Hannoversche Allgemeine Zeitung 20110429

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  • 7/16/2019 Hannoversche Allgemeine Zeitung 20110429

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    H E U T E I N D E R H A Z

    Dax 7475,22 (+70,27)

    Dow Jones (20 Uhr) 12722,67 (+31,71)Euro (EZB) 1,4794 (1,4668) Dollar

    Die Arbeitslosigkeit sinkt und sinkt

    Hannover.Die Arbeitslosenzahlen ge-hen weiter zurck trotz vieler krisen-hafter Faktoren, die in jngster Zeit dieKonjunkturerwartungen eingetrbthatten. Experten sprachen am Donners-

    tag von einer weiterhin verblffend gu-ten Entwicklung in Deutschland.

    Die Bundesagentur fr Arbeit (BA) inNrnbergmeldetefrApril3,078Millio-nenMenschenohneJob.Das sind132000Arbeitslose weniger als im Mrz diesesJahres, 321000 weniger als im April desVorjahres und die niedrigsten April-Zahlen seit dem Jahr 1992.

    Esistzuerwarten,dasses imMaiun-ter die drei Millionen geht, sagte BA-Chef Frank-Jrgen Weise. Der Arbeits-markt protiere vom stabilen Auf-schwung der Wirtschaft und von derSchaffung neuer Stellen.

    Experten hatten erwartet, dass derAufschwung einen Dmpfer bekommenwrde dafr sprachen die Krise nach

    dem Erdbeben in Japan, die schwer kal-kulierbare Lage in den arabischen Staa-ten sowie der starke Anstieg der Ener-giepreise. Bislang jedoch wirken sichdiese Negativfaktoren kaum auf den Ar-beitsmarktaus.So habendie Japan-Kri-se und damit verbundene Probleme im

    Hightech-Bereich lediglich fr 1000deutsche Arbeitnehmer zu vorberge-hender Kurzarbeit gefhrt.

    Bundesarbeitsministerin Ursula vonder Leyen sagte in Berlin, angesichts derKrisen msse die Politik wachsam blei-ben. Deutschland sei strker als andereStaatenvomGeschehenaufden globalenMrkten abhngig. Im Augenblick seider deutsche Arbeitsmarkt jedoch auf-nahmefhig wie ein Schwamm. Derfreie Zugang fr Arbeitnehmer aus denosteuropischen EU-Staaten zum deut-schen Arbeitsmarkt ab 1. Mai sei einegroe Chance, einen Teil der Fachkrf-telcke zu fllen. Die Bundesregierungerwarte eine Zuwanderung gut ausge-bildeter junger Leute.

    Bundesweit betrgt die Arbeitslosen-quote jetzt 7,3Prozent. InNiedersachsensank sie im April auf 7,0 Prozent. Amniedrigsten ist die Arbeitslosigkeit imNordwesten Niedersachsens. Dort mel-det etwa der Landkreis Vechta nur noch3,5 Prozent und der Landkreis Emsland

    nur noch 3,7 Prozent Arbeitslose.

    Ministerprsident David McAllistererklrte am Donnerstag, inzwischen lie-ge die Arbeitslosenquote in neun n ieder-schsischenLandkreisenunterfnfPro-zent: Das ist quasi Vollbeschftigung.Besonders freue er sich ber die Zunah-me an sozialversicherungspichtig Be-

    schftigten. In Niedersachsen seien inden vergangenen zwlf Monaten 75907neue Beschftigungsverhltnisse ent-standen. Damit ist Niedersachsen ge-meinsam mit Bayern auf Rang 1 allerBundeslnder.

    In der Region Hanover ist die Arbeits-losenquote auf 8,8 Prozent gesunken,nach 9,0 im Mrz und 9,3 Prozent imVorjahresmonat. Eine der hchsten Ar-beitslosenquoten meldet Berlin (13,9Prozent).Dramatisch istdie Lagein Bre-merhaven, wo die Arbeitslosenquotejetzt 16,8 Prozent betrgt und damitauchdeutlich berdem Durchschnittal-ler ostdeutschen Bundeslnder liegt.

    Guter Lauf in Hannover Seite 14

    VON K LA US VO N DER BR E L I E

    Bundesweit Drei-Millionen-Marke in Sicht / McAllister:Vollbeschftigung in neun Landkreisen

    Freitag, 29. April 2011 Nr. 99 17. Woche Preis 1,40 Z E I T U N G

    HANNOVERSCHER ANZEIGER VON 1893

    Enthllung:

    Gnter Grass setzt den Gttinger

    Sieben ein neues Denkmal / S. 6

    HAZ-Aktion:

    Leser suchen Namen fr

    Hannovers Lwenbabys /S. 16

    Wissenswert:

    Die Magazine Gesund

    und Spielzeit /Beilagen

    Notlandung aufdem Weg nach

    HannoverHannover (tm). Eine Passagiermaschi-

    ne der Fluggesellschaft Germanwingsmit 86 Passagieren an Bord musste amDonnerstag auf dem Flug nach Hanno-ver in Nrnberg notlanden. Der Pilothatte kurz nach dem Start gegen 9 Uhrin Wien Brandgeruch im Cockpit desAirbus A 319 wahrgenommen und sichzu dem auerplanmigen Schritt ent-schlossen. Nachder Landungbegann frdie Fluggste, viele von ihnen Urlauber,einekleineOdyssee. Germanwings char-terte zwei Reisebusse, mit denen die inBayern gestrandeten Reisenden nachNiedersachsen gebracht wurden. Erstum kurz nach 19 Uhr traf die Gruppe,

    darunter einige Kleinkinder, am Flug-hafen in Langenhagen ein mehr alsachtStundenspterals ursprnglich ge-plant. Seite 13

    Hunderte Fahrer zu schnell

    Hannover: Nach einer gro angelegtenVerkehrskontrolle muss die Polizeidi-rektion Hannover erneut eine erscht-ternde Bilanz ziehen: Von 816 berprf-tenFahrernwaren95 Prozentzu schnellunterwegs. Die Polizei kndigte an, dieKontrollen konsequent fortsetzen zuwollen. Seite 13

    Staatskanzleiprft Vorgngeum Steinmeier

    Hannover/Berlin.Die Staatskanzlei inHannover nimmt Vorwrfe der verdeck-ten Wahlkampffinanzierung im Jahr1998sehrernst.ChristineHawighorst,Chen der Staatskanzlei, erklrte ges-tern, jetzt wrden Akten gesichtet undGesprche gefhrt, um die Vorkomm-nisse rckhaltlos aufzuklren.

    Wie diese Zeitung berichtete, deuteninterne Dokumente darauf hin, dass derAWD-Grnder Carsten Maschmeyer imAugust 1998 ber einen Strohmann150000 Mark fr eine Anzeigenkampa-gne des Mittelstands zugunsten vonKanzlerkandidat Gerhard Schrder ge-spendet hat. Frank-Walter Steinmeier,heute Chef der SPD-Bundestagsfraktionund damals Leiter der Staatskanzlei,zeichnete in einem Vermerk den aus-drcklichen Hinweis ab, der Geldgeberwolle anonym bleiben.

    Vertreter von CDU, Grnen und FDPforderten am Donnerstag eine rascheAufklrung. Wenn sich die Hinweisebewahrheiten, hat SPD-Bundestags-fraktionschef Frank-Walter SteinmeierdieVerfassunggebrochenunddieStaats-kanzlei fr Parteizwecke umfunktio-niert, sagte der Generalsekretr derNiedersachsen-CDU,Ulf Thiele.Nieder-sachsens Grnen-Fraktionschef StefanWenzelforderte,dieSPD solle Steinmei-ers Rolle lckenlos aufhellen. Der Ge-neralsekretr der Bundes-FDP, Christi-an Lindner, rief SPD-Chef Sigmar Ga-briel und Steinmeier auf, ihr Wissen zuoffenbaren. Steinmeier hatte erklrt,sich nach 13 Jahren an Einzelheiten vondamals nicht erinnern zu knnen.

    VON K ARL D O ELEKE

    UND K LA US WA LLBA UM

    CDU, Grne und FDP wollenlckenlose Aufklrung

    Conti schafft neueJobs in Hannover

    Hannover (lr). VomBoomauf demRei-fenmarkt protiert jetzt auch die Conti-Zentrale in Hannover. In diesem unddem kommenden Jahr sollen in der Rei-fenentwicklungim StadtteilStcken 100neue Stellen geschaffen werden, sagte

    Conti-Vorstand Nikolai Setzer dieserZeitung. Gleichzeitig sollen die Kapazi-tten in den deutschen Fabriken ausge-baut werden. Zudem planen die Hanno-veraner ein neues Reifenwerk in denUSA fnfJahre,nachdemsiedorteinesgeschlossen hatten.

    Dax-Rckkehr im Visier Seite 9

    Terroranschlag aufTouristencaf

    Marrakesch (afp).Bei einemTerroran-schlag auf ein Touristencaf in der ma-rokkanischenStadtMarrakesch sindamDonnerstagmindestens18 Menschenge-ttet worden. 20 weitere Menschen erlit-ten durch die Explosion Verletzungen.

    Unter den Todesopfern seien elf Ausln-der, der Rest seien Marokkaner, teiltenrzte mit. Der Anschlag am Rande desmittelalterlichen Marktplatzes wurdeoffenbar von einem Selbstmordattent-ter verbt. ber deutsche Opfer wurdezunchst nichts bekannt.

    A l Q ai da b et ei li gt? S ei te 4

    250 Menschen sterbendurch Tornados

    Washington (dpa). Die Zahl der Totennach den verheerenden Tornados im S-den der USA steigt weiter. Nach den bisgestern Abend vorliegenden Informatio-nen kamen mehr als 250 Menschen insechs Bundesstaaten ums Leben, allein

    150 in Alabama. Dabei ist zu befrchten,dass die Zahlen noch steigen werden.Nach Angaben des Senders CNN sind ei-nige Gebiete durch Trmmer so schwerzugnglich, dass sich Rettungsmann-schaften nur mhsam einen Weg durchdie Schutthalden bahnen knnen.

    Ei n s ti ll es M on st er S ei te 8

    Gut integriert reicht nicht

    Hannover. Wenn Edmond Gashi vomKosovo hrt, dann tut sich in seinen Ge-danken groe Leere auf. Mit dem Landverbinde ernichts,sagt der21-Jhrige.Erwarnochnie imKosovo,sprichtdieSpra-chenicht,kenntdortniemanden.In UslarimSollingister geboren.Familie,Freun-de und Arbeit hat Gashi im Sden Nie-dersachsens. Ich seh Deutschland alsmeine Heimatan, sagter.

    Fr die Auslnderbehrde ist das keinhinreichender Grund, den jungen Romahierbleiben zu lassen. Sie will ihn in denKosovoabschieben obwohlviele,die ihnkennen, sagen, er sei ein Vorbild in Sa-chen Integration. Am 23. Mrz standenvier Polizisten mit einem Abschiebebe-scheid vor der Haustr der Gashis inKreiensen.EdmondGashi habensie nichtangetroffen. Er ist untergetaucht.

    EdmondGashihatsichsokorrektver-halten, wie es sich viele von Auslndernwnschen, sagt sein Anwalt DietrichWollschlaeger: Er spricht gut deutsch,seine Freunde sind Deutsche, er ist nie

    straffllig geworden,hat beim VfL UslarFuball gespielt.Am liebsten stehichimTor,sagtGas-hi. Blleabfangen.

    Wichtiger aber alsder Sport ist demjungen Mann seinenanzielle Unabhn-gigkeit: Ichwill kei-nem auf der Tascheliegen. Drei Jahrelang, seit seinem 18.Lebensjahr,hat er beim Kunststoffverar-beiter Synco als Produktionshelfer gear-beitet.Mitden1400Euro,dieer imMonatverdiente, hat er auch seine Eltern unter-sttzt damitsien ichtSozialhilfebezie-henmssen,sagtGashi.

    Dass er von seinem selbst verdientenGeld lebt, ist fr die Auslnderbehrdekein Grund zum Einlenken. Sie wirftGashi vor, dass er keinen Schulabschlusshat, sagt sein Anwalt Wollschlaeger.Dabei zeigt doch sein Arbeitseinsatz,dasser seinenLebensunterhaltselbstbe-

    streiten will. Im Herbst vergangenenJahres hat die Auslnderbehrde Gashiseine Arbeitserlaubnis entzogen, weil erkeinen gltigen Pass vorlegen konnte.Wollschlaegerspricht voneiner bewuss-ten Blockierung der wirtschaftlichen In-tegration Gashis. Die Northeimer Aus-lnderbehrdewillsichzu demFallnichtuern aus Grnden des Datenschut-zes, heites.

    Edmond Gashi hat auch ohne amtlicheErlaubnis in den vergangenen Monatengearbeitet.Ich mchteunabhngigsein,sagt er. Sein frherer Arbeitgeber wrdeihngern weiterbeschftigen:Herr Gashiwar ein wirklich zuverlssiger, hilfsbe-reiter Mitarbeiter, sagt Synco-Ge-schftsfhrerinGabrieleMertz. Erknnejederzeit zurck in den Betrieb. Unter-sttzungerhltGashiauchvom Kirchen-kreis Gttingen. Dem jungen Mannscheint grobes Unrecht angetan zu wer-den, sagt Peter Lahmann vom VereinAsyl in der Kirche. Der Verein prft nun,obGashiKirchenasylerhaltenkann. Da-rauf hofft Gashi. Und fragt: Kosovo washabich daverloren?

    VON M A RINA KO RMBA KI

    21-Jhriger soll abgeschoben werden sein Arbeitgeber wrde ihn gern behalten

    Deutsches Paar holt GoldSport: Das Chemnitzer Paar Aljona Sav-chenko und Robin Szolkowy hat zumdritten Mal die Goldmedaille bei Eis-kunstlauf-Weltmeisterschaften gewon-nen. Die Sachsen stellten bei ihrem Tri-umph zudem mit 217,85 Punkten einenWeltrekord auf. Seite 22

    Titeltrume aus StahlNiedersachsen: Die kuriose Schwebefh-re Osten-Hemmoor im Kreis Cuxhavensoll Weltkulturerbe werden. Der eigensgegrndete Frderverein zur Rettungder Schwebefhre Osten-Hemmoor hatjedenfalls schon alle Unterlagen fr dieUnesco beisammen. Seite 5

    Mordverdchtiger gefasstHannover: Der seit vergangenen Mitt-woch chtige Manuel R. ist gefasst. Der24-Jhrige steht im Verdacht, im Januarseinen Vater indessen Wohnungin Seelzegettet zu haben. Polizeibeamte habenden Verdchtigen gestern in Detmoldfestgenommen. Seite 13

    TomTom verkauft Nutzerdaten

    Welt im Spiegel: TomTom, Hersteller vonNavigationsgerten, hat niederlndi-schen Behrden anonyme Kundendatenverkauft. Die Polizei nutzte die Informa-tionen, um herauszunden, wo am meis-ten Temposnder unterwegs sind, undstellte dort Blitzer auf. Seite 8

    Deutsche Bank im Plus

    Wirtschaft: Die Deutsche Bank hat in denersten drei Monaten dieses Jahres ihrzweitbestes Quartalsergebnis aller Zei-ten eingefahren. Das Kreditinstitut er-wirtschaftete unterdem Stricheinen Ge-winn von rund zwei Milliarden Euro, einPlus von 17 Prozent. Seite 11

    www.haz.de

    Richtung Freiheit

    Ar ab is ch e Wel t

    Im Arabischen Frhling, der so viel-versprechend begonnen hat, wollen dieTemperaturen nicht mehr so recht stei-gen.NachspektakulrenSiegeszgendesVolkes in Tunesien und gypten ist derrevolutionreSchwungins Stockengera-ten. Libyens Gadda schiet seit Wochen unbeirrt von weltweiter Emprung undalliierten Lufteinstzen auf sein rebel-lisches Volk. In Bahrain erzwingen sau-dische Soldaten eine bleierne Ruhe. Sy-riens Assad bringt Panzer in Stellungund lsst die Anfhrer von Demonstra-tionen durch Scharfschtzen erschieen.

    Gewiss, es hat sich viel getan in denvier Monaten seit der spektakulrenSelbstverbrennung des Gemsehndlers

    Mohamed Bouazizi in Tunesien, die da-mals wie ein Funke einen Flchenbrandauslste. Doch was wird am Ende desUmwandlungsprozessesstehen?Diesch-ne,neuearabischeWelt jedenfalls,wiesiesichMillionenjungerMenschenbei ihrensogenannten Facebook-Revolutionen er-trumten, erscheint derzeit beinahe wieeine Fata Morgana.

    Gute Nachrichten aus Kairo und Tunis

    Immer erbitterter wehren sich die ver-bliebenen Regime. Auch jene Machtha-ber, die sich eben noch halbwegs liberalgebrdeten, seheninzwischen denAnlassgekommen, hart durchzugreifen. In Ma-rokkoetwa,wo gesternein Touristencafindie Luftgesprengtwurde,schlgtjetztdieStundeder Geheimpolizei,die dieZ-gel wieder anziehen wird. In Jordanienbietet der Knig einen Machtverzicht inMillimetergre und lsst ansonstenseine Polizei zuschlagen. Saudi-ArabiensMonarch versucht jetzt, den wachsendenUnwillen seiner Untertanen mit sagen-haften 110 Milliarden Dollar an Sozial-geschenken zu dmpfen.

    Eine zentrale Rolle behlt gypten, alspolitisches, demograsches und militri-

    sches Schwergewicht in der Region. Diegypter haben Hosni Mubarak nach 30Jahren Alleinherrschaft in 18 Tagen da-vongejagt. Und mehr noch: Sie habenauch den anfangs zgernden Militrratdazu gebracht, Mubarak verhren undfestnehmenzu lassen. AufDruck desVol-kes sitzen frhere Regimegren inzwi-schen reihenweise hinter Gittern da-runter auch die beiden Mubarak-ShneAlaaund Gamal. Esgibt viele guteNach-richten aus Kairo: Wie in Tunesien ist dieallmchtige Regierungspartei aufgelst,wie in Tunesien wurde die Staatssicher-heit offiziell zerschlagen. Und der lang-jhrige Innenminister von Kairo, dessenScharfschtzen mehr als 800 Menschenauf dem Gewissen haben sollen, steht seitdieser Woche vor Gericht.

    Noch nie haben die Menschen am Nilpolitisch so intensiv und ernsthaft disku-tiertwiedieser Tage. Siestreiten berdieFundamenteihres neuenStaatesund wa-chenpenibelber teuererkmpftedemo-kratische Errungenschaften. Fr Sep-tember sind erste freie Parlamentswah-len geplant. Und zum Jahresende wirdgyptens Volk einen neuen Prsidentenwhlen denersten demokratischgekr-ten Staatschef in den 5000 Jahren ihrer

    Geschichte. Das alles sind an politischeWunder grenzende Aussichten fr einLand, dessen Bevlkerung sich vor Kur-zemnoch alsdevoterHaufenvon Feiglin-gen und gelernten Untertanen fhlte.

    Die gleiche Sehnsucht berall

    Kernder politischenVerrottung imNa-hen und Mittleren Osten ist die mangel-hafte Teilhabe der Bevlkerung am poli-tischen Geschehen. Die Regime dachtengar nicht daran, die Zustimmung derMenschen einzuwerben. Deren berzeu-gungen zhlten ebenso wenig wie derenKritik. Nun aber sind Tunesien undgypten die ersten in der Region, derenVlker sich tatschlich als Subjekte ihrerGeschicke fhlen.

    Gleichzeitig aber offenbaren die erstennachrevolutionren Monate, wie langund steinig der Weg zu einer offenen Ge-sellschaft noch sein wird. In Tunesienwird viel gestreikt, der Premier rief die-ser Tage seine Bevlkerung zu MigungundToleranzauf.In gyptenendetman-cher Meinungsstreit in einer Messerste-cherei. Lngst treten die alten Problemewieder an die Oberche. 20 Prozent derMenschen am Nil haben keinen Job, 50Prozent leben in Armut, es fehlt an Schu-len, Wohnungen und Krankenhusern.Eine wrdige Arbeit aber gehrt genausozur gesellschaftlichen Teilhabe wie einStimmzettel oder freie Medien. Und dieMehrheitderMenschenwird nurdann anDemokratie und Pluralitt festhalten,wenn sich auch ihre persnlichen Le-bensumstndebessern.Immerhin:gyp-ten und Tunesien knnten es schaffen,eine Vorbildrolle zu bernehmen. Einegroe Richtungsnderung wird es auchanderswo nicht mehr geben. Alle arabi-schen Gesellschaften sehnen sich nachFreiheit.

    VON M A RT IN GEHLEN

    Rtsel Seite 7, 18

    Brsen & Mrkte Seite 10

    Familienanzeigen Seite 18

    K ir ch li ch e N ac hr ic ht en S ei te 1 8

    ZiSH Seite 19

    Roman Seite 20

    Medien / TV Seite 23

    Tglich (fast) alles Seite 24

    Postanschrift: 30148 Hannover

    Redaktion: (05 11) 5 18-0

    Anzeigen: 01 80-1 23 43 21* und www.haz.de

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    Internet: www.haz.de* Ein Anruf aus dem deutschen Festnetz kostet 3,9 Cent pro Minute, ein

    Anruf aus dem Mobilfunknetz hchstens 42 Cent pro Minute.

    21

    6

    Viel Sonnenschein zwi-schen lockeren Wolken-

    feldern. Der Wind wehtmig aus Ost. Seite 24

    Es ist so weit: Wenn die Marschkapelle

    der Welsh Guards heute um 9.15 Uhr

    (MESZ) aufspielt, dann blst sie nicht

    zum alltglichen Wachwechsel, sondern

    zum kniglich-britischen Hochzeitsspek-

    takel. Dann ziehen die Gste in die West-

    minster Abbey ein verfolgt von rund

    zwei Milliarden Menschen an Fernseh-

    schirmen in aller Welt. Prinz William b-

    rigens wird Kate Middleton das Jawort

    im roten Rock der Irish Guards geben

    ohne Brenfellmtze. Seite 7

    Hochzeit marsch!

    Arbeitslosigkeit in NiedersachsenApril-Daten seit 2007

    5%

    0

    6%

    7%

    8%

    9%

    10%

    2 00 7 2 00 8 2 00 9 2 01 0 2 01 1

    9,2%

    7,9% 8,1% 7,8%

    HAZ-Grafik:pb;

    Quelle:BundesagenturfrArbeit

    7,0%

    Edmond Gashi sollin den Kosovo.

    afp

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    5 0 0 1 7

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    I n l a n d

    Anschlge auf NPD-Mitglieder

    CO2-Speicher ohne Mitsprache

    Islamist kommt vor Gericht

    Verfahren gegen Linkspartei

    Polizist schult illegal Libyer

    SPD-Ausschluss rechtskrftig

    Mehrheit fr Mindestlohn

    Bremen: Zwei Tage vor einem geplantenNPD-Aufmarschundeiner groenGegen-demonstration in Bremen haben Unbe-kannte drei Autos von Funktionren derLandespartei in Brand gesetzt. Die Wagengingenam frhen Donnerstagmorgen zeit-gleich an zwei verschiedenen Orten in derHansestadt in Flammen auf. Ein viertesAuto geriet dabei wahrscheinlich zuflligin Brand. Wir gehen davon aus, dass dasGanze politisch motiviert ist, sagte einPolizeisprecher. Ein Bekennerschreibenliegederzeitabernichtvor.DieTterkonn-t en u ne rk an nt cht en. dpa

    Berlin: ImGesetzzur unterirdischenSpei-cherung des Klimakillers CO2 hlt sichdie Bundesregierung die Option offen,Lagersttten vor den Ksten ohne Ln-dermitsprache zu errichten. Das geht auseiner Antwort des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums an die Grnen-PolitikerinIngrid Nestle hervor. Demnach knnendie Bundeslnder zwar in ihrem Gebietumstrittene CO2-Endlager verhindern,nicht aber in der Ausschlielichen Wirt-schaftszone (AWZ), die zwlf Seemeilen(rund 20 Kilometer) seewrts der Kstenbeginnt. dpa

    Karlsruhe: Die Bundesanwaltschaft hateinen mutmalichen deutschen Terror-helfer der Islamischen Dschihad-Union(IJU) vor dem Oberlandesgericht Stutt-gartangeklagt.Demnach soll der 23-jh-rige Deutsche Ramazan B. der IJU rund600 Euro fr deren Kampf berwiesenhaben, wie die Bundesanwaltschaft amDonnerstag in Karlsru he mitteilte. DieBehrde wertet dies als Untersttzung

    einer auslndischen terroristischen Ver-einigung. Die IJU will laut Bundesan-waltschaft Afghanistan vom westlichemEinuss befreien. afp

    Duisburg: Die Staatsanwaltschaft Duis-burg hat gegen die Linkspartei nach derVerffentlichung eines antisemitischenTextes imInternetein Ermittlungsverfah-ren eingeleitet. Gegen die Kreisverbands-sprecherin der Duisburger Linken, UteAbraham, werde wegen des Verdachts derVolksverhetzung und des Verwendens vonKennzeichen verfassungswidriger Orga-nisationen ermittelt, sagte der Sprecherder Staatsanwaltschaft, Rolf Haferkamp,am Donnerstag auf Anfrage. Es seien 16Anzeigen aus dem Bundesgebiet gegen dieDuisburger Linke eingegangen. afp

    Bblingen: Vor dem Amtsgericht Bblin-gen ist am Donnerstag der Prozess gegeneinen Polizisten aus Baden-Wrttembergfortgesetzt worden,der unerlaubtlibyscheAnti-Terror-Einheiten geschult habensoll. Die Staatsanwaltschaft wirft dem

    heute 44-Jhrigen vor, 2006 und 2007 frein privatesSicherheitsunternehmenPoli-zisten des nordafrikanischen Staates aus-gebildet zu haben. Die Anklage lautet aufBetrug, weil der Mann fr diese Zeit Ur-laub genommen oder sich krankgemeldethabensoll. SeineVorgesetztensoll ernichtwahrheitsgem unterrichtet haben. dpa

    Hamburg: Der frhere Hamburger Br-gerschaftsabgeordnete und SPD-Spre-cher Blent Ciftlik ist endgltig aus derPartei ausgeschlossen worden. Nach Par-teiangabenvomDonnerstagwiesdie Bun-desschiedskommission der SPD einen Wi-derspruch Ciftliks zurck und besttigteein Urteil der Landesschiedskommission.Ciftlik sitzt in Untersuchungshaft. Er sollWahlhelfer angewiesen haben, in 56 Fl-len Briefwahlantrge trkischstmmigerDeutscherzu flschen.Bereits2010 warerwegen Vermittlung einer Scheinehe ver-urteilt worden. dpa

    Berlin: Eine berwltigende Mehrheit derBrger in Deutschland will einen gesetz-

    lichen Mindestlohn. In einer Umfragesprachen sich rund 76 Prozent dafr aus,dass ihn die Bundesregierung soforteinfhrt. Damit soll Lohndumping imZuge der ab 1. Mai geltenden erweitertenArbeitnehmerfreizgigkeit fr Osteuro-per in der EU verhindert werden, heites in der am Donnerstag verffentlichtenUmfrage im Auftrag der Gewerkschaftenver.di und Nahrung-Genuss-Gaststtten(NGG). dpa

    B l I c k p u n k t G e s u n d h e I t

    Kurzzeitpege wer nicht aufpasst, zahlt drauf

    Hannover/Berlin.Mehr Hilfe fr pe-gende Angehrige verspricht Bundesge-sundheitsminister Philipp Rsler docherst einmal wird gespart, zulasten vonPegenden wie Karl-Heinz Behncke. AlsRentner Behncke krzlich seine an Alz-heimer erkrankte Frau fr eine Woche ineinem Pegeheim in Garbsen-Berenbos-teleinquartierenwollteund aufdieRech-nung schaute, glaubte er zuerst an einenIrrtum. Doch mitnichten. Der Wunsch,sich ein paar Tage im Jahr freizuneh-men, ist deutlich teurer geworden. Statt19 Euro am Tag zahlt Karl-Heinz Behn-cke jetzt 41 Euro aus der eigenen Tasche,wenn er seine Frau in die Kurzzeitpegegibt,um selbsteinmal auszuspannenundUrlaub zu machen. Der Grund: Zum Jah-resbeginn hat das Land Niedersachsenseine nanzielle Untersttzung weitge-hend eingestellt.

    Die Kurzzeitpege gehrt zu den er-

    gnzenden Leistun-gen der Pegeversi-cherung, um diehusliche Pege zustrken. Bis zu vierWochenim Jahrkn-nen Angehrige wieBeh ncke ih reSchtzlinge in sta-tionrenEinrichtun-gen unterbringen.Die Pegekasse er-stattet die Kostenfr die Pege, ent-sprechend der Pe-gestufe; Unterkunftund Verpegungmssen dagegen aus der eigenen Taschebezahltwerden.EinendrittenPosten,dieInvestitionsfolgekosten, die variieren,aber im Schnitt 20 Euro pro Heimtag be-tragen, hatte bis Ende vergangenen Jah-res das Land bernommen. Die aktuelleKrzung, vonder sichdas Sozialministe-

    rium Einsparungen von sechs MillionenEuroin diesem Jahrerhofft,verteuertdievierwchige Pege-Auszeit fr Angeh-rige wie Behncke um mehr als 500 Euro.

    Niedersachsens Rckzug aus der Fr-derung ist allerdings nicht ungewhn-lich und liegt im Trend. Die meisten an-deren Bundeslnder zahlen bereits seitLngeremInvestitionszuschssevonFallzu Fall direkt an die Einrichtungstrgerund nicht an die Nutzer der Kurzzeit-pege. Niedersachsen will sich zudemnicht komplett aus der Untersttzungpegender Angehriger verabschieden.Wer sich an Einrichtungen wendet, dieausschlielich Kurzzeitpege anbietenund nicht eingestreut zwischen denDauerpegepltzen, bekommt auch wei-terhin die Investitionsfolgekosten vomLanderstattet.

    Die Suche nach diesen Husern ist je-doch schwierig. Vor allem auf dem Landhaben spezialisierte Einrichtungen Pro-bleme zu berleben. Seit 1999 sank das

    landesweite Angebot bei der solitrenKurzzeitpege kontinuierlich; von 69Stationen berlebten gerade einmal 23.Mittlerweilesei eineKurswende sprbar,heit es im Ministerium. Aufgrund dereingeschrnkten Frderung seien vieleHeimtrger dabei, von der Dauerpegeauf Kurzzeitpege umzusteigen. Binnenzwei Monaten sei das Angebot von 299auf 481 Pltze gestiegen; 150 Pltze seienin Planung.

    Fest steht: Die Nachfrage ist gering.Etwa 1,5 Millionen Menschen werden zuHause gepegt, aber nur knapp 33800nahmen 2009 die sogenannte Verhinde-rungspege in Anspruch, also eine Ver-tretung bei Abwesenheit; Kurzzeitpegebezahltendie Pegekassenin rund16500Fllen. Gesundheitsminister Rsler hateine Reform der Pegeversicherung frMitte desJahres angekndigt.Dabeiwiller auch prfen, was man ndern muss,damit Kurzzeitpege besser genutztwird.

    Von Gabi Stief

    Gabriel nimmt sich selbst in Schutz

    Berlin. Nach tagelangem Schweigenhat sich der SPD-Vorsitzende SigmarGabriel in die ausufernde Debatte umden Verbleib von Thilo Sarrazin in derSPD eingeschaltet. Zuvor hatte er denZorn der Basis sich ungehemmt entfal-ten lassen, ohne die Haltung der Partei-spitze zu erlutern. Dass Gabriel fr sei-

    ne Erklrung ein Interview mit einerBerliner Tageszeitung whlte und sichsomit nicht direkt an die Partei wandte,hat das Stirnrunzeln unter seinen Vor-standskollegen noch verstrkt,

    Mittlerweile ist auch bekannt gewor-den, wie unvorbereitet Generalsekret-rin Andrea Nahles in die Sitzung derSchiedskommission an Grndonnerstaggeschickt worden ist. Obwohl selbst frparteiferne Beobachter abzusehen war,welcheBrisanzdas Parteiausschlussver-fahren gegen den Bestsellerautor entwi-ckeln wrde, hatte Gabriel darauf ver-zichtet, im Parteiprsidium eine abge-stimmte Haltung herzustellen.

    In dem Gesprch mit dem Tagesspie-gel hat Gabriel nun folgerichtig seine

    Generalsekretrinin Schutz genom-men. Sie habe seinevolle Rckende-ckung, versicherteer. Verantwortlichfr die Einstellungdes Verfahrens seivielmehr dasSchiedsgericht von

    Sarrazins BerlinerKreisverband. Die-ses habe dem frhe-ren Berliner Finanz-senator seine Versicherung geglaubt,dass er keineswegs der unseligen Ver-bindungdes Genetischenmitdem Sozia-len das Wort reden wolle. Aus Sicht desGremiumsseidamitein SPD-Ausschlussnicht mehr infrage gekommen, auchwenn ich mir ein anderes Ergebnis ge-wnscht htte, sagte Gabriel. Nahlesund die Vertreter der anderen Antrag-steller htten in dieser konkreten Situa-tion entscheiden mssen: Entwederendlosweiterprozessierenoderdem Wil-len der Schiedskommission folgen unddie Erklrung als Einigungsgrundlage

    akzeptieren. Zuseiner eigenen Rolleals Anfacher desSarrazin-Feuers inder Partei sagte Ga-briel nichts. Zuvorhattendie hessischenJungsozialistenNahles zum Rck-tritt aufgefordert. Es

    sei einfach nichtnachvollziehbar, wa-rum der Parteiaus-schluss von Sarrazin

    nicht weiter verfolgt werde, erregt sichder Parteinachwuchs. Deshalb fordernwir Konsequenzen aus dieser Entschei-dung und den Rcktritt von AndreaNahles als SPD-Generalsekretrin.Eine Propolitikerin wie sie msse wis-sen, dass solche Entscheidungen nichtoben getroffen werden drfen, um danndieParteibasisnur nochabnickenzu las-sen.

    In der Sache bleibt Gabriel hart. Ihmsei von Anfang an klar gewesen, sagt er,dass wir mit dieser Auseinanderset-zung nur rger bekommen knnen: ent-

    weder mit den Anhngern von ThiloSarrazinodermitseinen Gegnerninsbe-sondere bei den Migrantinnen und Mig-ranten. Beiden Seiten wirft Gabriel vor,ihre Diskussion allzu oberchlich zufhren. Trotzdem durften wir die Trfrdiese entsetzlicheVerirrungzum So-zialdarwinismus nicht offen lassen.

    Inder SPDhatinzwischeneinegrnd-liche Suche nach Fhrungspersonal mit

    Migrationshintergrund begonnen. BeimBundesparteitagim Herbstdieses Jahressollen mehr Migranten als bisher in denVorstand der Partei gewhlt werden.Dies drfte nicht schwerfallen, weil bis-her im 48-kpgen Vorstand niemanddieserPersonengruppezugerechnetwer-den kann.

    Ander BasishltdieVerrgerungberden Verbleib Thilo Sarrazins in der Ber-liner SPD an. Inzwischen haben rund3000Menschendie BerlinerErklrungim Internet unterzeichnet, etwa jedersechste von ihnen lebt in der Bundes-hauptstadt. Viele Unterzeichner habenauslndische Wurzeln. Die Erklrungkritisiert den Zickzackkurs der Parteiin Sachen Sarrazin.

    Von ReinhaRd URSchel

    Unmut der SPD-Basis richtet sich gegen die Generalsekretrin, aber auch gegen den Vorsitzenden

    Elf Stunden Suche nach Energie

    Berlin. In einem rund elfstndigenFrage-und-Antwortmarathon haben dieMitglieder der Ethikkommission zurEnergiepolitik zusammen mit Wissen-schaftlern, Wirtschafts- und Gewerk-schaftsvertretern am Donnerstag inBerlin eine Antwort auf die Frage ge-sucht, wie der Ausstieg aus der Kern-energie zeitlich und wirtschaftlich ge-

    staltet werden kann. BundeskanzlerinAngela Merkel hatte bei der Einberu-fungdes Gremiumsversprochen, dief-fentlichkeitan derLsungssuche teilha-benzu lassen.Der FernsehsenderPhoe-nix hat die Sitzung zu diesem Zwecklive bertragen.

    Der Vorsitzende des Gremiums, derfrhere Bundesumweltminister KlausTpfer (CDU),wies zumAuftaktder Be-ratungen auf die grundstzlich skepti-

    sche Haltung der Deutschen zur Atom-kraft hin. In Deutschland habe es be-reits vordem Reaktorunglckin Tscher-nobyldie gemeinsame gesellschaftlicheberzeugung gegeben, dass die Kern-energie eine bergangstechnik sei. Essei aber wichtig, durch einen Ausstiegausder Atomenergie keineArbeitspltzezu gefhrden oder das Klima zustzlichzu belasten.

    hnlich uerte sich die frhere Mer-

    kel-Vertraute HildegardMller, die heu-te fr den Bundesverband der Energie-und Wasserwirtschaft ttig ist. Es gehenicht darum, ob ein paar Photovoltaik-anlagen mehr oder weniger aufgestelltwerden sollen in Deutschland, sagte sie,sondern darum, dass die gesamte Wirt-schaft einer der grten Industrienatio-nen auf erneuerbare Energien umge-stellt werden soll und wie dies gelingensoll.

    Nach den Worten des Generalsekre-trs der Europischen Fderation derBergbau-, Chemie- und Energiegewerk-schaften (EMCEF), Reinhard Reibsch,sind erhebliche Investitionen nicht nurin erneuerbare Energien, sondern auchin fossile Energietrger wie Kohle undErdgas ntig. Wir knnen uns darausnicht verabschieden, sagte er.

    Dem pichtete e.on-Chef JohannesTeyssen bei. Bei einer krzeren Laufzeit

    werde sehr schnell sehr viel Erdgasbentigt werden. Michael G. Feist, ChefderStadtwerkeHannover,hieltdement-gegen, eine bessere Gebudesanierungknne den zustzlichen Kohlendioxid-aussto wettmachen.

    Atomkraftgegneru nd Umweltverbn-dekritisiertenerneutdie Zusammenset-zung der Ethikkommission und forder-ten die Beteiligung von Anti-Atom-Or-ganisationen.

    Von ReinhaRd URSchel

    Ethikkommission bert ber Zukunft der Stromversorgung

    a B s c h I e B u n G

    Deutscher Alltag

    EdmondGashiisthiergeboren,Deutschist seine Muttersprache, er hat einenVollzeitarbeitsplatz, und er zahlt Steu-

    ern. Es gibt wenig im Lebenslauf des

    21-Jhrigen, das ihn von Altersgenossen

    mit deutschem Pass unterscheidet. Den-

    noch soll Gashi in den Kosovo abgescho-

    ben werden in ein Land, das ihm genau-

    so fremd ist wie seinen deutschen Freun-

    den. Er hat keinen Schulabschluss. Das

    deutsche Aufenthaltsgesetz ist reich an

    strengen Formeln. Eine davon besagt: Einfehlender Schulabschluss legt eine Ne-

    gativprognose fr den weiteren Lebens-

    weg des Geduldeten nahe. Zu Deutsch:

    Aus dem wird nichts mehr.

    Eine Abschiebung aber folgt daraus

    nicht zwangslufig. Abschiebungen sind

    keine Automatismen und drfen es auch

    nicht sein. Zwischen den Zeilen des eng

    bedruckten deutschen Aufenthaltsgeset-

    zes bleibt Ermessensraum fr die Behr-

    den, um den Einzelfall zu prfen. Der Fall

    von Edmond Gashi zeigt einmal mehr,

    wie wichtig der genaue Blick in den deut-

    schen Alltag vieler Antragsteller ist. Und

    wie wenig ihm die Behrden mit standar-

    disiertem Vorgehen gerecht werden kn-

    nen.Die allenthalben geforderteIntegra-

    tion von Menschen mit Migrationshinter-

    grund Gashi lebt sie beispielhaft vor.

    Doch anstatt den Einsatz von Men-

    schen wie Gashi wahrzunehmen, wird in

    niederschsischen Amtsstuben zuneh-

    menddie vonInnenministerUwe Schne-

    mann proklamierte harte Linie gegen-

    ber Migranten umgesetzt. Das zeigt die

    steigende Zahl von Abschiebungen. Der-weil helfen die Ntzlichkeitskriterien des

    Ministers, nach denen ber die Duldung

    oder Abschiebung von Flchtlingen ent-

    schieden wird, oft nicht weiter: Danach

    kriegt Gashi wegen eines fehlenden

    Schulabschlusses Punktabzug whrend

    sein Arbeitgeber ihn in hchsten Tnen

    lobt. Marina KorMbaKi

    a n d e r e a n s I c h t e n

    zur Ethikkommission:

    Fr Schwarz-Gelb ist diese Kommis-sion bequem. Die Brger werden sich da-von nicht einlullen lassen. Denn die poli-tische Verantwortung bleibt bei Unionund FDP. Sie werden trotzdem erklrenmssen, ob sie es im letzten Jahr nichtbesser wussten oder ob sie gar wider bes-seres Wissen entschieden haben.

    zum Arbeitsmarkt :

    Die jngsten Arbeitsmarktdaten bele-

    gen die enorme Strke der deutschenWirtschaft. Das ist auch den Manahmenwhrend derWirtschaftskrisezu verdan-ken: Viele der oft gescholtenen Konjunk-turpakete haben eben doch geholfen.

    Z u r p e r s o n

    Bernd Saxe, LbecksBrgermeister, hatzum 100. Geburtstagvon Willy Brandt einDenkmal fr den Eh-renbrger der Stadtvorgeschlagen. DerGeburtstag in zweiJahren sei ein sch-ner Anlass, sagte derSPD-Politiker am

    Donnerstag. Dies sei aber nur eine Anre-gung einen Plan zur Form oder Finan-zierung gebe es bislang nicht. Er hattediesen Vorschlag vor ein paar Tagen vorSPD-Senioren gemacht. Der SPD-Politi-ker sei bei den Lbeckern noch immerbeliebtundhoch geschtzt,sagtederBr-germeister. Der frhere schleswig-hol-steinische Ministerprsident Bjrn Eng-holm(SPD) reagierteskeptisch.Mit dem

    Willy-Brandt-Haus ist Lbeck gut be-dient.Ich fragemich,ob es einerzustzli-chen Wrdigung bedarf, sagte er denLbecker Nachrichten. Das Haus wur-de2007in Lbeckerffnet.Zudemtrageneine Strae und eine Schule in der Han-sestadt den Namen des ehemaligen Bun-deskanzlers, der am 18. Dezember 1913als Herbert Frahm in Lbeck geborenwurde und in der Hansestadt Kindheitu nd Ju ge nd ve rbr ac ht e. dp a

    M e s t e r

    dpa

    Ethikkommissionschef Klaus Tpfer hlt die Atomkraft in Deutschland nur fr eine bergangstechnik. dpa

    BeschdigtdurchdenSarrazin-Streit:Sig-mar Gabriel und Andrea Nahles. dpa (2)

    Grn-Rotfeilscht um

    Minister

    Stuttgart. Das neue grn-rote Kabi-nett in Baden-Wrttemberg nimmt Ge-stalt an. Das SPD-Team ist schon fastkomplett. Die SPD-Sozialexpertin Ka-trinAltpeterwirdneue Arbeitsministe-rin, die Mannheimer SchuldezernentinGabrieleWarminski-Leitheuersoll vo-raussichtlich das Kultusministeriumbernehmen. Noch nicht geklrt ist dieFrage, wer das neue Amt des Integrati-onsministers ausfllen soll.

    Bei den Grnen wird offenbar dieLandesvorsitzende Silke Krebs alsStaatsministeringehandelt.Die45-Jh-rigewrde indem FallengsteMitarbei-terin des designierten Ministerprsi-denten Winfried Kretschmann. Fr dasAgrarministerium kommt der Haus-haltsexperte der Bundestags-Grnen,Alexander Bonde, infrage. Krebs undBonde haben auch an den Koalitions-verhandlungen teilgenommen.

    Die Sozialdemokraten bernehmensechs Ressorts. Die Grnen stellen ne-

    bendem MinisterprsidentenvierFach-minister sowie zustzlich im Staatsmi-nisterium einen Staatsminister, einenStaatssekretr und eine Staatsrtin alle mit Stimmrecht in der Regierung.Die Staatsrtin soll fr die Zivilgesell-schaftundBrgerbeteiligungzustndigsein. SPD-Fraktionsvize Altpeter teiltemit,siehabeamMittwochmit SPD-Lan-deschef Nils Schmid vereinbart, dass siedas Arbeitsministerium bernehmenwerde. Die 47-Jhrige aus Waiblingenhat an den Koalitionsverhandlungen mitden Grnen teilgenommen.

    Die anderen drei SPD-Posten im Ka-binett sind bereits verteilt. Der 37-jh-rige Parteichef Schmid wird Supermi-nister fr Finanzen und Wirtschaft.Zudem soll der Parlamentarische Ge-schftsfhrer der Fraktion, ReinholdGall (54), Innenminister werden. Frdas Justizressort ist der zustndigeFraktionssprecher Rainer Stickelberger(60) vorgesehen. Der 38-jhrige Gene-ralsekretr der Landes-SPD, PeterFriedrich, soll das Land in Berlin alsBundesbeauftragter vertreten.

    Die Grnen stellen den Minister frVerkehr und Infrastruktur und sind da-mitauchfr dasumstritteneMilliarden-

    Bahnprojekt Stuttgart 21 zustndig.Als Favorit gilt der Tbinger Bundes-tagsabgeordnete und Vorsitzende desVerkehrsausschusses, Winfried Her-mann. Das Ressort Umwelt, Klima undEnergiewirtschaft bernimmt wahr-scheinlich der Fraktionsvize und Um-weltexperteFran z Untersteller.Die Par-lamentarische Geschftsfhrerin derGrnen-Fraktion, Theresia Bauer, sollWissenschaftsministerin werden. dpa

    Von henninG otte

    Teams in Stuttgart sindfast vollstndig

    Bundesgesund-heitsminister Phi-lipp Rsler struktu-riert die Pflege um.

    Politik2 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG FREITAG, 29. APRIL 2011 NR. 99

  • 7/16/2019 Hannoversche Allgemeine Zeitung 20110429

    3/38

    Kleine Signale, wichtige Botschaften

    Washington. Schon wieder ein An-trittsbesuch. Im April vergangenen Jah-res machte sich Thomas de Maizire inWashington als neuer deutscher Innen-minister bekannt, an diesem Donnerstagstellt er sich im Pentagon als neuer Ver-teidigungsminister vor. Ich hoffe, dasbleibt jetzt eine Zeit lang so, scherzt er,alser amfrhenMorgenvonseinem Kol-legen Robert Gates mit militrischenEhrenempfangen wird.

    DreiTageist derPolitikeraus Berlinander Ostkste unterwegs, um neue Kon-takte zu knpfen. Bei den amerikani-schen Militrs kommt er offensichtlichgut an, schon rein uerlich. De Maizireentspricht demklassischen Bild einesMi-litrexperten, wie man ihn in Washing-ton schtzt: Trotz seiner 57 Jahre hat ereine relativ sportliche Figur, die Haaresind soldatisch kurz geschnitten, und dieHornbrille unterstreicht die markantenGesichtszge. Er hat einen zgigen Gangundmag es,auch lngere Treppen imEil-tempo zu nehmen.

    De Maizire will auch mit kleinen Sig-nalen etwas sagen. Hier in Washingtonzum Beispiel, dass er keine Nachhilfe-stunde in transatlantischen Beziehungen

    bentigt. Das Wissen um die Bedeutungdieses Bndnisses habe ich mit der Mut-termilch aufgesogen, behauptet er gern.Und seine Gesprchspartner, zu denen indieser Woche neben Gates auch der fr-hereAuenministerHenry KissingerundUN-Generalsekretr Ban Ki-moon zh-len, drften wissen, worauf er anspielt:De Maizires Vater Ulrich war der ersteGeneralinspekteur der Bundeswehr undzhlte zu denjenigen, die die noch heutegltigen Leitlinien vom Staatsbrger inUniformm itentwickelten.

    Auch die Neigung des neuen Ministers,im Gesprch nicht auszuschweifen, son-dern schnell zum Punkt zu kommen, n-detAnklang.Gates,der seineletztenWo-chen im Pentagon verbringt und ausge-rechnet an diesem Donnerstag mit Prsi-dentBarackObamaberseinenAbschiedspricht,willsichmit deMaizireberdasweitere Vorgehen in Afghanistan austau-schenunddas brisanteThema Libyennuram Rande streifen. Dagegen war in denvergangenen Tagen in Berlin vermutetworden, dass sich de Maizire zuallererstfr die Stimmenthaltung Deutschlandsbei der Abstimmung im UN-Sicherheits-ratzu rechtfertigenhaben wrde.

    Sicher: Die Frage, warum Amerikaner,Franzosen undBritenLuftangriffe inLi-

    byen iegen und die Deutschen abseits-stehen, lsst sich nicht einfach beiseite-schieben. Und wer bei de Maizire genauhinhrt, knnte durchaus den Eindruckgewinnen, dass er persnlich anders ent-schieden htte. Der CDU-Politiker istaberlangegenugim Geschft,um alsKa-binettsmitglied die Reg ierungslinie of-

    fensiv zu vertreten: In Libyen sei mannicht mit dabei. Aber ein anderes Malwerdees ebenanderssein.DieseHaltung,so der Verteidigungsminister, lsst sichseit Jahren am Einsatz der BundeswehrinAfghanistanablesen.Im brigengelte:Zwischen Bob Gates und mir gibt esnicht denHauch einerIrritation.

    Alsoalles gutzwischenBerlinund Wa-shington? Dass sicherlich nicht alles soeinfach ist, wie es de Maizire vor Jour-nalisten darstellt, hatte sich am Mitt-wochabend in Washington gezeigt. Derfrhere Auenminister Joschka Fischerwarim noblenGrandHyattHotelzu Gastbeim American Jewish Committee, demRatder amerikanischen Juden.Mitseinerfrheren Kollegin Madeleine Albrightdiskutierte der Grnen-Politiker berden Konikt in Nordafrika. Entgegen al-len diplomatischen Gepogenheiten ginger die Nachfolger in der Regierung in al-lerffentlichkeitfrontal an:Ichbin ent-setzt ber die deutsche Enthaltung imUN-Sicherheitsrat. Berlin habe durchdiesesVerhaltenEuropaund dieNatoge-spalten.Das wirdber viele Jahrenach-wirken, sagte Fischer. Es sei fatal, dasssichDeutschlandnun in einemLager mitRussland undChina bende.

    Von dieser Lagerbildung will der am-tierende Verteidigungsminister aller-dingsnichtswissen.Am RandeseinerBe-suchstermine in New York und Washing-ton sucht de Maizire mehrmals dasGesprch ber die Stimmungslage in derinternationalen Gemeinschaft. Bisherseien die Erwartungen der Vereinten Na-tionen an Deutschland hher als die Be-

    reitschaft in Deutschland, diesen gerechtzuwerden.Ihmseibewusst,dassDeutsch-land auf lange Sicht weltweit mehr Ver-antwortung tragen msse. Das sehe ichalspolitischeFhrungsaufgabeeiner Re-gierung an. Als eine Antwort auf diesegestiegene Erwartungshaltung sei auchderUmbauderBundeswehrzu verstehen:Knftig sollen bis zu 10000 Soldaten zurgleichen Zeit an internationalen Missio-nenteilnehmenknnen.Bisher stoeseinRessort schon bei 7000 Soldaten an dieGrenzen der Leistungsfhigkeit. DieseAufstockung sei aber nur eine organisa-torische Manahme: Die politische undgeistige Antwort muss in der deutschenDiskussion erst noch gefunden und gege-benwerden.Auch dieseBemerkunglsstsich als Andeutung verstehen: Als Prsi-diumsmitglied des Evangelischen Kir-chentages erkennt de Maizire in der Mi-litrpolitikmehr alseine praktischeAuf-gabe.

    Aus diesem Grund plant er AnfangJuni einen weiteren Antrittsbesuch: AlsneuerChefdesRessortsVerteidigungdis-kutierter aufdem 33.DeutschenEvange-lischenKirchentagin Dresden mitPrsesNikolaus Schneider. Thema: Wie einChrist Friedensethik und Verteidigungs-politikzusa mmenbringt.

    Von Stefan Koch

    Bndnistreu trotz Libyen: Verteidigungsminister de Maizire auf schwieriger Mission an der amerikanischen Ostkste

    Keine Irritationen: De Maizire, Kollege Gates in Washington. dpa

    Karol der Groe

    Rom. Habt keine Angst!, rufen Rmi-sches Pilgerwerk und VizebrgermeisterMauroCutrufo allenzu,die sichnachRomaufmachen wollen. Sie sollen sich nichtdarumkmmern,dassdie Medien frdie-sen 1. Mai einen heillosen Massenandrangverkndet haben: Kommt nur! Wir neh-

    men alle auf. Rom hat Platz f r jeden!Der Ruf gilt den Hunderttausenden Pil-gern, die Rom zur Feier der Seligspre-chung von Johannes Paul II., des polni-schen Papstes, an diesem Sonntag erwar-tet.Den paarHundert tunesischenFlcht-lingen, die hier gestrandet sind, gilt dasnicht. Rechtzeitig zum Fest will Brger-meister Gianni Alemanno sie alle wegge-schafft haben.Sie knntendas Bildstren,und sie bringen auch nichts im Gegen-satz zu ordentlichen Pilgern und Touris-ten, von denen jeder durchschnittlich 390Euro in Rom lsst, fr Kost, Logis undSouvenirs.

    EigensfrdasgroeFestist dieViadel-laConciliazionefrischgepastert worden,jene berhmte Prachtstrae, die schnur-gerade auf den Vatikanzufhrt. Im Petersdomselbst laufen die Umbau-arbeitennoch.Aus derSe-bastianskapelle, gleichlinks neben Michelange-los weltberhmter Piet,hat der Selige Papst Inno-zenz XI. ausziehen ms-sen.

    Anstelle seines Sargessoll jetzt der marmorne

    Sarkophag von JohannesPaul II. hier seinen Platznden. Schlielich ehrtdiekatholische Kirchemitdieser Seligsprechung ei-nen ihrer grten Shnedes20.Jahrhunderts undeinen ihrer umstrittens-ten.

    Wer diesen Papst, derals Karol Wojtyla 1920 impolnischen Wadowice ge-boren wurde, nicht nur ehren, sondernauch verstehen will, der muss die Ge-schichte von Nova Huta kennen. In denfnfziger Jahren wollten Polens kommu-nistische Machthaber dort, bei Krakau,eine sozialistische Musterstadt aus demBoden stampfen. Ein sozialistisches Para-diesfr denneuen Menschen natrlichohne Kirche. Die ersten Bewohner NovaHutas, fromme Arbeiter, errichteten aberaufeigeneFaustein hohesHolzkreuz.Lautfordertensie denBaueines Gotteshausesund Wojtyla, der junge Erzbischof vonKrakau, stellte sich an i hre Spitze.

    ImmerwiederrolltenMaschinenan, umdas Holzkreuz niederzureien, immerwieder stellten sich Arbeiter wie ein le-bender Schutzwall darum. Jahr fr Jahr

    feierte Wojtyla dort die Christmette mitTausenden unter freiem Himmel, unterden Sternen, wie das Jesuskind. Nach 20Jahren des Widerstands konnte er 1977endlich eine Kirche weihen. Wie ein Sie-geszeichen steht die Arche inmitten derPlattenbauten. Der modernste Bau derStadt und Hort 2000-jhriger Tradition.

    Im Jahr darauf wurde Wojtyla Papst.Dass er jetzt, nur sechs Jahre nach seinemTod, im schnellsten Seligsprechungsver-fahrenderNeuzeitzumSeligen erhobenwird, passt zu seinem Pontikat, das vonSuperlativen geprgt war. Er war der ers-te nichtitalienische Papst seit 455 Jahren.Der erste Slawe auf dem Stuhl Petri. Beimehr als 100 Reisen bekamen ihn Millio-nen Glubige zu Gesicht. Vermutlich gabesnie einePerson,die mehrMenschenper-snlich erlebt haben. In Manila feierte dercharismatischePontifex1995mitvier Mil-lionen Menschen die Messe die grteVersammlung in der Geschichte derMenschheit. Erbetratals ersterPapsteineevangelische Kirche. Eine Moschee. EineSynagoge.

    Besonders zumJudentumschluger Br-cken vielleicht, weil er, anders als diemeisten seiner Vorgnger, Juden nicht nuraus der Bibel kannte, sondern auch vom

    Fuballplatz.In Wadowice,wo erals Sohneines Schneiders aufwuchs, spielte derkleine Karol oft als Torwart im jdischenTeam mit. Spter, unter der deutschen Be-

    satzung, studierte er im Untergrund,mussteals ZwangsarbeiterineinemStein-bruchschuften.Undnachdem Kriegstander als Priester, Philosophieprofessor undBischof permanent im Widerspruch zurkommunistischen Fhrung. Unbeugsam-keit lehrte ihn das Leben, eine trotzigeSouvernitt und dass nichts ihn vondem Kurs abbringen durfte, den sein in-nerer Kompass ihm vorgab.

    Wohl auchdeshalbwurdedas Pontikatvon Johannes Paul II. so etwas wie derKulturkampf von Nova Huta im Groen.Fr ihn sollte die Kirche ruhig im Wider-spruch zur Welt stehen. Nicht mehrheits-fhig sollte sie sein, sondern unbequem,kmpferisch und opferbereit. Nicht Bei-fallsuchen, sondernWahrheit.Dasser sei-ner religisen Mission so unbeirrbar folg-te, vernderte die Welt: Sein Beitrag zumFall des Kommunismus im katholischenPolen und ganz Osteuropa kann kaumberschtzt werden.

    Oft hat man ihn daher als politischenPapst bezeichnet; Hans-Dietrich Gen-scher hlt ihn fr einen der fnf grtenStaatsmnnerdes 20.Jahrhunderts. DochwennPolitikdieKunst desKompromisses

    ist, war er der unpoli-tischste Papst, der sichdenken lsst. Denn zuZugestndnissen war erselten bereit nicht ge-genber den Kommunis-ten, doch auch nicht ge-genber dem Westen,dessen vermeintlichenHedonismus und Mate-rialismus er nicht mindergeielte. Geburtenkon-

    trolle, Homosexualitt,Zlibat besonders dieliberalen deutschen Ka-tholiken stie er mit sei-nen konservativen Posi-tionen vor den Kopf.

    Derselbe Papst, der imJahr2000einhistorischesSchuldbekenntnis zu In-quisition und Glaubens-kriegen ablegte, der denKoran ksste und den

    Dialog mit Kirchenfernen pegte, konntenach innen sehr autoritr sein. Mit heili-gem Eifer kmpfte er fr Freiheit in derWelt, doch in der Kirche kanzelte er libe-rale Theologen ab etwa linke Priester inLateinamerika: Er hat die Armen dortregelrecht verraten, moniert daher derKatholik Heiner Geiler, der einen inter-nationalen Appell gegen die Seligspre-chung von oben untersttzt. Andere kri-tisieren, Johannes Paul II. habe zu langeseine schtzende Hand ber Mnner wieden mexikanischen Priester Marcial Ma-ciel Degollado gehalten, den Grnder dererzkonservativen Legionre Christi, derangehendePriesterund seineeigenenKin-der sexuell missbraucht hatte.

    Doch dass vieles an diesem Papst heute

    so widersprchlich wirkt, so faszinierendund zugleich befremdlich, liegt wohl auchdaran, dass sein geistlicher Kompass denmeisten Menschen heute so fremd gewor-den ist. Dass jemand fr konservative Fa-milienwerte und zugleich fr die Ent-schuldung der Dritten Welt kmpft, dassjemand ebenso vehement gegen Abtrei-bungen wie gegen Todesstrafe oder denKrieg im Irak zu Felde zieht, sprengt dasgngige politische Lagerdenken. Er selbsthtte all diese scheinbaren Widersprchewohl auf eine gemeinsame Wurzel in sei-nem Menschenbild zurckgefhrt: DerMensch ist ein Wesen, dessen einzig ange-messene Dimension die Liebe ist, schrieber in einem seiner Bcher.

    Am berzeugendsten lebte er selbst dieswohl in den Monaten vor seinem Tod vor.Als zitternder, nuschelnder Greis zeigte ersichder ffentlichkeit.Einer Gesellschaft,die Krankheit und Tod am liebsten aus-blendet, machte er auf bewegende Weisevor, dass Wrde keine Frage der Fitnessist. Seine strksten Auftritte hatte er inder Phase seiner grten Schwche. Blut-proben, die ihm damals in der Klinik ent-nommen wurden, will der Vatikan amSonntag in Ampullen den Glubigen pr-sentieren.Diese Blutreliquiendes 21.Jahr-

    hunderts sind Produkte moderner Medi-zin und uralter Glaubensvorstellungen.Irgendwiepasstdas zurErinnerungan ei-nen konservativen Revolutionr.

    Von Simon Benne

    und Paul Kreiner

    Rom erwartet Hunderttausende zur Seligsprechung von Johannes Paul II. doch die Geister scheiden sich an dem Papst, der alle Mastbe sprengt

    Wahlkampf oder Kirchenfest? Papst-Johannes-Paul-Plakate sumen in den Tagen vor der Seligsprechung alle Wege in Rom, auch die zum Kolosseum. rtr

    Unspektakulr, aber innig fromm verehrt

    Rom. Sechs Jahre nach seinem Tod,sechs Jahre nach den Santo Subito-Ru-fen auf dem Petersplatz wird JohannesPaul II. nun also seliggesprochen. Santoist das zwar immer noch nicht; der Papstund seine glubigen Anhngermassenmssen sich mit dem Titel Beato zufrie-

    dengeben. Aber das Erklimmen der letz-tenStufe,der formelleSchrittvonder kir-chenamtlich festgestellten Seligkeit zurHeiligkeit, das ist nur eine Frage der Zeit;in Polen hat man, im Vatikan lsst mandaran keinen Zweifel.

    Dabei stellt die Selig- oder Heiligspre-chung kein historisches Urteil ber Lebenund Werk der betreffenden Person dar.Kardinal Angelo Amato, der Prfekt derHeiligenkongregation, sagt ausdrcklich,zur Seligsprechung Johannes Pauls II. seiman nicht gelangt aufgrund des Einus-ses, den sein Pontikat auf die Kirchenge-schichte hatte, sondern aufgrund der Tu-genden von Glaube, Hoffnung und Liebe,die Karol Wojtylas Leben ausgezeichnethaben.

    Wird am Sonntag also der Mensch Ka-rol Jozef Wojtyla seliggesprochen? Nichtder Papst Johannes Paul II.? Aber lassensich die beiden, wenn es denn zwei waren,berhaupt voneinander trennen?

    Es gehrt zu den heikelsten, theolo-gisch-systematisch nie geklrten Fragenbei der Seligsprechung ffentlicher Per-snlichkeiten, wie historische Amtsaus-bung und persnliches Glaubensleben inihrem Zusammenspiel zu bewerten sind.Kann der Papst den heroischen Tugend-

    grad als letztes Prfsiegel fr Seligspre-chung beispielsweise einem Menschenverleihen, der zwar die Kardinaltugendenvon Glaube, Hoffnung und Liebe in per-

    snlichherausragender,vorbildlicherWei-se gelebt, bei der Amtsausbung aber his-torisch-politisch versagt hat?

    Bei Johannes Paul II. hatte Rom ein Be-urteilungskriteriumander Hand,mitdemman sich alle spitzndigen Abwgungenersparen konnte: die fama sanctitatis.Der Ruf der Heiligkeit, den ein Menschim glubigen Volk geniet, zhlt zu denunerlsslichen Voraussetzungen fr denBeginn jedes Verfahrens. Bei JohannesPaul II. sei es dieser einhellige sensus -dei gewesen,der GlaubenssinnallerGe-tauften, derdie KirchezurzgigenSelig-sprechung geradezu gedrngt habe, sagtKardinal Amato.

    Dieser Glaubenssinn hat sich demnachnicht nur in den Santo Subito-Fahnenauf dem Petersplatz manifestiert, er tutdas weiterhin in den mehreren TausendMenschen jeden Alters, die tglich dasGrab Johannes Pauls II. besuchen und ihn

    dort vllig unspektakulr, aber so weitman das feststellen kann sehr innigfromm verehren. So schreibt es ein ande-rer rmischer Kardinal in einer privaten

    E-Mail, und er fgt hinzu: Das ist esauch, was mich selbst am meisten ber-zeugt bei dieser Seligsprechung, nicht ir-gendwelche Wunder oder dergleichen.Diese Verehrung muss man gesehen ha-ben, um zu denken, dass da doch weitmehr dahinter ist als momentane Modeoder gar kirchenpolitische Absicht.

    Zwei Konzepte von Heiligkeit bestehenin der katholischen Kirche. Das eine istdie steile theologische Beschreibung ausdem Dogmatik-Lehrbuch, nach der Hei-ligkeit das Wesen Gottes als solches, sei-ne unendliche Erhabenheit und Herrlich-keit beschreibt, an der alle Christendurch die Taufe teilhaben, die aber vonEinzelnen mehr, von den meisten wenigerverwirklicht wird. Das glubige Auf-schauen zu denen, die Gott demnach n-her sind, bringt in dieser Konzeption denAufrufzur ttigenNachahmungmit sichwobei die Vorbilder so zahlreich sind und

    so unterschiedlichen geschichtlichen Si-tuationen entstammen, dass selbst Bene-diktXVI. zugibt,er knne nichtmit allendiesen Leitsternen etwas anfangen.

    Die zweite Konzeption ist eine umge-kehrte, aber viel volkstmlichere: Da er-wartet nicht der Heilige etwas vom Men-schen, sondern der Mensch etwas vomHeiligen Hilfe inallenLebenslagenodergarein Wunder.Esgibtdie Schutzpatro-ne fr Stdte oder Berufsgruppen, esgibt die Nothelfer, in denen so etwaswie der antike Gtterhimmel wieder auf-

    leuchtet, wo ein Heiliger zustndig istfrs Bauchweh, der nchste fr die ver-schwundene Brieftasche, die bernchstefr leibliche Fruchtbarkeit. Heilige diesesTyps werden nicht nachgeahmt; an dieStellemoralischen Verhaltens trittVereh-rung je strker, umso wirksamer. Gera-de in Sditalien,wo Heiligenfeste pomp-ser begangen werden als jedes frs See-lenheil bedeutsamere Glaubensfest, kur-siert die Idee, man knne einen Heiligendurch ppige Verehrung zu einer Wohltatregelrecht zwingen. Und Heilige, das sinddannkeineFrsprecherbei Gott, sondernfast wichtiger, auf jeden Fall greifbarerals dieser selbst.

    Eine solche Verehrung verlangt dannauch nach Gegenstnden, mit denen mandesHeiligenhabhaft werdenkann. Bilder,Ideen, Predigten reichen nicht. berrestehingegenhaltenden Wundertterfest;Re-liquien, weit verstreut, vervielfachen dieGnadenorte. Das ist seit dem kirchlichenAltertum so. Stanislaw Dziwisz war derPrivatsekretr Karol Wojtylas ber 39Jahre hinweg. Klammheimlich hat derheutige Erzbischof von Krakau jene Sou-tane zur Seite gerumt, in der den Papstdie lebensgefhrlichen Schsse des 13.Mai 1981 trafen. Bei Wojtyla zeigt sich,

    wie zh sich solche frommen Verdingli-chungen von Heiligkeit halten geradebeijenerPerson,diedas amwenigstenn-tig htte.

    Von Paul Kreiner

    Ruf der Heiligkeit: Besucher am Wojtyla-Denkmal in Wadowice und 1997 bei der Papstmesse inBrasilia. dpa/afp

    Stadt im Ausnahmezustand:Sprengstoffhunde schnffelnrund um den Petersdom. dpa

    Blick in die ZeitNR.99 FREITAG,29. APRIL 2011 3HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG

  • 7/16/2019 Hannoversche Allgemeine Zeitung 20110429

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    B l i c k p u n kT S y r i e n

    Damaskus triumphiert: UN bleiben unttig

    New York/Damaskus. Die Europersind mit ihrem Vorsto fr eine Verur-teilungSyrienswegender Gewalt gegenfriedliche Demonstranten im UN-Si-cherheitsrat gescheitert. Ein von Deut-schen, Briten, Franzosen und Portugie-seneingebrachterEntwurffr eineoffi-zielle Erklrung fand nicht die Zustim-mung des 15-Lnder-Gremiums.

    Syriens UN-Botschafter Bashir Jaa-faritriumphierte: DerVorstoder Euro-

    per sei nichts als Propaganda, sagteer.Ohnedie bereinkunftallerMitglie-derdes UN-Sicherheitsratsklagtenein-zelne Lnder das Assad-Regime an. DieUSA und Europer sprachen sich frSanktionen aus, Frankreichs Auenmi-nister Alain Jupp hatte schon zuvor in

    Paris die Mglichkeit von EU-Sanktio-nengegenSyrienerwogen.

    Dagegen weigerten sich die UN-Bot-schafter von Russland und China, dieEreignisse in Syrien als Bedrohung desinternationalen F riedens anzuerkennenund Strafmanahmen in Betracht zuziehen.Moskauund Pekingappelliertenan Damaskus, die Krise so bald wiemglichdurch Gesprchebeizulegen.

    Die Bundesregierung forderte die sy-rische Fhrung auf, umgehend die Ge-walt gegenfriedliche Demonstranten zustoppen. Sonst seien Sanktionen u nver-

    meidbar, sagte BundesauenministerGuido Westerwelle in Berlin. Wir wer-den unseren Beitrag leisten, dass auchder UN-Sicherheitsrat klare Positioneneinnimmt. Beider EuropischenUnionsindin derDebatteum SanktionenalleOptionenauf demTisch,sagteder Spre-

    cher der EU-Auenbeauftragten Cathe-rine Ashton. Dem Vernehmen nach gehtesum Reisebeschrnkungenfr Verant-wortliche des syrischen Regimes sowiedas Einfrieren von syrischen Verm-genswerten.

    Die syrischen Streitkrfte haben un-terdessen Berichte ber eine angeblicheMeuterei in der Ar mee dementiert. Die-se Falschmeldungen sollten das Anse-hen der Sicherheitskrfte beschdigen,erklrte ein Armeesprecher. Regime-gegner hatten berichtet, etliche Offizie-re htten sich geweigert, in der belager-

    ten Stadt Daraa auf Demonstranten zuschieen. Einige vonihnenseiendarauf-hin von Angehrigen der regimetreuenRepublikanischen Garden wegen Be-fehlsverweigerung erschossen worden.In einem am Donnerstag verffentlich-ten Video, das Aktivisten aus Daraa

    schmuggeln konnten, sind junge De-monstranten zu sehen, die rufen: Wirhaben keine Angst, die Armee steht aufunserer Seite. Die syrische Exil-Oppo-sition meldete auerdem, bislang seien203Mitgliederaus derBaath-Parteiaus-getreten. Sie protestierten damit gegendie Gewalt der Sicherheitskrfte gegendie Demonstranten.

    In Duma bei Damaskus wurden inden vergangenen Tagen nach Angabensyrischer Aktivisten zehn rzte festge-nommen, weil sie verletzte Demons-trantenim Krankenhausbehandelthat-

    ten. Die Apotheken in Duma seien ge-schlossen worden. Das Stromnetz unddas Mobilfunknetz wurden unterbro-chen. Aktivisten berichteten, in denvergangenenTagen seienin DumaHun-derte von jungen Mnnern festgenom-men worden. dpa

    Von Johnny A bo undA nne -bAtrice clAsmAnn

    Sicherheitsrat lehnt Verurteilung des Landes ab / Offenbar auch meuternde Soldaten erschossen

    Auch die Sicherheitskrfte haben Verluste: Mili-trpolizisten tragen am Donnerstag den Sarg ei-nes getteten Kameraden. afp

    Terror in der Touristenstadt

    Marrakesch.Gegen 11.30 Uhr verwan-delt sich der berhmte Marktplatz dermarokkanischen Touristenstadt Marra-kesch in eine Hlle: Eine schwere Explo-sion erschttert den weltberhmten Dje-maa-el-Fna, den riesigen Platz, auf demsich gerade Hunderte europische Tou-risten aufhalten. Die Menschen rennen

    schreiend und in Panik in alle Richtun-gen. Blutberstrmte Verletzte liegen a mBoden, rufen um Hilfe.

    Die Bombe ging im beliebten Kaffee-haus Argana hoch, das in vielen Reise-fhrern wegen seiner schnen Aussichtber den orientalischen Platz empfohlenundauchvon Einheimischen gern aufge-sucht wird. Es war voll besetzt, als derSprengsatz, der mglicherweise von ei-nemSelbstmordattenttergezndetwur-de, hochging. Die marokkanische Regie-rungbesttigtam Abend,dass essich umeinen kriminellen Akt, um einen Ter-roranschlag, handelt. Augenzeugen sa-gen, kurz vor der Explosion habe einMannmiteiner Taschedas Kaffeehausbetreten.

    Am Donnerstagabend ist die Zahl derToten noch immer nicht ganz klar. Ma-rokkanische rzte sprechen von mindes-tens 18 Toten. Etwa 20 Menschen sollenbei dem Anschlag verletzt worden sein,vielevonihnen schwer.UnterdenOpfernsollen auch Urlauber verschiedener Na-tionalitten sein.

    Das zweistckige Caf wurde vlligzerstrt. Von der groen Terrasse im ers-ten Stock, von dem man den schnstenBlick ber das malerische Treiben auf

    dem Platz hatte, ist nicht viel brig ge-blieben. Ein Teil der Fassade wurdedurch die Druckwelle weggesprengt, dasVordach strzte ein, innen brach Feueraus. Feuerwehrleute und Polizisten su-chen zwischen den Trmmern nach Op-fern und Spuren. Zwischen umgestrz-ten Korbsthlen und Tischen sieht manBlutlachen, Schuhe liegen verstreut amBoden, zerfetzte Kleidungsstcke, einRucksack.

    Ein Augenzeuge berichtete im briti-schen Sender BBC: Leute hatten Feuer-lscher in der Hand, versuchten, dieFlammen zulschen.AnderezogenMen-schen aus dem Gebude heraus es warschrecklich.

    TausendeMenschendrngelnsich nor-malerweise auf dem gigantischen mittel-alterlichen Djemaa-el-Fna-Platz. Er ge-hrt zum Weltkulturerbe und ist eine derHauptattraktionender KnigsstadtMar-rakesch, in der mehr als eine MillionMenschen leben. Schlangenbeschwrer,Gaukler, Feuerschlucker und jede MengeBasarstnde verbreiten hier normaler-weise ein fast mrchenhaftes Flair. Infrheren Jahrhunderten fanden auf demPlatz die Hinrichtungen statt. Jetzt ste-hen verstrte Menschen hinter der Poli-

    zeiabsperrung. Einigeberichtenmit blei-chem Gesicht, was sie gesehen oder ge-hrt haben: Es gab viel Rauch, Trm-merteile elen vom Himmel.

    Ein Selbstmordattentter ttet im marokkanischen Marrakesch zahlreiche Menschen

    Offenbar Auslnder im Visier: Das berhmte Caf Argana wurde schwer getroffen. rtr

    TUI reagiertruhig auf den

    Anschlag

    Hannover. Die deutschen Reiseveran-stalter haben gestern zunchst abwar-tendaufdie Terrorberichteaus Marokkoreagiert. Besondere Manahmen zu-gunsten der Touristen im Land wurdennicht ergriffen. Ob Deutsche unter denOpfern des Anschlags in Marrakeschsind, war zunchst unklar. Die Sicher-heitslage schtzen nicht wir ein, sagteTUI-Sprecherin Anja Braun am Abend.Richtwert fr das Unternehmen seiendie Sicherheitshinweise des Auswrti-genAmtes. Unddas hatte Marokko-Rei-sendenin einererstenReaktionnur emp-fohlen,dieNachrichtenlage indem nord-westafrikanischenStaataufmerksamzuverfolgen und den Weisungen der rtli-chen Sicherheitsbehrden Folge zu leis-ten.DiedeutscheBotschaft in Marokkoversuche mit Hochdruck, Informationenberdas Attentat zu erhalten,sagte eineSprecherin auf Anfrage. Wie viele Deut-sche sich aktuell in Marokko aufhalten,seinichtbekannt.

    Touristisches Hauptziel in Marokkoist die Hafenstadt Agadir mit ihrenStrnden am Atlantik. Marrakesch, dasknapp250Kilometernordstlichder Ur-lauberhochburg im Zentrum des Landes

    liegt, fahren die Reiseveranstalter meistnur fr Tagesausge und bei Rundrei-sen an. In dieser Hinsicht konnte Tho-mas-Cook-Sprecher Mathias Brandesgestern Abend Entwarnung geben. DieUrlauber, die mit seinem Unternehmengestern zum Sightseeing mit dem Busvon Agadir nach Marrakesch gefahrenwaren, seien alle wohlbehalten zurck-gekehrt, sagte er. Bisher htten die Tou-risten ruhig auf die Vorkommnisse rea-giert vonPanik keineSpur.

    Von bereits gebuchten Reisen nachMarokko knnen Urlauber trotz des At-tentates nicht zurcktreten. Bevor dasAuswrtige Amt seine Reise- und Si-cherheitswarnungen nicht grundlegendndere, wrden die allgemeinen Reise-bedingungengelten,hie es beiden Ver-anstaltern.

    Generell gilt Marokko als kleinerMarkt im deutschen Tourismus. DasLand ist nicht unter den Top Ten derReiseziele,sagteTUI-SprecherinBraun.BeiFranzosensei derafrikanischeStaatdagegen sehr beliebt als Reiseziel.Hauptreisezeit nach Angaben der TUIist die Wintersaison, die in diesen Tagenzu Ende gehe. Im Sommer wird es imLandesinneren bis zu 50 Grad Celsius

    hei. Strkster Reisemonat war derMrz, sagteBraun.

    u n u n d g a d d a f i

    Strzen und sttzen

    Es sieht, weltpolitisch betrachtet, nichtgut aus fr die syrische Opposition.Die Staatengemeinschaft ist noch nicht

    einmal in der Lage, im Sicherheitsrat der

    Vereinten Nationen eine Resolution mit

    Sanktionsandrohungen gegen das Re-

    gime in Damaskus zu verabschieden. Das

    zeigt vor allem eines: Die Sicherheitsrats-

    mitglieder Russland und China wollen

    den syrischen Diktator nicht nur nicht

    strzen sie wollen ihn sttzen. Beide

    Staaten wollen jede Einmischung in denKonflikt verhindern; und beide Staaten

    frchten, im Nahen Osten mit Syrien eine

    berechenbare Gre zu verlieren.

    Anfangs hatten Russen und Chinesen

    jene Resolution gegen Libyen noch zh-

    neknirschendpassierenlassen,die denAl-

    liierten ein militrisches Eingreifen zu

    Gunsten der Zivilbevlkerung erlaubt.

    Doch die Luftangriffe etwa auf Broge-

    bude Gaddafis in Tripolis gingen ihnen

    zu weit. Jetzt geben Moskau und Peking

    Assad in Damaskus letztlich freie Hand.

    Amerikaner und Europer haben in New

    York eine schmerzliche Niederlage einste-

    cken mssen, die bereits vor den Beratun-

    gen ber den Resolutionstext absehbar

    war. Das Geschehen im UN-Hauptquartier

    am Hudson River schwcht damit die op-

    positionellen Krfte in Syrien ganz erheb-

    lich.

    Bundesauenminister Guido Wester-

    welle hat vor wenigen Tagen davon ge-

    sprochen, dass Syrien nicht Libyen sei

    und mageschneiderte Lsungen fr je-

    deseinzelneLand angekndigt.Es scheint

    indes, als wolle dies dem Auenministernach der verkorksten deutschen Politik im

    Libyen-Konflikt auch im Falle Syriens nicht

    so recht gelingen. Es ist jetzt das Mindes-

    te, sich innerhalb der EU auf Sanktionen

    und weitere unmissverstndliche Signale

    an Damaskus zu verstndigen. Es darf kei-

    nen Zweifel geben, dass jedenfalls Europa

    an der Seite der nach Freiheit strebenden

    Krfte steht. Christian holzgreve

    Z u r p e r S o n

    Jimmy Carter, frhe-rer US-Prsident,hatam Donnerstag sei-nen Besuch in Nord-korea beendet. DienordkoreanischeNachrichtenagenturKCNA machte in ih-rer kurzen Meldungallerdings keine An-gaben darber, ob

    Carter whrend seines dreitgigen Be-suchs Machthaber Kim Jong-il traf. Derehemalige US-Prsident wollte sich inNordkorea fr bessere Beziehungen zum

    Sden und die nukleare Abrstung ein-setzen. Carter sprach auch die Lebens-mittelkrise in Nordkorea an, die er alsve rh ee re nd b es ch rie b. a fp

    Frieden derPalstinenserirritiert Israel

    Jerusalem. Israel hat nach der Versh-nung der PalstinenserorganisationenHamas und Fatah die Zusammenarbeit

    mit der knftigen palstinensischen Re-gierunginfragegestellt.Sein Landwerdenur dann mit einem neuen Kabinett ko-operieren, wenn die radikalislamischeHamas Israel und die unterzeichnetenVertrge anerkenne und der Gewalt ab-schwre, sagte der israelische Verteidi-gungsminister Ehud Barak am Donners-tag.Mitdem Abkommenwerdeeine roteLinie berschritten, sagte Auenminis-ter Avigdor Lieberman. Es werde zurFreilassung Hunderter Hamas-Terro-risten fhren, die derzeit im Westjor-danland gefangen gehaltenwrden.

    Die bislang verfeindeten Hamas undFatah hatten am Mittwochabend in Kai-ro berraschend ihre Vershnung be-kanntgegeben. Sieeinigtensichauf Neu-wahlen innerhalb eines Jahres sowie dieBildung einer bergangsregierung. DiePalstinenser wollen im September mit-hilfe der Vereinten Nationen im Westjor-danland, im Gazastreifen und im OstteilJerusalems einen unabhngigen Staatausrufen. Sie reagieren damit auf dasScheitern der Friedensgesprche mit Is-rael. Palstinenserprsident MahmudAbbas appellierte andie westlichen Staa-ten, die palstinensische Vershnung zuuntersttzen. Was in Kairo passiert ist,

    istder Schlsselzum Frieden, sagteer.Nach Ansicht von Bundesauenminis-ter Guido Westerwelle kann die HamasfrDeutschlandso langekeinGesprchs-partner sein,wiesiedas ExistenzrechtIs-raels infrage stellt. Dies bleibt fr unsdie Richtschnur. Russland hingegen be-grte die Einigung von Fatah und Ha-mas. Moskau hoffe, dass die Palstinen-ser nach auen nun endlich geschlossenauftrten,hie esaus demAuenministe-rium. Auch Teheran reagierte positiv aufdie Vereinbarung. Dies ist ein positiverSchritt,um diehistorischen Ziele derun-terdrckten palstinensischen Nation zuerreichen,erklrteder iranischeAuen-minister Ali AkbarSalehi.

    Von FArshid motAhAri

    Vershnung von Fatah undHamas eine Gefahr?

    USA erwartenbis zu 30000 Tote

    in LibyenWashington/Bengasi (dpa). Die Zahl

    der Todesopfer beim andauernden Liby-en-Konikt knnte nach Angaben des

    US-Botschafters in dem Land bei bis zu30000 liegen. Die Schtzungen reichtenvon 10000 bis 30000 Toten, sagte der Di-plomat Gene Cretz. Es werde allerdingsschwierig sein, vor Ende der Kmpfe ei-nen konkreteren berblick zu bekom-men. Wir erhalten sogar von Kontakt-leuten in Tripolis und im Westen Be-richte ber Leichen an Strnden, sagteCretz. Wir haben einfach keinen Ein-druck vom Ausma, bis die Sache vorbeiist. Nach Angaben des Botschafters gibtes keine Anzeichen dafr, dass sich dieTruppen des libyschen Machthabers Mu-ammaral-Gadda aneinen selbsterklr-ten Waffenstillstand hielten. Gaddaund seine Henker haben keine Absicht,die Gewalt und das Blutvergieen einzu-stellen.

    Die von der Nato gefhrte Allianz hatnach Angaben der libyschen Aufstndi-schen versehentlich zwlf ihrer Kmpfergettetund 40 verletzt.DieRevolutionreseien bei einem Nato-Luftangriff in Mis-rataumsLeben gekommen,sagteScham-seddin Abdulmola, ein Sprecher des Na-tionalen bergangsrates in Bengasi, amDonnerstag. Im Krieg passieren immerFehler, das lsst sich nur schwer vermei-den, fgte er hinzu. Die Nato ging in ih-

    rem tglichen Einsatzbericht zur Opera-tion in Libyen nicht auf diesen Vorfallein. Der bergangsrat hatte die US-Re-gierunggebeten, auchErdkampfflugzeu-ge des Typs A-10 zu schicken, die wegenihrerprzisenZielfhrungauch iegen-desMaschinengewehrgenanntwerden.

    Den letzten greren Terroranschlaghatte es in Marokko im Mai 2003 in Ca-sablanca gegeben. Damals starben beimehreren Attentaten auf westliche und

    jdische Einrichtungen 45 Menschen,darunter auch fnf Spanier, drei Fran-zosen und ein Italiener. 2007 gab es einerweitere Bombenserie in Casablanca.

    Auf die Drahtzieher des Attentats vonMarrakesch gab es gestern Abend nochkeine konkreten Hinweise. Spekuliertwurde ber das nordafrikanische Ter-

    rornetzwerk Al Qaida im islamischenMaghreb.Politische Islamistenbewegun-gen haben bei der frustrierten Jugendgroen Zulauf.

    dpa

    Von rAlph schulze

    Von sebAstiAn hArFst

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    Politik4 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG FREITAG, 29. APRIL 2011 NR. 99

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    K u r z g e m e l d et

    Ausgebxter Bulle ist zurck

    Vinnen: Der seit Ostermontag im Ems-land gesuchte Bulle ist wieder aufge-taucht. Der schwergewichtige Ausreiersei in der Nacht zum Donnerstag freiwil-lig in seinen Stall zurckgekehrt, teiltePolizeisprecher Achim van Remmerdenmit. Der pechschwarze Jungbulle habesich bereits in der Nacht zuvor auf demheimatlichen Bauernhof in Vinnen auf-gehalten, wie seine Trittspuren verratenhtten. In der nchsten Nacht lie derLandwirtdie Tr zum Bullenstalloffen,berichtete van Remmerden. Um 2.30 Uhrkehrte der Bulle erneut zum Hof zurck

    und konnte durch die geffnete Tr inden Stall gelangen, wo er vom Sohn desLandwirts eingesperrt wurde. hil

    Verfgung gegen PetaHamburg: Das Landgericht Hamburg hatder Tierschutzorganisation Peta verboten,bestimmte, vom Gericht als falsche ue-rungen gewertete Aussagen ber den Pu-teneischvermarkter Heidemark aus Ahl-horn (Landkreis Oldenburg) weiter zu ver-breiten.Das teilteder Anwaltdes Vermark-ters mit. Peta hatte unter anderem Bildervon toten und verletzten Puten aus demStall eines Landwirts verbreitet und lautder Verfgung flschlicherweise behaup-tet, dieser beliefere Heidemark. Bei Wie-derholung drohen 250000 Euro Ordnungs-geld oder bis zu zwei Jahre Haft. Peta kn-digte an, Rechtsmittel einzulegen. nied

    Ekel-Kneipen an den Pranger

    Hannover: Agrarminister Gert Linde-mann will die Ergebnisse von Gaststt-tenkontrollen verffentlichen. Ich mch-te im Prinzip erreichen, dass wir die Er-gebnisse der amtlichen Lebensmittelun-tersuchung mglichst detailliert fr die

    Verbraucher zugnglich machen knnen,sagte der CDU-Politiker am Donnerstagin Hannover. Die Ergebnisse sollten auchmit einem Symbol fr die Verbrauchersichtbar sein. Lindemann erwartet daherbisMitte 2012eine klareKennzeichnungs-regel. Ob man das mit einem Smiley odermit Kochlffeln macht, das ist mir letzt-lich egal. Bund und Lnder beraten der-zeit ber eine solche Kennzeichnung. lni

    Shoppenverboten am

    Tag der Arbeit

    Lingen. Am Tag der Arbeit darf wedergearbeitet noch geshoppt werden dieLingenersollenauf ihrenaufkommenden

    Sonntag, dem 1. Mai, terminierten ver-kaufsoffenen Sonntag verzichten. So hates gestern das Verwaltungsgericht Osna-brck entschieden und damit einer Klagevonver.dientsprochen.Die Gewerkschafthatte sich dagegen gewandt, dass zum so-genannten Kirmessonntag, einem traditi-onsreichen Lingener Festtag am erstenMai-Wochenende eines jeden Jahres, dieInnenstadtgeschfte ffnen sollten. DasGericht hat die Versammlungsfreiheitund das Ruhebedrfnis der Arbeitneh-mer ber die rein wirtschaftlichen Inte-ressen der Einzelhndler gestellt, sagtegestern Anne Preuer von ver.di. Ob al-lerdings die Ladentren am Sonntag tat-schlich geschlossen bleiben, ist nochnicht endgltig ausgemacht: Der Linge-ner Stadtmarketing- und Tourismusver-bandLWThat gestern nochim Eilverfah-ren Beschwerde beim Oberverwaltungs-gericht in Lneburg eingereicht. DessenEntscheidungwird frden heutigenFrei-tag erwartet.

    Das Gericht hat den Imageschaden,den eine kurzfristige Absage der Laden-ffnungam Kirmessonntag nachsichzie-henwrde,nichtausreichendbercksich-tigt, sagt LWT-Geschftsfhrer RomanOtte. Nicht nur die Geschftsleute, son-

    dern auch viele Besucher aus dem Um-landhttensichaufsEinkaufenam 1.Maieingerichtet. Das ist eine Tradition, ander wir mehr als 50 Jahre gearbeitet ha-ben, sagt Otte.

    Das Verwaltungsgericht in Osnabrckhingegen schtzt die besondere Bedeu-tung des 1.Mai fr Gewerkschaften undArbeitnehmer hher ein als reine Er-werbsinteressen oder Brauchtumspege,wie es in dem Beschluss heit. Zudemwerfen die Richter die Frage auf, ob dasniederschsische Ladenffnungsgesetzmit seinen Ausnahmeregelungen fr dasffnungsverbot an Sonn- und Feiertagenmglicherweise verfassungswidrig ist:Das Bundesverfassungsgericht hatte imDezember 2009 den hohen Stellenwertder Arbeitsruhe an Sonn- und Feierta-gen hervorgehoben.

    Eine Sprecherin aus dem zustndigenSozialministerium sagte dazu gestern:Wir sind der Auffassung, dass sich dasniederschsische Gesetz ber Ladenff-nungs- und Verkaufszeiten im verfas-sungsrechtlichen Rahmen bewegt. Esgebe keinen Anlass, das Gesetz zu ber-prfen.

    Von Marina KorMbaKi

    Lingener Hndler greifenGerichtsbeschluss an

    Heide-Hollywood vor dem Aus

    Bendestorf. Hildegard Knef lie hiervor laufender Kamera die Hllen fallen,Zarah Leander sang sich in die Herzender Deutschen, und Jopie Heesters ver-liebte sich in Marika Rkk. Der kleineHeideort Bendestorf im Landkreis Har-burg hat wahrhaft Filmgeschichte ge-schrieben nun sollen dieStudios,in denen FilmewieDieSnderin (1951),AveMaria (1953) oder DieCsardasfrstin (1951) ent-standen, dem Erdbodengleich gemacht werden.

    Der Abriss ist bereitsbeschlossene Sache, sagtBrgermeister Bernd We-gener. Die inzwischen leerstehenden Gebude derBendestorfer Studios seienaus den vierziger Jahrenund inzwischen so marode,dass die Gemeinde mehrereMillionenaufbringenmss-te, um sie in Schuss zu hal-ten. Eine Summe, die lautWegenerin Bendestorfniemand ausgebenwill. Auch der private Eigentmer derStudios, Hans-Joachim Fink, sieht keineZukunft fr den Bendestorfer Film: DieStudios sind veraltet und wurden in ver-gangenerZeitkaumnochgenutzt,der Be-trieb lohnt sich ein fach nicht mehr. Seitmehr als zehn Jahren wird im 2000-See-len-Dorf diskutiert, was aus dem altenHeide-Hollywoodwerden soll. Jetzthatder Gemeinderat beschlossen, dass diedreiStudiohallennochindiesemJahr ab-gerissen werden.

    Dabei ng alles so glnzend an: Die

    Bendestorfer Filmstudios entstanden1947mit Grndungder JungenFilm-Uni-on und galten in der Nachkriegszeit alsdie grten der damaligen Westzone. Biszuletzt wurden hier unzhlige Spiellme,Serienu ndWerbespots produziert.Men-schen in Gottes Hand von Studio-Grn-der Rolf Meyer war der erste Film. Nebenetlichen deutschen Schauspielern haben

    auch internationale Stars wie AnthonyPerkins, Anita Ekstrm, Lionel Hamptonund Vanessa Redgrave in der Nordheidegedreht. Das Aushngeschild der Studiosaber ist Hildegard Knef: Sie wurde hiermit der legendren Nacktszene aus DieSnderin ber Nacht zum Star und be-scherte der jungen Republik ihren erstenFilmskandal.

    Gerade wegen dieser Bedeutung frdendeutschenFilm halteneinige Bendes-torfer nichts vom Abriss. Das Gelndeund die Gebude sind ein Kulturschatzvon nationalem Interesse, sagt Walfried

    Malleskat, Leiter des Bendestorfer Film-museums. Er will einen Verein ins Lebenrufen, der fr den Erhalt kmpft. Nochist nichts zu spt, noch ist das letzte Wortnicht gesprochen, sagt Malleskat. Tat-schlich haben die Bendestorfer noch bisMitteJuniZeit,ihre Bedenkenzu uern.Wir machen eine sogenannte frhzeitigeBrgerbeteiligung, sagt die stellvertre-

    tende Gemeindedirekto-rin Carmen Reddik. Sp-testens abMitteMai wr-den die Entwrfe ffent-lich ausliegen.

    Von Interesse sind da-bei vor allem die Bauvor-haben von EigentmerFink. Etwa 30 Luxus-Wohnungen sollen aufdem 13500-Quadratme-ter-Grundstck entste-hen.Ein Bauunternehmeraus Winsen/Aller ist mitder Planung beauftragt.Die bisherigen Entwrfesehen moderne Mehrpar-teienhuser mit viel Glas,hellen Mauern sowie

    Flach-und Pultdchernvor.EinederStu-diohallen soll teilweise stehen bleiben,um dort das Bendestorfer Filmmuseumunterzubringen.

    Doch auch gegen das millionenschwereBauvorhaben von Fink und Lohmann hatsicheineBrgerinitiativegebildet:Diein-zwischen 600 Mitglieder frchten, dassdie Neubauten zu hoch werden und nichtzum Ortsbild passen knnten. Ein Punktdrfte bei allen Beteiligten jedoch unum-stritten sein: ein Ehrenplatz fr Hilde-gard Knef, der auf dem Studiogelndeentstehen soll.

    Von Sophie hilgenStocK

    In Bendestorf wurde Filmgeschichte geschrieben, jetzt droht den Studios der Abriss

    Sthlerne Titeltrume

    Hemmoor. Irgendwann muss Schlusssein, Horst Ahlf kennt die Naturgesetze.35 Jahre fhrt er nun den Frderverein

    zur Rettung der Schwebefhre Osten-Hemmoor an, er hat ihn selbst gegrndetdamals in seinem Gasthaus. Aber wennSchlussist, dannmit einemKnaller.Ahlfist ein geachteter Mann in Osten, mitSportanglern hat er den Tourismus auf-gebaut, Deutschland verlieh ihm dasBundesverdienstkreuz. Aber ehe er sichzurckzieht, soll der Weg geebnet sein,diese wunderliche Fhre zu wrdigen;Abrissphantasien von Effizienzbrokra-ten wren fr immer ein Ende gesetzt.Die Schwebefhre Osten-Hemmoor imKreis Cuxhaven soll Weltkulturerbewerden. Das ist sein Plan. Gelnge er,Ahlf, 70 Jahre alt, wre ein glcklicherMann. Mehr kann man nicht erreichenim Leben. Ein Knaller eben.

    Wer die Fhre von Weitem sieht, derdenkt zunchst, hier sei wohl eine Br-cke nicht zu Ende gebaut worden. Zweieiserne Trger an jedem Ufer halten eineStahlfachwerkkonstruktion, die waage-recht 38 Meter ber dem Grund liegt.Mehr kommt nicht, links nicht, rechtsnicht, als wre dem Bauherrn das Geldausgegangen. Bis man die Gondel sieht.Gehalten von eisernen Trgern, gleitet

    siewenigeMeterber derOste voneinemUfer zum anderen. Kein Gerusch, nir-gends. Sie schwebt. In Zeitlupe.

    Das Tempo ist natrlich absolut l-cherlich fr moderne Menschen. DieStrecke ist keine 100 Meter lang, aberFhrmann Robert Braune braucht sechsMinuten und 20 Sekunden, um einmalberzuholen. Da haben Passagiere Zeit,jedem Grashalm am Deich Namen zu ge-ben. Manche Fahrgste tragen bei derFahrt ein feines Glck im Gesicht, an-scheinend froh, dass es so etwas Unzeit-gemes wie diese Schwebefhre nochgibt. Braune, im Hauptberuf Schlagzeu-ger, trgt im nahezu ehrenamtlichenDienst wiejederseinerzehn Fhrmanns-

    kollegen vom Frderverein eine eigensangefertigte Uniform. Ein blau-wei ge-streiftes Hemd nach Fischerart, auf demKopf eine Schiffermtze, dazu die roteSchwebefhrenkrawatte, roten Bart und

    roten Zopf trgt Braune von Natur. Gehtes los, drckt er einen schwarzen Knopf,unter dem Quittieren steht, ein eiser-nesRdchensetzt denElektromotor obenim Stahlfachwerk in Gang. Die Fhre istsozusagenauf Autopilotunterwegs, wh-rend Braune kassieren geht, 1,50 Eurovon Erwachsenen. Letztes Jahr fuhren47000 Kunden mit.

    Dass Ostens Schwebefhre nun tat-schlich gute Aussichten auf den Welt-kulturtitel hat, liegt an ihrer besonderenGeschichte.1909wurdesieberdenFlussgebaut, der damals eine wichtige Han-delsstrae war. Imposante Segler mitMasten ber 20 Meter hoch befuhren dieOste, undenkbar also, dort eine niedrigeBrcke hinzusetzen und die Schiffe zubehindern. Die hochgebaute Schwebe-fhre lste nicht nur dieses Problem: Siekonnte auch noch bersetzen, wenn dieFlut wieder so anstieg, dass Hochwassergewhnliche Fhren auf Land gesplthtte, auch Eisgang war kein Hi ndernis.

    Als 1974 wenige Hundert Meter ent-fernt diverseHonoratioreneine neueBr-cke fr Auto-, Rad- und Fuverkehr frei-gaben, wurde die Schwebefhre tags da-

    rauf stillgelegt. Von einer Minute zur an-deren zhlte sie zum alten Eisen,Abrissgedanken kursierten, in Verwal-tungen erkundigte man sich schon nachSchrottpreisen. Horst Ahlf erinnert sich:

    Dann kam dieser verrckte Gastwirtund sagte, das Ding muss stehen blei-ben.

    Es wre aber ein Fehler, die Schwebe-fhrenbewegung zu unterschtzen,gera-de in ihren globalen Dimensionen. In Os-ten will kein einzelner Technikfreak einberkommenes Stck Stahl retten: Spa-niens Knig Juan Carlos ist auf seinerSeite.Ahlf hatein Fotodavon,wie erdemMonarchen bei einem Besuch in dessenPalast die Hand reicht, den Oberkrperkorrekt im 90-Grad-Winkel geneigt.Juan Carlos und Ostens Gastwirt, dassind zwei Mnner mit einem gemeinsa-men Ziel: Die acht weltweiten Schwebe-fhren mit dem Unesco-Welterbestatuszu wrdigen.Bilbao hates geschafft,Os-tens Schwebefhre ist immerhin schonein technisches Baudenkmal.

    Jetzt hofft Ahlf, dass es 2014 so weitsein knnte, ein Fachbro hat alles vor-bereitet fr die Unesco, die Tendenz dortsei positiv. Bald knnte Osten in einerReihe mit dem Klner Dom stehen. Klar,dass diese Ehre dem Tourismus ntzt.Dass Ahlfs Gasthaus direkt vor derSchwebefhre liegt, das passt schon.

    Von gunnar MenKenS

    Ein Verein will die seltene Schwebefhre in Hemmoor zum Weltkulturerbe machen

    Hildegard Knefdrehte in Bendestorf DieSn-derin (l.). Nach dem Abriss erinnert an dieStudios nur noch ein Filmmuseum. NDR/dpa

    Eine seltsame Konstruktion, die ihren Sinn hatte, als die Oste noch eine viel befahrene Wasserstrae war: Selbst Segler mit 20 Meter hohen Masten konnten unter der Schwebefhre passieren.

    Robert Braune (l.) in seiner Fhrmannsuniformund Horst Ahlf vom Frderverein. dpa/Menkens

    Hngepartie in Lneburg

    Lneburg (kw). Die Zukunft des um-strittenen Vizeprsidenten der Leupha-na-Uniin Lneburg,Holm Keller,bleibtweiter unbestimmt. In der Senatssit-zung ist berraschend nicht darberabgestimmt worden, ob Kellers Vertragvorzeitig um acht Jahre verlngert wer-den soll. Dies ist ein groes Anliegenvon Uni-Prsident Sascha Spoun, dersich auf Keller und seine Fhigkeit zumNetzwerkeknpfen sttzt. Beide bildenseit 2006 die Spitze der Universitt undgelten als Marketingexperten.

    Fr die Vertragsverlngerung vonSpoun selbst hatte es Anfang April imSenat eine Mehrheit gegeben, Keller al-lerdings blieb dies versagt. Keller istder wichtigste Mann bei den Planungen

    fr den Bau des neuen Zentralgebudesder Uni, das vom New Yorker Starar-chitekten Daniel Libeskind entworfenwird. Die Grundsteinlegung ist am 8.Mai.GegenKellerbrautsichaber inderUniWiderstandzusammen.Wieaus derSenatssitzung zu erfahren war, hatSpoun inzwischen die Teilung der Stel-le Kellers angeboten. Der bisherige Vi-zeprsident wrde dann nur noch halb-tags beschftigt, die andere halbe Stel-lewrde ausgeschrieben.Aber auchda-fr zeichnete sich im Senat keineMehrheit ab, das Thema wurde auf den18. Mai vertagt. Da Spoun jedoch seineWahl schon angenommen hat, besitzt erkaum noch ein Druckmittel, Keller imSenat durchzusetzen.

    Noch keine Entscheidung ber Vizeprsidenten

    Hannover/Oldenburg (doe). ZuknftigmussLotto NiedersachsenHartz-IV-Emp-fnger von der Teilnahme an seinenOddset-Sportwetten ausschlieen je-denfalls soweit sie im Verhltnis zu ihremEinkommen unverhltnismig hohe Ein-stze platzieren wollen. Die LinksfraktionimLandtagkritisierteam Donnerstageineentsprechende Verfgung des Landge-richts Oldenburg. Beantragt hatte diese

    ein privater Anbieter von Sportwetten mitSitz auf Malta. Zur Begrndung gab derKonkurrent an, Oddset verstoe gegenden Glcksspiel-Staatsvertrag, wonachMenschen mit geringem Einknften vorGlcksspielen geschtzt werden mssen.

    Lotto Niedersachsen kndigte an, denRichterspruch nichthinnehmen zu wollen:Wir werden unsere Rechtsmittel gegenden Beschluss ausschpfen, sagte Lotto-Geschftsfhrer Rolf Stypmann. Der Be-schluss stelle Lotto vor eine unlsbareAufgabe: Das Kassenpersonal knneHartz-IV-Empfnger nicht ohne Weitereserkennen.

    Patrick Humke, sozialpolitischer Spre-cherder Linken,kritisierte: Wenn einpri-vater Wettanbieter auf Malta vorgibt, sichfrden Schutzvonarmenund verschulde-ten Menschen einzusetzen, ist Skepsis an-gebracht. Humke pldiert daher fr eineBeibehaltung des staatlichen Wettmono-pols im Glcksspiel-Staatsvertrag, dasderzeit zur Debatte steht.

    Verbot hoherWetteinstze frHartz-IV-Bezieher

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    NiedersachsenNR.99 FREITAG,29. APRIL 2011 5HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG

  • 7/16/2019 Hannoversche Allgemeine Zeitung 20110429

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    Der Rosenkavalier und die Marketenderin

    Manche Ideeliegtsonahe,dass mansielange bersieht. In diesem Fall brachteKaren Kamensek, die knftige Chefdiri-gentin der hannoverschen Staatsoper,den Einfall mit, bei einer konzertantenOpernauffhrung das Orchester nichtauf die dann spielfreie Bhne zu setzen

    (wiesderBrauchist),sondernim Orches-tergraben zu belassen. Auf der Bhnezeigten sich La Fille du rgiment, ihreMitstreiter und von Zeit zu Zeit dasRegiment, das Marie als Ziehtochteradoptiert hatte.Und DramaturginSylviaRoth, die mit launigen Zwischentextendem Handlungsfaden folgt, auf die origi-nalen Dialoge verzichtet man hier.

    Das Niederschsische Staatsorchesterstellte bei dieser Gelegenheit sein Lichtnicht unter den Scheffel, sondern glnz-

    te. Ob das nun der Trainerwechseleffektwar(man willsichals Spielerdem neuenChef gut prsentieren), ob Donizetti al-len Beteiligten besonders lag oder obeinfach alles passte: Es war ein musika-lischer Spa der Spitzenklasse, der daspazistische Make love, not war zu ei-nem Make laugh, not war erweiterte.

    Das Orchester spielte punktgenau, ge-

    staltete die Stimmungswechsel spiele-rischund folgteseiner designiertenChe-n reaktionssicher. Karen Kamensekhatte alles im Griff, auch den von DanRatiu bestens prparierten Chor, in demdie Frauen handlungsbedingt wenigerzu sagen haben als die Mnner. WennDonizettis pffige Musik manchmalmehr nach Offenbach als nach Italianitklang, dann zeigte das die Richtung an:Diese Opra-comique ist wirklich ko-misch. Aber auch anspruchsvoll.

    Heute wissen viele Opernfreunde vorallem, dass in diesem Stck der Tenoracht hohe Cs zu singen hat und in derRegel am Ende noch ein neuntes anfgt.Sung-Keun Park schiet die tenoralenLeuchtraketenzielsicher abund hltdasletzte C strahlend. Dieses Pour monmeisteine Ariefr Tenremit klarfo-kussierter Stimme, fr den Stimmtypus

    des Rossini-Tenors. Und den hat die hie-sige Staatsoper mit Park zu bieten. Dassder den Tiroler Waldbauernbuben Toniomit jungenhaften Charme spielt, ver-strkt den Effekt im Notfall zckt ereinfach eine Rose.

    Nichtnur damiteroberter NicoleChe-valier, die eine umwerfende Regiments-tochter ist. Chevalier ist keine Zwit-schermaschine, ihr beweglicher Sopranhat auch Wrme. Das musikalische Rol-lenspiel der Gesangs