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Roma Iocuta, causa finita? Folgefragen aus dem BGH-Urteil zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung Prof. Dr. Stephan Madaus ZIS Abendsymposion 5. Februar 2019

Roma Iocuta, causa finita? · Roma Iocuta, causa finita? Folgefragen aus dem BGH-Urteil zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung Prof. Dr. Stephan Madaus ZIS Abendsymposion

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Roma Iocuta, causa finita?

Folgefragen aus dem BGH-Urteil zur Haftung der

Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung

Prof. Dr. Stephan Madaus

ZIS Abendsymposion

5. Februar 2019

Überblick

A. Die Ausgangslage

B. Das Haftungsregime außerhalb der Insolvenz

C. Das Haftungsregime im Regelinsolvenzverfahren

D. Das Haftungsregime im vorläufigen Regelinsolvenzverfahren (Eröffnungsverfahren)

E. Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

F. Das Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung

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Ausgangslage

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

− Faktischer Geschäftsführer?

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Das Haftungsregime außerhalb der Insolvenz

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

→ Gesellschaftsrechtliche Innenhaftung (vgl. § 43 GmbHG; § 92 II AktG)

→ Deliktische Außenhaftung (vgl. § 826 BGB und § 823 II BGB)

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

→ Vertragsrechtliche Innenhaftung (§ 280 I BGB)

→ Vertragsrechtliche Außenhaftung (§311 III BGB)

→ Deliktische Außenhaftung (§ 826 BGB)

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Das Haftungsregime im Regelinsolvenzverfahren

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

→ Befugnisse enden mit Verfahrenseröffnung als Auflösungsgrund

→ Vollständige Verdrängung durch den Insolvenzverwalter (§ 80 InsO)

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

→ Vertragsrechtliche Vertretungsbefugnisse erlöschen (§ 117 InsO)

➔ Vollständige Konzentration der Handlungsmacht auf den Insolvenzverwalter mit eigenem

Haftungsregime für Pflichtverletzungen (§ 60 InsO) und Nichterfüllung (§ 61 InsO).

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Das Haftungsregime im Regelinsolvenzverfahren

• Insolvenzverwalterhaftung

− Für Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten → § 60 InsO

− Gegenüber alle Verfahrensbeteiligten (Gläubiger; Gesellschafter)

− Masseverkürzungen (Gesamtschäden) und Individualschäden

− Handelndenhaftung und Amtsträgerhaftung

− =

− Für Verletzungen nicht insolvenzspezifischer Pflichten

− Vertragsrechtliche oder deliktische Haftung auf Individualschäden

− Für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten → § 61 InsO

− Besondere Form der Sachwalterhaftung (§ 311 III BGB)

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Das Haftungsregime im Regelinsolvenzverfahren

• Geschäftsleiter und Insolvenzverwalterhaftung

Zivilrechtliche Haftung Insolvenzverwalterhaftung

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Das Haftungsregime im vorläufigen Regelinsolvenzverfahren

(Eröffnungsverfahren)

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

→ Befugnisse enden erst mit Verfahrenseröffnung als Auflösungsgrund

→ Keine Verdrängung durch den vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter

→ Verdrängung durch den vorläufigen starken Insolvenzverwalter

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

→ Vertragsrechtliche Vertretungsbefugnisse erlöschen erst mit Eröffnung (§ 117 InsO)

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Das Haftungsregime im vorläufigen Regelinsolvenzverfahren

(Eröffnungsverfahren)

• Insolvenzverwalterhaftung neben Geschäftsleiterhaftung

− Vorläufiger Insolvenzverwalter haftet nur für Verletzung bereits bestehender

insolvenzspezifischer Pflichten → § 60 InsO

− Amtsträgeraspekt der Handelndenhaftung (Schuldner kein Amtsträger)

− Für Verletzungen nicht insolvenzspezifischer Pflichten

− Gesellschaftsrechtliche Haftung des (faktischen) Geschäftsleiters

− Vertragsrechtliche oder deliktische Haftung auf Individualschäden des Handelnden

− Für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten → § 61 InsO

− Vorl. Insolvenzverwalter haftet nur im Rahmen der Kompetenz zur Begründung von

Masseverbindlichkeiten (§ 55 II InsO; Einzelermächtigung)

− Nur dann Vertrauen aus Auftreten als Sachwalter (vgl.§ 311 III BGB)

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Das Haftungsregime im vorläufigen Regelinsolvenzverfahren

(Eröffnungsverfahren)

• Insolvenzverwalterhaftung neben Geschäftsleiterhaftung

Geschäftsleiterhaftung

Zivilrecht

Gesellschaftsrecht

Verwalterhaftung

InsO

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

→ Verwaltungsbefugnisse enden mit Verfahrenseröffnung als Auflösungsgrund

→ Keine Verdrängung durch den Insolvenzverwalter (§ 80 InsO)

→ Eigenverwaltung angeordnet → Organe agieren als (gerichtlich bestellte) Liquidatoren

→ Liquidation erfolgt nach Maßgabe der InsO, subsidiär dem Gesellschaftsrecht

→ Es bleibt beim Grundsatz der insolvenzrechtlichen Vollabwicklung (§ 199 Satz 2 InsO)

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

→ Vertretungsbefugnisse erlöschen (§ 117 InsO), sind ggf. neu zu begründen

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Sachwalter haftet nur für Verletzung eigener insolvenzspezifischer Pflichten

→ § 60 iVm§ 274 I InsO

→ Keine Haftung für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten (vgl. § 274 I InsO)

− Für Verletzungen nicht insolvenzspezifischer wie insolvenzspezifischer Pflichten haftet die

Schuldnerin = Gesellschaft → mit ihrem unzureichenden Vermögen

− Haftung der Geschäftsleiter?

− Gesellschaftsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters

− Vertragsrechtliche oder deliktische Haftung auf Individualschäden

− Insolvenzrechtliche Haftung für insolvenzspezifische Pflichtverletzungen und

Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten?

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Gesellschaftsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters ist weiter konstruierbar, aber

Pflichtenprogramm bzgl. Geschäftsführung ist insolvenzrechtlich determiniert

→ Primat des Gläubigerinteresses anstelle des Gesellschaftsinteresses

→ Innenhaftung deckt nur Gesamtschäden, nicht aber Einzelschäden/Nichterfüllung

(siehe BGH-Sachverhalt)

− Vertragsrechtliche oder deliktische Haftung auf Individualschäden unberührt

→ Erweiterte Vertrauenshaftung des Eigenverwalters (§ 280 I oder 311 III BGB) ?

− Insolvenzrechtliche Haftung für insolvenzspezifische Pflichtverletzungen analog § 60

InsO?

− Insolvenzrechtliche Haftung für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten analog § 61

InsO?

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Insolvenzrechtliche Haftung für insolvenzspezifische Pflichtverletzungen analog § 60

InsO?

1. Regelungslücke

− ESUG-Gesetzgeber beabsichtigte keine Haftungsfreistellung

2. Vergleichbare Interessenlage

− Handelndenhaftung → Privatvermögen einer natürlichen Person (vgl. § 56 InsO)

− Amtsträgeraspekt → Haftung knüpft an Kompetenzen als Amtsträger an (Verwaltungs- und

Entscheidungsbefugnisse mit Relevanz für Beteiligtenvermögen)

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Haftungsbegrenzung durch Aufgabenzuweisung (CRO/CIO) bzgl. § 60 InsO?

→ Handelndenhaftung oder Amtsträgerhaftung?

− Handelndenhaftung → Privatvermögen einer natürlichen Person (vgl. § 56 InsO)

− Amtsträgeraspekt → Haftung knüpft an Pflichten als Amtsträger an (inkl. Bindung aus

Verwaltungs- und Entscheidungsbefugnisse mit Relevanz für Beteiligtenvermögen)

= Begrenzung des Risikos in Geschäftsführung durch Geschäftsbereiche und deren

Einhaltung (Handelndenhaftung)

= Delegation insolvenzrechtlicher Pflichten in Geschäftsleitung nicht notwendig

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Haftungsbegrenzung durch Verlagerung (Generalbevollmächtigter/faktischer CRO)?

→ Handelndenhaftung oder Amtsträgerhaftung bei§ 60 InsO?

− Handelndenhaftung → Privatvermögen einer natürlichen Person (vgl. § 56 InsO)

− Amtsträgeraspekt → Haftung knüpft an Kompetenzen/Pflichten als Amtsträger an

= Haftungsbefreiende Delegation insolvenzrechtlicher Pflichten jenseits der

Geschäftsleitung nicht möglich (vgl. § 60 II InsO) = § 278 BGB

= Geschäftsleitung haftet für Generalbevollmächtigte und faktische CRO

= Begrenzung des Risikos in Geschäftsführung durch Geschäftsbereiche (echte

CRO) und deren Einhaltung (Handelndenhaftung)

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Haftungsbegrenzung durch Verlagerung (Generalbevollmächtigter/faktischer CRO)?

→ Handelndenhaftung oder Amtsträgerhaftung bei § 60 InsO?

− Geschäftsleitung haftet für Generalbevollmächtigte und faktische CRO

− Regress im Innenverhältnis aus Geschäftsbesorgung, soweit kein Ausschluss

− Direktanspruch Beteiligter gegen GBV/faktischer CRO nur im Rahmen des allg.

Zivilrechts (§ 311 III und § 826 BGB)

= Begrenzung des Risikos in Geschäftsführung durch Geschäftsbereiche (echte

CRO) und deren Einhaltung (Handelndenhaftung)

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Insolvenzrechtliche Haftung für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten analog § 61

InsO?

1. Regelungslücke

2. Vergleichbare Interessenlage

− Besondere Form der Sachwalterhaftung

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Haftungsbegrenzung durch Aufgabenzuweisung (CRO/CIO) bzgl. § 61 InsO?

→ Anknüpfungspunkt für Sachwalterhaftung (vgl. § 311 III BGB)?

− Handelndenhaftung → Begründung einer Masseverbindlichkeit

− Vertrauenstatbestand → Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten

(Haftung knüpft an Kompetenzen zum Einblick in das Schuldnervermögen sowie zur

Kontrolle desselben an)

= Delegation insolvenzrechtlicher Pflichten auf CRO/CIO irrelevant (Testfrage

allein: “Wer begründet Masseverbindlichkeit für den Schuldner?”)

= Begrenzung des Risikos für Geschäftsführung auf CRO faktisch möglich durch

Begrenzung des Gläubigerkontakts (Handelndenhaftung)

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

− Haftungsbegrenzung durch Verlagerung (Generalbevollmächtigter/faktischer CRO)?

→ Sachwalterhaftung bei § 61 InsO?

− Handelndenhaftung

− Vertrauensaspekt

= Wer begründet die Masseverbindlichkeit? Haftungsbefreiende Delegation

möglich (keine Zurechnung über § 278 BGB)

= Direkthaftung der Generalbevollmächtigten/faktischen CRO bei Setzen des

Vertrauenstatbestands (Begründung des Masseverbindlichkeit)

= Begrenzung des Risikos in Geschäftsführung durch Passivität

(Handelndenhaftung; kein Vertrauenstatbestand)

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Das Haftungsregime in der Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung in insolvenzrechtlicher Liquidation

Geschäftsleiterhaftung

Zivilrecht

Gesellschaftsrecht

InsO analog

Sachwalterhaftung

InsO

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Das Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung

• Haftungsrelevante Personen – „Geschäftsleiter“ und Entscheidungsträger

− Organe

→ Befugnisse enden erst mit Verfahrenseröffnung als Auflösungsgrund

→ Keine Verdrängung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 270a InsO)

→ Eigenverwaltung nicht angeordnet → keine (gerichtlich bestellten) Liquidatoren

→ Geschäftsführung nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts

(soweit keine Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO)

− Prokuristen und Generalbevollmächtigte

→ Vertretungsbefugnisse erlöschen noch nicht bzw. können neu begründet werden

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Das Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung bei angestrebter insolvenzrechtlicher Sanierung (§ 270a/§270b)

− Gesellschaftsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters

→ Bereits Primat des Gläubigerinteresses anstelle des Gesellschaftsinteresses?

M1: JA aufgrund Gefahrenlage/wirtschaftlicher Betrachtung

M2: Auch, aber nicht allein

→ Gläubigerinteresse jenseits des Sanierungsinteresses?

→ Innenhaftung deckt nur Gesamtschäden, nicht aber Einzelschäden/Nichterfüllung

(siehe BGH-Sachverhalt)

− Vertragsrechtliche oder deliktische Haftung auf Individualschäden unberührt

→ Keine erweiterte Vertrauenshaftung des Eigenverwalters (§ 280 I oder 311 III BGB)

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Das Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung bei angestrebter insolvenzrechtlicher Sanierung (§270a/§270b)

− Insolvenzrechtliche Haftung für insolvenzspezifische Pflichtverletzungen analog §60

InsO?

− Handelndenhaftung bei Amtsträgerschaft → nur bzgl. bereits existierender Pflichten

− Im Übrigen bleibt vertrags-/gesellschaftsrechtliche Haftung nach allg. Grundsätzen

− Insolvenzrechtliche Haftung für Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten analog §61

InsO?

− Handelndenhaftung bei Vertrauenstatbestand → nur für Handelnde mit

Vertrauensstellung im Rahmen der Befugnisse zur Begründung von

Masseverbindlichkeiten (dann auch GBV/faktischer CRO)

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Das Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung

• Geschäftsleiterhaftung bei angestrebter insolvenzrechtlicher Sanierung (§ 270a/§270b)

Geschäftsleiterhaftung

Zivilrecht

Gesellschaftsrecht

InsO analog

Sachwalterhaftung

InsO

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Fazit

• Geschäftsleiterhaftung in vorläufiger und angeordneter Eigenverwaltung

Vorläufige Eigenverwaltung Angeordnete Eigenverwaltung

Geschäftsführer • Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 60 und §

61 InsO

• Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 60 und § 61

InsO

CRO/CIO • Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 60 und §

61 InsO

• Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 60 und § 61

InsO

Generalbevollmächtigter • Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 61 InsO

• Innenhaftung aus GesellR

• Außenhaftung aus ZivilR

• Außenhaftung analog § 61 InsO

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Vielen Dank!

Für Anregungen oder Nachfragen:

Prof. Dr. Stephan Madaus

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

06099 Halle (Saale), Germany

T +49 (0)345 552 3190

E [email protected]

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