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Gute Regierungsführung in Afghanistan Der Schlüssel zu einer demokratischen Staatsführung Durchgeführt von:

HEADERez-afghanistan.de/sites/default/files/GG-broschure-2017-10-8-1-GER... · Fortschritt durch den Treuhandfonds für Wiederaufbau 35 Schnelle Hilfe vor Ort – Wege fi nden 36

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Gute Regierungsführung in AfghanistanDer Schlüssel zu einer demokratischen Staatsführung

Durchgeführt von:

2 VORWORTE

Liebe Leserinnen und Leser,Durch jahrzehntelange gewaltsame Konfl ikte im Land wurden die Lebensgrund-

lagen der afghanischen Bevölkerung zu großen Teilen zerstört. Als eines der

ärmsten Länder der Welt ist Afghanistan Schwerpunktland der deutschen Entwick-

lungszusammenarbeit. Die internationale Staatengemeinschaft unterstützt den

zivilen Wiederaufbau seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001. Vor gut einem Jahr

wurde die Neue Entwicklungsstrategie der Islamischen Republik Afghanistan 2025

ratifi ziert. Das Thema Gute Regierungsführung ist darin zentraler Bestandteil. Die

deutsche Bundesregierung unterstützt das Land dabei, die Strategie zu instituti-

onalisieren, so dass Afghanistan seinen Bürgerinnen und Bürgern zukünftig eine

Zukunftsperspektive jenseits von Armut und Extremismus bieten kann.

Deutschland konzentriert sich bei Guter Regierungsführung auf Rechtsstaatlich-

keit, politische Partizipation und öffentliche Verwaltung. Ziel der deutschen Zusammenarbeit mit Afghanis-

tan ist es, öffentliche Dienstleistungen für die Bevölkerung zu verbessern, die Legitimität der Regierung zu

erhöhen und das Vertrauen der Afghaninnen und Afghanen in die staatlichen Organe zu stärken.

Diese Broschüre bringt Ihnen das deutsche Engagement für Afghanistans Bevölkerung näher. Erfahren Sie,

wie Rechtsstaatlichkeit sowie Transparenz Eingang fi nden, Frauen im afghanischen Berufsleben eine immer

größer werdende Rolle spielen und Korruption auf allen Ebenen bekämpft wird. Lesen Sie, wie Prinzipien

Guter Regierungsführung heute in Politiken afghanischer Behörden tägliche Anwendung fi nden.

Wir haben Projekte der Entwicklungszusammenarbeit recherchiert und stellen Menschen, Teams und

Methoden vor, die im kooperativen Zusammenspiel der Deutschen Gesellschaft für Internationale

Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, der KfW und ihrer Partner dazu beitragen, dass Afghanistans Bürgerinnen

und Bürger heute mehr soziale Gerechtigkeit erfahren.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Robert KressirerGIZ-Landesdirektor

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Afghanistan steht exemplarisch für die Umsetzung von Projekten der

Finanziellen Zusammenarbeit in einem Krisenland in einem extrem fragilen

Kontext. Die Unterstützung des Bereiches Gute Regierungsführung zielt dar-

auf ab, der Bevölkerung im Norden und Nordosten Afghanistans den dringend

notwendigen Zugang zu lokaler Infra struktur und sozialen Dienstleistungen zu

ermöglichen und durch die Art und Weise der Projektimplementierung gezielt

Gute Regierungsführung zu fördern.

Nach mehr als 30 Jahren Bürgerkrieg sind die Regierungsstrukturen und die

öffentliche Infrastruktur in Afghanistan nur sehr schwach ausgeprägt. Um

Provinzverwaltungen außerhalb der Hauptstadt Kabul zu stärken und lokale

öffentliche Infrastruktur vor Ort zu verbessern, fi nanziert die KfW im Auftrag

der deutschen Bundesregierung kleine bis mittelgroße Infrastrukturmaßnahmen. In sechs Provinzen

in Nordostafghanistan entstehen so u. a. neue Schulen, Straßen, Brücken oder Flutschutzanlagen. Die

Entscheidung zur Umsetzung der einzelnen Vorhaben wird von lokalen Entwicklungsräten getroffen

und im Anschluss unter Federführung der entsprechenden Behörde umgesetzt. Damit soll nicht nur

das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Leistungsfähigkeit ihres Staates, sondern vor allem

die Lebens situation der Menschen vor Ort verbessert werden.

In Ergänzung dieser Ansätze fi nanzieren Deutschland und andere Geber auf zentraler staatlicher Ebene

über einen Treuhandfonds (Afghan Reconstruction Trust Fund � ARTF) den zivilen Wiederaufbau

Afghanistans. Der bilaterale deutsche Beitrag beläuft sich bislang auf insgesamt 583 Millionen Euro.

Er trägt wesentlich zur Sicherung des afgha nischen Staatshaushalts bei. Über ihn werden die nationalen

Prio ritätsprogramme fi nanziert und der Policy-Dialog über notwendige Reformen gesteuert.

Näheres erfahren Sie in der vorliegenden Broschüre. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

Dr. Andreas SchneiderBüroleiter der KfW in Kabul

5INHALTSVERZEICHNIS

Gute Regierungsführung – der Schlüssel zu einer demokratischen Staatsführung . . . 7

Das Recht des Einzelnen – Rechtsstaatlichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger . . . . 8Govern4Afghanistan 9Ein langer Weg zur Rechtssicherheit 10Religionsgelehrte setzen sich für Frauenrechte ein 12Eine faire Justiz – für und durch Frauen 14Jugend für Dialog und Frieden 16

Politische Teilhabe – im Interesse der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Emanzipation durch Wissen 20Provinzbüros stehen Rede und Antwort 22Behördengänge leichter machen 24Frauen ins Berufsleben integrieren 26

Das Fundament eines Staates – die Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Korruption vorbeugen – auf nationaler und provinzialer Ebene 30Nachhaltiger Bergbau in Afghanistan – Beispiele aus der Türkei 32Die Zukunft selbst in die Hand nehmen 34Fortschritt durch den Treuhandfonds für Wiederaufbau 35Schnelle Hilfe vor Ort – Wege fi nden 36Worten folgen Taten – neue Perspektiven schaffen 38Wissen und Tatkraft für Afghanistan 40

Die deutsche Zusammenarbeit mit Afghanistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

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„Public hearing“ – öffentliche Anhörung in Baghlan, Afghanistan

7EINLEITUNG

Gute Regierungsführung – der Schlüssel zu einer demokratischen StaatsführungAufgrund jahrzehntelanger gewaltsamer Konfl ikte im Land wurden die Lebensgrundlagen der afghanischen Bevölkerung

zu großen Teilen zerstört. Als eines der ärmsten Länder der Welt ist Afghanistan ein Schwerpunktland der deutschen Ent-

wicklungszusammenarbeit. Seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 unterstützt die internationale Staatengemeinschaft

den zivilen Wiederaufbau des Landes.

Seit diesem Zeitpunkt steht das Land vor der Aufgabe, einen neuen Staat grundlegend aufzubauen. Demokratie, Rechts-

staatlichkeit und soziale Marktwirtschaft sollten nach der „Stunde null“ 2001 den Aufbruch bestimmen. Wirtschaftliche,

soziale und politische Strukturen mussten wiederhergestellt oder teilweise vollkommen neu etabliert werden. Das große

Ziel des Neubeginns war von Anfang an die nachhaltige Entwicklung des Landes auf allen Ebenen. Doch was genau bedeu-

tet das? Nachhaltig entwickelt sich ein Land dann, wenn seine Struktur auf funktionsfähigen staatlichen Institutionen, dem

Respekt der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, der Partizipation und Gleichberechtigung aller Schichten, Ethnien und

Geschlechter sowie einem sozialen Ausgleich und Frieden beruht. Nach Jahren der Auseinandersetzungen und Zerstörung

ist dies keine leichte Aufgabe.

2001 begann ein langer Weg, auf dem nach und nach die Voraussetzungen für eine gute Regierungs führung und damit

einen stabilen, friedlichen und sicheren Staat entstehen sollten. Wesentliche demokratische Institutionen hat das Land

inzwischen etabliert. Im Januar 2004 trat die von der verfassungs gebenden Großen Ratsversammlung (Loya Jirga) ange-

nommene, neue afghanische Verfassung in Kraft, die allen Afghanen, Frauen wie Männern, die gleichen Rechte einräumt.

Die deutsche Bundesregierung unterstützt Afghanistan seit 2002 darin, die bestehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Funktionierende Verwaltungsbehörden auf lokaler und nationaler Ebene, eine kompetente und unabhängige Justiz und die

Einbindung von Männern und Frauen in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse gehören zu den Aufgaben,

denen sich der Staat weiterhin stellt, um seinen Bürgerinnen und Bürgern eine Zukunft jenseits von Armut und Extremis-

mus zu ermöglichen.

Um tiefgreifende Veränderungen in Staat und Gesellschaft anzustoßen, bedarf es viel Geduld. Doch erste Erfolge zeigen

sich bereits in den gemeinsamen Anstrengungen der deutschen Zusammenarbeit mit den afghanischen Partnern. Was sich

durch die Projekte der deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan unter anderem in der Verwaltung, dem Rechtssystem,

der Transparenz und der Teilhabe von Frauen verändert hat, schildern die Beispiele auf den folgenden Seiten.

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Das Recht des Einzelnen – Rechtsstaat-lichkeit für alle Bürgerinnen und BürgerDemokratie und Rechtsstaatlichkeit tragen wesentlich zu einem Leben in Würde und Freiheit bei. Dazu

zählen freie Wahlen, ein Mehrparteiensystem, die Akzeptanz einer politischen Opposition, der Schutz

von Minderheiten, aber auch die Anerkennung der Menschenrechte sowie die Gleichberechtigung von

Mann und Frau. Demokratische Strukturen ermöglichen die selbstbestimmte persönliche Entwicklung

der Menschen innerhalb eines Staates. Eine verlässliche und unabhängige Justiz ist hierzu eine wesentliche

Voraussetzung und verschafft dem Rechtsstaat Geltung und Legitimität. Doch Gerichte und Richter sind

in Afghanistan häufi g von politischen Entscheidungen abhängig und haben mit ineffi zienten Strukturen

innerhalb der Justiz zu kämpfen. Zudem fehlt es an notwendigen Fachkenntnissen, um Entscheidungen

für Betroffene nachvollziehbar zu treffen und auch umzusetzen. Nicht zuletzt ist Korruption ein großes

Problem, das besonders die afghanische Justiz direkt betrifft.

Deshalb fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in

Zusammenarbeit mit dem Außenministerium des Königreichs der Niederlande, dem Außenministerium

der Republik Finnland sowie dem Auswärtigen Amt (AA) Afghanistan dabei, das landeseigene Justizwesen

zu reformieren, um Bürgerinnen und Bürgern Rechtssicherheit gewähren zu können – auf dem Land eben-

so wie in städtischen Gebieten. In diesem Zusammenhang gilt es, Korruption langfristig zu bekämpfen,

Verwaltungsfachkräfte zu befähigen, Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger ordnungsgemäß zu

erbringen und das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Organe zu stärken.

9DAS RECHT DES EINZELNEN

Die Diskussionsplattform sowie das Think-and-do-tank Govern4Afghanistan trägt zum fachlichen Austausch bei und unterstützt den qualitativen Ausbau staatlicher Strukturen

Govern4Afghanistan

Im Rahmen der politischen Dialogplattform Govern4Afg erarbeiten deutsche und afghanische Wissen-schaftlerlinnen und Wissenschaftler sowie Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Politik und Forschung im gemeinsamen Dialog Empfehlungen zur guten Regierungsführung. Politische Schwerpunktthemen, wie beispielsweise die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Institutionen in die politischen Prozesse, die Reform des Öffentlichen Dienstes, Haushalts planung und -führung, Reformen im Bergbausektor oder auch die Förderung subnationaler Regierungsführung, werden jährlich von Expertenteams erarbeitet.

Die daraus resultierenden Empfehlungen werden in umfassenden Dialogprozessen mit den politischen Akteuren diskutiert: Dialogforen, Workshops und Vortragsreihen helfen, die Themen den relevanten Führungskräften näherzubringen.

Ziel der Initiative: Durch den von Govern4Afg angestoßenen intensiven Austausch zwischen reform orientierten Akteuren, wissenschaftlichen Fachkräften und Regierungsvertreterinnen und -vertretern sollen alle Entschei-dungsträgerinnen und Entscheidungsträger ein besseres Verständnis für Fragen der guten Regierungsführung auf allen Ebenen des staatlichen Handelns erlangen. So können politische Akteure in Afghanistan informiert und zielgerichtet wichtige Entscheidungen treffen.

Nader Yama, ehem. Direktor des Unabhängigen Direktorats für Lokale Regierungsführung und derzeitiger stellvertretender Botschafter Afghanistans in Kanada, ist vom Erfolg der praxisorientierten Plattform für den politischen Dialog überzeugt: „Auch wenn es eine Heraus forderung bleibt, alle wichtigen Entscheidungs-träger zu einem gewissen Punkt ins Boot zu holen, hat es sich bewährt. Beim Thema sub nationale Regierungs -

führung haben wir gemeinsam mit Govern4Afg eine Unterstützungs-einheit geschaffen, die garantiert, dass die Govern4Afg-Expertise ganz konkret in die Politikgestaltung Eingang fi ndet.“

Nähere Informationen fi nden Sie unter www.gc-afg.de und www.govern4afg.org

10 DAS RECHT DES EINZELNEN

Ein langer Weg zur Rechtssicherheit

Montagvormittag beim Ortsgericht in Mazar-e Sharif: Mobarak Shah und Teahor Abdullah betreten das Büro des Streitschlichters, des sogenannten Huquq. Emsig stempelt der Huquq-Beamte Sayed Abbas Musavi Dokumente, die anschließend den Besitzer wechseln. Neben den staatlichen Gerichten sind die auf Distriktebene tätigen Huquqs für Bürgerinnen und Bürger eine Anlauf-stelle zur Lösung ziviler Streitigkeiten.

Ein zwölf Jahre währender Streit um Landraub hat damit sein Ende gefunden. Shah erklärt: „Die Landnahme passierte zur Zeit der Taliban. Wir zogen vor Gericht, um unser Land zurückzubekommen. Als das Gericht uns an den Huquq verwies, zeichnete sich eine Lösung ab.“ Jetzt hält der entschlossene Mann es schwarz auf weiß in seinen Händen: Das Land gehört offi ziell wieder ihm.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung der Rechtsstaatlichkeit

§ Ziel: Rechtssicherheit für Bürgerinnen und Bürger schaffen – durch die Beratung afghanischer Instituti-onen und die Errichtung rechts-staatlicher Einrichtungen zur Konfliktbewältigung

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Justizministerium von Afghanistan und seine Vertretungen auf Provinzebene

Rechtsberatung und Streitschlichtung:

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der

Huquq-Büros erhalten Schulungen, Gesetzes-

texte, Fachliteratur und werden außerdem von

Mentoren begleitet

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Gemeinsam trugen Shah und die Gegenpartei, Abdullah, ihren Fall Musavi vor. „Ich habe den beiden Parteien die Rechtsgrundlage geschildert, ihnen zu einer gesetzeskonformen Lösung geraten und sie mit diesem Vorschlag zu ihren Dorf ältesten geschickt.“ Die Dorf ältesten folgten den Vorschlägen des Huquq und sprachen das Land wieder seinem ursprünglichen Besitzer zu. Damit kann auch Abdullah leben, denn: „Die Landnahme ging noch auf meinen Vater zurück. Ich akzeptiere die Entscheidung der Ältesten, die der Huquq offi ziell bestätigt hat.“

Im Auftrag der deutschen Bundesregierung unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Huquq-Schlichtungsstellen in den sechs af-ghanischen Nordprovinzen Badakhshan, Takhar, Kunduz, Baghlan, Balkh und Samangan auf vielfältige Weise. Neben der Errichtung von Büros und deren Organisation gilt es auch, durch Aus- und Weiter bildung ein gesetzeskonformes Han-

deln der Huquq sicherzustellen. Die Huquq sind Teil des afghanischen Justizministeriums und stellen für die ländliche Bevölkerung das Gesicht des afghanischen Staates dar. Mentoren begleiten die Beamten und schulen sie zu aktuellen Rechtsfragen und Mediationstechniken. Zweimal im Monat schaut Mentor Zubair Zhair bei Musavi vorbei. Sie besprechen rechtliche Grundla-gen und Lösungsideen. Mentor Zhair skizziert die Situation: „Die Huquq zeigen immer häufi ger den Weg zu einer rechtlich einwandfreien Entscheidung auf. Sie werden professioneller und das nimmt die Bevölkerung wahr.“

Dank einer ausgebauten Rechtsberatung können sich Afgha-ninnen und Afghanen über ihre Rechte informieren. Seit 2013 haben die Streitschlichter mehr als 61.000 Fälle in den unter-stützten Provinzen bearbeitet. Durch höhere Präsenz, Kompe-tenz und Unparteilichkeit der Huquq ist deren Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern stark gestiegen.

61.000* bearbeitete Fälle der Streitschlichter

„ Die Huquqs zeigen immer häu� ger den Weg zu einer rechtlich einwandfreien Entscheidung auf.“

* seit 2013

12 DAS RECHT DES EINZELNEN

Religionsgelehrte setzen sich für Frauenrechte ein

„Es existieren bei uns leider einige soziale und kulturelle Verhaltensweisen, die nicht mit den Vorschriften unserer Religion und den Gesetzen der Scharia übereinstimmen. In der Scharia ist klar geregelt, dass Män-ner die Rechte ihrer Frauen, Schwestern, Mütter und Töchter respektieren sollen. Das ist in unserer Gesell-schaft jedoch nicht immer der Fall“, beschreibt Ghulam Jelani, Leiter des Amtes für religiöse Angelegen-heiten, einer Regierungsbehörde der Provinz Balkh, die Situation in Afghanistan. Oft verheiraten Eltern ihre Töchter schon als kleine Kinder, vergewaltigte Frauen werden verstoßen, Männer trennen sich von ihren Ehefrauen und zahlen keinen Unterhalt oder behalten die Mitgift ihrer Frau ein. Häusliche Gewalt gilt als Kavaliersdelikt, die betroffenen Frauen fi nden weder Hilfe noch Zufl ucht.

Diese Situation ist auch zahlreichen Religionsgelehrten ein Dorn im Auge, denn: „Der Koran regelt, welche Rechte und Pfl ichten die Menschen gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft haben – Frauen wie Männern“, macht Jelani klar. Er berät gemeinsam mit Kollegen über den Inhalt der Predigten im Land und

arbeitet mit den Religionsgelehrten, den Mullahs, zusammen. Mit Publikationen und Fortbildungsveranstaltungen für Mullahs unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH die Aufrufe an die männliche Bevölke-rung, ihr Verhalten zu ändern. Mullahs kamen wiederholt zusammen und studierten gemeinsam den Koran und dessen Vorschriften hinsichtlich der Rechte von Frauen. Dabei ging es um die Verpfl ichtungen des Mannes nach der Hochzeit, die fi nan-ziellen Rechte der Frauen, die Verurteilung von Vergewaltigung im Koran oder die Frage, wer über die Mitgift der Frau verfügen darf. Im Frühjahr 2016 wurden 2.000 Exemplare eines Buches über Traditionen, die nicht der islamischen Religion ent-stammen, an das afghanische Ministerium für religiöse Angelegenheiten übergeben, welches diese Bücher landesweit an Mullahs verteilt hat. Damit sollen Informatio-nen fl ächendeckend geteilt werden.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung der Rechtsstaatlichkeit

§ Ziel: Rechtssicherheit für Bürgerinnen und Bürger schaffen – durch die Beratung afghanischer Institu tionen und die Errichtung rechtsstaatlicher Ein-richtungen zur Konfliktbewältigung

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Justizministerium von Afghanistan und seine Vertretungen auf Provinz-ebene; afghanisches Ministerium für religiöse Angelegenheiten

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Die Mullahs sprechen diese Themen seither verstärkt in ihren Predigten an und setzen sich damit auch für die Menschen- und Frauenrechte ein. Haji Shafi ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und wohnt in Aybak in der Provinz Samangan. Er ist froh über die Aufklärung durch den Mullah, denn ihm ist klar geworden, dass er seine Frau ungerecht behandelt hat: „Ich war sechs Monate auf einer Geschäftsreise in China. Meine

Frau hat sich bei ihren Verwandten in der Zwischenzeit 1.000 Euro geliehen, was mich sehr wütend machte. In der Frei-tagspredigt sagte der Mullah jedoch, dass eine Ehefrau das Recht habe, sich bei einer längeren Abwesenheit ihres Man-nes Geld bei der Verwandtschaft zu leihen. Da habe ich mich sehr schlecht gefühlt gegenüber meiner Frau.“

Verhaltensänderungen wie diese machen Schule. Zunächst hat sich das Bewusstsein der Mullahs verändert, die durch ihre Predigten allmählich wiederum Ansichten und Erkenntnisse zahl reicher Männer verändern. Shafi erzählt: „Ich habe noch nie zuvor gehört, dass ein Mullah den Männern während der Predigt klar-gemacht hat, dass die Mitgift allein der Frau gehört. Beim letzten Besuch in der Moschee hat unser Mullah jedoch deutlich gemacht, dass die Mitgift nicht in die Hände des Bräutigams oder von dessen Familie gehöre, sondern der Braut zustehe. Ich fi nde es bemerkenswert, dass Mullahs diese Dinge ansprechen.“

Religionsgelehrte setzen sich für Frauen-rechte ein, denn Rechte und P� ichten sind im Koran festgeschrieben

„ Der Koran regelt, welche Rechte und P� ichten die Menschen gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft haben – Frauen wie Männern“

14 DAS RECHT DES EINZELNEN

Eine faire Justiz – für und durch Frauen

Nach vier Jahren Jurastudium und dem erfolgreichen Bachelorabschluss haben Sumaia und Lida ein tiefgreifendes Wissen über die rechtlichen Grund-lagen Afghanistans erworben. Doch wie sich das umfang reiche juristische Regelwerk in die Praxis übertragen lässt und wie sie es anwenden müssen – davon hatten beide nach dem Studium keine rechte Vorstellung.

Auf der Internetseite von ACBAR (Jobbörse für Afghanistan) fanden beide Absolventinnen eine Aus schreibung für ein sechsmonatiges Praktikum in der Justizbehörde in Mazar-e Sharif, das die deutsche Bundesregierung fi nanziert. Gemeinsam mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen haben die beiden Frau-en die tägliche Arbeit bewältigt: die Akten neuer Fälle studiert, sie juristisch geprüft, mit dem Staatsanwalt besprochen und sich um Pfl ichtverteidiger für die Beschuldigten gekümmert, wenn diese sich keinen An-walt leisten konnten. Lida erklärt: „Diese Arbeit unterscheidet sich vollkommen von dem, was wir an der Universität gemacht haben. Es ist viel interessanter, an realen Fällen zu arbeiten, die Menschen dahinter kennenzulernen und ein Teil des juristischen Prozesses zu sein.“

Je nach Abteilung kamen ganz unterschiedliche Herausforderungen auf die jungen Frauen zu. „Ich habe in der Huquq-Abteilung Mediation gelernt. Der Huquq schafft es, zerstrittene Parteien zu einer Schlichtung zu führen, mit der beide Seiten glücklich sind. Es war sehr spannend, das zu erleben“, so Lida. Sumaia hatte vor Beginn des Praktikums bereits ihre Anwaltslizenz bei der Anwaltskammer beantragt und erhalten. Nach der Einarbeitung erlaubte ihr der Leiter der Justizbehörde, in der Rechtshilfeabteilung als Rechtsbeistand für Frauen und Kinder in Zivilfällen zu arbeiten. Für Sumaia eine einmalige Chance, Erfahrungen zu sammeln: „Ich durfte an aktuellen Fällen arbeiten. Insgesamt waren es 25 Streitfälle, die ich während des Praktikums betreut habe. Ich habe unglaublich viele Erfahrungen sammeln können und habe in meinem Traumjob gearbeitet – Frauen zu helfen, die sich verändern wollen.“

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung der Rechtsstaatlichkeit

§ Ziel: Rechtssicherheit für Bürgerinnen und Bürger schaffen – durch die Beratung afghanischer Institu tionen und die Errichtung rechtsstaatlicher Ein-richtungen zur Konfliktbewältigung

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Justizministerium von Afghanistan und seine Vertretungen auf Provinz-ebene; afghanisches Ministerium für religiöse Angelegenheiten; afghanisches Frauenministerium

Gut ausgebildetete Frauen sammeln im Praktikum Berufserfahrung als Rechtsbeistand für andere Frauen

15DAS RECHT DES EINZELNEN

Sumaias großes Ziel ist es, Richterin zu werden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aktuell arbeitet die junge Frau für die Nichtregierungsorganisation Qanoon Ghoshtunki, die Rechtsberatung und kosten-freie juristische Vertretung vor Gericht anbietet. Sumaia kann sich glücklich schätzen: „Meine Eltern moti-vieren mich, meine juristische Ausbildung fortzusetzen, und unterstützen mich, wo sie können. Die ganze Familie steht hinter mir, das ist in Afghanistan etwas Besonderes.“

Lida hat nach dem Praktikum eine Anstellung im Rechts-programm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH gefunden. Hier pfl egt sie enge Kontakte zur Justizbehörde und organisiert die Praktika der nächsten Generation von Jura studentinnen. Für das Master-studium fehlt ihr momentan das Geld. Die Arbeit bei der GIZ bietet ihr die Möglichkeit, weiterhin fachlich tätig zu sein und gleichzeitig Geld für das Aufbaustudium zu sparen.

Schon als junges Mädchen wollte Sumaia Juristin werden: „Ich bin Juristin geworden, um afghanischen Frauen zu helfen, einen Ausweg aus ihrer Situation zu fi nden.“ Lida pfl ichtet ihr bei: „Die Bedingungen für Frauen in Afghanistan sind wirklich sehr schlecht. Wir werden überall diskriminiert. Ich will die Diskri-minierung beenden und die Rechte der Frauen in unserer Gesellschaft verteidigen!“

Insbesondere Studentinnen der Rechtswissenschaften werden beim Einstieg ins Berufsleben unterstützt, vorwiegend durch Praktikaprogramme und praktische Übungen an sogenannten „Legal Clinics“

„ Ich bin Juristin geworden, um afghanischen Frauen zu helfen, einen Ausweg aus ihrer Situation zu � nden.“

16 DAS RECHT DES EINZELNEN

Jugend für Dialog und Frieden

In der Bildung sieht Madina heute ihre Chance auf eine bessere Zukunft, deshalb besucht sie jetzt regelmäßig die Schule. Das war nicht immer so: In armen Verhältnissen aufgewachsen, sollte sie bereits in jungen Jahren zwangsverheiratet werden. Madina ent-

schied sich zur Flucht mit einem anderen Mann, die für die junge Frau jedoch zum Verhängnis wurde: Sie wurde vergewaltigt und anschließend wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs und Weglaufens ver-urteilt. Von der Zeit in der Jugendhaftan-stalt berichtet Madina jedoch positiv: Sie erhielt dort psychologische Unterstützung und wurde über ihre Rechte aufgeklärt. Eine Sozialarbeiterin half Madina dabei, in ihre Familie zurückzukehren. Dort lebt sie auch heute noch.

Viele Kinder und Jugendliche in Afgha-nistan wachsen in politisch, ökonomisch und sozial angespannten Verhältnissen auf. Weder zu Hause noch in der Schule erlernen sie einen friedlichen und bewuss-ten Umgang mit Konfl ikten. Wie Madina werden auch andere Jugendliche Opfer von Gewalt. Manche von ihnen werden

Projektsteckbrief

§ Projekt: Ziviler Friedensdienst & Förderung der Rechtsstaatlichkeit

§ Ziel: Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure im Umgang mit Konflikten: Durch die Vermittlung von Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung werden Friedensprozesse und demo-kratische Strukturen angestoßen; Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger schaffen

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: ASCHIANA (Juvenile Rehabilitation Center – JRC); weitere afghanische Nichtregierungsorganisationen und Regierungsstellen

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später selbst zu Tätern oder von bewaffneten Gruppen instrumentalisiert. Um das zu ändern, setzen sich der Zivile Friedensdienst (ZFD) und das Programm zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit (RoL) gemeinsam für die Reintegration von jugendlichen Straftätern ein. In Zusammenarbeit mit der afghanischen Nichtregierungsorganisation ASCHIANA unterstützen die Vorhaben Sozial-arbeiterinnen und Sozialarbeiter in der Jugendstrafvollzugsanstalt (Juvenile Rehabilitation Center – JRC) der Provinz Balkh im Norden Afghanistans. Durch Schul- und Berufsausbildungen, psychosoziale Begleitung und Angebote wie Sport, Malen und Theater stärken sie das Selbstvertrauen, die Empathie und die Fähigkeit jugendlicher Strafgefangener zur gewaltfreien Lösung von Kon-fl ikten – abseits von Kriminalität und Extremismus.

Der 14-jährige Navid kam aufgrund der Misshandlung eines anderen Kindes in die Jugendhaftanstalt. Während der Zeit im Gefängnis wurde auch er von Sozialarbeitern betreut. Sie brachten Navid bei, mit seiner Wut umzugehen und Streit friedlich zu lösen. Besonders stolz erzählt Navid von einem Technikkurs, an dem er in der Jugendhaft anstalt teilnehmen konnte. Heute lebt Navid wieder bei seiner Familie und geht re-gelmäßig zur Schule. In einer Werkstatt repariert er nebenbei Handys. Das verschafft ihm Erfolgserlebnisse und Selbstvertrauen. Er hat nun wieder eine Zukunftsperspektive.

Die Tätigkeiten der Programme ZFD und RoL sind vielseitig: Die Projekte haben beispielsweise während des vergangenen Internationalen Kindertags Veranstaltungen angeboten, auf denen afghanische Kinder mehr Mitsprache-recht und Bildung für alle eingefordert haben, auch für die vielen Straßen- und Waisenkinder in Afghanistan. Kinderstimmen Gehör verleihen – auch das ist Demokratie. Anlässlich der Feierlichkeiten von Nawroz, dem persischen Neujahr, haben mehr als 200 Kinder ihre Ideen von Frieden auf ein 27 Meter langes Laken gemalt. Fazit von Razma, einer der Teilnehmerinnen: „Erst wenn Frieden in unserem Land einkehrt, wird alles möglich sein.“

Der Zivile Friedensdienst hilft, eine friedliche Entwicklung der afghanischen Gesellschaft voranzubringen und Gewaltspiralen zu durchbrechen

„ Erst wenn Frieden in unserem Land einkehrt, wird alles möglich sein.“

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19POLITISCHE TEILHABE

Politische Teilhabe – im Interesse der BevölkerungAchtet ein Staat die Menschenrechte seiner Bürgerinnen und Bürger und ist in der Lage,

diese auch durchzusetzen und für Sicherheit und Wohlergehen zu sorgen, dann steigt

das Vertrauen der Bewohnerinnen und Bewohner in ihre Regierung. Je besser staatliche

Dienstleistungen erbracht werden, desto höher ist auch die Legitimität der Instituti-

onen und Verwaltungen. Deshalb ist es wichtig, dass die Behördenvertreterinnen und

-vertreter die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung kennen und verstehen, damit

sie ihr Handeln nach diesen ausrichten und entsprechend reagieren können. Um das zu

verwirklichen, müssen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich auf kom-

munaler, Distrikt- und Provinzebene sowie auf Regierungsebene in Kabul Gehör zu ver-

schaffen. Nur durch ein aktiveres Mitspracherecht können die Menschen in Afghanistan

die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihres Landes mitgestalten. Dazu

bedarf es Bürgervertretungen, offener und bürgernaher Behörden und etablierter Kom-

munikationswege zwischen Bevölkerung und Behördenvertreterinnen und -vertretern.

Neben dem Mangel an institutionalisierten Kommunikationsstrukturen, die es der Re-

gierung ermöglichen, die Wünsche und Interessen der Bevölkerung auf kommunaler

sowie nationaler Ebene ausreichend wahrzunehmen, sind staatliche Vertreterinnen und

Vertreter in Afghanistan für diese Aufgaben oft nicht ausreichend ausgebildet.

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-

lung (BMZ) und des Auswärtigen Amts (AA) fördert die deutsche Zusammenarbeit des-

halb aktiv den Dialog zwischen afghanischen Regierungsorganen sowie Bürgerinnen und

Bürgern. Langfristig stärkt der beidseitige Austausch gegenseitiges Vertrauen und trägt

somit wesentlich zur Sicherung der Stabilität des Landes bei.

Mit Hilfe öffentlicher Anhörungen wird der Dialog zwischen Regierung und Bevölkerung gestärkt. So ist die afghanische Regierung angehalten, Rechenschaft abzulegen und zukünftig öffentliche Feedback-Mechanismen einzuführen

20 POLITISCHE TEILHABE

Emanzipation durch Wissen

30 Frauen unterschiedlichen Alters lauschen gespannt den Ausführungen von Halima Sarwari, einer der Leiterinnen der Nichtregierungsorganisation Frauenrat in Balkh. Die engagierte Frau unterrichtet ihre Gruppe 20 Stunden pro Woche im Frauen-Trainingszentrum in Balkh: „Ein Großteil der weiblichen Be-völkerung kennt seine eigenen Rechte nicht. Die Frauen sind begierig zu wissen, wo ihr Platz in unserer Gesellschaft ist und welche Rechte sie gemäß der Verfassung und dem Islam genießen.“ In dieser Woche liegt der Schwerpunkt des Unterrichts auf den politischen Strukturen. Halima Sarwari erklärt, wie sich

Frauen in politische Prozesse auf kommunaler Ebene einbringen können, wie Wahlen funktionieren und was das Wahlgeheimnis bedeutet. Ihre Botschaft: Frauen haben ein Wahlrecht und sollten es wahrnehmen.

Die Palette der Kursthemen ist breitgefächert, denn das Trainingszentrum spricht die Frauen dort an, wo Bedarf besteht. Der Grad der Allgemeinbildung, die Alphabetisie-rungsquote und das Selbstvertrauen vieler Frauen sind in Afghanistan häufi g gering. Deshalb geht es in den Kursen um Frauenrechte, Erbrecht, Gewalt gegen Frauen und auch um ganz praktische Weiterbildungen wie Alphabetisierungs-, Computer-, Mathematik- oder Englischkurse. Das Trainingszentrum ist eines von dreien, welche die Abteilung für Frauenangelegenheiten der Provinz Balkh mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung errichtet hat. Hier soll die weibliche Bevölkerung Informationen zu allen Fragen und Problemen genauso wie Weiterbildungs-möglichkeiten fi nden.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung subnationaler Regierungsstrukturen (RCD)

§ Ziel: Das Vertrauen in die Legitimität und die Funktionsfähigkeit staatlicher Organe und die Erbringung staat-licher Dienstleistungen verbessern

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Fachabteilung für Frauenangelegen-heiten; Provinzregierung Balkh

„Ein Großteil der weiblichen Bevölkerung kennt seine eigenen Rechte nicht. Die Frauen sind begierig zu wissen, wo ihr Platz in unserer Gesellschaft ist und welche Rechte sie gemäß der Verfassung und dem Islam genießen.“

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Immer wiederkehrende Themen, welche die Teilnehmerinnen beschäftigen, sind Gewalt gegen Frauen und Kinderheiraten. In den Unterrichtsstunden gehen vielen von ihnen die Augen auf, welche rechtliche Hand-habe ihnen der Staat bietet, um sich zur Wehr zu setzen. Nasima Khwajazada ist kommunale Angestellte und hat an den Schulungen in Balkh teilgenommen. Danach hat sie eine eigene Frauengruppe in ihrem Dorf gegründet, die sich zweimal pro Woche trifft: „Diese Schulungen haben uns quasi aufgerüttelt. Wir kennen nun unsere Rechte und machen den Mund auf, wenn unsere Männer oder Familien uns ungerecht behandeln. Wir sind eben selbstsicherer geworden!“

Trainings für Frauen: die Palette ist lang - von Alphabetisierungs-, Computer-, Mathematik- oder Englischkursen über Frauenrechte, Erbrecht, Gewalt gegen Frauen und vieles mehr

22 POLITISCHE TEILHABE

Provinzbüros stehen Rede und Antwort

Der Saal des Gemeindezentrums von Firoznakhcher in der Provinz Samangan ist brechend voll. Stuhl drängt sich an Stuhl, alle Plätze sind belegt. Mit gespannter Erwartung schauen die 330 anwesenden Männer und Frauen auf das Podium. Zum ersten Mal treffen die Bürgerinnen und Bürger von Firoznakhcher in einer öffentlichen Anhörung auf die Vertreterinnen und Vertreter der Provinz- und Distriktregierung.

Mit im Publikum sitzt Farid. Der 36-jährige Lehrer hat zahlreiche Fragen und Anliegen mit in die Veranstaltung gebracht und ist froh, dass er endlich Gele-genheit hat, sie loszuwerden: „Transparenz in der Regierungsführung heißt doch, dass wir Bürger wissen und verstehen müssen, was die Regierung hier konkret vorhat. Bislang hatten wir jedoch keine Ahnung, welche Projekte geplant sind, wofür ein Distrikt oder die Provinz Finanzmittel einteilt und welche zukünftigen Entwicklungen wir erwarten dürfen.“

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung subnationaler Regierungsstrukturen (RCD)

§ Ziel: Das Vertrauen in die Legitimität und die Funktionsfähigkeit staat-licher Organe und die Erbringung staatlicher Dienstleistungen u. a. mit Hilfe von Dialogveranstaltungen der Provinz- und Distriktverwaltungen verbessern

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Büro des Provinzgouverneurs in Samangan

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In der heutigen Veranstaltung kann Farid all diese Fragen stellen. Mohammad Kabir Mukaramzadha, Leiter der Ab-teilung Technik und Services des Provinzgouverneursbüros, eröffnet die öffentliche Anhörung. Mit ihm stehen den Anwesenden auch die Repräsentantinnen und Repräsentan-ten für Wirtschaft, Gesundheit, Frauenangelegenheiten und Bildung Rede und Antwort. Sie stellen die laufenden und geplanten Entwicklungsprojekte vor, geben Auskunft zu Kosten, Laufzeiten und Vorteilen, die sich für die Einwoh-nerinnen und Einwohner ergeben. Zunächst noch etwas schüchtern, kommen dann rasch immer mehr Fragen aus dem Publikum.

Farid möchte wissen, wann endlich die wichtigsten Straßen im Distrikt asphaltiert werden: „Im Winter stecken die Fahrzeuge manchmal vier bis fünf Tage fest und die Dorfbewohner erhalten weder Nahrungs-mittel noch andere Güter. In einem mir bekannten Fall ist sogar eine Frau gestorben, weil wir mit dem Auto nicht zur Klinik durchkamen.“ Gewissenhaft nehmen die Behördenvertreterinnen und -vertreter die Anre-gungen der Zuhörerschaft auf. Sie sollen in die nächsten Projektplanungen einfl ießen.

Am Ende der Veranstaltung verlassen die Menschen mit zufriedenen Gesichtern den Saal. Nachdem sie vie-le Jahre abgeschnitten waren von den Aktivitäten ihrer lokalen Regierung, sind sie jetzt mittendrin. Mulawi Abdul Majid, einer der Ältesten der Shura, freut sich sehr: „Seit dem Ende des Taliban-Regimes hatten wir keine einzige öffentliche Anhörung, in der die Regierung über ihre Aktivitäten und Pläne gesprochen hat. Heute wurden wir nach unserer Meinung gefragt. Das bringt unserer Regierung viel Glaubwürdigkeit. Die afghanische Bevölkerung beginnt so, dem Staat zu vertrauen.“

Die deutsche Bundesregierung hat das Provinzbüro des Gouverneurs von Samangan fi nanziell unterstützt, öffentliche Anhörungen sowie Inhalte und Informationsmaterial vorzubereiten. In insgesamt sieben Dis-trikten der Provinz Samangan fanden bereits öffentliche Anhörungen statt. Zusammengezählt haben fast 4.000 Menschen an den bisherigen Veranstaltungen teilgenommen – die Anhörungen stoßen auf reges Interesse der afghanischen Bevölkerung. Auch in Zukunft will das Provinzbüro des Gouverneurs diesen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern mindestens einmal jährlich durchführen.

Öffentliche Anhörungen und Transparenz: Kommunikation und Vertrauen zwischen Bevölkerung und Staatsorganen stärken

In 7 Distrikten der Provinz Samangan fanden bereits öffentliche Anhörungen statt. Insgesamt

4.000 Menschen nahmen daran teil.

24 POLITISCHE TEILHABE

Behördengänge leichter machen

Das Einwohnermeldeamt in Kunduz ist zuständig für rund 900.000 Bürgerin-nen und Bürger der Provinz. Weder gibt es eine Ab- und Anmeldepfl icht wie in Deutschland, noch verfügen alle Afghaninnen und Afghanen über einen Ausweis. Einen Ausweis beantragen – das grenzte früher in Kunduz an eine nahezu unüberbrückbare Herausforderung: Informationen über Bürgerinnen und Bürger waren oft nicht vorhanden oder nur schwer auffi ndbar.

Herr Shamsurrahman Akbari, Leiter des Einwohnermeldeamts in Kunduz, merkt an: „Das Archiv unserer Abteilung war in einem sehr schlechten Zustand. Es bestand keine Ordnung nach Ortschaften oder Jahreszahlen. Unterlagen über die Bevölkerung waren quasi unauffi ndbar oder die Suche war mit einem hohen Zeitaufwand verbunden.“ Diese Situation war nicht nur für Antragstellende untragbar. Auch für Mitarbeitende der Behörde stellte der Zustand eine Zeitverschwen-

dung dar. „Anträge wurden in die Länge gezogen und korruptes Verhalten konnte sich leichter einschleichen“, so Akbari. Die Folge: Bürgerinnen und Bürger sahen kaum einen Sinn darin, überhaupt das Einwohnermeldeamt aufzusuchen.

Nachdem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag der deutschen Bundesregierung das Einwohnermeldeamt in Kunduz unterstützt hat, Mitarbeitende der Behörde weiterzubilden, einzelne Arbeits bereiche und Hierarchien klar zu defi nieren, eine Arbeitsteilung festzulegen und auch das Archiv strukturiert aufzubauen, haben besonders Effi zienz undQualität aller Aufgabenbereiche erheblich zugenommen.

„Justizbehörden erhalten nun die notwendigen Informationen über Straftäter und Ausweisdokumente können zeitnah ausgestellt werden. Nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde sind erleichtert, auch Antragstellende sind zufrieden mit den Leistungen“, betont Akbari.

Laut Parwaiz Saify, Professor an der Universität Kunduz, war es zuvor nahezu unmöglich, seinen Ausweis innerhalb einer angemessenen Frist erneuern zu lassen oder gar einen neuen zu beantragen. „Dieses Mal fanden die Mitarbeitenden der Behörde schnell alle notwendigen Informationen über mich und meine Familie in den Archiven“, so Saify.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung subnationaler Regierungsstrukturen (RCD)

§ Ziel: Das Vertrauen in die Legitimität und die Funktionsfähigkeit staatlicher Organe und die Erbringung staat licher Dienstleistungen verbessern

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Einwohnermeldeamt Kunduz (Population Registration Department); Unabhängige Kommission zur Reform des öffentlichen Sektors (Indepen-dent Administrative Reform and Civil Service Commission, IARCSC); Stadtverwaltung von Kunduz (Kunduz Municipality)

25

FBedarfsorientierte Fortbildungen für Beamtinnen und Beamte helfen, ef� ziente und qualitative Dienstleistungen für die Bevölkerung zu erbringen

26 POLITISCHE TEILHABE

Frauen ins Berufsleben integrieren

Die berufl iche Beschäftigung von Frauen war und ist weiterhin eine Herausforderung in Afghanistan. Dr. Manan Zahed, Mitarbeiter der deutsch-afghanischen Entwicklungszusammenarbeit, stellt fest: „Frauen wurde hier sehr lange die Teilnahme am öffentlichen Leben verwehrt – zum Teil begründet durch bestimmte Traditionen oder auch religiöse Ansichten. Auch Frauen mit einer hervorragenden Ausbildung

fi nden oftmals keine Möglichkeit, arbeiten zu gehen.“ Das zeigt: Bildung allein reicht nicht, um Frauen ins Berufsleben zu integrieren. Ayisha, Absolventin der Fakultät für Wissenschaften in Faizabad, betont: „Nach meinem Abschluss habe ich fast ein ganzes Jahr zu Hause verbracht – ohne Arbeit.“

Um Frauen nach dem Abschluss einer höheren Ausbildung den Berufseinstieg zu erleichtern, hat die deutsch-afghanische Entwicklungszusammenarbeit ein Prak-tikantinnenprogramm für 50 junge Frauen in Faizabad ins Leben gerufen. Während des neunmonatigen Programms haben die Teilnehmerinnen sechs Monate lang an Weiterbildungen zu Finanzplanung, Personalführung, Einkauf sowie Führungs-verantwortung teilgenommen und nebenher in den Provinzbehörden in Teilzeit gearbeitet. Anschließend haben sie ein dreimonatiges Vollzeitpraktikum in der jeweiligen Behörde ab-solviert. „Während des neunmonatigen Pro-gramms habe ich mehr gelernt als in allen vor-hergehenden Studien-jahren“, so Ayisha.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung subnationaler Regierungsstrukturen (RCD)

§ Ziel: Das Vertrauen in die Legitimität und die Funktionsfähigkeit staatlicher Organe und die Erbringung staat-licher Dienstleistungen verbessern: Praktikantinnenprogramm für 50 Hochschulabsolventinnen in Faizabad

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Unabhängige Kommission zur Reform des öffentlichen Sektors (Indepen-dent Administrative Reform and Civil Service Commission, IARCSC)

27POLITISCHE TEILHABE

Das Programm trägt bereits Früchte: „Von den 50 Teilnehmerinnen haben in zwischen 34 eine feste Anstellung gefunden, vorwiegend im Bildungsbereich“, so Dr. Zahed.

Die berufl iche Tätigkeit von Frauen wirkt sich auch auf das Verhalten im eigenen Haushalt aus: „Meine Führungskompetenzen kann ich nicht nur im Büro anwenden. Als ältestes Mädchen von fünf Kindern, die noch zu Hause leben und ohne Vater groß werden, muss ich auch meine Familie managen“, so Ayisha. Das Programm gibt jungen Frauen Selbstvertrauen, ihren Lebensweg zu bestreiten – auch fi nanziell: „Mit Hilfe meines Gehalts kann ich nun meine Familie unterstützen. Seit dem Tod meines Vaters sind meine Geschwister und meine Mutter darauf angewiesen“, bezeugt Ayisha.

„Die höhere Präsenz von Frauen im Berufsleben kann auch zu deren Akzeptanz in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereichen führen“, hofft Dr. Zahed. Aufgrund der erfolgreichen Bilanz wurde dieses Pro-gramm auch in anderen Provinzen ins Leben gerufen, während es in Badakhshan in die dritte Runde geht.

Bildung allein reicht nicht, um Frauen ins Berufsleben zu integrieren. Praktikantinnenprogramme helfen, den Berufseinstieg zu erleichtern

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29DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Das Fundament eines Staates – die VerwaltungEine effi ziente und rechenschaftspfl ichtige öffentliche Verwaltung auf lokaler, Provinz- sowie

nationaler Ebene ist das Fundament eines funktionierenden Staates. Öffentliche Dienstleistun-

gen kann ein Land effektiv erbringen, wenn Verwaltungsstrukturen und -prozesse transparent

sind, angenommen werden und ordnungsgemäß funktionieren. Für eine nachhaltige wirtschaft-

liche Entwicklung ist ein effi zient funktionierender Dienstleistungssektor fundamental. In Af-

ghanistan sind die Strukturen, Verfahren oder Prozesse der öffentlichen Verwaltung jedoch oft

unklar defi niert, teils überreguliert oder an anderen Stellen wiederum lückenhaft. Angestellte

von Ministerien und Verwaltungsbehörden verfügen oft nicht über ausreichende Fachkenntnisse

und Erfahrung, um ihren Beruf vollkommen auszufüllen. Manche Dienststellen sind unterbe-

setzt.

Darüber hinaus fi nden sich in den Institutionen Korruption, Patronage und mangelnde Integri-

tät. Transparenz ist nicht in allen Bereichen vollständig gegeben und staatliche Kontrollorgane

bedürfen weiterer Unterstützung zur korrekten Ausübung ihrer Funktion. Zudem fi nden zivil-

gesellschaftliche Akteure nicht immer Gehör.

Deshalb unterstützen die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

GmbH sowie die KfW Entwicklungsbank im Auftrag der deutschen Bundesregierung ihre afg-

hanischen Partner bei der Reform der örtlichen Verwaltung. Das Ziel: ein verantwortungsvoller

Umgang des Staates mit der Regierungsgewalt sowie -autorität und öffentlichen Ressourcen.

Um die öffentliche Verwaltung langfristig effektiver zu gestalten und Korruption vorzubeugen, unterstützt die deutsche Bundesregierung Reformprozesse in Afghanistan

30 DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Korruption vorbeugen – auf nationaler und provinzialer Ebene

Die afghanische Nationalregierung hat ihr Engagement im Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption wiederholt bekräftigt. In den vergangenen zehn Jahren wurden mit internationaler Unterstützung zwar bereits einige Erfolge erzielt, dennoch ist die öffentliche Verwaltung in nahezu allen Bereichen von kor-rupten Amtsträgern durchsetzt. Dies hemmt zum einen die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und untergräbt außerdem das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat. „Für die meisten Bürger ist

korruptes Verhalten in den Verwaltungsbehörden Teil des Alltags geworden. Das Vertrauen der Bürger in ihre Ministerien ist gestört“, bezeugt Naseem Akbar, der aktuelle Generaldirektor des Komitees für Korruptionsbekämpfung und Evaluierung (Independent Joint Anti-Corruption Monitoring and Evaluation Committee – MEC).

Um dem entgegenzuwirken, unterstützt der Offene Politikberatungsfonds (OPAF) das MEC dabei, Gefährdungsanalysen („Vulnerability to Corruption Assessments“) anzufertigen, die präzise Empfehlungen beinhalten. „Durch Maßnahmen, die sich auf qualifi zierte Analysen gründen, kann das Vertrauen nachhaltig wiederhergestellt werden“, bestätigt Akbar. Er wünscht sich volle Transparenz und mehr Effektivität. Um sicherzugehen, dass diese letztendlich auch gewährt ist, prüft das MEC, ob die Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden.

Zum Beispiel haben MEC und OPAF die Reform der Prozessabläufe bei der Ausstel-lung von Ausweispapieren empfohlen. Denn hier hatte eine bestimmte Personen-gruppe den Zugang zu staatlichen Mitteln unlauter ausgenutzt, anstatt Dokumente korrekt zu überprüfen. Eines der direkten Ergebnisse der Reform: In den ersten neun Monaten des Jahres 2015 konnten in 15 Provinzen des Landes ganze 155 Millionen Afghani (das entspricht fast zwei Millionen Euro) eingespart werden.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Offener Politikberatungsfonds

§ Ziel: Rechtssicherheit für Bürgerinnen und Bürger schaffen – durch die Beratung afghanischer Institutionen und die Errichtung rechtsstaat licher Ein-richtungen zur Konfliktbewältigung

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Unabhängige Kommission zur Reform des öffentlichen Sektors (Indepen-dent Administrative Reform and Civil Service Commission, IARCSC)

2 Mio.Euro konnten 2015 durch die Optimierung der Prozessabläufe eingespart werden

31

Infolge der MEC- und OPAF-Empfehlung, Landbesitz amtlich zu registrieren, hat das afghanische Ministe-rium für religiöse Angelegenheiten in 20 Provinzen etwa 8.000 Hektar gespendetes Land (sogenanntes Waqfi -Land) erfassen lassen. Das soll illegalen Landenteignungen vorbeugen. Aufgrund fehlender amt-licher Eintragungen, militärischer Konfl ikte im Land sowie unterschiedlicher ideologischer Regierungen wurde Eigentum teils beschlagnahmt oder anderweitig genutzt; Landbegrenzungen sind oft ungenau defi -niert und schwer messbar, Betrug ist dabei keine Seltenheit; Grund und Boden wurde und wird teils durch hochrangige und einfl ussreiche Personen geraubt beziehungsweise vereinnahmt. Beamte im Osten des Landes, in der Provinz Nangarhar, bezeugen: „Hinter dem Büro des Gouverneurs haben Personen einfach Land besetzt, wir haben ganz klar ihre Stimmen gehört. Aber der Gouverneur konnte nichts tun.“

Effektivität und Ef� zienz steigern, Korruption eindämmen und somit die Ausübung politischer und administrativer P� ichten gewährleisten mittels Beratung afghanischer Institutionen und rechtsstaatlicher Einrichtungen

32

Nachhaltiger Bergbau in Afghanistan – Beispiele aus der Türkei

Für Abdul Sami Skindaray war der Besuch im Kohlebergwerk Hema in der türkischen Hafenstadt Amasra ein einschneidendes Erleb-nis. Als erfahrener Bergwerkinspekteur hatte Skindaray in seinem Heimatland Afghanistan schon etliche Bergwerke besucht. Aber das Bergwerk in Amasra an der türkischen Schwarzmeerküste war einzigartig: Mit seinen weißen Stränden, felsigen Küsten und der grünen Vegetation sah es eher aus wie ein Touristenort.

Das Kohlebergwerk in Amasra ist das größte der Türkei. Trotzdem gab es seitens der türkischen Regierung nur wenige Bedenken, dass die dortige Ressourcengewinnung die Umwelt zu stark belas-ten würde. Denn seit schweren Unfällen in der Vergangenheit unterliegt der Kohleabbau in der Türkei

strengen europäischen Umwelt- und Gesundheitsrichtlinien. So wird sichergestellt, dass die Folgen für die Umwelt auf ein Minimum reduziert werden. Skindaray erklärt begeistert: „Verglichen mit Afghanistan ist der Kohleabbau in der Türkei wesentlich transparenter und umweltfreundlicher. Keine Korruption – die Einnahmen fl ießen dem Staat zu.“

Mohammad Abbas, Ingenieur des afghanischen Ministeriums für Bergbau, beschreibt die Lage in afghanischen Minen als besonders kritisch: „Viele Minenarbeiter graben unkontrolliert Löcher, um an Kohle zu kommen. Dadurch wird Kohle aus vielen ver-schiedenen Richtungen angeschlagen, wodurch der Mine und ihren Ressourcen ein unwiderrufl icher Schaden zugefügt wird.“ Abbas erklärt weiter, dass es Afghanistan an einem strukturierten System für den Kohleabbau fehle. „Private Firmen machen große Gewinne. Auch damit ist es bald vorbei. Sie investieren nichts und schädigen stattdessen die Umwelt für illegitimen Profi t. Bergbauminen sind aber nur auf lange Sicht profi tabel, wenn tatsächlich Investitionen getätigt werden. Die afghanischen Firmen versuchen jedoch vom ersten Tag an, Gewinn zu machen.“

Für Afghanistan ist die effektive Nutzung seiner natürlichen Ressourcen ein Schlüs-selfaktor für einen erfolgreichen Wiederaufbau. Die mehr als 1.400 ungenutzten Mineralvorkommen sind Schätzungen zufolge mehrere Billionen Dollar wert. Der Bergbau hat das Potenzial, treibende Kraft für den wirtschaftlichen Aufschwung Afghanistans zu sein – mit vielen Arbeitsplätzen.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Förderung Guter Regierungsführung im Rohstoffsektor Afghanistans

§ Ziel: Transparenz und Kontrolle der Berg-bauindustrie sollen helfen, staatliche Einnahmen zu regulieren, Investi-tionen zu fördern und Korruption langfristig zu bekämpfen – dazu erhalten Inspekteure Einblicke in Bergbausysteme anderer Länder

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Afghanisches Ministerium für Bergbau; Direktorat für Bergaufsicht; Technische Universität Bergakademie Freiberg; Technische Universität Istanbul

* seit 2013

21 Trainings, Aus- und Weiterbildungen für 348 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bergbauministeriums und der Provinzaufsichtsbehörden

33DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Damit diese Vision Wirklichkeit wird, muss Afghanistan seine Bergbauindus trie reformieren. Die bestehen-de Bergbaupolitik hemmt Investitionen, statt sie zu fördern. Außerdem wird die aktive Industrie in weiten Teilen kaum reguliert und kontrolliert. Ein Großteil der Einnahmen kommt dem Staat gar nicht zugute. Darüber hinaus kommen aufgrund der mangelhaften, ineffi zienten und teils gefährlichen Abläufe jedes Jahr hunderte Arbeiter durch Unfälle und Explosionen ums Leben. Die Folgekosten für entstandene Um-weltschäden sind kaum abschätzbar.

Aus diesem Grund unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung afghanische Ak-teure, den Abbau langfristig innovationsfördernd und transparent zu gestalten. Neben der Policy-Beratung des Ministeriums für Bergbau zählen dazu auch Fördermaßnahmen und Weiterbildungen für administrati-ves Personal, technische Fachkräfte, Ingenieure und Geologen sowie Inspekteure der Bergaufsichtsbehör-de, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Vertreter der Zivilgesellschaft. In diesem Rahmen hat die GIZ 20 afghanische Bergbauinspekteure zu einem zweimonatigen Training in der Türkei eingeladen. Dabei wurden neben zahlreichen Besichtigungen von Minenanlagen Fachthemen wie Konstruktionstechniken, Bergwerkplanung und -schließung, moderne Abbau- und Umwelttechnologien, Software, Sozialstandards, Bergrecht und -verwaltung sowie -wirtschaft mit internationalen Experten der Technischen Universität Ber-gakademie Freiberg, der Technischen Universität Istanbul und der türkischen Bergbaubehörde besprochen.

Die Teilnehmer sind optimistisch, ihr neu erlangtes Wissen in Afghanistan umsetzen und ihre Fachkollegen entsprechend weiterbilden zu können. Ihnen ist bewusst, dass der Bergbauindustrie in Afghanistan noch ein langer Weg bevorsteht. Moderne Technologien und neues Equipment erfordern große Investitionen, die nicht von heute auf morgen möglich sind. Doch das Training für afghanische Geologen und Ingenieure in der Türkei war ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung.

Der afghanische Bergbausektor birgt große Wirtschaftspotenziale, die das Wachstum des Landes stark ankurbeln könnten. Um diese voll auszuschöpfen, muss der Abbau langfristig innovationsfördernd und transparent verlaufen

34 DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Die Zukunft selbst in die Hand nehmen

Ein wichtiges Programm, das über den Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF) fi nanziert wird, ist das Nationale Solidaritätsprogramm (NSP) des afghanischen Ministeriums für ländlichen Wiederaufbau und Entwicklung. Bereits seit elf Jahren arbeitet das Programm eng mit den kommunalen Entwicklungsräten in allen 34 Provinzen Afghanistans zusammen. Rund 30.000 Entwicklungsräte begleiteten das Programm.

Die Bedürfnisse und Anliegen der Dorfbewohner und -bewohnerinnen in kom-munale Entscheidungen einzubringen – das ist die Aufgabe der kommunalen Entwicklungsräte. Ihre Vertreterinnen und Vertreter kommen aus den Dörfern und Gemeinden, kennen die Lebensbedingungen und wissen, welche Projekte die höchste Priorität für die Gemeinde haben. Viele Veränderungen realisieren die Räte aus ihrem eigenen Budget, andere Forderungen bringen sie in die Lokalpolitik ein.

Das Nationale Solidaritätsprogramm fördert die kommunalen Entwicklungsräte, berät bei der Gründung neuer Räte und schult die Mitglieder, Projekte zu planen, Fördergelder zu akquirieren und ihre Interessen auf Distrikt- und Provinzebene durchzusetzen. Seit 2003 hat das Programm landesweit über 90.000 Projekte in Gemeinden und Dörfern fi nanziert. Insgesamt fl oss über eine Milliarde Euro in das Solidaritätsprogramm. Für Schulen, Kliniken, Ausbildungszentren für Frauen, Trinkwasseranlagen, neue Straßen, Kanäle, Deiche und sogar Kleinkraftwerke in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Parwan und Panjshir haben die Kommunen über 13 Prozent der Kosten aus eigener Kraft gestemmt, entweder durch Sachgüter, Ar-beitszeit oder in Form von Bargeld. Die Entwicklungsräte nehmen den Aufbau ihrer

Dörfer selbst in die Hand. Sie initiieren eigene Projekte, stellen selbstbewusst Forderungen an die Distrikt- und Provinzregierungen und übernehmen die Verantwortung für zukunftsorientierte Entscheidungen.

So sahen die Frauen der Entwicklungsräte im Distrikt Mir-bacha-kot in der Provinz Kabul die dringen-de Notwendigkeit, ein Krankenhaus für Frauen und Kinder zu bauen. 37 Entwicklungsräte des Distrikts legten ihr Budget unter dem Nationalen Solidaritätsprogramm zusammen und es entstand im Herzen des Distrikts ein Krankenhaus mit 20 Betten und einer gynäkologischen Abteilung. Zehn Prozent der Baukosten haben die Bürgerinnen und Bürger aus den 37 Dörfern gespendet, die übrigen Kosten wurden durch den ARTF abgedeckt. Das Krankenhaus ist seit 2012 voll ausgestattet und in Betrieb. Seitdem hat sich die Versorgung von Frauen und Kindern im Distrikt deutlich verbessert. „Vorher haben viele Familien ihre Kinder verloren und Frauen starben oft bei der Geburt“, blickt Ghulam Jilani, Leiter des kommunalen Entwicklungs rates in Mir-bacha-kot, zurück.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Treuhandfonds für den Wieder-aufbau Afghanistans der Weltbank (Afghanistan Reconstruction Trust Fund – ARTF)

§ Ziel: Stärkung der Kapazitäten des afghanischen Staates, Entwicklung eigenständig zu finanzieren

§ Durchführungsorganisation: KfW Entwicklungsbank

§ Partner: Afghanische Regierung; Weltbank (Fonds-Administrator)

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Fortschritt durch den Treuhandfonds für Wiederaufbau – der Afghanistan Reconstruction Trust Fund (ARTF)

Mehr als 30 internationale Geber, darunter auch die deutsche Bundesregierung, beteiligen sich seit 2002 fi nanziell am afghanischen Treuhandfonds für Wiederauf-bau (Afghanistan Reconstruction Trust Fund – kurz ARTF). Damit unterstützen sie das Land dabei, die Entwicklung eigenständig zu fi nanzieren und langfristig auf eigenen Füßen zu stehen. Bisher wurden insgesamt über acht Milliarden Euro in den Fonds eingezahlt, wovon Deutschland über 510 Millionen Euro bereitgestellt hat. Damit ist die Bundesregierung einer der größten Geldgeber. Der ARTF ist das wichtigste Finanzierungsinstrument für den zivilen Sektor in Afghanistan.

Der ARTF soll Afghanistan helfen, laufende Kosten, zum Beispiel die Gehälter von Lehrern, sowie Entwicklungsprojekte zu fi nanzieren. Das übergeordnete entwick-lungspolitische Ziel des ARTF ist es, einen Beitrag zur Stabilisierung des afghani-schen Staates und zur Reduzierung der Armut zu leisten. Über den ARTF sollen die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und damit auch die Grundversorgung mit sozialen Dienstleistungen erhalten und die Umsetzung der Entwicklungs-prioritäten der afghanischen Regierung unterstützt werden.

Aktuell pro� tieren mehr als 8,1 Millionen Menschen von den durch den Fonds � nanzierten Maßnahmen. Dank der Fördermaßnahmen können viele Afghaninnen und Afghanen auf Strom und Wasser zugreifen, eine Bildungseinrichtung besuchen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nutzen

8,4* Mrd. Euro wurden bisher von über

30 Geberländern in den Fonds eingezahlt

* seit 2002

36 DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Schnelle Hilfe vor Ort – Wege fi nden

Die Stadt Taloqan, Hauptstadt der Provinz Takhar, liegt direkt an den Ufern des Flusses Khanabad. In jedem Frühjahr nach der Schneeschmelze tritt dieser über die Ufer. Ghullam Abbas kann ein Lied davon singen: „Wir leben 100 Meter vom Fluss entfernt und mussten unser Haus unzählige Male wieder aufbauen, weil die Fluten es zu großen Teilen zerstört hatten. Wenn das Wasser kommt, ist es unmöglich, ruhig zu schla-fen! Meine Frau, die Kinder und ich haben dann Angst.“ Nicht nur die Häuser, auch Straßen und Brücken litten Jahr für Jahr unter den Wassermassen. Die wirtschaftlichen Schäden in der Landwirtschaft waren gigantisch. Abbas erzählt: „2013 haben die Landwirte hier Erträge von 1.000 Hektar Land verloren.“

Die Anwohner haben sich an den Leiter des Amtes für Bewässerung, Mahmoud Salem Akbar, gewandt und um den Bau einer Flutschutzmauer gebeten. 120.000 Einwohnerinnen und Einwohner sind von den Fluten regelmäßig betroffen, so dass Akbars Behörde mit fi nanzieller Unterstützung der deutschen Bundesregierung in Höhe von 4,75 Millionen Euro umgehend auf die Forderungen der Bürger einging: „Insgesamt haben wir 5,5 Kilometer Flutschutzmauern errichten beziehungsweise instand setzen lassen. In diesem Jahr hatten wir eine der schwersten Fluten seit Jahrzehnten und die Mauer hat standgehalten.“ Ausschreibungen, Überwachung des Baufortschritts sowie die Endabnahme haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes selbstständig abgewickelt – dank der Ausbildung und Beratung durch den von Deutschland fi nanzierten Regionalen Infrastrukturentwicklungsfonds.

Die Flutschutzmauer lässt Ghullam Abbas und seine Familie erleichtert aufatmen: „Endlich können wir in unser Haus investieren und müssen nicht jedes Jahr fürchten, obdachlos zu werden. Außerdem sind die Preise für die Grundstücke hier am Fluss seit dem Bau der Mauer um das Zehnfache gestiegen. Ich bin stolz auf unsere Stadt-verwaltung, dass sie das Geld für die Mauer beschafft und sie so schnell gebaut hat!“

Projektsteckbrief

§ Projekt: Regionaler Infrastrukturentwicklungsfonds

§ Ziel: Infrastrukturmaßnahmen zur Ver-besserung der sozioökonomischen Grundlagen der afghanischen Gesellschaft und Planungsmecha-nismen für lokale Verwaltungs- und Staatsorgane

§ Durchführungsorganisation: KfW Entwicklungsbank

§ Partner: Finanzministerium von Afghanistan

Neben dem Aufbau der Infrastruktur fördert das Projektteam auch die Weiterbildung von Ministeriumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern oder Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreten – mittels Managementschulungen, Coachings oder On-the-job-Training

37

Um die sozioökonomische Entwicklung für die Bevölkerung im Norden Afghanistans voranzubringen, unterstützen die KfW Entwicklungsbank und ihre Partner Provinzverwaltungen in Afghanistan, notwendige Infra strukturmaßnahmen zu planen und umzusetzen.

So wurde auch eine 27 Kilometer lange Kiesstraße von der Stadt Darayem zur Provinzhauptstadt Faizabad gebaut. „Vor dem Bau der Straße hatten wir nichts. Jetzt entwickelt sich langsam ein Markt im Ort, wir kommen zur Universität und zum Krankenhaus in Faizabad“, erklärt Abdul Raoof, Gouverneur des Distrikts Darayem. Suwaya, eine Bewohnerin des Ortes, steht ihm bei: „Wenn einer von uns krank war, waren wir auf Pferde und Esel angewiesen, um zum nächsten Krankenhaus zu kommen. Auf diesem Weg sind viele Frauen gestorben. Vor kurzem war ich selbst krank – und das in schwangerem Zustand. Binnen einer Stunde waren wir jedoch im Krankenhaus, ich wurde operiert und nun geht es mir bestens.“ Hier verändern selbst kleinere Infrastrukturmaßnahmen Leben und eröffnen den Menschen vor Ort ganz neue Perspektiven.

Zukünftig sollen Provinzverwaltungen Infrastruktur maßnahmen eigen-verantwortlich, transparent und

bedarfsorientiert umsetzen

40* km Asphaltstraßen 120* km

Schotterstraßen

* seit 2010

38DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Worten folgen Taten – neue Perspektiven schaffen

„Meine vorherige Schule zählte fünf Klassenräume, einen Verwaltungsraum und einen Lagerraum – für 2.200 Schüler.“ So beschreibt Nafi sa, eine junge Schülerin der siebten Klasse, ihre Schulzeit. „Da die Schule viel zu klein war, mussten wir draußen lernen.“ Aber selbst Zelte waren nur begrenzt vorhanden. „Während der Regenzeit konnten viele Schüler ganz einfach nicht am Unterricht teilnehmen“, so Nafi sa.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Stabilisierungsprogramm Nordafghanistan

§ Ziel: Stabilisierung fragiler Regionen durch die Verbesserung der sozioöko-nomischen Infrastruktur und die Stärkung lokaler Entwicklungsräte

§ Durchführungsorganisation: KfW Entwicklungsbank

§ Partner: Partner Aga Khan Foundation Afghanistan

Grundsteinlegung eines Krankenhauses in Afghanistan

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Dieser Zustand ist leider keine Seltenheit. Unterricht in Zelten und schlecht ausgebildete Lehrkräfte – das ist bis heute vielerorts der Alltag im Norden Afghanistans. In der Provinz Balkh waren beispielsweise rund zwei Drittel der 550 Schulen nach Krieg und Konfl ikten zerstört oder schwer beschädigt. In der Provinz Kunduz verfügte knapp die Hälfte der 440 Schulen über kein Schulgebäude.

Nachdem Mitglieder des örtlichen Distriktentwicklungsrates (DDA) die alte Schule von Nafi sa besichtigt und daraufhin die Errichtung einer neuen Schule als Priorität für den Distrikt festgelegt hatten, wurde mit Unterstützung des Vorhabens Stabilisierungsprogramm Nordafghanistan (SPNA) eine neue Schule errich-tet, die tatsächlich 2.200 Schülerinnen und Schüler beherbergen kann und über eine angemessene Ausstat-tung verfügt. „Die neue Schule hat sogar Computer und ein Forschungs labor“, fügt Nafi sa begeistert hinzu.

Das Programm unterstützt Mitglieder der Distriktentwicklungsräte, die dringen-den Probleme in ihren Distrikten zu identifi zieren, Lösungen zu entwickeln und auch anschließend umzusetzen. Worten sollen Taten folgen. Allein im Rahmen des Vorhabens SPNA wurden bereits 250 Schulen erbaut – abgesehen von vielenweiteren Maßnahmen, die kurz- bis mittelfristig stabilisierend wirken und den Menschen vor Ort unmittelbar zugutekommen.

So bekommen die Ortsanwohnerinnen und -anwohner ganz neue Möglichkeiten aufgezeigt. „Ich gebe mein Bestes, denn ich möchte Ärztin werden, um meinen Mitmenschen zu helfen“, erzählt Nafi sa.

Die Projektmaßnahmen kommen der afghanischen Bevölkerung direkt zugute, da sie ansässigen Afghaninnen und Afghanen den Zugang zu Bildung, Wirtschaft und Verwaltung ermöglichen

250* Schulen wurden gebaut oder

restauriert und ausgestattet

* seit 2010

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Wissen und Tatkraft für Afghanistan

Durch die kriegerischen Konfl ikte in Afghanistan wurde nicht nur die Infrastruktur zerstört. Gut ausgebilde-te Afghaninnen und Afghanen sind oft ins Ausland emigriert – und mit ihnen Bildung und Wissen. Um den zivilen Wiederaufbau Afghanistans voranzubringen, un-terstützt die deutsche Bundesregierung die Vermittlung qualifi zierter Fach- und Führungskräfte, sogenannter

Integrierter und Rückkehrender Fachkräfte, in afghanische Institu-tionen. Aktuell sind 15 Integrierte Fachkräfte und 19 Rückkehrende Fachkräfte in Afghanistan tätig und unterstützen den Aufbau der afghanischen Ministerien und Verwaltungssysteme.

„Wir stehen vor vielen Heraus-forderungen“, bestätigt die erfahrene Politologin Khojesta Ebrahimkhel. 2006 kehrte sie aus Deutschland nach Afghanistan zurück, um beim Wiederaufbau ihrer alten Heimat zu helfen. Als Integrierte Fachkraft leitet sie seither die Abteilung für Menschenrechte und internationale Frauen-angelegenheiten im afghanischen Außenministerium. Dort setzt sich Ebrahimkhel für Gleichberechtigung ein: „Besonders wichtig ist es, ethnische Konfl iktlinien zu über-winden. Ich bin nicht Paschtunin, Tadschikin, Hazara oder Usbekin – ich bin Afghanin.“ Außerdem koordiniert sie die Menschenrechtsarbeit zwischen Re gierung, Zivilgesell-schaft und der internationalen Gemeinschaft. Mit Hilfe ihrer fach lichen Unterstützung werden nun gemeinsam internationale Vereinbarungen zum Schutz der Menschen-rechte umgesetzt.

Projektsteckbrief

§ Projekt: Programm zur Unterstützung des Aufbaus der afghanischen Ministe-rien und Verwaltungssysteme auf nationaler und subnationaler Ebene – Integrierte und Rückkehrende Fachkräfte

§ Ziel: Vermittlung von Fach- und Führungs-kräften als Integrierte und Rückkeh-rende Fachkräfte nach Afghanistan. Institutionen und Verwaltungen können durch die dazugewonnene Fachexpertise ihre Managementfä-higkeiten stärken.

§ Durchführungsorganisation: Deutsche Gesellschaft für Inter-nationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

§ Partner: Afghanische Ministerien und Institutionen

41DAS FUNDAMENT EINES STAATES

Aufgrund des eng mit dem afghanischen Arbeitgeber abgestimmten Auswahlprozesses, genießen Integrierte und Rückkehrende Fachkräfte großes Vertrauen bei den afghanischen Partnern. Sie wirken auch deshalb oft federführend an politischen Veränderungsprozessen mit.

Im Rahmen des vom Auswärtigen Amt geförderten Sonderprogramms wurde der wirtschaftlichen Fakultät der Universität Kabul einen Berater zur Seite gestellt: Professor für Marketing und Werbung in Deutsch-land sowie erfahrener Unternehmer in den Bereichen IT und Kommunikation. Sein Hauptanliegen bestand darin, unternehmerisches Denken sowohl in der Fakultät als auch unter den Studierenden zu fördern. Der engagierte Professor bemühte sich, die Kluft zwischen europäischen und afghanischen Bildungsstandards zu verringern, und führte innovative Konzepte ein: Fachzeitschriften, Partnerschaften mit ausländischen Universitäten, internationale Austausch- und Forschungsprogramme sowie eine stärkere Orientierung am Arbeitsmarkt. Klarer Vorteil der Integrierten Fachkraft: „Da ich mit meinem lokalen Arbeitsvertrag auch ganz offi ziell Beschäftigter der Universität Kabul bin, trete ich sowohl nach innen wie auch nach außen als Ver-treter unserer Fakultät auf. Das bringt mir unter den Kollegen Wohlwollen und Wertschätzung ein“.

Um die Managementfähigkeiten afghanischer Fachministerien, wichtiger Institutionen und Verwaltungsorgane zu erhöhen,

unterstützt die Bundesregierung die Vermittlung Integrierter Fachkräfte in den afghanischen Arbeitsmarkt

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Die deutsche Zusammenarbeit mit AfghanistanDurch jahrzehntelange gewaltsame Konfl ikte im Land wurden die Lebensgrundlagen der afghanischen Bevölkerung zu großen Teilen zerstört. Als eines der ärmsten Länder der Welt ist Afghanistan Schwer-punktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die internationale Staatengemeinschaft unter-stützt den zivilen Wiederaufbau seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001. Deutschland übernimmt in den Provinzen Badakhshan, Baghlan, Balkh, Kunduz, Samangan und Takhar sowie der Hauptstadt Kabul besondere Verantwortung.

Zentrales Anliegen der deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan ist der Aufbau eines afghanischen Staates, der die Menschenrechte achtet, schützt und gewährleistet, Korruption und Drogenanbau bekämpft, innere Sicherheit sowie ein verlässliches Rechtssystem schafft und von seinen Bürgerinnen und Bürgern als legitime Vertretung und Dienstleister zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse anerkannt wird. Er gibt seinen Bürgerinnen und Bürgern Rechtssicherheit und eröffnet ihnen Zukunftschancen, Möglich keiten der Mitsprache sowie der eigenverantwortlichen, wirtschaftlichen und politischen Gestaltung.

Deutschland unterstützt Afghanistan darin, Armut zu bekämpfen, die Regierungsführung und die wirtschaftliche Situation zu verbessern und damit eine Grundlage für nachhaltige Stabilität und Sicherheit zu schaffen.

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) engagiert sich die deutsche Zusammenarbeit mit Afghanistan in fünf thematischen Schwerpunkten: Gute Regierungsführung (Rechtsstaatlichkeit, politische Teilhabe und öffentliche Verwaltung); Wirt-schafts- und Beschäftigungsförderung; Energie; Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Bildung und Ausbildung. Darüber hinaus betreut das Auswärtige Amt Vorhaben in denSchwerpunkten Krisen prävention, Stabilisierung und Humanitäre Hilfe in Afghanistan.

Insgesamt sind etwa 1.720 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter fast 120 deutsche und inter-nationale Expertinnen und Experten (Stand März 2017), für die Durchführungsorganisationen KfW Entwicklungsbank und Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag der Bundesregierung in Afghanistan tätig.

Informationen über Einzelprojekte, fi nanzielle Aufwendungen und Ergebnisse fi nden Sie auf der Website der deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan: www.germancooperation-afghanistan.de.

Kunduz

Takhar

Baghlan

Balkh

Badakhshan

Faizabad

Kabul

Taloqan

Pul-e Khumri

Kunduz

Aybak

Mazar-e Sharif

Samangan

Kabul

Afghanistan mit den Provinzen Badakhshan, Baghlan, Balkh, Kunduz, Samangan, Takhar und der Hauptstadt Kabul. Hier liegen die Schwerpunkte der deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan.

Impressum

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

Kontakt: E [email protected] I www.germancooperation-afghanistan.de

Redaktion: Monitoring, Evaluierung & Kommunikation (MEK) | GIZ

Gestaltung: Barbara Reuter | Oberursel

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Stand: März 2017

Die GIZ ist für den Inhalt der vorliegenden Publikation verantwortlich.

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)