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14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 2
Hermeneutische Fallarbeit
Essen
11. Oktober 2012
Dr. Manfred Borutta
Pflegewissenschaftler (MScN)
Dipl.-Pflegewirt
Altenpfleger
www.manfred-borutta.de
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 3
Agenda
• Gesetzliche Kontexte• Konzeptionelle Voraussetzungen• Grundvoraussetzungen der hermeneutischen Fallarbeit (HFA)
– Wissensbeschaffung: • Wie gelangen wir an passendes Wissen?
– Professionalität: • Mit welchem Professionalitätsverständnis agieren wir?
– Performative Kompetenzen und Professionalität: • Welches Verhalten ist im alltäglichen Handeln effektiv?
• Handlungsorientiertes Professionsverständnis• Hermeneutik und Fallarbeit
– Setting der HFA– Struktur und Vorgehensweise in der HFA– Sinnführung in der HFA– Professionsverständnis und HFA
Hermeneutische Fallarbeit(Kap. 6)
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 4
Weiterbildung Risikomanagement
Modul 1: Grundlagenseminar(Dr. M. Borutta)
19.09.12
Modul 6:
Sturz-prävention(S.Saßen)
17.01.13
Modul 8: Implementierungsstrategie über Projektmanagement(Dr. M. Borutta)
30.01.13
Modul 4:
Präventionvon
Mangel-Ernährung(C. Jehle)
12.12.12
Modul 5:
Dekubitus-Prävention(S. Saßen)
16.01.13
Modul 7:
Herme-neutisches
Pflege-verständnis(J. Lennefer)
29.01.13
Modul 3:
Haftungs-recht
(S.Saßen)
25.10.12
Modul 2:
Gewaltfreie,autonomie-stärkende
Pflege(M. Borutta)
20.09.12
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 5
(..) Die Hilfen sollen diejenigen Maßnahmen enthalten, welche die Pflegebedürftigkeit mindern sowie einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit und der
Entstehung von Sekundärerkrankungen vorbeugen. § 2 Abs.1 Satz 2 Landesrahmenvertrag NRW gem. § 75 SGB XI
Die Durchführung und Organisation der Pflege richten sich nach dem allgemeinen Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse. §2 Abs.2 Satz 1 LRV NRW gem. § 75 SGB XI
Die Betreiber haben die Rahmenbedingungen zu gewährleisten , die zur Realisierung des jeweiligen Stands der fachlichen und wissenschaftlicher Erkenntnis zur Deckung des individuellen Bedarfs
der Bewohner erforderlich ist. § 1 Abs. 3 WTG NRW
(..) Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu
berücksichtigen § 2 Abs.1 SGB V
Konsequenz
Explizite Forderung, auch die Pflegepraxis mit EBN inhaltlich zu füllen!Was ist das derzeit beste wissenschaftlich abgesicherte Wissen bzgl. der Pflege
der Bewohnerin Frau Mustermann?
Gesetzliche Würdigung und Anforderungen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 6
Wissens-generierung im
Pflegeteam
PerformativeKompetenzen
u. Professionalität(Tschainer/Schwerdt)
Klärung konzeptioneller Fragen:
Konzeptionelle Voraussetzungen
1. Segregativer vs. integrativer Ansatz
2. Verantwortlich fallsteuerndeBezugspflege
3. Pflegeplanung als zentrales
Steuerungsinstrument
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 7
Gerontopsychiatrisches Fachwissen
Interne Evidenz
(Erfahrungswissen)
Externe Evidenz
(Regelwissen)
Berufs-geführtes
Erfahrungs-wissen
Intuition Lebens-erfahrung
und soziale Kompetenz
Deduktiv entwickelte
Pflegetheorien
Evidenz-basierte Leitlinien
Experten-standards
Im Rahmen klinischer Entscheidungen kommt es zur Reflexion der Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Größen:
Problemorientierte Pflege: ���� braucht vorrangig externe Evidenz
Fallorientierte Pflege: ���� braucht stets interne und externe Evidenz
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 8
Wissensquellen
Standards (SGB XI)Fachliche Aussagen über das akzeptierte Niveau von Pflegeleistungen.
Ziele:• Gewährleistung einer fachlich hinreichenden und abgesicherten Pflege
(state-of-the-art-Prinzip)• Vermeidung unnötiger Maßnahmen und Kosten
• Vermeidung von Schwankungen des Qualitätsniveaus
Leitlinien (SGB V)Wissenschaftlich und systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für eine angemessene Vorgehensweise bei speziellen Pflegeproblemen (z.B. Demenz).
Verfahrensanweisungen (VA)Konkrete operationalisierte Organisationsregeln, die die Pflegeeinrichtung (an Leitlinien und Standards orientiert) zur gezielten Prozesslenkung erstellt.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 9
EBM-Stufe
Hierarchie/Level nach dem Coding-System des AHCPR
Ia Meta – Analysen von randomisierten kontrollierten Studien
Ib Mindestens eine randomisiert kontrollierte Studie
IIa Gut konstruierte kontrollierte Studie ohne Randomisierung
IIb Quasi – Experimente und andere Arten gut konstruierter Studien
III Nichtexperimentelle Studien wie Korrelationsstudien oder Fallstudien
IV Expertenmeinungen (bspw. Expertenstandards Dekubitus, Sturz, etc.)
Sämtliche auch im deutschsprachigen Bereich dargestellten Kriterien für wissensbasierte Belege leiten sich von der Einteilung der AHCPR
(Agency for Health Care Policy and Research, USA) ab.
Evidenzstufen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 10
Unter Evidenzbasierter Pflege (EbN) oder EvidenzbasierterPraxis (EbP) im engeren Sinne versteht man
eine Vorgehensweise des pflegerischen Handelns, individuelle Patienten auf der Basis
der besten zur Verfügung stehenden Daten zu versorgen.
Wissensgenerierung
Was ist evidenzbasierte Pflege?
1. die systematische Suche nach der relevanten Evidenz in der pflegerischen Literatur für das konkrete klinisch-pflegerische Problem,
2. die kritische Beurteilung der Validität (Gültigkeit) der gefundenen Evidenz,
3. die Anwendung dieser Evidenz auf den konkreten Patientenmit Hilfe der pflegerische Erfahrung und der Vorstellungen des Patienten/Betreuers (Autonomie des Patienten!).
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 11
Wissensbeschaffungmit Hilfe von Leitlinien
www.mds-ev.dewww.leitlinien.de
www.awmf.deonline.de
www.dimdi.dewww.dnqp.de
� Dekubitusprävention
�gewaltfreie und
autonomiestärkende Pflege
� Ernährung und Hydration
� Sturzprävention
� Hermeneutische Fallarbeit
Pflegeplanung und -visite
Wissensgenerierung
Leitlinien- / EBN-gestützte Pflege am Beispiel pflegerischer Kernprozesse
Operationalisierung(über VA)
und
Implementierungin die Praxis
(Vgl. StudienMDS RP 2008 und
DNEbN 2010)
Kernpflegerische Problembereiche
Professionelle Möglichkeiten der Wissensbeschaffung
Anwendung gewährleisten
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 12
MDS e.V.(Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkasse e.V.)
Wissenquellen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 14
dimdi(Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information)
Wissensquellen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 15
DNQP(Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege)
Wissensquellen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 16
EbN und Patientenpräferenz
Klinische Erfahrung(Interne Evidenz)
Wissenschaftliche Erfahrung(externe Evidenz)
Patientenpräferenzen(Werte)
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 17
Wissensgenerierung
Studienergebnisse zum Grad der Implementierung der Anforderungen aus den Expertenstandards:
• Sturzprophylaxe:– Gefährdender Status bei 50% der ambulanten Dienste (n = 102) und bei
40% der stationären Einrichtungen (n = 205)• Ausreichender Status bei weiteren 17% der ambulanten Dienste und bei
33% der stationären Einrichtungen
• Dekubitusprophylaxe:– Gefährdender Status bei 81% der ambulanten Dienste und bei 68% der
stationären Einrichtungen(MDS Rheinland-Pfalz 2008)
• Erfassung des individuellen Sturzrisikos:– Mängel in 18,5% der stationären Einrichtungen
• Durchführung erforderlicher Sturzprophylaxen:– Mängel in 29% der stationären Einrichtungen
(3. Bericht des MDS nach § 114a SGB XI, 2012)
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 18
Wissensgenerierung
• „Eine deutliche Überlegenheit der Anwendung des Nationalen Expertenstandards Dekubituspropylaxe gegenüber anderen (Wissens-) Quellen kann nicht gezeigt werden.“
• „Das Vorhandensein von Verfahrensregelungen in Pflegeeinrichtungen garantiert noch nicht, dass die Mitarbeiter der Einrichtung sie auch in aller Konsequenz umsetzen.“
(Wilborn, Halfen, Dassen, Tannen 2010)
• „Aus wissenschaftlicher Sicht sind Expertenstandards anachronistische Schriften, Relikte aus einem frühen Leitlinienentwicklungszeitalter. Ihr Nutzen für die Pflegepraxis ist völlig unklar.“
• „In Anbetracht der methodischen Mängel ist es völlig unverständlich, warum sie wie heilige Schriften gehandelt werden.“
(Meyer u. Köpke 2006)
Wirksamkeit der Umsetzung von Expertenstandards (DNEbM 2006 u. 2010).
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 19
„Es ist in jedem Fall unerlässlich, erst einmal herauszufinden, ob das Befolgen eines
Standards oder einer Leitlinie im individuell vorliegenden Fall die richtige
Entscheidung ist.“(S. Saßen: Risikomanagement, 2007, S. 224)
EbN und Fallverstehen
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 20
Performative Kompetenz
• Performance:– Realisierung eines Verhaltens in einer konkreten
Situation
• Unter performativen Kompetenzen sind solche Kompetenzen zu verstehen, die sich im täglichen Handeln als effektiv erweisen.
• Es geht hierbei vor allem um den Praxis – Theorie –Praxis-Transfer, in dem Pflege geplant wird und theoretische Konzepte situationsangemessen individuell angewendet werden.
R. Schwerdt und S. Tschainer: Spezifische Anforderungen an die Pflege demenziell erkrankter Menschen. In: Expertise zum vierten Altenbericht der Bundesregierung III:
Hochaltrigkeit und Demenz als Herausforderung an die Gesundheits- und Pflegeversorgung, Hannover 2003, S. 181 - 287
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 21
Performative Kompetenz als Basis einer professionelle
Haltung in der Pflege…
• die von der Bereitschaft bestimmt ist, alle bisher erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten als vorläufig zu betrachten,
• die eigene Erfahrungen stets in Frage zu stellen
• und diese an den Anforderungen der Praxis und des Falls und an neuen Erkenntnissen anzupassen.
Performative Kompetenz
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 22
Handlungsorientiertes Professionsverständnis(Oevermann/Weidner 1981/1995)
Kennzeichen des professionellen Handelns:���� Zusammenhang von Regelwissen und
Fallverstehen���� Dialektik (Wechselseitigkeit) von Begründungs-
und Entscheidungszwängen���� Autonomie der Lebenspraxis der Klienten���� Subjektive Betroffenheit des Patienten���� Analytische Distanz des Professionellen���� Keine vollständigen Handlungsstandards
Professionalität
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 23
Modell der professionellen Fallarbeit (n. Weidner)
INHALTE ���� STRUKTUREN ���� PROZESSE
Bewohner:
•Probleme
•Krankheiten
•Kompetenzen
•Erfahrungen
•Familie etc.Pflegende:
•Regelwissen
•Fallverstehen
•Konzepte
•Erfahrungen etc.
Arbeitsbedingungen
Arbeitsorganisation
Qualifikation der Pflegenden
Professioneller Ethos
Interprofessionalität
Professioneller
Pflegeprozess:
•Anamnesen
•Diagnosen
•Therapien/Interventionen
•Evaluationen
Beziehungen:
Diffuse + spezifische Rollenanteile
Professionalität
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 24
Beobachtung 2. Ordnung
Beobachtung 2. Ordnung
Beobachtung 1. Ordnung
PDL / PK
(z.B. via HFA / Supervision…)
Blinder Fleckder Alltagsbeobachtung
Blinder Fleckim RM
Beobachtung eigenerPerspektiven,
Debnkschemata und Relevanzmuster
Blinder Fleckder Alltagsbeobachtung
Blinder Fleckim RM
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 25
„Wir glauben nur, was wir sehen,
Leider sehen wir nur, was wir glauben.“(Peter Atteslander)
Beobachtung 2. Ordnung
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 26
Was ist Hermeneutik?Wenn über Hermeneutik gesprochen wird, so meint man damit meistens die
Art, in der man ein Buch, eine Gebärde, ein Kunstwerk oder ein Zeichen auslegt oder interpretiert
Dort, wo man über Hermeneutik spricht, meint man meistens das faktische inhaltliche interpretieren eines Textes.
[Der Prediger oder Priester interpretiert den Evangelientext.]
Jedes Mal liefern sie eine inhaltliche Bestimmung dessen, was im Text steht.
Hermeneuse ist die inhaltliche Erklärung oder Interpretation eines Textes,
Kunstwerkes oder das Verhalten einer Person . Sie geschieht – im Gegensatz zur Hermeneutik – jedoch ohne ausdrückliches Nachdenken über Methode und
Voraussetzungen der Interpretation.
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 27
Der hermeneutischen Ansatz fragt nach den Regeln bzw. der Methode, die bei einer Interpretation des Falls bzw. des Verhaltens angewandt werden.
In diesem Falle spricht man von Hermeneutik !
Hermeneutische Fallarbeit
Hermeneutik fragt nach den Regeln, die angewandt werden bei der Auslegung oder Interpretation
• eines Textes, • eines Kunstwerkes oder
• des Verhaltens einer Person
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 28
Was ist Fallarbeit?In der Fallarbeit werden Hypothesen (Vorannahmen) über
einen konkreten Fall (Bewohner) entwickelt.
Hermeneutische Fallarbeit
Hypothesen: Aussagen, deren Wahrheit nicht erwiesen ist, die aber vorläufig angenommen werden, um mit ihrer Hilfe Phänomene zu erklären.
Nach K. Popper (1971) können Hypothesen aus sich heraus nicht bewiesen werden. Sie können nur falsifiziert (widerlegt) werden. D.h. ihre Tauglichkeit kann im Rahmen eines Erkenntniszusammenhangs auf ihre Stimmigkeit und Wahrheit überprüft werden.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 29
Hermeneutische Fallarbeit
Was ist Hermeneutische Fallarbeit?
Hermeneutik ist die Lehre des Deutens und Verstehens
Deutung meint ein Verstehen, durch das Hineinversetzen in den Anderen
In der Fallarbeit wird der Fall mit den Augen der Anderen betrachtet und gedeutet.(���� Perspektivwechsel).
Der Deutende bedient sich seines Vorverständnisses, welches er bereits in anderen Deutungszusammenhängen entwickelt hat (���� Hermeneutischer Zirkel n. Dilthey).
Aber: Das Verstehen umfasst immer auch das Sich-selbst-Verstehen im Erleben des Verhaltens anderer.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 30
Systemtheoretischer Imperativ:
„Lass Dich von dem kontrollieren,
was Du kontrollieren willst.“(D. Baecker 2002b; 223)
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 32
Teilnehmer/innen der Fallbesprechung
Bewohner(Fall)
Bezugs-Pflegekräfte
Betreuer
(Fach-)Arzt:Neurologe
Angehörige
Sozialer DienstWeitere TN:
HW, Schüler..
Hermeneutische Fallarbeit
Moderator/in
Externe Fachkraft mit gerontopsychiatrischer Erfahrung
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 33
Hermeneutische Fallarbeit
Vorgehen in der Hermeneutischen Fallarbeit (HFA)
Erörterung des herausfordernden bzw. problembehafteten Verhaltens ohne Druck, Ergebnisse direkt in die Tat umsetzen zu müssen
Sammlung von Ideen zur Begründung des Bewohnerverhaltens oder zur therapeutischen Intervention
hierdurch: Einnahme unterschiedlicher Perspektiven möglich
Teammitglieder erfahren eine gemeinsame OrientierungSchilderungen der Kollegen ermöglicht ‚Lernen am Modell‘
Grundhaltungen und Werte über die Arbeit und die Begegnung mit dem Bewohner werden transparent
Kathartischer Effekt:Ärger, Wut aus dem Arbeitsalltag können in einem geschützten Raum angesprochen werden
Sekundärerfolg: Verbesserung des personellen Milieus(Perrar et al., 2008, S. 289)
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 34
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
Schritte der
Fallkonferenz
Methoden Aufgaben der
Moderation
Ergebnissicherung
0. Vorstellung der Bewohners in der HFK durch die Bezugspflegekraft
1. Problemanalyse interaktionelles Erleben
2. Wissenssammlung
Wahrnehmungsver-
vollständigung
3.Sammlung und Reflexion eigener Erklärungstheorien
4. Erarbeitung von Lösungsvorschlägen
Pflegeinterventionen
14.10.2013 35
Hermeneutische FallarbeitSCHRITTE DER
FALLKONFERENZ
METHODEN SPEZIELLE AUFGABEN DER MODERATION ERGEBNISKONTROLLE
0. Vorstellung des BW in der
hermeneutischen FK durch die Bezugspflegekr
aft
5 – 8 min. Vortrag der Bezugspflegekraft auf der Basis gesammelter Daten und eigener
Beobachtungen (Fakten)
Zeit einhalten (Ex. Funktion);
Aktive, freie Aufmerksamkeit gewährleisten Nachfragendes Klarstellen, wo erforderlich
(Sinngebung)
Fallkonstrukt ist für den Einstieg hinreichend vorgestellt.
D.h., alle TN können sich ein erstes Bild vom Bewohner machen und
kennen die grundlegenden Fakten
1. Problemanalyse interaktionelles
Erleben
A) Rekonstruktion fallspezifischer Individualität über Fragen:
• Worin besteht konkret das Problem?
• Wie äußert es sich? • Wann tritt es auf?• Gibt es Unterschiede im Tages-
oder Wochenverlauf?• Was würde sich ändern, wenn
das Problem nicht vorhanden wäre?
• Für wen ist die vorgestellte Verhaltensweise ein Problem (BW, PK etc.)?
B) Rollenspiel:Darstellung des herausfordernden Verhaltens, zur repräsentierendem Erleben der Interaktion und Gefühle
des BW
A) Rekonstruktion:Emotionale Anregung (Authentizität) durch
spezifisches Nachfragen;
Nachfragendes Klarstellen, Paraphrasieren und Interpretieren (Sinngebung);
Klärung, um wessen Problem es sich handelt
(Authentizität durch Beispielgebung),
B) RollenspielGefühle und Erlebnisse in (erste) Ideen
übersetzen(Sinngebung)
Herausforderndes Verhalten ist sachlich, verhaltensnah und optisch
(Rollenspiel) beschriebenUnterschiedliche Betrachtungs- und Erlebnisweisen sind ausgetauscht.
Beobachtetes Verhalten und Bewertung sind getrennt.
2. Wahrnehmungs
-vervollständigu
ng,Wissenssamml
ung
Vervollständigung der Wahrnehmung in Bezug auf die Bewohnerpräferenzen; z.B.• Befragung von Angehörigen
und nahe stehende Bezugspersonen
• Analyse der Biographie• Beobachtungen aus anderen
Kontexten (freie Variation zur
Auffordernde Aktivität (Anregung)
Wertschätzender Umgang (Anteilnahme)
Zeiteinteilung beachten (Setting)
Die Wahrnehmung ist vervollständigt.
Alle biografischen Daten und Fakten sind soweit möglich erhoben und
bekannt.
Alles, was man über den Bewohner weiß ist gesammelt.
14.10.2013 36
Hermeneutische Fallarbeit
3. Sammlung und Reflexion
eigener Erklärungsansä
tze
Brainstorming• Einbringung eigener Ideen• Keine Reglementierung durch
andere TN• Kein frühzeitiges „Einschießen“
auf eine Lösung• Quantität geht hier vor Qualität
der Aussagen• Es besteht kein individuelles
Urheberrecht an einem bestimmten Erklärungsansatz, sondern ein kollektives.
• Das primäre Merkmal des Brainstormings ist das Aufgreifen und Weiterspinnen von Ideen.
Kommunikationsfluss durch unauffälliges Eingreifen aufrechterhalten (Anregung)
Wertschätzender Umgang = keine Wertung durch Moderator und andere TN während
des Verfahrens Vermeidung von Kritik durch andere TN
(Anteilnahme)
Ideensammlung und Einhalten des Settings
Eigene Erklärungstheorien des Verhaltens sind reflektiert, sind zur
Diskussion gestellt und an der Fallrealität überprüft.
Eigene Wahrnehmung ist korrigiert, modifiziert oder auch bestätigt.
Fallwirklichkeit und eigene Annahmen sind getrennt.
4. Erarbeitung von Lösungs-vorschlägen
undPflege-
interventions-strategien
Metaplan• Strukturierung der im
Brainstorming erarbeiteten Ideen durch visualisierte Priorisierung
• Lösungsorientierung geht jetzt vor Problemorientierung
• Festlegung der Einarbeitung in die Pflegeplanung
• Festlegung von Verantwortlichkeiten
(„Was ist von wem bis wann zu tun,
zu beobachten?“ etc.)
Auffordernde Aktivität (Emotionale Anregung)
Wertschätzender Umgang (gerade dort, wo Ideen aus dem Brainstorming nicht
aufgegriffen oder als sekundäre behandelt werden)
Festlegung von Verantwortlichkeit (exekutive Funktion)
Gemeinsame Lösungsvorschläge zur Veränderung der problematisierten Verhaltensweisen sind erarbeitet.
Bislang erfolgreiche Strategien festgehalten, neue Ideen sind
gesammelt und konkret ausformuliert.
Evtl. sind fachliche Wissensdefizite entdeckt worden oder die Einstellung
zu den Verhaltensweisen hat sich geändert.
Ergebnis der Fallbesprechung ist allen Beteiligten bekannt.
Lösungsvorschläge, erfolgreiche Strategien sind in die Pflegeplanung
eingearbeitet worden.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 37
Perspektivwechsel:
1. Geschichtlichkeit
2. Sprache – repräsentierende Gestaltung
3. Interaktionelles Erleben
Sinnführung in der hermeneutischen FA(nach J. Lennefer 2007)
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 38
1. Geschichtlichkeit – ErinnerungDie Erinnerung und innerpsychische Wahrnehmung der
individuellen Wirklichkeit (subjektive Betroffenheit, Autonomie der Lebenspraxis) überwindet Entfremdung und schützt die eigene Integrität (Unverletzlichkeit) der Person.
Perspektivwechsel heißt hier:Die Verhaltensweisen demenzkranker Menschen sind vor dem
Hintergrund ihrer individuellen Vergangenheit und Geschichte – so wie sie diese sehen – zu deuten
(biografischer Ansatz).
Sinnführung in der hermeneutischen FA(n. J. Lennefer 2007)
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 39
2. Sprache – repräsentierende GestaltungVergegenwärtigung durch das Aussprechen:
Verbale und symbolische Gestaltung bringt etwas für den Sprechenden zunächst nicht Sichtbares zur Anschauung.
Dadurch verlieren ängstigende und deprimierende Erfahrungen ihren hemmenden Einfluss
(� klientenzentrierter Ansatz n. C. Rogers).Perspektivenwechsel heißt danach zu fragen:
Was sagt uns der dementiell veränderte Mensch und was will er uns damit mitteilen?
Sinnführung in der hermeneutischen FA(n. J. Lennefer 2007)
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 40
3. Interaktionelles ErlebenDie Gestaltung der Interaktion geschieht im wesentlichen
dadurch, dass die Bezugspflegekraft (BPK) sich in die innere und äußere Welt des Bewohners teilnehmend hineinbegibt – und hierfür ein Verstehen entwickelt.
Perspektivenwechsel bedeutet:Die BPK lässt sich vom Bewohner in dessen Welt und
Gefühlsleben führen.Hierbei helfen:
� Akzeptierende Konzepte: Validation (N. Feil)� Personenzentrierter Ansatz (T. Kitwood)
Sinnführung in der hermeneutischen FA(n. J. Lennefer 2007)
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 41
• Abschluss der ersten anamnestischen Erhebung spätestens 2 Wochen nach Heimeinzug (verantw.: BPK = Fallanwalt)
• Teamsitzungen, in denen BW-Wirklichkeiten hermeneutisch bearbeitet werden: 1 x wö., Dauer: ca. 1,5 Std.– Vorstellung des Falls in der Teamsitzung (verantw.: BPK)– Problemanalyse, interaktionelles Erleben– Wahrnehmungsvervollständigung durch das interdisziplinäre
Team (verantwortlich: alle TN)– Sammlung und Reflexion eigener Erklärungstheorie– Erarbeitung von Lösungsvorschlägen und Strategien der
Pflegeinterventervention
Struktur und Vorgehensweisen in derhermeneutischen Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 42
Hermeneutische Fallarbeit
Rolle und Aufgaben des Moderators in der HFA (nach I.D. Yalom):
1. Wahrnehmung der exekutiven FunktionSetting schaffen (Regeln und Grenzen vereinbaren)Verantwortung für das Einhalten des SettingsSetting gilt auch für Moderator
2. Sinngebung („roter Faden“)Auf Zielerreichung hinwirken (z.B. Verstehen des Verhaltens)„Denkräume“ schaffen: Gefühle und Erlebnisse in Ideen umsetzen
3. Authentizität (i.S.v. Anregung und Anteilnahme)Offenes Auftreten des ModeratorsAnsprechen, was man in der Gruppe wahrnimmtWertschätzender UmgangSchutz der Nachgruppenkultur
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 43
Relation von Führungsfunktionenund Ergebnis der HFA:
Je stärker die Authentizität i.S. von Anteilnahme) und je
ausgeprägter die Sinngebung, desto höher die positiven
Ergebnisse (lineare Beziehung)
Führungsfunktion des Moderators in der HFA
Anteilnahme
Sinngebung
Erfolgreicher Abschluss
der HFA
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 44
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion
Anregung
Exekutive Funktion
Erfolg-
reicher
Abschluss
Führungsfunktion des Moderators in der HFA
Zuviel oder zu wenig an Anregung und an Exekutive führen zu einem negativen Ergebnis (nicht-lineare Beziehung)
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 45
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion
Emotionale Anregung
kraft- und
leblose Gruppe
stark emotional
geladenes Klima
(bes. bei zu geringer
Sinngebung)
Erfolg-
reiche
HFA-Moderation
Führungsfunktion des Moderators in der HFA
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 46
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion
Exekutive Funktion
Laisser-fairer
Führungsstil(erzeugt verwirrte,
richtungslose Gruppe)
autoritäre,
arythmische
Gruppe(kein Gefühl der
Selbständigkeit der MG)
Führungsfunktion des Moderators in der HFA
Erfolg-
reiche
HFA-Moderation
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 47
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
Schritte der
Fallkonferenz
0. Vorstellung der Bewohners in der HFK durch die Bezugspflegekraft
Kurze Vorstellung (ca. 5 – 8 Min.) durch die Bezugspflegekraft.
Basis: gesammelte Daten und gemachte Beobachtungen der BPK.
1. Problemanalyse interaktionelles Erleben
Möglichst verhaltensnahe und anschauliche (�Rollenspiel) Beschreibung des problematischen oder als schwierig erlebten Verhaltens des Bewohners.
Die akribische Analyse hat zum Ziel, sich über die unterschiedlichen Sicht-und Erlebnisweisen der beteiligten Personen in der HFK auszutauschen.
2. Wissenssammlung
Wahrnehmungsver-
vollständigung
Auch wenn biografische Daten existieren, so sind sie den Teammitgliedern meist unterschiedlich bekannt, oder sie sind lückenhaft. Es macht also Sinn, sich der Frage zu widmen, was von bzw. über den betroffenen Bewohner bekannt ist. Die biografischen Kenntnisse werde so präzisiert.
Vor dem Hintergrund des „so-geworden-Seins“ und des Verstehens seiner Geschichte können sich Ressourcen für den Zugang zu dem dementiell veränderten Menschen eröffnen oder Verhaltensweisen verstehbar werden.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 48
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
Schritte der
Fallkonferenz
3.Sammlung und Reflexion eigener Erklärungstheorien
Wir neigen dazu, uns Sachverhalte mehr oder weniger spontan zu erklären. Im Erleben des Verhaltens eines Bewohners generieren wir überraschend schnell Annahmen darüber, wie dieses Verhalten zu erklären sei. Das Verhalten eines dementiell veränderten Menschen ist mit zunehmender Dauer der Krankheit aber immer weniger spontan verständlich. Es bedarf der regelgeleiteten Deutung durch seine Umgebung.
Unabhängig davon, ob diese Interpretationen objektiv zutreffend sind, leiten sie unser Verhalten und beeinflussen unsere Wahrnehmung.
Sich über eigene Erklärungstheorien auszutauschen eröffnet die Möglichkeit, sie kritisch zur Diskussion zu stellen, eröffnet die Möglichkeit, sie an der Realität, d.h., individuell auf den Bewohner bezogen zu überprüfen.
4. Erarbeitung von Lösungsvorschlägen
Pflegeinterventionen
Die vorgenannten Schritte ermöglichen es, gemeinsame Lösungsvorschläge zur Veränderung der problematisierten Verhaltensweisen zu erarbeiten.
Bislang erfolgreiche Strategien werden beibehalten, neue Ideen gesammelt und konkret ausformuliert. Erforderlich ist die Festlegung von Verantwortlichkeiten, wer welche Aufgaben übernimmt. Nicht selten kann es auch ein Ergebnis sein, dass sich weniger die Verhaltensweise des Bewohners ändert, sondern sich vielmehr die Einstellung seiner Umgebung ihm gegenüber verändert. Wichtig: Aufnahme in die Pflegeplanung; ggf. Fortbildungen.
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 49
Protokoll hermeneutische Fallarbeit
Datum: 27.10.2010
Teilnehmer/innen: ……………
Vorgestellte Bewohnerin: Fr. Maier
Bezugspflegekraft: Fr. Schmitz
0. Vorstellung des Fallkonstrukts
1. Problemanalyse
2. Wahrnehmungsvervollständigung durch das Team
3. Sammlung/Rfelexion von Erklärungstheorien
4. Erarbeitung von Lösungs- und Interventionsvorschlägen
Hermeneutische Fallarbeit
0. Welche Verhaltensweisen
Fragestellungen:
0. Welche Verhaltensweisen
der Frau Maier können wir
(noch) nicht verstehen?
1. Welche biografischen Hintergründe sind bekannt?
2. Welche fehlen uns noch?
3. Was ist die best-anzuwendende Evidenz (das beste Regelwissen) im individuellen Fall?
4. Wie, wann wendet wer, wie oft an?
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 50
Fallstricke in der hermeneutischen Fallarbeit:
� Orientierungslosigkeit im Umgang mit gerontopsychiatrischen Anwendungskonzepten
� Keine Bezugspflegekultur vorhanden
� Keine professionelle Pflegeplanung als Steuerungsinstrument
� Keine Möglichkeiten der Wissensgenerierung
� Fehlendes oder unklares Regelwissen
� Keine hinreichende Möglichkeit zur Beschaffung von Regelwissen
� Keine ausreichende Methodenkenntnisse
� Unzureichende Anamnese und Biografie
� Mangelnder Entscheidungs- und Begründungszusammenhang
Hermeneutische Fallarbeit