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Griechisches — lateinisches — fränkisches Christentum Der Brief Papst Martins I. an den Bischof Amandus von Maastricht aus dem Jahre 649 Von Georg Scheibelreiter Um die Mitte des 9. Jahrhunderts nahm der Mönch Milo von Elno- St. Amand Verbesserungen an einer Vita sancti Amandi vor, wobei er seiner Fassung einen Brief beilegte, den Papst Martin I. im Jahre 649 an den Bischof von Maastricht gerichtet hatte 1 . Das Schreiben gehörte zu einem volumen syn- odale, das der Papst im Zusammenhang mit der Lateransynode desselben Jahres angeblich an verschiedene Kirchen der christlichen Welt ausgesandt hatte. Dieses exemplar in papireis scedis editum sollte der Abwehr des Monotheletismus dienen, der auf der genannten Kirchenversammlung in Rom verdammt worden war. Milo wird nicht müde darauf hinzuweisen, welche Auszeichnung diese spe- cialis epistola bedeutete, mit der der Papst seine Wertschätzung des Gottes- mannes Amandus zum Ausdruck brachte. Der Hagiograph gibt dann eine kurze Zusammenfassung des Briefinhaltes; gleichsam als Einführung und Kommentar des folgenden Textes 2 . Dieser Akt stolzer Genugtuung über die anerkannte Wirksamkeit des Gründervaters und Hausheiligen bewahrte ein päpstliches Schreiben an ein Mitglied der fränkischen Kirche in einem Zeitraum, in dem über wechselseitige, direkte Verbindungen nichts bekannt ist 3 . Dem unbe- 1 Vita Amandi episcopi II. auctore Milone (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, 1910) 452—456. Neuere Ausgabe des Briefes bei Rudolf R i e d i n g e r , Acta Conciliorum Oe- cumenicorum, ser. II 1: Concilium Lateranense a. 649 celebratum (1984) 422 ff. Vgl. dazu Ru- dolf Schieffer, Frühes Mittelalter (476—911), in: Geschichte in Wissenschaft und Unter- richt, Jg. 1985, Heft 7, S. 511. Ich zitiere nach der Monumenta-Ausgabe. 2 Vita Amandi II. 452. Milo lieferte eine eigene metrische Vita, er schrieb eine Suppletio zur Vita I., fügte Brief, Testament, Predigten und Wunderberichte bei. Er leistete eine „echt spätkarolingische Heiligen-Forschung"; Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im la- teinischen Mittelalter. II. Merowingische Biographie, Italien, Spanien und die Inseln im frühen Mittelalter (Quellen und Untersuchungen zur latein. Philologie des Mittelalters 9, 1988) 52. ' Eugen Ewig, Die Missionsarbeit der lateinischen Kirche, in: Die Reichskirche nach Konstantin dem Großen. 2: Die Kirche in Ost und West von Chalkedon bis zum Frühmittel- alter (451—700) (Handbuch der Kirchengeschichte II 2, 1975) 109 sieht darin vor allem das Ergebnis einer ungünstigen Überlieferung. Doch ist die „Beziehungslosigkeit" zwischen Rom MIÖG 100 (1992) Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/22/14 4:27 AM

Griechisches – lateinisches – fränkisches Christentum

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Griechisches — lateinisches — fränkisches Christentum

Der Brief Papst Martins I. an den Bischof Amandus von Maastricht aus dem Jahre 649

Von Georg Scheibelreiter

U m die Mitte des 9. Jahrhunderts nahm der M ö n c h Mi lo von Elno-St. Amand Verbesserungen an einer Vita sancti Amandi vor, wobei er seiner Fassung einen Brief beilegte, den Papst Martin I. im Jahre 649 an den Bischof von Maastricht gerichtet hatte1. D a s Schreiben gehörte zu einem volumen syn-odale, das der Papst im Zusammenhang mit der Lateransynode desselben Jahres angeblich an verschiedene Kirchen der christlichen Welt ausgesandt hatte. Dieses exemplar in papireis scedis editum sollte der Abwehr des Monothelet i smus dienen, der auf der genannten Kirchenversammlung in R o m verdammt worden war. Mi lo wird nicht müde darauf hinzuweisen, welche Auszeichnung diese spe-cialis epistola bedeutete, mit der der Papst seine Wertschätzung des Gottes-mannes Amandus zum Ausdruck brachte. D e r Hagiograph gibt dann eine kurze Zusammenfassung des Briefinhaltes; gleichsam als Einführung und Kommentar des fo lgenden Textes 2 . Dieser Akt stolzer Genugtuung über die anerkannte Wirksamkeit des Gründervaters und Haushei l igen bewahrte ein päpstliches Schreiben an ein Mitgl ied der fränkischen Kirche in e inem Zeitraum, in dem über wechselseitige, direkte Verbindungen nichts bekannt ist3. D e m unbe-

1 Vita Amandi episcopi II. auctore Milone (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, 1910) 452—456. Neuere Ausgabe des Briefes bei Rudolf R i e d i n g e r , Acta Conciliorum Oe-cumenicorum, ser. II 1: Concilium Lateranense a. 649 celebratum (1984) 422 ff. Vgl. dazu Ru-dolf S c h i e f f e r , Frühes Mittelalter (476—911), in: Geschichte in Wissenschaft und Unter-richt, Jg. 1985, Heft 7, S. 511. Ich zitiere nach der Monumenta-Ausgabe.

2 Vita Amandi II. 452. Milo lieferte eine eigene metrische Vita, er schrieb eine Suppletio zur Vita I., fügte Brief, Testament, Predigten und Wunderberichte bei. Er leistete eine „echt spätkarolingische Heiligen-Forschung"; Walter B e r s c h i n , Biographie und Epochenstil im la-teinischen Mittelalter. II. Merowingische Biographie, Italien, Spanien und die Inseln im frühen Mittelalter (Quellen und Untersuchungen zur latein. Philologie des Mittelalters 9, 1988) 52.

' Eugen Ewig, Die Missionsarbeit der lateinischen Kirche, in: Die Reichskirche nach Konstantin dem Großen. 2: Die Kirche in Ost und West von Chalkedon bis zum Frühmittel-alter (451—700) (Handbuch der Kirchengeschichte II 2, 1975) 109 sieht darin vor allem das Ergebnis einer ungünstigen Überlieferung. Doch ist die „Beziehungslosigkeit" zwischen Rom

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kannten Verfasser der ersten Vita des heiligen Amandus, der im Aufgang des karolingischen Zeitalters schrieb4 und eine Reihe wertvoller Nachrichten über-liefert, war der Papstbrief scheinbar nicht bekannt. Auch werden Beziehungen zwischen dem Papsttum und der jungen Kirche des nördlichen Frankenreichs oder ihres unermüdlichen Vorkämpfers Amandus niemals erwähnt. Dagegen bietet uns der Verfasser eine Wallfahrt des Heiligen nach Rom, die mit einer Vi-sion endet, in der Petrus diesen auffordert, nach Gallien zurückzukehren und dort das Evangelium zu predigen4. Ob eine solche Romreise stattgefunden hat, ist unsicher; ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht4. Jedenfalls bedeutete die Beauftragung durch den Apostelfürsten nicht nur die Erhöhung der auctontas des Heiligen, sondern rechtfertigte und legitimierte dessen Tätigkeit, die sich nicht in bestimmte, vorgegebene Richtlinien zwingen ließ.

Formal läßt sich der päpstliche Brief nicht kategorisieren. Die zukunftswei-sende Intitulatio Gregors des Großen fehlt, die Inscriptio entspricht festen Ge-wohnheiten, wobei die Nachstellung des einfachen Papstnamens doch als nicht allzu häufige Bescheidenheit anzusprechen ist7. Auch im weiteren Anden sich keine Formeln, abgesehen vom gängigen Schlußwunsch: Deus te incolomem custodiat dilectissime /rater*. Dagegen wird man Milo recht geben müssen, wenn man den Inhalt als sehr persönlich formuliert bezeichnet. Zwischen allgemeinen religiösen Wendungen, neben traditionellem christlichem Gedankengut stößt man auf Zeichen von Wohlwollen, wie sie in amtlichen Begleitschreiben kaum vorkommen9. Doch ist einschränkend zu bemerken, daß der Papst hiermit auf ein (verlorenes) Schreiben des Amandus antwortet, in dem dieser seine persön-lichen Probleme und Zweifel dargelegt hatte. Andererseits hatte Martin I. größtes Interesse, daß die Entscheidung der Lateransynode in der fränkischen Kirche Zustimmung und offizielle Unterstützung finden möge10. Anliegen und Wünsche von Absender und Empfänger erklären so den weitgehend persönli-chen Ton des Briefes.

Nahezu die Hälfte desselben befaßt sich mit den Anfragen, die Amandus dem Papst übermittelt hatte. Es geht um Schwierigkeiten, die jenem in seiner

und den europäischen Reichskirchen im 7. Jahrhundert gerade aus den spärlichen Quellen er-kennbar. Siehe dazu unten S. 97, 99.

4 Edouard de Μ o r e au, Histoire de l'iglise en Belgique 1 (Brüssel 1945) 79 und ders. , La Vita Amandi prima et les fondations monastiques de St. Amand, in: Analecta Bollandiana 67 (1949) 447 ff. datiert die Vita auf die Zeit um 700; Ewig (wie Anm. 3) 119 auf ca. 725.

5 Vita Amandi episcopi I. c. 7. * Dafür ist Edouard de Μ o r e au, Saint Amand, apAtre de la Belgique et du nord de la

France (1927) 142; Caspar (wie Anm. 33) hält die Reise für legendär. Heute neigt man wieder dazu, der Vita zu glauben. So wird vom Hinauswurf des Heiligen durch die custodes von St. Peter berichtet: ein äußerst realistischer Zug. Alle Stiftungen des Amandus haben das Petrus-Patrozinium; vielleicht Hinweise auf eine Romfahrt; siehe dazu Berschin (wie Anm. 2) 51.

7 Dilectissimo fiatri Amanda Martinus. • Ε. A. Lowe, The Script of the Farewell and Date Formulae in Early Papal Documents

as reflected in the oldest Manuscripts of Bede's „Historia Ecclesiastica", in: Ders. , Palaeogra-phical Papers 1907—1965 (Oxford 1972) II 450 ff.

' Sie finden sich vor allem im ersten Teil des Schreibens, der die Beschwerden des Amandus zum Gegenstand hat.

10 Darüber unten S. 100.

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exponierten Diözese nicht nur durch hartnäckige Heiden und korrumpierte Christen erwuchsen, sondern auch um solche, die ihm die regionalen Kleriker bereiteten. Deshalb ersuchte er den Papst, ihm zu gewähren, das wenig geliebte Bischofsamt aufzugeben. Martin I. holt weit aus: Er beginnt seine Antwort mit der Feststellung, daß es klug sei, wenn der Mensch die flüchtigen, vorüberge-henden Annehmlichkeiten der Welt verachte und statt deren die perpetua et sub-limia dona Gottes erstrebe. Dieser altbekannte Gegensatz wirkt hier als Bestär-kung der asketischen Disziplin, wie sie Amandus grundsätzlich auszeichnete und die dem Papst als wesentliches Element bei der Uberwindung von labores erscheinen mußte. Andererseits ist es wenig wahrscheinlich, daß Martin I. die extreme Härte der eigenen Person gegenüber, wie sie Amandus aus dem Ein-fluß des columbanischen Mönchtums vertraut war, als Grundlage für den Aufbau einer flandrischen Kirchenorganisation ansehen wollte. In Rom dachte man in den staatlichen Kategorien der spätantiken mediterranen Welt, die den kirchlichen Strukturen das Vorbild geliefert hatten. Was an griechischem und afrikanischem Mönchtum im 7. Jahrhundert nach Italien strömte, war, abge-sehen von asketischen Einzelgängern, eine Bildungselite, die die christologi-schen Probleme der Ostkirche bewegte, die aber nichts mit dem Aufbau christ-lichen Lebens zu tun hatte11. Das mediterrane Christentum basierte auf einer alten Stadtkultur und kannte eine Teilung der Kompetenzen, wenn auch viel-leicht nicht in dem Maße wie der nun auf den Osten beschränkte römische Staat. Im Frankenreich, einem heterogenen Gebilde, mangelte es an diesen welt-lichen Voraussetzungen, läßt man die civitates des Südens außer Betracht. Daher baute das Christentum auf schon äußerlich wenig geeigneten Grund-lagen auf: es konnte nicht fest verankert werden, es war schwankend und jeder regionalen oder sogar lokalen Veränderung gefährlich ausgesetzt.

Amandus, dessen Person auch in Vitengestalt ihre innere Zerrissenheit merken läßt12, mußte viele Fähigkeiten in sich vereinen: persönliche Askese, Be-kämpfung des Heidentums, Aufrichtung gesunkenen Christentums, Verbrei-tung des Evangeliums und zugleich die Schaffung einer administrativen Basis, auf der das christliche Leben der Zukunft irreversibel ruhen sollte! All diese Ei-genschaften setzen wieder andere voraus, die in den Lebensbeschreibungen kaum gelegentlich erwähnt wurden, wie der den großen Zielen förderliche Um-gang mit Mitarbeitern und Helfern. Das scheint aber nicht die Stärke des Amandus gewesen zu sein11. Hier mußte sich die asketisch-irische Selbstbe-schränkung, ja Selbstbeziehung, äußerst hemmend auswirken. Papst Martin, ein

11 Ein charakterisches Beispiel dafür ist der große Mönchstheologe Maximos Confessor ( + 662), dessen Persönlichkeit und Leistung nur aus den Voraussetzungen der mediterranen Gesellschaft denkbar ist.

12 Dazu Georg S c h e i b e l r e i t e r , Der Missionar im Frankenreich im 7. und 8. Jahrhun-dert. Typus und Individium, in: Willibrord, zijn Wereld en zijn Werk (Middeleeuwse Studies 6, 1990) 331.

1J In der Vita prima c. 8 werden seine hervorragenden Eigenschaften angeführt; sie sind topisch und ausnahmslos aus dem Bereich asketischen Lebens. Dazu paßt einzig nicht sein vultus serenus, der diesem Heiligentyp nicht entspricht und weltliche Wurzeln hat. Vielleicht liegt darin ein Abglanz kommunikativer Begabung.

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Umbrier, der viele Jahre als Apokrisiar in Konstantinopel zugebracht hatte und gewohnt war, sich in einer Umgebung urbaner Christlichkeit zu bewegen, konnte sich von diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten eines missionierenden Bischofs im nördlichen Frankenreich wohl kaum eine richtige Vorstellung ma-chen: ganz zu schweigen von den Problemen, die in der Person, in der Psyche des Amandus ihre Ursachen hatten.

Dementsprechend sind die päpstlichen Ermunterungen und Appelle zum Durchhalten in schwieriger Lage auch auf triviale Voraussetzungen gegründet. Der Papst verweist auf den Lohn, der dem Kämpfer für die Sache Christi im Jenseits zuteil werden wird und der alle Mühsal auf Erden gering erscheinen-läßt14. Was sind die Anstrengungen eines kurzen Zeitraumes gegen die futma gaudial Und letztlich: Wird nicht jede menschliche Mühe unbedeutend, wenn man sie mit der Erlösungstat Christi vergleicht15? Sie ist das Richtmaß aller Kämpfe und Entbehrungen, die dem Gottesmann auf Erden auferlegt werden. Diese erstaunliche Heilsgewißheit, die auf einem Rekompensationsdenken ba-siert, mutet heutzutage merkwürdig an. Es ist die Vorstellung vom gerechten Lohn, von der getanen Arbeit, die man als Knecht in berechtigter Freude dem prüfenden Herrn vorweist und für die man sich ja auf Gleichnisse Christi be-rufen konnte16. Es sind dies Anschauungen, die allgemein verständlich waren und auch von Neuchristen des nördlichen Frankenreichs akzeptiert werden mußten. Die Ethik hinter dieser Auffassung war eine zuriefst religiöse: sie wurde in der patristischen Literatur vertreten und fand sich gleichermaßen im Mittelpunkt jenes asketischen Egoismus, den irische und irisch beeinflußte Mis-sionare als Mittel zum Heil ansahen17. Der Kampf um die Seelen anderer ist im Innersten ein Kampf für die eigene Seele und ihren ewigen Lohn18. Die Liebe zu Christus, die der Papst als Grund für das Ausharren angibt, bedeutet im wesent-lichen nichts anderes1'. Die ethische Forderung wird in einer Gott : Mensch-Be-ziehung erlebt und mündet letztlich in die Sorge um die eigene Vervollkomm-nung. Wir haben es hier mit einer Grundhaltung des frühen Christentums zu tun, das die gewaltigen Unterschiede einer christlichen Welt- und Lebensauffas-sung zwischen einem nach Osten gewandten Rom und dem flandrischen Mis-sionsgebiet im 7. Jahrhundert nicht berührte. Galt es dort den Kampf für die Einheit und Reinheit der christlichen Lehre, die Auseinandersetzung mit der staatlichen Gewalt und ihrer religiösen Kompetenz, so standen hier weit grund-legendere Probleme zur Lösung an: Konnten die christlichen Forderungen ganz

" . . . praesentium labomm tuorum certamen cognovimus, ex quibus caelestis patriae ascensum humiliatis mentibus atque contritis corporibus vobis fiUurorum gaudiorum largienda sunt munera.

15 Nam cum sit nullae omnio comparationi coaequandum, quod a Creatore nostra pro nobis se-vitiis reconpensatur...

" Etwa Mt 18, 24; 25, 15. 17 Amandus selbst macht das in seinem Testament deutlich, in dem er die Grtlnde für sein

mühevolles Dasein als Missionar nennt: der amor Christi hängt mit der Sorge um das eigene Heil eng zusammen!

" Die abstrakte Vorstellung vom Guten, das es um seiner selbst willen zu erfüllen gilt, fehlt dieser religiösen Lohnethik vollkommen.

w Kurz und gering sind die Mühen, die der Gottesmann pro dilectione ipsius ( = Jesu) auf sich nimmt. Amandusbrief 453, 2 . 5.

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fremden Existenzformen nahegebracht werden, damit ein christliches Leben zu-stande kam? Dies war aber zu leisten bei steter Gefahr für das eigene Leben und in einer dauernden Ungewißheit des Erfolges, der doch mit dem missiona-rischen Selbst- und Weltverständnis wesentlich verbunden war. Was dem Kle-riker hier wie dort vor Augen schwebte, war der Lohn aller Mühen in ewiger Gemeinschaft mit Jesus und dessen Auserwählten. Darum paßten die trivialen Hinweise des Papstes sicherlich zu den Erwartungen eines verdrossenen und vielleicht manchmal verzweifelten Amandus. Was heute wenig differenziert oder mitfühlend scheint, war genau die richtige Methode, den asketischen Mis-sionar aufzurichten. Freilich mußte dieser seinen Zielwunsch auf ganz andere Art erreichen als der gleichgestimmte, aber mit christlichen Aufgaben anderen Inhalts befaßte Martin I.

Dem Verständnis des Papstes näher standen die Klagen des missionierenden Bischofs über die Feindschaft des landsässigen Klerus. Hier lagen Fälle kirchli-cher Insubordination vor, die sich mit kanonischen Bestimmungen definieren und beantworten ließen. Martin I. spricht von der duritia sacerdotum gentis illius, ferner vom Verzicht jener schlechten Kleriker auf die Mittel der Heilserlan-gung, indem sie den Dienst im Namen Christi verachten, und schließlich von deren sitdichem Verfall20.

Was die wenigen, kaum präzisen Worte des Briefes verraten, deutet auf Formen des Synkretismus, wie sie an der Grenze zu den heidnischen Friesen wiederholt vorgekommen sein werden. Amandus war ja ursprünglich in das Land westlich der Scheide aufgebrochen, weil er gehört hatte, daß dort schon Bekehrte vom Christentum wieder abgefallen seien. Die Schlauheit des Teufels hatte sie dazu gebracht, abermals Bäume oder hölzerne Idole anzubeten21. Die Aussichten dort neuerlich eine Wendung zum (unverfälschten) Christentum herbeizuführen, waren wenig günstig. Man hört, daß Amandus seinen Amts-bruder Acharius von Noyon darum anging, König Dagobert zu ersuchen, einen Taufbefehl für jene Gebiete zu erlassen. Ob diese Nachricht den Tatsachen ent-spricht und ob diesem Ansinnen stattgegeben wurde, ist ungewiß22. Amandus hatte es jedenfalls nicht leicht. Intrepide mußte er vorgehen, denn er geriet in Lebensgefahr, sah sich alltäglichen Feindseligkeiten ausgesetzt und war auf Nahrung angewiesen, die er mit den eigenen Händen zubereitete23. Die Ge-fährten, die germana can täte mit ihm ausgezogen waren, verließen ihn unter der-artigen Lebensbedingungen, die noch dazu wenig Bekehrungserfolg verspra-chen24. Doch Amandus ist ausdauernd. Er predigt, tauft, kauft Gefangene frei und ermuntert sie zu einem wahrhaft christlichen Leben. Hier arbeitete er auf dem gewohnten Feld, mit den zu erwartenden Schwierigkeiten, welche zu über-

20 ... tantum pro duritia sacerdotum gentis illius conterimur, quod postpositis salutis suae suf-fragiis, atque redemtoris nostri contempnendo servitia, vitiomm foederibus ingravantur.

» Vita I. c. 13. u Ebendon; Quod ita factum est. Doch ist die Sache unwahrscheinlich. Es wäre das ein-

zige Beispiel einer Zwangstaufe in merowingischer Zeit. " Dies ist ein Zeichen höchster Demut und für einen Bischof an sich undenkbar. Zu-

gleich könnte man in diesem Vorgehen aber auch eine Maßnahme gegen Vergiftung sehen! 24 Vita I. c. 13: Sie gingen weg ob inaediam vel sterilitatem loci.

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winden seine Aufgabe war. Als Krönung seiner Mühen erlangte er vielleicht sogar das Martyrium, das die unmittelbare Aufnahme in die Gegenwart Gottes und die Gleichstellung mit vielen, berühmten Heiligengestalten verbürgte.

Von diesen Dingen berichtete Amandus dem Papst wohl nur summarisch, ähnlich wie er diese Tätigkeit in seinem Testament rechtfertigte25. Jedenfalls ist im Antwortschreiben Martins I. davon nicht die Rede. Wirklich differenziert und ausführlich setzt sich der Papst mit der Feindseligkeit, der mangelnden Un-terstützung auseinander, Uber die Amandus recht geklagt haben mußte. Leider wissen wir nicht, welche Einzelheiten dieser in seinem Brief angeführt hat und wie sehr ihn jene Geistlichen in der Ausübung seiner Tätigkeit behindert haben. Aus seiner Vita erfährt man von seinen Visitationen, die in einer Diözese wie Maastricht mit offenen Grenzen zum Heidentum und dem Mangel eines er-probten, in ständiger Kontinuität gewachsenen civibu-Klerus immer auch mis-sionarischen Charakter trugen. In den Dörfern und castra lebten Geisdiche, die ohne Betreuung von festen chrisdichen Stützpunkten aus und ohne wirkliche Einbeziehung in die Diözesanorganisation Kompromisse mit der abergläubi-schen Bevölkerung des platten Landes schlossen. Ihnen trat ein landfremder Asket entgegen, der wahrscheinlich hohe sittliche und religiöse Forderungen stellte, wo doch schon elementare Grundsätze christlichen Kults und Lebens kaum einzuhalten waren! Man kann sich die Empörung, die Drohungen und Strafpredigten, die strengen Aktionen des heiligen Mannes vorstellen, dem jede synkretistische Erscheinung als Teufelswerk erscheinen mußte! Die verfallenen Kleriker aus ihrer trägen Anpassung aufzurütteln, hätte es eines Nachschubs an Geistlichen bedurft, der nicht möglich war. Hatten doch sogar die Mitarbeiter des Bischofs wenig Bereitschaft gezeigt, in diesem Land zu wirken. Die Priester und Diakone, die von Amandus beschuldigt werden, seine Predigten nicht hören zu wollen oder ihren Inhalt zu verachten, wußten aber um die geringen Möglichkeiten ihres Bischofs, hier eine grundsätzliche Änderung zu bewirken2 '. Im übrigen war Amandus ein romanischer Fremdling, der lateinisch predigte, was dem verwilderten Klerus genügend Verständnisschwierigkeiten bereiten mußte, und der sich wohl in der Volkssprache nicht verständlich machen konnte27. Der klerikale Widerstand wird wohl nicht mehr als passive Resistenz gewesen sein, die man mit Hilfe einer Verankerung im Lande und der geringen Machtmittel des Bischofs leicht aufrechtzuerhalten vermochte. Wirklich feind-selige Akte werden selten gewesen sein, schon weil sie ja besser geahndet werden konnten.

25 Er betont sein ruheloses Leben als Missionar, der zu vielen und fernen Völkern ge-zogen ist, propter amorem Christi seu verbo Dei adnuntiare vel baptismum tradere... Dazu Fritze (wie Anm. 70) 88 f. m. Anm. 41.

26 Vielleicht gehört das Ansuchen an Dagobert I., einen strengen Bekehrungsbefehl zu er-lassen (Vita I. c. 18), in diesen Zusammenhang, als Amandus seine faktische Machtlosigkeit und die Lage des flandrischen Klerus erwog. Dazu oben S. 88 m. Anm. 22.

" Gesagt wird das freilich nirgends. Doch wurde dergleichen dem eifrig predigenden Eli-gius von Noyon vorgeworfen; Vita Eligii episcopi Noviomagensis (MGH SS rer. Merov. 4, 1902) II 20. Beide waren Aquitanier, also für die Bewohner der Landstriche jenseits der Scheide Romani.

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Martin I. sieht die ganze Angelegenheit nicht so sehr als Behinderung der Arbeit des Amandus oder als offensichtlichen Nachteil für die Ausbreitung und Durchdringung des Christentums im Raum westlich der Scheide an. Die Pro-bleme des Bischofs von Maastricht verengen sich ihm zu bloßen Rechtsfragen. Für den Papst liegt hier der Verstoß gegen das pastorale obsequium vor, be-gangen von Klerikern, die post suas ordinationes in lapsum inquinanturM. Zu-gleich haben jene bewiesen, daß sie nicht zur beata perseverantia fähig wären. Hier besteht wieder ein Anknüpfungspunkt zu Amandus, dem ja eine solche Ausdauer im Hinblick auf den ewigen Lohn anempfohlen wird. Jenen lapsi ist die Tugend der patientia nicht zuteil geworden, sonst hätten sie in den Schwie-rigkeiten ihrer geistlichen Aufgaben nicht so bald den richtigen Weg verlassen. Ist es nicht ein Wink Gottes, daß Amandus diese unbeirrbare, fromme Ausdauer aus Liebe zu Christus dort zu beweisen die Gelegenheit erhält, wo er im Kampf mit diesen Gestrauchelten, den Nicht-Ausdauernden, um seinen Erfolg in der Glaubensverbreitung und -Vertiefung geprellt scheint? Mit dem Tadel, mit der harten Verurteilung jener lapsi ist zugleich die Aufforderung verwoben, als Bi-schof seine perseverantia zu beweisen, die einem Gott nahebringt. Das hat Jesus in seinem Leiden als freilich unerreichbares Vorbild gezeigt. In diesem Hinweis auf den Gottmenschen ist mit der Ermunterung auch ein Lob verborgen, das Amandus deutlich machen muß, wie groß der Abstand — ein wahrlich schauer-voller Abgrund — zwischen ihm und den flandrischen presbyten und diaconi ist. Amandus hat die Gelegenheit, Christus wahrhaft nachzufolgen; er muß nur wollen, und er gehört zu den Erwählten. Auch hier wird die Sorge um die christliche Bevölkerung, um die Ausbreitung des Christentums und dessen reinen Bestand gegenüber heidnischen Einflüssen letztlich zu einem Appell an das kämpferische Individuum. Es geht in diesem ganzen Fragenkomplex um das Seelenheil des Amandus. Das muß ihm Ansporn genug sein: sieht er sich doch im Gegensatz zu jedem einzelnen jener schlechten Kleriker, der post ordi-nationem suam quispiam in lapso cecidentauf der Seite der Gottesstreiter. Zu-gleich muß er aber erkennen, welche Gefahr, welchen Absturz ein Aufgeben seiner Tätigkeit für ihn bedeuten würde.

Für die lapsi gibt es keine Hoffnung. Sie werden vom Papst in aller Strenge als der Deposition würdig bezeichnet. Dazu erfolgt der Hinweis, daß sie in Hinkunft keinen Weihegrad mehr erlangen können, was ja mit dieser schweren Klerikerstrafe ipso iure verbunden ist10, vielleicht aber im Hinblick auf den ge-ringen geistlichen Nachwuchs ist jenen Randgebieten des Christentums einer besonderen Betonung bedurfte. Martin I. behandelt unter mehrfacher Erwäh-nung der statuta canonum den Fall der korrumpierten Kleriker recht ausführ-lich; leider abstrakt, theoretisch, ohne Einzelheiten aus den Beschwerden des Amandus mitzuteilen. Ob Amandus im päpstlichen Sinne Kirchenstrafen ver-hängte oder einfach vor den räumlichen und menschlichen Gegebenheiten kapi-

" Amandusbrief 453, Z. 14. " Ebendort 453, Z. 25. 30 Sofern es sich um eine deposiHo perfecta handelt. Diese bedingt neben dem unwieder-

bringlichen Verlust des Kirchenamtes auch den der daraus erfließenden Rechte und Einkünfte.

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tulieren mußte, wissen wir nicht. In seiner Vita wird das Problem der feindli-chen Geistlichen ganz anders und viel eindrucksvoller geregelt31. Während sich der Heilige mit seinen fratres spintuales auf eine Scheide-Insel zurückzog, wü-tete in jener Gegend eine plaga, die Mensch und Vieh hinraffte, alles veröden Heß, und so niemand mehr übrigblieb, qui virum Dei contempserant praedicantem. Gott selbst greift als Rächer seines verachteten Knechts ein und trifft gleicher-maßen Kleriker wie Laien32.

Der etwas größere Teil des Schreibens ist dem brennenden Anliegen des Papstes gewidmet. Martin I. befaßt sich darin mit dem Monotheletismus, der nach seinen Worten plus minus quindeam anni die orthodoxe Christenheit ge-fährdet. Im vergangenen Jahre 648 hatte Kaiser Konstans II. ein Glaubens-dekret, den Typos, erlassen, durch den jede christologische Diskussion bei Strafe verboten worden war. Damit sollten die Unruhen, die im Volk angesichts der verschiedenen Lehrmeinungen über den Willen Christi entstanden waren und politische Probleme aufwarfen, offiziell eingedämmt werden33. Nur die Heilige Schrift und die fünf ökumenischen Konzilien sollten in dieser Frage gelten. Insofern bedeutete der Typos eine kaiserliche Entscheidung, die die Un-lösbarkeit dieser diffizilen christologischen Fragen feststellte und an dieses We-spennest von Meinungen, Überlegungen, Widerlegungen und Rücksichten gar nicht rühren wollte. Der Typos sprach sich nicht für und nicht gegen den Monotheletismus aus, sondern postulierte gleichsam eine religiöse Indifferenz in den Streitfragen und mußte sich so die Feindschaft beider Parteien zu-ziehen34.

Papst Martin I. verfügte als ehemaliger Apokrisiar über eine ausgezeichnete Kenntnis des Willensproblems und der Protagonisten der verschiedenen Rich-tungen35. Das beweist er auch in seinem Schreiben an Amandus, in dem er diesen ausführlich über Entstehung und Entwicklung der monotheletischen Be-wegung unterrichtet34. Er beginnt mit dem Patriarchen Sergios von Konstanti-nopel, den er als falsus episcopus und Häretiker bezeichnet, der sich mit alten Irr-tümern beschmutzt habe37. Er übergeht dabei die Tatsache, daß Sergios zu-

» Vita I. c. 26. 32 Ebendort c. 25 berichtet vom trägen Ungehorsam des Mönches Chrodbald, der dafür

von Gott schwer bestraft wird. Amandus erwirkt die Wiederherstellung des Mönchs. Im Ge-gensatz zu seinem sonstigen Verhalten wird uns hier ein humorvoller Amandus gezeigt, der Verständnis für die menschlichen Schwächen hat.

33 Erich C a s p a r , Geschichte des Papsttums II (1933) 552ff. und Hans Georg Beck, Die frühbyzantische Kirche, in: Die Reichskirche nach Konstantin dem Großen (wie Anm. 3) 41; die politischen Voraussetzungen für die Entstehung des Monotheletismus bietet zusam-menfassend Georg O s t r o g o r s k y , Geschichte des byzantinischen Staates (Byzantin. Hand-buch 12 = Handbuch der Altertumswissenschaft XII, Abt. 1 2, J1963) 90 f.

34 Hans von S c h u b e r t , Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter (1921, Neudruck 1976) 233 ff.

35 Dazu Karl Baus , Innerkirchliches Leben bis zum Ausgang des 7. Jahrhunderts, in: Die Reichskirche nach Konstantin dem Großen (wie Anm. 3) 212.

34 Amandusbrief 454, Z. 16—455, Z. 10. 37 Credimus etenim ad vos pervenisse, quomodo in conturbatione rectae fidei et catholicae ec-

clesiae conculcatione ante hos plus minus quindecim annos a Sergio falsa episcopo Constantinopoli-

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nächst eher an einer Kompromißformel interessiert war, um die monophysiti-sche Spaltung endlich zu beseitigen, und daß ihm Papst Honorius I. dabei etwas voreilig zugestimmt hatte. Es wird auch der Mithilfe Kaiser Herakleios I. ge-dacht, der mit seiner Glaubensentscheidung, der Ekthesis, 638 den Monothele-tismus quasi amtlich anerkannt hatte3®. Auch der nächste Patriarch, Pyrrhos, neigte dieser Haltung zu, ja er verschlimmerte noch alles, wie sich Martin I. ausdrückt. Pyrrhos wird als exepiscopus charakterisiert3 ' und zugleich der Ehr-geiz, mit dem er das Amt des Patriarchen anstrebte, verworfen. Damit war für den Christen mit seiner Abscheu vor ambitio die negative Persönlichkeit des Pyrrhos klar umrissen. Dem asketischen Amandus, dem man zur Übernahme des Bistums Maastricht wirklich zwingen mußte, war damit ein innerer Wider-part geschaffen. Einem solchen Kirchenmann war nichts Gutes zuzutrauen, er mußte Amandus der Uberzeugung nach und damit auch die von jenem eifrig vertretene Lehre fern scheinen. Was der Papst bezweckte, die Ablehnung des Monotheletismus und seiner Vertreter, erreichte er so jenseits einer objektiven Beurteilung der strittigen Fragen. Unabhängig von der persönlichen Haltung des Amandus mußte der ambitiöse Pyrrhos an der städtearmen, wenig zivili-sierten Nordgrenze des Frankenreiches mit seiner nur bescheidenen Kommuni-kation brutaler, gröber wirken als innerhalb der Ämterhierarchien der Reichs-hauptstadt.

Der apostolische Stuhl, berichtet der Papst weiter und unterschlägt die Hil-feleistung des ungeschickten Honorius, habe in der Folgezeit nicht abgelassen zu argumentieren, zu ermähnen und zu schelten, damit die Anhänger jenes furchtbaren Irrtums zum lumen pietatis zurückkehren sollten. Dabei verwendet Martin I. für jene das Wort lapsi: ein Wort, mit welchem zuvor die Kleriker be-zeichnet worden sind, die Amandus feindselig gegenübergetreten waren, ihm das pastorale obsequium verweigert oder gar das noch junge Christentum Flan-derns heidnischen Einflüssen ausgesetzt hatten. Beide Male bedeuten die lapsi jene von der Lehre Abgefallenen. Amandus hätte kaum den theologischen Ge-danken, wie sie in der Ostkirche vertreten wurden, folgen können. Ein Abfall vom Christentum oder seinen wesendichen Grundsätzen konnte ihm nicht auf der Ebene philosophischer Diskussion verständlich sein. Hingegen wurden ihm

tano, in auxiiio habente tunc imperantem Heraclium, exsecranda et abominanda heresis pullulavit, Apollinaristarum et Severianorum, Eutychianistarum atque Manicheomm errorem renovantem.. .

" Mit der Ekthesis trachtete man die Problematik der in Christus wirksamen 'ενέργεια zu überwinden. Das θέλημα wurde als aktuelles Wollen aufgefaßt, wogegen die Orthodoxie keinen Einwand hätte erheben können. Diese interpretierte βέλημα aber als theoretisches Ver-mögen, was als Monophysitismus in neuem Gewand erscheinen mußte. Im Westen kam dazu noch die mangelhafte Übersetzung des Begriffs mit voluntas. Es handelte sich also zunächst ei-gentlich um ein terminologisches und nicht ein theologisches Problem. Siehe dazu Beck (wie Anm. 33) 40f. und Arnold A n g e n e n d t , Das Frtthmittelalter. Die abendländische Christen-heit von 400 bis 900 (1990) 251.

M Pyrrhos mußte 641 aus Konstantinopel flüchten und schien nach der Disputation mit Maximos Confessor für die Orthodoxie gewonnen. Die Bezeichnung exepiscopus trifft die tat-sächlichen Verhältnisse. Doch schwenkte Pyrrhos opportunistisch später wieder zur alten Linie zurück und errang nach dem Tod von Paulos II. ( t 653) nochmals kurz das Amt des Pa-triarchen.

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die Verbrechen der Konstantinopolitaner Patriarchen sofort deutlich, wenn er die elementaren Verstöße des flandrischen Klerus bedachte, die dieser gegen Kult, äußere Form und Lebensstil des Christentums beging. Hier darf man nicht an eine bewußte, raffinierte Wortwahl der päpstlichen Kanzlei denken, sondern kann klar sehen, wie die christliche Terminologie mit verschiedenen Inhalten erfüllt werden konnte. Diese wurzelten nicht in theologischen Grund-sätzen, sondern waren bedingt durch gesellschafdiche, politische und kulturelle Unterschiede, welche ein vorgeblich gemeinsames Christentum zuzudecken schien.

Als Gipfel monotheletischer Umtriebe erscheint nun das Wirken des Pa-triarchen Paulos II., eines temerator fidei, exepiscopus Constantinopolitanus. Er erwirkte mit teuflischer Schlauheit von Kaiser Konstans II. jenen unheilvollen Typos, der zwar die Ekthesis aufhob, aber ein non liquet in Glaubensfragen konstatierte, was ganz und gar nicht im Sinne der Orthodoxie war. Martin I. betont ausdrücklich, wie der Patriarch den frommen Kaiser zu diesem verhäng-nisvollen Dekret überredete, sacnlego ausu totius plenum peifidiae*0. Damit war das katholische Dogma vernichtet worden, wie es im Liber Pontificalis heißt, in dem Paulos II. als von Hochmut aufgeblasen und als Feind des wahren Glau-bens charakterisiert wird41. Diese Formulierung wird im Papstbrief nicht ver-wendet: Hier ist alles auf die Überlistung des Kaisers abgestellt. Intellektueller Hochmut, Urteilsfähigkeit über die Richtigkeit einer Lehre lag Amandus schon vom Verständnis her ziemlich fern. Er hatte sich um die Rahmenbedingungen eines christlichen Lebens in einer wenig günstigen Umgebung zu sorgen. Su-perbia war zwar die jedem Kleriker bekannte UrsUnde Luzifers, doch hatte der Begriff in der germanischen Welt einen wesentlich anderen Sinn, der durchaus positiv verstanden wurde.

Auf den ersten Blick überraschend ist die Bezeichnung des Kaisers als cle-mentissimus princeps noster42, dem schon dadurch die Verantwortung für das fa-tale Dekret nahezu genommen wird. Diese Stelle des Briefes kann als Be-kenntnis des Papstes gesehen werden: er ist loyaler Reichsuntertan! Wenn Kon-stans II. auch den Typos erlassen hat, so doch nur auf Zureden des bösen Ratgebers Paulos! Was als altgebrauchter Topos wirkt, ist durchaus die Über-zeugung Martins I. Der Kaiser ist fromm und rechtgläubig, er ist vom Feind aller Orthodoxen getäuscht worden. Dieser aber trägt die Schuld, wenn das christliche Volk mit staatlicher Gewalt in die Irre geführt werden soll! Daß dem Papsttum auch wirklich ein empfindlicher Schlag zugefügt wurde, verschweigt Martin I. So war dem gegen den Typos protestierenden Apokrisiar der Altar im Placidien-Palast in Konstantinopel zerstört und damit die Meßfeier unmöglich gemacht worden43. Der Papst will aber keinen Eindruck der Niederlage er-

40 Amandusbrief 455, Z. 9; Paulos II. wird allerdings zu Unrecht als exepiscopus be-zeichnet.

41 Le Liber Pontificalis (ed. L. Duchesne, Paris 1886) 336. 42 Wörtlich gleich im Liber pontificalis 336! 43 Es kam zu noch anderen Gewaltmaßnahmen gegen die Typos-Gegner unter dem römi-

schen Klerus in Konstantinopel. Manche Geistliche wurden gegeißelt, andere in die Verban-nung geschickt.

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wecken, er setzt nicht auf die Empörung einer westlichen Christenheit, sondern er möchte sich in strahlender Vollgewalt zeigen, bereit zur Durchsetzung seiner Lehrmeinung, unangefochten vom verbrecherischen Treiben der Häretiker, die er vor seinen Richtstuhl fordert.

Die Stellung Martins I. zum Kaiser ist sehr wechselhaft gewesen44. Zur Zeit des Amandus-Briefes, als die Lateransynode schon vorüber war, dürfte es via facti eine Krise in dieser Beziehung gegeben haben. So schickte der Papst die Akten der römischen Versammlung an den Hof nach Konstantinopel, um die Zustimmung des Kaisers zur Verurteilung des Monotheletismus zu erhalten. Zugleich war Martin I. aber bewußt, daß er Konstans II. brüskiert hatte, als er sich konsekrieren ließ und dann hastig die Synode einberief, ohne die kaiser-liche Bestätigung seiner Wahl abzuwarten. Der Kaiser empfand das als deutli-chen Affront, der vor allem gegen den Typos gerichtet war. Noch während der Synode erschien der Exarch Olympios in Rom mit sehr genauen Instruktionen: So sollte der gesamte italische Klerus bis zum Weihegrad des Presbyters den Typos unterschreiben und Martin, der „gewesene Apokrisiar", verhaftet werden45; freilich war das letztere Vorhaben vom Verhalten der römischen Miliz abhängig. Olympios aber nützte die gespaltene Lage für sich zugunsten eines usurpatorischen Abenteuers, wozu ihm das fragwürdige italische Militär beste Dienste leistete. Der Papst hat dagegen nichts unternommen, was seiner im Brief an Amandus demonstrierten Loyalität zum Kaiser widersprach. Auf lange Sicht mußte die Usurpation des Exarchen als passable Lösung der politi-schen Schwierigkeiten erscheinen, da die Ablehnung der Synodalentscheidung durch Konstans II. und dessen Beharren auf den Regelungen des Typos zu-sammen mit den Unregelmäßigkeiten bei Erhebung und Weihe des Papstes für Martin I. eine ernsthafte Gefährdung darstellte. Dieses Verhalten führte ja auch nach dem Tod des Olympios zur Verhaftung des Papstes im Jahre 653, zu seinem Transport nach Konstantinopel, wo er nach einem Hochverratsprozeß verbannt wurde4*.

Der Liber Pontificalis kleidet den Gesinnungswandel des Olympios (und auch Martins?) in eine Wundergeschichte47. Als der Exarch gesehen habe, daß er den Papst nicht gefangennehmen könne, habe er geplant, diesen heimlich er-morden zu lassen. Während der Kommunionspendung in der Kirche Santa Maria ad Praesepe (heute: Maggiore) sollte ihn sein Spatarius niederstoßen. Der Mordplan scheiterte daran, daß der mit der Tat Beauftragte im entschei-denden Augenblick mit Blindheit geschlagen wurde. So mußte Olympios ein-sehen, daß Gott solitus est servos suos ortbodoxos circumtegere et ab omni malo enpere**. Daher zeigte er dem Papst sein Vorhaben an und schloß mit ihm

44 Siehe dazu Wilhelm P e i t z , Martin I. und Maximus Confessor. Beiträge zur Ge-schichte des Monotheletenstreites, in: Historisches Jahrbuch 38 (1917) 220 ff.; dagegen Caspar (wie Anm. 33) 565 ff.

45 Vgl. Ostrogorsky (wie Anm. 33) 99 f. 44 Vgl. Schubert (wie Anm. 34) 237 und Caspar (wie Anm. 33) 565 ff. 47 Lib. Pont. 337 f. " Ebendort 338, Z. 5.

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Frieden, um sich den Sarazenen in Sizilien zuzuwenden44. Das entscheidende Wort bei dieser Schilderung ist ortbodoxus. Der Hagiograph will zeigen, daß Gott den Papst als Haupt der Orthodoxie gegen die finsteren Ränke der Häre-tiker in Schutz nimmt. Damit ist aber auch klar erwiesen, auf welcher Seite die richtige Glaubensform zu finden war: Gott selbst hatte sich gegen die Mono-theleten oder auch die Anhänger und Vollzieher des Typos ausgesprochen. Die Verhinderung des Mordes kam Uber das eigentliche Geschehen hinaus einer göttlichen Entscheidung im christologischen Streit gleich.

Mitten in der ungeklärten Auseinandersetzung mit Olympios ist der Brief an Amandus geschrieben worden. Doch spiegelt sich das politische Geschehen in Rom darin nicht wider: Der clementissimus princeps Konstans II. steht als ein vom schurkischen Patriarchen Verführter da, von dem jetzt mit Sicherheit ein Konsens in der Monotheletenfrage erwartet wird. Amandus mußte einen nach-haltigen Eindruck von einem mächtigen, orthodoxen Papsttum bekommen, das Herr der Lage ist und die Irrtümer der Zeit anprangert und verdammt.

Aus dieser machtvollen Stellung des Papstes erwächst aber auch die Verant-wortung für die Christen. Er muß darauf achten, daß die Seelen keinen Schaden nehmen, und darf sich in Glaubensfragen keine Nachlässigkeit er-lauben50. Dieser universale Anspruch war im Westen nicht bestritten — wenn auch ohne viel praktische Bedeutung —, so konnte Amandus darüber keine Zweifel hegen: anders hätte er ja keinen Boten nach Rom gesandt, um über sein Bischofsamt anfragen zu lassen. Im chrisdichen Osten dachte man jedoch über die Universalität des Bischofs von Rom wesentlich flexibler. Das änderte sich auch nicht, als die monophysitischen Hochburgen in Syrien und Ägypten an den Islam verlorengingen. Für das byzantinische Kaisertum war der Papst der Patriarch des Westens, dem man unter den Patriarchen zwar die erste Stelle zu-billigte, der aber als Reichsuntertan den religionspolitischen Entscheidungen des Basileus unterworfen war. Christologische Probleme konnten grundsätzlich diskutiert werden, die römische Meinung wurde regelmäßig besonders hoch ge-achtet, doch konnten kaiserliche Entscheidungen in Religionsfragen nicht gleichsam durch offizielle kirchliche Akte, wie die Entscheidungen einer Synode (die noch dazu wenig über den römischen Provinzialbereich hinaus-reichte) aufgehoben und als Irrtum verdammt werden.

Martin I. stellt im Brief an Amandus auf die Pflicht des Papstes zur Vermeidung der detümenta animarum ab; damit berief er sich aber auf Be-reiche, die zwischen menschlicher und götdicher Sphäre lagen und mit der Kirchenpolitik eines Konstans II. nichts zu tun hatten. Das war ein Schritt, dem die Vertreter des stark von weltlichen Interessen bestimmten byzantini-schen Staatskirchentums nicht zu folgen vermochten, der aber dem jungen, kaum juristisch-philosophisch unterbauten Christentum der germanischen

" Es heißt von Olympios: Qui facta pace cum sancta Dei ecclesia... Das kann verschieden beurteilt werden. Duchesne, Lib. Pont, (wie Anm. 41) 339 Anm. 10 sieht darin nur eine Art Zeitbestimmung des Zuges gegen die Sarazenen; Caspar (wie Anm. 33) 567 f. vermutet eine zu-mindest wohlwollende Haltung Martins I. zum Putsch des Exarchen.

50 Deutlich ausgesprochen im Amandusbrief 455, Z. 10—12.

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regna entgegenkam: vor allem unter dem Einfluß der bilderreichen, chaoti-schen irischen Spiritualität, eines verbreiteten Petruskultes und vor dem Hintergrund einer Mentalität, der die Grenzen von Diesseits und Jenseits verschwammen.

So war der Papst zur Einberufung einer Synode geradezu verpflichtet. Man muß diese als eine überwiegend römische, dann italische Synode bezeichnen, wenn auch vereinzelt Vertreter der afrikanischen Kirche und Griechen, die dem Monotheletismus und dem Typos gleichermaßen fernstanden, zugegen waren. An Metropoliten nahmen neben dem Papst nur Maximus von (Aquileja-) Grado und Deusdedit von Cagliari teil. Bischöfe aus dem langobardischen Oberitalien fehlten ebenso wie außeritalienische Westeuropas51. Der Verlauf der Sitzungen zeigt die Dominanz des Papstes, demgegenüber nur die Metropoliten einiges Gewicht erlangten, während die übrigen Bischöfe nur summarisch wirkten". Hingegen darf man den Einfluß der griechischen Mönche nicht gering schätzen; sie trugen Wesentliches zur Erweiterung des theologischen Horizonts der Synode bei und waren an der Formulierung der anathematischen Kanones hervorragend beteiligt". Sie fußten dabei auf den Thesen des großen Maximos Confessor, die dieser entwickelt hatte, als er 645 in Karthago den aus Konstan-tinopel geflohenen Patriarchen Pyrrhos im Disput widerlegte. Daß man also die bösen Irrtümer uno ore, unoque spiritu verurteilt habe, durfte der Papst in seinem Schreiben zurecht behaupten, wenn auch der Anstoß dazu nur von we-nigen gekommen war54. Die Ergebnisse, noch mehr die Ansprüche, die man daraus ableitete, hatten ökumenischen Charakter. Der Papst reihte seine Synode gleichberechtigt an die fünf großen Konzilien: hatte doch darauf die Verurteilung sämtlicher Patriarchen von Konstantinopel seit Sergios stattge-funden und waren außerdem zwei kaiserliche Dekrete (Ekthesis, Typos) ver-dammt worden55. Kirchenrechtlich freilich war die Lateransynode von 649 kein ökumenisches Konzil, sondern nur eine erweiterte Provinzialsynode. Ihre Akten, die der ganzen Christenheit verbindlich sein sollten, gelangten auch nur vereinzelt und indirekt in den Osten, manche blieben in Afrika54. Die Welle isla-mischer Eroberungen erschwerte die Expedition noch weit über die byzantini-

S1 Doch ließ König Rothari, obwohl selbst Arianer, die Bischöfe seines toskanischen Herrschaftsbereiches nach Rom ziehen. Siehe dazu unten S. 100 mit Anm. 74.

" Vgl. Erich C a s p a r , Die Lateransynode von 649, in: Zeitschrift f. Kirchengeschichte 51 (1932) 75 ff.

" Doch Ubertreibt Ostrogorsky (wie Anm. 33) 99, wenn er die Synode als vollkommen von den Griechen beherrscht ansieht.

54 Über den Ablauf der Synode ausführlich Caspar (wie Anm. 52) passim, sowie ders. (wie Anm. 33) 554ff. und Franz Xaver S e p p e l t , Geschichte der Päpste II: Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter. Von Gregor d. Gr. bis zur Mitte des 11. Jahr-hunderts (M955) 61 ff.

55 Auch Maximos Confessor sprach unter Einbeziehung der Lateransynode von den hei-ligen s e c h s Synoden, die den wahren Glauben definiert hätten; vgl. Migne, PG 91, 137ff. und Caspar (wie Anm. 33) 559.

54 Der Lib. Pont. 337 spricht davon, daß der Papst die Akten der Synode per omnes tractos Orientis et Occidentis direxit.. .

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sehen religionspolitischen Hindernisse und die Romfeindschaft monotheleti-scher Kreise hinaus*7.

Für die Verbreitung sorgte der Papst nach eigenen Worten durch die Bei-gabe einer Enzyklika. Unde praevidimus Volumina gestomm synodalium in pra-esenti vobis dirigere una cum incyclia nostra, ex quorum sene omnia subtiliter pote-stis addiscere et tenebras illorum nobiscum ut filii Iuris extingueres*. Doch ist im Westen außer der an Amandus gerichteten Sendung kein weiteres Exemplar davon bekanntgeworden. Man wird annehmen dürfen, daß der lator des Bi-schofs Akten, Enzyklika und Brief aus Rom Uberbrachte und dadurch wert-volles Quellenmaterial erhalten blieb. Man gewinnt den Eindruck, daß nur durch diese Präsenz eines Gesandten der Verkehr zwischen Rom und der frän-kischen Kirche hergestellt wurde, den es im 7. Jahrhundert im übrigen kaum ge-geben hat". Ob die Ungunst der Überlieferung uns vielleicht den Blick auf eine ganz andere Realität verstellt, ist viel diskutiert worden40. Eine Entfremdung hatte gewiß stattgefunden, und es ist ja nicht zu leugnen, daß das Papsttum nach dem Tode Gregors des Großen (f 604) eine Phase enger Bindung an den byzantinischen Staat erlebte. Der Papst verstand sich als universaler Patriarch eines römischen Reiches. Der Blick der Kirche von Rom war vorwiegend in den Osten gerichtet. Die theologische Diskussion um die brennenden christologi-schen Fragen machte deutlich, daß man sich in Rom in einer Randposition be-fand und eine weit geringere intellektuelle Substanz aufweisen konnte als der hellenisierte Osten, aber auch das lateinische Nordafrika. Die Schwierigkeiten für Rom bestanden in dieser Position am Schnittpunkt von spirituellem und barbarischem Christentum; es wollte seine Fuhrerstellung innerhalb der latei-nisch-griechischen Ökumene bewahren und zugleich auf den gregorianischen Wegen zur Eroberung christlichen Neulands voranschreiten. Die Ausbildung verschiedener, sehr geschlossen wirkender Reichskirchen wurde durch die Ver-nachlässigung des europäischen Westens begünstigt. Im 7. Jahrhundert gingen wichtige Gebiete für das Christentum im Osten verloren, während der Westen organisatorisch noch auf einer recht bescheidenen Stufe stand und theologische Probleme nur passiv aufgenommen, aber nicht verarbeitet werden konnten. Für Rom entstand aus diesen Differenzen von festgehaltenem Anspruch und Rea-lität ein Problem, das die eigene Stellung immer schwieriger machen sollte, zu-nächst aber kaum wahrgenommen wurde.

Aus Martins Brief, noch mehr aus der beigegebenen Enzyklika gewinnt man den Eindruck, daß das Papsttum für Ost und West von zentraler, einzigartiger Bedeutung sei. Dabei waren die Möglichkeiten zur Verbreitung päpstlicher oder synodaler Lehrentscheidungen schon auf ein geringes Maß geschrumpft. Im Osten waren über alle innerchristlichen Gegensätze die Eroberungen der Araber hinderlich, im Westen scheiterten sie überwiegend an der mangelnden

" Caspar (wie Anm. 52) 126 ff. " Amandusbrief 455, Z. 16—456, Ζ. 1. " Caspar (wie Anm. 33) 560. 40 Ewig (wie Anm. 3) 109 m. Anm. 17. Die von ihm als Gegenbeweis angeführten Wall-

fahrten zu den Apostelgräbern werden aber erst im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts deutlich.

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Kommunikation während des 7. Jahrhunderts, zweifellos aber auch an man-gelndem theologischen Interesse". Die Enzyklika, von der nur das fü r Amandus bestimmte Exemplar Uberliefert ist*2, konnte freilich in dem nur wenig spirituellen Christentum Europas als Zusammenfassung der Synodalentschei-dungen, aber auch als Einfuhrung in dem ganzen Problemkomplex des Mono-theletismus dienen. Dessen Entwicklung wird dargelegt, die Verfehlungen seiner Vertreter mit Bibel- und Väterstellen klargestellt, wobei die Paulusbriefe besonders eifrig herangezogen werden. Zuletzt löst sich die Enzyklika fast zur Gänze in eine Zitatenkompilation auf. Ob Bischöfe und Kleriker vom Typ eines Amandus hier Subtilitäten in der theologischen Beweisführung lernen konnten, mit denen die monotheletischen Irrtümer sofort zu entlarven waren61, mag da-hingestellt sein. Die Kenntnis von Bibelstellen wurde auch in dem bildungs-mäßig so bescheidenen 7. Jahrhundert dem angehenden Kleriker (vor allem vom Diakon an) zur Voraussetzung gemacht. Dessen eigene, spärliche Argu-mente speisten sich ausschließlich aus dieser frühen Lernerfahrung. Apostel-briefe wurden schon seltener herangezogen, und markante Zitate aus patristi-scher Literatur gehörten kaum zum Standardrepertoire klerikalen Wissens im europäischen 7. Jahrhundert. Der Benutzer der Enzyklika konnte daher über deren eigentlichen Zweck hinaus aus ihr eine knappe Blutenlese wichtiger christlicher Texte gewinnen. Die F i n s t e r n i s , die von der ostkirchlichen Hä-resie verbreitet wurde, war daraus erkennbar, und es wurde dem Leser leicht ge-macht — durch einfache Zustimmung zur Entscheidung der Lateransynode von 649 —, sich zu den S ö h n e n d e s L i c h t s zu zählen64.

Martin I. dürfte die Schwierigkeiten, die der Annahme der Synodalergeb-nisse im Osten entgegenstanden, bei allem zur Schau getragenen päpstlichen Selbstbewußtsein geahnt haben. Umso mehr war ihm daran gelegen, die west-liche Kirche zu einer Einheitsfront zu formieren45. Dazu bedurfte es aber mehr als der passiven Entgegennahme der Synodalakten, wobei in vielen Fällen nicht einmal das sicher sein konnte. Die christologische Problematik sollte auf Grundlage der in der Enzyklika mitgeteilten Fakten diskutiert und schließlich die Ergebnisse des Lateranense feierlich bestätigt werden. Das geht aus dem Schreiben an Amandus eindeutig hervor. Freilich läßt gerade die betreffende Formulierung66 den Zweifel wach werden, ob an andere fränkische Bischöfe eine solche Aufforderung überhaupt gerichtet wurde. Amandus war ja im Aufbau der fränkischen Kirche, als Bischof einer an der Heidengrenze gele-genen, wenig repräsentativen civitas, sicher nicht die erste Anlaufstelle für der-

" Schubert (wie Anm. 34) 236. " Migne, PL 87, 119 ff. Hier verwendet Martin I. die Intitulatio Gregors d. Gr. mit

umständlichen Ergänzungen: Martinus servus servorum Dei, atque per gratiam eius episcopus San-ctae catholicae atque apostolicae Ecclesiae urbis Romae,... Dem entspricht auch die griechische Parallelübersetzung.

" . .. una cum incyclia nostra, ex quorum serie omnia subtiliter potestis addiscere... M Amandusbrief 455, Z. 18—456, Ζ. 1: . . . et tenebras illorum nobiscum ut filii lucis

extinguere. " Seppelt (wie Anm. 54) 63 f. 44 Amandusbrief 456, Ζ. 1: Idcirco studeat fratemitas tua omnibus eadem innotescere...

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artige päpstliche Forderungen. Es will scheinen, als ob der Zufall dafür ent-scheidend war. Die alten Nahebeziehungen Roms zu den bedeutenden Metro-polen Arles, Lyon oder Vienne hätten sich für eine solche Übermitdung päpstli-cher Vorhaben weit eher angeboten67. Vielleicht hoffte man, über Amandus den austrasischen König zu erreichen oder war einfach damit zufrieden, durch dessen Boten den unmittelbaren Zugang zum fernen fränkischen Episkopat zu erhalten. Weitere Spekulationen sind müßig, doch bleibt die Tatsache merk-würdig und läßt die Kommunikation zwischen Rom und fränkischer Kirche in wenig günstigem Licht erscheinen. Alles in allem wäre deren Episkopat in der Sache selbst weit überfordert gewesen, und es scheint fraglich, ob selbst eine formale Bekräftigung der römischen Entscheidung zustande gekommen wäre. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts hatten die Reichssynoden längst aufgehört, und Provinzialversammlungen waren äußerst selten geworden4*. Die Kirche war dem engeren Zusammengehörigkeitsgefühl der einzelnen Teilbereiche ge-folgt, was auch eine stärkere Abgrenzung nach außen bedingte. In Burgund ge-hörte der durch führende Adelige repräsentierte Episkopat zu den Vorkäm-pfern einer Unabhängigkeit von der merowingischen Herrschaft4'.

Amandus war als Adressat von Wünschen, die auf reichsweite Kirchenver-sammlungen zielten, obendrein durch seine schwierige Persönlichkeit wenig ge-eignet. Der unruhig umherreisende Asket, dem Gemeinschaft, selbst eine reli-giöse, im Innersten stets fremd und unbequem blieb, läßt sich schwerlich als Initiator fränkischer Reichssynoden vorstellen, noch weniger als beredtes Sprachrohr des Papstes in christologischen Fragen70. Papst Martin I. dachte in den Kategorien einer auf den traditionellen Organisationsformen gegründeten Kirche der griechisch-römischen Welt. Die unsicheren Verhältnisse einer christ-lichen Kirche, die sich mit ganz anderen Lebens- und Denkformen auseinan-dersetzen mußte, die in ihrer Existenz oft bedroht war und sich sehr oft auf ein-zelne, unkonventionelle Vorkämpfer beschränkte, dürften ihm kaum bewußt gewesen sein.

Doch König Sigibert III. konnte man über Amandus erreichen. Dieser hatte sich seinerzeit nach langem Hin und Her, nach mühsamer Überwindung seiner

" Arles hatte seit dem 5. Jahrhundert eine vikariatähnliche Stellung, seit 514 war diese nach Streitigkeiten mit Vienne endgültig und vom Papst autorisiert. Zu den Prärogativen zählte dabei auch die Einberufung von Synoden für ganz Gallien. Das päpstliche Vikariat von Arles wurde noch wiederholt bestätigt und nie offiziell aufgehoben, doch machte der Aufstieg Lyons zur führenden Metropole im 7. Jahrhundert die Position von Arles in dieser Hinsicht obsolet. Doch erreichte auch Lyon den Norden und Osten des Frankenreichs als kirchlicher Machtfaktor nicht mehr.

M Dazu Eugen Ewig, Beobachtungen zu den Bischofslisten der merowingischen Konzi-lien und Bischofsprivilegien, in: Landschaft und Geschichte. Festschrift f. Franz Petri (1970) 171 ff.

" Eugen Ewig, Die fränkischen Teilreiche im 7. Jahrhundert (613—714), in: ders . , Spätantikes und fränkisches Gallien 1 (Beihefte der Francia 3/1, 1976) 172 ff., bes. 201 ff.

70 John M. W a l l a c e - H a d r i l l , The Frankish Church (Oxford 1983) 72 meint, daß Amandus gleichermaßen auch bei Hofe wirksam gewesen sei. Doch zeigt sich in der Auseinan-dersetzung mit König Dagobert I. erst recht seine geringe Verträglichkeit. Vgl. dazu die Auf-fassung von Wolfgang H. F r i t z e , Universalis gentium confessio, in: Frühmittelalterliche Stu-dien 3 (1969) 89 ff.

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Ablehnung des merowingischen Hofes bereitgefunden, die Patenschaft für jenen Sohn Dagoberts I. zu übernehmen71. Der austrasische Teilherrscher, der wenig persönliches Profil besaß, hätte sich kirchenpolitischen Vorschlägen seines geistlichen Vaters sicher nicht verschlossen. Doch war es wenig wahr-scheinlich, daß Sigibert am Pariser Hof seines Halbbruders Chlodwig II. und bei dessen weit bedeutenderer Gemahlin Balthild viel Einfluß gehabt hätte. Im ganzen gesehen war ein Gespann Sigibert-Amandus für das Zustandebringen einer fränkischen Reichssynode zur machtvollen Unterstützung der christologi-schen Entscheidungen, wie sie Papst und Synode in Rom 649 gefällt hatten, recht fragwürdig.

Des weiteren ersucht der Papst in seinem Brief, auf den König einzuwirken, daß dieser praecellentissimus filius noster71 geeignete Bischöfe nach Rom sende, die von dort aus mit einer päpsdichen Delegation nach Konstantinopel Weiter-reisen sollten. Dort hätten Synodalentscheidung und fränkische Zustimmung Konstans II. zum Einlenken und zum Abgehen von den Bestimmungen des Typos bewegen sollen. Martin I. wollte sich damit auch eine Art politische Rük-kendeckung verschaffen, um seine Position gegenüber dem Kaiser zu verbes-sern und sie nicht nur auf die Überzeugungskraft der durch Gott geleiteten Or-thodoxie gründen. Der Papst wollte die fränkische Kirche zu einer geballten und weitreichenden Aktion bringen, die der westlichen Kirche höheres An-sehen, ihrem Patriarchen aber ein so notwendiges politisches Gewicht verleihen sollte. Martins Ansinnen blieb in einer politisch unübersichdichen Zeit und bei der mangelhaften Kenntnis der transalpinen Situation des Christentums er-folglos. Daß Martin nicht versuchte, die spanisch-westgotische Kirche für die Verurteilung des Monotheletismus und zu einer gemeinsamen Aktion zu ge-winnen, bleibt bemerkenswert73. Nach den katholischen Triumphen der isidori-schen Epoche scheint die Entwicklung einer Einheitsreligion auf iberischem Boden schnell zu einer selbstgenügsamen Abkapselung nach außen geführt zu haben. Die traditionellere, in vielem spätantik wirkende Kirche mit ihrer im Vergleich zum Frankenreich ungleich höheren Spiritualität konnte auf diese Weise für das Papsttum nicht fruchtbar werden. Bei den 649 noch arianisch do-minierten Langobarden scheint der Papst sich mit der Tatsache zufrieden ge-geben zu haben, daß König Rothari den toskanischen Bischöfen die Teilnahme an der Lateransynode gestattete74. So ist eine gewissen Isolation des Papsttums außerhalb Mittel- und Süditaliens (und für wenige Jahre noch Afrikas) in Ost und West nicht zu übersehen.

Es blieb also nur die fränkische Kirche, zu der sich durch den Gesandten des Amandus ein Weg eröffnete. Die erhoffte Unterstützung blieb aber aus. Daß Martin I. in den folgenden Jahren auf die Erfüllung seines Wunsches nicht mehr zurückkommt, kann an der lückenhaften Überlieferung Hegen. Doch wird

71 Vita I. c. 17. 72 Es ist in dem Zusammenhang der religionspolitischen Lage interessant, daß der Papst

den fränkischen König als Sohn bezeichnet, nicht aber den Kaiser Konstans II.! 75 Hermann Josef V o g t , Innerkirchliches Leben bis zum Ausgang des 7. Jahrhunderts

(wie Anm. 35) 290. 74 Ewig (wie Anm. 3) 158; dazu auch oben S. 96 m. Anm. 51.

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Griechisches — lateinisches — fränkisches Christentum 101

man eher annehmen, die Lage in Italien unter dem Usurpator Olympios habe den Papst bewogen, auf die mühselige und wenig aussichtsreiche Aktivierung der fränkischen Kirche zu verzichten. Der Kaiser würde von sich aus einen Zu-gang zu Martin I. suchen müssen, was der Entscheidung über die Glaubens-formel zugute kommen sollte.

Einen fernen Widerschein der päpstlichen Forderung findet man in der Vita des Bischofs Eligius von Noyon75. Darin wird von einem Papstbrief berichtet, in dem der fränkische König ersucht wird, si essent in regno eius viri catholici eru-diti, hos sibi ( = dem Papst) adminiculum ob eresim conprimendam faceret disti-nari. Eligius und sein jüngerer Freund Audoin hätten diese Aufgabe gern über-nommen, doch wären sie durch quaedam causa daran verhindert worden76. Im übrigen wird das fernere, unglückliche Schicksal Papst Martins I. geschildert7'. Später sei es zu einem sacerdotale concilium in Orl£ans gekommen, auf dem man sich den Umtrieben eines Häretikers widmen mußte. Dieser stammte transma-rinis partibus und hatte sich in Autun niedergelassen. Seine nefanda dogmata wären Eligius, der in diesen Dingen sehr hellhörig war, aufgefallen. Zusammen mit Audoin hätte sich Eligius entschlossen, den König um die Einberufung einer Synode zu bitten. Dort wäre der Häretiker entlarvt und aus Gallien ausge-wiesen worden. Später habe Eligius auch in Paris Apostaten vertrieben. Es ist charakteristisch für die Ansicht westlicher Kleriker, wenn sie häretische Lehr-meinungen im 7. Jahrhundert als versutiae und diversae artes bezeichnen. Der Häretiker gelangt dadurch auf eine Ebene mit Betrügern, Spitzbuben und Roß-täuschern; auch ein zauberisches Element ist bei ihrer Beschreibung nicht zu übersehen. Diese Häretiker fuhren das einfache Volk in die Irre, sie suchen sich in der Auseinandersetzung mit orthodoxen Klerikern zu verstellen oder geben sich auf dem platten Lande als Bischöfe aus, um materielle Vorteile daraus zu ziehen. Unter diesen Voraussetzungen ist leicht einzusehen, daß man in der fränkischen Kirche keine Ahnung von der Problematik terminologischer Fein-heiten, von der Geschliffenheit philosophischer Diskussion um höchste Ab-strakta haben konnte. Häresie war hier etwas weit Handfesteres: es war Betrug mit Hilfe religiöser Elemente oder auch magischer Methoden, ausgeführt oft von Leuten, deren Bibelkenntnis eher bescheiden war. Wenn bei Eligius lobend hervorgehoben wird, daß er im Studium der Heiligen Schrift von äußerster Sub-tilität und überhaupt in diesen Dingen wohlunterrichtet war, so bezieht sich das eben auf die Bibelfestigkeit. Damit konnte er plumpe Abweichungen in Ritus und Gebet sofort erkennen. Ein Theologisieren im Sinne des hellenischen Chri-

75 Ed. Bruno Krusch (unvollständig, wie Anm. 27) I 33—36. " Es heißt im Text nur Eligius cum sodak, doch darf im Zusammenhang des Inhalts und

bei der engen Verbindung zu Audoin wohl an diesen gedacht werden. Im Übrigen ist es bemer-kenswert, daß es sich um die Zeit vor der Bischofserhebung der beiden handelt. Man traute so heiligen Männern also schon als einflußreichen merowingischen Hofbeamten (und Laien!) einen kenntnisreichen Kampf gegen die ostkirchlichen Häresien zu!

" Dabei beruft sich der Hagiograph — wahrscheinlich Audoin — auf einen firater, der ihm die Geschehnisse berichtete. Wenn es sich dabei nicht um den Topos der Autopsie oder um eine Interpolation des 8. Jahrhunderts handelt, so hätte man eine weitere seltene Nachricht Uber Beziehungen zwischen Rom und dem fränkischen Hof.

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stentums war das freilich bei weitem nicht. Man hatte also nur scheinbar im Frankenreich das Rüstzeug, um sich selbständig zur monotheletischen Frage zu äußern, was vom Papst ja Übrigens auch gar nicht verlangt wurde.

Es ist bedeutungslos, daß es sich bei diesen Häretikermeldungen um Ergän-zungen der Vita aus der Mitte des 8. Jahrhunderts handelt. Die wiedergegebene Auffassung verrät den religiösen Horizont der Bonifatius-Zeit, der man diesbe-züglich kein gutes Zeugnis ausstellen kann. Umso weniger ist von der fränki-schen „Theologie" ein Jahrhundert früher zu erwarten! Es bleibt nur festzu-stellen, daß der Papstbrief und seine amtlichen Beilagen irgendwo im nörd-lichen Frankenreich zur Kenntnis genommen worden sind. Es bleibt unent-schieden, ob diese ausschließlich auf das Exemplar des Amandus zurückzu-führen ist7*. Vielleicht ist der Einschub in die Eligius-Vita aber gar keine ver-fremdete Einarbeitung alter Nachrichten, sondern aus dem Bestreben ent-standen, bereits um die Mitte des 7. Jahrhunderts Beziehungen zwischen Papsttum und Frankenreich festzustellen und einen bedeutenden Träger der merowingischen Reichskirche in diesem Kontext zu zeigen7*.

Charakteristisch und beiden Kulturkreisen verständlich war die Bitte des Amandus, seinem Boten Reliquien und Kodizes mitzugeben, wie aus der Ant-wort des Papstes ersichtlich wird*0. Reliquien waren in Rom stets verfügbar und verliehen dem Empfänger und dessen damit beglückten Gründungen ein hohes Ansehen. Für den Papst ergab sich durch sie die Gelegenheit, in Zeiten min-derer Kommunikation die Erinnerung an die Mutter aller Kirchen, deren An-sprüche und Notwendigkeiten, zu wecken. Den zahlreichen und, was die Mög-lichkeit der Realisierung betraf, so unsicheren Wünschen des Papstes mochte die Reliquiengabe überdies eine Stütze sein, ein Stachel, der zur Erfüllung trieb. Bücher hingegen konnte Martin I. keine senden: Er bedauert dies mit dem Hin-weis auf die vielen Verluste der päpstlichen Bibliothek. Um die gewünschten Kodizes abschreiben zu lassen, habe es dem Gesandten des Amandus an Zeit gefehlt. Wenn man die Bücherschätze erwägt, die Wilfrid von York oder Bene-dict Biscop am Ende des Jahrhunderts aus Rom mitbrachten — und zwar Origi-nale! —, so muß man sich fragen, ob der lator des Bischofs von Maastricht we-niger Geschick im Erbitten solcher Prachtstücke hatte oder ob es an der Person des Papstes lag, der die Bedeutung eines römischen Kodex für die Missionskir-chen kaum richtig einschätzen konnte. Für ihn mochten es vor allem Behält-nisse ewiger, göttlicher Weisheit sein, die es im Kampf um die richtige Vorstel-lung Gottes zu benutzen galt. Für Amandus und seine flandrische Welt waren sie sieht- und fühlbare Beweise der Größe und strahlenden Macht des Christen-gottes.

™ Daß man nicht ganz ohne Ahnung von den christologischen Streitigkeiten war, die freilich politisch weitreichende Folgen zeitigten, ersieht man aus Fredegar, Chron. IV 66: Eraglius. . . infilex Euticiarut aerese iam sectans... vitam finivit; dazu Eugen Ewig, Die Merowinger und das Imperium (Rhein.-Westfäl. Akad. d. Wiss. Geisteswiss. Vorträge G 261, 1983) 54.

n Dazu Berschin (wie Anm. 2) 50. Wallace-Hadrill (wie Anm. 70) 121.

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