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1 Ludwig-Maximilians-Universität München SoSe 2010 Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft 17.05.2010 Übung: Nachkriegs(un)ordnungen: Theorie und Fallbeispiele Dozent: Sebastian Huhnholz, M.A. Referentinnen: Christin Hock, Katharina Niedermeier Erinnern, Verdrängen, Vergessen 1. Christian Meier: Erinnern-Verdrängen-Vergessen Der Begriff der Erinnerung Erinnerung …beugt der Wiederholung des Bösen vor …aus dem Herzen „reißen“, weil man (ansonsten wächst die Gefahr der befürchtet, dass sie das Böse neuerdings Wiederholung) erzeuge - In der Geschichte existiert seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. überwiegend das „Nicht- Erinnern“ (=Amnestie 1 ), wie beispielsweise bei den Athenern Beschränkung jedoch nicht nur auf Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt verbreitet (in Asien; Nordamerika- „Begraben des Kriegsbeils“ bei den India- nern) - Einer der wenigen Gegenbeispiele findet sich in der Geschichte der Juden: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlös ung heißt Erinnerung.(Meier, 1997) Der Begriff des Verdrängen s - Verdrängen wird nur dann notwendig, wenn die Erinnerung mit etwas Schlimmen assoziiert wird Erinnerung an Schlimmes erzeugt leicht den Drang nach Rache Beispiel Griechen: Eine Aufführung eines Theaterstückes erinnert an negative Erfah- rungen; Folge: Verbot der Aufführung und Geldstrafe, um die Öffentlichkeit von starken emotionalen Erschütterungen fernzuhalten durch Verdrängen sollen Konflikte abgewendet werden 1 Amnestie: „Nicht-Erinnern“; vollständig oder zu Teilen erfolgter Straferlass

Handout Hock Niedermeier ErinnernVerdraengenVergessen

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Ludwig-Maximilians-Universität München SoSe 2010 Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft 17.05.2010 Übung: Nachkriegs(un)ordnungen: Theorie und Fallbeispiele Dozent: Sebastian Huhnholz, M.A. Referentinnen: Christin Hock, Katharina Niedermeier

Erinnern, Verdrängen, Vergessen

1. Christian Meier: Erinnern-Verdrängen-Vergessen

Der Begriff der Erinnerung

Erinnerung

…beugt der Wiederholung des Bösen vor …aus dem Herzen „reißen“, weil man (ansonsten wächst die Gefahr der befürchtet, dass sie das Böse neuerdings Wiederholung) erzeuge

- In der Geschichte existiert seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. überwiegend das „Nicht-Erinnern“ (=Amnestie1), wie beispielsweise bei den Athenern Beschränkung jedoch nicht nur auf Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt verbreitet (in Asien; Nordamerika- „Begraben des Kriegsbeils“ bei den India-nern)

- Einer der wenigen Gegenbeispiele findet sich in der Geschichte der Juden: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ (Meier, 1997)

Der Begriff des Verdrängen s

- Verdrängen wird nur dann notwendig, wenn die Erinnerung mit etwas Schlimmen assoziiert wird Erinnerung an Schlimmes erzeugt leicht den Drang nach Rache Beispiel Griechen: Eine Aufführung eines Theaterstückes erinnert an negative Erfah-rungen; Folge: Verbot der Aufführung und Geldstrafe, um die Öffentlichkeit von starken emotionalen Erschütterungen fernzuhalten durch Verdrängen sollen Konflikte abgewendet werden

1 Amnestie: „Nicht-Erinnern“; vollständig oder zu Teilen erfolgter Straferlass

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Der Begriff des Vergessens

- In der Geschichte wurde sehr häufig nach Revolutionen, Bürgerkriegen und Kriegen festgelegt, das Geschehene zu vergessen, um den Versuch zu unternehmen einen Schlusspunkt zu setzen Verzicht auf die Ahndung von Unrecht des Frieden Willens

- Wenn jedoch überhaupt von einer „Politik des Vergessens“ gesprochen werden kann, dann nur in volksherrschaftlichen Staatsformen

2. Aleida Assmann – Fünf Strategien der Verdrängung

Aufrechnen – Externalisieren – Ausblenden – Schweigen – Umfälschen

2.1 Aufrechnen

- Strategie der Schuldabwehr und Schuldabfuhr Täter flüchtet sich in eine Opfererinnerung

- die eine Schuld wird durch die andere aufgewogen und damit gleichsam annulliert

- Beispiel: Konsequente Selbstinszenierung als Opfer in der NS-Zeit

2.2 Externalisieren

- Def.: Ein Vorgang, in dem man Schuld von sich abspaltet und anderen zurechnet - Selbstschutzmechanismus: Wunsch nach Sicherheitsabstand vom Ereignis die europäischen Nachbarn verweisen auf die Deutschen, und die Deutschen

verweisen auf Hitler

- Unterscheidung zwischen offensiver und defensiver Form: Offensiv: Strategie des Sündenbocks

Defensiv: Apologetische Strategie

- Auf die Externalisierung folgt der Versuch der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen (Internalisierung)

2.3 Ausblenden

- Menschen verbannen Kritik, Empörung, Trauer und Abscheu aus ihrer Wahrneh-

mung und ihrem Bewusstsein

- Was nicht wahrgenommen wird, kann nicht zum Gegenstand der Erinnerung werden Speicherungsfehler

2.4 Schweigen

- Art einer Versicherung, deren sich Menschen bedienen, um die bestehende Ord-

nung zu schützen und aufrechtzuerhalten, auch auf Kosten der Wahrheit

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- Zwei Arten des Schweigens:

1. Schweigen der Opfer: Ausdruck fortgesetzter Ohnmacht 2. Schweigen der Täter: Ausdruck fortgesetzter Macht

2.5 Umfälschen

- Kategorien kognitiver Geschichte und emotionalem Gedächtnis stoßen hier zusam-

men

- Umfälschen zum Passenden bei Vermittlung der Geschichte (Bsp. Familienkommu-

nikation)

Asymmetrien im deutschen Gedächtnis

- Die fünf Strategien der Verdrängung betreffen das individuelle und soziale Gedächtnis, weniger die offizielle Ebene politischer Verlautbarungen

- Asymmetrie:

Starke Tendenz zu persönlichen Entlastungsstrategien

fraglose politische Verantwortung auf nationaler Ebene

3. Diskussionsfragen

1. Nach Koselleck existieren drei verschiedene Arten der Geschichtsschreibung. Wie

lassen sich diese Strategien mit dem Muster Erinnern-Verdrängen-Vergessen nach Meier in Bezug miteinander setzen?

2. Wie lassen sich die fünf Strategien der Verdrängung nach Assmann in Verknüpfung zu den verschieden „Zuständen“ nach Niederlagen von Schivelbusch in Verbindung bringen?

3. Nach 1945 entstand eine völlig neue Situation. Ist Ausschwitz in der Geschichte von Erinnern-Verdrängen-Vergessen eine Ausnahme? Oder gibt es einen „Fortschritt“, der die alte Regel des Vergessens/ „Nicht-Erinnerns“ durch das Erinnern ersetzt?

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4. Literaturverzeichnis:

Aleida, Assmann 2007: Fünf Strategien des Verdrängens, in: dies: Der lange Schatten der Vergan-genheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn: BpB: S.169-182.

Christian Meier 1997: Erinnern-Vergessen-Verdrängen. Zum öffentlichen Umgang mit schlimmen Vergangenheiten in Geschichte und Gegenwart, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen-schaften (Hg.): Berichte und Abhandlungen, Bd. 3, Berlin: Akademie.

Reinhart Koselleck 1988. Erfahrungswandel und Methodenwechsel, in: ders. 2000: Zeitschriften, Studien zur Historik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 27-77

Sebastian Huhnholz, Karsten Fischer 2010: Amnesie und Antizipation. Ein politiktheoretischer Ver-such zum Problem von Nachkriegsordnungen, in: Behemoth. A Journals of Civilisation 1/2010; Themenheft „Nachkriegsordnungen“, hg. Von Gary S. Schaal und Charlotte Schubert.

Wolfgang Schibelbusch 2003: Einleitung: Verlieren, in: ders.: Die Kultur der Niederlage, Frankfurt am Main: Fischer, S. 9-50