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Armin Grunwald (Hrsg.) Handbuch Technikethik

Handbuch Technikethik · 2017. 3. 28. · Herausgegeben von Armin Grunwald Unter Mitarbeit von Melanie Simonidis-Puschmann Verlag J. B. Metzler Stuttgart ∙ Weimar. Der Herausgeber

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A r m i n G r u n w a l d ( H r s g . )

HandbuchTechnikethik

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1682 J.B.METZLER

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HandbuchTechnikethik

Herausgegeben von Armin Grunwald

Unter Mitarbeit vonMelanie Simonidis-Puschmann

Verlag J. B. Metzler Stuttgart ∙ Weimar

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Der HerausgeberArmin Grunwald ist Professor für Technikphilosophie und Technikethik am Karlsruher Institut für Technologie (früher Universität Karlsruhe), Leiter des dortigen Instituts für Technikfolgenabschätzung und System-analyse (ITAS) sowie Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag in Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-476-02443-5 ISBN 978-3-476-05333-6 (eBook)DOI 10.1007/978-3-476-05333-6

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2013 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlungund Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart [email protected]

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I. Einleitung und Überblick (Armin Grunwald) . . . . . . . . . . . . 1

II. Grundbegriffe 1. Technik (Armin Grunwald) . . . . . . . 13

2. Risiko (Julian Nida-Rümelin und Johann Schulenburg) . . . . . . . . . 18

3. Sicherheit (Gerhard Banse) . . . . . . . . 22

4. Fortschritt (Klaus Kornwachs) . . . . . . 28

5. Technikfolgen (Michael Decker) . . . . . 33

6. Verantwortung (Micha H. Werner) . . . 38

III. Hintergrund 1. Frühe Technikskepsis und -kritik

(Kurt Möser) . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2. Entstehung des TÜV (Frank Uekötter) 50

3. Entwicklung und Einsatz der Atombombe (Wolfgang Liebert) . . . . . 55

4. Asbest (Wolfgang E. Höper). . . . . . . . 61

5. Krise des Fortschritts optimismus (Rolf-Ulrich Kunze) . . . . . . . . . . . . 67

6. Technikkonflikte (Ortwin Renn) . . . . 72

7. Ethische Ingenieur verantwortung (Johannes Reidel) . . . . . . . . . . . . . 76

IV. Grundlagen der Technikethik

A. Technikphilosophie

1. Antike Technikphilosophie (Klaus Erlach) . . . . . . . . . . . . . . . 83

2. Marxistische Technik philosophie (Kurt Bayertz und Michael Quante) . . . 89

3. Philosophische Anthropologie (Mathias Gutmann) . . . . . . . . . . . . 94

4. Lebensphilosophie (Nicole C. Karafyllis). . . . . . . . . . . . 99

5. Kulturalistische Technik philosophie (Peter Janich) . . . . . . . . . . . . . . . 102

6. Kritische Theorie der Technik (Alexandra Manzei) . . . . . . . . . . . . 108

7. Feministische Technik philosophie (Waltraud Ernst) . . . . . . . . . . . . . 113

8. Technik als Medium (Christoph Hubig) 118

9. Technikdeterminismus (Brigitte Falkenburg) . . . . . . . . . . . 123

10. Technik als soziale Konstruktion (Raymund Werle) . . . . . . . . . . . . . 128

11. Werthaltigkeit der Technik (Ibo van de Poel) . . . . . . . . . . . . . . 133

B. Ethische Begründungsansätze

1. Menschenrechte (Felix Ekardt) . . . . . 138

2. Prinzip Verantwortung (Jan C. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . 143

3. Klugheitsethik/Provisorische Moral (Christoph Hubig und Andreas Luckner) 148

4. Utilitarismus (Dieter Birnbacher) . . . . 153

5. Deontologische Ethik (Micha H. Werner und Marcus Düwell) . 158

6. Diskursethik (Konrad Ott) . . . . . . . . 163

7. Überlegungsgleichgewicht (Neelke Doorn) . . . . . . . . . . . . . . 169

8. Gutes Leben (Holmer Steinfath) . . . . . 174

9. Gerechtigkeit (Dietmar von der Pfordten) . . . . . . . . 179

10. Nachhaltigkeit (Felix Ekardt) . . . . . . 187

Inhalt

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VI

C. Querschnittsthemen

1. Leben und Technik (Nicole C. Karafyllis) 193

2. Natur und Technik (Konrad Ott) . . . . 198

3. Tier und Technik (Arianna Ferrari) . . . 203

4. Kultur und Technik (Klaus Kornwachs) 208

5. Demokratie und Technik (Matthias Kettner) . . . . . . . . . . . . 212

6. Arbeit und Technik (Bettina-Johanna Krings) . . . . . . . . . 217

7. Risikobeurteilung/Risikoethik (Johann Schulenburg und Julian Nida-Rümelin) 223

8. Wirtschaft und Technik (Matthias Maring) . . . . . . . . . . . . . 228

9. Globalisierung und Interkulturalität (Ole Döring) . . . . . . . . . . . . . . . . 233

10. Abfall und Technik (Gerd Grübler) . . . 238

11. Dual-use-Forschung und -Technologie (Wolfgang Liebert) . . . . . . . . . . . . . 243

V. Technikfelder 1. Agrartechnik (Stephan Albrecht) . . . . 249

2. Climate Engineering (Gregor Betz) . . . 254

3. Computerspiele (Simon Ledder) . . . . . 258

4. Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle (Peter Hocke) . . . . . . . . . . . . . . . 263

5. Energie (Bert Droste-Franke und Georg Kamp) 269

6. Geo- und Hydrotechnik sowie Bergbau (Thomas Potthast) . . . . . . . . . . . . 274

7. Gentechnik (Regine Kollek) . . . . . . . 279

8. Human Enhancement (Johann S. Ach und Beate Lüttenberg) . . 288

9. Information (Jessica Heesen) . . . . . . . 293

10. Internet (Karsten Weber) . . . . . . . . . 298

11. Kernenergie (Dieter Birnbacher) . . . . . 303

12. Lebensmittelverarbeitung (Ludger Heid-brink, Nora Meyer und Johannes Reidel) 308

13. Medien (Michael Nagenborg) . . . . . . 314

14. Medizintechnik (Johann S. Ach, Dominik Düber und Michael Quante) . . 319

15. Militärtechnik (Jürgen Altmann) . . . . 324

16. Mobilfunk (Peter Wiedemann) . . . . . 329

17. Mobilität und Verkehr (Udo Becker) . . 332

18. Nanotechnologie (Alfred Nordmann) . . 338

19. Neurotechniken (Dieter Sturma) . . . . 343

20. Raumfahrt (Stephan Lingner) . . . . . . 349

21. Robotik (Michael Decker) . . . . . . . . 354

22. Sicherheits- und Überwachungstechnik (Sandro Gaycken) . . . . . . . . . . . . . 359

23. Synthetische Biologie (Joachim Boldt) . 364

24. Synthetische Chemie (Stefan Böschen) . 369

25. Ubiquitous Computing (Klaus Wiegerling) . . . . . . . . . . . . . 374

VI. Technikethik in der Praxis 1. Technik- und Innovations politik

(Stephan Bröchler) . . . . . . . . . . . . . 379

2. Technikrecht (Martin Führ) . . . . . . . 384

3. Vorsorgeprinzip (Christian Calliess) . . . 390

4. Technikfolgenabschätzung (Marc Dusseldorp) . . . . . . . . . . . . 394

5. Bürgerbeteiligung (Ortwin Renn) . . . . 400

6. VDI-Richtlinie zur Technikbewertung (Wolfgang König) . . . . . . . . . . . . . 406

7. Ethikkodizes (Matthias Maring) . . . . . 410

8. Ethikkommissionen (Alexander Bogner) 415

9. Technische Bildung (Gerhard Banse und Bernd Meier) . . . . 421

VII. Anhang 1. Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . 427

2. Die Autorinnen und Autoren . . . . . . 429

3. Personenregister . . . . . . . . . . . . . 432

Inhalt

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1

Wissenschaft und Technik gelten als die vielleicht mächtigsten Triebkräfte der modernen Gesellschaft. Mit dem raschen wissenschaftlich-technischen Fort-schritt insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine Fülle neuer Fragen zur Gestaltung von und zum Umgang mit Technik aufgetreten. Parallel ist die philosophische Literatur zu ethischen Fragen der Technik stark angewachsen, ebenfalls ihre Wahr-nehmung in anderen Wissenschaften, in der öffent-lichen Debatte und in der technischen Praxis. Ein Handbuch Technikethik erscheint somit überfällig.

Dass Technik und Ethik heute oft in einem Atem-zug genannt werden, ist ein Ergebnis erst der letzten Jahrzehnte. Während viele Handlungsfelder wie Me-dizin oder die Ordnung des gemeinschaftlichen Le-bens bereits seit langem Gegenstand ethischer Refle-xion sind, wird die Frage nach dem ›richtigen Han-deln‹ erst in jüngerer Zeit auf Technik bezogen. Hans Jonas ’ Aufsatz »Warum Technik ein Fall für die Ethik ist: fünf Gründe« (1958) gehörte zu den ersten Arbeiten in diesem Feld. Seitdem hat sich die Situa-tion fundamental geändert. Sobald heute von neuen Technologien die Rede ist, wird sofort, fast schon re-flexartig, nach ihrer ethischen Beurteilung gefragt.

In dieser Einleitung werden drei Ziele verfolgt: Erstens geht es darum, die vorstehend gegebene kurze Diagnose zu vertiefen, in historischer, in ge-genstandsbezogener und in theoretischer Hinsicht. Zweitens soll eine Charakterisierung der Technik-ethik gegeben werden, die einerseits ein hinreichend klares Profil für dieses Handbuch erkennen lässt, die andererseits aber nicht die Diversität, den Reichtum und auch Heterogenität dieses noch jungen Feldes unter zu starken begrifflichen wie konzeptionellen Prämissen einebnet. Schließlich geht es drittens da-rum, einen Überblick über die Struktur und die In-halte des Handbuchs zu geben.

Entstehung und Entwicklungder Technikethik

Technik hat in Philosophie und Ethik lange Zeit praktisch keine Rolle gespielt. Dies begann sich erst zu ändern, als die massiven und teilweise problema-tischen Effekte der Technisierung im Zuge der In-

dustriellen Revolution auch für die Philosophie nicht mehr übersehbar waren. Theoretiker in den Anfängen der Technikphilosophie wiesen der Tech-nik spezifische Rollen bei der Entwicklung der Ge-sellschaft zu: Karl Marx im Rahmen der ökonomi-schen Entwicklung und der Arbeit, Ernst Kapp und Arnold Gehlen in anthropologischer Hinsicht. Ge-sellschafts- und kulturkritische Deutungen der Technik, beispielsweise von Martin Heidegger , Her-bert Marcuse oder Günther Anders beförderten die philosophische Diskussion über Technik. Alle diese Ansätze betrachteten jedoch abstrakt ›die Technik‹ statt einzelner Techniken. Damit war die Perspektive auf eine ethische Beurteilung von Technik bereits durch den zu stark abstrahierenden philosophischen und vielfach ›essentialistischen‹ Ansatz verbaut (Lenk 1973).

Als Ursprung einer breiteren Befassung mit ethi-schen Fragen des wissenschaftlich-technischen Han-delns wird zumeist das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe genannt (s. Kap. III.3). Die Verant-wortung der Wissenschaftler, thematisiert z. B. von Otto Hahn , Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker , ist seitdem Thema auch der öffentli-chen Debatte. Ein weiterer Meilenstein der Wissen-schafts- und beginnenden Technikethik war die Konferenz von Asilomar (1975), auf der Gentechni-ker sich zu Verantwortungsübernahme und Vor-sorge verpflichteten. Sie fand in einer Situation statt, in der in der Gentechnik eine weltweite Aufbruch-stimmung zu beobachten war, in der gleichzeitig aber auch erste Anzeichen öffentlicher Kritik, Risi-kobefürchtungen und Forderungen nach staatlicher Regulierung laut wurden (s. Kap. V.7).

Ethische Fragen zum Ingenieurshandeln wurden zunächst von Ingenieuren selbst aufgeworfen. Be-reits Friedrich Dessauer (1926) bestimmte den Sinn der Technik im ›Dienst am Mitmenschen‹, für des-sen Realisierung die Ingenieure verantwortlich seien. In den 1970er Jahren setzten Diskussionen um ein Standesethos für Ingenieure und seine Fixierung in Ethikkodizes oder in einem dem Berufsstand der Ärzte nachempfundenen ›hippokratischen Eid‹ der Ingenieure ein (z. B. Lenk/Ropohl 1993, 194 ff.; Hubig/Reidel 2004; s. Kap. III.7). Den Durchbruch für eine philosophische Diskussion über ethische

I. Einleitung und Überblick

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Fragen der Technik brachte das Prinzip Verantwor-tung von Hans Jonas (1979; s. Kap. IV.B.2).

Dass Technik moralisch relevante Gehalte haben und damit überhaupt ein Gegenstand für ethische Reflexion sein könnte, war lange Zeit durchaus um-stritten. Bis in die 1990er Jahre hinein galt sie viel-fach als wertneutral. Technik habe ausschließlich Mittelcharakter; moralische Probleme könne höchs-tens ihr Gebrauch aufwerfen. Daher seien Entwick-lung und Herstellung von Technik einschließlich der vorgängigen wissenschaftlichen Forschung mora-lisch neutral; erst der Gebrauch von Technik könnte ethische Fragen aufwerfen. In theoretischen Analy-sen und Fallstudien wurden jedoch mittlerweile mo-ralische Gehalte von Entscheidungen über Technik erkannt und zum Gegenstand der Reflexion gemacht (Radder 2009; Van de Poel 2009; s. Kap. IV.A.11).

Seit den 1980er Jahren ist auf zwei Ebenen ein starkes Anwachsen der Literatur zur Technikethik zu verzeichnen: Zum einen geht es um eine Inge-nieursethik im engeren Sinne, die sich den spezifi-schen Gegebenheiten und Herausforderungen die-ses Berufsstandes widmet; zum anderen werden ethische Fragen neuer Technologien und ihrer Fol-gen angesprochen. Dabei kommt es zu einer teilwei-sen Konvergenz von Wissenschafts- und Technik-ethik: Da moderne Technik grundsätzlich wissen-schaftsgestützt ist, fällt eine klare Trennung von Wissenschaft und Technik immer schwerer. Nano-technologie (Allhoff et al. 2007) und Synthetische Biologie sind typische Beispiele für sogenannte Technowissenschaften (s. Kap. V.18 und Kap. V.23). Wissenschafts- und Technikethik werden daher heute vielfach in einem Atemzug genannt (bereits Hubig 1993).

Die Nachfrage nach ethischer Reflexion zum wis-senschaftlich-technischen Fortschritt, seinen Zie-len, Ergebnissen und Folgen steigt weiter. In der For-schungsförderung ist ethische Begleitforschung mittlerweile häufig Bestandteil wissenschaftlich-technischer Programme. Ethikkommissionen wie beispielsweise die ›European Group on Ethics‹ (EGE) beraten politische Institutionen, in diesem Fall die Europäische Kommission (s. Kap. VI.8). Von der UNESCO wurde die ›World Commission on the Ethics of Scientific Knowledge and Technology‹ (COMEST) eingesetzt. Eine erhebliche Zunahme von Ethikkodizes (Codes of Conduct) und ethischen Leitlinien ist auf nahezu allen Ebenen im Wissen-schaftssystem zu beobachten, von wissenschaftli-chen Institutionen wie Universitäten oder Akade-mien über Verbände bis hin zu den Institutionen der

Forschungsförderung. Aktuell wird aus soziologi-scher Perspektive von einer ›Ethisierung‹ der Tech-nik gesprochen (Bogner 2009).

Gründe für das Entstehender Technikethik

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt (s. Kap. II.4) führt zu einer Erweiterung der menschlichen Handlungsmöglichkeiten. Das, was menschlichem Zugriff bis dato entzogen war, was als unbeeinfluss-bare Natur oder als Schicksal akzeptiert werden musste, wird zum Gegenstand technischer Gestalt-barkeit. Dies ist eine Steigerung der Kontingenz in der conditio humana: eine Vergrößerung der Wahl-möglichkeiten zwischen verschiedenen Optionen und damit eine Verringerung der menschlichen Ab-hängigkeit von der Natur und der eigenen Tradition. Mit der Zunahme der Wahlmöglichkeiten steigen Möglichkeit und Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen. Da der Fortschritt vielfach in den Debatten, wie die Entscheidungen getroffen werden soll, auf Fragen führt, zu denen es bislang keine eingespielten Üblichkeiten wie z. B. klare Entscheidungskriterien oder -verfahren gibt, kommt es aus seiner inhären-ten Logik heraus zu Orientierungsdefiziten, Kon-flikten und Unsicherheiten. Das Entstehen der Technikethik lässt sich mit dieser, die Erfolge des technischen Fortschritts notwendig begleitenden Verunsicherung (Höffe 1993; Lübbe 1997), insbe-sondere mit der resultierenden ›normativen Unsi-cherheit‹ (Grunwald 2008) korrelieren.

Ein wesentlicher Teilaspekt dabei ist die fort-schreitende Erkenntnis der Ambivalenzen des tech-nischen Fortschritts. Spätestens seit den 1960er Jah-ren sind erhebliche Probleme mit nicht intendierten Folgen von technischen Entwicklungen aufgetreten (s. Kap. II.5). Hierzu gehören z. B. Unfälle in techni-schen Anlagen (Tschernobyl, Bhopal, Fukushima), Folgen für die natürliche Umwelt (Luft- und Gewäs-serverschmutzung, Ozonloch, Klimawandel) und negative soziale und kulturelle Folgen von Technik. Fortschrittsoptimistische Zukunftserwartungen im Zusammenhang mit Technik und Technisierung in der Gegenwart sind dadurch teilweise verlorenge-gangen und haben zu schwierigen Abwägungspro-blemen zwischen den erwarteten positiven und den nicht intendierten negativen Folgen geführt (z. B. Kernenergie). Weitere Beispiele, denen sämtlich in diesem Handbuch eigene Beiträge gewidmet sind, sind der Umgang mit und die Zumutbarkeit von

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3I. Einleitung und Überblick

technikbedingten Risiken (Asveld/Roeser 2008; Hansson 2009) wie Strahlenbelastungen oder Un-fallrisiken durch nukleare Anlagen, Sicherheitsfra-gen der Endlagerung radioaktiver Stoffe, Elektro-smog, Datenschutzprobleme im Internet, Fragen einer nachhaltigen Energieversorgung, die Proble-matik der Freisetzung gentechnisch veränderter Or-ganismen, die Diskussion um gentechnisch verän-derte Nahrungsmittel und um eine ›technische Ver-besserung‹ des Menschen. Sogar Sorgen um den Fortbestand der Menschheit wurden und werden ge-äußert (z. B. Jonas 1979).

Etwa seit dem Jahr 2000 kam es angesichts visio-närer Überlegungen in Nanotechnologie und Gen-technik zu einer weit ausgreifenden Debatte über die ›Zukunft der Natur des Menschen‹ (Habermas 2001), vor allem angesichts der mit diesen Entwick-lungen in den Blick geratenen Möglichkeiten seiner ›technischen Verbesserung‹ (Grunwald 2007; s. Kap. V.8). Auch andere Felder wie die Synthetische Biolo-gie oder das Ubiquitous Computing werfen grund-sätzliche Fragen nach den Verhältnissen von Mensch, Technik und Natur auf. Diese Debatten übersteigen im engeren Sinne ethische Fragen nach der Verantwortbarkeit konkreter Technik und be-rühren anthropologische, naturphilosophische und technikphilosophische Fragen, die gleichwohl Aus-druck der genannten Orientierungsprobleme ange-sichts des technischen Fortschritts sind.

Insgesamt führen, so die übereinstimmende Dia-gnose der Philosophie, die weiterhin zunehmende Handlungsmacht des Menschen und die wachsende Eingriffstiefe technischer Intervention in Natur und Gesellschaft, schließlich auch in den menschlichen Körper und Geist, simultan zu einer Zunahme von Verantwortung (s. Kap. II.6) und der Notwendigkeit ethischer Reflexion. Die Entstehung und das rasche Wachstum der Technikethik seit den 1970er Jahren sind Ausdruck dieses Zusammenhangs.

Was ist Technikethik?

Das Aufgabenfeld der Technikethik liegt in den im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts notwendig entstehenden normativen Unsicherhei-ten. In der Situation der durch den Fortschritt gestei-gerten Kontingenz gilt es, neue Orientierung zu schaffen. Aufgabe der Technikethik ist es, die nor-mativen Hintergründe von Technikbeurteilungen und Technikentscheidungen nach Maßstäben ratio-naler Argumentation zu rekonstruieren, um auf

diese Weise zu ethisch reflektierten und verantwort-baren Entscheidungen beizutragen

Der Fokus der Technikethik, wie sie in diesem Handbuch verstanden wird, liegt dabei auf der Ori-entierung von Entscheidungen ›in der Sache‹: Wie sind technische Innovationen und Visionen ethisch zu beurteilen und was folgt daraus für anstehende Entscheidungen, z. B. in Forschungsförderung, Re-gulierung oder Anwendung. Technikethik befasst sich mit der Reflexion über alternative Optionen in Entscheidungen über Technik, fokussiert dabei auf die involvierten moralischen Aspekte und umfasst die ethische Reflexion auf die Bedingungen, Zwecke, Mittel und Folgen von Technik und des wissen-schaftlich-technischen Fortschritts. Insbesondere bilden Technikkonflikte (s. Kap. III.6) und normative Unsicherheiten mit ihren moralischen Implikatio-nen ihre Ansatzpunkte und Problemkonstellationen, zu deren Bewältigung sie beitragen soll und will (Höffe 1993; Gethmann/Sander 1999; Grunwald 2008). Diese Konflikte und Unsicherheiten sind nicht nur Kontroversen um technische Artefakte und ihre Entwicklung, Herstellung, Nutzung und Entsorgung, sondern in ihnen zeigen sich häufig auch moralische und damit ethischer Reflexion zu-gängliche Fragen bis hin zu Auseinandersetzungen um Zukunftsvorstellungen, Menschenbilder und Gesellschaftsentwürfe.

In dieser Ausrichtung gehört Technikethik offen-kundig zur Angewandten Ethik (Nida-Rümelin 1996). Ihre Themen kommen nicht aus ihr selbst, sondern aus einer externen Praxis, seien dies eine öf-fentliche Debatte, Sorgen von Wissenschaftlern und Ingenieuren oder der Politik. Technikethik ist eine typische ›problemorientierte Ethik‹ (Grunwald 2008) und reagiert auf eine gesellschaftliche Nach-frage. Aus dieser bezieht sie ihre Themen, die sie in ihrer eigenen Begrifflichkeit rekonstruiert und die Ergebnisse ihrer Reflexion an die Praxis zurück gibt, in der Erwartung und Selbstverpflichtung, dort zu einer besseren Bewältigung der Probleme beizutra-gen. Technikethik muss spezifisches Wissen über den Gegenstand ›Technik‹ und über dessen gesell-schaftliche Kontextfaktoren erwerben und einbezie-hen, um die normativen Unsicherheiten rekonstru-ieren und analysieren zu können. Dies erfordert zum einen interdisziplinäre Kooperation mit den Tech-nikwissenschaften, zum anderen die Zusammenar-beit mit den Sozialwissenschaften, die das Entstehen von, die Entscheidungsprozesse über und die Ver-breitung und Nutzung von Technik empirisch erfor-schen. Je nach technikethischer Herausforderung

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4 I. Einleitung und Überblick

kann dies das Wissen über Laborkontexte, über Un-ternehmensführung, über politische und rechtliche Prozesse zur Setzung der Rahmenbedingungen für Technik oder über zivilgesellschaftliche Verhältnisse sein, in denen Technik eine Rolle spielt. Technik-ethik ist daher notwendigerweise ein interdiszipli-närer Dialog und kein Monolog philosophischer Experten, auch wenn deren Expertise eine zentrale Rolle spielt. Diese Konstellation ist charakteristisch für Angewandte Ethik generell in ihren jeweiligen ›Bereichen‹ (Nida-Rümelin 1996; Stoecker et al. 2011).

Technikethik geht jedoch in dieser Zuordnung zur Angewandten Ethik nicht auf. Es ist eine Eigen-schaft des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, immer wieder konkrete Ergebnisse, aber auch Visio-nen und Potentiale hervorzubringen, deren ethische Reflexion nicht in dem praxisnahen Kontext Ange-wandter Ethik erfolgen kann. Stattdessen werden aus dem technischen Fortschritt heraus immer wieder ›große Debatten‹ angestoßen. Beispiele sind die Dis-kussion zur Zukunft der Natur des Menschen (Ha-bermas) angesichts der in das Blickfeld geratenen Möglichkeiten seiner ›technischen Verbesserung‹, die Auseinandersetzung über das ›Ende der Natur‹ angesichts ihrer fortschreitenden technischen Über-formung, die wieder neu auflebende Debatte über das Verhältnis von Technik und Leben in der Folge von Fortschritten und Visionen der Synthetischen Biologie oder auch die Debatte um das Ende der In-dividualität in der Folge zunehmender Vernetzung über elektronische Medien (zum Ubiquitious Com-puting s. Kap. V.25, zum Internet s. Kap. V.10). Diese Debatten überschreiten die Randbedingungen und Möglichkeiten Angewandter Ethik, indem sie gerade nicht auf konkrete Orientierung zur verantwortli-chen Ordnung einer spezifischen Praxis zielen, son-dern sehr grundsätzliche Herausforderungen an Orientierung und Selbstvergewisserung in den Ver-hältnissen zwischen Mensch, Technik und Natur in den Blick nehmen. Hier geht es nicht um diese oder jene Technik, sondern um die Reflexion bisheriger Perspektiven und Positionen zur Stellung des Men-schen in der Welt angesichts neuer wissenschaftlich-technischer Möglichkeiten. Es sind beispielsweise eher Philosophische Anthropologie (s. Kap. IV.A.3) und theoretische Technikphilosophie gefragt als An-gewandte Ethik im engeren Sinne. Die Aufgabe phi-losophischer Reflexion ist in diesen Fragen zualler-erst die einer Hermeneutik der sich neu oder verän-dert stellenden Fragen, weit im Vorfeld konkreter ethischer Überlegungen.

Gegenstand der Technikethik

Gegenstand der Technikethik ist nicht Technik für sich genommen, sondern sind normative Unsicher-heiten im Umgang mit Technik, häufig entstanden im Rahmen des wissenschaftlichen Fortschritts. Da-mit stellt der Begriff ›Technikethik‹ eine nicht unpro-blematische Verkürzung dar. Denn es geht strengge-nommen nicht um eine Ethik der Technik, sondern um eine ethische Reflexion des Umgangs mit sowie der Folgen und der Gestaltung von Technik. Einer-seits in konkreten Handlungskontexten, andererseits aber auch im Sinne genereller Reflexionen über die Rolle von Technik in der gegenwärtigen und zukünf-tigen Entwicklung der Menschheit, in der Verände-rung der Verhältnisse von Natur und Technik sowie von Mensch und Technik. Technik selbst ist nicht der Gegenstand der Technikethik, sondern Medium und Anlass, über bestimmte menschliche Handlungs-kontexte in ethischer Hinsicht zu reflektieren.

Solange Regularien wie Gesetze und Ethikkodizes oder auch eingespielte informelle Handlungsregeln im Rahmen eines kulturell verankerten Ethos die Beurteilung von Handlungsoptionen und das Tref-fen von Entscheidungen erlauben, ohne dass es zu Konflikten oder Unsicherheiten kommt, gibt es kei-nen Anlass für ethische Reflexion. Anders ist dies in den Fällen mangelnder Akzeptanz von Teilen des normativen Rahmens, in Form eines handfesten Konflikts, von Orientierungslosigkeit oder auch nur einer Unentschiedenheit oder Unentscheidbarkeit. Dann liegt normative Unsicherheit bereits vor. Sie kann aber auch als eine zukünftig bloß mögliche vorgestellt sein, um vorbereitend Orientierungsleis-tungen zu erarbeiten. Normative Unsicherheiten sind der Ausgangspunkt der Technikethik.

Dabei geht es selten, vielleicht nie um die Technik als solche, sondern immer um Technik in einem konkreten Kontext. Ob nun neue Verfahren der Pro-thetik zu einer »technischen Verbesserung« des Menschen genutzt werden könnten oder ob Nano-partikel zu Gefahren für Umwelt und Gesundheit führen können und inwieweit und nach welchen Kriterien dies zu beurteilen wäre, ist keine Angele-genheit der betreffenden Technik als Technik, son-dern Element eines kontextbezogenen ›sozio-tech-nischen Zusammenhangs‹ (Ropohl 1979). In diesen Kontexten lassen sich moralische Aspekte von Tech-nik handlungstheoretisch auf (1) mit Technik ver-folgte Ziele, (2) die zur Realisierung eingesetzten Mittel und (3) die Folgen (einschließlich der nicht in-tendierten Nebenfolgen) beziehen (Grunwald 2012):

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5 I. Einleitung und Überblick

(1) Ziele und Zwecke können einen direkten Pro-duktbezug haben und z. B. die Sportlichkeit des Au-tofahrens oder den Energieverbrauch einer Wasch-maschine betreffen, sie können sich aber auch auf gesellschaftliche Aspekte beziehen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Wohlstan-des. Sie sind Ausdruck individueller, korporativer oder gesellschaftlicher Befindlichkeiten mit Bezug zu Defizitdiagnosen der gegenwärtigen Situation und Erwartungen an zukünftige Entwicklungen und technik- und technikentwicklungsbezogener Aus-druck verschiedenster Moralsysteme. Sie führen zu normativen Unsicherheiten und moralischen Kon-flikten. Darüber, dass es wünschenswert wäre, Alz-heimer heilen zu können oder Körperbehinderten durch neuartige Prothesen zu mehr Bewegungsfrei-heit zu verhelfen, kann kaum ein moralischer Dis-sens bestehen. Das Ziel, eine bemannte Station auf dem Mars einzurichten, dürfte erheblich umstritte-ner sein, ganz zu schweigen vom Ziel einer ›techni-schen Verbesserung‹ des Menschen.

(2) Moralisch relevante Instrumente und Mittel der technischen Entwicklung sind z. B. bestimmte Experimentalpraktiken wie Tierversuche (s. Kap. IV.C.3) oder die Forschung am Menschen, mensch-lichen Embryos oder Stammzellen oder bestimmte Aspekte von Experimenten wie z. B. Freilandexperi-mente mit gentechnisch veränderten Pflanzen. In der Standortfrage technischer Anlagen  – auch die Standortwahl gehört zu den Mitteln – tauchen gele-gentlich moralische Aspekte auf, wenn z. B. der Ab-bau von Rohstoffen oder die Endlagerung von Ab-fällen in einem Gebiet erfolgen soll, das für indigene Völker einen besonderen kulturellen oder religiösen Status hat. Weiterhin sind die für Technik zu ver-wendenden natürlichen Ressourcen wie Bodenflä-che, seltene Metalle oder nicht erneuerbare Energie-träger (s. Kap. V.5) unter Aspekten der Zukunftsver-antwortung von moralischem Interesse.

(3) Entwicklung, Produktion, Einsatz und Entsor-gung von Technik haben Folgen über die Zielerrei-chung hinaus. Hierzu gehören z. B. Risiken techni-scher Entwicklungen für Gesellschaft und Umwelt, die häufiger Gegenstand der Technikfolgenabschät-zung (Grunwald 2010; s. Kap. VI.4) und moralischer Erwägungen sind (Durbin 1987; Unger 1993; As-veld/Roeser 2008; Hansson 2009): Welche Risiken werden angesichts der erhofften positiven Folgen akzeptiert, wie werden Risiko/Chance-Abwägungen und vergleichende Risikobewertungen vorgenom-men, wann greift das Vorsorgeprinzip angesichts mangelnden Wissens (von Schomberg 2005; zur Ri-

sikobeurteilung s. Kap. IV.C.7, zum Vorsorgeprinzip s. Kap. VI.3)? Soll Ethik nicht nur Reparaturethik (Mittelstraß 1989) sein, muss sie sich auch ex ante mit bloß vorgestellten bzw. systematisch antizipier-ten, nicht intendierten Folgen befassen. Da Technik-folgen prospektiv nur begrenzt erkennbar sind (s. Kap. II.5), führt dies zur Notwendigkeit, dass Tech-nikethik sich mit Beurteilungen und Handeln unter Unsicherheit befassen muss.

Die ethisch-philosophischen Fragen übersteigen immer wieder die konkreten Überlegungen zu den Folgen der Entwicklung und des Einsatzes einzelner Techniken. Zum Gegenstand der Technikethik ge-hören auch übergreifende Fragen nach den Folgen der fortschreitenden Technisierung für Mensch und Gesellschaft, für Menschenbilder und die conditio humana, für das Verhältnis zur natürlichen Umwelt und zum ›Leben‹. Gesellschaftstheoretische, kultur-philosophische, anthropologische und geschichts-philosophische Argumentationsmuster verbinden sich hier mit ethischer Reflexion unter dem Ziel, in der Situation gesteigerter Kontingenz Orientierung zu schaffen.

Technikethik als Beratung

Wie weitgehend nun Technikethik Orientierung ge-ben kann, hängt vom übergeordneten Verständnis von Ethik ab. Um nicht als bloß subjektive Mei-nungsäußerung zu moralischen Fragen der Technik, sondern als inter- und transsubjektiv gültig aner-kannt zu werden, müssen Orientierungsangebote der Technikethik sich in einem Diskurs bewähren (Gethmann/Sander 1999). Diese Bewährung ist grundsätzlich daran gebunden, dass in der betref-fenden Diskursgemeinschaft bestimmte Vereinba-rungen, z. B. über zentrale Begriffe und Diskursre-geln, bereits getroffen worden sind, auf deren Basis sodann ein Diskurs erst stattfinden kann. Je konkre-ter die zu verhandelnden Fragen sind, desto voraus-setzungsreicher wird der Satz an substantiellen Ver-einbarungen sein müssen, der bei Eintritt in den Diskurs bereits anerkannt werden muss. Dieser Satz sei ›prädeliberatives Einverständnis‹ genannt (Grun-wald 2008 mit Bezug auf Gethmann/Sander 1999).

Technikethische Resultate des entsprechenden Diskurses sind in ihrer Geltung und Reichweite dann an das prädeliberative Einverständnis gebun-den. Daher können sie nur in konditional-normati-ven Aussagen bestehen, nämlich in argumentativ prüfbaren Wenn-Dann-Ketten. Dies hat erhebliche

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6 I. Einleitung und Überblick

Folgen für die Übertragung technikethischer Orien-tierungsangebote in die gesellschaftliche Praxis. Ob beispielsweise eine konditional-normative Aussage zur Verantwortbarkeit des Einsatzes von Nanoparti-keln in Lebensmitteln praktische Folgen hat, hängt davon ab, ob in dem entsprechenden Feld der Regu-lierung die Antezedens-Bedingungen der entspre-chenden Wenn-Dann-Ketten als gültig anerkannt werden. Wenn ja, folgt daraus, die Konklusion um-zusetzen, und das technikethische Lösungsangebot würde in Praxis überführt.

Die Entscheidung, ob die Antezedentia akzeptiert werden, ist jedoch nicht Sache der Ethik, sondern da-für ist die Gesellschaft in ihren dafür eigens einge-richteten, beauftragten und legitimierten demokrati-schen Institutionen zuständig. Dies meint der ›Pri-mat der Demokratie vor der Philosophie‹ (Rorty 1998). Technikethik kann nicht Antworten auf die Frage geben, was in Fällen normativer Unsicherheit getan werden müsse. Die Gesellschaft bleibt in Bezug auf Zukunftsentscheidungen und Weichenstellungen im wissenschaftlich-technischen Fortschritt auf sich selbst gestellt. Dies wird ihr von der Ethik nicht abge-nommen, sondern Ethik gibt in derartigen Fragen le-diglich konditional-normativen Rat, z. B. in demo-kratischen Entscheidungsprozessen. Ethische Exper-tise in Situationen normativer Unsicherheit fungiert als Informierung, Orientierung und Aufklärung der entsprechenden Debatten und Entscheidungspro-zesse in normativer Hinsicht, determiniert aber nicht deren Ergebnisse. Aufklärung der moralischen Hin-tergründe, nicht Vorwegnahme von Entscheidungen ist das, was aus technikethischer Reflexion folgt.

Diese Erkenntnis hat Folgen dafür, was berechtig-terweise von Technikethik erwartet werden darf und was nicht erwartet werden sollte. Auf keinen Fall eig-net sich Technikethik als eine Art Genehmigungsbe-hörde, die so etwas wie ethische Unbedenklichkeits-erklärungen ausstellen kann. Technikethische Refle-xion mündet nicht in kategorische Aussagen über moralisch richtiges Handeln in technischen Kontex-ten und kann z. B. nicht darüber befinden, ob der Einsatz der Kernenergie verantwortbar ist oder nicht. Darüber muss die Gesellschaft entscheiden, in öffentlichen Debatten und politischer Entschei-dungsfindung. Technikethik kann und soll jedoch diese Debatten und Entscheidungsprozesse beraten, d. h. insbesondere in Bezug auf die moralischen Hin-tergründe aufklären und die Argumentationsstruk-turen transparent aufdecken. Beratung an den unter-schiedlichsten Stellen in der Ausgestaltung des wis-senschaftlich-technischen Fortschritts ist ein

zentrales Anliegen der Technikethik – Entscheidun-gen treffen andere.

Der Beratungskontext enthält selbst unterschied-liche Erwartungen. Hierzu gehört die Sensibilisie-rung von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik gegebenenfalls auch Wirtschaft (s. Kap. IV.C.8), ge-genüber involvierten ethischen Fragen. Das mora-lisch relevante und möglicherweise konflikthafte im häufig vermeintlich rein Technischen zuallererst aufzudecken, ist notwendige Vorbedingung jeder ethischen Reflexion und jeder ethisch aufgeklärten öffentlichen und politischen Debatte. Die Klärung moralischer Konstellationen und Konflikte ist so-dann ein entscheidender Beitrag zur Lösung norma-tiver Unsicherheiten, für die die Ethik gleichwohl immer nur Vorschläge unterbreiten kann. Damit ist Technikethik Aufklärer, Anreger, Förderer und In-formierer »wirklicher Gespräche« (Schwemmer 1986) über Technik und ihre gesellschaftliche Ein-bettung. Vorgestellt werden muss dies in Konzepten der Politischen Philosophie, insofern es um Anlie-gen des Gemeinwesens geht. Dies kann beispiels-weise die Ausrichtung an einem pragmatistischen Modell des Verhältnisses von Wissenschaft, Öffent-lichkeit und Politik sein (Habermas 1968) oder an seinen Weiterentwicklungen in Richtung auf eine deliberative Demokratie sein.

Technikethik und Praxis

Die Art und Weise des Praxisbezugs der Technik-ethik und ihrer Einbeziehung in Debatten zum wis-senschaftlich-technischen Fortschritt hängt stark von den Kontexten der jeweiligen normativen Unsi-cherheit ab. Dem weiten Spektrum der Themen der Technikethik entspricht die große Vielfalt der prak-tischen Konstellationen, in denen sie tätig ist oder sein kann. Diese reicht von der Begleitung konkreter Laborforschung bis zur Forschungsförderung, von der Politikberatung bis zu Debatten in den Feuille-tons, von der Wirtschaft bis zur Nachhaltigkeitsde-batte. Folgende Konstellationen mit je verschiede-nen Fragestellungen, Akteurskonstellationen und Technikbezügen dürften den größten Teil der Pra-xisbezüge der Technikethik umfassen.

Politik: Die Beeinflussung von Technik durch staatliche Technikpolitik ist (s. Kap. VI.1), da sie Verbindlichkeiten für jedermann schafft, in einer moralisch pluralistischen Gesellschaft stets eine Bühne mit wahrscheinlich auftretenden normativen Unsicherheiten. Beratung durch Technikethik kann

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7I. Einleitung und Überblick

z. B. im Vorfeld politischer Entscheidungen erfolgen, in denen die Möglichkeit besteht, durch ethische Re-flexion Aufklärungsarbeit hinsichtlich der involvier-ten Normativität zu leisten. Dies betrifft alle Kon-stellationen, in denen staatliches Handeln Technik beeinflusst, vor allem aber Forschungsförderung und Regulierung.

Wirtschaft: In der Produktentwicklung werden eine Fülle von Annahmen über spätere Konsumen-ten der Technik gemacht. In diese gehen Menschen-bilder und Zukunftsentwürfe über die gesetzten Ziele und Zwecke der Technik ein, genauso wie auch Folgenüberlegungen, die einer ethischen Reflexion zugänglich sind. Insofern normative Unsicherheiten in diesen Bereichen eine Rolle spielen, ist hier ein Feld für Technikethik.

Forschung: Ingenieure und Wissenschaftler/innen sind durch ihre enge Verbindung mit den Prozessen der Erforschung, Entwicklung, Produktion, Nut-zung und Entsorgung von Technik in besonderer Weise mit Verantwortungszuschreibungen konfron-tiert (Durbin 1987). Insofern es dort zu normativer Unsicherheit kommt – z. B. in Fällen von Konflikten zwischen Ingenieuren als Arbeitnehmer und Unter-nehmern als Arbeitgeber in der Beurteilung von Si-cherheits- oder Umweltfragen –, stellt die Reflexion der moralischen Grundlagen des Handelns ebenfalls eine Aufgabe der Technikethik dar (Beispiele in Lenk/Ropohl 1993; s. Kap. III.7).

Nutzerverhalten: Nutzer und Konsumenten von technischen Systemen und Produkten entscheiden auf der Basis ihrer individuellen Präferenzen auf zwei Weisen mit über Technikentwicklung und -ein-satz mit: einerseits über das Kauf- und Nutzerverhal-ten, andererseits (wenig beachtet) über ihre Äuße-rungen im Rahmen der Marktforschung. Technik-ethik kann hier über moralische Implikationen bestimmter Nutzungsformen aufklären.

Öffentliche Debatte: Über den Gang der techni-schen Entwicklung entscheiden auch öffentliche, d. h. vor allem über Massenmedien laufende Debat-ten. So hat die öffentliche Diskussion zur Kernener-gie die politische Meinung beeinflusst und damit den Atomenergieausstieg maßgeblich mit herbeige-führt. Ebenso hat die öffentliche Diskussion über gentechnisch veränderte Organismen die regulatori-sche Haltung der Europäischen Union und die Ver-ankerung des Vorsorgeprinzips beeinflusst. Auch haben die meist medial geführten öffentlichen De-batten Einfluss auf die Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen mit ihrem indirekten Einfluss auf Technik.

Technikethische Reflexion und ihre Ergebnisse müssen in die jeweils betroffenen Bereiche gesell-schaftlicher Praxis eingebracht werden. Dies kann über Ethikkommissionen, rechtliche Kodifizierung (s. Kap. VI.2), Ausbildung von Wissenschaftlern und Ingenieuren (s. Kap. VI.9), Interventionen von Tech-nikethikern in öffentlichen Debatten oder durch ihre Mitwirkung in interdisziplinären Entwicklungs-projekten erfolgen.

Einwände gegen Technikethik

Möglichkeit und Erfolgsaussichten von Technik-ethik sind nicht unumstritten, wenngleich ca. seit dem Jahr 2000 die Kritik deutlich leiser geworden ist. Häufig wird Kritik aus sozialwissenschaftlicher Perspektive vorgebracht und bezieht typische Kon-fliktfelder zwischen Soziologie und Philosophie auf diesen Bereich (Grunwald 1999). Immer wieder wird skeptisch angemerkt, dass die Innovationsge-schwindigkeit der globalen Technisierung dazu führe, dass die Ethik oftmals der technischen Ent-wicklung ohnmächtig hinterherlaufe und den Cha-rakter einer »Fahrradbremse am Interkontinental-flugzeug« (Ulrich Beck ) habe. Auch sei die Technik-entwicklung in der funktional differenzierten und pluralistischen Gesellschaft nicht normativ beein-flussbar, sondern einer Evolution nach Eigengesetz-lichkeiten unterworfen (Halfmann 1996). Insbeson-dere die Globalisierung verhindere, dass Ethik über-haupt Einfluss auf den weiteren Gang des wissenschaftlich-technischen Fortschritts nehmen könne. Vielfach wird auch die Möglichkeit argumen-tativer Auseinandersetzung über moralische Fragen grundsätzlich bezweifelt. Stattdessen könne es, so subjektivistische Positionen, nur darum gehen, un-terschiedliche moralische Positionen und Interessen auszuhandeln, ohne damit argumentative Ansprü-che zu erheben (kritisch dazu Gethmann/Sander 1999).

Diese Einwände sind wenig spezifisch für Technik-ethik, sondern stellen generell in Frage, dass Technik-entwicklung und -nutzung überhaupt in irgendeiner Weise intentional gesteuert werden könne. Spezifi-scher auf Technikethik beziehen sich folgende drei Einwände (Grunwald 1999):

(1) Ähnlich wie zur Technikfolgenabschätzung (Grunwald 2010) kommt es auch in Bezug auf Tech-nikethik immer wieder zu Vorwürfen oder wenigs-tens Befürchtungen in divergierenden Richtungen: Technikethik könne entweder kleinste mögliche Ri-

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siken oder ethische Bedenken aufbauschen oder gar selbst konstruieren und damit technischen Fort-schritt und seine Akzeptanz gefährden; oder aber Technikethik könne moralische Bedenken klein ar-gumentieren und damit auflösen, vielleicht gar ei-nen ethischen ›Persilschein‹ ausstellen.

(2) Die Kritik an Verantwortungsethik in der Technik arbeitet vielfach mit dem Begriff der ›Ver-antwortungsverdünnung‹. In einer hochgradig ar-beitsteiligen Gesellschaft sei der Begriff der Verant-wortung kaum noch sinnvoll einzusetzen, stattdes-sen herrsche eine ›organisierte Unverantwortlichkeit‹ (Ulrich Beck). Verantwortungsethik erschöpfe sich in bloßer Rhetorik zum Zweck der Legitimationsbe-schaffung oder Beruhigung der Öffentlichkeit. Dies gelte besonders in der Technikentwicklung, die heute in komplexen Arbeitsprozessen organisiert ist. Wenn aber niemand ›verantwortlich‹ sei, komme ei-ner Verantwortungsethik ihr Adressat abhanden.

(3) Schließlich wird vielfach die mangelnde Pro-gnostizierbarkeit der Technikfolgen thematisiert und daraus abgeleitet, dass eine prospektive ethische Re-flexion sich nicht auf belastbares Wissen stützen könne (Bechmann 1993). Stattdessen sei sie darauf verwiesen, mit Wissensbeständen mit einem unkla-ren epistemologischen Status zu operieren und laufe Gefahr, sich mit bloßen Spekulationen zu befassen (Nordmann 2007 am Beispiel der Nanotechnologie).

Diese Einwände sind erstens konzeptionell ernst-zunehmen. Technikethik muss sie reflektieren und darauf reagieren (Grunwald 1999). Dies hat die stärksten Auswirkungen in Bezug auf die letztge-nannte Problematik. Wenn aus dieser der Schluss gezogen würde, dass ethische Reflexion erst dann unternommen werden könne, wenn das Wissen si-cher sei, also die Technikfolgen Realität geworden und ebenso reale Probleme erzeugt haben, führt dies jedoch zu der absurden Konsequenz, dass sie grund-sätzlich strukturell zu spät komme und damit wir-kungslos wäre. Technikethik als ›Reparaturethik‹ (Mittelstraß 1998) bereits eingetretener Schäden könnte die Erwartungen an Orientierung nicht ein-lösen.

Statt jedoch zu fragen, ob Technikethik möglichst früh oder eher spät, prospektiv oder erst nach Vor-liegen belastbaren Folgenwissens einsetzen sollte, geht es um Differenzierungen ethischer Reflexion je nach Entwicklungsphase, Problemstellung und Vali-dität des verfügbaren Folgenwissens. Ethische Refle-xion fällt konzeptionell und methodisch anders aus, ob sie nun angesichts empirisch messbarer oder nur vorgestellter Technikfolgen erfolgt, und sie dient vor

allem unterschiedlichen Zwecken. Ist die Frage z. B. nach der Verantwortbarkeit des Einsatzes von Nano-partikeln in Lebensmitteln eine konkrete Frage im Rahmen von Überlegungen zu Verbraucherschutz, Regulierung, Kennzeichnungspflicht, Selbstver-pflichtung von Unternehmen oder individueller Verantwortung mit ihren jeweiligen ethisch relevan-ten Hintergründen, so dienen Überlegungen zur Synthetischen Biologie eher der gesellschaftlichen und ethischen Selbstverständigung und zur herme-neutischen Aufklärung dessen, worum es dabei geht, was moralisch auf dem Spiel steht und in welcher Weise unsere Urteilsbildung herausgefordert werden können, ohne dass bereits konkrete Maßnahmen einzuleiten wären.

Technikethik ist also als begleitend im Entwick-lungsprozess zu konzeptualisieren. Sind in sehr frü-hen Entwicklungsstufen zunächst nur eher abstra-hierte Überlegungen zu technischen Entwicklungs-linien möglich und stehen hermeneutische Fragen dessen, worum es geht, im Vordergrund, so können gegebenenfalls aber auch bereits wertvolle Hinweise für den weiteren Entwicklungsweg gegeben werden, z. B. durch frühzeitige Hinweise auf mögliche Tech-nikkonflikte und Wege zur Deeskalation (s. Kap. III.6) oder im Hinblick auf Gerechtigkeits- und Be-teiligungsfragen (s. Kap. IV.B.9). Im Verlauf der fort-währenden Konkretisierung der Anwendungsmög-lichkeiten der jeweiligen Technik in diesem Prozess und mit entsprechend verbessertem Folgenwissen ist es dann möglich, die zunächst abstrakten Bewer-tungen und Orientierungen durch das jeweils neu verfügbare Wissen immer weiter zu konkretisieren. Auf diese Weise trägt Technikethik durch frühzeitige Untersuchungen und Reflexionen zu einem gesell-schaftlichen Lernprozess bei.

Zum Handbuch

Das Handbuch Technikethik ist das erste Handbuch dieser Thematik in deutscher Sprache. Technikethik im hier gemeinten Sinn zielt primär darauf, durch ethische Reflexion zu ›richtigen‹ Entscheidungen in der Sache beizutragen, also in der Gestaltung und Nutzung von Technik und zum Umgang mit ihren Folgen. Technik wird als embedded technology von Beginn an in einem gesellschaftlichen Kontext gese-hen, in dem bereits von ersten Designüberlegungen über die Produktion, Nutzung bis zur Entsorgung jeweils Entscheidungen zu treffen sind, die eine moralische Dimension haben und damit einer ethi-

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9 I. Einleitung und Überblick

schen Reflexion offenstehen oder sie sogar ver-langen. In der Technikethik geht es primär um ›po litikpflichtige‹ Elemente an Technik wie z. B. Si-cherheit- und Umweltstandards, den Schutz der Bürger vor Eingriffen in Bürgerrechte, Prioritäten-setzung in der Forschungspolitik, die Gestaltung von Rahmenbedingungen für Innovation etc., so wie sie hier verstanden wird. Die diesem Handbuch vor dem genannten Hintergrund zugrundeliegen-den Prämissen können wie folgt zusammengefasst werden:• Technikethik stellt eine Teildisziplin der Ethik

und damit der Philosophie dar; entgegen einem aktuellen Wortgebrauch, der unter ›Ethik‹ häufig nur noch Befindlichkeiten, Werthaltungen, Präfe-renzen, Runde Tische, Kommissionen oder sons-tige ›weiche‹ Seiten der Technik bezeichnet

• Zwischen Moral und Ethik ist zu unterscheiden: Während Moralen deskriptiv beschreibbar sind und die faktischen Werthaltungen, Überzeugun-gen, Handlungsregeln und Präferenzen bezeich-nen, stellt die Ethik die Reflexionstheorie über diese Moralen dar, insbesondere in Konfliktfällen

• Damit ist der Anspruch verbunden, dass norma-tive Sätze, z. B. Technikbeurteilungen, nicht ein-fach der Sphäre des subjektiven Glaubens und Meinens überantwortet, sondern argumentati-onszugänglich sind (Gethmann/Sander 1999).

• Technikethik ist keine rein akademische Übung, da sie einen doppelten Praxisbezug hat, indem sie ihre Fragen aus der Praxis bezieht und ihre Ant-worten dorthin zurückgibt. Gleichwohl ist der akademisch-professionelle Hintergrund entschei-dend als kognitives Fundament ihrer Aussagen und Legitimation.

• Technikethik ist einerseits ein Teilgebiet der An-gewandten Ethik und ist darauf verwiesen, in ih-rem ›Bereich‹ (Nida-Rümelin 1996; Stoecker et al. 2011) konkret zu wirken. Jedoch wird sie auch mit Fragen konfrontiert, die darüber weit hinaus-reichen – mit grundsätzlichen Fragen des wissen-schaftlich-technischen Fortschritts, in denen häu-fig keine konkrete Orientierungsarbeit, sondern hermeneutische Aufklärung gefragt ist.

• Technikethik kann die Orientierungsfragen zum technischen Fortschritt nicht selbst beantworten. Sie kann gesellschaftliche Meinungsbildung und politische oder wirtschaftliche Entscheidungs-prozesse nur beraten. Das Engagement der Tech-nikethik in den gesellschaftlichen und politischen Debatten über Technik ist Bedingung ihrer Wirk-samkeit, aber keine Garantie.

• Technikethik vollzieht sich in der Regel im inter-disziplinären Dialog. Professionelle ethische und philosophische Expertise bildet das Fundament, das gleichwohl auf interdisziplinäre Kooperation angewiesen ist, sowohl in Richtung Technik als auch zu Gesellschaftswissenschaften.

Aufbau und Überblick

Die Gliederung des Handbuchs Technikethik folgt einfachen Überlegungen im Nachgang zu dieser Einleitung.

Kapitel II dient der Einführung einiger zentraler Grundbegriffe der Technikethik. Hierzu gehören selbstverständlich der Technikbegriff selbst und der Begriff der Technikfolgen, die komplementären Be-griffe ›Risiko‹ und ›Sicherheit‹ sowie die Begriffe ›Fortschritt‹ und ›Verantwortung‹. Diese werden in vielen Beiträgen immer wieder aufgenommen.

In Kapitel III werden einige geschichtliche Statio-nen der Technikethik erläutert mit dem Ziel, die Hintergründe und Motivationen für das Entstehen der Technikethik zu beleuchten. Die Beiträge umfas-sen die frühe Technikskepsis und -kritik, die Entste-hung des TÜV, das Manhattan-Projekt, die Ge-schichte des Asbests, die Krise des Fortschrittsopti-mismus, Technikkonflikte und die Entwicklung der Ingenieursethik.

Kapitel IV ist der Technikethik selbst und ihren Grundlagen gewidmet. Letztere bestehen zunächst in den technikphilosophischen Traditionen, ange-fangen von der Antike über Marx bis hin zum 20.  Jahrhundert und aktuellen Deutungen der Tech-nik. Weiterhin geht es um die ethischen Begrün-dungsansätze wie Menschenrechte, Klugheitsethik, Utilitarismus und Nachhaltigkeit sowie die Herstel-lung von Beziehungen zur Technik. Schließlich wer-den einige Querschnittsthemen der Technikethik eingeführt und diskutiert wie z. B. Arbeit und Technik, Abfall und Technik, Natur und Technik sowie Globalisierung.

In Kapitel V geht es um konkrete Technikfelder. Einerseits kommen die ›Klassiker‹ der Technikethik zu Wort wie Kernenergie, Nanotechnologie, Gen-technik und Internet. Es werden aber auch Felder berührt, die in der Technikethik eher selten disku-tiert werden wie die Lebensmitteltechnologien, Computerspiele, Agrartechnik und Raumfahrt.

Das abschließende Kapitel VI stellt die Verbin-dungen der Technikethik in die unterschiedlichen Praxisfelder her. Diese umfassen Technikpolitik und

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10 I. Einleitung und Überblick

Politikberatung, rechtliche Kodifikationen wie z. B. im Vorsorgeprinzip, Umsetzungsformen wie Partizi-pation, Ethikkommissionen und ethische Leitlinien und Aspekte ethischer Technikbildung.

Zum Gebrauch

Dieses Handbuch soll ›zur Hand‹ sein und genom-men werden, immer wenn Bedarf nach Information zu Teilbereichen der Technikethik besteht. Dies ge-schieht durch ein großes und thematisch stark auf-gefächertes Angebot an einzelnen Beiträgen indivi-dueller Autorinnen und Autoren.

Ein Handbuch ist keine Monographie. Die Autorinnen und Autoren bringen im Rahmen des oben geschilderten Rahmens der Technikethik ihre je eigenen Begriffe, Konzeptionen, Diagnosen und Perspektiven ein. Eine strikte Vereinheitlichung etwa der Verwendungsweise von Begriffen wie ›Ri-siko‹ oder ›Verantwortung‹ wäre weder möglich noch wünschenswert gewesen, da sie auf Kosten des Reichtums der Perspektiven gegangen wäre. Wo not-wendig, wurden Hinweise des Herausgebers auf un-terschiedliche Begriffsverwendungen eingefügt.

Die Autorinnen und Autoren stammen aus unter-schiedlichen Disziplinen und institutionellen Kon-texten. In einigen Teilen des Handbuchs, vor allem in der Entfaltung der Grundlagen der Technikethik, dominiert selbstverständlich die Philosophie. In an-deren Bereichen kommen auch andere Wissenschaf-ten zu Wort, etwa aus der Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaft und Technik-folgenabschätzung, aber auch Natur- und Technik-wissenschaft. In Bezug auf die disziplinäre Zusam-mensetzung wohl am buntesten ist das Kapitel zu den Technikfeldern. Die oben geäußerte Einordnung der Technikethik als interdisziplinäres Gespräch zeigt sich auf diese Weise auch im vorliegenden Handbuch.

Querverweise innerhalb des Handbuchs schaffen Bezüge zu thematisch verwandten Fragen sowie ge-meinsame, aber auch möglicherweise divergierende Perspektiven und Herausforderungen hin. Naturge-mäß betrifft dies vor allem die Relationen zwischen den Querschnittthemen und den Beiträgen zu kon-kreten Technikfeldern. Aber auch viele andere the-matische oder methodische Beziehungen zwischen den Beiträgen zeigen, dass jenseits der Unterschied-lichkeit und Individualität der Einzelthemen durch-gehende Fragen und Themen einen Zusammenhang herstellen, der es letztlich rechtfertigt, von einem Feld ›Technikethik‹ überhaupt zu sprechen.

Danksagung

Dieses Handbuch verdankt seine Entstehung der ko-ordinierten Mitwirkung vieler Personen. Zunächst sei dem Metzler Verlag, insbesondere Frau Ute Hechtfischer, für die Initiative zu diesem Handbuch und für die kompetente Betreuung während des ge-samten Herstellungsprozesses gedankt. Frau Mela-nie Simonidis-Puschmann hat über die gesamte Ent-stehungszeit hinweg den Überblick über den Status aller Beiträge behalten, ist dabei in der Fülle der E-Mails vielleicht manchmal verzweifelt, aber nie durcheinander gekommen, und hat auch noch im Redaktions- und Lektoratsprozess durch viele Hin-weise mitgewirkt.

Der größte Dank jedoch gebührt den Autorinnen und Autoren, die diesem Handbuch die fachliche Substanz geben. Ich war im Vorhinein gewarnt wor-den, die Aufgabe des Herausgebers zu übernehmen. Das sei ein undankbares Geschäft, man habe es mas-senweise mit säumigen Autoren und schlechten Ent-würfen zu tun, und so manches mehr. Das alles war in keiner Weise der Fall. Vielmehr war die Zusammen-arbeit eine Freude, von der ich in vielerlei Weise ge-lernt habe. Und es war überhaupt kein Problem, den von Anfang an vorgesehenen Zeitplan einzuhalten.

Damit bleibt mir nur noch, den Leserinnen und Lesern zu wünschen, dass sie in diesem Handbuch erstens das finden, was sie suchen, und zweitens, dass sie noch viel mehr darin finden!

Literatur

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Asveld, Lotte/Roeser, Sabine (Hg.): The Ethics of Technolo-gical Risk. London 2008.

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Durbin, Paul T. (Hg.): Technology and Responsibility. Dordrecht 1987.

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Grunwald, Armin: Ethik in der Dynamik des technischen Fortschritts. Anachronismus oder Orientierungshilfe? In: Christian Streffer/Ludger Honnefelder (Hg.): Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1999. Berlin 1999, 41–59.

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11I. Einleitung und Überblick

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– : Auf dem Weg in eine nanotechnologische Zukunft. Philo-sophisch-ethische Fragen. Freiburg 2008.

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Van de Poel, Ibo: Values in engineering design. In: Antonie Meijers (Hg.): Philosophy of Technology and Engineering Sciences. Volume 9. Amsterdam 2009, 973–1006.

Armin Grunwald

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1. Technik

Zum Begriff

Der Technikbegriff geht auf die aristotelische Unter-scheidung von ›natürlich‹ und ›künstlich‹ zurück. Während das Natürliche den Grund seines Entste-hens und Werdens in sich selbst trägt, also ›Gewor-denes‹ ist, bezeichnet techne das künstlich vom Men-schen im Rahmen herstellender Tätigkeit (poiesis) Hervorgebrachte (zu antiker Technikphilosophie s. Kap. IV.A.1). Damit wurde der Begriff der Technik in die Sphäre menschlicher Kultur gestellt (s. Kap. IV.A.5 und IV.C.4). Wenn gelegentlich Honigwaben oder Termitenbauten als technische Erzeugnisse der betreffenden Spezies dargestellt werden, handelt es sich bloß um eine metaphorische Redeweise.

Seit Mitte des 19.  Jahrhunderts wurden in der Philosophie verschiedene, teils sich ergänzende, teils konkurrierende Technikbegriffe entwickelt (Lenk 1973; Rapp 1978; Hubig 2006). Techniksoziologie und Technikwissenschaften verwenden eigene und selbst oft kontroverse Technikbegriffe. Ein philoso-phisch und wissenschaftlich durchgehend aner-kannter Technikbegriff liegt nicht vor. Auch die Technikethik verwendet keinen einheitlichen Tech-nikbegriff, sondern verfährt in der Regel pragma-tisch, indem sie an vorfindliche Sprachgebräuche anschließt. In modernen Begriffsbestimmungen, so generell auch in der Technikethik, wird Technik in der Regel nicht als von der Gesellschaft isoliert, son-dern in sie eingebettet gefasst. Unter ›Technik‹ wer-den dann technische Artefakte einschließlich der Handlungskomplexe der Technikentwicklung und -herstellung (poiesis), der Nutzung und der Entfer-nung aus dem Verwendungszusammenhang (z. B. Rezyklierung oder Deponierung) verstanden (Grun-wald 1998 in Erweiterung von Ropohl 1979).

In den meisten Bestimmungsversuchen ist eine zentrale Dualität festzustellen: als ›Technik‹ werden zum einen hergestellte Artefakte wie Maschinen, Werkzeuge und Infrastrukturen verstanden, zum anderen aber auch geregelte Verfahren wie chirurgi-sche Operationstechnik, mathematische Beweis-technik oder auch Techniken des Musizierens oder

der Meditation. Das Wort ›Technologie‹ wird häufig verwendet, um wissenschaftlich hervorgebrachte oder besonders komplexe Techniken zu bezeichnen, aber auch um Technikbereiche übergreifend zusam-menzufassen. Der englische Sprachgebrauch unter-scheidet technology als Oberbegriff für ingenieurmä-ßige und wissenschaftliche Technik von techniques zur Bezeichnung von geregelten Verfahren.

Technik als Reflexionsbegriff

Der konstitutive Charakter des ›Gemacht-Seins‹ von Technik stellt einen unmittelbaren Bezug zwischen Technikbegriff und der Zweck-Mittel-Rationalität her. In der klassischen handlungstheoretischen Deu-tung dienen Techniken, sowohl geregelte Verfahren als auch Artefakte wie Werkzeuge oder Maschinen, zu außerhalb ihrer selbst liegenden Zwecken. In die-ser Sicht stellt Technik das »System der Mittel« dar (Hubig 2002, 28 ff.). Effektivität, also die Aussicht darauf, die intendierten Zwecke durch den Einsatz der jeweiligen Technik zu erfüllen, und Effizienz, also ein günstiges Verhältnis der eingesetzten Mittel (z. B. Geld, aber auch Materialien) zur Zweckerrei-chung, sind in diesem Mittelverständnis von Tech-nik die wesentlichen Kriterien, wenn eine Entschei-dung zwischen mehreren Techniken zur Erreichung der Zwecke zu treffen ist. Kosten-Nutzen-Analysen prägen diese Sicht auf Technik. Technikbewertung und Technikfolgenabschätzung (s. Kap. VI.4 und Kap. VI.6) haben darüber hinaus Technik und ihre Folgen in einen größeren gesellschaftlichen und ethischen Zusammenhang gestellt; andererseits ha-ben sie die nicht intendierten Folgen der Entwick-lung und des Einsatzes von Technik systematisch in den Blick genommen.

Technik geht handlungstheoretisch jedoch nicht in ihrem Mittelcharakter auf. Denn der Mittelbegriff weist in sich eine reflexive Komponente auf: »Für sich gesehen sind Gegenstände oder Ereignisse keine Mittel« (Hubig 2002, 10 f.). Der Mittelcharakter er-schließt sich nur reflexiv aus dem Kontext als Be-standteil einer Zweck-Mittel-Relation, die Interpre-tationen und ggf. auch Umdeutungen ausgesetzt ist. Nicht nur wird neue Technik als Mittel zu vorab fest-

II. Grundbegriffe

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14 II. Grundbegriffe

gelegten Zwecken hergestellt, sondern es werden zu vorhandenen Techniken auch neue Zwecke erfun-den, und es kommt zu Zweckumwidmungen. So wie es verschiedene Mittel zu dem gleichen Zweck geben kann, kann der gleiche technische Gegenstand Mit-tel zu unterschiedlichen Zwecken sein. Die hand-lungstheoretische Struktur des Technikbegriffs ist daher viel reicher als es das einfache Zweck-Mittel-Bild suggeriert. Technikentwicklung und -einsatz weisen grundsätzlich über die ursprünglich inten-dierten Zweck-Mittel-Relationen hinaus und bergen vielfach sogar ein Überraschungspotential.

Daher ist eine ontologische Einteilung der Welt in technische und nichttechnische Einheiten nicht möglich. Stattdessen kann etwas als Technik oder als etwas anderes thematisiert werden, und in diesen Thematisierungen kommt es zu Zuschreibungen des Attributs ›technisch‹ (Grunwald/Julliard 2005). An den Gegenständen oder Verfahren wird »das Tech-nische« durch die Identifikation von Zweck-Mittel-Zusammenhängen bestimmt. Diese als Technik be-stimmten Gegenstände und Verfahren ist dann Technik »zu etwas«. In einem anderen Kontext kann der betreffende Gegenstand z. B. nicht als Technik, sondern als Kunstwerk, als persönliches Andenken oder als Ware thematisiert werden. Daher ist der Technikbegriff kein Sammelbegriff über einzelne Techniken, sondern stellt einen Reflexionsbegriff dar (Janich 2001, 151 f.). Die Reflexion kann auf ver-schiedene Weise erfolgen: als Differenzbestimmung durch unterscheidende Abgrenzung der Technik von Nichttechnik, als Funktionsdeutung durch An-gabe von (z. B. anthropologischen) Funktionen der Technik, durch Bestimmung ihres Ortes in Hand-lungskontexten und Kulturen und durch den Bezug auf Reproduzierbarkeit und Regelhaftigkeit.

Differenzbestimmungen

Durch Unterscheidungen werden Einschließungs- und Ausgrenzungsverhältnisse definiert: spezifische Differenzen (differentiae specificae) zwischen dem in Bezug auf den jeweiligen Technikbegriff Ein- und dem Ausgeschlossenen sind zu bestimmen und ge-ben die Perspektive an, in der diese Unterscheidung gemacht wird. Ihnen liegt jeweils ein spezifisches Er-kenntnis- und Unterscheidungsinteresse zugrunde.

Eine klassische differentia specifica ist die bereits erwähnte, auf Aristoteles zurückgehende Unter-scheidung zwischen technisch (künstlich) und na-türlich. Sie reflektiert das Gemachtsein des Techni-

schen im Unterschied zum Gewordensein des Na-türlichen. Dabei kann z. B. auch nach der Rolle des Gewordenen (z. B. natürlicher Ressourcen) im tech-nisch Gemachten gefragt werden. Diese Unterschei-dung wurde von Günter Ropohl angesichts der großen und weiter zunehmenden Eingriffstiefe des Menschen in die Natur – nach der z. B. Landschaften ebenso Merkmale menschlichen Eingriffs aufweisen wie gezüchtete oder genetisch veränderte Lebewe-sen – zur These von der Technik als Gegennatur ver-schärft (Ropohl 1991).

Innerhalb des Bereichs der Artefakte wird häufig eine Unterscheidung zwischen dem instrumentellen (Werkzeug-)Charakter von Technik und dem Selbst-zweckcharakter der Kunst vorgenommen. Eine Waschmaschine und ein Bronzeguss von Ernst Bar-lach sind beide Artefakte, werden jedoch üblicher-weise in Kunst und Technik unterschieden. Kunst-werke sind zwar Artefakte, dienen jedoch der ästhe-tischen Anschauung und nicht dem instrumentellen Einsatz für ihnen selbst äußere Zwecke. Gleichwohl zeigt sich der Technikbegriff als Reflexionsbegriff auch hier, denn diese Zuschreibungen sind nicht on-tologisch an den beiden Gegenständen festzuma-chen: die Bronzestatue kann durchaus als techni-sches Gerät verwendet werden, z. B. um einen Ein-brecher niederzuschlagen, und die Waschmaschine könnte ein Element in einer modernen Kunst-Instal-lation sein.

Eine andere, lebensweltlich häufig verwendete Unterscheidung lässt besser an den Adjektiven tech-nisch/nichttechnisch erläutern. Es geht um die ›tech-nische Rationalität‹, die vielfach, allerdings wenig spezifisch, mit Kontrollierbarkeit, Berechenbarkeit, Kosten-Nutzen-Denken und kühler Logik assoziiert wird. Gegenübergestellt wird ihr die Welt der Emoti-onen, der Empathie, der Spontaneität und der Über-raschungen. Gelegentlich wird an dieser Stelle ein Gegensatz zwischen der ›kalten‹ Welt des Techni-schen und der Wärme des Humanen hergestellt. Technikeinsatz im Gesundheitssystem ist hier ein geeignetes Beispiel. So wird im erstgenannten Sinn moderne Medizin gelegentlich als technisch-ratio-nale ›Apparatemedizin‹ abqualifiziert und mehr menschliche Zuwendung und Empathie angemahnt.

Funktionsdeutungen

Funktionszuschreibungen geben Antworten auf Fra-gen, was Technik leistet, wofür sie unverzichtbar ist und was ihr spezifischer Beitrag zu historischen

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oder kulturellen Verläufen ist. Hierbei geht es nicht um die Funktionen einzelner technischer Gegen-stände und Verfahren, sondern abstrahierend um Funktionen ›der Technik‹. Dies kann z. B. in anthro-pologischer Perspektive bzw. in soziologischem oder ökonomischem Erkenntnisinteresse erfolgen, in de-nen der Technik abstrakt eine Funktion und damit Bedeutung in den jeweiligen Theorien und Diszipli-nen zugeschrieben wird.

Die Deutung der Technik als anthropologische Notwendigkeit geht von der Prämisse des Menschen als Mängelwesen aus (Gehlen 1962; Ortega y Gasset 1978; s. Kap. IV.A.3). Technik dient danach der Per-fektion des Menschen und kompensiert dessen un-vollkommene natürliche »Grundausstattung«. Sie ist Organersatz, Organverlängerung und Organüber-bietung (Kapp 1978). Technik ist Konkretisierung und Objektivierung von Körperfunktionen. Sie er-laubt in weitestem Sinn die Weltbemächtigung, in-dem sie unvollkommene Handlungsmöglichkeiten des Menschen ergänzt. Dabei wird sowohl die Funk-tion der Technik zur Erweiterung der individuellen Fähigkeiten des Menschen gesehen als auch ihr Bei-trag in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Auch Kulturtechniken wie Schrift und Sprache und die staatliche Organisationsform werden als Funkti-onsbestandteile der technischen Kultur bezeichnet (Kapp 1978).

In soziologischer Perspektive wird Technik vorwie-gend als Medium der Kommunikation aufgefasst (z. B. Halfmann 1996, 109–147). Demnach dient die Technik der Entlastung von fortwährender Refle-xion auf den Sinn alltäglicher Handlungen. Routine-bildung und daran anschließende Kommunikatio-nen reduzieren Kontingenz und eröffnen Anschluss-möglichkeiten. In ökonomischer Perspektive wird die Funktion von Technik als wesentlicher gesellschaft-licher Produktivkraft betont (zur Marxistischen Technikphilosophie s. Kap. IV.A.2), die in geschichts-philosophischen Konzeptionen wiederum aufge-nommen wird, um Gedanken über die Zukunft der menschlichen Entwicklung anzustellen (z. B. Bloch 1934).

Geschichts-, kultur- oder sozialphilosophische Funk-tionsbestimmungen stellen ›die Technik‹ in den Zu-sammenhang der menschlichen Zivilisationsent-wicklung. Die ältere Technikphilosophie, wie bei Ernst Zschimmer (1914) und Friedrich Dessauer (1926) prägt eine optimistische bis euphorische Hal-tung gegenüber den Möglichkeiten der Technik: Technik wird im Extremfall zur »Selbsterlösung« des Menschen bzw. zum Ausdruck des göttlichen Geis-

tes oder des Weltgeistes (Friedrich Dessauer), bzw. zur Idee der materiellen Freiheit. José Ortega y Gas-set sieht Technik als »Anstrengung, Anstrengung zu sparen« (1978, 24). Kulturpessimistische Deutungen hingegen befürchten in unterschiedlichen Variatio-nen eine aufkommende oder bereits eingetretene Vormacht der Technik oder des technischen Den-kens über den Menschen. Beispielsweise sieht Gün-ther Anders (1956) den modernen Menschen hilf- und aussichtslos hinter seinen eigenen technischen Geschöpfen herlaufen, gegenüber denen er bereits hoffnungslos antiquiert sei. Martin Heidegger (1953) sieht Technik in der Moderne als Ausdruck der existenziellen Situation des modernen Men-schen, in der alles zum ›Gestell‹ werde. Herbert Mar-cuse , auf dem Boden der Kritischen Theorie (s. Kap. IV.A.6), diagnostiziert das Aufkommen ökono-misch-technischer Systeme, die die Menschen in-strumentalisieren und unterjochen, und gegen die es nur die Verteidigung durch eine, freilich sehr un-spezifisch gehaltene ›große Weigerung‹ gebe (1967).

Freilich ist zu allen diesen Deutungen nicht nur zu sagen, dass sie mit starken Voraussetzungen und Interpretationen operieren (Lenk 1973), sondern auch, dass sie in der Regel zum Begriffsverständnis von ›Technik‹ wenig beitragen. Denn um Funktio-nen, seien es intendierte oder sich erst allmählich in der historischen Entwicklung zeigende, zu bestim-men, muss vorab bereits eine Bestimmung von ›Technik‹ erfolgt sein. Diese bleibt jedoch in fast al-len derartigen Deutungen intransparent.

Technik als Medium

Gegenwärtig wird Technik vielfach als Medium (Gamm 2002; Hubig 2006), z. B. als »instrumentelles Vermittlungsverhältnis von Gesellschaft und Natur« (Krämer 1982, 10) begriffen (s. Kap. IV.A.8) oder, Ernst Cassirer (1985) folgend, als Form menschli-chen Handelns (Gutmann 2003, 54 ff.) diskutiert. Technik ist danach Medium der Weltaneignung (z. B. durch Werkzeuge), aber simultan auch eine Form menschlichen Handelns, die bestimmte As-pekte des Verhältnisses des individuellen Handelns zur Gemeinschaft thematisiert, insbesondere im Rahmen der gesellschaftlichen Reproduktion. Die Deutung von Technik in der Perspektive der klassi-schen Theorie der Zweckrationalität im Rahmen ei-ner Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung wird dabei überschritten. Technik stellt nicht mehr ein En-semble technischer Artefakte und Verfahren dar,

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sondern eben ein Medium, mit dessen Möglichkei-ten, aber auch in dessen Grenzen und Restriktionen die individuellen wie gesellschaftlichen Prozesse stattfinden und Rückwirkungen wiederum auf die-ses Medium haben.

Die Ausgangsbeobachtung ist, dass Technik eine systemische, die gesamte Lebenswelt des Menschen umspannende und prägende Dimension ausgebildet habe. Der Mensch begegne nicht mehr einzelnen technischen Artefakten als solchen, sondern bewege sich in einer technisch grundlegend präformierten ›Zweiten Natur‹ oder in einer ›technologischen Tex-tur‹ (Grunwald/Julliard 2005). Die Metapher der Textur bezeichnet ein Geflecht von Interdependenz-beziehungen, die einerseits gesellschaftliche Praxen und andererseits materielle und soziale Techniken umfassen. Bei Infrastrukturtechniken kann die Ver-webung soweit gehen, dass ihre Auslösung aus der gesellschaftlichen Praxis nicht mehr möglich ist, ohne den Lebensvollzug einer Gesellschaft insge-samt zu gefährden. Die Rede vom Internet als dem ›Nervensystem‹ der modernen Gesellschaft ist ein aktuelles Beispiel dieser Verwebung. Das Ubiquitous Computing (s. Kap. V.25), die Schaffung einer Welt, in der wir von Technik umgeben sind, ohne diese noch zu bemerken, wäre in gewisser Weise eine Voll-endung des Gedankens einer zweiten, d. h. vollstän-dig technisch gewordenen Natur.

Technik als Reflexionauf Regelhaftigkeit

Technische Artefakte und Verfahren einschließlich der daran anschließenden menschlichen Hand-lungsweisen sind durch ein hohes Maß an Regelhaf-tigkeit und Reproduzierbarkeit geprägt. Regelhaftig-keit ist ein zentrales Merkmal des Technischen. Technische Regeln prägen Entwicklung und Herstel-lung von Technik und sind zentrales Element der Wissensweitergabe in Technikwissenschaften und Handwerk. Regeln prägen aber auch den Gebrauch von Technik, z. B. durch Bedienungsanleitungen oder aus der Erfahrung im Umgang mit konkreten Artefakten heraus. Diese Regeln sind mehr oder we-niger kontextabhängig. Der Grad der Universalität der Regeln des technischen Funktionierens sagt et-was aus über Situationsinvarianz oder Kontextab-hängigkeit entsprechender Zweck-Mittel-Relatio-nen. Technische Regeln und die Regeln des Ge-brauchs von Technik sind gültig in je einem Geltungsbereich. Entsprechend kann der Technik-

begriff als Reflexionsbegriff auf die Reichweite die-ses Geltungsbereichs verstanden werden, wobei das ›Ideal des Technischen‹ auf der Seite maximaler In-varianz liegt (Grunwald/Julliard 2005). In diesem Sinne nimmt die Unterscheidung des Technischen vom Nicht-Technischen den Bogen vom historisch-singulären Einmaligen (nichttechnischen) bis zum beliebig oft und streng Reproduzierbaren in den Blick und fragt nach der Position eines gerade be-trachteten spezifischen Handlungskontextes in die-sem Kontinuum.

Diese Deutung des Technikbegriffs ermöglicht es, den Blick weit über die ›Ingenieurtechnik‹ hinaus auf die Funktionen und Ambivalenzen ›des Techni-schen‹ in Kultur und Gesellschaft zu richten. Die Wiederholbarkeit von Handlungsschemata, z. B. in Verfahren, und das Reproduzieren von Zuständen sind unzweifelhaft ein Element technischer Arte-fakte, in Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Re-gelhaftigkeiten sind jedoch auch in sozialen Kontex-ten etabliert. Institutionen stellen geregelte Hand-lungszusammenhänge dar, die Verlässlichkeit und Erwartungssicherheit erzeugen. Insofern die Refle-xion auf das Technische in Handlungen und Ent-scheidungen auf Regelhaftigkeiten bezogen wird, thematisiert sie Verlässlichkeiten, Berechenbarkei-ten und Erwartungssicherheiten als Grundlagen ko-operativen Handelns (Claessens 1993). Regeln des Handelns, sei dies im Zusammenhang mit inge-nieurhafter Technik oder in Form regelgeleiteter Institutionen, entlasten davon, ständig in jeder Situation von Grund auf neu über Handlungsmög-lichkeiten, Handlungsnotwendigkeiten und Hand-lungsrationalität nachdenken zu müssen.

Regelhaftigkeit ist allerdings ambivalent. Einer-seits bedarf die Sicherung kultureller Vollzüge der Regelhaftigkeit, andererseits kann letztere eine Be-drohung von Freiheit und Individualität werden. Das Regelhafte bzw. Geregelte muss mit dem (histo-risch) Einmaligen und den Möglichkeiten, außer-halb etablierter Regeln zu operieren, in einer ausge-wogenen Balance stehen. Widerstand gegen Technik ist häufig nicht bloß Widerstand gegen technische Artefakte, sondern verweist auf einen Grundzug menschlicher Gesellschaften: auf die Ambivalenzen zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Sponta-neität und Regelhaftigkeit, zwischen Planung als Er-öffnung von Handlungsoptionen und einer ›Verpla-nung‹ als Schließung von Optionen.

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171. Technik

Technik, Technikwissenschaftenund Naturwissenschaften

Moderne Technik ist aus handwerklichen Anfängen entstanden. Technikentwicklung wurde seit dem 19.  Jahrhundert rasch verwissenschaftlicht, vor al-lem in den neu gegründeten Technischen Hoch-schulen mit eigenen Ausbildungsgängen und später mit einem eigenen Doktortitel. Die Verwissenschaft-lichung erlaubte eine systematische Zusammen-schau des Wissens, eine erhebliche Verbesserung seiner Weitergabe und eine effizientere Erforschung neuer technischer Möglichkeiten.

Vielfach wird die These geäußert, Technik sei an-gewandte Naturwissenschaft und folge in ihren tech-nischen Realisierungen dem naturwissenschaftli-chen Erkenntnisprozess. Diese These impliziert so-wohl eine zeitliche als auch eine logische Reihenfolge von Erkennen und Gestalten. Sie ist jedoch nicht haltbar (Banse et al. 2006). Zwar sind naturwissen-schaftliche Erkenntnisse für die Technikwissenschaft wichtig und unverzichtbar, aber dies gilt auch um-gekehrt (s. Kap. IV.A.5). Die Naturwissenschaften sind keine kontemplative Versenkung in die Natur, sondern bestehen aus experimentellem, intervenie-rendem und manipulierendem Handeln, das ohne Technik nicht denkbar ist. Ein Extrembeispiel sind die großtechnischen Anlagen der Elementarteil-chenphysik wie der Large Hadron Collider (LHC) am CERN. Unmittelbar erkennbar ist dies aber auch in den modernen Biowissenschaften und in der medi-zinischen Forschung. Daher besteht zwischen Tech-nik und Naturwissenschaft kein einseitiges, sondern generell ein Wechselverhältnis (Banse et al. 2006).

In der neueren Diskussion wird häufig darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung zwischen Na-tur- und Technikwissenschaften zusehends proble-matisch wird. Die Abhängigkeit des naturwissen-schaftlichen Fortschritts von der Verfügbarkeit kom-plexer Technik nimmt zu, z. B. im Hinblick auf die immer größeren Anforderungen an die rasche Erhe-bung, Verarbeitung, Auswertung und Speicherung riesiger Datenbestände. Umgekehrt sind die Tech-nikwissenschaften immer stärker auf enge Koopera-tion mit den Naturwissenschaften und auf den dor-tigen Fortschritt angewiesen, vorwiegend im Be-reich der sogenannten new and emerging science and technology (NEST). Entsprechende Forschungsfel-der wie die Nanotechnologie und die Synthetische Biologie werden vielfach, einem Vorschlag von Bruno Latour folgend, als Technowissenschaften (technosciences) bezeichnet.

Literatur

Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Band I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revo-lution. München 1956.

Banse, Gerhard/Grunwald, Armin/König, Wolfgang/Ro-pohl, Günter (Hg.): Erkennen und Gestalten. Eine Theorie der Technikwissenschaften. Berlin 2006.

Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M. 1934.Cassirer, Ernst: Form und Technik. In: Ders.: Symbol, Tech-

nik, Sprache. Hamburg 1985, 39–90.Claessens, Dieter: Das Konkrete und das Abstrakte: soziolo-

gische Skizzen zur Anthropologie. Frankfurt a. M. 1993.Dessauer, Friedrich: Philosophie der Technik. Das Problem

der Realisierung. Bonn 1926.Gamm, Gerhard: Technik als Medium. Grundlinien einer

Philosophie der Technik. In: Ders.: Nicht Nichts. Frank-furt a. M. 2002, 275–307.

Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Frankfurt a. M./Bonn 71962.

Grunwald, Armin: Technisches Handeln und seine Resul-tate. Prolegomena zu einer kulturalistischen Technik-philosophie. In: Dirk Hartmann/Peter Janich (Hg.): Die kulturalistische Wende. Frankfurt a. M. 1998, 177–223.

– /Julliard, Yannick: Technik als Reflexionsbegriff – Über-legungen zur semantischen Struktur des Redens über Technik. In: Philosophia naturalis Jg. 42 (2005), 127–157.

Gutmann, Mathias: Technik-Gestaltung oder Selbst-Bil-dung des Menschen? Systematische Perspektiven einer medialen Anthropologie. In: Armin Grunwald (Hg.): Technikgestaltung zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Berlin u. a. 2003, 39–69.

Halfmann, Jost: Die gesellschaftliche Natur der Technik. Op-laden 1996.

Heidegger, Martin: Die Technik und die Kehre [1953]. Neu-druck, Stuttgart 2002.

Hubig, Christoph: Mittel. Bibliothek dialektischer Grundbe-griffe. Bd. 1. Bielefeld 2002.

– : Die Kunst des Möglichen. Grundlinien einer Philosophie der Technik, Bd. 1: Philosophie der Technik als Reflexion der Medialität. Bielefeld 2006.

Janich, Peter: Logische Propädeutik. Weilerswist 2001.Kapp, Ernst: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur

Entstehung der Cultur aus neuen Gesichtspunkten [Braunschweig 1877]. Neudruck Düsseldorf 1978.

Krämer, Sibylle: Technik, Gesellschaft und Natur. Versuch über ihren Zusammenhang. Frankfurt a. M./New York 1982.

Lenk, Hans: Zu neueren Ansätzen der Technikphilosophie. In: Hans Lenk/Simon Moser (Hg.): Techne Technik Tech-nologie. Pullach 1973, 198–231.

Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Neuwied/Berlin 1967.

Rapp, Friedrich: Analytische Technikphilosophie. Freiburg/München 1978.

Ropohl, Günter: Eine Systemtheorie der Technik. Zur Grund-legung der Allgemeinen Technologie. Frankfurt a. M. 1979.

– : Technologische Aufklärung. Beiträge zur Technikphiloso-phie. Frankfurt a. M. 1991.

Ortega y Gasset, José: Betrachtungen über die Technik. Stuttgart 1978.

Zschimmer, Ernst: Philosophie der Technik. Vom Sinn der Tech-nik und Kritik des Unsinns über die Technik. Jena 1914.

Armin Grunwald

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18 II. Grundbegriffe

2. Risiko

Begriffsgeschichte

Der Risikobegriff ist in modernen Gesellschaften all-gegenwärtig. Risiken bzw. risikobehaftete Handlun-gen sind ganz selbstverständlich Bestandteil der all-täglichen Praxis. Ein Blick in die Begriffsgeschichte verdeutlicht, dass dies nicht immer der Fall war, son-dern dass ›Risiko‹ bzw. das Attribut ›risikobehaftet‹ als Bezeichnung einer Kategorie von Handlungen oder Handlungsweisen ein neuzeitliches Phänomen ist, das in traditionalen Gesellschaften entweder un-bekannt oder doch nur in sehr viel geringerem Maße verbreitet war. Mit dem Auftreten des Risikobegriffs als Kategorie der Handlungsbeschreibung ging die Ablösung vormoderner Denkmuster einher.

Als von anderen Arten der Unsicherheitswahr-nehmung unterscheidbarer Begriff ist ›Risiko‹ spätes-tens am Ausgang des Mittelalters, d. h. im frühen 14. Jahrhundert, in den italienischen Handelsstädten bzw. Stadtstaaten nachweisbar (vgl. Bonß 1995, 49). Der Risikobegriff stand hier in enger Verbindung mit dem zeitgenössischen Fern- und insbesondere See-handel, der zu damaliger Zeit ein weitaus unsichere-res Unterfangen war als heutzutage. Die Bezeichnung des Verlusts von Handelsgütern als ›Risiko‹ ist inso-fern bemerkenswert, als damit implizit die Position eines rationalen Akteurs eingenommen wird, der die Unwägbarkeiten der wirtschaftlichen Aktivitäten nicht mehr als schicksalhaft hinzunehmende Ereig-nisse, sondern als (mehr oder weniger) kalkulierbare Unsicherheiten betrachtet. Die mit dem Risikobegriff gegebene Einordnung von Ungewissheiten als prinzi-piell planbare Größen setzte ein bestimmtes Natur- und Selbstverständnis voraus, »das für die Vormo-derne cum grano salis untypisch bis befremdlich« (Bonß 1995, 51) war. Seit den ersten Nachweisen des Risikobegriffs in der italienischen Handelsschifffahrt ist eine enge Verbindung zwischen Risiko und ratio-naler Handlungsplanung gegeben, die – gewisserma-ßen als Vorbote eines neuzeitlichen Rationalitätsver-ständnisses – die Bedeutung von Erklärungsmustern wie Schicksal oder anderen nicht kalkulierbaren Ein-flussgrößen für den Handlungserfolg zurückdrängte.

Semantik

So verbreitet die Rede von Risiken in der Gegenwart ist, die Bedeutung des Begriffs ›Risiko‹ ist nicht

eindeutig. Zunächst wird ›Risiko‹ häufig in einer umfassenden Bedeutung gebraucht, um Entschei-dungssituationen zu kennzeichnen, in denen eine mögliche Handlung ex ante, also zum Entschei-dungszeitpunkt, zu mindestens zwei verschiedenen Konsequenzen führen kann, wobei ex post nur eine dieser möglichen Konsequenzen tatsächlich eintre-ten kann. Zudem muss das situationsbezogene Ent-scheiden bzw. Handeln eines Akteurs entweder für die Realisierung oder aber für Art oder Ausmaß mindestens einer der Konsequenzen relevant sein. Die potentiellen Ergebnisse einer so beschriebenen Risikosituation, also die möglichen Konsequenzen, können dann qualitativ (als Nutzen oder Schaden) und gegebenenfalls auch quantitativ (in der Höhe des Nutzens oder im Ausmaß des Schadens) spezifi-ziert werden. Auch kann jeder dieser möglichen Konsequenzen – zumindest prinzipiell und ggf. nur approximativ  – jeweils eine positive Eintrittswahr-scheinlichkeit zugeordnet werden. Wesentlich da-bei ist, dass die einzelnen Eintrittswahrscheinlich-keiten der Konsequenzen jeweils geringer als 1 sind, wobei die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Konsequenzen 1 sein muss. Eine derart beschriebene risikobehaftete Entscheidungssitua-tion ist somit folgendermaßen definiert: Mindestens eine der Entscheidungsalter nativen ist über Ein-trittswahrscheinlichkeiten mit mehr als einer Kon-sequenz verbunden. Unter diesen umfassenden Be-griff des Risikos fallen also alle un sicheren Entschei-dungssituationen, das heißt alle Entscheidungen unter Unsicherheit.

Der Risikobegriff wird aber auch in einem deut-lich engeren Sinne verwendet, wobei zwei Weisen dieser Verengung unterschieden werden können. Zum einen wird ›Risiko‹ insofern als ein spezifischer Fall von Unsicherheit aufgefasst, als eine ›risikobe-haftete‹ Entscheidungssituation sich dadurch aus-zeichne, dass sämtliche Wahrscheinlichkeiten mög-licher Konsequenzen präzise zu benennen seien. In einer solchen Differenzierung zwischen Unsicher-heit und Risiko verbirgt sich allerdings eine wahr-scheinlichkeitstheoretische Problematik, weil diese Unterscheidung bei Zugrundelegung eines subjekti-vistischen oder personalistischen Wahrscheinlich-keitsbegriffs keinen Sinn macht.

Der Risikobegriff wird in einem zweiten Sinne verengt, wenn er sich lediglich auf solche Konse-quenzen einer unsicheren Entscheidungssituation bezieht, die als schädlich bewertet werden. Damit einher geht in der Regel eine Gegenüberstellung der Begriffe ›Risiko‹ und ›Chance‹. Die Risiken einer

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192. Risiko

Entscheidungssituation kennzeichnen dann ledig-lich Unsicherheiten hinsichtlich derjenigen mögli-chen Konsequenzen, die negativ bewertet werden. Unsichere Konsequenzen einer Entscheidungsalter-native, die positiv bewertet werden, werden demge-genüber unter dem Begriff der Chance subsumiert. Ein Beispiel dieser Begriffsverwendung ist etwa die Thematisierung der ›Chancen und Risiken der Gen-technologie‹.

Gegen eine Verengung des Risikobegriffs auf den Spezialfall einer über die Angabe exakter Werte für Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten in quanti-tativer Hinsicht vollständig beschreibbaren Ent-scheidungssituation spricht zunächst, dass ein sol-ches Vorgehen den Risikobegriff bei konsequenter Anwendung fast vollständig aus der Lebenswelt ver-drängen würde. Eine resultierende Risikotheorie würde nur eine sehr begrenzte praktische Relevanz entfalten und wäre gezwungen, den Großteil unse-res alltäglichen Sprachgebrauchs abzulehnen. Wird der Risikobegriff hingegen als allgemeine Bezeich-nung eines Kontinuums unsicherer Entscheidungs-situationen zwischen den Extremen ›reines Risiko‹ und ›vollständige Ungewissheit‹ aufgefasst, so stellt die versicherungsmathematische Formel [Risiko = Schadenswert x Eintrittswahrscheinlichkeit] den Ex-tremfall des ›reinen Risikos‹ dar.

Wie die Formel zeigt, ist die Beschränkung des Risikobegriffs auf negativ bewertete mögliche Kon-sequenzen insbesondere dann anzutreffen, wenn Ri-siko als in quantitativer Hinsicht vollständig be-schreibbarer Extremfall unsicherer Konsequenzen betrachtet wird. Im Hinblick auf eine rationale Handlungsbewertung erscheint es allerdings nicht sinnvoll, von einer risikobehafteten Entscheidung zu sprechen, wenn diese nicht in Verbindung mit einem wie auch immer gearteten Vorteil steht. Wird also davon ausgegangen, dass Risiken auf die Entschei-dungen von Akteuren zurückzuführen sind, so be-dingt dieser Akteursbezug, dass eine rationale Risi-koentscheidung das Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Schaden darstellt, wobei mindestens eine dieser zu bewertenden Konsequenzen mit Unsi-cherheit behaftet ist. Wo rationale Akteure Risiken eingehen, bestehen immer auch Chancen – zumin-dest aus der Perspektive des Akteurs zum Entschei-dungszeitpunkt. Risiken werden vernünftigerweise um der Chancen willen eingegangen (s. Kap. IV.C.7).

Ein umfassender Risikobegriff trägt dem Ak-teursbezug von Risiken sowie dem weiten lebens-weltlichen Bereich risikobehafteten Handelns Rech-nung. Der Akteursbezug von Risiken besagt, dass

ein Risiko nur in Verbindung mit Entscheidungen bzw. Handlungen konkreter Akteure bestehen kann. Bestimmte potentielle Konsequenzen sind nur dann als Risiken zu qualifizieren, wenn sie entweder durch das Handeln von Akteuren hervorgerufen werden, oder aber wenn das Wissen um sie die Möglichkeit schafft, die Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung oder aber das Ausmaß ihrer Folgen durch entspre-chendes Handeln zu beeinflussen. Risiken haben demnach stets einen Entscheidungs- bzw. Hand-lungsbezug. Dies ist jedoch nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Risiken, denen sich eine Person ausgesetzt sieht, lediglich auf die Handlungen dieser Person bezogen sein können und dass andernfalls von Gefahr zu sprechen wäre (anders: Luhmann 1991, 117). Allerdings schließt es der Akteursbezug von Risiken aus, beispielsweise das Eintreten be-stimmter Naturkatastrophen als solche als Risiko zu werten: »Das Risiko erwächst aus Entscheidungssi-tuationen, nicht aus der – isoliert gedachten – Mög-lichkeit des Eintretens ungewisser, zufälliger Ereig-nisse. Aus dem möglichen Eintritt etwa einer Natur-katastrophe als solcher folgt noch keinerlei Risiko. Erst mit dem möglichen Hineinwirken eines solchen Ereignisses in den Entscheidungsvorgang […] kommt das Risiko zur Entstehung« (Philipp 1967, 6). So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, undifferen-ziert von einem Erdbebenrisiko zu sprechen. Die Entscheidung hingegen, in einem Gebiet mit be-kannt starker seismischer Aktivität zu bauen oder ganz allgemein auf eine Anpassung der eigenen, d. h.  der individuellen oder kollektiven bzw. politi-schen Praxis im Hinblick auf dieses Wissen zu ver-zichten, ist als riskant zu bezeichnen.

Da nicht alle potentiellen Konsequenzen, die aus einer Risikosituation resultieren können, notwendi-gerweise lediglich das Individuum oder das Kollektiv betreffen, das als Urheber dieses Risikos betrachtet werden kann, sondern vielmehr einige Konsequen-zen den Risikourheber, andere hingegen unbeteiligte Dritte treffen können, ist eine weitere Differenzie-rung zur Markierung des Bereichs normativer Risiko-theorie sinnvoll: Risiken sind zu unterscheiden in individuelle und übertragene. Mit ersteren sind solche Risiken gemeint, die ein Indi viduum selbst eingeht, ohne dass irgendwelche Externalitäten entstehen. Wird vorausgesetzt, dass es Individuen als Ausdruck ihrer Autonomie grundsätzlich frei steht, Risiken für sich selbst einzugehen, so sollten lediglich solche Risiko situationen Gegenstand der ethischen Refle-xion sein, in denen die potentiellen oder sicheren Kosten risikobehafteter Entscheidungen bzw. Hand-

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20 II. Grundbegriffe

lungen nicht vollständig bei dem Entscheider anfal-len, die also Externalitäten aufweisen. Im normativen Sinne relevante Risiken sind somit dadurch gekenn-zeichnet, dass sie Externalitäten aufweisen: Einzelne Individuen oder Kollektive haben Risiken zu tragen, ohne als deren (Mit-)Urheber gelten zu können.

Aufgrund seiner starken Rezeption darf hier ne-ben den bereits erwähnten soziologischen Beiträgen Wolfgang Bonß’ und Niklas Luhmanns nicht der Verweis auf die Risikogesellschaft Ulrich Becks (1986) fehlen. Allerdings ist kritisch anzumerken, dass Beck sich dort einer überzeugenden Begriffs-arbeit enthält und nicht mit einer klaren und ana-lytisch einsichtigen Terminologie operiert. Sein V erständnis von Risiko ist infolge einer in der zeitge-nössischen Soziologie weit verbreiteten rationalitäts-kritischen Haltung mit der hier dargestellten Sicht-weise weitgehend unvereinbar.

›Gefahr‹ und ›Restrisiko‹

Eine klare Abgrenzung der Begriffe ›Risiko‹ und ›Gefahr‹ spielte in der umfänglichen Literatur zur Risikoforschung lange Zeit keine nennenswerte Rolle (vgl. Luhmann 1991, 31). Die Unterscheidung zwi-schen entscheidungsbezogenem Risiko und ent schei-dungsunabhängiger Gefahr sollte jedoch nicht – wie Luhmann dies tut  – subjektivistisch überhöht wer-den. Denn in einem geteilten Handlungsraum ist es keineswegs so, dass »die Risiken, auf die ein Entschei-der sich einlässt […], zur Gefahr für die Betroffenen [dieser Entscheidung] werden« (ebd., 117). Dies würde ja bedeuten, die Handlungen anderer Indivi-duen zu naturalisieren. Verantwortung als Grundlage ethischer Beurteilung wäre dann nicht mehr zuzu-schreiben. Ein Risiko bleibt vielmehr auch dann ein Risiko, wenn es der Entscheidung eines (beliebigen) anderen Akteurs in einem gemeinsamen Handlungs-raum zugerechnet und diesem Akteur somit auch eine entsprechende Verantwortung zugeschrieben werden kann. Die Alternative wäre eine faktische Selbstaufhebung der Unterscheidung zwischen Ri-siko und Gefahr und damit der Verlust ihres großen analytischen Werts für die Risikoethik. In ethischer Hinsicht ist somit ›Gefahr‹ der Gegenbegriff zu ›Risiko‹. Eine Gefahr per se ist aus ethischer Perspek-tive unerheblich, das Wissen um eine Gefahr kann jedoch eine risikobehaftete Entscheidungssituation hervorrufen. Der bereits zuvor erwähnte Fall eines Erdbebens bzw. des Wissens um die Wahrscheinlich-keit seines Auftretens verdeutlicht dies.

Ein weiterer Begriff, der in normativen Debatten um Risiko regelmäßig präsent ist, ist der eines ›Rest-risikos‹. In seinem als »Kalkar I« bezeichneten Beschluss vom 8. August 1978 über die Zulässigkeit der Genehmigung eines Kernkraftwerks vom Typ »Schneller Brüter« auf der Grundlage von § 7 des »Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kern-energie und den Schutz gegen ihre Gefahren« (AtomG) äußerte sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch zur Frage eines von der allgemei-nen Risikoabwägung zu unterscheidenden Restrisi-kos. Im Unterschied zu einer Sichtweise zeitgenössi-scher Soziologen, wonach der Risikobegriff dazu diene, Ungewissheiten in Gewissheit zu überführen, stellte das Gericht dabei zunächst fest, dass die Exis-tenz eines Restrisikos keineswegs zu verwechseln sei mit der Inkaufnahme eines Restschadens. Zwar lasse das Gesetz Genehmigungen von Kernkraftanlagen auch dann zu, »wenn die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens nicht mit letzter Sicherheit aus-zuschließen ist« (BVerfGE 49, 89 [137]), jedoch sei das Maß an Unbestimmtheit, das bei solchen Risiko-beurteilungen verbleibt, insofern unvermeidlich, als es in der Natur des menschlichen Erfahrungswis-sens begründet liege. Dementsprechend hieße es die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens zu ver kennen, vom Gesetzgeber solche Regelungen zu fordern, die im Zusammenhang mit der Zulassung und dem Betrieb technischer Anlagen jegliches Schadenspotential mit absoluter Sicherheit aus-schließen. Eine solche Forderung würde vielmehr jede staatliche Zulassung und Nutzung von Technik verbieten: »Für die Gestaltung einer Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand prakti-scher Vernunft bewenden. […] Ungewißheiten jen-seits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen des menschliche Er-kenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und inso-fern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen« (BVerfGE 49, 89 [143]).

Als ›Restrisiko‹ lässt sich also derjenige Teil eines mit einer bestimmten Praxis verbundenen Risikos bezeichnen, der sich durch geeignete und in ihrem Umfang vertretbare Vorsichtsmaßnahmen nicht weiter verringern lässt, ohne die Praxis als Ganze aufzugeben. Gerade der Verweis auf das Ausschöp-fen aller vertretbaren und zur Risikominderung ge-eigneten Vorsichtsmaßnahmen verdeutlicht dabei, dass die Existenz eines Restrisikos nicht in eins zu setzen ist mit der Inkaufnahme eines Restschadens (zum Technikrecht s. Kap. VI.2, zum Vorsorgeprin-zip s. Kap. VI.3).

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212. Risiko

Objektive und subjektive Risiken

In der einschlägigen Literatur wird oft von subjekti-ven und objektiven Risiken gesprochen. Einem ein-flussreichen Vorschlag von Kaplan und Garrick zu-folge beziehen sich objektive Risiken auf die Häufig-keit, d. h. die objektive Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ereignis eintritt. Alle anderen Fälle sind Fälle von subjektivem Risiko (vgl. Kaplan/Garrick 1993). Kaplan und Garrick gehen so weit zu behaupten, dass bei Häufigkeiten eine klare empirische Grund-lage gegeben sei und sie daher wissenschaftlich er-fassbar seien, während dies beim subjektiven Risiko nicht der Fall sei, das deshalb als ein ›weicher Be-griff‹ aufgefasst wird. Auch in der Risikotheorie schlägt sich damit die verbreitete Dichotomie zwi-schen Objektivität auf der einen und weitgehender Subjektivität auf der anderen Seite nieder. Demge-genüber sind jedoch die meisten Ökonomen und Entscheidungstheoretiker der Auffassung, dass je-denfalls im Idealfall einer rational handelnden Per-son relativ strenge Auflagen dahingehend gemacht werden können, welchen Rationalitätsbedingungen die subjektiven Wahrscheinlichkeitsannahmen die-ser Person genügen müssen. Beispielsweise kann es bei sich wechselseitig ausschließenden Umständen nicht sein, dass die Summe der subjektiven Wahr-scheinlichkeiten 100 Prozent überschreitet. Die sub-jektiven Wahrscheinlichkeiten müssen vereinbar sein mit den Grundsätzen des Wahrscheinlichkeits-kalküls, die seit den 1933 veröffentlichten Grundbe-griffen der Wahrscheinlichkeitsrechnung von Andrej N. Kolmogorov in axiomatischer Form vorliegen (vgl. Kolmogorov 1933). Einige gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass zwei Personen, die beide rational sind und beide die gleichen Infor-mationen bezüglich der Abschätzung eines Risikos haben, zur gleichen subjektiven Wahrscheinlich-keitseinschätzung kommen müssten  – andernfalls sei mindestens eine von beiden irrational.

Die auf Wahrscheinlichkeitszuschreibungen be-ruhende Zweiteilung in einen weichen Begriff des subjektiven Risikos auf der einen Seite und einen harten Begriff des über Häufigkeiten definierten ob-jektiven Risikos auf der anderen Seite ist jedoch pro-blematisch. So sind objektive Wahrscheinlichkeiten nicht etwa über die gemessenen Häufigkeiten defi-niert, sondern Häufigkeiten sind lediglich ein Indi-kator dafür, welche objektiven Wahrscheinlichkeiten vorliegen. Auch setzt die Bestimmung relativer Häu-figkeiten voraus, dass von Fall zu Fall der gleiche Er-eignistyp vorliegt. Bei der Bestimmung entsprechen-

der Ereignistypen stößt man jedoch auf die in der Wahrscheinlichkeitstheorie bekannte Referenzklas-sen-Problematik. Letztlich ist also die vermeintlich unmittelbare empirische Beobachtung objektiver Wahrscheinlichkeiten Fiktion.

Es ist daher sinnvoller, zwischen Ungewiss heits-situa tionen, d. h. Situationen, in denen das Wissen um Wahrscheinlichkeiten so marginal ist, dass sub-jektive Wahrscheinlichkeitszuschreibungen an Will-kür grenzen, und Situationen des reinen Risikos, d. h. Situationen, in denen Wahrscheinlichkeitszu-schreibungen als so wohlbegründet gelten, dass sie mit dem Vorliegen objektiver Wahrscheinlichkeiten identifiziert werden, ein Kontinuum anzunehmen. Es gibt in der Tat ein interessantes entscheidungs-theoretisches Modell des Schweden Peter Gärden-fors , das subjektive Wahrscheinlichkeiten als Ab-schätzung von objektiven Wahrscheinlichkeiten bestimmt – wie immer diese objektiven Wahrschein-lichkeiten zustande kommen (vgl. Gärdenfors 1979).

Risikorealität und Risikowahrnehmung

Eng verbunden mit der Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Risiken ist die Frage, in welcher Beziehung Risikorealität und Risikowahr-nehmung zueinander stehen bzw. wie sich das sub-jektive Risikobewusstsein vor dem Hintergrund ei-ner bestimmten Risikorealität äußert. Hier liegt es zunächst nahe anzunehmen, dass in der Befragung eine einfache Methode bereitsteht, um herauszufin-den, wie Personen Risiken einschätzen. Wenn eine Person die Frage, für wie wahrscheinlich sie es hält, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, beantworten und darüber hinaus auch angeben kann, für wie gra-vierend sie den möglichen Schaden hält, so liegt ein vermeintlich klares Maß der subjektiven Risiko-wahrnehmung vor. Empirisch lässt sich jedoch fest-stellen, dass diese Methode der Messung der Risiko-einschätzung im Vergleich mit einer anderen Me-thode der Messung subjektiver Risikowahrnehmung zu deutlich divergierenden Ergebnissen führt. Nach dieser anderen Methode wird nicht berücksichtigt, was Personen hinsichtlich ihrer Risikoeinschätzung sagen, sondern wie sie in bestimmten unsicheren Entscheidungssituationen handeln. In der (zumeist englischsprachigen) entscheidungstheoretischen Li-teratur wird dieses Konzept revealed preference ge-nannt: Eine Person zeigt (to reveal sth.: etw. auf-decken) ihre Präferenzen in ihrem Entscheidungs-verhalten. Wenn dieser Person viele mögliche

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22 II. Grundbegriffe

Alternativen mit unterschiedlichen Wahrscheinlich-keiten der Konsequenzen angeboten werden und sie jeweils eine Entscheidung treffen muss, so können ihr – im Falle kohärenter Präferenzen – eine subjek-tive Wahrscheinlichkeitsfunktion sowie subjektive Bewertungen der Konsequenzen zugeordnet wer-den.

Bei der Anwendung dieses Verfahrens, das aller-dings sehr schwierig umzusetzen und nur in be-stimmten, vereinfachten Situationen durchführbar ist, zeigt sich, dass bezüglich der Wahrscheinlichkei-ten und der Bewertung der Konsequenzen die Ein-schätzung auf Befragung hin und die in Gestalt der vorliegenden Handlungspräferenzen aufgedeckte Einschätzung bisweilen weit auseinanderklaffen. Damit ergibt sich eine doppelte Divergenz: zwischen Risikorealität (soweit diese über relative Häufig-keiten oder durch komplexere probabilistische Me-thoden zu bestimmen ist) und Risikowahrnehmung einerseits sowie zwischen geäußerter Risikoein-schätzung und aufgedeckter Risikowahrnehmung andererseits. Interessanterweise deuten empirische Daten darauf hin, dass zumindest bei längerfristi-gem Umgang mit vertrauten Risiken die aufgedeckte Risikowahrnehmung der Risikorealität besser ent-spricht als die geäußerte Risikoeinschätzung.

Literatur

Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M. 1986.

Bonß, Wolfgang: Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewißheit in der Moderne. Hamburg 1995.

Gärdenfors, Peter: Forecasts, Decisions and Uncertain Prob abilities. In: Erkenntnis 14 (1979), 159–181.

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtomG).

Hájek, Alan: Interpretations of probability. In: Edward N. Zalta (Hg.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford 2012, http://plato.stanford.edu/archives/sum2012/entries/probability-interpret/ (20.04.2013).

Kaplan, Stanley/B. John Garrick: Die quantitative Bestim-mung von Risiko. In: Gerhard Banse (Hg.): Risiko und Gesellschaft. Opladen 1993, 91–124.

Kolmogorov, Andrej N.: Grundbegriffe der Wahrscheinlich-keitsrechnung. Berlin 1933.

Luhmann, Niklas: Soziologie des Risikos. Berlin 1991.Philipp, Fritz: Risiko und Risikopolitik. Stuttgart 1967.Ramsey, Frank P.: Truth and probablity. In: Richard B.

Braithwaite (Hg.): F. P. Ramsey: Foundations of Mathe-matics and other Logical Essays. London 1931, 156–198.

Julian Nida-Rümelin und Johann Schulenburg

3. Sicherheit

Mit ›Sicherheit‹ wird  – beginnend in der Antike  – ein Zustand der Gewissheit, der Zuverlässigkeit und des Unbedrohtseins erfasst. Bezog sich das zunächst vorrangig auf die Verfasstheit von Individuen (im Sinne von animi securitas, d. h. ›Seelenfrieden‹), so wurde Sicherheit bald zu einer politischen Idee und fand sich auch im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich. Seither wird ›Sicherheit‹ ubiquitär verwen-det und – abhängig vom Bezug – vielfältig konno-tiert; sie ist zu einem zentralen Bezugspunkt menschlichen Denkens und Handelns geworden.

Sicherheit – zentraler Bezugspunkt in Gesellschaft, Wissenschaft und Technik

Die Geschichte der Menschheit ließe sich schreiben als Bestreben, Gefahr zu beseitigen bzw. zu minimie-ren und so gleichzeitig Sicherheit zu erhöhen bzw. zu maximieren. Das menschliche Leben – sowohl das der Gattung wie das der Individuen – ist von Anfang an mit Gefahren verbunden. Die Gattung homo wurde bedroht durch eigene Artgenossen (genannt seien Kampf, Krieg, Kriminalität und Ausbeutung), durch die Natur (verwiesen sei auf Dürren, Über-schwemmungen, Hunger und Seuchen) sowie  – in zunehmendem Maße – durch die Technik (etwa Un-fälle, Havarien und Umweltbeeinträchtigungen). Deshalb ist ›Sicherheit‹ ein zentrales Konzept in Ge-sellschaft, Wissenschaft und Technik, das zu unter-schiedlichen Ausprägungen von ›Sicherheitserwar-tung‹ sowie von ›Sicherheitsgewährung‹ bzw. ›-ge-währleistung‹ geführt hat und führt. Dieses Konzept wird von unterschiedlichen Begriffsauffassungen, Kommunikationsstrategien und kulturellen Aspek-ten geprägt. Individuell gewendet, schlägt es sich in einem zunehmenden Sicherheitsbedürfnis nieder; gesellschaftlich spiegelt es sich beispielsweise in ei-ner forcierten Sicherheitspolitik wider. Sowohl die Erwartung an als auch die Herstellung von Sicher-heit in allen Bereichen der Lebenswelt sind all-gegenwärtig. Man denke etwa – um die Vielfalt an-zudeuten – an Versicherungen, Rechtsvorschriften, Warnhinweise, Schutzvorrichtungen, Genehmi-gungsverfahren und Armeen.

Man kann davon ausgehen, dass das Streben nach Sicherheit eine zumindest abendländische Tradition ist, die Sicherheit als menschliches »Urbedürfnis« (vgl. z. B. Bachmann 1991), als »Menschenrecht«

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233. Sicherheit

(vgl. z. B. Robbers 1987, 27 ff.), als »Wertidee hoch-differenzierter Gesellschaften« (vgl. z. B. Kaufmann 1970) versteht. Damit ist als Konsequenz verbunden, zivilisatorische Risiken und Unsicherheiten (ver-standen als Unwägbarkeit und Unkalkulierbarkeit zukünftigen Geschehens) weitgehend zu vermeiden, auszuschalten bzw. ganz oder teilweise auszuglei-chen, indem sie auf ›große Solidargemeinschaften‹ oder ›breite Schultern‹ verteilt werden. Auf diese Weise werden zwar nicht die lebensweltlichen Unsi-cherheiten beseitigt, es wird aber Vorsorge getroffen, dass bei Eintritt eines Schadensereignisses der (oft-mals nur finanzielle) Schaden selbst begrenz- und ertragbar bleibt. Diese »Versicherungs-Gesellschaft« (vgl. Ewald 1989, 1993) ist dadurch charakterisiert, dass man sich im Verlustfall oder gegenüber den Folgen unvorhergesehener Ereignisse gegenseitig stützt. Sicherheit ist jedoch keine feststehende Größe, und vollständige (›hundertprozentige‹) Si-cherheit ist nicht erreichbar. Insofern kann sich ›Si-cherheit‹ rasch als »destruktives Ideal« (Strasser 1986) erweisen, zumal, wenn das vorhandene Si-cherheitsniveau nicht ausreichend reflektiert und mögliche Gefahren unzureichend berücksichtigt werden.

Durch ihre Ubiquität ist Sicherheit ein zentraler Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Sicher-heit ist ein Versprechen, und gerade moderne, hoch-technisierte Gesellschaften versuchen zunehmend, dieses auch über Technik einzulösen. Allerdings ist ›Sicherheit‹ ein schillernder Begriff mit verschiede-nen Bedeutungen (vgl. Kaufmann 1973, 67 ff.; er-gänzt um [d]):(a) ›Sicherheit‹ als Geborgenheit(b) ›Sicherheit‹ als Selbstsicherheit(c) ›Sicherheit‹ als Systemsicherheit (das heißt

her stellbare, berechenbare Mittel für beliebige Zwecke)

(d) die Verlässlichkeit von Mensch-Maschine-Inter-aktionen

Wenn das Folgende – eingeschränkt – von Technik-sicherheit handelt, dann ist das ein Bereich, der vor allem (c) und (d) zuzuordnen ist.

Techniksicherheit

Die Sicherheit technischer Handlungsvollzüge und technischer Hervorbringungen als weitgehender Ausschluss von oder bewusster Umgang mit (mögli-chen) Gefährdungen für ›Schutzgüter‹ nimmt in den

handlungsleitenden Wertvorstellungen technischer Welterzeugung einen herausragenden Platz ein. Technisches Wissen und technisches Handeln zielen auf funktionierende Technik, haltbare Bauwerke (s. Kap. V.6), geistvolle Vorrichtungen und effektive Verfahren. Funktionsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit technischer Sachsysteme sowie ein ge-fährdungsfreier Umgang mit ihnen waren und sind für technisches Handeln wichtige Zielvorstellungen. Eine der ältesten ›Unfallverhütungsvorschriften‹ ist wohl folgender Gedanke im 5. Buch Moses (22/8): »Wenn Du ein neues Haus baust, so mache eine Lehne darum auf deinem Dache, auf daß Du nicht Blut auf dein Haus ladest, wenn jemand herabfiele.«

Die Geschichte der Technik kennt aber genügend Beispiele versagender Technik, einstürzender Bau-werke, nichtfunktionierender Vorrichtungen und uneffektiver Verfahren, kurz, Versagens- und Stör-fälle, Pannen und Havarien unterschiedlichster Di-mension und Auswirkungen. Tschernobyl, Bhopal, Seveso und Fukushima stehen dafür als Beispiele der Gegenwart mit katastrophalen Folgen. Sicherheit und Beherrschbarkeit sowie Wissen über Schadens-erwartungen und Folgewirkungen werden auf viel-fältige Weise angestrebt, denn bei technisch beding-ten Unfällen »wird vor allem der Verlust von Kon-trolle über solche Zusammenhänge erfahren, deren Beherrschung man angenommen hatte« (Vester 1988, 746). Bisher nicht bekannte oder bislang unbe-rücksichtigt gebliebene Eigenschaften und Verhal-tensweisen von Systemen und ihren Elementen, Randbedingungen für Funktionsfähigkeit und Be-triebssicherheit, ungeprüfte oder unüberprüfbare Annahmen hinsichtlich Funktionszusammenhän-gen oder Belastungsfähigkeiten (etwa in extremen Situationen) sowie Inkompatibilitäten im Mensch-Maschine-System werden im Unfall schlagartig ak-tualisiert. Da Technik so immer Unsicherheit in sich birgt, wird durch unterschiedliche Wissenschafts-disziplinen und mit verschiedenen Methoden Ursa-chen, Wirkungen und Wahrscheinlichkeiten von Havarien und Schadensfällen sowie ihren Verläufen ebenso nachgegangen wie Möglichkeiten ihrer Ver-hinderung bzw. Limitierung.

Im Zusammenhang mit der Verbesserung der Si-cherheit technischer Systeme entwickelte sich im Be-reich des technischen Wissens ab Mitte des 19. Jahr-hunderts eine entsprechende Forschung – vor allem vor dem Hintergrund gravierender Havarien und technischer Katastrophen, die als man-made-Ge-fährdungen erkannt wurden. Sie hatte (und hat) zur Aufgabe, Gefährdungen ermöglichende Quellen zu

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24 II. Grundbegriffe

identifizieren und Maßnahmen zur Minderung oder  – besser  – Beseitigung zu entwickeln und zu verwirklichen. Die Schlagwetterexplosionen im Bergbau und die großen Eisenbahnunglücke kon-frontierten die Öffentlichkeit des 19.  Jahrhunderts erstmalig mit dem Phänomen des technischen Mas-senunfalls. Die eigentliche ›Schule‹ der Sicherheits-technik im 19.  Jahrhundert waren jedoch Bau und Betrieb von Dampfkesseln bzw. deren häufige und folgenschwere Explosionen. Nach Frankreich erfolgt in Preußen 1831 eine Dampfkesselgesetzgebung, die, dem französischen Vorbild folgend, im Kern be-reits das gesamte Instrumentarium einer sicherheits-technischen Spezialgesetzgebung umfasste (Sonnen-berg 1985, 9). Zu den Dampfkesseln kamen alsbald Hochöfen, Chemie-Fabriken, Energieerzeugungsan-lagen, Fahrzeuge und Aufzüge hinzu. Technische Überwachungsvereine (zur Entstehung des TÜV s.  Kap. III.2), Materialprüfanstalten, verbindliche Normen und Standards waren die Folge. Insgesamt zielten diese Aktivitäten sowohl darauf, »durch die Bestimmung von Eigenschaften und des menschli-chen Handelns die von den Gegenständen ausge-henden Gefahren und ihre Realisierung in Schäden zu verhindern« (Lukes 1982, 11), als auch ein Regel-system im Umgang mit industriell erzeugten Unsi-cherheiten und Gefährdungen zu etablieren.

Im Zusammenhang mit Technik signalisiert Si-cherheit die Abwesenheit von Gefahr für Leib und Leben. Wenn Gefahr eine Lage bedeutet, »in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrschein-lichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der […] Sicherheit […] führen würde« (Drews et al. 1986, 220), dann sind damit zwei wichtige Bestim-mungsstücke für Sicherheit sichtbar gemacht: Ers-tens bezieht sich Sicherheit auf etwas Zukünftiges, auf einen Zusammenhang zwischen einer gegenwär-tigen Lage und dem Ausschluss eines zukünftigen Schadensereignisses. Zweitens erfasst Sicherheit den Ausschluss eines zukünftig nur möglichen Ereig-nisse, dessen Eintritt weder gewiss noch unmöglich ist. Sicherheit zielt auf den Schutz vor Gefahren, die zukünftig auf- bzw. eintreten können, jedoch nicht zwangsläufig müssen. Ziel bleibt die Erhöhung von Sicherheit, mithin die Überwindung von Unsicher-heit und Risiko. Das kann sowohl bedeuten, dass Gefahren tatsächlich abgeschafft bzw. reduziert wer-den, als auch, dass sich veränderte Sicherheitsüber-zeugungen oder gar -fiktionen im Sinne der »Umde-finition und Verlagerung von Ungewissheit« (Bonß 1997, 23) herausbilden.

Das ›Herstellen‹ von Sicherheit ist in diesem Ver-ständnis Überwindung nicht-handhabbarer Zusam-menhänge (zum Beispiel in Form von Kontingenz und Ambiguität), deren Überführung in handhab-bare, strukturierte, ›systemische‹ Formen, womit  – um Wolfgang Bonß zu zitieren – »aus einem Univer-sum denkbarer Möglichkeiten bestimmte Möglich-keiten als handlungsrelevant ausgewählt, andere hingegen als irrelevant ausgeblendet werden« (Bonß 1997, 24). Solche Aktivitäten wie das Aufweisen ei-nes möglichen Ereignis- oder zukünftigen Zustands-spektrums, das Ermitteln von Eintrittshäufigkeiten, das Ableiten von Erwartungswerten, das Abwägen von Aufwand und Nutzen oder die Kalkulation von ›Gewinnen‹ und ›Verlusten‹ (nicht allein im mone-tären Sinne) dienen der zielgerichteten Einfluss-nahme und produktiven Handhabung (›Beherr-schung‹) von Unbestimmtheit. ›Mehrdeutigkeit‹ wird auf diese Weise nicht in erster Linie in ›Eindeu-tigkeit‹ überführt, ›Zufälligkeit‹ nicht auf ›Notwen-digkeit‹ zurückgeführt  – obwohl das nicht ausge-schlossen ist –, sondern als ›eindeutig‹ und ›wohlbe-stimmt‹ gefasst und behandelt. Auf diese Weise wird vor allem ein methodischer Gewinn erzielt, erlaubt doch diese ›Idealisierung‹ und ›Reduzierung‹ (die allerdings immer auch eine ›Ausblendung‹  – mög-licherweise relevanter Zusammenhänge o. Ä. – ist!) die Anwendung spezifischer Methoden und ermög-licht (erst) einen rationalen Zugriff auf Situationen unvollständiger Information (s. Kap. IV.C.7).

In diesem Kontext ist letztlich darauf zu verwei-sen, dass die ›Herstellung‹ von Sicherheit in sich am-bivalent ist: Auf der einen Seite wird die Bandbreite und Variationsvielfalt des zukünftig Möglichen ein-geschränkt (was einer faktischen Beschränkung von Freiheitsgraden und Wahlmöglichkeiten bedeutet); andererseits ist gerade die Schaffung und Gewähr-leistung dieser Sicherheit entscheidende Grundlage für die Stabilisierung von Verhalten und die Herstel-lung von Planungsmöglichkeit (zu Sicherheits- und Überwachungstechnik s. Kap. V.22). Das Beispiel ›Videoüberwachung‹ macht diese Ambivalenz deut-lich: Einerseits kann die Sicherheit gesteigert wer-den, wenn bestimmte (öffentliche wie private) Stel-len oder Einrichtungen videoüberwacht sind (›Ab-schreckung‹, Erhöhung der Aufklärungsrate von Straftaten sowie Verbesserung der ›gefühlten‹ Si-cherheit), andererseits bestehen die Möglichkeiten der Einschränkung oder der Verletzung der Privat-sphäre, der Erzeugung von Angst (vor dem ›Über-wachungsstaat‹) und der Verhaltensanpassung (weil man sich ›beobachtet‹ fühlt).

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253. Sicherheit

Technisches Handelnund (Un-)Sicherheit

Technisches Handeln umfasst die Mensch-Technik-Beziehungen vom Entwurf neuer Technik über ihre funktionsgerechte Herstellung bis zur sachgemäßen Bedienung und Handhabung. Dabei sind sowohl ko-gnitive als auch normative Probleme zu berücksich-tigen. Kognitive Probleme ergeben sich daraus, dass aus ex post-Analysen nicht direkt auf Zukünftiges geschlossen werden kann, dass die Erfassung mögli-cher Folgen und die Entscheidung über mögliche Handlungsstrategien stets unter Unsicherheit (d. h. infolge subjektiv begründeten Nichtwissens) und/oder unter Ungewissheit (d. h. infolge objektiv vor-handenen Nichtwissens) erfolgt, so dass die sachli-chen Voraussetzungen und die praktischen Folgen einer technikbezogenen Handlung oder Entschei-dung nicht umfassend bestimmbar sind. Daraus er-gibt sich, dass infolge nicht-eleminierbarer Unbe-stimmtheiten immer nichtvorhergesehene, mit dem gegenwärtigen Wissens- und Nichtwissensstand nicht vorauszubedenkende Ereignisse oder Verhal-tensweisen technischer Objekte auf- bzw. eintreten können. Da auch der Grad dieser Unbestimmtheit oftmals nicht genau abschätzbar ist, wird bereits beim technischen Entwurf mit einem (zumeist em-pirisch durch technisches Handeln ermittelten) ›Si-cherheitszuschlag‹ gearbeitet. Er ist notwendig, um das technische System »gegen ganz unvorhergese-hene Belastungen sowie gegen die Einflüsse der Un-genauigkeiten der für eine statische Berechnung nö-tigen vereinfachenden Annahmen« sicher zu ma-chen (Liebmann et al. 1920, 332). Analoges gilt auch für die Sicherheitsfaktoren oder Sicherheitsbeiwerte der Werkstofffestigkeit bzw. des Werkstoffverhaltens sowie für die Sicherheitsaufschläge bei Grenzwert-bildungen für die Belastung mit Gefahrstoffen.

Eingeschlossen darin ist die Ebene des techni-schen Handelns, sind die Mensch-Technik-Bezie-hungen, die den Entwurf neuer Technik, ihre funkti-onsgerechte Herstellung sowie die sachgemäße Be-dienung und Handhabung umfassen. Hierbei geht es vor allem um die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen als Produzent (von der geistigen Antizi-pation bis zur technologischen Realisierung) und als Konsument bzw. Nutzer technisch-technologischer Systeme. Die damit verbundenen vielfältigen per-sonen- und systembezogenen Gefährdungen und Risikosituationen reichen von subjektiven Wahr-nehmungs- und manuellen Handhabungsfehlern über das Nichtbeachten von Vorschriften und Rege-

lungen sowie die Neigung von Individuen, auf stereotype Deutungsmuster, bekannte Lösungen und eingeübte Vorgehensweisen zurückzugreifen, bis zu  verschiedenen individuellen und sozialen Blockierungen, z. B. in Form von mangelnder Selbst-kon trolle, physischer oder psychischer Überbean-spruchung, Prestige-, Macht-, ökonomische Verwer-tungs- u. a. Interessen, Delegierung von Entschei-dungen an Außenstehende oder Inkompetente.

Normative Problemsituationen und damit Her-ausforderungen an Technikethik resultieren in erster Linie aus dem Umstand, dass gegenwärtige wie vor allem zukünftige Technik auf menschliche Zielset-zungen, Entscheidungen und Handlungen zurück-gehen, in denen bewusst oder unbewusst Werte und Wertvorstellungen, Hoffnungen, Erwartungen, An-forderungen, ›Randbedingungen‹ u. Ä. zum Aus-druck kommen. Da in vielen Phasen der Technikge-nese und ihrer (sozio-)kulturellen, (sozio-)ökono-mischen und (sozio-)politischen Einbettung zumeist mehrere Varianten und unterschiedliche Realisie-rungswege sowie unterschiedliche Vorstellungen über Zukünftiges nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich (und real!) sind (zu Technik als soziale Konstruktion s. Kap. IV.A.10), müssen stän-dig Entscheidungen mit Blick auf das weiterhin Rea-lisierbare bzw. zu Realisierende gefällt werden. Da-bei werden die häufig differierenden Sichtweisen, Interessen und Wertvorstellungen der Akteure der Technikentwicklung, der Betreiber und Nutzer so-wie weiterer (direkt und indirekt) Betroffener rele-vant, die die Gegenläufigkeit verschiedener Anfor-derungen und damit die Notwendigkeit deutlich machen, mögliche Alternativen, unterschiedliche Entwicklungspfade und differierende Wertvorstel-lungen frühzeitig zu bedenken. Das schließt u. a. ein, ethische Probleme der Güterabwägung zu lösen (vor allem Maßstäbe, Kriterien und Zeithorizonte).

Bei der Wahl einer ›angemessenen‹ Handlungsal-ternative ist zu berücksichtigen, dass sich oftmals unterschiedliche Ziele für und/oder Anforderungen an Sicherheitslösungen entgegenstehen können (›Zielkonflikte‹). Ein höheres Sicherheitsniveau kann sich etwa negativ auf die Wirtschaftlichkeit (Kosten), die Bedienerfreundlichkeit oder die Ak-zeptabilität der entsprechenden Lösung auswirken. Beispielsweise ist eine Tür mit mehreren unter-schiedlichen Schlössern und dazugehörenden Schlüsseln umständlicher zu öffnen als wenn sie nur mit einem Schloss gesichert ist, und eine sechs- oder achtstellige PIN bringt zwar einen Sicherheitsge-winn, lässt sich wohl aber schwerer als die jetzige