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Herausforderung Nahost

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Rana Deep Islam

Herausforderung Nahost

Die Außenpolitik der EU und der Türkei im Vergleich

Mit einem Geleitwort von Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister a. D.

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Rana Deep Islam Berlin, Deutschland

Zugl. Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2012

Originaltitel der Dissertation: Herausforderung Nahost – Eine vergleichende Analyse über die Außenpolitik der Europäischen Union und der Türkei

ISBN 978-3-658-01878-8 ISBN 978-3-658-01879-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-01879-5

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Geleitwort 5

Für Mohammed Serajul und Gisela – meine Eltern

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Danksagung 7

Danksagung Die Fertigstellung einer Promotion scheint für mich wie das Ende eines weiteren Lebensabschnitts. Solche Zäsuren haben es an sich, dass sie einem selbst als Anlass dienen, den Blick zurück zu wenden. So seltsam es anmuten mag, so denke ich beim Schreiben dieser Dankesworte daher zunächst an meinen Jugend-traum. Ich habe mir damals nichts mehr gewünscht, als ein erfolgreicher Tennis-spieler auf den Center Courts dieser Welt zu sein. Das Schicksal meinte es an-ders mit mir. Nicht nur aus mangelndem Talent musste ich frühzeitig feststellen, dass es mit der Tenniskarriere wohl nichts werden würde. Auch war es die Lust am akademischen Arbeiten, die es mir angebrachter erscheinen ließ, das Tennis-racket in die Ecke zu legen und es durch die analytische Stärke der geschriebe-nen und gesprochenen Sprache einzutauschen. Nichts desto trotz drängt sich mir an dieser Stelle die Erinnerung an den gelben Filzball wieder auf. Man möchte meinen, dass der Tennisspieler und der Doktorand in ihrem Typus gewisse Ähn-lichkeiten aufweisen. Beide sind als vermeintliche „Einzelkämpfer“ auf sich allein gestellt, wenn es darum geht ihre jeweilige Herausforderung, sei es der Gegenspieler oder der Drang nach akademischer Erkenntnis, zu meistern. Lang-wierige Grundlinienduelle wechseln sich ab mit zahlreichen Zwischensprints, nervenaufreibenden Spannungsmomenten, diversen Seitenwechseln, strittigen Schiedsrichterentscheidungen und einer Reihe von unterschiedlichen Spielkom-binationen. Dabei wirkt die Kurzweiligkeit eines einzigen Ballwechsels im Zu-sammenhang eines langen, bis zu fünf Sätze andauernden Matches wie der für sich stehende Satz eines schriftstellerischen Werkes wie das Vorliegende. Das Ergebnis offenbart sich nur in der Summe vieler, kleiner Schritte. Geduld und der lange Atem sind daher sowohl in der Wissenschaft als auch im Tennissport notwendige Wegbegleiter. Der kontemplative Moment einer Spielpause vor dem vollzogenen Seitenwechsel ist dabei nichts anderes als der regelmäßige Rückzug des Doktoranden in die innere Klausur. Vertieft in das Gespräch mit sich selbst zerbricht man sich in beiden Fällen den Kopf über die gleichen Fragen: Was mache ich falsch? Und was mache ich richtig?

Sowohl das Tennismatch als auch die wissenschaftliche Abhandlung sind darüber hinaus sehr Ergebnis-orientierte Vorgänge. Unentschieden gibt es nicht. Dies veranlasst mich zu einer weiteren Feststellung. Denn wenn ich mich an die Finalspiele erinnere, die vor einigen Jahren noch regelmäßig im Fernsehen über-

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8 Danksagung

tragen wurden, dann habe ich ein Bild vor Augen: ein siegreicher Spieler, der nicht lange im persönlichen Glücksmoment verharrt sondern stattdessen den Weg zu seiner „Box“ aufsucht, um sich bei seinen befreundeten und verwandten Unterstützern zu bedanken. Der Tennissport ist eben nicht eine Sache für Einzel-gänger. Erfolgreich ist nur derjenige, der über ein intaktes, herzliches und kom-petentes Umfeld verfügt. In meinem Falle soll dies heißen: Ohne meine „Box“ stände ich nicht hier wo ich bin. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die Hilfe, den Beistand und den intellektuellen sowie beruflichen Input vieler Freunde und Förderer. Folgenden Personen bin ich besonders verbunden, die mich auf mei-nem akademischen und menschlichen Weiterkommen in der Vergangenheit so tatkräftig begleitet haben:

Prof. Stefan Fröhlich danke ich für die Betreuung meiner Promotionsarbeit. Neben seinen intellektuellen Impulsen für mein Forschungsthema, bereicherte er meinen Blick über den Tellerrand durch viele Netzwerke und Kontakte in Washington DC und Brüssel, die mir bei der angewandtsorientierten Einbettung meiner Dissertation hilfreich waren. An dieser Stelle möchte ich meinen Dank auch an Prof. Johannes Varwick aussprechen für die Erstellung des Zweitgutach-tens und die Abnahme meiner Disputation. Von besonderem Stellenwert war darüber hinaus die Friedrich-Ebert-Stiftung, die meine akademische Ausbildung gefördert und geprägt hat. Sie hat mir die Durchführung meiner Promotionsarbeit finanziell und ideell erst möglich gemacht. Insbesondere danke ich dabei dem für mich zuständigen FES-Betreuerteam in Person von Martin Gräfe, Elena Espino-sa und Marcel Siebertz die mir sowohl menschlich als auch in allen inhaltlichen und administrativen Fragen der Förderung stets mit Rat und Tat zur Seite stan-den. Stephan Steinlein, Dietmar Nietan, Olaf Boehnke, Achim Post, Felix Porkert und Thomas Vaupel rechne ich hoch an, dass sie mir die Möglichkeit gaben, mit meinen inhaltlichen Schwerpunkten auch den politischen Kontext zu bereichern. Jack Janes und seinem Team vom American Institute for Contempo-rary German Studies, sowie Esther Brimmer, Dan Hamilton und den ehemaligen Kollegen vom Center for Transatlantic Relations verdanke ich den Einblick in die policy-Welt von Washington DC, eine der aufregendsten Hauptstädte die ich bisher kennen lernen durfte. Mein besonderer Dank gebührt darüber hinaus Bernhard Lorentz, Michael Schwarz und Anne Rolvering von der Stiftung Mer-cator, die mir dabei zur Seite standen, den Weg der Promotion zu Ende zu gehen und mir die Möglichkeit geben, meine akademische Expertise im beruflichen Kontext unmittelbar einzubringen. Nicht zu Letzt verdanke ich Andrea Despot und ihren Kollegen von der Europäischen Akademie Berlin viele Freundschaften und Kontakte die ich durch sie in der Türkei gewinnen durfte.

Nicht hoch genug einzuschätzen sind die vielen privaten Wegbegleiter ohne die alles nichts wäre. Philipp Pletsch stand mir stets als guter Freund und akade-

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Danksagung 9

mischer Ratgeber zur Seite. Das werde ich immer zu schätzen wissen. Christian Raubach hat sich seine blendende Laune auch durch mühseliges Korrekturlesen nie verderben lassen. Daniel Kollmann möchte ich weder als Mitbewohner noch als engen Freund missen. Ein Gruß an Philipp Gallhöfer und Florian Theus darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen. Ich freue mich auf die anstehenden Reisen mit ihnen. Sebastian Grabert wird mir immer durch eine bereits Jahrzehnte wäh-rende Freundschaft verbunden bleiben. Tim Efing und Benjamin Seifert danke ich für ergiebige Gespräche über die Themen dieser Welt. Katharina Junge, Svenja Post, Tobias Utikal, Hille Hilgenberg, Chris Bobyn, Marius Wiggenhau-ser und die vielen anderen meiner Freunde in Berlin führen mir immer wieder vor Augen, wie wichtig und richtig der Schritt in die Hauptstadt war. Mit Robert Schütte verbinden mich nicht nur eine enge Freundschaft sondern auch zahlrei-che gemeinsame Projekte. Ich hoffe es werden viele weitere folgen.

Mein höchster Dank ist leider nicht in Worte auszudrücken. Nicht nur, dass mir meine Neffen Aron, Elian und Ravi stets ein Lachen auf mein Gesicht zau-bern. Meine liebe Schwester Shahana und mein lieber Bruder Ranty sind das Rückgrat meiner Standhaftigkeit, meiner Zuversicht und meines Willens, das Gute im Menschen zu sehen und nach dem Guten im Menschen zu streben. We-gen Euch bin ich glücklich – jeden Tag. Nicht zu Letzt danke ich meinen Eltern. Sie waren und sind mir zu jeder Zeit ein Vorbild für gelebte Toleranz. Ihr un-bändiger Optimismus imponiert mir immer wieder aufs Neue. Mauern einzurei-ßen, Vorurteile nicht zu akzeptieren und die verbindende Zuneigung zwischen Menschen zum Maßstab des eigenen Handelns zu machen, sind die Werte die sie mir mitgaben und die ich stets in meinem Herzen tragen werde. Durch sie weiß ich: das Gute setzt sich immer durch. Ihnen widme ich dieses Buch. Ihr seid mein Grand Slam.

Rana Deep Islam Berlin, den 3. Januar 2013

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Geleitwort 11

Geleitwort Herausforderungen werden nicht selten mit Bergen verglichen. Zunächst türmen sie sich mächtig auf und wirken schier unbezwingbar. Einmal am Gipfel ange-kommen geht es jedoch vermeintlich leicht und unbeschwert hinunter. Bleiben wir in der bildlichen Sprache, so erinnern die europäisch-türkischen Beziehun-gen, eine Herausforderung ganz eigener Prägung, mehr an die Legende des Sisy-phos als an den linearen Auf- und Abstieg eines Berges. Einmal auf der höchsten Erhebung angekommen muss Sisyphos zuschauen, wie der von ihm mühselig getragene Stein den Abhang wieder herunterrollt. Der von dem griechischen Antihelden ewig zu erduldende Turnus von Last und Erleichterung scheint nicht nur auf den ersten Blick das Auf und Ab der türkisch-europäischen Geschichte auf den Punkt zu bringen. Wie oft mussten beide Seiten sich erst entfremden, um schließlich doch wieder den Weg zu einander zu finden? Unser zivilisatorischer Fortschrittsglaube gründet sich heutzutage jedoch weniger auf die Mythen und Legenden vergangener Zeiten, sondern viel mehr auf die Kraft vernunftgeleiteten Handelns. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir in nicht allzu ferner Zeit ein neues Verhältnis zwischen Ankara und Brüssel erleben, dass die Fallstricke der Vergangenheit hinter sich lässt, um die globalen Zukunftsaufgaben, die sich beiden Seiten zugleich stellen, gemeinsam und einträchtig in Angriff zu nehmen.

Während sich die Türkei lange Zeit in der Rolle des Beitrittskandidaten wohl fühlte, der Blick fest gen Brüssel gerichtet, tritt sie heutzutage als selbst-bewusster Verhandlungspartner auf. In der Tat kann ein beachtlicher sozio-ökonomischer Fortschritt in dem Land beobachtet werden, in dessen Windschat-ten sich ein neues türkisches Selbstwertgefühl erst entwickeln konnte. Die Türkei hat einen Wandlungsprozess erlebt, der seinesgleichen sucht. Sie ist heute mo-derner und prosperierender als noch vor zehn Jahren. Das Land zählt zu den 20 größten Wirtschaftsnationen der Welt und verzeichnet jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich acht bis zehn Prozent.

Was die innenpolitischen Reformen angeht, so ist auch hier in den vergan-genen Jahren viel erreicht worden. Zahlreiche gesellschaftliche Konflikte werden heutzutage nicht länger tabuisiert. Viele dieser Themen bildeten vor wenigen Jahren noch weiße Flecken auf der Landkarte der in dem Land geführten politi-schen Diskurse. Die Reformpakete, die insbesondere in den Anfangsjahren der gegenwärtigen Regierung in legislative Verordnungen und Gesetze übersetzt

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12 Geleitwort

wurden, liefern ein Abbild türkischer Wandlungs- und Modernisierungsfähigkeit im Kontext gesellschaftlicher und innenpolitischer Fragestellungen. Die Türkei hat innenpolitisch ein erhebliches Stück des Weges Richtung Europa zurückge-legt. Ob dies unumkehrbar ist, das wird sich zeigen – noch bleibt sehr viel zu tun, um sich etwa europäischen Standards von Rechtsstaatlichkeit und Mei-nungsfreiheit anzunähern. Und es lässt sich nicht leugnen, dass sich Rolle und Selbstverständnis der Türkei in den letzten Jahren noch einmal grundsätzlich verändert haben. Europa bleibt ein wichtiger Bezugspunkt, aber daneben steht eine Neuentdeckung der regionalpolitischen Rolle der Türkei, nicht angestoßen, aber sicher verstärkt durch die Ereignisse, die wir, etwas eindimensional, „arabi-scher Frühling“ genannt haben. Angesichts der grundlegenden Veränderungen in Teilen der arabischen Welt, deren Zeugen wir sind und die die strategischen Gewichte der Region grundlegend verschieben, erweist sich die Wichtigkeit, die dem Land am Bosporus mittlerweile beigemessen werden muss. In einzelnen Ländern der Region sind scheinbar eherne Machtstrukturen innerhalb weniger Wochen implodiert. Menschen fassten ihren ganzen Mut zusammen und lehnten sich gegen Bevormundung und Unterdrückung auf. Die Säulen der alten Ord-nung sind zerstört, allerdings sind, allen hochfliegenden Erwartungen zum Trotz, die neuen Strukturen noch alles andere als stabil. Friedrich Ebert, erster deut-scher Reichspräsident, erklärte einst „Demokratie braucht Demokraten“. Die Richtigkeit dieser Worte tritt in Anbetracht der Entwicklungen im arabischen Raum offenkundig zu Tage. Das systemische Funktionieren demokratischer Mechanismen kann nämlich nur so stark sein, wie die demokratische Gesinnung derjenigen, welche dieser Staatsraison tagtäglich Gestalt verleihen müssen: Leh-rer, Polizisten, Verwaltungsbeamte, Ärzte, Richter und nicht zuletzt: der Souve-rän selbst – das Volk. Dass es sich hierbei um politische Bildungsprozesse und Bildungsbiografien handelt, die unweigerlich Zeit und Geduld in Anspruch neh-men, versteht sich von selbst. Aber sicher ist: für viele Menschen in der Region, die Orientierung auf dem Weg zu einer neuen Ordnung suchen, kann die Türkei eine Quelle der Inspiration sein. Das Land sollte hier keineswegs als Modell oder gar Brückenstaat stilisiert werden. Es soll schließlich nicht darum gehen, den nahöstlichen Staaten einen Lebens- oder Politikentwurf von außen überzustül-pen. Gleichwohl ist die Türkei ein Beispiel dafür, dass eine mehrheitlich musli-mische Gesellschaft durchaus in der Lage sein kann, sich in Richtung einer frei-heitlich-demokratischen Ordnung zu entwickeln. Für die Europäische Union und ihre Nachbarschaftspolitik kann das durchaus eine wertvolle Hilfe sein. Die Türkei verfolgt seit vielen Jahren einen Kurs der wirtschaftlichen Liberalisierung unter den Ländern des Nahen Ostens. Durch die schrittweise Aufhebung von Einreisebestimmungen und die Förderung des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen sollte auf mittlere Sicht auch die Intensivierung der politischen

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Geleitwort 13

Zusammenarbeit unter den regionalen Kräften erreicht werden. Erinnern wir uns daran, dass eine solche spill over Logik einst das europäische Zusammenwach-sen befördert hat! Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, einzutreten in einen strategischen Dialog über die Möglichkeiten und Potenziale europäisch-türkischer Zusammenarbeit in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Mehrwert, den beide Seiten zu leisten im Stande wären, bleibt noch viel zu oft ungenutzt. Dabei handelt es sich keineswegs um ein neues Credo. Bereits seit vielen Jahren diskutieren Wissenschaftler und Experten über die Frage, wie einer verstärkten Kooperation zwischen Ankara und Brüssel der Boden bereitet wer-den kann. Dabei blieb bisher unbeantwortet, wie es um die grundsätzliche Verein-barkeit der türkischen und europäischen Nahostpolitik bestellt ist. Hier setzt die vorliegende Studie von Rana Deep Islam an. Er untersucht die Interessen, Instru-mente und strategischen Identitäten, mit denen die EU und die Türkei der arabisch-muslimischen Welt gegenübertreten. Seine Analyse politisch-institutioneller Zu-sammenhänge führt einprägsam vor Augen, in welchen Politikfeldern sich beide Seiten unterscheiden und wo sich Raum für Kooperation eröffnet. Damit steckt er das Feld ab, in dessen Rahmen eine strategische Debatte über gezielte Formen gemeinsamer regionalpolitischer Herangehensweisen erst erfolgen kann. Auf Grundlage einer systematischen Bestandsaufnahme der jeweiligen Nahostpolitik emanzipiert sich Rana Deep Islam in seiner Analyse bewusst vom vorherrschenden Duktus der türkischen EU-Beitrittsfrage. Statt einer Beschäftigung mit der Wünschbarkeit oder Nicht-Wünschbarkeit einer türkisch-europäischen Nahostpoli-tik im Kontext einer türkischen EU-Mitgliedschaft bzw. Anwärterschaft, richtet Islam seinen Blick auf die gegenwärtige Machbarkeit gemeinsamer Initiativen entlang des derzeit geltenden regionalpolitischen Portfolios beider Seiten.

Rana Deep Islam gelingt damit ein ganz eigener Beitrag, den Stein des Si-syphos nicht wieder herunterrollen zu lassen. Was in Anbetracht der drängenden globalpolitischen Herausforderungen wichtiger ist denn je, das ist die Bündelung von Ressourcen und der ehrliche Umgang mit Interessengemeinsamkeiten und Differenzen. Diese analytische und politische Auseinandersetzung mag be-schwerlich sein. Doch und um das Bild des Bergsteigers einmal mehr zu bedie-nen, die Aussicht vom Gipfel entschädigt für die zuvor erbrachte Mühsal. Arbei-ten wir daran, dass die Türkei und die EU Seit an Seit diesen Weg gemeinsam und erfolgreich beschreiten.

Frank-Walter Steinmeier

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Inhaltsverzeichnis 15

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................... 19

1.1 Erkenntnisleitendes Interesse ...................................................................... 20

1.2 Fragestellung und Zielsetzung .................................................................... 21

1.3 Grundannahmen und Forschungsstand ....................................................... 24 1.3.1 Definitionen Außen- und Sicherheitspolitik .................................... 24 1.3.2 Definition Naher Osten .................................................................... 27 1.3.3 Forschungsstand .............................................................................. 29

1.4 Aktuelle Entwicklungen: Der Arabische Frühling ...................................... 36 1.4.1 Grenzen für die Wissenschaft .......................................................... 37 1.4.2 Relevanz des Arabischen Frühlings für das Thema ......................... 38

1.5 Vorgehen ..................................................................................................... 41 1.5.1 Methode und Quellen ...................................................................... 42 1.5.2 Analysemuster und Gliederung der Arbeit ...................................... 43 1.5.3 Fallstudie Syrien .............................................................................. 46

2 Von der Theorie in die Praxis: Der Sozialkonstruktivismus als

Erklärungsmodell für die EU-Türkei-Beziehungen ............................... 49

2.1 Entstehungsgeschichte und Hauptmerkmale des Sozialkonstruktivismus ............................................................................... 50

2.2 Der Konstruktivismus nach Alexander Wendt ........................................... 55 2.2.1 Grundlegende Begriffe .................................................................... 55 2.2.2 Von Rivalität zu Kooperation .......................................................... 58 2.2.3 Der Identitätswandel ........................................................................ 60 2.2.4 Kritik ............................................................................................... 62

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16 Inhaltsverzeichnis

2.3 Permanenter Wandel der Struktur-Akteur-Ebene: Die Geschichte der EU-Türkei-Beziehungen .............................................. 63 2.3.1 Grundstein für den Weg nach Europa: Das Ankara-Abkommen ..... 63 2.3.2 Zunehmende Entfremdung: Von der Ölkrise bis zur Zollunion ...... 66 2.3.3 Die Beziehungen seit Luxemburg .................................................... 69

2.4 Kollektive Identitäten: Mit oder ohne die Türkei? ...................................... 73 2.4.1 Die Türkei als Kontrapunkt europäischer Identitätsbildung ............ 74 2.4.2 Europa pluralistisch gedacht ............................................................ 78

2.5 Kurz und Knapp: Der Sozialkonstruktivismus und die EU-Türkei-Beziehungen ............................................................................................... 82

3 Die Rolle der EU im Nahen Osten: Auswärtige Beziehungen

zwischen Anspruch und Wirklichkeit ..................................................... 85

3.1 Die Außenpolitik der Europäischen Union: Die Akteur-Ebene .................. 86 3.1.1 Institutionen und Strukturen der Entscheidungsfindung I:

Die GASP ........................................................................................ 86 3.1.2 Institutionen und Strukturen der Entscheidungsfindung II:

Die GSVP ........................................................................................ 89

3.2 Geschichte und Identität: Der Nahe Osten als wandelbare Größe im Verständnis der EU ..................................................................................... 93 3.2.1 Die sicherheitspolitische Identität der Europäischen Union ............ 94 3.2.2 Die EU-Nahost Beziehungen: Eine historische Betrachtung ........... 99

3.3 Interessen und Instrumente: Die gegenwärtige Ausgestaltung der EU-Politik gegenüber dem Nahen Osten .................................................. 103 3.3.1 Die Interessen der EU: Die Kernbestandteile der Europäischen

Sicherheitsstrategie aus nahostpolitischer Perspektive .................. 106 3.3.2 Instrumente I: Die Europäische Nachbarschaftspolitik ................. 112 3.3.3 Instrumente II: Die Union für das Mittelmeer ............................... 123

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Inhaltsverzeichnis 17

4 Die Türkei und der Nahe Osten: Ein Verhältnis zwischen Freund und Feind? ................................................................................. 131

4.1 Türkische Außenpolitik: Die Akteur-Ebene ............................................. 132

4.2 Geschichte und Identität: Die Wahrnehmung des Nahen Ostens im Verlauf der türkischen Geschichte ............................................................ 136 4.2.1 Die sicherheitspolitische Identität der Türkei:

Von der Stunde des Mustafa Kemal Atatürk bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges................................................................ 137

4.2.2 Die Türkei-Nahost Beziehungen: Eine historische Betrachtung ... 144

4.3 Interessen und Instrumente: Die gegenwärtige Ausgestaltung türkischer Nahostpolitik ............................................................................ 149 4.3.1 Exkurs: Turgut Özal und die 1990er Jahre .................................... 150 4.3.2 Die Interessen der Türkei gegenüber dem Nahen Osten ................ 156 4.3.3 Das multilaterale Instrumentarium I: Die Organisation für

Islamische Zusammenarbeit .......................................................... 163 4.3.4 Das multilaterale Instrumentarium II: Die Alliance of

Civilizations ................................................................................... 169 4.3.5 Die bilateralen Instrumente türkischer Nahostpolitik I:

Die Beziehungen der Türkei mit den Staaten des Maghreb ........... 172 4.3.6 Die bilateralen Instrumente türkischer Nahostpolitik II:

Die Beziehungen der Türkei mit dem Iran .................................... 174 4.3.7 Die bilateralen Instrumente türkischer Nahostpolitik III:

Die Beziehungen der Türkei mit dem Irak .................................... 177 4.3.8 Die bilateralen Instrumente türkischer Nahostpolitik IV:

Die Beziehungen der Türkei mit dem Libanon .............................. 181 5 Fallstudie: Zwischen Pragmatismus und Normativität –

Die Arabische Republik Syrien aus Sicht der Europäischen Union und der Türkei .................................................... 185

5.1 Die EU und ihre Beziehungen mit der Arabischen Republik Syrien ........ 187

5.2 Die Türkei und ihre Beziehungen mit der Arabischen Republik Syrien ... 199

5.3 Mehr Schnittmengen denn Differenzen? Ein Vergleich der türkischen und europäischen Syrienpolitik ................................................................. 209

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18 Inhaltsverzeichnis

6 Eine Gegenüberstellung: Die Nahostpolitik der Europäischen Union und der Türkei im Vergleich .............................. 215

6.1 Regionale Eingrenzung: Der Mediterrane Nahe Osten und der Nahe Osten der Geographischen Nähe als Konzepte räumlicher Reichweite ................................................................................................ 215

6.2 Sicherheitsverständnis: Sicherheit als grenzen- und kontextübergreifendes Konzept ................................................................ 223

6.3 Interessenpolitik: Normative Differenzen und operative Gemeinsamkeiten ...................................................................................... 237

6.4 Instrumente ............................................................................................... 250 6.4.1 Effektiver Multilateralismus .......................................................... 250 6.4.2 Präventive Friedensdiplomatie ...................................................... 255

7 Zusammenfassung .................................................................................. 263

7.1 Das Dreieck EU-Türkei-Nahost im Lichte des Sozialkonstruktivismus ... 264

7.2 Hauptergebnisse ........................................................................................ 266

7.3 Politikempfehlungen: Mehr Kooperation ................................................. 271 Quellen und Literatur .................................................................................... 279 Liste der interviewten Personen und der besuchten Gesprächskreise und Expertenrunden ......................................................... 329