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hans gugelot die architektur des design

hans gugelot die architektur des design · 2020-03-25 · 10 11 Einleitung Christiane Wachsmann Hans Gugelot: Die Architektur des Design Hans Gugelot war eine prägende Persönlichkeit

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hans gugelot die architektur des design

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Hans Gugelot. Die Architektur des Design

Hans Gugelot Die Architektur des Design

Mit Beiträgen von

Christiane WachsmannWalter ScheiffeleKlaus KlempEva von SeckendorffKatharina KurzMarleen GrasseGwendolyn Kulick

Herausgegeben vom HfG-Archiv/Museum Ulm und Christiane Wachsmann

Katalogbuch zur Ausstellung im HfG-Archiv Ulm, 2020

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Hans Gugelot. Die Architektur des Design

Inhalt

Stefanie Dathe6 Ulmer Moderne

Christiane Wachsmann10 Hans Gugelot Die Architektur des Design

Christiane Wachsmann18 Die Moderne ist kein Stil (aber sie kann einen haben) Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Walter Scheiffele42 Das Möbel-Montagesystem M 125

Klaus Klemp60 Ein Glückskind mit einigen Vätern Die Radio-Phono-Kombination SK 4

Eva von Seckendorff82 „design ist gar nicht lehrbar“ Hans Gugelots Entwicklung als Lehrer

Christiane Wachsmann98 Etwas tun und sich selbst dabei zusehen Hans Gugelot und die Entwicklung eines Berufsstandes

Katharina Kurz und Christiane Wachsmann116 Seitwärts der Avantgarde Malke Gugelot und die Ehefrauen im Kuhberg-Kosmos

Marleen Grasse, Gwendolyn Kulick134 Systeme des Wandels Hans Gugelot und der transkulturelle Austausch des National Institute of Design in Ahmedabad und der HfG Ulm

146 Werkverzeichnis Hans Gugelot156 Lebenslauf Hans Gugelot160 Vorträge und Schriften161 Literaturverzeichnis163 Autorenviten165 Impressum166 DankImpressum

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Einleitung

Christiane WachsmannHans Gugelot: Die Architektur des Design

Hans Gugelot war eine prägende Persönlichkeit für die Hochschule für Gestaltung Ulm. Als er 1965 starb, befand sich die HfG in einer kritischen Phase, von der sie sich nicht mehr erholen sollte – und in der von nun an Gugelots fachliche Kompetenz, seine Bereitschaft zu Vermittlung und Ausgleich wie auch seine persön-liche Verbundenheit mit Dozentenkollegen wie Auftraggebern aus der Industrie fehlen sollten.

Wie wichtig die Hochschule für Hans Gugelot war, wie prägend seine Persönlichkeit umgekehrt für das Zusammenleben und -arbeiten auf dem Ulmer Kuhberg, hat in anderem Zusammenhang sein langjähriger Weggefährte Herbert Lindinger zum Ausdruck gebracht, wenn er zu der „Interaktion von Ideen in Ulm“ schreibt: „Es war geradezu unmöglich in diesem beinahe klösterlichen Zusammenleben auf dem Ulmer Kuhberg, wo Gugelot die wich-tigsten Jahre seines Lebens verbrachte, sich dem Einfluss und der Faszination der Theorien und Arbeiten der anderen zu entziehen.“1

In der Gründungsphase der HfG hatte der enge freundschaftliche Zusammenhalt nicht nur der Gründerfamilien, sondern auch mit Auftraggebern eine entscheidende Rolle für das Gelingen dieses Projektes gespielt. Man arbeitete nicht nur zusammen, man besuchte sich auch gegenseitig, feierte, spielte Canasta und ging gemeinsam auf Reisen. Berufliches und Privates wurde bewusst nicht voneinander getrennt, und die gemeinsamen Erfolge der Endfünfziger Jahre schienen dieser Haltung Recht zu geben. Vor allem in der Zusammenarbeit mit der Firma Braun, bei der insbe-sondere Erwin Braun und Fritz Eichler kontinuierlich im Kontakt

Hans Gugelot mit Herbert Lindinger am Zeichenbrett, 1958. Foto: Wolfgang Siol, © HfG-Archiv/Museum Ulm

mit den „Ulmern“ standen, in deren Verlauf sich die Beteiligten befruchteten und gegenseitig beeinflussten, war prägend für diese gemeinsame Aufbruchszeit – der Hochschule, der Braun AG wie auch der deutschen Gesellschaft im Allgemeinen in diesen Zeiten des Wirtschaftswunders.

Der ganzheitliche Ansatz, der das Erscheinungsbild der Firma Braun auf lange Jahre hinaus bestimmen sollte – durch ihre Geschäftspolitik, ihr visuelles Erscheinungsbild wie auch der innovativen Produktgestaltung –, ist ohne diese enge Bezogen heit der Mitspieler in diesem Drama weder zu verstehen noch wäre er überhaupt entstanden.

Denn zum Drama wurde die Geschichte, als sich die Lebens-wege der Beteiligten auseinander bewegten, die verschworene Gemeinschaft sich seit Ende der 1950er-Jahre aufzulösen begann. Die enge Verzahnung zwischen persönlichen Vorlieben, wirtschaftlichen Interessen und kreativem Austausch ließ sich nicht aufrechterhalten. Neue Mitarbeiter und Beteiligte kamen hinzu, mit eigenen Interessen und Ideen, wirtschaftliche Zwänge sorgten für Konflikte, die der freundschaftlichen Verbundenheit entgegen-standen. Fritz Eichler begann, in Frankfurt die – vor Ort benötigte – eigene Entwicklungsabteilung für die Firma Braun aufzubauen. Aus der Keimzelle der Abteilung Produktform, in der Dozenten und Studenten gemeinsam im Sinne des „learning by doing“ an Aufträgen gearbeitet hatten, entstand in Ulm ein von der Entwick-lungsarbeit getrennter Lehrbetrieb. Die anfängliche gemeinschaft-liche Arbeit brachte nun ganz unterschiedliche Triebe hervor, die sich aus der gemeinsamen Wurzel entwickelten.

Hans Gugelot und seine Mitarbeiter leisteten nach wie vor konzeptionelle Arbeit bei der Entwicklung der Braun-Geräte, waren aber an der täglichen Kleinarbeit nicht mehr beteiligt: In diese Aufgaben wuchs in Frankfurt der Innenarchitekt Dieter Rams hinein. In dieser Übergangsphase entstand das SK 4, das als „Schneewittchensarg“ berühmt gewordene Kombinations-gerät aus Radio und Plattenspieler, über dessen Urheberschaft in letzter Zeit wieder stark diskutiert wird. Liegt das Verdienst, dieses Kultradio der 1960er-Jahre entwickelt zu haben, eher bei der Entwicklungsabteilung der Firma Braun und Dieter Rams? Hat Hans Gugelot die maßgeblichen Ideen beigesteuert, oder ist es vor allem den Vorgaben von Erwin Braun und Fritz Eichler zu verdanken, dass dieses Gerät seine letztgültige Gestalt erhielt?

In die sachliche Diskussion über die verschiedenen Beiträge mischen sich auch immer wieder emotionale „Argumente“, die noch über 60 Jahre nach dem Entstehen des SK 4 zu heftigen Auseinandersetzungen führen – geht es doch nun nicht mehr allein um die Fragen, wer die Idee hatte, die Bedienelemente oben

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Einleitung

anzuordnen, das Blech für den Korpus zu biegen oder den Deckel durchsichtig zu gestalten, sondern ganz allgemein darum, wer für das „Braun-Design“ verantwortlich zeichnete und die Grundlagen für den bis heute darum anhaltenden Kult legte.

Nun haben sich dazu im Braun-Archiv in Kronberg im Jahr 2019 neue Fotos gefunden. Dieses Material wollten wir nicht ignorieren, auch wenn es zeigt, dass wesentliche Vorarbeiten für den SK 4 bereits in der werkseigenen Entwicklungsabteilung geleistet wurden, ehe Hans Gugelot hinzugezogen wurde. Gleich-zeitig wird klar, wie entscheidend sein kompetenter Blick auf den Vorentwurf die endgültige Gestaltung prägte. Wir wollen hier keine Glorifizierung betreiben; es geht uns vielmehr darum, den heutigen Forschungsstand zusammenzufassen und zu dokumentieren. Der Beitrag von Klaus Klemp zu diesem Thema ist vor allem ein Lehr-stück darüber, wie entscheidend und was für ein Glücksfall es ist, wenn alle Beteiligten Hand in Hand zusammenarbeiten.

Nicht weniger verwirrend, dafür aber über einen längeren Zeitraum verteilt, ist die Geschichte des Möbel-Montagesystems M 125. Hier hat Walter Scheiffele ausgezeichnete Recherche-arbeit geleistet. In seinem Artikel zeichnet er die verschiedenen Entwicklungsstufen nach – vom Ein-Mann-Teilzeit-Büro in Zürich, in dem Hans Gugelot das Konzept und erste Entwürfe entwickelte, über die Beteiligung der Wohnbedarf AG, die entscheidende Zäsur durch die Interbau in Berlin 1957 bis zur Übernahme durch die Firma Bofinger und später Ulrich Lodholz.

Frappierend ist, wie früh Hans Gugelot bereits den Montage- Gedanken dieses Systems entwickelte und dann konsequent weiterdachte, bis hin zu einer Verbindungslösung mit Exzentern.

Schrankwand M 125 mit Hund. Der Tisch mit dem Rollschrank gehört ebenfalls zum System, bei den Sesseln handelt es sich um das Modell GS 1076, das Hans Gugelot ebenfalls für Bofinger gestaltete. © Privatarchiv Gugelot

Vieles, was uns heute selbstverständlich erscheint – die platz-sparende Verpackung, die Möglichkeit der Selbstmontage und der flexiblen Planung –, ist in diesem Entwurf schon angedacht. 1974 wurde in Deutschland das erste Ikea-Möbelhaus eröffnet; mit ihm traten diese Überlegungen ihren Siegeszug an. Auch Ingvar Kamprad hatte bereits Mitte der 1950er-Jahre damit begonnen, seine Möbel als Bausatz zu verschicken und seinem Unternehmen ein konsequentes Erscheinungsbild zu geben.2 Wie so vieles, was von Hans Gugelot und Otl Aicher an der HfG gedacht wurde, weist somit auch die Konzeption des M 125 weit über die Zeit seiner Entstehung hinaus bis in unsere Zeit.

Ausgehend von den Recherchen, die die Autorin dieser Einlei-tung gemeinsam mit Andrea Scholtz und Eva von Seckendorff Anfang der 1990er-Jahre zum Unterricht Hans Gugelots unter-nahm und die in der Publikation des – inzwischen vergriffenen – Kataloges „‚design ist gar nicht lehrbar’ – Hans Gugelot und seine Schüler“ mündeten, hat Eva von Seckendorff ihren Artikel aus jenem Band überarbeitet und dem heutigen Stand der Forschung entsprechend aktualisiert. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie eng Unterricht und Entwicklungsarbeit in der frühen HfG-Zeit zusammengehörten – und wie es Hans Gugelot gelang, daraus eine spezifische, vom „learning-by-doing“ geprägte Lehre zu entwickeln.

Ebenfalls auf eine frühere Forschungsarbeit zurück geht der Artikel „Systeme des Wandels – Hans Gugelot und der trans-kulturelle Austausch des National Institute of Design in Ahme-dabad und der HfG Ulm“ von Marleen Grasse und Gwendolyn Kulick. Die Recherchen dazu fanden im Rahmen des Bauhaus Labs 2017 „Between Chairs. Design Pedagogies in Transcultural Dialogue” statt, die Ergebnisse wurden in einer gleichnamigen englisch-sprachigen Publikation veröffentlicht. Die beiden Auto-rinnen, Teilnehmerinnen dieses Projektes, zeigen in ihrem Aufsatz die internationalen Verbindungen auf, die zwischen den Instituti-onen der Moderne existierten. Unter Jawaharlal Nehrus Leitung ging es damals darum, ein ganzes Land in die Moderne zu kata-pultieren und nach dem Vorbild einer westlichen Industriegesell-schaft zu organisieren. Das große Interesse der USA daran zeigte sich unter anderem im Engagement der Ford-Foundation und des Designerpaares Ray und Charles Eames. Bemerkenswerterweise aber wandte man sich für den Aufbau des „National Institute of Design“ (NID) an die Ulmer Hochschule für Gestaltung. Nicht nur Hans Gugelot leistete hier eine wertvolle Starthilfe. Längst hat sich das NID von den westlichen „Entwicklungshilfeprogrammen“ dieser Zeit emanzipiert; der Anteil, den die Ulmer Hochschule an der Gründung hatte, ist dort aber noch immer präsent.

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Einleitung

Mein besonderer Dank gilt Katharina Kurz, die als Volontärin im HfG-Archiv im Jahr 2018 die wegweisende Ausstellung „Gender im Design“ kuratierte und dabei das Augenmerk auf die geschlechterspezifische Rollenverteilung lenkte, die unser aller Leben durchzieht und gerade in einem historischen Kontext wie der HfG-Geschichte einen erfrischend neuen Forschungsansatz erlaubt. Malke Gugelot war eine „Frau an seiner Seite“ im besten Sinne: Sie unterstützte ihren Mann in allen beruflichen Dingen – indem sie ihn versorgte und den Rücken freihielt, ihm bei der Abfassung seiner Vortragstexte assistierte und das Familien leben organisierte. Für einige Monate ging sie im Jahr 1956 auch ihrer eigenen beruflichen Wege: Indem sie als Assistentin von Inge Aicher-Scholl mit dieser zusammen Spendengelder in den USA für die Ulmer Hochschule einwarb. Die Briefe, die sie während des vierwöchigen Aufenthalts in Amerika an ihren Mann schrieb, sind aufschlussreich wegen der persönlichen Beziehung der beiden und stellen einzigartige Dokumente über die Rollenvertei-lung der Geschlechter in dieser Umbruchszeit zwischen Weltkrieg und 1968er-Emanziption dar.

Im Artikel „Etwas tun und sich selbst dabei zusehen: Hans Gugelot und die Entwicklung eines Berufsstandes“ geht die Autorin dem Weg nach, den Hans Gugelot vom Architekten zum Industriedesigner ging und die Erfahrungen, die er in seinen Vorträgen dazu äußerte. Indem er den Vorgang des Entwerfens wie auch andere mit dem Beruf eines Industriedesigners ver bun -dene Tätigkeiten in Worte kleidete, gelang es ihm allen eigenen Zweifeln zum Trotz, ein Stück nachvollziehbare Systematik in den Designprozess zu bringen.

Malke Gugelot mit dem Familienauto, einem Lancia, 1940er-Jahre. © Privatarchiv Gugelot

Aber auch andere entscheidende Aspekte für den Designer-beruf kommen hier zum Vorschein, allen voran die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Markenpolitik immer von der Firmenleitung ausgehen und auch wirklich gelebt werden muss. Gleichzeitig setzte sich Hans Gugelot – wie alle Vertreter der HfG – sehr kritisch mit dem Design als Marketing- und Konsumfaktor aus -einander. Immer wieder ging es ihm darum, Kriterien für eine gute Gestaltung zu entwickeln. Die mögen in den 1950er- und 1960er-Jahren andere gewesen sein als heute. Schon damals aber war es einem kritischen, von der Moderne und der Ulmer Hochschule geprägtem Geist wie ihm klar, dass ein allein am Konsum orientierter Ansatz zu kurz greifen musste. Diese Einsicht ist heute mindestens so aktuell wie zu Lebzeiten Hans Gugelots.

Diese Publikation wäre nie entstanden ohne die Unterstützung und Hilfe zahlreicher Beteiligter. Unser besonderer Dank gilt Professor Herbert Lindinger für seine groß zügige Unterstützung dieses Projektes. Er hat im Vorfeld eine umfangreiche Untersu-chung gerade über die Entstehung des SK 4 unternommen und dabei so wichtige Quellen wie die Äußerungen seines – leider inzwischen verstorbenen – Studien- und Arbeitskollegen Helmut Müller-Kühn erschlossen.

Guus Gugelot hat diese Publikation über seinen Vater in unge-wöhnlicher Weise mitgeprägt: Er hat uns private Fotos und die Korrespondenz seiner Eltern zur Verfügung gestellt, hat in seinen Erinnerungen gekramt und stand uns nicht zuletzt als kompetenter Diskussionspartner in allen Belangen der Hans-Gugelot-Rezeption zur Seite. Nicht zuletzt hat er die gelungene grafische Gestaltung dieses Kataloges übernommen – und ist dafür auf die wunder-bare Idee gekommen, Roman Raacke als Fotografen einzuladen. Roman Raacke, dessen Vater Peter Raacke selbst eine Zeitlang an der HfG unterrichtete, setzt sich in seinen Fotos gekonnt mit den Entwürfen Hans Gugelots im Kontext des HfG-Gebäudes auseinander.

Ich danke der Verlegerin Petra Kiedaisch für ihre Offenheit und die gute Unterstützung unserer Arbeit im HfG-Archiv, Thomas Guttandin vom Braun Archiv in Kronberg für seine freundliche Unterstützung, unseren Volontärinnen Viktoria Heinrich und Jasmin Al-Kuwaiti für die Hilfe bei Recherchen und Umsetzung der Ausstellung. Mein besonderer Dank gilt meinem Kollegen Martin Mäntele für die gute Zusammenarbeit und die konzeptionelle Unterstützung bei diesem Projekt.

1 Herbert Lindinger, Was hat Gugelot bewegt, in: Wichmann, S. 382 s. https://de.wikipedia.org/wiki/IKEA, letzter Aufruf am 22.12.2019

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Hans Gugelot. Die Architektur des Design

Federboden (Matratzen-Unterkonstruktion)

Für den Ausbau der Hochschule für Gestaltung und der dazugehörigen Wohnräume stand nur wenig Geld zur Verfügung. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die Möbel in den hochschuleigenen Werkstätten zu fertigen. Dieser Federboden mit dem dazugehörigen Bettgestell aus Stahl-Halbzeugen zeichnet sich durch spar-samen Materialeinsatz und eine verblüffende Einfachheit der Konstruktion aus. Dank der federnden Eigenschaften der Matratzen-Unterkonstruktion reichte – anstelle der damals üblichen Federkern-Matratzen – eine einfache Schaumstoff-Matratze als Auflage für das Bett.

In der Folgezeit übernahm die Firma Dunlopillo die Herstellung des Federbodens; in einer Weiterentwicklung bestand er nicht mehr aus einer Sperrholzplatte mit eingeschnittenen Dreiecken, sondern aus in den Rahmen gespannten Latten, die durch ein mittig angebrachtes Brett gehalten wurden.

Federboden bei der Vorstellung in der Bibliothek der HfG, 1955. Foto: Ernst Hahn, © HfG-Archiv/Museum Ulm.Personen von links: Tomás Maldonado, Hans Gugelot, Friedrich Vordemberge-Gildewart, Otl Aicher, Max Bill, Günther Schlensag Fe

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Christiane WachsmannDie Moderne ist kein Stil (aber sie kann ihn haben)Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Johan Gugelot, genannt Hans, wurde am 1. April 1920 als zweiter Sohn von Anna Margareta und Pieter Cornelius Gugelot in Makassar auf Celebes (Indonesien) geboren. Pieter Gugelot war Arzt. Es ist wahrscheinlich, dass er aus beruflichen Gründen mit seiner Familie in Indonesien war. Jedenfalls kehrte die Familie spätestens 1927 nach Holland zurück. Hier wurde auch die Schwester Anneke geboren, hier ging Hans zur Grundschule. 1934 zog die Familie in die Schweiz: Der Vater hatte eine Stelle als Oberarzt am Niederländischen Sanatorium in Davos bekommen. Hans Gugelot besuchte dort die Oberrealschule, die er 1940 mit der Maturität abschloss.1

Im selben Jahr begann Hans Gugelot, an der École d’ingénieurs der Universität in Lausanne zu studieren. „ich fühlte mich anfäng-lich vor allem zum flugzeugbau und zum fliegen hingezogen“, berichtete Gugelot in einem Vortrag in Stockholm, in dem er seinen beruflichen Lebensweg schilderte.2 Diesen Versuch gab er bald auf, da seine Französisch-Kenntnisse nicht ausreichten. Europa befand sich in dieser Zeit im Krieg, so dass sich ihm außer halb der Schweiz keine Möglichkeiten für ein solches Studium boten. Gugelot wechselte also nach Zürich an die Eid genössische Technische Hochschule und studierte dort Architektur. Seinen Abschluss machte er im Winter 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Familie Gugelot in Davos. Von links nach rechts: Kees, Pieter, Anna, Hans und Anneke Gugelot © Privatarchiv Gugelot

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Einen Teil seines Studiums verdiente sich Hans Gugelot als Gitarrist in Jazzbands; auch danach nahm er immer wieder Engagements an. Er reiste viel, arbeitete in verschiedenen Architekturbüros, zeitweise auch selbstständig, plante „spezial-wohnungen in mietshäusern (flats)“ und stellte erste Unter-suchungen an zu vorfabrizierten Küchen und Bausystemen.3

Schweizer Moderne

Mit der fortschreitenden Industrialisierung waren auch in der Schweiz immer mehr Menschen in die Städte gezogen. Sie brauchten erschwingliche Wohnungen. In Deutschland hatte der Architekt Ernst May seit 1925 im Zuge des Neuen Frankfurt aus vorgefertigten, genormten Bauteilen in wenigen Jahren 12.000 neue Wohnungen gebaut. In der Schweiz setzte die Siedlung Neubühl bei Zürich hier seit 1930 erste Maßstäbe. Wie in Frank-furt zeigte sich auch in Zürich, dass es für die neuen, gut durch-geplanten Wohnungen auch neuer Möbel bedurfte – weniger raumgreifend, dafür praktisch, rational, unprätentiös und in ihrer Gestalt den schlichten neuen Räumen angepasst. Aus dieser Einsicht heraus wurde 1931 die „Wohnbedarf AG“ gegründet. In enger Zusammenarbeit mit den Entwerfern – zu dieser Zeit waren das in erster Linie Architekten – entwickelte sie Möbel, die dann serienmäßig von der Industrie hergestellt wurden.

Hans Gugelot interessierte sich sehr für diese Moderne. Er lernte den Bauhausschüler Max Bill kennen, der in einem

Hans Gugelot als Jazz-Gitarrist, 1940er-Jahre. © Privatarchiv Gugelot

Hans Gugelot, 1940er-Jahre. © Privatarchiv Gugelot

Interview von 1979 darüber berichtete, wie die beiden zusammen-kamen: „ich habe Gugelot auf eine merkwürdige Weise kennen-gelernt. Ich suchte für mein Büro einen Architekten, der ein biss-chen unkonventionell denkt und sich für andere Dinge ebenfalls inte ressiert, nicht nur für Architektur. Also kein sturer Berufsbüffel. Und dann hat man mir gesagt, da sei einer, der sei sehr nett, das sei ein Holländer und dieser Holländer, der hätte die Architektur nach der Technischen Hochschule aufgegeben, weil er keine befriedigende Arbeit gefunden hätte, weil die Architektur etwas sei, bei der er nicht weiterkäme und er hat damals Jazzgitarre gespielt im Orchester. Man hat mir gesagt, er hätte das für den Lebensunterhalt gemacht und er würde das noch tun. Und dann habe ich gedacht, ach, der könnte vielleicht in Frage kommen. Ich habe mir also diesen Gugelot kommen lassen (…)“ 4

1947 heirateten Hans Gugelot und die Schweizerin Marie-Helène Chuard, genannt Malke.*) Max Bill beschäftigte Hans Gugelot von 1948 an als freien Mitarbeiter. Ermutigt von Max Bill, richtete sich Gugelot gleichzeitig ein eigenes Büro ein, in dem er stundenweise arbeitete und Möbel entwarf. Das erste Modell, das dann auch tatsächlich gefertigt wurde, war ein Fauteuil mit einem bogenförmigen Untergestell, auf dem der Sitz gleiten konnte. „durch diesen sessel bekam ich einen recht guten kontakt zu einer avantgardistischen firma in zürich, die schon im jahre 1933 mit einigen jungen architekten zusammen eine ausstellung fortschritt-licher modelle veranstaltet hat. die firma wohnbedarf in zürich war die erste in der schweiz, die in dieser zeit u.a. breuer- und corbusierstühle zeigte“, erzählte Hans Gugelot.5

Hans und Malke Gugelot (Hans Gugelot und Marie-Helène Chuard), um 1948. © Privatarchiv Gugelot

*) zu Malke Gugelot siehe den Artikel „Seitwärts der Avantgarde“ in diesem Band.

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Schon bei diesem ersten Entwurf, der dann auch hergestellt wurde, zeigte sich Gugelots Interesse an Technik und Konstruktion. Zwar hatten die sprachlichen Schwierigkeiten verhindert, dass er diesen Fähigkeiten in Lausanne direkt nachgehen konnte, doch griff er nun wieder darauf zurück.

Ähnlich verhielt es sich mit einem Möbelsystem, das er in dieser Zeit zu entwickeln begann. Statt sich weiter mit standardisierten Bauteilen für Häuser zu beschäftigen, setzte er nun auf den Möbelbau. Er dachte darüber nach, wie man für die Unterteilung großer Räume vorgefertigte Schrankwände entwerfen könne. Unterstützt von Rudolf Graber, dem Geschäftsführer der Wohn-bedarf, entwickelte er einen ersten Prototypen und erhielt dann den Auftrag, den Entwurf für die Serienfertigung zu entwickeln.

1950 wurde der erste Sohn Guus geboren. In dieser Zeit begann Hans Gugelot für einen Schweizer Architekten zu arbeiten, für den er eine Großgarage, Geschäfts- und Wohnhäuser entwarf und deren Bau ausführte.6

Eine neue Hochschule entsteht

Ebenfalls 1948 bekam Max Bill Besuch von Inge Scholl und Otl Aicher. Die beiden Deutschen hatten in Ulm die Volkshochschule neu gegründet und planten nun deren Erweiterung zu einer Hoch-schule. Junge, vom Faschismus geprägte Menschen sollten dort die Gelegenheit erhalten, sich für ein Leben in Freiheit und Demo-kratie im Sinne der internationalen Moderne zu bilden.

Als die Pläne für die neue Hochschule Ende 1949 konkret wurden, sah Max Bill seine Chance, in Ulm eine Gestalterschule nach seinen Vorstellungen einzurichten – eine Weiterentwicklung des Dessauer Bauhauses, an dem er studiert hatte. Mit großem Engagement widmete er sich nun, gemeinsam mit Inge Scholl und Otl Aicher, Konzeption und Aufbau der Schule. Im August 1953 begann der Unterricht für die ersten 19 Studenten in provisori-schen Räumen in der Ulmer Innenstadt. Gleichzeitig erfolgte der erste Spatenstich für das HfG-Gebäude auf dem Ulmer Kuhberg, dessen Architekt ebenfalls Max Bill war.

Nach dem Vorbild des Bauhauses wurden die Studenten im ersten Jahr gemeinsam in einer „Grundlehre“ unterrichtet. Erst danach sollten sie in einer der vorgesehenen Abteilungen – Bauen, Produktform, Visuelle Kommunikation oder Information – weiter-studieren. Für dieses zweite Studienjahr, das Ende 1954 beginnen sollte, bedurfte es kompetenter Dozenten sowie eines Gestalters, der den Innenausbau der Schule leitete.

In dieser Situation erinnerte sich Bill seines ehemaligen Mit -arbeiters Hans Gugelot. Hans und Malke Gugelot kamen Ende

Februar 1954 zum gegenseitigen Kennenlernen nach Ulm. „Der Eindruck, den Herr Gugelot auf Frau Aicher-Scholl, Herrn Aicher und Herrn Bill (und auch auf mich) machte, war sehr gut. Man hat das Gefühl, daß er und seine Frau, die ihn begleitete, sehr gut in den hiesigen Kreis passen würden“, notierte Günther Schlensag, der Verwaltungsdirektor der HfG, dazu.7

Landung auf dem Kuhberg

Das Gebäude der HfG wie auch die Wohnhäuser für die Dozenten auf dem Ulmer Kuhberg befanden sich noch im Rohbau, als die Familie Gugelot im Juni 1954 nach Ulm umzog. Eine vorläufige Wohnung fand sich bei dem Architekten Poss in der Starengasse. Das erste Büro der Hochschule war im sogenannten „Langmühle bau“ in der Bahnhofstraße untergebracht, einem der ersten im Stil der Moderne errichteten Ulmer Geschäfts- und Bürogebäude. Dort arbeitete auch der österreichische Bildhauer und Designer Walter Zeischegg am Aufbau des an die HfG angeschlossenen Instituts für Produktform. Max Bill residierte hier bei seinen Aufenthalten in Ulm, Otl Aicher hatte hier sein Büro, und es gab eine kleine Werk-statt. Dort arbeiteten der Werkzeugmacher Josef Schlecker und der Schreiner Paul Hildinger sowie eine Reihe von Studenten, die dank ihrer handwerklichen Vorbildung befähigt waren, an Innen-ausbau und Möblierung der Hochschule mitzuwirken. Zu ihnen gehörte Helmut Müller-Kühn.

Baustelle HfG, Sommer 1954. Foto: Sigrid von Schweinitz, © HfG-Archiv/Museum Ulm

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Gleich am ersten Tag von Gugelots Aufenthalt wurde Müller-Kühn gebeten, den neuen Dozenten in die Stadt zu begleiten, um Zeichenzeug einzukaufen. Gugelot sei geschockt gewesen über das geringe Angebot, erinnerte sich Helmut Müller-Kühn – und wahrscheinlich auch über den Zustand und die Zerstörung der Stadt.8

Im Juli 1954 wurde auf dem Kuhberg das Richtfest der HfG gefeiert. Unten in der Stadt liefen derweil die Vorbereitungen für die mustergültige Ausstattung der Gebäude auf Hochtouren: Max Bill entwarf die Türklinken für die Schulgebäude, Walter Zeischegg die Lampen. Hans Gugelot kümmerte sich um die Einbauten und entwickelte einen Sperrholz-Federboden als Unter-lage für die Betten. Auch der Ulmer Hocker entstand als günstige Sitzgelegen heit in dieser dichten Atmosphäre als eine Gemein-schaftsarbeit von Max Bill, Hans Gugelot und Paul Hildinger.

Im November 1954 war der Schulbau einschließlich der Einrich-tungen der Holz-, Metall- und Gipswerkstatt fertig, und von Anfang Dezember an fand der gesamte Unterricht der HfG auf dem Kuhberg statt.9

Radiogeschichten

In diese Zeit fiel auch der Besuch des Unternehmers Erwin Braun an der HfG. Nach dem Tod seines Vaters hatte er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Artur Braun die Leitung des Elektroge-räteherstellers Max Braun übernommen. Erwin Braun entschied, die Zusammenarbeit mit Hans Gugelot und der neu gegründeten

Hans Gugelot und Otl Aicher, 1958. Foto: Wolfgang Siol, © HfG-Archiv/Museum Ulm

Hochschule zu erproben und vergab einen ersten Gestaltungsauf-trag für ein Radiogerät.10 Die Zusammenarbeit bewährte sich, und die HfG erhielt nun den Auftrag, bis zur Deutschen Rundfunk-, Phono- und Fernsehausstellung in Düsseldorf Ende August 1955 ein komplett neues Radioprogramm zu entwickeln sowie einen Messestand zu gestalten. Diese Aufgabe übernahmen Otl Aicher und dessen Mitarbeiter Hans G. Conrad.

An den Entwicklungen dieser ersten neuen Radiogeräte für die Firma Braun waren vor allem die Studenten Christoph Naske, Richard Rau und Helmut Müller-Kühn beteiligt. Alle drei waren ausgebildete Tischler und hatten bereits Berufs- bzw. Studiener-fahrungen vorzuweisen, als sie an die HfG kamen. Ihnen gelang es problemlos, Hans Gugelots Vorstellungen umzusetzen.

Auch mit seinen musikalischen Fähigkeiten und Verbindungen brachte Hans Gugelot sich dann und wann ein. „Um Geld zu verdienen, spielte ein Teil der Studenten in einer Band bei Abschlussfesten, Faschingsfesten, Hauskonzerten und in einer Neu-Ulmer Kneipe namens ‚Der letzte Heller‘, wo fast nur Schwarze verkehrten. (…) Manchmal spielte auch Hans Gugelot mit seinem Banjo mit. Es war eine Mischung aus Dixieland und Swing, ein wenig Blues“, erinnerte sich der HfG-Student Armin Bohnet, der Bassist der Gruppe.11

Indessen bereitete sich die Schule auf ihren eigenen großen Tag vor: Die offizielle Eröffnung der Gebäude am 2. Oktober 1955. In seiner Rede formulierte Max Bill noch einmal den Anspruch, den die Gründer an sich und die Mitglieder der HfG stellten: „Die gesamte Tätigkeit an der Hochschule ist darauf gerichtet, am

Frühlingsfest an der HfG 1955. Hans Gugelot an der Gitarre.© Privatarchiv Gugelot

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Aufbau einer neuen Kultur mitzuarbeiten, mit dem Ziel, eine mit unserem technischen Zeitalter übereinstimmende Lebensform zu schaffen.“12

Die Hochschule entwickelt sich

Solch hehren Zielen und heroischen Worten zum Trotz bekam die schöne Gemeinschaft schon bald Risse. Vor allem zwischen Max Bill und den jüngeren Dozenten kam es immer wieder zu Konflikten. Anfang September 1955 gab Bill das Tagesgeschäft als Rektor an ein Rektoratskollegium ab, dem auch Tomás Maldonado, Otl Aicher und Hans Gugelot angehörten.

In diese Zeit fällt der Umzug der meisten HfG-Angehörigen aus der Stadt auf den HfG-Campus.13 Mit der Fertigstellung der Gebäude oberhalb der Stadt hatten die HfG-Angehörigen sich ein Stück eigene Welt geschaffen, in der sie ihre Idealvorstellungen leben konnten – sehr zum Befremden vieler Ulmer. Die kamen vor allem sonntags zum Spazierengehen auf den Kuhberg und staunten über die Mauern aus Sichtbeton, hinter denen zu leben sie sich nicht vorstellen konnten, und über die schicken Autos.

Aber auch andersherum gab es den ein oder anderen Kultur-schock. „Bekleidet mit italienischen Schuhen, weitem Cashmir-Pulli und Locken über den Ohren stehe ich etwas verloren

Schlittenfahren auf dem Kuhberg. Von links: Guus Gugelot, Eva Aicher, Hans Gugelot, Gisela Schlensag, Günther Schlensag, Otl Aicher. Im Hintergrund eines der neu erbauten Dozentenhäuser aus Sichtbeton. Foto: Sigrid von Schweinitz, © HfG-Archiv/Museum Ulm

zwischen Kurzhaarschnitt, kurzen Lederhosen und Tirolerhüten“, erinnert sich Guus Gugelot an seinen ersten Schultag. „Ich lerne eine zweite Welt kennen.“14

Wenn Hans und Malke Gugelot zu zweit auf Reisen gingen – und das taten sie häufig und gerne –, wohnte ihr Sohn solange anderswo auf dem Kuhberg, bei den Schlensags, Rislers oder der Familie des Hausmeisters Streckfuß, wo man beim Abendessen fern sah, Comics las, abends spät noch Gespräche führte und deutsche Schlager hörte: Eine ganz andere Art von Familienleben, als der junge Guus gewöhnt war – und das er durchaus genoss.

Ähnlich ging es wohl auch anderen HfG-Kindern: Einerseits hatten sie große Freiheiten, freundeten sich mit den Amerikanern an, die auf dem Gelände hinter der Hochschule ihre Manöver abhielten, Kaugummis verteilten und sie in ihren Jeeps mitfahren ließen, prügelten sich mit einer rivalisierenden Jungsbande aus der Stadt oder bauten sich Lager in der benachbarten Festung. Zum anderen hatten sie aber den strengen Vorstellungen ihrer Eltern zu genügen.

Guus Gugelot reagierte darauf, indem er auf dem Schulweg eine zweite Identität annahm: „Etwas Gel ins Haar, Kragen hoch“ – schon hatte er sich der Normalität der Stadtkinder angenähert. Und die Frage nach dem Beruf des Vaters? Architekt. Das ver -stand jeder, er kam nicht in Erklärungsnöte.

Eine ganz besondere Erinnerung hat Guus Gugelot an die Eisen bahn, die eines Tages zu Weihnachten auf dem Zeichen brett in der Wohnung stand: „Typisch, dass es eine Kombination von Fleischmann und Trix war. Die Vorteile jeder dieser beiden Marken auszunutzen war für Dich eine Selbstverständlichkeit. Statt kitschigen Fallerhäuschen und fließenden Miniaturbächen gab es nur Gleise – kombiniert mit abgetrennten Stromkreisen, um gleich-zeitig mit fünf Lokomotiven rangieren zu können. Wir einigten uns, daß ich zumindest die freien Flächen mit Wikingautos füllen durfte. Jedes von mir hingeschmuggelte Häuschen war wohl ein Riesen-schock für Dich.“15

Arbeit in wechselnden Besetzungen

Nach den Erfolgen der Braun-Geräte auf der Düsseldorfer Rund-funkmesse beauftragten die Braun-Brüder Hans Gugelot mit weiteren Entwürfen. Bei deren Ausarbeitung konnte Gugelot aber bereits auf zwei seiner bewährten studentischen Mitarbeiter nicht mehr zurückgreifen: Christoph Naske und Richard Rau hatten im Herbst 1955 das Angebot bekommen, als Produktgestalter zur Firma Siemens zu wechseln. Leute wie sie waren in der Industrie gesucht, und natürlich ergriffen sie ihre Chance.

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Während Helmut Müller-Kühn blieb, erhielt das Team um Hans Gugelot nun unter anderen Verstärkung von Armin Bohnet. Bohnet war schon als Junge ein begeisterter Radiobastler gewesen und hatte eine Lehre als Elektromechaniker abgeschlossen. Als Hans Gugelot im April 1956 zusammen mit Erwin und Artur Braun in die USA reiste, gab er Bohnet den Auftrag, das Phänomen Radio einmal gründlich zu untersuchen. Als Fazit seiner Arbeit regte er die „Aufteilung des bisher bekannten Rundfunkgerätes in mehrere Aggregate“ an: Kommando-Gerät, Verstärker, „Plattenspieler oder Bandabgreifer“ und „Verschiedene hochwertige Lautsprecher- Systeme“.16

Die Brüder Braun waren schon früher in die USA gereist, um sich dort mit neueren technischen wie auch unternehmerischen Entwicklungen bekannt zu machen. Nun hatten sie Hans Gugelot eingeladen, sie zu begleiten. Mit dabei war auch der Kunsthisto-riker und Regisseur Fritz Eichler, der seit 1954 für das Design bei Braun zuständig war. Auf dem Programm standen die Westküste mit San Francisco, Chicago und schließlich New York; von dort ging es mit dem Schiff weiter nach Neapel und Ivrea zur Firma Olivetti.*) 17 Diese und andere gemeinsame Reisen wie auch die Arbeit an dem Projekt „Braun-Design“ schweißten die Beteiligten zu einem engen Freundeskreis zusammen.

Der familieneigene Porsche um 1962. © Privatarchiv GugelotFamilie Gugelot, um 1960. © Privatarchiv Gugelot

Fritz Eichler schilderte später einige charakteristische Szenen, die er mit Hans Gugelot erlebt hatte. Gugelot sei „offen, lebendig und vital“ gewesen. „Ich sehe ihn noch, wie er elegant und schmal spurig vor Erwin Braun und mir auf Skiern einen Steilhang hin unterschwenkt (und wir beide wohlweislich darauf verzichteten, es ihm gleichtun zu wollen). Ich sitze wieder neben ihm im Auto und halte den Atem an, weil er in einem viel zu schwachen und einfachen Wagen kühne Überhol- und Einschwenkmanöver macht – genussvoll grinst: ein verhinderter Autorennfahrer.“19 In der Sprache und der eigenwilligen Rechtschreibung, die Hans Gugelot in seinen Briefen aus Amerika nach Hause benutzte, kommt viel von seiner Persönlichkeit und seinem Sprachduktus zum Vorschein. Auf die Frage, wie man sich im Hause Gugelot verständigte, erinnert sich Guus Gugelot an eine Mischung zwischen Niederländisch und Schwyzerdütsch.20

Mit dem Erfolg der Firma Braun wurde auch die HfG bekannt. Im Rahmen der internationalen Bauausstellung in Berlin im Juli 1957 erhielt die Schule den Auftrag, zwei Musterwohnungen in den Häusern von Walter Gropius und Alvar Aalto einzurichten. Hans Gugelot stattete sie mit seinem Möbelsystem M 125 aus und nutzte die Gelegenheit, sein Schranksystem noch um Betten, Tische und Schreibtische zu erweitern.*)

Regal in der Werkstatt der HfG, um 1956 (Entwurf: Hans Gugelot). Von links nach rechts: unbekannt, Helmut Müller-Kühn, Immo Krumrey. Foto: HfG Ulm, © HfG-Archiv/ Museum Ulm

*) siehe dazu den Artikel „Das Möbel-Montagesystem M 125“ in diesem Band.

*) Für die Brauns war Olivetti in vieler Hinsicht ein Vorbild: Camillo Olivetti, Begründer der gleichnamigen Firma, hatte schon von Anfang an großes soziales Engagement gezeigt. Sein Sohn Adriano machte die Gestaltung zu einem wesentlichen Merkmal seines Unternehmens und engagierte sich ebenfalls kulturpolitisch wie sozial.18

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

In diesem Jahr wechselte außerdem der HfG-Student Herbert Lindinger aus der Abteilung Visuelle Kommunikation zu Hans Gugelot in die Produktform. Er erhielt von Gugelot die Aufgabe, ein neuartiges Radio für die Firma Braun zu entwickeln, das den wachsenden Ansprüchen der Verbraucher in Hinsicht auf die Klangqualität Rechnung tragen sollte. Vor allem aber sollte es einen weiteren Schritt in Richtung technischer Anmutung gehen. Allen Erfolgen zum Trotz sei Gugelot mit dem Aussehen der bishe-rigen Radiogeräte nicht zufrieden gewesen, erinnerte sich Herbert Lindinger: „In seiner selbstironisierenden Weise bezeichnete er sie noch immer als ‚Tonmöbel‘, womit zumindest für einen ‚Ulmer‘ das schlimmste gemeint sein konnte: die bürgerliche Vorliebe, im Wohnbereich technische Geräte in Möbeln zu verstecken.“21

Auch bei diesem Entwurf musste sich Gugelot – wie zuvor – an die bestehende Technik anpassen: Das Innere des Gerätes bestand im Wesentlichen aus Bauteilen früherer Modelle, die durch einen größeren Transformer ergänzt wurden. Mit solcherlei Einschränkung wollte sich Hans Gugelot auf die Dauer nicht zufrieden geben. Er überzeugte die Firma Braun, das Problem grundlegend anzugehen.

Im Herbst 1957 bekam die HfG einen Forschungs- und Gestal-tungsauftrag über ein Kommunikationsgeräte-Programm: Auf diese Weise konnten die bereits in den ersten Entwürfen von 1954 angelegten Ansätze für ein Baukastensystem fortgeführt werden. Armin Bohnet gehörte zu der ersten Generation der HfG-Studenten und würde – wie seine Kommilitonen Christoph Naske und Richard Rau vor ihm – die HfG bald verlassen. Damit verlor Hans Gugelot schon wieder einen wichtigen Mitarbeiter samt seinem Erfahrungsschatz. Dafür kamen neue Studenten,

Fritz Eichler in Ulm auf der Terrasse des Hauses Gugelot, mit der obligatorischen Zigarette und dem Vorentwurf des SK 4, 1956. © Privatarchiv Gugelot

die sich erst zurechtfinden, einarbeiten und dabei nach Möglichkeit pädagogisch betreut werden mussten. Die enge Verzahnung von Unterricht und Entwicklungsarbeiten erwies sich auf die Dauer als wenig sinnvoll.

Mit Beginn des neuen Studienjahres im Oktober 1957 erhielt die HfG deshalb eine neue Struktur: Unterricht und Auftragsarbeiten wurden von nun an getrennt. Fest angestellte Mitarbeiter, darunter eine Reihe von HfG-Absolventen, unterstützten die Arbeit der Dozenten in den nunmehr so genannten Entwicklungsgruppen.

Ein neues Konzept für die Schule

Inzwischen hatte sich der Konflikt mit Max Bill an der HfG immer weiter zugespitzt. Im Oktober 1957 verließ er endgültig die Schule. Sein Gegenspieler war Tomás Maldonado geworden. Maldonado begann nun, der Schule ein neues theoretisches Profil zu geben. Auch Hans Gugelot fing in dieser Zeit an, sich über sein Tun Gedanken zu machen. Ein Grund dafür dürfte die Trennung zwischen Entwicklungsarbeit und Lehre gewesen sein, die ihm ganz neue Qualitäten abforderte: Hatte Gugelot bisher einfach seine eigenen Ziele und Aufträge verfolgt und war dabei davon aus gegangen, dass die mitarbeitenden Studenten schon irgend wie zurecht kamen, so stellte sich ihm nun die Frage, wie er die so gewonnenen Erfahrungen in eine Lehre umsetzen konnte.*) Wäh-rend Hans Gugelot gemeinsam mit den anderen HfG-Dozenten die Entwicklung der Lehre an der Ulmer Hochschule vorantrieb, begann er gleichzeitig, seine Erfahrungen in Vorträgen weiterzu-geben. Dabei wurde er von Malke Gugelot maßgeblich unterstützt: Sie schrieb, redigierte und gab den Vorträgen ihren sprachlichen Schliff. Anhand der überlieferten Manuskripte lässt sich gut die Entwicklung verfolgen, die Hans Gugelot in seinen Gedanken-gängen nahm.

Nach der Trennung zwischen Schulbetrieb und Entwicklungs-abteilungen professionalisierte sich das Team um Hans Gugelot zunehmend. Neben der Firma Braun, die nach wie vor ein wich-tiger Auftraggeber war und an die Geschwister-Scholl-Stiftung zusätzlich einen monatlichen Betrag für eine laufende Beratung durch Hans Gugelot zahlte, kamen andere hinzu. In den Entwick-lungsgruppen konnten weitere Mitarbeiter eingestellt werden; Hans Gugelot nutzte die Chance, um neben technischen Zeich-nern auch Konstrukteure in sein Team aufzunehmen.22 Berühmt und berüchtigt, so erinnert sich Helmut Müller-Kühn, waren

*) siehe dazu den Artikel „design ist gar nicht lehrbar“ 4 in diesem Band

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Gugelots „Schmierskizzen“: „Anders konnte man das, was er als Konstruktionszeichnungen abgab, wirklich nicht nennen“, erinnerte sich sein ehemaliger Student und Mitarbeiter.23 Einen besonderen Ruf erlangte dabei die Skizze für einen neuartigen Diaprojektor, den der Leiter der Metallwerkstatt Joseph Schlecker tatsächlich baute.

Der größte Auftrag dieser Zeit stammte von der Hamburger Hochbahn AG, die zwischen 1959 und 1962 ihre Wagen von den Ulmern gestalterisch überarbeiten ließ. Beteiligt an dieser Team arbeit waren neben Hans Gugelot, Helmut Müller-Kühn und Herbert Lindinger auch Otl Aicher und dessen Mitarbeiter Peter Croy, die für die Farbgebung verantwortlich zeichneten.24

Hans Gugelot sei von seiner Arbeit besessen gewesen, schrieb Herbert Lindinger im Rückblick. „Seine Freizeitambitionen er schöpf t en sich vielleicht in drei oder vier Wochenend-Skitouren im Winter und das beinahe obligate abendliche Ulmer Beisammen-sein mit Kollegen oder Studenten.“25

Die Firma Braun engagierte sich nach wie vor für die Hoch-schule. Anfang 1959 finanzierte sie Ausbau und Einrichtung der Arbeitsgruppe Produktform in Höhe von 27.000 DM – dazu gehörten Maler-, Gipser- und Elektroarbeiten sowie eine gute Ausstattung mit Schränken und Büromöbeln26. Neben den Aufträgen für die Entwicklungsgruppe Gugelot liefen weitere mit Walter Zeischegg für ein Beleuchtungssystem und mit Otl Aicher, der zusammen mit Hans G. Conrad die einheitliche Gestaltung von Schaufenstern für die Firma Braun plante.

Hamburger Hochbahn, Hans Gugelot, Herbert Lindinger, Helmut Müller-Kühn, um 1962. Foto: Wolfgang Siol, © HfG-Archiv/Museum Ulm

Ermittlung der richtigen Sitzneigung und Sitzhöhe für die Kunststoffsitze der Hamburger Hochbahn, um 1960. Herbert Lindinger (links), Helmut Müller-Kühn (rechts). Foto: Wolfgang Siol, © HfG-Archiv/Museum Ulm

Gleichzeitig baute Fritz Eichler als Gestaltungsbeauftragter der Firma eine eigene Design-Abteilung in Frankfurt auf. Das hatte den Vorteil der kurzen Wege und der direkten Zusammenarbeit zwischen den hauseigenen Technikern und den Gestaltern. Der Innenarchitekt Dieter Rams, seit 1956 bei Braun, wuchs hier in die Rolle des Designchefs hinein. Auf die Dauer war es aber natürlich unwirtschaftlich, zweigleisig zu fahren.

Im Januar 1960 trafen sich deshalb Hans Gugelot und Otl Aicher mit Erwin und Artur Braun an deren Wohnort in Königstein. Gemeinsam beriet man über die Aufgaben, die die HfG in Zukunft für die Firma Braun übernehmen sollte – und welche nicht. Zunächst einmal entfiel die Entwicklung für eine neue Küchen -maschine. „Das Auslaufen dieses Entwicklungsauftrages hat den Sinn, die Frankfurter Entwicklungskapazität weitgehend auf das Projekt Küche zu konzentrieren und im Institut für Produktform – unter der Leitung von Herrn Gugelot – verstärkt Aktivitäten in Richtung Kommunikations-Programm entwickeln zu können“, schrieb Artur Braun.27 Im Juli 1960 gab es weitere Verhand-lungen.28 Nach sechs Jahren einer fruchtbaren Zusammenarbeit zog die Firma Braun sich aus Ulm zurück. Der engen Freundschaft zwischen allen Beteiligten standen wirtschaftliche Interessen entgegen. Erwin Braun selbst spricht in einem Brief an Hans

Hans Gugelot und die Mitglieder seiner Entwicklungsgruppe, um 1960. Von links: Helmut Müller-Kühn, Hans Sukopp, Josef Mundel, Annemarie Bach, Herbert Lindinger (verdeckt), Hans Gugelot, Anneliese Müller.

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

Wichmann, den Kurator der Gugelot-Ausstellung von 1984, von einem „Rausschmiss von Hans Gugelot im Jahre 1960“,29 und auch Guus Gugelot erinnert sich an die Enttäuschung seines Vaters.30

Die Problematik einer externen Entwicklung „durch ein vom Fabrikationsbetrieb getrenntes Unternehmen“ hatte sich bereits 1956/57 in der Zusammenarbeit mit der Firma Telefunken gezeigt. Auch diese entschied sich schließlich dafür, die HfG- Entwürfe als Anregungen und Horizonterweiterung zu nehmen, die Entwicklungen zur Serienreife dann aber selbst weiterzu-treiben. Da es hier keine persönlichen Verflechtungen gab, war dieser Vorgang weit weniger dramatisch.31 Aus dieser Erkenntnis heraus entstand an der HfG die Überlegung, die Entwicklungs-gruppen sollten „nur Aufträge übernehmen, die prinzipielle Lösungen ermöglichen“.32 Konsequenterweise bemühte sich die Geschwister-Scholl-Stiftung als Trägerin der Hochschule und ihrer Entwicklungsabteilungen im Oktober 1958, vom Wirtschafts-ministerium Zuschüsse für das Institut für Produktgestaltung zu erhalten: „Um jedoch eine erfolgreiche Forschungs- und Entwick-lungsarbeit leisten zu können, die nicht ausschließlich auf produk-tionsreife Modelle für einzelne Industriefirmen hinzielt, sondern darüberhinaus allgemeine Erkenntnisse der gesamten Industrie vermittelt, ist eine von Auftraggebern unabhängige Finanzierung notwendig.”33

Getrennte Wege

Auf dem Kuhberg selbst zogen nun ebenfalls neue Wolken auf, die das Zusammenleben und -arbeiten trübten. Nach dem Weggang von Bill hatte sich die Schule unter Tomás Maldonados Führung neu orientiert. Eine Reihe neuer Dozenten waren auf den Kuhberg gekommen, die die Aufbauphase nicht mitgemacht hatten und nun ihre eigenen Ideen einbrachten. Vor allem der Mathematiker Horst Rittel, der seit 1958 an der HfG Methodologie, Informationstheorie und Mathematische Operationsanalyse unterrichtete, machte Tomás Maldonado seinen Führungsanspruch streitig. Rittel wollte das Gebiet der Planungstechniken an der HfG ausbauen und wissenschaftlich untermauern. Damit geriet er in Konflikt mit den Gestaltern. Ein Machtkampf entbrannte, der sich unter anderem in den jährlich wechselnden Besetzungen des Rektoratskollegiums abbildete. Um die Schule wieder zur Ruhe zu bringen, plante Otl Aicher die Einführung einer neuen Verfassung, die allerdings auf sich warten ließ.

In dieser Krisensituation übernahm Hans Gugelot noch einmal ein Amt in der Hochschulleitung, aus der er sich zuvor eher zurück-

gezogen hatte: Er stellte sich für die Wahl zum Rektoratskollegium zur Verfügung und übernahm dann für ein halbes Jahre dessen Leitung. Da er bis dahin wenig in die Auseinandersetzungen um die Richtung der Hochschule verwickelt gewesen war, hoffte er wohl, auf diese Weise zu einer konstruktiven Lösung beitragen zu können. Damit zeigte er, wie eng er mit dem Projekt HfG verbunden war. Doch scheiterte er – wie andere auch – in seinen Bemühungen um die Befriedung dieser unruhigen Hochschule. Das lag einerseits an der Uneinsichtigkeit der anderen Beteiligten, allen voran Otl Aicher und Horst Rittel, die in diesem Dauerkonflikt zu keinen Kompromissen bereit waren. Gleichzeitig kam es zum Streit mit Hans Gugelots langjährigem Dozentenkollegen Walter Zeischegg, der in Gugelots Vermittlungsabsichten eher einen Angriff auf seine eigene Rolle an der Hochschule sah. Als Konsequenz aus diesen Auseinandersetzungen kündigte Hans Gugelot seinen Vertrag als Dozent und unterrichtete in der Folgezeit nur noch als Gastdozent an der HfG.34

Auch in Bezug auf seine Entwicklungstätigkeit begann Hans Gugelot, sich von der Hochschule zu lösen: Anfang Februar 1962 zog er mit seinem nunmehr achtköpfigen Entwicklungsteam in eigene Räume nach Neu-Ulm. Dabei dürften auch räumliche Probleme eine Rolle gespielt haben: Eine Erweiterung der Ent wick lungsgruppe wäre zu Lasten des Unterrichtsbetriebes gegangen.35 Die ehemalige Entwicklungsgruppe 2 der HfG firmierte nun als eingetragener Verein unter dem Namen „institut für produktentwicklung und design e.V.“. Sie arbeitete

Doppelwohnhaus Erwin Braun und Dr. Fritz Eichler, Königstein, Entwurf Hans Gugelot, 1959. Foto: Privatarchiv Gugelot

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

unabhängig und war mit der HfG über den Stiftungsratsvorsit-zenden Thorwald Risler und den Verwaltungsdirektor Günther Schweigkofler verbunden.36

All diese Ablösungsprozesse riefen bei den Beteiligten ungute Gefühle hervor und führten nicht selten zu Streitigkeiten und jahrelangen gegenseitigen Vorwürfen. Aus der Distanz betrachtet, erscheinen sie aber nur folgerichtig: Anfang der 1960er-Jahre war die mitunter anarchistische Aufbruchszeit auf dem Ulmer Kuhberg endgültig vorbei; ein jeder sehnte sich nach einem Stück Alltag und Normalität, die auch darin bestand, endlich einmal ange-messen für die eigene Arbeit entlohnt zu werden und nicht immer einen Hochschulbetrieb bezuschussen zu müssen.

Der Idealismus der Anfangszeit hatte die Beteiligten weit ge tragen und ihnen die Chance gegeben, in den noch kaum erschlossenen Berufsfeldern der Produktgestaltung wie der Visuellen Kommunikation eigene Profile zu entwickeln. Nach Hans Gugelot begannen auch Otl Aicher und Tomás Maldonado, sich von der Hochschule zu lösen und gingen ihrer eigenen Wege.

Im Mai 1962 zog die Familie Gugelot in ein neues freistehendes Haus auf dem HfG-Gelände um. Ein Jahr später wurde der zweite Sohn David geboren. Der Kontakt zwischen den Mitgliedern der HfG wurde nun sporadischer, nur die Kinder spielten weiterhin miteinander.

Als Industriedesigner beschäftigte sich Hans Gugelot nun mehr und mehr mit der Entwicklung technischer Geräte. Gugelot hatte das Design der HfG in diesen Jahren stark geprägt – besonders in der schon während seines Entstehens mitunter bespöttelten farb-losen Kastenhaftigkeit. In einem Vortrag in der HfG-Aula 1959 wies er selbst auf die Beschränkungen hin, die eine streng ratio-

Hans Gugelot als Pilot, um 1963. © Privatarchiv Gugelot

nale Arbeitsweise mit sich brachte, wie sie in dieser Zeit bevorzugt wurde: „die beziehung zwischen produkten untereinander ist eine neue erkenntnis, die meistens dazu führt, vor allem wenn es sich darum handelt, gegenstände auf ihren lagerraum abzustimmen, diesen produkten eine kantige aussenform zu geben. ja sogar die geräte, die frei im raum stehen, müssen sich irgendeiner wand anpassen und so werden viele dieser gegenstände eine recht-eckige form erhalten. (…) es entsteht nun ein besonders grosser bedarf an kantigen und rechteckigen gegenständen.“ 37

Auch die Farbgebung der Gugelotschen Entwürfe hat einen handfesten Hintergrund: Er konnte Farben nur eingeschränkt sehen. Die Prototypen der Kinderspielmöbel hätten ganz eigen-artige Farben gehabt, erinnerte sich sein Mitarbeiter Helmut Müller-Kühn, lila und hellgrün. Gugelot habe dann Otl Aicher um Unterstützung gebeten. Die ursprüngliche Version des M 125 war in Grau und Gelb gehalten – zwei Farben, die Gugelot gut erkennen konnte.38 Während Helmut Müller-Kühn eine Rot-Grün-Blindheit vermutete, erinnert sich Guus Gugelot als Grund für das mangelnde Farbsehvermögen an Erzählungen seines Vaters von einem Unfall mit einer Waffe, die Hans Gugelot als Kind gehabt habe.*) 39

Abflug

Anfang 1965 erhielt Hans Gugelot das Angebot, als Professor an die Hochschule für bildende Künste nach Hamburg zu wechseln. Auch an der Stuttgarter Akademie wollte man ihn nun haben. Damit besaß Gugelot eine ausgezeichnete Verhandlungsposi-tion – nicht nur der Geschwister-Scholl-Stiftung, sondern auch dem Land Baden-Württemberg gegenüber. „Ich hoffe sehr, dass es den gemeinsamen Bemühungen gelingt, Herrn Gugelot im Lande zu halten“, schrieb Wolf Donndorf, Ministerialdirigent im Baden-Württembergischen Kultusministerium, im Juli 1965 an den Vorsitzenden der Geschwister-Scholl-Stiftung Friedrich Rau.41 „Den Brief von Herrn Gugelot mit der beigefügten Liste habe ich mit grossem Interesse gesehen. Mir ist vor allem daran gelegen, dass er die Hamburger Berufung nicht annimmt. Am richtigsten wäre er zweifellos in Ulm. Stuttgart kommt erst in zweiter Linie.“

Auch Hans Gugelot wollte gerne in Ulm bleiben. „die berufung nach hamburg und nun auch die verhandlungen mit stuttgart bringen mich in eine etwas schwierige lage; denn, sollte eines dieser institute auf meine dort gestellten forderungen eingehen,

*) Hans Gugelots Mitarbeiter Rolf Garnich bestätigte wiederum die Rot-Grün-Blind-heit: Das habe sich gezeigt, als Gugelot wegen seiner Prüfung zum Flugschein einen Sehtest gemacht habe.40

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Hans Gugelot: Leben und Arbeit

bestünde für mich die möglichkeit, ein völlig neues design-depar-tement einzurichten. gestützt durch junge lehrkräfte wäre ich in der lage, ein neues ausbildungsprogramm zu entwerfen.“ 42

Hans Gugelot sprach in seinem Brief auch die HfG-Gebäude und Wohnhäuser an, die sich wegen der ständig knappen Finanzen schon länger in einem sanierungsbedürftigen Zustand befanden, und wies auf die berufliche Unsicherheit hin, die die Existenz eines Dozenten an dieser privaten Hochschule mit sich brachte. „ich hänge an der hfg und wäre gerne bereit auch hier mit aufzubauen, aber die differgenz [sic!] zwischen dem hamburger vorschlag und dem was hier in ulm geboten wird sollte eben nicht allzu groß sein.“

Die Entscheidung war in der Schwebe, als Hans Gugelot ins Flugzeug nach Indien stieg, um einige Wochen lang in Ahmedabad am National Institute of Design als Gastdozent zu unterrichten. Anfang September kam er zurück nach Ulm und stürzte sich wieder in seine dortige Arbeit. Am 10. September 1965 brach Hans Gugelot überraschend zusammen und starb an einem Herzinfarkt.

1 Curriculum Vitae Gugelot, Johan vom 4.3.1954, HfG-Archiv, PA 648/1 (Gugelot)

2 Vortrag Stockholm, S. 13 Hans Gugelot, Lebenslauf, um 19574 Sigrid von Schweinitz, Interview mit Max Bill, 17.8.1979 in Zürich.

Privatarchiv Gugelot.5 wie Anm. 2 6 wie Anm. 17 Günther Schlensag, Aktenvermerk betr. Berufungsverhandlungen mit Herrn

Hans Gugelot, HfG-Archiv, PA 648/18 Helmut Müller-Kühn im Gespräch mit Christiane Wachsmann in Meppen,

15.7.1993

9 Geschwister-Scholl-Stiftung, Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.1945, 25.1.1955, HfG-Archiv, unverzeichnete Akte. Zitiert nach: Spitz S. 163

10 Inge Scholl an Erwin Braun, 10. Dezember 1954. Privatarchiv Gugelot, Korrespondenz 1965-1985

11 Armin Bohnet im Gespräch mit Christiane Wachsmann in Ludwigsburg, 21.5.1990

12 Max Bill, Ansprache zur Einweihung der HfG-Gebäude, 2.10.1955, HfG-Archiv, unterzeichnete Akte. Zitiert nach Spitz, S. 174

13 s. Spitz S. 175 f.14 Guus Gugelot, Design in den 50er-Jahren. Erinnerungen eines

Designerkindes. HfG-Archiv15 wie Anm. 1416 Armin Bohnet, Forschungsauftrag: Radio, 5. Mai 1956. HfG-Archiv, AZ 51,

s. d. design ist gar nicht lehrbar, S. 6817 Fritz Eichler, Realisationen am Beispiel: Braun AG. In: Wichmann, S. 2918 Deutsche Wikipedia, „Olivetti“, letzter Aufruf am 7.9.201919 wie Anm. 1720 Guus Gugelot im Gespräch mit Christiane Wachsmann, Ulm, 19. August

2019. Diesem Gespräch sowie den „Erinnerungen eines Designerkindes“ (Anm. 14) sind auch die weiteren Äußerung Guus Gugelots in diesem Beitrag entnommen.

21 Herbert Lindinger, Was hat Gugelot bewegt? In: Wichmann, S. 4122 s. Personalakten HfG Ulm, HfG-Archiv (Garnich, Sukopp, Mundel, Bach,

Reichl, Preisinger, Wild)23 Helmut Müller-Kühn im Gespräch mit Christiane Wachsmann in Essen am

27.4.199024 s. Wichmann, S. 102 ff25 wie Anm. 21 (Lindinger), S. 4126 Günther Schweigkofler an Artur Braun, Brief vom 23.4.1959, HfG-Archiv,

AZ 69427 Artur Braun an Thorwald Risler, 14.1.1960. HfG-Archiv, AZ 69328 Artur Braun an Thorwald Risler, 2.8.1960, HfG-Archiv, AZ 69329 Erwin Braun an Hans Wichmann, 4.6.1984. HfG-Archiv, Nachlass Eichler30 wie Anm. 2031 Telefunken an GSS, 28.2.1957. HfG-Archiv, AZ 69332 Anhang zu Punkt: (sic!) Institut für Produktgestaltung, 1964 oder später.

HfG-Archiv, AZ 698/Institut für Produktgestaltung33 Antrag auf Gewährung eines Zuschusses für das Forschungsinstitut

für Produktform (Entwurf), GSS an das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, 11.10.1958. HfG-Archiv, AZ 698/Institut für Produktgestaltung

34 s. PA 648/1 (Gugelot) und PA 667 (Zeischegg)35 Thorwald Risler, 1.2.1962. HfG-Archiv, AZ 69836 Johanna Rösner, Auskunft durch Frau Gugelot am 22.7.66. HfG-Archiv,

PA 648 37 Hans Gugelot, hypothesen zur berücksichtigung des marktes bei der

produktgestaltung. Mittwochsvortrag, gehalten an der HfG am 28.10.1959 Zitiert nach: Wichmann S. 52 f.

38 wie Anm. 23 (Gespräch Müller-Kühn)39 wie Anm. 20 (Gespräch mit Guus Gugelot)40 Gespräch Rolf Garnich mit Christiane Wachsmann am 12.5.1990 in Stuttgart41 Wolfgang Donndorf an Friedrich Rau, 13. Juli 1965, HfG-Archiv, PA 648

(Gugelot)42 Hans Gugelot an Friedrich Rau, 24.6.1965, HfG-Archiv, PA 648

Hans Gugelotin der HfG 1950er-Jahre.Foto: Robert d‘Hooghe