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Günter Weiland: Bomben auf Bamberg im letzten Kriegsjahr 1945 Seit 1941 wohnte ich mit meinen Eltern in der Hainstraße 51, dem damals letzten Haus im Süden an der linken Straßenseite, nach dem Eckhaus Nr. 2 an der Einmündung der E.T.A.- Hoffmann- Straße. Unsere Wohnung war im ersten Stock, die Erdgeschoßwohnung gehörte der Familie Dr. Riegg, die im zweiten Stock der Familie Paulus. 1943 kam eine meiner Großmütter, die Mutter meines Vaters zu uns, nachdem ihre Wohnung in Berlin ausgebombt worden war. Mein Vater war 1943 für eine kriegswichtige Aufgabe nach Köln versetzt worden und seitdem nur selten ein paar Tage zuhause. Anfang 1944 kam durch Vermittlung meiner anderen Großmutter ein Berliner Pflegekind, mein “Pflegebruder Wolf” (Wolfgang) dazu, weil seine Mutter ihn wegen der in Berlin sehr häufigen und intensiven Luftangriffe in einer sichereren Umgebung, wie es Bamberg damals noch war, untergebracht haben wollte. Zur letzten Kriegsweihnacht 1944 kam mein Vater für wenige Tage nach Bamberg und musste im neuen Jahr wieder in Köln sein. Auf dem Foto steht er hinten links, vor ihm seine Mutter mit “Wolf” (9) auf dem Schoß, daneben meine Mutter mit mir (12), und dahinter Freunde meiner Eltern, Anni Schober mit ihrem Mann aus der Nürnberger Straße.

Günter Weiland: Bomben auf Bamberg

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Günter Weiland: Bomben auf Bamberg im letzten Kriegsjahr 1945

Seit 1941 wohnte ich mit meinen Eltern in der Hainstraße 51, dem damals letzten Haus im Süden an der linken Straßenseite, nach dem Eckhaus Nr. 2 an der Einmündung der E.T.A.- Hoffmann-Straße. Unsere Wohnung war im ersten Stock, die Erdgeschoßwohnung gehörte der Familie Dr. Riegg, die im zweiten Stock der Familie Paulus.

1943 kam eine meiner Großmütter, die Mutter meines Vaters zu uns, nachdem ihre Wohnung in Berlin ausgebombt worden war. Mein Vater war 1943 für eine kriegswichtige Aufgabe nach Köln versetzt worden und seitdem nur selten ein paar Tage zuhause.

Anfang 1944 kam durch Vermittlung meiner anderen Großmutter ein Berliner Pflegekind, mein “Pflegebruder Wolf” (Wolfgang) dazu, weil seine Mutter ihn wegen der in Berlin sehr häufigen und intensiven Luftangriffe in einer sichereren Umgebung, wie es Bamberg damals noch war, untergebracht haben wollte.

Zur letzten Kriegsweihnacht 1944 kam mein Vater für wenige Tage nach Bamberg und musste im neuen Jahr wieder in Köln sein. Auf dem Foto steht er hinten links, vor ihm seine Mutter mit “Wolf” (9) auf dem Schoß, daneben meine Mutter mit mir (12), und dahinter Freunde meiner Eltern, Anni Schober mit ihrem Mann aus der Nürnberger Straße.

In dieser Zeit waren die nächtlichen Fliegeralarme auch in Bamberg häufiger geworden und dauerten wesentlich länger, denn die Bomberverbände überflogen unsere Gegend auf dem Hinweg zu ihren Zielen in anderen Teilen Deutschlands und kamen dann auf dem Rückweg von dort über uns wieder zurück.Das bedeutete lange Nächte im Keller und wenig Schlaf für uns und die beiden anderen Familien im Haus, alle zusammen waren es vier Frauen und sieben Kinder - ich war der älteste davon. So auch in der Nacht vom 2. zum 3. Januar 1945, als Nürnberg den schwersten Luftangriff erlebte. Oft hatten wir schon vorher nach den Angriffen dort den rot glühenden Widerschein der brennenden Stadt in 60 km Entfernung im Süden gesehen.

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Es war zunächst die übliche Routine: Voralarm, aufstehen, anziehen, mit einigen wichtigen Dingen in den Keller. Danach kam bald der Hauptalarm, der meist einige Stunden dauerte. Waren die Bomberverbände wieder im Abflug, dann gab es zunächst die Vorentwarnung und wir trauten uns wieder nach oben, blieben aber noch am Radio, um die Luftlagemeldungen zu hören. In dieser Nacht aber wurde diese unerwartet durch einige heftige Detonationen in großer Nähe unterbrochen, die Fensterscheiben zerbarsten, die Verdunkelungsrollos aus dickem, grau-schwarzen Papier wurden zerfetzt. Der Luftdruck hatte mich von der Couch, auf der wir neben dem Radio saßen, über den Tisch davor hinweg auf den Teppich befördert, wo ich mich in der plötzlich danach eingetretenen Stille wiederfand. Was war geschehen? Ein Flugzeug war über Bamberg erschienen und hatte mehrere Luftminen über dem Hainviertel abgeworfen, die nahe der Einmündung der Sodenstraße in die Hainstraße explodiert waren. Der “Fränkische Tag” veröffentlichte 1953 das“Bamberger Kriegstagebuch 1944/46" von Rudolf Albart mit dem Titel “Die letzten und die ersten Tage”. Der Angriff ist dort auf den Seiten 12 und 13 ausführlich beschrieben:

Da war zunächst "Onkel Baldrian"

Er saß in der Luftschutzbefehlsstelle in Nürnberg, und der Volksmund hatte ihn deswegen Baldrian getauft, weil seine Stimme wie Baldrian auf die zum Zerreißen gespannten Nerven tropfte. Wenn kurz nach dem Ruf des verdammten Kuckucks der Großdeutsche Rundfunk im Nürnberger Bereich sein Programm abschaltete, dann war Onkel Baldrians große Stunde gekommen: "Starke Bomberverbände im Anflug auf unsere Stadt. Luftschutzmäßiges Verhalten ist unbedingt geboten", sagte Baldrian in seiner öligen Bierruhe auch an jenem 2. Januar des Jahres 1945 in das Mikrophon, und wenige Minuten später schon konnte man sicher sein, dass auch sein Bamberger Kollege, der leider ohne tröstenden Spitznamen blieb, aus dem Stephansbergkeller etwas zu vermelden hatte: "Hier örtliche Luftschutzleitung Bamberg", sagte derBamberger Sprecher, dem man die Aufregung anmerkte und dessen Stimme ohne jede Mikrophonroutine klang, ganz im Gegensatz zu Baldrian.

"Hier örtliche Luftschutzleitung Bamberg"

Einzelne feindliche Flugzeuge sind während des zur Zeit auf Nürnberggeflogenen Angriffes nach Norden abgedreht und sind im Anflug auf unseren inneren Luftschutzbereich. Bis zu diesem 2. Januar fand seine Warnung in Bamberg kaum Gehör. Bis zu diesem 2. Januar war es in Bamberg üblich, auf den Dächern zu hocken oder auf freie Sicht gewährenden Hausbalkonen zu stehen und in den südlichen Nachthimmel zu starren, der sich vom Feuerschein des brennenden Nürnberg rötete, immer wieder dem Herrgott dankend, dass dieser Feuerschein noch 60 Kilometer entfernt war. Die Luftschutzwarte der einzelnen Stadtbezirke gingen durch die Keller ihrer Straßenzüge, stellten sich dann irgendwo zu einem Plausch an eine Ecke, und die Leute, die nicht auf den Balkonen standen, im Bett lagen oder gar im Keller saßen, nutzten die verlorene Nachtruhe ebenfalls, indem sie sich inden Hauseingängen zu einem Schwatz zusammenstellten. Die Bamberger hatten keine Angst, und weiß der Himmel, wovon sie ihre Sicherheit selbst dann noch ableiteten, als Nürnberg bereits in Schutt und Asche versunken war und auch die Nachbarstadt Schweinfurt in Trümmer ging. Viele Nächte hindurch hörte man interessiert nach dem Brummen

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und Dröhnen der schweren Bomber, manchmal direkt über sich, und taxierte ihren Kurs. Häufig schien es, als ob sie dem silbern glänzenden Band des Maines nachflögen, um ihre tödliche Last in das mitteldeutsche Industrierevier zu tragen. Eine halbe Stunde und oft länger dauerte dieses Dröhnen, und nach zwei Stunden etwa kam es wieder zurück, die Bomber flogen nach Hause.

"Bei uns passiert nichts"

sagten dann die Leute übermütig, steckten sich hie und da unter freiem Himmel sogar eine Zigarette ins Gesicht und hielten die Glut himmelwärts, ehe sie sich wieder ins Bett legten, mit dem festen Vorsatz, das nächste Mal bestimmt nicht mehr "auf die da" hereinzufallen. Aber an diesem 2. Januar tat es plötzlich einen ganz gewaltigen Schlag. Man hörte nur diesen einzigen Schlag, aber der war ungeheuer. Vier Luftminen und eine kleinere Sprengbombe waren es gewesen, die von einem einzelnen Flugzeug abgeworfen worden waren. Die erste Mine krepierte über dem Geäst in unmittelbarer Nähedes Standbilds König Ludwigs II., die zweite Mine riss einen Trichter in die Wiese zwischen Hollergraben und Staatsarchiv, die dritte schlug neben der Villa Manz ein. Fabrikdirektor Ernst Manz starb einige Wochen später an den Folgen der an diesem Abend erlittenen Verletzungen. Die vierte Mine endlich explodierte nahezu an der gleichen Stelle wie auch die Sprengbombe, nämlich jenseits des Staatsarchivs in der Schützenstraße, wo das Anwesen Hausnummer46 beschädigt wurde. Da das Staatsarchiv selbst somit in der Mitte der ringsumher krepierenden Minen lag, entstanden die Zerstörungen am Gebäude durch den sich an dieser Stelle brechenden ungeheuren Luftdruck. Auf 130.000 Mark wird der Schaden beziffert, der sich jedoch nur auf Gebäudeschaden bezieht, da die wertvollen Akten nach auswärts verlagert bzw. im Keller untergebracht gewesen waren. Unwahrscheinliches Glück hatte die Luftschutzwache des Archivs, die sich vor dem Haus im Freien aufgehalten hatte, um den Feuerschein des brennenden Nürnberg zu beobachten. "Ich hatte", so sagt unser Dr. MH, der damalige Leiter und Geschäftsführer des Archivs, "die Bügel von der Spitzenkrone des Prinzregenten plötzlich amMantelkragen, während das Wappen des Prinzregenten gänzlich von seinem Postament über dem Portal herunterfiel". Die dritte Mine - so sah man anhand des Einschlags entsetzt am nächsten Tag - war kaum 150 Meter von der Luftschutzwache entfernt krepiert.Die Aufregung jedoch legte sich wieder, als sich einen Tag später ergab, dass es sich um keine geplanten Abwürfe, sondern nur um Irrläufer gehandelt haben könne, die sozusagen nur zufälligerweise den Stadtrand etwas "angekratzt" hatten, so wie bereits beinahe ein volles Jahr vorher, nämlich am 30. März 1944, der östliche Stadtrand durch einen Notabwurf, der das Anwesen des Bauunternehmers Höllein in der äußeren Memmelsdorfer Straße in Mitleidenschaft gezogen hatte, aufgestört worden war.

Ohne Fensterscheiben war unsere Wohnung nun für einige Zeit unbewohnbar geworden. Meine Mutter organisierte zunächst für meine Großmutter den Umzug in ein Zimmer im Seniorenheim des Klosters der Michelskirche und für Wolf und mich eine vorübergehende Unterbringung in der alten Mühle in Leesten bei Verwandten ihrer Freundin “Tante Anni” Schobert. In den folgenden Wochen hauste sie trotz der Kälte in der Wohnung und kümmerte sich um eine provisorische, einfache Verglasung der zerstörten Doppelfenster.

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An Zeit in der Mühle erinnern wir, Wolf und ich, uns noch heute sehr gut.Wir schliefen in dem Nebengebäude mit dem kleinen Anbau, im Hof zum Hauptgebäude dazwischen warder Misthaufen, darauf das “Häuserl” mit dem Herz in der Tür, zu erreichen über ein breites Brett, was nachts im Dunkeln etwas problematisch war.Der Strom wurde vom Mühlrad erzeugt, weshalb die Glühlampen wegen dessen unrunden Laufs immer etwas flackerten.

Leesten (OT von Strullendorf), die alte Mühle

Einmal im Monat wurde Getreide gemahlen, um dann daraus Brot zu backen. Dazu wurde beim Bäcker der Sauerteig geholt, vom Teig die gleiche Menge danach wieder zum Bäcker gebracht für den nächsten, der Brot backen wollte. Der Backofen befand sich auf der Rückseite der Mühle. Als die Brote gebacken waren, wurden in der restlichen Hitze von einem Rest Teig noch einige köstliche Zwiebelkuchen gebacken. Nach zwei oder drei Wochen konnten wir dann zurück nach Bamberg und wieder zur Schule gehen. Auf dem Schulweg ging es vorbei an der beschädigten Villa Manz, gegenüber der Theresienwiese, wo die meisten Einschläge erfolgt waren.

An der Villa Manz arbeiteten inzwischen KZ-Häftlinge, die mit den Aufräumarbeitenbeschäftigt waren. Ihr Bewacher war eineinarmiger Soldat, der uns erzählte, dass ernach seiner Verwundung mit dem letztenFlugzeug aus Stalingrad heraus gekommenwar. Es war sehr deutlich zu spüren, was ervom Krieg hielt und er schaute in die andereRichtung, wenn wir mit den Häftlingen sprachen.

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Einer davon war in der Wehrmacht Feldwebelgewesen, der irgendwie in Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 gebracht worden war. Wir hörten vom ihm einiges überdie Bedingungen, unter denen er und seine Mithäftlinge lebten und vereinbarten eine Stelle an der Gartenmauer vor der Villa Manz, wo wir ihm morgens unsere Schulbrote deponierten. Dafür legte er uns dort Stücke

von der Bleiabdichtung des zerstörtenErkers der Villa hin, die wir auf demHeimweg mitnahmen und aus denen ichdann zuhause mit alten Gussformen meinesGroßvaters, der im Ersten Weltkrieggefallen war, Bleisoldaten goss.Bei einem Besuch in Bamberg in den1990er Jahren konnte ich diese Aufnahmen(oben) machen, der erste Stein dort, rechts vomgemauerten Gartenpfosten, ist immer noch,wie nach dem Angriff, etwas verschoben.

Die auf dem aktuellen Satellitenbild in der Vegetation der Theresienwiese noch sichtbare Stelle des Treffers einer der Luftminen ist etwa 250m von unserer Wohnung entfernt gewesen. Mein Pflegebruder Wolf erinnert sich außerdem noch an Splittergräben, die dort von den Häftlingen ausgehoben wurden, deren Reste aber nicht mehr erkennbar sind. Beim Angriff am 22. Februar wurden sie wohl benutzt (vgl. dazu im “Tagebuch”, Seite 16). Die Bamberger Feuerwehr hatte südlich der Gärten anschließend an unsere Wohnung - inzwischen mit neuen Häusern bebaut -

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auch einen geschützten Unterstand angelegt, der nach dem Krieg ein beliebter Treffpunkt der GIs mit ihren Begleiterinnen war.

Der nächste Angriff am 14. Februar ist im Bamberger Kriegstagebuch auf den Seiten 13 bis 15 und 20 beschrieben. Getroffen wurde die Gegend um den Bahnhof und Bamberg-Ost, in der Hainstraße waren wir davon nicht betroffen.

Die Bamberger Kinder fanden am Bahngelände eine Menge Kugellager aus den dortbeschädigten Güterwagen, die dann als Räder für selbst mit Brettern als Chassis und Latten als Achsen gebastelte “Rennwagen” verwendet wurden, die uns, quasi als Vorläufer von Go-Carts, dazu dienten, z.B. auf dem Gehweg am Kaulberg herunter zu rasen. Am Vormittag des 22. Februar gab es, während wir in der Schule waren, wieder einen Voralarm und wir sollten in der Schule den Luftschutzraum aufsuchen. Meine Klasse war im Rückgebäude am Heinrichsdamm des Gymnasiums in der Franz-Ludwigstraße, gleich am Zaun daneben war jedoch eine Lücke, durch die ich auf kurzem Weg die Schule verlassen und über den Heinrichsdamm, vorbei am Priesterseminar, nach Hause rennen konnte. Wolf besuchte die Martinschule am Hinteren Graben und erinnert sich:

“Damals vor 70 Jahren waren auf der Wiese vor dem Haus von Manz nochSplittergräben. Ich erinnere mich daran, wie die entstanden sind. Es waren wohl Gefangene, die da gebuddelt haben. An den Tagesangriff auf Bamberg kann ich mich auch noch erinnern. Wir waren in der Schule, als Voralarm kam. Wer es nicht weit nach Hause hatte,brauchte nicht in den Bunker. Ich lief an der Regnitz entlang bis in "unseren Hain". Dann kam das Dröhnen in der Luft und bald sah ich, es war ein sonniger Tag, ein ganzes Bombergeschwader am Himmel fliegen. Die Flugzeuge glänzten in der Sonne; es sah toll aus.”

Während des Voralarms waren aus der Stadt auch zwei Flüchtlingsfrauen mit Kindern zu uns in ins Haus gekommen, weil sie in der Stadt den Angriff in der Woche davor in der Stadt erlebt hatten und sich am Stadtrand sicherer fühlten.Dann kam der Hauptalarm und alle Hausbewohner und die neuen Besucher versammelten sich im Keller. Der Luftschutzraum war der mittlere Raum zur Straßenseite, dort wo darüber der Erker des Hauses war. In der Mitte des Raumes war die Decke mit einem gemauerten Pfosten gestützt. An dieser Stütze stand ein Kinderbett mit den beiden kleinen Mädchen der Familie Paulus. Meine Mutter, die Oma, Wolf und ich befanden uns in der Nähe der Kellerfenster in der Ecke unter dem Hauserker. Es muss um die Mittagszeit gewesen sein, als das Brummen der Flugzeuge immer lauter wurde. Dann kam das Heulen fallender Bomben und eine fürchterliche Explosion erschütterte das ganze Haus, etwas rumpelte gewaltig oben im Haus, die Luft war voller Staub und machte das Atmen schwer. Die Beleuchtung im Keller war ausgefallen. Dann wurde es wieder stiller.Wir stellten fest, dass der Pfosten zerbrochen war und ein Steinbrocken am Kopfende in dem Kinderbett lag, doch diesmal hatten die Mädchen am Fußende gesessen und waren unverletzt! Bei den Nachtalarmen hatten sie immer am Kopfende des Bettes geschlafen – es war wie ein Wunder!Einige Zeit danach - es mag eine viertel oder halbe Stunde vergangen sein - erneuerte sich das Brummen der Flugzeuge und wieder heulten fallende Bomben und eine weitere Explosion erschütterte das Haus. Dann wurde es lange ganz ruhig und wir warteten auf die Entwarnung. Doch nichts war zu hören, vielleicht war der

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Strom ausgefallen. Nach einiger Zeit versuchten wir aus dem Hintereingang durch die Tür der Waschküche in den mit dem Keller ebenerdig gelegenen Garten aus dem Haus zu kommen. Das gelang zunächst nicht und wir fürchteten, dass das Haus eingestürzt sei und wir im Keller verschüttet wären. Aber die Tür war nur stark verklemmt und nach einiger Anstrengung gelang es, sie zu öffnen undins Freie zu gelangen. An der südlichen Hauswand waren zwei Bombentrichter, einer davon vom ersten wieder halb zugeschüttet. Die Wand aber stand noch! Das dritte Nachbarhaus, Nummer 6 in der E.T.A.-Hoffmannstraße, angrenzend an den hinteren Teil unseres Gartens war nicht mehr da und dem Erdborden völlig gleich gemacht. Hier hatte die Familie Boxdorfer gewohnt, niemand hat dort überlebt. Der Vater war aber als Soldat noch im Krieg. Er kam Wochen nach Kriegsende aus der Gefangenschaft, klingelte bei uns und fragte meine Mutter, ob sie wüsste, wohin denn seine Familie gegangen war.

Wolf schrieb mir einmal vor Jahren aus seinenErinnerungen an diesen Tag: Toll finde ich, dass wir unsereErinnerungen auszutauschen.In der E.T.A. Hoffmannstraße war dieFamilie Boxdorfer und hatte 6 Kinder.Richtig ist, dass wir nie mit denengespielt haben. Wir spielten mit denKindern aus unserem Haus und denen ausder Schützenstrasse. Da war ein Mädchen, Tochter eines Lehrers "Meier". Die Familie wohnte mit uns Garten an Garten. Daswar meine heimliche Freundin, vielleicht auch nur Angebetete, daran erinnere ich mich nicht mehr so genau. Vielleicht so heimlich, dass ich ihrenNamen nicht mal mehr weiß.

Ich erinnere mich noch gut, als wir am 22.Februar 45 bei dem Tagesangriff im Keller waren. Der Raum war notdürftig abgestützt als Luftschutzkeller. Außer den drei Familien, die im Haus wohnten, war noch eine Mutter mit 1 oder 2 Kindern, Flüchtlinge aus der Danziger Gegend, mit im Keller. Während die Bomben fielen, warf sich meine Pflegemutter wie eine Glucke schützend über uns. Dabei fing sie mit dem Rücken einen Mauerbrocken ab, denn es polterten Bruchstücke in den Raum. Das kleine Flüchtlingsmädchen schrie immer: „Tante Weiland, kommt noch mehr?" und das alle 5 Sekunden. Esrappelte um uns herum, alle hatten Angst. Als es vorbei war, versuchten wir schnell, ins Freie zu kommen, denn wir hatten alle Staub geschluckt. Die Kellertür zum Hintergarten war verklemmt. Ich weiß nicht, ob wir mit eigener Kraft rauskamen, oder von außen Hilfe kam. Jedenfalls, als wir dann ins Freie gingen, war die Luft voller Staub und das Boxdorfer Haus war nur noch ein Trümmerhaufen in dem sich nichts mehr regte. Die Sprengbomben, die unser Haus durchgerüttelt hatten, gingen so dicht daneben in den Garten, dass die Hausecke bis unters Fundament frei in den Krater ragte. Die ganze Außenwand hatte sich von oben bis unten vom Haus gelöst,aber sie stand. Ich schätze, dass sich die Wand im 2. Stock, wo der Spalt am breitesten war, etwa 20 - 25 cm vom Haus getrennt hatte. In

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unserer Wohnung im 1. Stock war der Spalt entsprechend geringer. Alle Zimmer dieser Hausseite waren nun unbewohnbar geworden. Da ich der Leichteste der Familie war, bin ich mit einem Seil in der Hand (Wäscheleine, o.ä.) auf allen Vieren durch die Zimmer gerobbt und habe die Kommode, oder was sonst noch an der beschädigten Wand stand, an einem Bein festgebunden und wir haben so ein Teil nach dem anderen mit vereinten Kräften auf die andere Seite desZimmers gezogen. Zu der Angst, die ich während die Bomben fielen hatte, mischte sich immer der Gedanke daran, dass ich am nächsten Tag ganz viele Bombensplitter finden würde. Diese Gedanken kamen mir auch immer schon in Berlin, wenn wir Angriffe hatten. Während die Bomben fielen, konnte ich am Geräusch Sprengbomben von Luftminen unterscheiden. Wir nahmen sitzend eine vornübergebeugte Haltung ein, den Kopf runter und den Mund auf. Und dann dachte ich an die Splitter, die ich sammeln konnte. Auf besonders große,interessant geformte Splitter oder Teile mit Farbresten und Zeichen waren wir stolz. Ich hatte eine Zigarrenkiste voll damit. In Berlin wurden regelmäßig die dollsten Dinger mit zur Schule genommen zum Zeigen. Einige Schüler tauschten auch, z.B. drei kleine Splitter gegen einen großen. Das war ein typischer Zeitvertreib bei Kriegskindern, das Splittersammeln.

Nun war das Haus wirklich unbewohnbar geworden und es galt, wieder eine vorübergehende Bleibe für uns drei, meine Mutter, Wolf und mich, zu finden. Jahrelang hatte meine Mutter eine Flickschneiderin aus Stegaurach, die “Kathie”, regelmäßig im Haus gehabt, die uns aus abgetragenen Sachen Neues zauberte, wie z.B. mir aus einem alten Mantel meines Vaters einen “brauchbaren” neuen Wintermantel. Der wurde also gewendet, passend zugeschnitten und neu genäht. Lange hielt er aber nicht und war recht bald irgendwo durchgewetzt. Das konnte mein Vater nun aber gar nicht verstehen und kommentierte es mitden Worten: “Das ist ein Mantel meines Vaters gewesen, der einmal für mich gewendet worden war, und nun machst Du ihn kaputt”!

Kathie vermittelte uns eine kleine Wohnung inHartlanden, in einem etwas außerhalbgelegenen Haus des Schneidermeisters Übel,neben einem Bauernhof und einer Scheune,etwa 7 km Luftlinie von Bamberg entfernt. Dorterlebten wir dann den Einmarsch der Amerikaner und das Kriegsende. In der zweiten Hälfte Mai konnten wir nach Bamberg in die alte Wohnung zurückkehren, die wir aufgebrochen und teilweise geplündert wiederfanden. Die Beschreibung des 22. Februar 1945 im “Bamberger Kriegstagebuch” des FT für den vonuns im Hainviertel erlebten Teil sollte hier nicht fehlen. Rudolf Albart schreibt dazu auf Seite 16:

Dauerasyl Luftschutzkeller [Anm.: d.i. im Stephansberg]

Grau und verhangen dämmerte der 22. Februar herauf. Die schutzsuchenden

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Menschen waren des ewigen Jagens müde geworden, und viele Hunderte warenes, die den [Stefans-]Berg überhaupt nicht mehr verließen. Sie hatten sichmit Kind und Kegel in irgendeine[r] Ecke des gewaltigen Felsenlabyrintheseingenistet, schliefen und aßen da, und jeweils nur ein Familienmitglied huschte zu lebensnotwendigen Einkäufen hinunter in die Stadt, hinaus an dieLuft. Aus einem Großteil der Bamberger waren Höhlenbewohner geworden, dienun gleichmütig zuhörten, wenn die "örtliche Luftschutzleitung", die ihrenStandort ebenfalls im Stephansbergkeller hatte, etwas zu sagen hatte. Hierwaren sie unter meterdickem Felsgestein geborgen.An diesem 22. Februar aber kam der Tod aus einem grauen Himmel und erdurchschlug diese meterdicke Geborgenheit wie eine Sperrholzwand. AmVormittag um I0 Uhr war Alarm ausgelöst worden. Zwei Geschwader waren imAnflug auf die Stadt. Noch ehe sie den Stadtkern erreicht halten,prasselten etwa 70 Bomben auf das Haingebiet. Im Hain selbst waren andiesem Tag 30 Strafgefangene mit Pflanz- und Grabarbeiten beschäftigtgewesen [d.i. Theresienwiese / Villa Manz]. Als der Bombenteppich auf sieherniederging, hatten sie zu ihrem Schutz nichts weiter als die flache Erde[die Splittergräben?]. Sie krallten sich in ihrer Todesangst in diese Erdehinein, vorne und hinten und überall von metallisch aufspritzendenErdfontänen umgeben. Es passierte ihnen - nichts. Der Tod ging an diesen Verfemten vorüber, er mochte sie nicht. Woanders dagegen löschte er ganze Familien aus. Ein Volltreffer zertrümmerte die Villa des Sanitätsrats Dr. Hofbauer in der äußeren Schützenstraße [69]. Die ganze Familie des hochgeschätzten und tüchtigen Arztes war unter den Toten: der 66jährige Sanitätsrat selbst, .seine 62jährige Ehefrau Elise Hofbauer, seine Schwiegertochter Maria Luise Hofbauer und seine Enkelkinder, die fünfjährige Helga, die dreijährige llse und die sechs Monate alte Erika. Ferner wurden die Köchin Maria Spörlein und Frau Margarete Neuner erschlagen. (Die Leiche von Frau Neuner wurde erst eineinhalb Jahre später bei Aufräumungsarbeiten gefunden). In der [E.T.A.-]Hoffmannstraße [6] traf die Familie des 73jährigen Lademeisters a. D. Heinrich Boxdorfer das gleiche Los. Hier starben Heinrich Boxdorfer, seine Ehefrau KathinkaBoxdorfer, seine Schwiegertochter Klara Boxdorfer, seine Ekelkinder, die 14jährige Annemarie, die zwölfjährige Cilly, der elfjährige Adolf, der achtjährige Heinrich, der siebenjährige Peter und der fünfjährige Georg Boxdorfer, ferner seine Tochter Minna Stein und deren 15jähriges Kind Martha. Ebenso war es in der Claviusstraße, wo die 24jährige Studienratsfrau Hertha Zoller mit ihrer sechsjährigen Tochter Gudrun und ihrem fünf Monate allen Söhnchen Rolf erschlagen wurde. Im gleichen Haus wurde die 59jährige Ingenieurswitwe Emilie Juch getötet.

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Der Bericht von Rudolf Albart geht über einige Einzelschicksale noch ein paar Seiten weiter, und dann auch detailliert über das schwer getroffene Berggebiet (Stephans- und Kaulberg). Doch das gehört nicht mehr zu unseren persönlichen Erlebnissen dieser Luftangriffe. Wolf blieb noch bis Oktober 1945 bei uns in Bamberg, bis ihn seine Mutter nach Berlin zurück holte. Seine Familie zog später nach Hamburg, wo er noch heute lebt und bald seinen 80sten Geburtstag begehen kann.

“Who will keep the memories, when the memory keepers are gone?” - Julie Longacre

(Wer wird die Erinnerungen bewahren, wenn die Bewahrer der Erinnerungen nicht mehr da sind?)

Günter Weiland, im Januar 2015