 5. Österreichische Schriftsachverständigentag 2012 in KlagenfurtDie Einladung zum 5. Österreichischen Sachverständigentag hat das Landeskriminalamt Kärnten über-nommen, organisiert von Herrn Kontrollinspektor Ferdinand Mayer.

Zu Beginn erfolgte durch Dr. Wilhelm Deuer eine Führung durch das Kärntner Landesarchiv inklusive dessen Restaurierungswerkstatt. Das Landesarchiv, das auf ältere Archive zurückgreift, wurde 1904 als wissenschaftlich geleitetes Institut gegründet, das derzeitige, mit modernsten technischen Einrichtungen versehene Gebäude wurde 1996 eröffnet. Kern des Archivs sind die Akten der Landesbehörden, und der Bogen der Dokumente reicht von peniblen Grundstücksbeschreibungen bis zum handschriftlich verfassten Akt über den Prozess einer Mörderin, die ihren Ehemann mit Arsen vergiftet hat; selbst der Beutel, in dem sich das Arsen befand, ist ein begehrtes Anschauungsobjekt.

Im Vortrag „Neue Hände – Neue Handschrift?“ berichtete das bekannte Bombenopfer, der Polizist Theo Kelz, über seine Erfahrungen im Umgang mit neuen Händen. Er verlor im Jahre 1994 beide Hände, musste zunächst mit mechanischen Prothesen zurechtkommen, bis ihm im Jahr 2000 zwei neue organische Hän-de transplantiert wurden. Es bedurfte enormer psychischer Kraft, diese Situation überhaupt zu bewältigen und gleichfalls durch unzählige Stunden der Therapie und Übung in der Lage zu sein, die Hände wieder funktional einsetzen zu können. Für den Teilnehmerkreis war die Entwicklung seiner Handschrift von gro-ßem Interesse und es war mit doch etwas Überraschung festzustellen, dass Herr Kelz nicht nur verhält-nismäßig schnell mit seinen jeweils neuen Händen wieder schreiben konnte, sondern dass auch die indivi-duelle Gestaltung seiner Handschrift, mit leichten situationsbedingten Abweichungen, gleich geblieben ist, ein eindeutiger Beweis der „Gehirnschrift“.

Die von der Firma Optoteam Wien in einem Vortrag „Specialist Equipment Presentation“ dargestellten Mik-roskope, ESDA-Geräte, Kameras u.a. konnten in den Pausen näher studiert und erprobt werden.

Das Thema „Lie to Me!, Glaubhaftigkeitskriterien“ wurde vom Psychologen und Psychotherapeuten Dr. Kurt Kurnig in sehr ansprechender und kurzweiliger Form vorgetragen und anschaulich, z.B. anhand von lebhaft vorgeführter Körpersprache illustriert. Elemente des persönlichen Verhaltens und Auftretens, des Tonfalls, der Körpersprache, der Gestik, der Mimik und sogar der Bekleidung, können Indizien darüber lie-fern, ob ein Mensch die Wahrheit sagt oder nicht. Freilich sind solche Indizien noch kein Beweis. Es kön-nen ähnliche Verhaltensweisen aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen. Jede Einschätzung muss daher mit großer Vorsicht getroffen werden.

Der 6. Österreichische Schriftsachverständigentag 2013 in WienDer 6. Österreichische Schriftsachverständigentag wurde durch die kürzlich in „Österreichische Gesell-schaft für Graphologie und Schriftexpertise“ umbenannte ÖGS organisiert und fand am 03.04.2013 im Hörsaal der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien statt.

Nach der Eröffnung der Tagung durch Elisabeth Charkow, Präsidentin der ÖGS, begrüßte der Vorstand des Instituts für Zivilverfahrensrecht der Universität Wien, o. Univ. Prof. Dr. hc. Dr. Walter H. Rechberger, die

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Anwesenden und hielt seinen Vortrag über „Status, Rechte und Pflichten des Privatsachverständigen“. Er erläuterte anschaulich, in welcher Weise der Privatsachverständige, obwohl ihn im Wesentlichen gleiche Pflichten und Haftungen treffen wie den Gerichtssachverständigen, diesem gegenüber von Einschränkun-gen in Bezug auf seine Befugnisse und die Einbeziehung seiner Arbeit in den gerichtlichen Wahrheitsfin-dungsprozess rechtlich betroffen ist.

Dr. Angelika Seibt, von der Regierung von Oberbayern öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für Handschriftenvergleichung, Fachstelle IHK München, hielt einen überaus gedankenreichen und ausführ-lichen Vortrag über „Sozialwissenschaftliche Forschung bei Schriftveränderung“. Sie vermochte anhand einiger kniffliger Fälle überzeugend für die Notwendigkeit der Einbeziehung von psychologischen, verhal-tenserforschenden und soziologischen Perspektiven in die forensische Handschriftenvergleichung zu ar-gumentieren. Sie behandelte auch generelle Aspekte wie Gliederung und Aufbau eines Gerichtsgutach-tens, die Bedeutung von Anknüpfungstatsachen, die Notwendigkeit klarer Hypothesenbildung und vorsich-tig abwägender Befundbewertungen.

Der Vortrag von Univ. Doz. Dr. Marianne Nürnberger, kultur- und sozialanthropologische Bewegungsanaly-tikerin und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Handschriftenuntersuchung, zum Thema „Move-ment-Profiling und Handschriftenuntersuchung“ spannte einen breiten Bogen zwischen den Anfängen der Bewegungsprofile unter Rudolf Laban und den Weiterentwicklungen durch seine Nachfolger bis in den fo-rensischen Bereich hinein. Laban etablierte unter anderem die erste bis heute angewendete Systematik der sogenannten Bewegungsantriebe für die Erfassung von Bewegungscharakteristika. Das in seiner Nachfol-ge entstandene Kestenberg Movement Profile (KMP) differenzierte seine Charakteristika weiter. Fazit: Da zum Beispiel anhand der Identifizierung von sogenannten Vorantrieben Lernstile beobachtet und berück-sichtigt werden können, können sie auch für die Aufdeckung von Schriftverstellung, Schriftnachahmung und für die korrekte Einschätzung der Ergebnisse von Schriftprobenabnahme von Nutzen sein. Es wurde eine Beschäftigung mit den Methoden der Nachfolger Labans empfohlen und eine einführende Literaturlis-te ausgeteilt.

Dr. Walter Brandner, gerichtlich zertifizierter und allgemein beeidigter Sachverständiger für Handschriften-untersuchung, sprach über das Thema „Forensische Analyse der ‚drei‛ Handschriften des Polizisten Theo Kelz.“. Bei der Untersuchung einer Bombe verlor Theo Kelz beide Hände. Die Handschrift vor dem Unfall wurde der Handschrift nach Anpassung von Handprothesen und der Handschrift nach der letztendlich erfolgten spektakulären Transplantation von zwei Händen gegenübergestellt. Trotzdem die allgemeinen Merkmale, wie Größe, Weite, relative Abstände und Konstanz der Zeilenführung der drei Handschriften teilweise recht unterschiedlich ausfallen, finden sich vor allem in den Einzelformen zahlreiche hochsignifi-kante Übereinstimmungen, zumal auch das Aussehen von verwendeten Varianten einzelner Buchstaben im wesentlichen konstant blieb. Fazit: Die Handschriftentwicklung von Theo Kelz ist ein Beweis dafür, dass das ausführende Organ oder Werkzeug weniger wichtig ist als der zugrundeliegende Geist. Handschrift ist Gehirnschrift, dem graphologischen Grundgedanken entsprechend.

Die Autorin dankt Dr. Walter Brandner für seine Mitarbeit. Für das Redigieren der Zusammenfassungen ihrer jeweiligen Vorträge dankt sie ferner auch: Univ.-Doz. Dr. Alena Aigner, Priv.-Doz. DDr. Christian Bach-hiesl, Univ. Prof. Dr. Christian Grafl, Eberhard Kern, Ferdinand Mayer und Dr. Angelika Seibt.

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