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Grundlagen der Morphologie [Teil 1] © Wolfgang Schulze Erste Grundlagen 1. Die Begriffsdomäne der 'Morphologie' (Auswahl): - Astronomie: Die Gestalt von 'ausgedehnten' (strukturierten) astronomischen Objekten - Biologie: Form und Gestalt eines Organismus oder von dessen Teilen - Geomormophologie: Lehre von der Gestalt von Gelände - Hydromorphologie: Lehre von der Gestalt von Flüssen - Kulturmorphologie: Lehre von der äußeren Gestaltung der Kultur - Linguistik (s.u.) - Mathematik: Theoretisches Modell für digitale Bilder usw. - Narratologie: Struktur von folkloristischen Texten - Psychologische Morphologie: Geisteswissenschaftlich orientierte Tradition in der Psychologie 2. Begriffsgeschichte Begriff basiert auf gr. hê morphê 'die Gestalt' (μορφ) 'Gestalt, leibesgestalt, Anmut, von Zufälligkeiten etc. befreite 'reine Gestalt', vielleicht zu *mer-bha- 'schimmernde, glänzende [Gestalt]?, vgl. lat. merus 'bloß, rein, unvermischt' < '*hell, klar'; Latein forma als Metathese zu *morpha ??? Goethe: Begriff "Morphologie" von Goethe eingeführt 1796 (Tagebuchnotiz): Gestaltungsgesetze der Natur (von der einfachen zur komplexen Form). Morphologie "soll die Lehre von der Gestalt, der Bildung und Umbildung der organischen Körper enthalten" (Morphologie, Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. v. Erich Trunz. München 1981; Band 13, p.124) Unabhängig von Goethe: Mediziner Carl Friedrich Burdach (1776-1847), Prof. für Anatomie in Königsberg (prägte auch den Begriff 'Biologie') -> "Morphologie" in einer Veröffentlichung des Jahres 1800. Mit Goethes erstes Heft seiner Schriftenreihe "Zur Naturwissenschaft überhaupt, besonders zur Morphologie" (17. Juli 1817) und Burdach's Rede (-> Eröffnungsschrift) zur Gründung des Anatomischen Instituts in Königsberg (13. November 1817) "Über die Aufgabe der Morphologie" wird der Begriff salonfähig und 'modern'.

Grundlagen der Morphologie [Teil 1]wschulze.userweb.mwn.de/SOSE09/grumorph.pdf · Innere: Causa formalis: Form, Struktur, Muster von X Causa materialis: Stoffliche Qualität von X

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  • Grundlagen der Morphologie [Teil 1] © Wolfgang Schulze

    Erste Grundlagen

    1. Die Begriffsdomäne der 'Morphologie' (Auswahl): - Astronomie: Die Gestalt von 'ausgedehnten' (strukturierten) astronomischen Objekten - Biologie: Form und Gestalt eines Organismus oder von dessen Teilen - Geomormophologie: Lehre von der Gestalt von Gelände - Hydromorphologie: Lehre von der Gestalt von Flüssen - Kulturmorphologie: Lehre von der äußeren Gestaltung der Kultur - Linguistik (s.u.) - Mathematik: Theoretisches Modell für digitale Bilder usw. - Narratologie: Struktur von folkloristischen Texten - Psychologische Morphologie: Geisteswissenschaftlich orientierte Tradition in der Psychologie 2. Begriffsgeschichte Begriff basiert auf gr. hê morphê 'die Gestalt' (ἥ μορφή) 'Gestalt, leibesgestalt, Anmut, von Zufälligkeiten etc. befreite 'reine Gestalt', vielleicht zu *mer-bha- 'schimmernde, glänzende [Gestalt]?, vgl. lat. merus 'bloß, rein, unvermischt' < '*hell, klar'; Latein forma als Metathese zu *morpha ??? Goethe: Begriff "Morphologie" von Goethe eingeführt 1796 (Tagebuchnotiz): Gestaltungsgesetze der Natur (von der einfachen zur komplexen Form).

    Morphologie "soll die Lehre von der Gestalt, der Bildung und Umbildung der organischen Körper enthalten" (Morphologie, Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. v. Erich Trunz. München 1981; Band 13, p.124)

    Unabhängig von Goethe:

    Mediziner Carl Friedrich Burdach (1776-1847), Prof. für Anatomie in Königsberg (prägte auch den Begriff 'Biologie')

    -> "Morphologie" in einer Veröffentlichung des Jahres 1800. Mit Goethes erstes Heft seiner Schriftenreihe "Zur Naturwissenschaft überhaupt, besonders zur Morphologie" (17. Juli 1817) und Burdach's Rede (-> Eröffnungsschrift) zur Gründung des Anatomischen Instituts in Königsberg (13. November 1817) "Über die Aufgabe der Morphologie" wird der Begriff salonfähig und 'modern'.

  • Ab 1820 Morphologie -> Botanik (1820-1825), Geologie (1821-1823), Zoologie (1822), Medizin (1831).

    Geschichtswissenschaften: Johann Gustav Droysen (1808-1884), Grundriß der Historik, Leipzig 1868 (erste Fassung 1857) "Die Art der historischen Forschung ist bestimmt durch den morphologischen Charakter ihres Materials".

    In Sprachwissenschaften seit

    August Schleicher (1859) Friedrich Max Müller (1861) Frederic William ('Dean') Farrar (1831-1903) (1865/70)

    Bis etwa 1930 allgemeiner Modebegriff (vgl. Vladimir Propp (1985-1970) 1928. Morphologie des Zaubermärchens usw.)

    3. Erste Begriffsdefinition (allgemein) 3a. Heutzutage wird Morphologie sowohl für die 'Lehre von X' als auch für 'X' selbst verwendet (analog Semantik, Phonologie, Syntax etc.). 3b. Morphologie betrifft Gestaltvarianz.

    -> Gestalt: (hier:) die durch die vier CAUSA-Typen des Aristoteles fixierte Gesamtform eines Objekts (vereinfacht, vgl. Aristoteles, Phys. II 3, 194b23-35):

    Äußere: Causa efficiens: Ursprung von X Causa finalis: Zweck von X Innere: Causa formalis: Form, Struktur, Muster von X Causa materialis: Stoffliche Qualität von X efficiens finalis Etymologie Bedeutung Lautung Lautreihung (vereinfacht) materialis formalis

    Im Sinne der Gestaltpschologie von Friedrich Sander (1889-1971) 'gegliederte Gesamtheit', dabei gilt Übersummativität ('das Ganze ist mehr als seine Teile') und Inexistenz der Teile 'für sich'.

  • Grosso modo können linguistische Gestalten als 'Wörter' (Lexeme) definiert werden.

    Gestaltvarianz bedeutet

    Veränderung des 'Ganzen' aufgrund von Veränderungen in all seinen 'Teilen' Beispiel (sprachlich): Änderung Kind -> Kind-er efficiens Ursprung von -er finalis Plural materialis Lautungstyp (segmental) formalis Endung

    Kisi (Niger-Kongo, Atlantisch; Guinea, Sierra Leone) (Childs 1995: 220-3 )

    1. ò cìmbù. 3sg leave:PRES:HABITUAL ‘She (usually) leaves.’ Änderung 2. ò cìmbú. efficiens Ursprung des Tonwandels 3sg leave:PST:PFV finalis Aspekt ‘She left.’ materialis Lautungstyp (suprasegmental) formalis Tonwechsel

    Gestaltvarianz für ein Phänomen kann nur über mehr als ein Phänomen festgestellt werden!

    Beobachtung von Gestaltvarianz setzt Vermutung über das 'Gemeinsame' (größter gemeinsamer Nenner) voraus: Dabei sollte idealiter eine 'Basisform' beschreibbar sein: a b c d e

    (a) ist die 'Grundform', (b) und (c) Gestaltvarianten.

  • Gestalten, die Varianten einer Basisgestalt darstellen, bilden ein Paradigma der Basisgestalt.

    Die gestaltvariierenden Elemente (hier ) stellen für sich genommen ebenfalls 'Gestalten' dar und bilden somit ebenfalls Paradigmata. 3c. Gestaltvarianz ist eine Option, kein 'Muss'! Grundlage für Gestaltvarianz: Eine Basisgestalt wird zu einer anderen Größe hin 'verzerrt' und ändert dadurch seine Gestalt.

    Terminologisch: Eine Gestalt wird zu einer anderen Gestalt hin 'gebeugt' (flektiert). Damit ist Gestaltvarianz immer abhängig von der Anwesenheit einer anderen Größe.

    Die Kombination zweier oder mehrerer Größen bedeutet automatisch SYNTAX (Zusammenstellung) Wichtig: Die 'verzerrende' Größe muss nicht dieselbe Gestalt haben wie die 'verzerrte' Größe! Etwa: amic-us lauda-ba-t amic-am Verzerrt durch laudare amicus / ZEIT laudare Gestalt: Symbolisch Symbol Konzept Symbol

    Sprachen ohne Verzerrung sind 'morphologiefrei', d.h. 'isolierend'

    vgl.: Vietnamesisch (vereinfacht): cháu đẻi nhà=trẻ Ich gehen Kindergarten 'Ich gehe in den Kindergarten'

  • 3d. Definition (vorläufig) Ein Morphem ist die kontextinduzierte Variation einer Basisgestalt. Echo-Prinzip: Ein Morphem spiegelt Eigenschaften einer kontextuellen Größe in eine Gestalt hinein. Dabei machen die in einem Morphem symbolisierten Eigenschaften seinen semantischen Wert ('Bedeutung'/Funktion') aus.

  • 2. Morphologie als ko(n)text-bedingte Gestaltverzerrung Ein Morphem ist die ko(n)textinduzierte Variation einer Basisgestalt. 1. Kotext und Kontext Definition: Kotext: Die sprachliche Umgebung einer sprachlichen Einheit Kontext: Die nichtsprachliche Umgebung einer sprachlichen Einheit a. Kotext Beispiel: Hast du gestern den Film geschaut? hast du Kotext: gestern den Film geschaut Kotext-Varianz (beispielhaft): Hast du gestern den Film geschaut? Habt ihr gestern den Film geschaut? Hat sie gestern den Film geschaut? Hat sie gestern den Krimi geschaut? Hat sie gestern den Krimi gelesen? Wird sie morgen den Krimi lesen? Wird sie vielleicht den Krimi lesen? Wird sie vielleicht den Krimi schreiben? Wird vielleicht der Krimi geschrieben werden? usw. Wichtig: 'Gesetz der Nähe' (Tendenz!) Was näher zusammensteht, bildet eine engere kotextuelle Einheit! Beispiel: Der kleine Mann betrat das schöne Haus seines alten Freundes aus Hamburg.

    Die kotextuellen Bindungen (dicke Linie: engere Bindung - nicht alle Bindgungen sind aufgeführt): der Hamburg kleine

  • aus Mann Freundes betrat alten das seines schöne Haus These: Engere Kotexte bilden ferneren Kotexten gegenüber eine 'Gruppe' (oder: Phrase): [Die junge Frau] lachte. Die Phrase die junge Frau steht dann als Ganzes 'enger' zum Verb lachte: [Die junge Frau] lachte. NOTA: Was in einem Satz als 'enger' zusammenstehend vorarbeitet wird, hängt von der kategoriellen Qualität der Einheiten ab: Kategoriell ähnliche ~ verwandte Größen werden enger verarbeitet als kategoriell unterschiedlichere. BASIS: Semantische Beziehungen (wird noch ausgeführt). b. KONTEXT Kontext ist vor allem wissensbezogen: Die Bezugsgröße ist nicht eine sprachliche Einheit selbst, sondern das Wissen des Sprecher/Hörers in Bezug auf diese Einheit, etwa:

    1. Enzyklopädisches Wissen: Was weiß man generell von dem 'Objekt/Ereignis' etc., das in der sprachlichen Einheit ausgedrückt wird? 2. Episodisches Wissen: Was weiß man von dem 'Objekt/Ereignis' etc. in Bezug auf seine eigene Erfahrung mit ihm. 3. Epistemisches Wissen: Wie sicher ist man sich, dass das Objekt/Ereignis 'gegeben' ist? 4. Deontisches Wissen: Wissen um die Gegebenheit/Realisierbarkeit eines Objekts/Ereignisses nach Aufforderung (Befehl usw.). 5. Emotives Wissen: Welche emotionalen Größen werden mit diesem 'Objekt/Ereignis' verknüpft?

    NOTA: 'Objekt' / 'Ereignis' hier nur vorläufige Termini! Sie werden später ersetzt durch Objektvorstellungen und Ereignisvorstellungen! Typische kontextuelle Größen (Auswahl, wird noch erläutert): 1. Zeit-Bezug der Ereignisvorstellung Wissen um den Zeitpunkt/die Zeit, wann das Ereignis eintritt, eingetreten ist usw.

  • 2. Wahrheitswert: Wissen in Bezug auf die Qualität/Zuverlässigkeit der Quelle/Gegebenheit eines Ereignisses (vorläufig) 3. Phorik: Wissen um den Wissensstand eines Hörers in Bezug auf ein Objekt/Ereignis 4. Quantität: Wissen um quantitative Aspekte in Bezug auf ein Objekt/Ereignis

    5. Klassifikation: Wissen um die Zugehörigkeit eines Objekts/Ereignisses zu einer entsprechenden Klasse ~ Kategorie

    Beispiel (Auswahl): ZEIT-Wissen Der Mann schrieb einen Brief. Bekannt Einzahl KAT Neu Einzahl KAT NOTA: Kontextuelle Faktoren spiegeln sich sprachlich eher in derivativen als in grammatischen Verfahren! Derivation: Ableitung neuer lexikalischer Einheiten mittels 'Ableitungselementen',

    vgl. ge-nehm an-ge-nehm

    un-an-ge-nehm

    un-an-[ge]-nehm-lich-keit

    Grammatik: Systematik der funktionalen Interaktion sprachlicher Einheiten in einer Äußerung (Satz)

    2. Verzerrung Ausgangspunkt: JEDE sprachliche Äußerung ist eine lineare Gestalt. Linearität ist gegeben (u.a.): - durch die Reihung von Lauten - durch die Reihung von lexikalischen Einheiten ('Basisgestalten').

    - durch die Reihung von Elementen in komplexen lexikalischen Einheiten (Komposition, Derivation) - durch die Reihung mehrerer 'Verzerrungen' in einer Basisgestalt (s.u.).

    Linearität bedeutet immer Syntax!

    Werden zwei oder mehr Einheiten zusammengestellt, ergibt sich immer eine syntaktische 'Ordnung' (Stellungsyntax):

  • Beispiel: Rosenkranz

    www.rosenkranzgebete.de

    Ausschnitt: …. A1 +1 #1 b1 -1 b2 -2b3 #2 +2 A2 +3 #3 b4 -2 b5-2 b6 #4 +4 A3 +5….. Zusammengefasst:

    …A1.͇+1.͇#1.͇b1.͇-1. ͇b2.͇-2b3.͇#2.͇+2. ͇A2.͇+3.͇#3.͇b4.͇-2. ͇b5-2.͇b6.͇#4. ͇+4.͇A3.͇+5…. Analog: du und ich ist etwas anderes als ich und du geben und nehmen ist etwas anderes als nehmen und geben Mann und Frau ist etwas anderes als Frau und Mann Mann sehen Hund ist etwas anderes als sehen Mann Hund [ba:rə] ist etwas anderes als [ra:bə] usw. Genauer: Jede Reihung von Elementen beinhaltet eine Information über die Abfolge

    innerhalb der Reihung Syntax. Beispiel: suchen Hund

    http://www.rosenkranzgebete.de/

  • Mann

    suchen Hund Mann suchen Mann Hund Hund suchen Mann Mann suchen Hund Mann Hund suchen Hund Mann suchen

    Sprachen, die lexikalische Einheiten unverändert syntaktisch reihen, heißen isolierend. Yoruba (Nigeria, Schreibung ohne Töne): ng ko ṣiṣe kankan l' ọṣẹ t' o kọja nicht=ich nicht arbeiten irgend in Woche welche sie vergehen

    'Ich habe in der letzten Woche keinerlei Arbeiten gemacht'

    Sprachen, die die Beziehung zwischen den Einheiten einer Äußerung (Satz) ausschließlich oder vor allem über die Reihung der Elemente anzeigen, nennt man auch konfigurativ oder konfigurierend.

    In isolierenden Verfahren werden also Bezüge auf Kotext und Kontext nicht weiter explizit gemacht. Morphologische Verfahren: Die Beziehungen von sprachlichen Einheiten (Ko- und Kontext) werden dergestalt sichtbar gemacht, dass die Basisgestalt hin zu ko- oder kontextuellen Einheiten verzerrt wird. Diese ko- oder kontextuellen Einheiten wirken als 'Zugkräfte' in bezug auf die Verzerrung der lexikalischen Basisgestalt. Beispiel (abstrahiert): Mann suchen Hund Kotextuell: Mann suchen Hund Kontextuell:

  • Mann suchen Hund Kombiniert: Mann suchen Hund Beispielanalyse (Deutsch) 1. Kontextuelle lexikalische Explikation (Verdeutlichung): W [W = phorisches Wissen [bekannt/unbekannt usw.] d- Mann suchen ein Hund NOTA: Sprachen, die eine Beziehung zu ko- und/oder kontextuellen Einheiten nicht über eine Gestaltverzerrung, sondern durch zusätzliches lexikalisches Material anzeigen, heißen

    analytisch.

    Hier: Die Abbildung der Ebene 'W' (Kontext) erfolgt lexikalisch (d-, ein). 2. Kontextuelle Verzerrung ('ZEIT'): T W PAST d- Mann suchen ein Hund 3. Kontextuelle Verzerrung ('Quantität'): T W Q

  • SG SG PAST SG SG d- Mann suchen ein Hund 4. Ko(n)textuelle Verzerrung ('Kategorisierung') K T W Q SG SG PAST SG SG d- Mann suchen ein Hund M M 5. Kotextuelle Verzerrung ('Person') K T W Q SG SG PAST SG SG d- Mann suchen ein Hund M 3SG M 6. Kotextuelle Verzerrung ('Kasus') K T W Q SG SG PAST SG SG d- Mann suchen ein Hund M NOM 3SG M AKK Formale Ausprägung: Hier beispielhaft: Verzerrung erfolgt steht noch 'rechts' hin ('suffixal'), also (e.g.)

  • Theoretisch: JEDE ko(n)textuelle Einheit zeigt sich in einer spezifisches Verzerrung Vereinfacht: Jeder ko(n)textuellen Einheit entspricht genau eine formale Ausprägung.

    Wenn mehrere Verzerrungen an einer Basisgestalt (lex. Einheit) auftreten, werden diese in eigener Syntax (!) 'gereiht'

    Agglutination Beispiel Türkisch (Q = Quantität, C = Kasus, T = Tempus, P = Person): kadın-lar-Ø bonbon-lar-ı çocuk-lar-a ver-iyor(-ler) Frau-Q-C Bonbon-Q-C Kind-Q-C geben-T[-P] PL NOM PL AKK PL DAT PRÄS [-3PL] 'Die Frauen geben die Bonbons den Kindern.' Fiktive Agglutination im Deutschen (obiges Beispiel): K T W Q -a -a -t- -a -a d- Mann suchen ein Hund -b- -r -e -b- -n *d-b-a-r Mann-b-a-r such-t-e ein-b-a-n Hund-b-a-n ART-M-SG-NOM Mann-M-SG-NOM suchen-PRÄS-3SG ART-M-SG-AKK Hund-M-SG-AKK

    FUSION Gestaltverzerrende Elemente ('Morpheme') können fusionieren (verschmelzen). Die sich ergebenden verzerrenden Einheiten sind dann polyfunktional.

  • Sprachen, die massiv mit polyfunktionalen, gestaltverzerrenden Elementen arbeiten, heißen

    flektierende Sprachen (oder [bisweilen]: fusional language).

    FUSION im Beispiel: K T W Q PAST d- Mann suchen ein Hund M/NOM/SG 3SG M/AKK/SG d-er Mann such-t-e ein-en Hund

  • 3. Positionsbedingte Typologie der Morphologie 1. Erweiterung des Begriffs Morphologie = Gestaltverzerrung Gestaltverzerrung kann erfolgen (vgl. Morphologie (2)): a. Kotext-bedingt b. Kontext-bedingt

    Eine Reihe von Gestaltverzerrungen sieht aus wie ko(n)text-bedingte Verzerrungen, sind aber anders motiviert:

    c. Fusion einer lexikalischen Einheit (Basisgestalt) mit einer anderen, ehemaligen lexikalischen Einheit (Basisgestalt):

    + Lex(1) Lex(2) Lex(1+2)

    Dabei wird die 'Bedeutung' (vgl. Morphologie (4)) der fusionierten Einheit ausgebleicht (generalisiert) und die Form oftmals reduziert: Deutsch: -heit < ahd., mhd. heit 'Person, Stand, Wesen, Beschaffenheit….'

    -lich < *-līka 'Körper' un- < *ṇ(-) 'nicht' be- < *bī- er- < ur- ~ uz (aus) ent- < anti 'entlang, vor, gegenüber usw.' ver- zu Gotisch faír, faúr, fra (Präposition) -er < Lat. -ari(us) 'einer der X tut' usw.

    Das fusionierte Element (Lex2) kann Einfluss haben auf die Eigenschaften von Lex(1), e.g. Mann Nomen -lich *Nomen männlich Adjektiv schön Adjektiv -heit *Nomen Schönheit Nomen usw.

    Terminologisch:

  • Aus der Fusion zweier lex. Einheiten resultierende Morphologie ist derivativ

    (ableitend) Derivationsmorphologie

    Aus ko(n)textueller Verzerrung resultierende Morphologie ist flektiv ('beugend')

    Flexionsmorphologie Nota: Übergänge sind fließend! Ehemalige Derivation kann flektierende Eigenschaften annehmen, vgl. Türkisch: adam-lar-ın Mensch-PL-GEN 'der Menschen' < Mensch-*Menge(?)-GEN Derivation (< Komposition) Flexion Vermutung: Die meisten flexionsmorphologischen Elemente waren ursprünglich derivativ. Stellung: Derivative Elemente stehen (in der Regel) näher an der lexikalischen Einheit als flexionsmorphologische Elemente: Latein: amā-b-ō lieben-FUT-1sg 'ich werde lieben' < *amā(-) b-ō

    liebend(?)(-)werden-1sg

    Deutsch: weib-lich-e *Frau-gleich-ATTR:NOM:SG Türkisch: gör-ül-dü-m sehen-PASS-PAST-1sg 'ich wurde gesehen' These: Der Grammatikalisierungsweg verläuft: 1. Komposition 2. Generalisierung des komponierten Elements (Grammatikalisierung) 3. Derivation 4. Kontextuelle Verzerrung 5. Kotextuelle Verzerrung

    NOTA: Suppletion = Gestaltersatz statt Gestaltverzerrung:

  • + Etwa good worse Adjektiv + Komparativ Also: Suppletion die der Ersatz einer morphologisch segmental markierten Form durch ein eigenständiges Lexem.

    Deutsch schön schöner Morphologisch-Segmental

    viel mehr Morphologisch-Lexikalisch 2. Positionelle Typologie Gestaltverzerrung kann betreffen: Anfang Ende Innen Kombiniert: Umgebend Anfang+Innen Ende+Innen Umgebend+Innen NOTA: Anfang/Ende einer lexikalischen Einheit ist durch den Zeitfaktor der Artikulation bestimmt (Schrift spielt zunächst keine Rolle!): ['e l e f a n t] t0………………..……….tn Anfang Innen Ende

  • Etwa (konstruiert):

    kal + (-)ba(-) ba-kal kal-ba ka-ba-l ba-kal-ba ba-ka-ba-l ka-ba-l-ba ba-ka-ba-l-ba NOTA: Die kombinatorische Besetzung von Positionen erfolg meist über heterogene Verzerrungen (Morphemsegmente), also:

    kal + (-)ba(-) ~ (-)ta(-) ~ (-)fa(-) ba-kal kal-ba ka-ba-l ba-kal-ta ba-ka-ta-l ka-ba-l-ta ba-ka-ta-l-fa Terminologie: Gestaltverzerrende Elemente heißen a. Affix b. Klitikon (Plural Klitika) Definition (vorläufig, hilfsweise):

    Ein Affix hat keine freie lexikalische Variante und ist stark wortartengebunden.

    Ein Klitikon hat meist oder zumindest historisch) eine freie lexikalische Variante und ist weniger stark wortartengebunden.

    Beispiel (Deutsch) ['hastṇ gə'ze:n] < ['hast-tə-n gə'ze:n] A K K ~ [hast du ʔi:n gə'ze:ən]

    NOTA:

    Nach dem Prinzip anything has meaning bedeutet jeder Übergang von 'Wort zu Klitikon' einen zumindest minimalen Bedeutungs-/Funktionswandel!

  • Wenn Schriftbild keine Klitika schreibt, spielt das keine Rolle! vgl. Englisch: [ʃi:z naıs]

  • Problem: Lexical Integrity Hypothesis (eigentlich aus der Generativen Grammatik stammender Begriff):

    Stark verallgemeinert: Lexikalische Stämme dürfen nicht durch Morphologie zerstört werden.

    Damit werden basale Infix-Verfahren eigentlich ausgeschlossen.

    Infigierung wäre dann immer sekundär, u.a. (a) Resultat von Umstellungen (Metathese), e.g. (konstruiert) ka-l-p- < kap-l-

    (b) Alte Präfixe (seltener Suffixe), die in die 'Fuge' einer weiteren Komposition > Derivation geraten, vgl. Deutsch

    auf-ge-schlossen

    P1 - P2- Lexem mit P2 ~ Infix (ausgehend von Infinitiv aufschließen) Echte Infixe (hier eher: Endoklitika) vielleicht in e.g. Udi (Ostkaukasisch): bak-i-ne > ba-ne-k-i sein-PAST-3sg sein-3sg-$-PAST 'er/sie/es war' [NOTA: $ = Zeichen für zweiten Teil eines

    diskontinuierlichen Stammes] NOTA: Diskontinuierlich heißt, dass eine lexikalische oder morphologische Einheit keine einheitliche lineare Sequenz bildet, sondern von etwas 'Anderem' durchbrochen wird.

    3. Verkettung:

    Treten mehrere Affixe neben einander auf, ergibt sich eine Afffix-interne Stellungssyntax! Also: a+b+c+d+LEX oder LEX+a+b+c+d Syntaktische Reihung

    Vgl. Türkisch:

    gör-üş-tür-ül-üyor-sunuz see-REFL-CAUS-PASS-PRES-2pl

    'ihr werdet veranlasst euch gegenseitig zu sehen ( mit einander umzugehen) [LEX-S1-S2-S3-S4-S5]

  • Mescalero (Athapaska):

    bi-é-daa-go-ni-dzhi-ł-zį 3SG:POSS-about-PL-so-IMPERF-4SG-CL-know

    'Jedermann weiß über sie [Bescheid].' [P1-P2-P3-P4-P5-P6-P7-LEX]

    ---------------------------------------------------------------------

    Der 'Große Zyklus' (Grand Cycle): Grundlage: a) Morphologie ist ein sprachlicher 'Luxus', der nichtsdestotrotz Funktion hat. Nicht alle

    Sprachen haben dieselben morphologisch markierten Kategorien. Was in der einen Sprache morphologisch ausgedrückt wird, kann in der anderen Sprache a) über andere Verfahren (e.g. Syntax, Lexikon) dargestellt werden oder b) sprachlich 'fehlen' (d.h. nur über den Kontext

    kodiert sein ( Inferenz)). b) Es steht zu vermuten, dass alle Morphologie letztendlich dem Lexikon entstammt:

    Grammatikalisierung (hier und stark vereinfacht): Die Weiterentwicklung von lexikalischen Einheiten zu grammatischen Mitteln (Morphemen). Beispiele: Deutsch: du geh-st < *[du] geh-s-du (Neuhochdeutsch imitiert, Analyse kontrovers) Latein: lauda-v-eris 'du wirst gelobt haben' < *lauda-v(i) eris (synchrone Analyse) Englisch: the man's head < *the man his head (synchrone Analyse) Der Zyklus: a. Isolierend: Sprachen, die keinerlei 'Morphologie' aufweisen (d.h. diesbezüglich keine Grammatikalisierung im obigen Sinn durchgeführt haben). Beispiel: Vietnamesisch: Sáng sớm đó là lúc Morgen früh DX sein Zeit mà các nông=trại viên đi quanh chuồng gà. wo all Farm Arbeiter gehen herum Stall Huhn 'Morgens ist/war die Zeit, wo dieFarmarbeiter im Hühnerstall herumgehen/gingen.' [Satz nach http://www.vietnamese-grammar.group.shef.ac.uk/VGP/notes/basicsyntax-n.html Analyse und Übersetzung: W.S.] Con cùng con =cái đi trên Ich und Kinder gehen auf con tàu con để vào Nam. CLASS Schiff klein um=zu fahren Süden 'Ich und die Kinder gehen/gingen auf ein kleines Schiff um nach Süden zu fahren.'

    http://www.vietnamese-grammar.group.shef.ac.uk/VGP/notes/basicsyntax-n.html

  • [Satz nach http://tinhhoavietnam.net/PHP-Nuke/modules.php?name=News&file=article&sid=7; Analyse und Übersetzung: W.S.] b. Morphologisch markierende Systeme: 1. Lineare Systeme: Morpheme stehen in einer Linie mit Lexemen: 1.1 Agglutinierend ('anleimend'): Jede 'Kategorie' hat genau eine morphologische Entsprechung (hier stark idealisiert formuliert). Die so entstehenden Morphemketten haben oft ihre eigene Ordnung (Syntax) [Stellungsregelung der Morphemen]. Verhältnis Form : Funktion: 1:1 Beispiel: Quechua (San Martin, Nordperu) yacha-nki-chu ishkay ullku shamu-yka-na-n-kuna-ta wissen-2sg-INT zwei Mann kommen-DUR-NOM-3-PL-ACC 'Weißt du, dass zwei Männer kommen?' (Renate Lakämper 2000. Plural- und Objektmarkierung in Quechua (Dissertation U Düsseldorf), p.178

    1.2 Flektierend ('Beugend'), auch synthetisch oder fusionierend: Ausgangspunkt: Eine Form Mehrere Funktionen (1 : n) Eine Funktion Mehrere Formen (m : 1) Ergebnis: m:n-Sprachen, wobei eine Form mehr als nur eine Kategorie 'beinhalten' kann. Beispiel: Latein: Galli-a est omn-is Gallien-NOM:FEM sein:3sg:PRES:IND ganz-NOM:SG:FEM divi-s-a in part-es tres, teilen-PERF-NOM:SG:FEM in Teil-ACC:PL:FEM drei qu-arum un-am in-col-unt Belg-ae… REL-GEN:PL:FEM ein-ACC:SG:FEM PV-bebauen-3pl:PRES:IND Belgier-NOM:PL[:FEM] 'Gallien ist in der Gesamtheit geteilt in drei Teile, von denen den einen die Belgier bewohne….' [Caesar, De Bello Gallico I,1]. 1.3 Analytisch: Die grammatischen Informationen werden nach 'Hilfsstrukturen (< Lexeme) 'exportiert' (technisch meist flektierend, aber auch Agglutination möglich). Beispiel: Deutsch (Auxiliar-Strukturen sind rot markiert): Ich werd-e d-as Buch ich:NOM AUX-1sg:PRES:IND AUX:ART-ACC:SG:NEUTR Buch von Hans kaufen, AUX:POSS Hans kaufen weil ich es lesen soll-Ø KONJ ich:NOM ANAPH:SG:NEUTR lesen AUX:MOD-1sg:PRES 2. Nicht-lineare Systeme (Morpheme sind nicht gereiht, sondern stellen sich als lautliche Varianz von Lautelementen des Lexems dar, e.g. Ablaut). Meist mit Flexion, Agglutination oder Analyse gekoppelt!

    http://tinhhoavietnam.net/PHP-Nuke/modules.php?name=News&file=article&sid=7

  • Beispiel: Klassisches Arabisch: dah al-a ğaiš-u ´l’-amīri ´l-madīnat-a betreten:PERF-3sg Heer:SG-NOM ART-Emir-GEN ART-Stadt:SG-ACC mina ´š-šamāl-i fa-h arağ-a ğunūd-u von ART-Norden-GEN so-verlassen:PERF-3sg Soldat:PL-NOM ´l-malik-i mina ´l-ğanūb-i ART-König:SG-GEN von ART-Süden-GEN wa-tarak-ū ´s-sukkān-a li-suyūf-i ´l-’a

    cdā’-i.

    und-lassen:PERF-3pl:MASC ART-Bewohner:PL-ACC für-Schwert:PL-GEN ART-Feind:PL-GEN 'Das Heer des Emirs betrat die Stadt von Norden, und so verließen die Soldaten des Königs (sie) von Süden aus und überließen die Bewohner den Schwertern der Feinde.' [Haywood/Nahmad 1965:91; Übersetzung und Analyse: W.S.] Der 'Große Zyklus' (idealisiert): ISOLIEREND ANALYTISCH AGGLUTINIEREND FLEKTIEREND NOTA 1: Der Große Zyklus erlaubt keine Vorhersage über Sprachwandel, sondern bildet nur eine Tendenz ab. Es gibt eine Vielzahl von Abweichungen und 'Rück- und Sonderentwicklungen' (e.g. von FLEKT > AGGL im Ossetischen (NO-Iranisch im Nordkaukasus)…. NOTA 2: Der oftmals polysynthetisch oder (nicht ganz identisch) inkorporierend genannte 'Typ' ist ein syntaktischer Sonderfall der oben genannten Typen, kein eigenständiger Typ! ------------------------------------

  • 4. Form und Funktion

    1. Ausgangspunkt: Kritik der Standarddefinition:

    "Ein Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache auf der Inhalts- und

    Formebene im Sprachsystem (langue) [Wikipedia]"

    Begriffsteil Kritik

    kleinste 'Kleinheit' ist ein relativer Begriff und basiert auf einer atomistischen

    Vorstellung von Sprache à la Demokrit).

    'Klein' als Attribut zu 'Einheit': Ist klein nur auf der formalen Seite

    gemeint? Was ist dagegen gestellt linguistisch eine 'große' Einheit?

    Was ist die Bezugsgröße?

    bedeutungs- Keine klare Fixierung dessen, was 'Bedeutung' (oder: Funktion?) ist.

    -tragendes Die Begriffsendung -em signalisiert i.d.R. die funktionale Wertigkeit

    der Begriffsentsprechung ohne -em (alternativ auch: mit -et-, vgl.

    Phonetik). Wenn als in Morphem der funktionale Wert enthalten ist,

    dann kann das Morphem diesen nicht tragen, allenfalls 'innehaben'.

    Einheit Gewöhnlich definiert als etwas 'Untrennbares' (also Atomares). Was

    ist die Bezugsgröße? Kann nur für die Form gelten, nicht für die

    Bedeutung/Funktion (eine Einheit geht verloren, wenn durch das

    Herausschneiden eines Teils aus dieser Einheit die Funktion der

    Einheit verloren geht), vgl. Deutsch -st (verbal): Form synchron nicht

    trennbar, wohl aber Funktion/Bedeutung,: 2sg - Singular - S/A-

    Kongruenz (usw.).

    Ergebnis: Die Standardefinition ist nur 'für den linguistischen Alltag' brauchbar.

    Weitergehende Begriffe (aus der Standarddefinition abgeleitet):

    Freies Morphem: Eine sprachliche Einheit, die Worteigenschaften hat.

    Gebundenes Morphem: Eine sprachliche Einheit, die nur mit einem Morphem

    auftreten kann, das Worteigenschaften hat.

    Problem: a. Begriffliches Überlastung

    b. Verknüpfung des Begriffs mit einem anderen, definitorisch schwierigen Begriff

    (Wort).

    http://de.wikipedia.org/wiki/Langue

  • Alternativ (à la André Martinet):

    Monem [~ sprachliches Zeichen, s.u.]

    Lexem Morphem

    ['frei'] ['gebunden']

    2. Morphem als sprachliches Zeichen

    These: Die 'Ausgestaltung' einer sprachlichen 'Einheit' (Lexem, Phrase usw.) kann nur durch

    funktional homogene Mittel erfolgen:

    [X mit Ex] [X mit Ex]:[M mit Ex]

    Lies: Wird ein Element X mit X-typischen Eigenschaften 'erweitert', kann dies nur durch Elemente

    (M) geschehen, die ebenfalls X-typische Eigenschaften aufweisen.

    Wenn X ein 'sprachliches Zeichen' ist, dann müssen Morpheme ebenfalls sprachliche Zeichen

    sein.

    Etwa: Basiseinheit + Gestaltung Wert des Gestaltenden

    [tʰɪʃ] + Geste Nicht morphologisch

    [tʰɪʃ] + Tonvariation Morphophonologisch/prosodisch

    (systemabhängig)

    [tʰɪʃ] + Augenbraue hoch Nicht morphologisch

    [tʰɪʃ] + [ə] Morphologisch

    Sprachliches Zeichen (SZ):

    Signifié 'Vorstellung' (V)

    SZ

    Signifiant 'Artikulation' (A)

    'Zwei Seiten einer Medaille':

    V ist nur Teil von SZ, wenn A vorhanden. A ist nur Teil von SZ, wenn V vorhanden. SZ ist nur, wenn A und V gekoppelt sind.

  • Definition: Morphem ist ein nicht autonomes sprachliches Zeichen, das ein gegebenes sprachliches

    Zeichen oder dessen phrasales Schema ko(n)textbedingt ausgestaltet oder das den signifié-Bereich

    eines sprachlichen Zeichens variiert.

    a.

    V(L) V(M)

    Ko(n)text

    A(L) A(M)

    sitz- -e

    b.

    V(L) V(M)

    A(L) A(M)

    sauber- -keit

    Wdh.:

    Der Typ (a) heißt Flexionsmorpohologie (das sprachliche Zeichen wird zum Ko(n)text hin 'gebeugt')

    Der Typ (b) heißt Derivationsmorphologie (das sprachliche Zeichen wird semantisch variiert).

    Im Folgenden zunächst Typ (a):

    Ko(n)text ist in der Regel nicht als festes Vorstellungsraum fixiert, sondern über 'Kategorien':

    V(L) V(M) K1

    K2 Ko(n)text

    A(L) A(M) K3

    Analog: Autonome sprachliche Zeichen werden in der Regel kategoriell verarbeitet:

    Kategorie (SZ)

    V(L)

    A(L)

  • Kategorientypen:

    Definition: Eine Kategorie wird von einer 'Klasse' von Elementen gebildet, die aufgrund als

    gemeinsam konstruierter/erfahrener/beobachteter (etc.) Formen, Eigenschaften, Funktionen oder

    historischer Bedingungen etc. in einen motivierten Zusammenhang gestellt werden. Dabei spiegelt

    der Kategorienname als Zeichen diese Gemeinsamkeit(en) wider.

    Elemente Eigenschaft

    Kategorialer Raum

    Kategorienname ist das sprachliche Zeichen einer Kategorie:

    Kategorie

    Kategorienname

    Signifiant

    Nota: Kategorien können, müssen aber nicht 'benamt' sein.

    a. Disjunkt:

    Jedes Element wird genau einer Kategorie zugeordnet:

    Etwa: Mensch Lebewesen

    Stein Kein Lebewesen, aber Objekt

    Liebe Kein Lebewesen, kein Objekt usw.

    b. Prototypisch:

    Ein Element wird einer Kategorie zugeordnet, die die meisten/besten (prototypischsten)

    Eigenschaften des Elements repräsentiert.

    Etwa: Amsel Vogel (stark prototypisch)

    Huhn Vogel (weniger stark prototypisch)

  • Pinguin Vogel (schwach prototypisch)

    c. Familienähnlich:

    Ein Element wird aufgrund eines oder mehrerer Merkmale, die es mit einem anderen Nachbar-

    Element teilt in eine Kategorie eingeordnet, deren Elemente sich über eine solche Nachbar-

    Beziehung definieren:

    a b c d e

    a verwandt mit b

    b verwandt mit c Kategorie der Verwandtschaft

    c verwandt mit d von {a bis e}

    d verwandt mit e

    d. Radial

    Elemente werden einer Kategorie zugeordnet, die nicht über 'intrinsische' (im Objekt enthaltene)

    Eigenschaften definiert ist, sondern über gemeinsame, mit den Elementen verbundene

    Gebrauchstraditionen, Vorstellungen, soziale Assoziationen, Mythen etc.

    Beispiel: Dyirbal (NO-Australien)

    Klasse II der Nomina:

    Women, fire, and dangerous things (vgl. Dixon 1972, Lakoff 1987)

    Frauen bewachen das Feuer Feuer ist gefährliches Ding

    K1 K2

    K3

  • Flexionsmorpheme sind also sprachliche Zeichen, deren signifié-Bereich eine Kategorie (Typ a-d)

    des Ko(n)texts repräsentiert.

    Signifié Ko(n)text-Kategorie (Typ a-d)

    Morphem

    Signifiant Morph

    Vertreten mehrere Morpheme dieselbe Kategorie, bilden sie ein Paradigma dieser Kategorie

    Kategorie 1

    K1 K1 K1

    M1 M2 M3

    Paradigma von K1

    Da sich M1 bis (hier) M3 aber unterscheiden, müssen sie hinsichtlich einer anderen Kategorie

    unterschiedlich sein!

    Vgl. Latein (Ausschnitt, vereinfacht):

    Kontext Kotext

    ZEIT PERSON

    Katgeorien

    PRES PERF 1Sg 2Sg

    1Sg Pres 2Sg Pres 1Sg Perf 2Sg Perf

    [-o:] [-s] [-i:] [-isti]

  • Linguistische Kategorien:

    Linguistische Kategorien sind zunächst reine Deskriptoren von Klassen, die qua Beobachtung erstellt

    werden (einfacher Strukturalismus).

    Zunächst intuitiv werden sie mit mentalen (kognitiven) Kategorien (signifié-Bereiche der

    Morphologie) verbunden.

    In einem zweiten Schritt werden die kognitiven Kategorien charakterisiert und es wird versucht, eine

    unmittelbare Beschreibung zu erreichen:

    Vorstellung/Kategorie

    b.

    Morphem c. Linguistische Kategorie

    Morph a.

    NOTA: Die Terminologie linguistischer (Beschreibungs-)Kategorien und 'kognitiver'

    Vorstellungskategorien kann sich unterscheiden:

    Kognitiv: ZEIT/TIME MODALITÄT PERSONALITÄT POSSSESOR

    Linguistisch: TEMPUS MODUS PERSON GENITIV (u.a.)

    In vielen Fällen gibt es bislang nur 'linguistische' Termini: Nominativ, Akkusativ etc.

    3. Zur Beziehung von Lexem und Morphem

    Lexeme repräsentieren als sprachliche Zeichen feste Vorstellungen über Referenten/Objekte und

    deren Einbettung in Ereignisse:

    [tʰɪʃ] [ʃla:gən]

    Objektvorstellung Ereignisvorstellung

  • Morpheme repräsentieren kategorielle Vorstellungen (s.o.):

    [-ə] [-ən]

    Kategorielle Vorstellung Kategorielle Vorstellung

    Grammatikalisierung:

    Lexikalische Einheiten werden zu Morphemen uminterpretiert. Dabei kann (!) der kategorielle Raum,

    dem eine Objekt- oder Ereignisvorstellung zugeordnet ist, durch die Signifiant der eigentlicher

    Objekt- oder Ereignisvorstellung ausgedrückt werden:

    Kategorie (SZ) Kategorie (SZ)

    V(L)

    A(L) A(L)

    Jetzt ist das Signifiant [hier: A(L)] dem Signifié [Kategorie(SZ)] zugeordnet, nicht mehr [V(L)].

    Meronyme Extension: Das Teil steht für das Ganze.

    Folge: Das Signifiant A(L) kann auch mit anderen Objekt-/Ereignisvorstellungen, die derselben

    Kategorie zugeordnet sind.

    Kategorie

    A(L>M)

    Häufiger Grammatikalisierungsweg:

    Lexem [ Derivation] Flexion

    Schematisch:

    V(L) V(L) V(L) V(Md) V(L) V(Mf)

    + A(L) A(L) A(L) A(Md) A(L) A(Mf)

  • NOTA: Grammatikalisierung als 'Morphem' hat häufig die Reduktion der Signifiant-Seite zur Folge,

    vgl.

    du gehst *du gehs-du [nicht-diachrone Schreibung/ alternative Deutung möglich!]

    Kopplung von Derivation und Flexion, etwa Türkisch:

    {evlerimden}SZ

    [ɛv] [lɛr] [im] [dɛn]

    = ev-ler-im-den

    house-PL-1Sg:POSS-LOC

    'von meinen Häusern'

    Kompatibilität

    Eine morphologische Gestalterweiterung setzt semantische (vorstellungsbezogene) Kompatibilität

    der beiden Domänen voraus:

    Türkisch:

    SPACE / LANDMARK {evden} 'von dem Haus' [ɛv] [dɛn]

    Deutsch:

    TIME / SPEECH ACT {sagtest} [za:g] [tə] [st]

    Dies bedeutet, dass Morphologie auf eine kategorielle Domäne der Basiseinheit 'abzielt' bzw. diese

    markiert:

  • Kategorie (V)

    V(L) + Kategorie (M)

    A(L) A(M)

    Will heißen: Da Morphologie im signifié-Bereich 'Kategorien' abbilden und keine individuierten

    Vorstellungen, sind sie dann mit einer Vorstellung (ausgedrückt in einer Basiseineinheit)

    kompatibel, wenn sie sich auf einen kategoriellen Aspekt der in der Basiseinheit ausgedrückten

    Vorstellung beziehen.

    Etwa:

    SPACE/LANDMARK

    POSSESSABLE

    COUNTABLE

    {evlerimden}SZ

    [ɛv] [lɛr] [im] [dɛn]

    = ev-ler-im-den

    house-PL-1Sg:POSS-LOC

    'von meinen Häusern'

    Ergo (wdh.): Der kategorielle Bereich (signifié) eines Morphems muss kompatibel sein mit

    dem/einem kategoriellen Bereich der Vorstellung (signifié) des betreffenden Lexems.

    Daher geht (Latein): amic-i

    friend-PL

    aber nicht: ven-i

    *come-PL (recte: come-1Sg:PERF)

    Nota: Die Frage, welche Morpheme mit welchen kategoriellen Räumen von Lexemen verbindbar

    sind, ist einzelsprachlich geregelt, obschon es universelle Tendenzen gibt.

    Vgl. Deutsch: *sein wird=Haustier

    *3sg:POSS FUT:3Sg-Haustier

  • Guaraní: i-mymba-rã

    3sg:POSS-Haustier-FUT/PROSP

    'sein zukünftiges Haustier' [ Tonhauser 2006:210]

    oder:

    Türkisch: ev-ler

    Haus-PL

    '(Die) Häuser'

    git-ti-ler

    gehen-PAST:3Sg-PL

    'sie gingen'

    Deutsch: Tisch-e

    Tisch-PL

    *sag-e

    *sahen-PL

    ---------------------------------------------------------------------------------

  • 5. Formale Analyse

    1. Voraussetzungen

    Textuelles Korpus einer Sprache, idealiter Genre-mäßig gemischt

    Märchen, Erzählungen mit Dialogen

    Bibiographisches

    Erlebniserzählungen

    Spekulationen ('was ist in der Zukunft' etc.) usw.

    Minimum: 100.000 tokens

    NB: Unterscheidung von TYPE und TOKEN:

    TOKENs sind die einzelnen Einheiten einer Menge von Einheiten

    TYPEs sind die Zusammenfassung 'derselben' TOKENs in einer Menge von Einheiten

    E.g.: "Es war einmal ein König. Der König hatte drei Kinder. Die Kinder wurden groß und so

    fragte sich der König, welchem er sein Erbe geben solle. Er rief die Kinder zu sich und

    fragte sie…."

    TYPE Tokens pro Type

    der 2

    die 2

    drei 1

    ein 1

    einmal 1

    er 2

    Erbe 1

    es 1

    fragte 2

    geben 1

    groß 1

    hatte 1

    Kinder 3

    König 3

    rief 1

    sein 1

    sich 2

    sie 1

    so 1

    solle 1

    und 2

    war 1

    welchem 1

    wurden 1

    zu 1

    TOKENS 35

    25 TYPES

  • Vgl. Dyirbal-Text (Ausschnitt, Dixon 1972-268-9)

    [Die folgende Analyse basiert ausschließlich auf dem Textausschnitt und ist daher keine

    'vollständige Beschreibung der jeweiligen Dyirbal-Morpheme!]

    bayi balaŋumbuya guliŋunu ŋagaŋunu bainu. banagu baalŋau gambilgubin wayin yalugalu. balaydawu duŋanbaraga inayaraygu. balay baŋgul mia gadan. burubayu bayi ŋaga baganmi aa baŋgul burubay ulman. bayi alŋga mayiyaraygu bayi ŋagaŋunu. baŋgul ŋagaŋunu yululumban bayi alŋga baŋgul. aa bayi yanu yuigu bargangu urganaygu. baŋum bayi ŋubau yuiŋgu ulguŋgu wugalŋaygu bagul alŋgagu.

    TYPE Tokens pro Type

    aa 2 baalŋau 1 bainu. 1 baganmi 1

    bagul 1

    balaŋumbuya 1

    balay 1

    balaydawu 1

    banagu 1

    baŋgul 4

    baŋum 1

    bargangu 1

    bayi 7

    burubay 1

    burubayu 1 duŋanbaraga 1

    ulman. 1 urganaygu. 1 gadan. 1

    gambilgubin 1

    guliŋunu 1 mayiyaraygu 1

    mia 1 ŋaga 1

    ŋagaŋunu 3

    ŋubau 1 alŋga 2 alŋgagu. 1 inayaraygu. 1 ulguŋgu 1 wayin 1 wugalŋaygu 1

    yalugalu. 1

    yanu 1

    yuigu 1 yuiŋgu 1 yululumban 1

    TOKENS 50

    37 Types

    These: Je mehr TOKENs auf einen TYPE fallen, desto weniger Morphologie verarbeitet die Sprache,

    d.h. desto isolierender (oder isolierend-analytischer) ist die Sprache

  • Beispiel: Markus Kap. 1-5

    (Deutscher Text a) morphologisch, b) 'entmorphologisiert' (nur lexikalische Grundformen))

    SPRACHE Tokens Types Type ./. Token Tokens ./. Type

    Mi'kmaq 2648 1541 0.58 1.71

    Xhosa 2440 1391 0.57 1.03

    Udi 2060 1114 0.54 1.84

    Türkisch 2526 1314 0.52 1.92

    Swahili 2931 1280 0.43 2.28

    Latein 2842 1189 0.41 2.39

    Italienisch 3773 1089 0.28 3.46

    Deutsch 3870 972 0.25 3.98

    Zuñi 4852 1171 0.24 4.14

    Malagasy 3857 916 0.23 4.21

    Norsk 3903 830 0.21 4.70

    Mam 5900 1227 0.20 4.80

    Vietnamesisch 4487 733 0.16 5.80

    *Deutsch (Lemma) 3870 642 0.16 6.02

    Haiti Créol 4805 601 0.12 7.99

    Maori 5115 593 0.11 8.62

    Das Verhältnis von Type und Token in Markus Kap.1-5 in 15 Sprachen © W. Schulze 2009

    ------------

    Fixierung der Satz- und dann Wortbedeutung (idealiter durch oder mittels bilingualer Native

    Speaker)

    Dyirbal-Beispiel (s.o.):

    ‚Von dort drüben hinter dem Meer, von Osten kam Ngagangunu. Er folgte dem Waldwasser, ging

    bergauf hier (zu uns) hinauf, von da flussaufwärts nach Dungabara, um (dort) schließlich zu bleiben.

    Dort baute er ein Lager. Als eine Beule auf seinem Bein wuchs, quetschte Ngagangunu die Beule, so

    dass ein Kind begann herauszukommen. Ngagangunu schaukelte das Kind und ging auf die Känguru-

    Jagd, um ein Wallaby mit einem Speer zu erlegen. Von dort kehrte er mit dem Känguru und dessen

    Herz zurück, um es dem Kind zu geben.’

    Erstellung einer provisorischen Interlinear-Übersetzung

    bayi balaŋumbuya guliŋunu ŋagaŋunu bainu da dort=über=dem=Meer von=Osten Ngagangunu kam

    banagu baalŋau gambilgubin wayin yalugalu dem=Wasser er=folgte er=machte=es=zum=Wald ging=bergauf hier=hinauf

    balaydawu duŋanbaraga inayaraygu dort=flussauf in=Dunganbara auf=dass=beginnt=zu=bleiben.

    balay baŋgul mia gadan dort er Lager baute

  • burubayu bayi ŋaga baganmi aa baŋgul burubay ulman Beule das Bein durchstechend und er Beule quetschte

    bayi alŋga mayiyaraygu bayi ŋagaŋunu das Kind so=dass=es=begann=herauszukommen er Ngagangunu

    baŋgul ŋagaŋunu yululumban bayi alŋga baŋgul der Ngagangunu schaukelte das Kind er

    aa bayi yanu yuigu bargangu urganaygu und er ging zum=Känguru zum=Wallaby um=zu=speeren

    baŋum bayi ŋubau yuiŋgu ulguŋgu wugalŋaygu bagul alŋgagu von=da er zurückkehrte mit=Känguru mit=Herz zu=geben dem Kind

    Fixierung des basalen Architekturtyps (Prä-, Post-Morphologie etc.)

    Verfahren: Vertikaltext; Left-to-Right (LtR) und Right-to-Left (RtL)

    a) LtR:

    alŋga Kind alŋga Kind alŋgagu Kind inayaraygu auf=dass=beginnt=zu=bleiben. ulguŋgu mit=Herz ulman quetschte urganaygu um=zu=speeren aa und aa und baalŋau er=folgte bainu kam baganmi durchstechend bagul dem balaŋumbuya dort=über=dem=Meer balay dort balaydawu dort=flussauf banagu dem=Wasser baŋgul er baŋgul er baŋgul der baŋgul er baŋum von=da bargangu zum=Wallaby bayi da bayi das bayi das bayi er bayi das bayi er bayi er burubay Beule

    burubayu Beule

  • duŋanbaraga in=Dunganbara gadan baute gambilgubin er=machte=es=zum=Wald

    guliŋunu von=Osten mayiyaraygu so=dass=es=begann=herauszukommen

    mia Lager ŋaga Bein ŋagaŋunu Ngagangunu ŋagaŋunu Ngagangunu ŋagaŋunu Ngagangunu

    ŋubau zurückkehrte wayin ging=bergauf wugalŋaygu zu=geben yalugalu hier=hinauf yanu ging

    yuigu zum=Känguru yuiŋgu mit=Känguru yululumban schaukelte

    b) RtL

    ŋaga Bein duŋanbaraga in=Dunganbara

    alŋga Kind alŋga Kind mia Lager aa und aa und balaŋumbuya dort=über=dem=Meer baganmi durchstechend bayi da bayi das bayi das bayi er bayi das bayi er bayi er bagul dem baŋgul er baŋgul er baŋgul der baŋgul er baŋum von=da yululumban schaukelte gadan baute

    ulman quetschte gambilgubin er=machte=es=zum=Wald

    wayin ging=bergauf alŋgagu dem=Kind banagu dem=Wasser

    yuiŋgu mit=Känguru ulguŋgu mit=Herz yuigu zum=Känguru bargaŋu zum=Wallaby

  • wugalŋaygu zu=geben

    urganaygu um=zu=speeren inayaraygu auf=dass=beginnt=zu=bleiben. mayiyaraygu so=dass=es=begann=herauszukommen yalugalu hier=hinauf yanu ging

    bainu kam ŋagaŋunu Ngagangunu ŋagaŋunu Ngagangunu ŋagaŋunu Ngagangunu

    guliŋunu von=Osten balaydawu dort=flussauf

    burubayu Beule ŋubau zurückkehrte baalŋau er=folgte burubay Beule balay dort

    Festlegung der Differenz (Form/Funktion) und Fixierung der linguistischen Kategorie

    Vgl. [konstruiert]

    FORM Übersetzung Morphem Kategorie

    gabarlurtimut sie gingen immer wieder hinaus -mut PL (3. Person)

    gabarlurti er ging immer wieder hinaus -ti 3. person

    gabarti er ging hinaus -lur Iterativ

    gabarmut sie gingen hinaus -lur Iterativ

    barti er ging ba- Itiv

    barmut sie gingen ba- Itiv

    These: Differenz in der Übersetzung entspricht Differenz in der Morphologie des Quelltextes

    [Voraussetzung: Übersetzung ist kategoriell ebenso explizit wie der Quelletext!]

    Zusammenfassung der Form-/Funktionsausdrücke:

    -u Trans. A -u Past -u Past ba- das (Pronomen/Artikel)

    ba- das (Pronomen/Artikel)

    ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- das (Pronomen/Artikel)

    ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- dem (Pronomen/Artikel)

  • ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- der (Pronomen/Artikel)

    ba- er (Pronomen/Artikel)

    ba- da (Pronomen/Artikel)

    -dawu flussauf

    -ga in

    -gu zum

    -gu dem (Dativ)

    -gu dem (Dativ)

    -gu zum

    -gu zu (Verb)

    -gu um=zu (Verb)

    -gu auf=dass

    -gu so=dass

    -gul dem (Dativ)

    -mi -end

    -n Past

    -n Past

    -n Past

    -n Past

    -n Past

    -n Past

    -nu Past

    -nu Past

    -ŋgu mit

    -ŋgu mit

    -ŋgul er (trans. A)

    -ŋgul er (trans.A)

    -ŋgul der (trans. A)

    -ŋgul er (trans. A)

    -ŋu zum

    -ŋum von=da

    -ŋunu von

    -ŋunu von

    -ŋunu von

    -ŋunu von

    -yaray- beginnend

    -yaray- beginnend

    -yi das (intrans. S)

    -yi das (intrans. S)

    -yi das (intrans. S)

    -yi er(intrans. S)

    -yi das (intrans. S)

    -yi er (intrans. S)

    -yi er (intrans. S)

    -yi das (intrans. S)

    Etikettierung der Kategorien/Funktionen und Sortierung nach Kategorie/Funktion

    -u A -ŋgul A

    -ŋgul A

    -ŋgul A

  • -ŋgul A

    -ŋum ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    -gu DAT

    -gu DAT

    -gul DAT

    -gu DIR

    -gu DIR

    -ŋu DIR

    -dawu flussauf

    -ga IN

    -yaray- INCH

    -yaray- INCH

    -gu INF

    -gu INF

    -gu INF

    -gu INF

    -ŋgu INSTR

    -ŋgu INSTR

    -mi MODAL

    -u PAST -u PAST -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -nu PAST

    -nu PAST

    -yi S

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

  • Fixierung von Allomorphien:

    NOTA: Allomorphie = Phonetisch unterschiedliche Repräsentationen (Signifiant) 'desselben'

    kategoriellen Bereichs (Signifié)

    Kategorie V(M)

    Morphem

    Morph A1(M) A2(M) A3(M)

    Allomorphe

    -u A -u ~ -ŋgul A -ŋgul A

    -ŋgul A

    -ŋgul A

    -ŋgul A

    -ŋum ABL -ŋum ~ -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    -ŋunu ABL

    ba- Anapher ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    ba- Anapher

    -gu DAT -gu ~ -gul ~ -ŋu DAT/DIR

    -gu DAT

    -gul DAT

    -gu DIR

    -gu DIR

    -ŋu DIR

    -dawu flussauf -dawu flussauf

    -ga IN -ga IN

    -yaray- INCH -yaray- INCH

    -yaray- INCH

    -gu INF -gu INF

    -gu INF

    -gu INF

    -gu INF

  • -ŋgu INSTR -ŋgu INSTR

    -ŋgu INSTR

    -mi MODAL -mi MODAL

    -u PAST -u ~ -n ~ -nu PAST -u PAST -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -n PAST

    -nu PAST

    -nu PAST

    -yi S:ANAPH -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    -yi S:ANAPH

    Erstellen eines provisorischen morphologischen Tableaus:

    -u ~ -ŋgul A -ŋum ~ -ŋunu ABL ba- Anapher -gu ~ -gul ~ -ŋu DAT/DIR -dawu flussauf -ga IN -yaray- INCH -gu INF -ŋgu INSTR -mi MODAL

    -u ~ -n ~ -nu PAST -yi S:ANAPH

    Weitergehende Hypothese der Reduktion (von der Lautung ausgehend)

    -u ~ -n ~ -nu PAST ba- Anapher

    -dawu flussauf

    -ga IN

    -gu INF Ausrichtung auf etwas

    -gu ~ -gul ~ -ŋu DAT/DIR

    -mi MODAL

    -ŋgu INSTR Instrumental basierter Agens-Marker

    -ŋgul ~ -u A -ŋum ~ -ŋunu ABL

    -yaray- INCH

  • 6. Allomorphie, Polysemie, Homophonie

    Ausgangspunkt:

    Ein (Flexions-)Morphem wird über Funktion und Kategorie bestimmt:

    Funktion: Abbildung von bzw. Bezug auf Ko(n)text-Eigenschaften

    Kategorie: Abbildung von kategorialen Eigenschaften der lexikalischen 'Basiseinheit'

    [Lexikalische Basiseinheit = 'Host' im weiten Sinne des Terminus]

    K a t e g o r i e Kategorisierung Funktion

    Konzept K / F

    Ko(n)text

    Artikulation Morph

    Host Morpheme

    Beispiele (Deutsch)

    1.

    [MALE] [SON] Kategorisierung Funktion

    M SG P-or

    P-um

    [man] [-əs]

    Mann -es [X]

  • NOTA 1:

    Nominale Ausdrücke können nach mindestens drei Typen kategorisiert werden

    (sprachabhängig) [vgl. Jan Rijkhoff. The noun phrase. Oxford: Oxford University Press 2002.

    (Oxford Studies in Typology and Linguistic Theory)]

    1. Singular Object Nouns (SON): Die 'Voreinstellung' ist 'Singular', d.h. Objektvorstellungen

    ( Nomina) werden als Elemente (einer Menge) verarbeitet, also individuiert.

    2. Set Nouns: Die 'Voreinstellung' ist 'Menge' (set), d.h. Objektvorstellungen ( Nomina)

    werden als Ausdrücke einer Menge (von X) verarbeitet.

    3. Sort Nouns: Objektvorstellungen werden (wenn quantifiziert/gezählt, seltener wenn

    qualifiziert/attribuiert) mit einem 'Marker' versehen, der ihre 'Sorte' anzeigt

    (Nominalklassifikatoren).

    a. SON:

    x x

    x x x x Singular: Berg

    x x x

    x x

    x x

    x x x x Plural: Berge

    x x x

    x x

    x x

    x x x x Kollektiv: Gebirge

    x x x

    x x

  • a. SET NOUS:

    x x

    x x x x Set: Türkische ev 'Haus'

    x x x

    x x

    x x

    x x x x Singular: Türkisch (bir) ev 'ein Haus'

    x x x

    x x

    x x

    x x x x Plural. Türkisch ev-ler

    x x x

    x x

    NOTA 2:

    P-or ~ P-um [vgl. ausführlicher http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro7.pdf ]

    P-or = Possessor: Dasjenige Konzept, das als 'Besitzer von X' fungiert.

    P-um = Possessum: Dasjenige Konzept, das als 'x eines Besitzers' fungiert.

    P-um stellt also den Kotext von P-or.

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro7.pdf

  • Beispiel 2 (Türkisch)

    [ROLE(A):PERSON] Kategorisierung Funktion

    /EV PRES 1Sg

    PRES /

    [sev-] [-iyor-] [-um]

    sev -iyor -um [X]

    love -PRES -1SG

    'Ich liebe…'

    NOTA: EV = Ereignisvorstellung (Basistruktur: )

    ROLE:A = (Qualifiziert für:) Agentive Rolle

    ALLO-Strukturen

    Zwei Typen: a. Die Artikulationsseite eines morphologischen sprachlichen Zeichens

    (Morphems), also das MORPH hat Varianten, ohne dass sich die Konzeptseite

    (Kategorie/Funktion) des Morphems ändert.

    b. Die Konzeptseite (Kategorie/Funktion) eines morphologischen sprachlichen

    Zeichens (Morphems) hat Varianten, ohne dass sich die Artikulationsseite (also das

    MORPH) ändert.

    Typ 1: ALLOMPORH

    Kategorie/Funktion K(M)

    Morphem

    Morph A1(M) A2(M) A3(M)

  • Beispiel (Deutsch, Auswahl, UL = Umlaut]:

    Kategorie/Funktion PLURAL

    Morphem

    Morph [-ər] [-ən] [UL + -ər]

    Kind-er Frau-en Häus-er

    Türkisch:

    Kategorie/Funktion P-or

    Morphem /-In/

    Morph [-ir] [-ın] [-yn] [-un]

    ev- in at-ın gül-ün kol-un

    house-GEN horse-GEN rose-GEN arm-GEN

    Drei Typen der Allomorphie

    a. Motiviert durch Anpassung an Artikulation (signifiant) des Basislexems (host), vgl.

    Türkisches Beispiel, hier Vokalharmonie (Vierer-Reihe):

    Stammvokal Suffixvokal

    [i[, [e] [i] {-i-}

    [a], [ı] [ı] {-ı-}

    [o], [u] [u] {-u-}

    [y], [œ] [y] {-ü-}

  • Analog: Türkischer Ablativ: /-TAn/

    ev-den house-ABL von dem Haus

    at-tan horse-ABL vom dem Pferd

    iş-ten work-ABL von der Arbeit

    ağız-dan mouth-ABL von dem Mund

    Vokalharmonie (Zweier-Reihe)

    Stammvokal Suffixvokal

    [i], [e], [y], [œ] [e]

    [a], [ı], [o], [u] [a]

    Assimilation: Lexikalischer Auslaut Suffixanlaut

    [sth] [sth]

    [stl] [stl]

    b. Lexikalisch motiviert: Die Lexeme (hosts) selbst bestimmen über die Auswahl des

    Allomorphs (vgl. deutsches Beispiel)

    NOTA: Lexikalische Motivation geht oft auf historisch/ehemals artikulatorisch

    bedingte Motivation zurück.

    c. Teil-Allomorphie: Eine Morphem hat mehrere artikulatorische Varianten, die aber nur für

    einen Teil der kategorialen/funktionalen Ebene gelten. Teil-Allomorphien sind besonders

    häufig in fusionierenden Sprachen.

    Beispiel: (sie) sag-Ø-t vs. (sie) sag-te-Ø

    say-PRES-3Sg say-PAST-3Sg

    Hier ist -t vs. -Ø allomorph in Bezug auf die 'Person' (3Sg), aber morphemisch in Bezug auf

    die Dimension 'ZEIT'.

  • 3Sg

    [-Ø] [-t]

    PAST PRESENT

    Analog: Definiter Artikel {Nominativ; Singular} im Deutschen:

    NOMINATV

    [-er] [-i] [-as]

    MASC NEUTER

    FEM

    TYP 2 Polysemie / Homophonie (~Homonymie)

    Homophonie (auch: Homonymie): Ein (hier:) Morphem hat eine Artikulation (Morph), aber

    mehrere Konzeptbereiche, die nicht mit einander 'verwandt' sind (vgl. lexikalisch [Deutsch] Ball: 1.

    bewegliche Kugelgestalt; 2. Tanzereignis).

    PLURAL Kategorie

    [-ə] Morph Morphem /-e1/ ~ /e2/

    1Sg PRES Kategorie

    NOTA: bedeutet: Nicht verwandt!

  • Wenn zwei oder mehrere konzeptuelle Domänen (Kategorien/Funktionen) mit einander verwandt

    sind, ist oftmals eine Frage der linguistischen Theorie. In vielen Fällen muss die Vermutung einer

    Nicht-Verwandtschaft als vorläufig angesehen werden, weil die zugrunde liegende Verwandtschaft

    (noch) nicht entdeckt ist, vgl. Deutsch (Ausschnitt) definiter Artikel + -er (Singular, Feminin) :

    GENITIV Kategorie

    ? [-er] Morph Morphem /-er/

    DATIV Kategorie

    Ebenso:

    Dyirbal -gu (Ausschnitt)

    DATIV Kategorie

    [-gu] Morph Morphem /-gu/

    FINALIS Kategorie

    Ergo: Die Bestimmung von nicht-Verwandtschaft zweier oder mehrerer kategorialer oder

    funktionaler Dimensionen erfordert ein Wissen um nicht vereinbare Eigenschaften dieser

    Dimensionen, etwa:

    "Deutsch -er (Artikel Singular, Feminin) ist homophon, weil im Maskulinum Genitiv und

    Dativ unterschieden werden."

    "Dyirbal -gu ist homophon, weil die Wortarten der beiden host-Typen (Nomen Dativ),

    Verb Finalis) grundsätzlich unterschiedlich sind."

    [Splitting]

    THESE: In vielen Fällen sind homophone Morpheme nichts naderes als Polysemien (s.u.), deren

    interne Struktur ('Verwandtschaft der Segmente') nicht nicht erkannt ist. (sog. Lumping)

  • Typ 3: Polysemie

    Ein Morphem hat eine Form (Morph) oder eine Reihe von Allomorphen, die zwei oder mehrere mit

    einander verwandte Konzeptbereiche symbolisieren.

    Latein -m (Singular)

    AKKUSATIV Kategorie

    [-m] Morph Morphem /-m/

    ALLATIV Kategorie

    E.g.: amic-us amic-a-m vide-t

    friend-M:SG:NOM friend-F-SG:ACC see-3Sg:PRES

    'der Freund sieht die Freundin.'

    amic-us Roma-m veni-t

    friend-M:SG:NOM Rome:F-SG:ACC~ALL come-3Sg:PRES

    'Der Freund kommt nach Rom.'

    Unter Einschluss von Neutrum:

    templu-m in urb-e sta-t

    temple-N:SG:NOM in town-F:SG:ABL/LOC stand-3Sg:PRES

    'Der Tempel steht in der Stadt.'

    [-s], [-Ø] Allomorph (Nominativ Singular)

    AKKUSATIV NOMINATIV Kategorie

    [-m] Morph Morphem /-m/

    ALLATIV Kategorie

  • Vereinfacht:

    NEUTR [-s], [-Ø]

    ALL AKK NOM

    [-m] Allomorph zu NOM:SG

    ------------------------------------------------------------------------------------------------

  • 7. Typologie des signifié-Bereichs von Flexionsmorphemen

    Wiederholung (vereinfacht): Flexionsmorphologie bedeutet die Abbildung von Ko(n)text-

    Eigenschaften an einer Einheit einer sprachlichen Äußerung gegebenenfalls unter Einschluss der

    Kategorisierung von in dieser Einheit repräsentieren konzeptuellen Größen.

    Also: HOST-MORPHEM(F~K) [F = Funktion, K = Kategorie]

    Klassifikation von morphologischen F/K-Domänen

    Beispiele (!): F K

    AGREEMENT PERSON

    GENDER/CLASS

    NUMBER

    TIME

    ASPECT

    MODE

    NEGATION

    INTERROGATION

    TRANSITVITY/INTRANSITIVITY

    DIATHESIS

    PASSIVE

    ANTIPASSIVE

    CAUSATIVE/ANTICAUSATIVE

    VERB CLASSES

    CASE

    DEFINITENESS

    CONCORDANCE

    JUNCTION

    Beispiele und angenäherte Definitionen s.u.!

    Ausgangspunkt in der Regel ‚Wortarten‘.

    THESE: {F/K}-Domänen sind an Wortarten gebunden.

    ABER: Wortarten sind nur unter großem Vorbehalt universell zu beschreiben.

    Beispiel: Problem der Nomen/Verb-Distinktion, vgl. Johannes Helmbrecht 2005 (

    http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-4034/ASSidUE16.pdf)

    Wortarten sind oftmals linguistische Größen und nicht kognitive (konzeptuelle) Größen.

    Wortarten sind in der Regel nur einzelsprachlich umfassend zu fixieren.

    http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-4034/ASSidUE16.pdf

  • 'Klassische' (schulgrammatische, 'linguistische') Wortarten:

    ADJEKTIV

    ADVERB

    ARTIKEL

    INTERJEKTION

    KONJUNKTION

    NOMEN

    NUMERALE

    PRÄPOSITION

    PRONOMEN

    VERB

    ALTERNATIVE: Kognitive Typologie

    Klassifikation der Einheiten einer sprachlich repräsentierten Ereignisvorstellung:

    EREIGNISVORSTELLUNGEN (EV):

    (Vereinfacht:) Die mentale Repräsentation von wahrgenommenen oder erinnerten

    Ereignissen.

    Ein EV wird sprachlich als Äußerung kodiert (linguistisch: ‚Satz‘).

    BEISPIEL: Grimm: Bremer Stadtmusikanten

    EV1 "Es hatte ein Mann einen Esel,

    EV2 der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte,

    EV3 dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen,

    EV4 so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward.

    EV5 Da dachte der Herr daran,

    EV6 ihn aus dem Futter zu schaffen,

    EV7 aber der Esel merkte,

    EV8 dass kein guter Wind wehte,

    EV9 lief fort

    und

    EV10 machte sich auf den Weg nach Bremen."

    Unter Auflösung der Subordination und Junktionen (Verbindungen):

    EV1 Ein Mann hatte einen Esel

    EV2 Der hatte schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen.

    EV3 Dessen Kräfte aber gingen nun zu Ende.

    EV4 So ward er zur Arbeit immer untauglicher.

    EV5 Da dachte der Herr daran.

    EV6 Ich schaffe ihn aus dem Futter.

  • EV7 Aber der Esel merkte [es],

    EV8 Es wehte kein guter Wind.

    EV9 [Er] lief fort.

    EV10 [Er] machte sich auf den Weg nach Bremen.

    Harmonisierung der Stellung:

    Protagonist mEV [TIME FRAME] Antagonist Modal Kulisse

    EV1 Ein Mann hatte einen Esel

    EV2 Der hatte getragen schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle

    EV3 Dessen Kräfte aber gingen nun zu Ende

    EV4 Er ward immer untauglicher

    zur Arbeit

    EV5 Der Herr dachte da daran

    EV6 Ich schaffe ihn aus dem Futter

    EV7 Der Esel aber merkte [es]

    EV8 Kein guter Wind wehte

    EV9 [Er] lief fort

    EV10 [Er] machte sich auf den Weg nach Bremen

    NOTA: Bühnenmodell (Stage Model):

    Ereignisvorstellungen können über eine Bühnenmetapher modelliert werden:

    Ereignisvorstellungen sind Vorstellungen auf der 'mentalen Bühne', wobei es gibt (Ausschnitt, stark

    vereinfacht!):

    Akteure: a. Protagonist (Akteur, der die Handlung 'trägt').

    b. Antagonist (Akteur, auf den die Handlung sich 'ausrichtet')

    c. Agonisten anderer Art (sekundäre Mitspieler etc.)

    d. Requisiten (Ausstattung der Pro-/Ant-)Agonisten)

    e. Kulisse (lokaler, zeitlicher Rahmen, oft auch andere Agonisten)

    'Handeln': Die an der Veränderung der (Pro/Ant-)Agonisten erkennbare

    Ereignisstruktur

    Beispiel:

    Hintergrund

    Objektvorstellung

    Vordergrund

    Bilder: www.easyart.de/.../Der-Bauer-164168.html; www.tierportraet.ch/bilder/esel01.jpg

    http://www.easyart.de/posters/Vincent-Van-Gogh/Der-Bauer-164168.htmlhttp://www.tierportraet.ch/bilder/esel01.jpg

  • Der Pfeil repräsentiert die vom 'Zuschauer' (d.h. von der Kognition) konstruierte

    Beziehung zwischen BAUER und ESEL (hier Possession)

    NOTA: Diese Beziehung selbst ist nicht wahrnehmbar, sondern nur in ihren 'Effekten' in Bezug auf

    BAUER und ESEL.

    Dabei steht der Relator (die 'Beziehungsanzeige') für die Ereignisvorstellung, deren TEIL er ist (das

    Teil für das Ganze, sog. meronymer Ausdruck).

    Daraus ergibt sich:

    Eine Ereignisvorstellung besteht minimal aus zwei Objektvorstellungen und einem

    meronymen Ausdruck der Ereignisvorstellung.

    Objektvorstellung: Zeitstabile, im Wissen relativ fest verankerte Vorstellung von

    Entitäten der Welt ('Objekte'):

    Referent ()

    Meronymer Ausdruck der Ereignisvorstellung ist Relator ()

    oder ein 'kognitives Verb'.

    Basale Gliederung einer EV:

    [Vgl. ausführlicher http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0809/cogtrans.pdf]

    EV

    Die linguistische Umsetzung erfolgt über PHRASEN:

    EV => SATZ

    => Nominalphrase (NP)

    => Verbalphrase (VP)

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0809/cogtrans.pdf

  • Also:

    EV

    NP VP NP

    Definition: Eine Nominalphrase (NP) ist ein sprachlicher Ausdruck, der minimal eine

    lexikalische Einheit beinhaltet, die den Referenten einer Ereignisvorstellung

    repräsentiert. Diese Einheit ist i.d.R. nominal oder nominal-ähnlich.

    Eine Verbalphrase (VP) ist ein sprachlicher Ausdruck, der minimal eine lexikalische

    Einheit beinhaltet, die den meronymen Ausdruck einer Ereignisvorstellung, also den

    Relator repräsentiert. Diese Einheit ist i.d.R. verbal oder verb-ähnlich (verboid).

    Säcke: www.wunderthausen.de/700jahre/meilerof/mo28.htm; Mühle: www.cremlingen.de/.../muehle04-296%20neu.jpg

    EV

    EV

    NP VP NP VP NP

    Der Esel hatte unverdrossen getragen die Säcke zu -r Mühle

    N V N V-oid N

    NOTA 1: kann linguistisch sein (u.a.):

    - Nomen (Haus, Maus, Liebe, Hass etc.)

    - Referentialisierter Ausdruck ([der/die] Gute, [der/die] Abgeordnete,

    dieser, jener (als Demonstrativpronomina) etc., also Adjektive etc., die

    nominal markiert sind.

    - Pronomen

    http://www.wunderthausen.de/700jahre/meilerof/mo28.htmhttp://www.cremlingen.de/.../muehle04-296%20neu.jpg

  • - Nominalisierte Verben (Verbalnomen, referentialisierte Partizipien usw.)

    Beispiele:

    Nomen: Die schöne Frau sieht den kleinen Hund.

    Ref.Ausdruck: Die Schöne sieht den Kleinen.

    Diese sieht jenen.

    Pronomen: Sie sieht ihn.

    Ref. Verb: Singen macht Freude.

    Die Frau singt=im Sitzen.

    Sie ist=am Schreiben.

    Relator () kann linguistisch sein (u.a.):

    - Verb

    - Präposition

    - Konjunktion

    - Relator-Kasus (e.g. Genitiv)

    Beispiele:

    Verb: Die Frau liebt den Hund.

    Präposition: Das Bild an der Wand.

    Konjunktion [Sie kam] als [es regnete].

    Relator-Kasus Das Buch [d-]er Frau.

    Achtung: Postpositionen haben in der Regel bzw. häufig eine andere Struktur: Sie sind

    oftmals nominalen Ursprungs, e.g.

    d-er Liebe weg-en

    *ART-F:SG:GEN love *wish-DAT (Idg. *ṷekno- 'Wille' usw.)

    Also eigentlich : [von] dem Willen der Liebe [her]

    Udisch (Ostkaukasisch):

    xod-e oq'-a

    tree-GEN *lower=side-DAT

    'unter dem Baum'

    Also: NOMEN(:GEN) + Postposition

    < *NOMEN-REL/GEN (= P-or) NOMEN(:KASUS) (= P-um)

    --------------------------------------------

  • Aufgabe der Morphologie in der Versprachlichung von Ereignisvorstellungen:

    Generell (nur Grundverfahren):

    Kotext: Verdeutlichung der Beziehungen zwischen Akteuren der Szene, ihrer Rolle in

    Bezug auf die Ereignisvorstellung,

    Kontext: Explizierung.

    Abbildung von Kategorisierungen.

    Steuerung der Aufmerksamkeit in Bezug auf Akteure (Vordergrund/Hintergrund, Fokus

    usw.) [= Gliederung des Informationsflusses].

    a. Kotext-Verfahren:

    Übertragung von generalisierten (kategoriellen) 'Eigenschaften' einer Einheit des Kotextes

    auf eine andere Einheit:

    KONZEPT KONZEPT

    ARTIKULATION A(M) ARTIKULATION

    Host Morphem Sprachl. Zeichen des Kotexts

    Etwa: komm- -t [die] Frau

    KAT: Referentiell (), '3. Person, Singular', Protagonist

    Verallgemeinert:

    Kotext-bedingte Morphologie ist in der Regel bestimmt über Echo-Verfahren, d.h. das

    Morphem spiegelt (kategorielle) Eigenschaften einer Einheit des Kotexts in eine anderen

    Einheit hinein.

    Drei Basis-Typen:

    a. Eigenschaften des Relators ( VP) werden in den Referenten ( NP) hinein gespiegelt.

    Relationale Echos (= CASE [~ KAT])

    b. Eigenschaften des Referenten ( NP) werden in den Relator ( VP) hinein gespiegelt.

    Referentielle Echos (= AGREEMENT [~ KAT])

    c. Spiegelungen finden innerhalb von VP oder NP statt.

    Kongruenz

  • Beispiel (Tschetschenisch, Ostkaukasus):

    EV

    NP VP NP

    w-ika-ču stag-a d-äkq-ina d-oqqa až-Ø I-good-OBL man(I)-ERG IV-take=away-PERF IV-big apple(IV)-ABS

    'Der gute Mann nimmt den großen Apfel weg.'

    CASE: Vom Verb -äkqina ausgehend die Kasus-Zuweisung ERG, OBL und ABS;

    AGREEMENT: Von až 'Apfle' ausgehend die Abbildung seiner 'Klasse' (~Genus) (Klasse IV) am Verb;

    KONGRUENZ: Die Abbildung der Klasse/Genus von stag 'Mann' (Klasse I) in der NP 'guter

    Mann' am Attribut und až 'Apfel (Klasse IV) in der NP 'großes Apfel' am Attribut.

    w- Kongruenz/Klassenmarker zu stag 'Mann' (Klasse I)

    ika- 'gut' (Attibut)

    -ču Kasusmarker ('Nicht Grundkasus (Absolutiv) beim Attribut')

    stag- 'Mann'

    -a Kasusmarker Ergativ (Agens bei transitivem Verb)

    d- Agreement/Klassenmarker (Klasse IV, Bezug auf Patiens až 'Apfel') äkqina '[hat] weggenommen'

    d- Kongruenz/Klassenmarker zu až 'Apfel'. -oqqa 'groß'

    až 'Apfel' -Ø Kasusmarker Absolutiv (hier: Patiens beim transitiven Verb).

    b. Kontext-Verfahren

    Übertragung von generalisierten (kategoriellen) 'Eigenschaften' einer nichtsprachlichen

    (Wissens-)Einheit des Kontextes auf eine sprachliche Einheit:

  • KONTEXT

    KONZEPT

    ARTIKULATION A(M)

    Host Morphem

    Etwa: sag- -te

    PAST INDICATIVE

    [Nota: Beispiel ohne Berücksichtigung der 'Person']

    Verallgemeinert:

    Kontext-bedingte Morphologie ist in der Regel bestimmt über die semantische

    Spezifikation (kategorieller) Eigenschaften des Kontexts innerhalb einer Einheit der

    sprachlichen Äußerung.

    Basis-Typen:

    (NP) (VP)

    NUMBER TIME

    NEGATION ASPECT

    INETRROGATION MODE

    FOCUS NEGATION

    DEFINITNESS INTERROGATION

    GENDER DIATHESE

    (IN-)TRANSITIVITY usw.

    Domäne einer morphologischen Kategorie:

    Flexionsmorphologische Verfahren markieren grundsätzlich PHRASEN! Wenn nur einzelne Lexeme

    die Zielgröße sind, dann handelt es sich um Derivation.

    Dabei sind folgende Optionen gegeben (E = Element einer Phrase, M = Morphem; Stellung hier

    beispielhaft [suffixal]):

    PHRASE

    a. [E1 E2 E3 ….+-M Gruppenflexion

    b. [E1-M E2-M E3-M …+

    c. [E1-M E2 E3 …+ usw.

  • Beispiel:

    a. [büyük ev]-de

    big house-LOC 'in dem großen Haus' (Türkisch)

    b. bon-us amic-us

    good-M:SG:NOM friend-M:SG:NOM 'der gute Freund'

    c. d-er Hund

    ART-M:SG:NOM dog

    ----------------------------------------------------------

    CASE

    Vgl. ausführlich

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro2.pdf

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro3.pdf

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro5.pdf

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro7.pdf

    HIER: Morphologische Kasus sind morphologische sprachliche Zeichen, die semantische Rollen-

    Anforderungen des Verbs (der meronymen Ereignisvorstellung), eines Verboids oder der

    Ereignisvorstellung selbst am Referenten (Agonisten) in Gestalt einer NP abbilden.

    NOTA: Damit werden andere Verfahren der Kasusmarkierung hier nicht betrachtet

    (analytische Kasusmarkierung, Partikeln, Stellungsregelung etc.).

    Etwa:

    NOM ACC

    amic-us videt flor-em

    friend-M:SG:NOM see:PRES-3Sg flower-F:SG:ACC

    'Der Freund sieht die Blume.'

    NOM ACC ACC

    d-er Hund beiß-t d-ie Katze in d-en Schwanz Art-M:SG:NOM dog bite:PRES-3Sg:PRES ART-F:SG:ACC cat in ART-M:SG:ACC tail

    Genauer:

    [der Hund]NP:NOM [beißt]VP1 [die Katze]NP:ACC [in]VP2 [den Schwanz]NP:ACC

    http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro2.pdfhttp://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro3.pdfhttp://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro5.pdfhttp://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro7.pdf

  • NOTA: Alternative Form:

    NOM DAT ACC

    d-er Hund beiß-t d-er Katze in d-en Schwanz Art-M:SG:NOM dog bite:PRES-3Sg:PRES ART-F:SG:DAT cat in ART-M:SG:ACC tail

    In der zweiten Variante steht der Dativ als Possessor-Marker und ist nicht obligatorisch vom Verb

    her bestimmt, vgl. Stellungsvariante:

    a. Der Hund beißt der Katze in den Schwanz.

    b. Der Hund beißt in den Schwanz der Katze.

    Daraus ergibt sich alternative Ausdrucksform der Por/P-um-Bindung (Possession) im Deutschen:

    a. [P-um]NP… [P-or]NP:GEN

    Haare des Kindes

    b. [P-or]NP:DAT P-um]NP…

    dem Kind die Haare

    Typ (a) wird favorisiert, wenn der Besitz 'alienabel' ist (veräußerbar, nicht-fester, nicht-natürlicher

    Besitz).

    Typ (b) wird favorisiert, wenn der Besitz 'inalienabel' ist (nicht-veräußerbarer, fester, natürlicher

    Besitz, e.g. Körperteile).

    Also (rot: inalienabel, blau: alienabel)

    Der Frisör schnitt dem Kind die Haare und fegte dann die Haare des Kindes zusammen.

    *Der Frisör schnitt die Haare des Kindes und fegte dann die Haare des Kindes zusammen.

    *Der Frisör schnitt dem Kind die Haare und fegte dann dem Kind die Haare zusammen.

    Zusammenfassung POSSESSION im Deutschen:

    a. P-or:GEN P-um des Mannes Hund

    b. P-um P-or:GEN der Hund des Mannes

    c. P-um von P-or-DAT der Hund von dem Mann

    e. P-or:DAT POSS P-um dem Mann sein Hund

    f. P-or:DAT P-um dem Mann die Haare [nur inalienabel]

  • MORPHOLOGISCHE KASUS im Deutschen:

    Bis auf M:SG:GEN und PL:DAT keine Markierung am Referenten, immer nur am Attribut/Artikel!

    Schema also: [ART/ATTR:CASE N]NP

    ~ [ART/ATTR:CASE N:CASE]NP M:SG:GEN / PL:DAT

    Homphonien/Polysemien:

    Hier besipielhaft Artikel + CASE (d-). Im Deutschen Genusunterscheidung nur im Singular, daher

    Plural als 'viertes' Genus!

    ART-er M:NOM F:GEN; F:DAT PL:DAT

    ART-ie F:NOM; F:ACC PL:NOM; PL:ACC

    ART-en M:ACC PL:DAT

    ART-as N:NOM; N:ACC

    ART-es M:GEN N:GEN

    ART-em M:DAT N:DAT

    Systematisch:

    M N F PL

    NOM -er -as -ie

    ACC -en

    GEN -es -er

    -er

    DAT -em -en

    THESE: Morphologisches Kasussystem ist im Deutschen nach Genus unterschiedlich stark

    differenziert. Dabei sind die zusammenfallenden Formen (Synkretismus) polysem und in Bezug auf

    ei