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Biomaterialien – intelligentes Design in der Natur SS 2009Priv.Doz.Mag.Dr.rer.nat. Helga Lichtenegger 308.119
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1 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Biomaterialien – intelligentes Design in der Natur
SS 2009
Priv.Doz.Mag.Dr.rer.nat. Helga Lichtenegger308.119
Biokompatible WerkstoffeWS 2008/2009
Termine: Montag 9 – 12 Uhr Theresianumgasse 27 (Institut für Managementwissenschaften), HS 1:27.10. # 17.11. # 24.11. # 1.12. # 15.12.Karlsplatz 13, HS 11 (Paul Ludwik): 12.01.09 # 19.01.09 # 26.01.09
Biokompatible Werkstoffe - Überblick (I)
1. Einleitende Betrachtungen2. Biokompatibilität und Biofunktionalität
- Grundlagen und Definitionen- Sterilisation
3. Das biologische System- Zelle- Gewebe- Immunsystem
4. Reaktionen des menschlichen Körpers auf Werkstoffe und Bauteile
5. Bestimmung der Biokompatibilität mittels in vitro und in vivo Methoden
2 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Biokompatible Werkstoffe - Überblick (II)6. Biokompatible Werkstoffe
1. Medizintechnik und Verpackungensbereich2. Anisotrope biokompatible Faserverbundwerkstoffe
(Osteosyntheseplatten, Schrauben)3. Implantate für den Bewegungsapparat
• Hüftgelenk-Endoprothese• Knieendoprothese• Problematik des polymeren Gleitflächenersatzes• Rückenimplantat• Knochenzement• Prüfverfahren
4. Degradables Osteosynthesesystem für die Gesichtschirurgie5. Schädelimplantate6. Natürliche Polymere7. Wundverbände und Nahtmaterialien8. Gefäßimplantate9. Kontrollierte therapeutische Systeme10. Werkstoffanwendungen in der Zahnmedizin
Polyethylen – Ein biokompatibler Werkstoff?
• Einleitung– Biokompatibilität– Motivation– Polyethylen
• Molmasse• Herstellung• Sterilisation• Alterung (Lagerung)• Deformation und Schädigung• Schlussfolgerung
Biokompatibilität
• Verträglichkeit zwischen einem technischen und einem biologischen System
• Sie gliedert sich in die Strukturkompatibilität– Anpassung der Implantatstruktur an das mechanische Verhalten
des Empfängergewebes– beinhaltet Formgebung (Design) und die “innere Struktur” (z.B.
die Ausrichtung von Fasern in anisotropen Werkstoffen)– Ziel: Struktur-Mimikry
und die Oberflächenkompatibilität– Anpassung der chemischen, physikalischen, biologischen und
morphologischen Oberflächeneigenschaften des Implantates an das Empfängergewebe mit dem Ziel einer klinisch erwünschten Wechselwirkung
3 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Implantat-Gewebe-Interaktionen
Implantateigenschaft Gewebereaktion
inkompatibel Gewebenekrose
kompatibel Gewebe bildet eine nicht-adhärente Bindegewebskapsel um das Implantat
bioaktiv Gewebe bildet eine Bindung mit dem Implantat aus
degradabel Gewebe ersetzt Implantat
Gelenkersatz
Prognose
THA ... Total Hip ArthoplastyTKA ... Total Knee Arthoplasty
Quelle: AAOS (American Academie of Orthopedic Surgeons)
800
700
600
500
400
300
200
100
01995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035
Year
Thou
sand
s of
Prim
ary
Proc
edur
es (
U.S
.)
AAOS Projections (2002)THATKATHA + THR
4 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Schädigung und Implantatdesign
Ursachen• Maximale Spannungen• Constraint, insbesondere beeinflusst vom Design• Bindungsfehler im PE-UHMW• OxidationsgradWirkung• Pitting• Eingebettete Fremdkörper• Kratzer• Delamination• Oberflächendeformation, Abrasions- und
Adhäsionsverschleiß
Schädigung und Implantatdesign
• Pitting– Oberflächendefekte mit einem Durchmesser von 2 – 3 mm und einer
Tiefe von 1 – 2 mm– Form des Ermüdungsverschleißes und mit der Freisetzung von
Verschleißpartikeln verbunden; kritische Partikelgröße• Eingebettete Fremdköper
– PMMA, Knochensplitter, Metallteilchen– Dreikörperverschleiß, erhöhte Verschleißraten
• Kratzer– Abrasionsverschleiß, hervorgerufen durch Fremdkörper oder
Oberflächenrauigkeiten• Delamination
– Ermüdungsverschleiß– In Verbindung mit Oxidation infolge Versprödung katastrophales
Versagen
Quelle: Kurtz: The UHMWPE Handbook. Elsevier 2004
Schädigung und Implantatdesign
5 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Schädigung und Implantatdesign
• Röntgenaufnahme (stehend) zeigt die Veränderung im Abstand auf der Innenseite
• Die PE-UHMW Komponente ist auf der Innenseite vollkommen verschlissen
• Der tibiale Teil ist vom femuralen „poliert“ worden, was zu einer Metallose des umgebenden Gewebes führte
Quelle: Kurtz: The UHMWPE Handbook. Elsevier 2004
Schädigung und Implantatdesign
• Hauptursachen für das Versagen der Stütze– Ermüdung– Bruch– Adhäsionsverschleiß
Quelle: Kurtz: The UHMWPE Handbook. Elsevier 2004
Verschleißverhalten während der Implantatlebensdauer
1.6
1.4
1.2
1.0
0.8
0.6
0.4
0.2
00 2 4 6 8 10
Implantation Time (y)
Wea
r (m
m)
Charnley and Halley(1975)
1.6
1.4
1.2
1.0
0.8
0.6
0.4
0.2
0
Wea
r Ra
te (
mm
y)
-1
Wear
Wear Rate
6 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Volumetrische Verschleißrate
PE-HD PE-UHMW0
100
200
300
400
500W
ear
Rate
(
mm
3 /106 c
ycle
s)
Quelle: Eddin et al: J. Arthroplasty 15 (2000) 321
Struktur – Verarbeitung – Eigenschaften in teilkristallinen Polymeren
Chemische Struktur
Konstitution (chemischer Aufbau, Art der Monomere)Mittlere Molmasse und MolmassenverteilungKonfiguration (räumliche Anordnung der Substituenten)VerzweigungsgradKonformation
Verarbeitung
MischenOrientierungenThermische VorgeschichteNukleierung/AdditiveAbbau/Vernetzung
Physikalische Struktur – nano
kristalline PhaseKristallstrukturGitterparameterForm und Dimension der LamellenLangperiodeRel. Anteil und Struktur der GrenzschichtenKristallisationsgrad
Physikalische Struktur – mikro und makro
OrientierungenEigenspannungenSphärolithgrößenverteilungenMorphologiegradienten
amorphe PhaseZahl, Art, Orientierung der tie-molekülePhysikalische Vernetzung (Verschlaufungen, Verhakungen)
Physikalische und Chemische Eigenschaften
Prüfbedingungen
TemperaturGeschwindigkeit Medium
Lamellenstruktur eines teilkristallinen Polymeren
LP LangperiodeLc LamellendickeLa Dicke der amorphen BereicheLT Mindestlänge zur Bildung eines Tie-Moleküls
7 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Charakteristische Kennwerte vonPE-HD und PE-UHMW
Eigenschaft PE-HD PE-UHMWMW (g mol-1) 0.05 – 0.25 × 106 2 – 6 × 106
Tm (°C) 130 – 137 125 – 138
ν 0.4 0.46
ρ (g cm-3) 0.952 – 0.965 0.932 – 0.945
E (N mm-2) 400 – 4000 800 – 1600
σy (N mm-2) 26 – 33 21 – 28
σB (N mm-2) 22 – 31 39 – 48
εB (%) 10 – 1200 350 – 525aiU, B = 3.175 (J m-1) 21 – 214 > 1070 (kein Bruch)
Kr (%) 60 – 80 39 – 75
HDPE (120,000 g/mol)2-4 million g/mol4-6 million g/mol
250
200
150
100
50
00 0.5 1 1.5 2 2.5
True Strain
True
Str
ess
(MPa
)
Einfluss der Molmasse auf das wahreσ – ε Verhalten
RT, 30 mm min-1
Quelle: Kurtz: The UHMWPE Handbook. Elsevier 2004
Prüfkörperpräparation und Small Punch Test
• Durchmesser 6.4 mm, Dicke 0.5 mm• Prüfkörper werden auf ein rundes Widerlager gesetzt und mittels
Gegenstück fixiert• Die geschlossene Form wird in die Materialprüfmaschine eingebaut und
die Belastung erfolgt über den Dorn mit 0.5 mm min-1
• Messgröße: Kraft-Verschiebungs-Diagramm
8 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Einfluss der Molmasse auf das Werkstoffverhalten im Small Punch Test
RT, 0.5 mm min-1
120,000 g mol-1
90
80
70
60
50
40
30
20
10
00 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0 6.0 7.0
Displacement (mm)
Load
(N
)
4-6 million g mol-1
2-4 million g mol-1
500,000 g mol-1
Quelle: Edidin et al: Transactions of the 46th Orthopedic Research Society 25 (2000)
Molmasse und Risswachstumsgeschwindigkeit
3.2 9.5 15.8 22.1 28.4 34.7
1.7 10-6
1.7 10-7
1.7 10-8
1.7 10-9
1.7 10-10
1.7 10-11
10-3
10-5
10-7
10-9
2.5 5.1 7.7 10.3K (MPamm )I
1/2
da/d
t (m
s)
-1
K = 1.3 Iscc MPamm1/2
K = 2.4 Iscc MPamm1/2
MM
w1
w2
K = 4.7 Iscc MPamm1/2
K = 7.0 Iscc MPamm1/2
K (MPamm )I1/2
MM
w3
w4da/d
t (m
s)
-1
ba
MW1 > MW2, Methanol,T = 22 °C
MW3 > MW4, 5%ige Dispergatorlösung,T = 25 °C
Herstellungsverfahren unter Reinraumbedingungen
• Pressen zu– Halbzeugen (Platten 1 × 2 m2 bis 2 × 4 m2,
Dicke 30 mm – 80 mm, Presszeit ≈ 24 h)oder
– Endprodukten• Ram Extrusion
– Durchmesser 20 mm bis 80 mm;langsame Abkühlung
• Heißisostatisches Pressen– Schutzgas (Ar)– Hohe Isotropie
Hydraulic Ram
FrameElectric
Heating Mantle
Hopper intoExtruder
Support Rack
ExtrudedRod ofUHMWPE
UHMWPEPowderSupplyRamp/Chute
9 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Herstellungsverfahren und Eigenschaft
Werkstoff ρ (g cm3) σy (N mm-2) σB (N mm-2) εB (%)
GUR 1020extrudiert 0.935 ± 0.001 22.3 ± 0.5 53.7 ± 4.4 452 ± 19
GUR 1020gepresst 0.935 ± 0.001 21.9 ± 0.7 51.1 ± 7.7 440 ± 32
GUR 1050extrudiert 0.931 ± 0.001 21.5 ± 0.5 50.7 ± 4.2 395 ± 23
GUR 1050gepresst 0.930 ± 0.002 21.0 ± 0.7 46.8 ± 6.4 373 ± 29
Quelle: Kurtz: The UHMWPE Handbook. Elsevier 2004
Sterilisationsverfahren
• γ-Sterilisation– bis 1998 an Luft, seit dem in Inertgasatmosphäre oder
Atmosphäre mit reduziertem Sauerstoffgehalt– Dosis 25 – 40 kGy
• Gassterilisation (Ethylenoxid)– Hoch toxisch, was besonders sorgsamen Umgang und Einhaltung
strenger Richtlinien erforderlich macht• EtO diffundiert in Oberflächenbereiche, d.h. ausreichende
Lagerzeiten nach der Sterilisation erforderlich– Vorteil: es sind bisher keine substanziellen Einflüsse auf die
physikalischen, chemischen und mechanischen Eigenschaften von PE-UHMW bekannt
• Gas Plasma Sterilisation– Niedertemperatur Peressigsäure Gasplasma (3-4 h)– Wasserstoffperoxid Gasplasma (75 min)
Vernetzung und Degradation
a ... Primärradikalbildung (1)b ... Sekundärradikalbildung (3)Rekombination (2,4) ist wahrscheinlich für die MakroradikaleH• kann in amorpher und kristalliner Phase diffundieren und inter- oder intramolekular H-Atome extrahieren
in kristalliner und amorpher Phase
ΔH = -288 kJ mol-1
ΔH = -30 kJ mol-1
10 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Vernetzung und Degradation
PE enthält in der amorphen Phase in geringen Konzentrationen Doppelbindungen, tertiäre C-Atome und MethylgruppenStrahlungsinduzierte Makroradikale reagieren mit endständigen Doppelbindungen und bilden dabei Y-Vernetzungen (ΔH = - 88 kJ mol)Primärer Vernetzungsmechanismus bei γ- oder e-Strahlenvernetzung im festen Zustand
Wärmebehandlung und Sterilisation
30 kGy (Nitrogen)100 kGy - T = 130 °C100 kGy - T = 150 °C
60
50
40
30
20
10
00 50 100 150 200 250 300 350 400
Elongation (%)
Engi
neer
ing
Stre
ss (
MPa
)
30 mm min22 + 1 °C
-1
_
Wärmebehandlung und Sterilisation Biaxiale Ermüdung im Small Punch Test
GUR 1050F = 68 N, Versagen nach 7289 ZyklenVersagen tritt bei größeren Verschiebungen ein
GUR 1050 + 100 kGy γ + 150 °CF= 67 N, Versagen nach 7994 Zyklen
Quelle: Villaraga et al: J. Biomed. Mater. Res. A 66a (2003) 298
11 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Sterilisation und AlterungSmall Punch Test, GUR 1020
• Nach 10 Jahren Lagerung in N2 sind keine Änderungen im Kraft-Verschiebungs-Verhalten nachweisbar.
• Mit diesem Experiment wurde erstmals der Nachweis erbracht, dass Inertgas enthaltende Verpackungssysteme eine oxidative Schädigung während der Lagerung verhindern.
Quelle: Edidin et al: Transactions of the 46th Orthopedic Research Society 25 (2000)
100
0 Displacement (mm) 5
Load
(N
)
10 years -Nγ 2 0 years -Nγ 2
5 years -Airγ
Wahre plastische Dehnung und Dichte bei dynamischer Beanspruchung
0.915 0.920 0.925 0.930 0.935 0.940 0.9450.0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
0.8
sterilisiertR2=0.9037
unsterilisiertR2=0.9187
, N = 1 @ ε = 0.5, N = 10 @ ε = 0.5, N = 100 @ ε = 0.5, N = 1 @ ε = 1, N = 10 @ ε = 1, N = 100 @ ε = 0.12
ε tpl
ρ (g cm-3)Quelle: Meyer et al: Polymer 42 (2001) 5293
Lamellenausrichtung und zyklische Beanspruchung
1 µm 1 µm
1 µm 1 µm
Quelle: Meyer et al: Polymer 42 (2001) 5293
Ausgangs-zustand
N = 100 @ ε = 0.5
N = 10 @ε = 1
N = 100 @ ε = 0.12
12 Einführung in die Biomedizinische Technik – Biokompatible Werkstoffe
Teilkristalline Kunststoffe PP – Deformationsmechanismen
Quelle: Michler, G. et al: J. Mat. Sci. 39 (2004) 3281
Interlamellares Gleiten:Drehung der Lamellenpakete in Beanspruchungsrichtung
Intralamellares Gleiten:Orientierung der Ketten in Beanspruchungsrichtung
Amorphe Phase:
konformationsabhängiges Orientierungsverhalten:
• tie-Moleküle richten sich in Beanspruchungsrichtung aus
• Kettenenden sind nicht orientierbar• Verzweigungen und kurze Ketten
orientieren sich nur wenig
Einfluss der Tie-Moleküldichte
H. Beerbaum, PhD Thesis, Halle (S.) 2000J.J. Strebel et al, J. Polym. Sci. B Polym. Phys. 1995
Polyethylen ist ein biokompatibler Werkstoff aber
erst wenn grundlegende Struktur-Eigenschaftszusammenhänge wie
„Highly crosslinked“ und ErmüdungDeformationsmechanismenSpannungsrisskorrosion und AlterungSpannungsinduzierte Phasenumwandlung
geklärt sind, wird es möglich sein, realistische Abschätzungen zur Lebensdauer vorzunehmen und die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen.