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206 | Biologie in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2002 | Nr. 4 TREFFPUNKT FORSCHUNG | Der Braunkohletagebau förderte es ans Licht: Vor einigen Jahren wurden im Geiseltal südwestlich von Halle (Sachsen-Anhalt) im Bereich „Neu- mark-Nord” Ablagerungen eines pleistozänen Sees angeschnitten, des- sen genaues Alter noch nicht end- gültig geklärt ist. Einige Autoren stel- len die Funde in die „Eem-Warmzeit“ vor 70.000 bis 90.000 Jahren, andere nehmen an, dass der See in einer Wärmeperiode während der Saale- Vereisung vor etwa 120.000 Jahren bestand. Neumark-Nord lieferte weltweit eine der reichsten Großsäugetier- Fundstellen mit vielen vollständigen Skeletten oder zusammenhängenden Skelett-Teilen. Nachgewiesen wurden Wald- elefant, Nashorn, Auerochse, Höhlen- löwe sowie ungewöhnlich viele Hirsche. Eine solche Menge an mehr oder weniger vollständigen Skeletten im See-Sediment verlangt nach einer Erklärung. Zunächst dachten die Paläontologen und Archäologen an Jagdreste des mittelpleistozänen Men- schen, dessen Hinterlassenschaften im See-Sediment ebenfalls gefunden wurden. Warum aber sind viele Ske- lette noch so vollständig, unzerlegt und zeigen keinerlei Spuren einer menschlichen Bearbeitung? Warum deuten die Körperhaltungen vielfach eher auf ein rasches Verenden im Wasser hin? Warum kamen die Tiere nicht über das Jahr verteilt zu Tode, sondern alle innerhalb einer relativ kurzen Zeit, und zwar immer im Herbst, wie die Skelett- und Geweih- Merkmale zeigen? Und was ist dran an einem anderen, bereits früher geäußerten Verdacht, die Ursache des recht seltenen Massensterbens in Neumark-Nord könne eine zeitwei- lige Vergiftung des Seewassers sein? In der Tat kann es, durch Blüten toxischer Algen und Bakterien, in Seen und Tümpeln zeitweise zur Ver- giftung des Trinkwassers kommen. Die Algen-Gifte (bekannt von Chryso- phyceen, Dinoflagellaten, besonders aber von Cyanobakterien) sind Hepa- totoxine, die selbst große, gesunde und starke Säugetiere innerhalb kur- zer Zeit töten können. Solche Vergif- tungen des Trinkwassers haben den „fast death factor”zur Folge, ein Phänomen, dessen Bezeichnung die Schnelligkeit ebenso wie die Rätsel- haftigkeit andeutet, mit der viele Wei- detiere direkt am oder im Gewässer sterben, nachdem sie getrunken ha- ben. Mikroskopische Untersuchun- gen und chemische Analysen stützen nunmehr den Verdacht einer Cyano- bakterien-Vergiftung auch für den See von Neumark-Nord. Dünnschnitt-Präparate des Sedi- ments zeigen eine dünne, kalkige Lage als Bestandteil jeder Jahres- schicht (siehe Abbildung). Deren Kalk-Komponenten weisen unter dem Licht- oder Elektronenmikro- skop eine besondere Gestalt auf. Kristallaggregate dieser Art entstehen in heutzeitlichen Sedimenten dann, wenn große Mengen abgestorbener Cyanobakterien nach ihrer Blüte auf den Seeboden absinken und dort von Bodenbakterien zersetzt werden. Die Kalklagen finden sich stets oberhalb eines Abschnittes, der mit den Cysten von Chrysophyceen erfüllt ist (Früh- lings/Frühsommer-Lage), sind also jahreszeitlich auf diese gefolgt. Auch heute folgen toxische Cyanobakte- rien-Blüten in limnischen Kleingewäs- sern vor allem im Spätsommer und im Herbst auf Algenblüten. Und eben gerade in dieser Jahreszeit sind die Tiere in Neumark-Nord Opfer des „rätselhaften Massentodes“ im See geworden. Chemische Analysen der Sediment-Extrakte bilden einen wei- teren wichtigen Hinweis auf die Existenz von Cyanobakterien im See. Neben Chlorophyll wurden als Bio- marker bestimmte, für Cyanobak- terien kennzeichnende Carotinoide nachgewiesen. Die chromatogra- phischen und spektralanalytischen Analysen lieferten sogar Hinweise darauf, dass sich selbst das Gift im Sediment noch erhalten hat. A. Braun, T. Pfeiffer, Cyanobacterial blooms as the cause of a Pleistocene large mammal assemblage. Paleobiology, 2002, 28, 138-153. Andreas Braun, Bonn PALÄONTOLOGIE | Großsäuger-Sterben am eiszeitlichen See Woran starben Waldelefant, Auerochse und Hirsche, deren Überreste in den Sedimenten eines eiszeitlichen Sees gefunden wurden? Waren die Tiere Jagdbeute von mittelpleistozänen Menschen? Seit kurzem stehen völlig andere Täter unter Verdacht: Toxische Cyano- bakterien könnten das Massensterben ausgelöst haben. ABB. Das jahreszeitlich geschichtete Sediment von Neu- mark-Nord in polarisiertem Licht. Deutlich sind die Kalklagen zu erkennen, die jeweils im Herbst wahrscheinlich von benthischen Bakterien bei der Zersetzung der abgesunkenen Cyanobakterien gebildet wurden. Vergrößerung: 30 x. Bild: Andreas Braun

Großsäuger-Sterben am eiszeitlichen See

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206 | Biologie in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2002 |Nr. 4

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

Der Braunkohletagebau förderte esans Licht: Vor einigen Jahren wurdenim Geiseltal südwestlich von Halle(Sachsen-Anhalt) im Bereich „Neu-mark-Nord”Ablagerungen eines pleistozänen Sees angeschnitten, des-sen genaues Alter noch nicht end-gültig geklärt ist. Einige Autoren stel-len die Funde in die „Eem-Warmzeit“vor 70.000 bis 90.000 Jahren, andere

nehmen an, dass der See in einerWärmeperiode während der Saale-Vereisung vor etwa 120.000 Jahrenbestand.

Neumark-Nord lieferte weltweiteine der reichsten Großsäugetier-Fundstellen mit vielen vollständigenSkeletten oder zusammenhängendenSkelett-Teilen.

Nachgewiesen wurden Wald-elefant, Nashorn, Auerochse, Höhlen-löwe sowie ungewöhnlich viele Hirsche. Eine solche Menge an mehroder weniger vollständigen Skelettenim See-Sediment verlangt nach einerErklärung. Zunächst dachten diePaläontologen und Archäologen anJagdreste des mittelpleistozänen Men-schen, dessen Hinterlassenschaftenim See-Sediment ebenfalls gefundenwurden. Warum aber sind viele Ske-lette noch so vollständig, unzerlegtund zeigen keinerlei Spuren einermenschlichen Bearbeitung? Warumdeuten die Körperhaltungen vielfacheher auf ein rasches Verenden imWasser hin? Warum kamen die Tierenicht über das Jahr verteilt zu Tode,sondern alle innerhalb einer relativkurzen Zeit, und zwar immer imHerbst, wie die Skelett- und Geweih-Merkmale zeigen? Und was ist dranan einem anderen, bereits frühergeäußerten Verdacht, die Ursache desrecht seltenen Massensterbens inNeumark-Nord könne eine zeitwei-lige Vergiftung des Seewassers sein?

In der Tat kann es, durch Blütentoxischer Algen und Bakterien, inSeen und Tümpeln zeitweise zur Ver-giftung des Trinkwassers kommen.Die Algen-Gifte (bekannt von Chryso-phyceen, Dinoflagellaten, besondersaber von Cyanobakterien) sind Hepa-totoxine, die selbst große, gesunde

und starke Säugetiere innerhalb kur-zer Zeit töten können. Solche Vergif-tungen des Trinkwassers haben den„fast death factor”zur Folge, ein Phänomen, dessen Bezeichnung dieSchnelligkeit ebenso wie die Rätsel-haftigkeit andeutet, mit der viele Wei-detiere direkt am oder im Gewässersterben, nachdem sie getrunken ha-ben. Mikroskopische Untersuchun-gen und chemische Analysen stützennunmehr den Verdacht einer Cyano-bakterien-Vergiftung auch für den Seevon Neumark-Nord.

Dünnschnitt-Präparate des Sedi-ments zeigen eine dünne, kalkigeLage als Bestandteil jeder Jahres-schicht (siehe Abbildung). DerenKalk-Komponenten weisen unterdem Licht- oder Elektronenmikro-skop eine besondere Gestalt auf. Kristallaggregate dieser Art entstehenin heutzeitlichen Sedimenten dann,wenn große Mengen abgestorbenerCyanobakterien nach ihrer Blüte aufden Seeboden absinken und dort vonBodenbakterien zersetzt werden. DieKalklagen finden sich stets oberhalbeines Abschnittes, der mit den Cystenvon Chrysophyceen erfüllt ist (Früh-lings/Frühsommer-Lage), sind alsojahreszeitlich auf diese gefolgt. Auchheute folgen toxische Cyanobakte-rien-Blüten in limnischen Kleingewäs-sern vor allem im Spätsommer undim Herbst auf Algenblüten. Und ebengerade in dieser Jahreszeit sind dieTiere in Neumark-Nord Opfer des„rätselhaften Massentodes“ im See geworden. Chemische Analysen derSediment-Extrakte bilden einen wei-teren wichtigen Hinweis auf die Existenz von Cyanobakterien im See.Neben Chlorophyll wurden als Bio-marker bestimmte, für Cyanobak-terien kennzeichnende Carotinoidenachgewiesen. Die chromatogra-phischen und spektralanalytischenAnalysen lieferten sogar Hinweisedarauf, dass sich selbst das Gift im Sediment noch erhalten hat.

A. Braun, T. Pfeiffer, Cyanobacterial blooms asthe cause of a Pleistocene large mammal assemblage. Paleobiology, 22000022, 28, 138-153.

Andreas Braun, Bonn

PA L Ä O N TO LO G I E |Großsäuger-Sterben am eiszeitlichen SeeWoran starben Waldelefant, Auerochse und Hirsche, deren Überreste in den Sedimenten eines eiszeitlichen Sees gefunden wurden? Waren die Tiere Jagdbeute von mittelpleistozänen Menschen? Seit kurzem stehen völlig andere Täter unter Verdacht: Toxische Cyano-bakterien könnten das Massensterben ausgelöst haben.

A B B . Das jahreszeitlich geschichtete Sediment von Neu-mark-Nord in polarisiertem Licht. Deutlich sind die Kalklagenzu erkennen, die jeweils im Herbst wahrscheinlich von benthischen Bakterien bei der Zersetzung der abgesunkenenCyanobakterien gebildet wurden. Vergrößerung: 30 x. Bild: Andreas Braun