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visualpast.de Hinter die Maske geblickt: Unteritalische Vasenbilder als Identitätsvermittler Lilian Schönheit, Hamburg Ziel dieses Aufsatzes ist es, einen Beitrag zur Beschäftigung mit vi- suellen Darstellungen von Identitäten und zugrundeliegenden Er- zählstrukturen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im späten 5. und frühen 4. Jh. v. Chr. zu leisten. Dies geschieht über die Interpre- tation von Vasenbildern, genauer über die Demaskierung unteritali- scher Possenbilder, wie auch über die Betrachtung des direkten Ver- gleichsmediums, der literarisch überlieferten alten attischen Komö- die. Als älteres und deutlicher sprechendes Material wird im Folgen- den zunächst die Alte Komödie anhand zweier Dramen des Aris- tophanes auf ihre Identitätsnarration untersucht, anschließend erläu- tern einige Beispiele der unteritalischen Possenbilder deren visuelle Umsetzung des Theaters und ihre Bezüge zu griechischen und itali- schen kulturellen Identitäten, so dass sich ein direkter Vergleich an- schließt. Die Alte Komödie Die Alte Komödie, deren bekanntester Vertreter Aristophanes ist, wird auf das klassische Athen des mittleren und späten 5. Jh. v. Chr. datiert. Sie ist eingebunden in die reiche Theatertradition der Stadt und wurde in Wettkämpfen zu staatlichen Festen aufgeführt. Die großen Dionysien wurden 534 v. Chr. in Athen gegründet, ein Fest zu Ehren des Dionysos, bei dem Tragödien und Satyrspiele aufge- führt wurden. Die Komödien kamen wenig später hinzu. Seit 486 v.

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Hinter die Maske geblickt: Unteritalische Vasenbilder als Identitätsvermittler

Lilian Schönheit, Hamburg

Ziel dieses Aufsatzes ist es, einen Beitrag zur Beschäftigung mit vi-suellen Darstellungen von Identitäten und zugrundeliegenden Er-zählstrukturen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im späten 5. und frühen 4. Jh. v. Chr. zu leisten. Dies geschieht über die Interpre-tation von Vasenbildern, genauer über die Demaskierung unteritali-scher Possenbilder, wie auch über die Betrachtung des direkten Ver-gleichsmediums, der literarisch überlieferten alten attischen Komö-die.

Als älteres und deutlicher sprechendes Material wird im Folgen-den zunächst die Alte Komödie anhand zweier Dramen des Aris-tophanes auf ihre Identitätsnarration untersucht, anschließend erläu-tern einige Beispiele der unteritalischen Possenbilder deren visuelle Umsetzung des Theaters und ihre Bezüge zu griechischen und itali-schen kulturellen Identitäten, so dass sich ein direkter Vergleich an-schließt.

Die Alte Komödie

Die Alte Komödie, deren bekanntester Vertreter Aristophanes ist, wird auf das klassische Athen des mittleren und späten 5. Jh. v. Chr. datiert. Sie ist eingebunden in die reiche Theatertradition der Stadt und wurde in Wettkämpfen zu staatlichen Festen aufgeführt. Die großen Dionysien wurden 534 v. Chr. in Athen gegründet, ein Fest zu Ehren des Dionysos, bei dem Tragödien und Satyrspiele aufge-führt wurden. Die Komödien kamen wenig später hinzu. Seit 486 v.

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Chr. gehörten sie in den Kanon der staatlichen Dionysien und seit 440 v. Chr. prägten sie die Lenäen, die in öffentlichem Rahmen ge-feiert wurden.1 So richten sich die griechischen Komödien direkt an die gesamte Bevölkerung Athens. Geschrieben inmitten der Krisen-situationen des 5. Jh.v. Chr. und explizit an das Volk gerichtet, spricht die Komödie die verschiedensten Aspekte der attischen Identität an.2

Bis heute sind erschreckend wenige Komödien erhalten. Wäh-rend die Tragödie eine sehr gute Überlieferungsgeschichte erlebte, ist dies für die Komödie nicht gegeben. Lediglich elf Stücke des Aris-tophanes und zwei von Menander sind heute vollständig erhalten.3 Weitere Fragmente und zahlreiche Titel wurden zudem tradiert.4 Al-lerdings ist auch bei den gänzlich erhaltenen Stücken eine originalge-treue Überlieferung keineswegs gesichert.

Die Komödie durchlief – anders als die Tragödie – immer wieder Veränderungen. Während Lykurg 330 v. Chr. die Sicherung der Tra-gödien der drei klassischen Dichter Aischylos, Sophokles und Euri-pides in Auftrag gab, um sie vor den zahlreichen Überarbeitungen durch Neuaufführungen, die seit 386 v. Chr. offiziell gestattet waren, zu schützen, geschah eine solche Bestandssicherung für die Komö-dien nicht. Zwar galten die Dramen des Aristophanes bereits in der Antike als Schullektüre, so dass sie verhältnismäßig gut kopiert wur-den, doch werden Anpassungen der stets auf Aktualität ausgelegten Komödien bei Wiederaufführungen ihre Spuren hinterlassen haben.5 Wiederaufführungen und eine Verbreitung des Theaters sowie der Dramentexte können bereits für das 5. Jh. v. Chr. angenommen wer-den. Fahrende Schauspieler brachten spätestens im späten 5. Jh. v. Chr. Stücke in große Teile der griechischsprachigen Welt.6 Diese

1 Bieber 1961, 52; Green 1994, 7. 2 Die Alte Komödie fällt zeitlich zusammen mit den inner- und außerpolitischen

Spannungen Athens, die in der zweiten Hälfte, 431–404 v. Chr., besonderen Ausdruck im Peloponnesischen Krieg finden. Die Werke des Aristophanes nehmen immer wieder Bezug auf den Krieg und spiegeln die Entwicklung und Stimmung in der Stadt wieder.

3 Aristophanes: Archaner Ritter, Wolken, Wespen, Frieden, Vögel, Thesmophoriazusen, Lysistrate, Frösche, Ekklesiazusen, Plutos; Menander: Dyskolos, Samia.

4 Zimmermann 1998, 9. 5 Zimmermann 1998, 9–10. 6 Dearden 1999, 233.

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Verbreitung, in deren Folge sicher Anpassungen in den Texten vor-genommen wurden, schlagen sich bereits in den antiken Kopien nie-der.7 Dies ist für die später zu betrachtenden Bilder von hoher Rele-vanz, da auch hier schon Anpassungen angenommen werden kön-nen. Die Deutung der Identitätsbezüge in den Texten wird durch die Ungewissheit der Genauigkeit ihrer Überlieferungen erschwert, den-noch wird sich der Grundtenor erhalten haben und somit Aussagen ermöglichen.8

Über die Identität des Aristophanes selbst wurde viel geschrieben und heftig diskutiert.9 Vom konservativen Aristokraten bis zum ra-dikalen Demokraten wurde ihm vieles nachgesagt.10 Doch anhand seiner auf Unterhaltung und Gefälligkeit ausgelegten Komödien auf seine persönlichen Ansichten zu schließen, ist äußerst problematisch und weder Zweck noch Interesse dieses Beitrags.

Die Erzähltaktik seiner Texte, die Rückschluss auf die individuelle Auffassung der Athener erlaubt, soll kurz untersucht werden, denn „da, wie bei jeder Komödie, der durch den Dichter bezogene Stand-punkt der eines Mittelmaßes im Sinne eines Common-sense-Den-kens ist, eröffnen sich einzigartige Perspektiven auf die athenische Mentalitätsgeschichte“.11

Die Acharner

Aristophanes lässt den Chor in der Parabasis seiner 425 v. Chr. an-lässlich der Lenäen aufgeführten Acharner sagen, was das Anliegen seiner Stücke sei:

Vormals, wenn euch die Gesandten der Städt’ eine Nase zu drehen gedachten, da

hießt ihr: „Das veilchenbekränzte Volk“, und wenn einer euch also betitelt, da fuhrt

ihr, über die Kränze entzückt, empor auf unruhigem Hintern. Und wenn einer so-

dann in bezauberndem Ton von dem „glänzenden, fetten Athen“ sprach, der hatte

7 Revermann 2006, 67. 8 Revermann 2006, 79–80. 95. 9 Ehrenberg 1968; Spielvogel 2003; Sidwell 2009. 10 Cartledge 1990, 46; Ausführliche Behandlung politischer Interpretationen zu Aristopha-

nes bei Spielvogel 2003. 11 Hose 1999, 107.

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von euch, was er wollte, dieweil er mit „Fett“ euch wie Gründlinge ölte. Das hat er

bewirkt; des Guten fürwahr nicht wenig verdankt ihr dem Dichter. Denn er

zeigt‘ euch im Spiegel die Städte des Bunds, wie die Demokratie dort bestellt ist.12

Mittels der Komödie möchte der Dichter folglich den Athenern ihre aktuelle Lage und Haltung, wie auch die daraus zu empfehlenden Folgerungen aufzeigen. Gleichzeitig werden hier in dieser Parabase die negativen Aspekte der attischen Bevölkerung angesprochen. Ganz direkt wird den Athenern vom Chor vorgeworfen, empfäng-lich für Schmeicheleien geworden zu sein und sich auf dem alten Ruhm Athens auszuruhen.

Auf einen ähnlichen Aspekt zielt das Thema der Acharner insge-samt ab. Der kriegsmüde Bauer Dikaiopolis appelliert an die Volks-versammlung, nun endlich Frieden zu schließen.13 Immerhin seit sechs Jahren befand sich der attische Bund zum Zeitpunkt der Erst-aufführung im Krieg mit Sparta und den Peloponnesiern.

Dikaiopolis lässt sich einen Privatfrieden in Form eines dreißig-jährigen Weines aushandeln und ruft einen Markt aus, auf dem er im Rahmen seines Friedens auch mit allen Händlern der feindlichen Staaten feilschen kann.14 Megarer und Thebaner werden hier von ihm übers Ohr gehauen, während der pflichtversessene, kriegsüber-zeugte Lamachos, sein Nachbar, ihn tadelt und weiter in den Krieg zieht.15 Lamachos und Dikaiopolis bilden Gegensatzpaare, die die vorherrschenden Meinungen der Athener konterkarieren: Die starke Sehnsucht nach Frieden, wie auch gleichermaßen der unabänderliche Wille, nicht nachzugeben, den vor allen die demokratische Führungs-schicht der 420er immer wieder zeigte.16

Beide Aspekte der Athener werden also vorgeführt, der Starrsinn der Kriegsbefürworter, der in immer größerem Leid gipfelt, und die schlaue und derbe Art des Dikaiopolis, in der sich die Sehnsüchte der

12 Aristoph. Ach. 636–642, alle Übersetzungen: Newiger 1976. 13 Aristoph. Ach. 287–305. 14 Aristoph. Ach. 174–202 und 719–728. 15 Aristoph. Ach. 620–622 und 729–958. 16 Vgl. hierzu Thuk. 2.65.

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kriegsmüden Bevölkerung widerspiegeln.17 Gleich im Prolog mokiert sich Dikaiopolis:

O Stadt, o Stadt! – Ich, in der Volksversammlung stets der erste, ich nehme Platz;

in meiner Einsamkeit. Dann seufz ich, gähne, lüfte mich, sinniere, schreibe, kratz im

Haare mich, schau ins Feld hinaus und bet um Frieden, fluche der Stadt und denke:

wär ich nur daheim, auf meinem Dorf.18

Diese Passage spiegelt deutlich die Sehnsucht der Landbevölkerung, die auf Grund der perikleischen Taktik innerhalb der Mauern der Stadt siedeln und ihr Land brach liegen lassen musste.19 Gleichzeitig kommt die Politikverdrossenheit der Athener eindrücklich zur An-klage. Vorgeführt werden also die sozialen Spannungen ebenso wie die ökonomischen Schwierigkeiten, die dann einzig Dikaiopolis in seiner privaten Friedenszone umgeht. Der Chor der Acharner hinge-gen singt im Parodos:

Folgt mir alle! Bürger, hierher, fragt die Leute nach dem Kerl, ob er keinem aufge-

stoßen; jeder tue seine Pflicht! Denn es gilt das Heil des Landes! Sagt, ihr Leute,

wißt ihr nicht, wo der Schurke sich verborgen, der den Frieden mitgebracht?20

Hier wird die Einstellung der Mehrheit zur Kriegspflicht angespro-chen. Trotz des Wunsches nach Frieden, blühendem Handel und ei-nem freien Alltagsleben überwiegen doch der Ehrgeiz und die Em-pörung bei dem Gedanken an Kapitulation seitens der Athener.21

Ebenfalls wird der Stolz der Athener auf ihre ökonomische Macht pointiert.22 In seinem schlauen Feilschen um den Frieden und mit den Händlern, weist Dikaiopolis die Eigenschaften auf, mit denen die Athener nach dem Chorgesang so gerne umschmeichelt werden: »Glänzend und fett«23 ist seine Ausbeute, wenn er dem Megara einen

17 Whitethorne 2005, 36. 18 Aristoph. Ach. 27–34. 19 Vgl. hierzu Thuk. 1.143.5; Thuk. 2.65.2. 20 Aristoph. Ach. 204–208. 21 Vgl. Ehrenberg 1968, 51. 22 Vgl. Ehrenberg 1968, 53. 23 Aristoph. Ach. 639.

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Aal schon als Marktsteuer abnimmt, ihm zum Tausch lediglich alte Töpfe bietet.24

Die Frösche

Als zweites Beispiel dienen die 405 v. Chr. zu den Lenäen aufgeführ-ten Frösche des Aristophanes. Hier spricht der Chor wieder in der Pa-rabase direkt ans Publikum und gibt die angekündigten Ratschläge und Rügen:

Oftmals hat es mir geschienen: Unsrer Stadt ergeht es ganz ebenso mit ihren bes-

ten Bürgern, jedes Lobes wert, wie es mit der alten Münze und dem neuen Gelde

geht: Denn auch jene, die doch wahrlich weder falsch ist noch zu leicht, ja, die unter

allen Münzen, die ich weiß, die beste ist und allein ein gut Gepräge trägt und Klang

und Geltung hat unter den Hellenen allein und im Ausland überall, jene braucht ihr

nicht mehr, sondern dieses schlechte Kupfergeld, gestern oder ehegestern ausge-

prägt, von schlechtem Klang! Bürger, die wir kennen, edel von Geburt und ein-

sichtsvoll, Männer redlichen Charakters, makellos, gerecht und gut, wohlgeübt im

Kampf, in Chören und in jeder Musenkunst, die verschmähn wir, […]25

Beklagt wird der Verfall der alten Werte bei bleibendem Stolz. So ist denn auch das Thema der Komödie zu verstehen, die Literatur und Politik verbindet.26 Im Stück reist Dionysos in die Unterwelt, um ei-nen guten Poeten zurückzuholen.27 Keinen guten Tragiker habe Athen mehr zu bieten, so dass Euripides und Aischylos vor Dionysos im Stück um den Rang als bester Dichter streiten. Der Wettkampf bleibt unentschieden, bis die Dichter von ihren politischen, erziehe-rischen Fähigkeiten prahlen.28 Hier kann Aischylos den Sieg errin-gen,29 wodurch Aristophanes viel über die Veränderung der attischen Gesinnung preisgibt. Euripides behauptet:

Auf solche Weisheit allerdings hab ich die Bürger eingeschult, indem ich Scharfsinn

und Räson der Kunst verlieh, daß regelrecht jedweder denkt und rationell nun Haus

24 Aristoph. Ach. 895–910. 25 Aristoph. Fr. 716–728. 26 Ehrenberg 1968, 72. 27 Aristoph. Fr. 62–77. 28 Aristoph. Fr. 1419–1465. 29 Aristoph. Fr. 1475.

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und Hof und Vieh bestellt, wie er es früher nie getan, und sorgsam forscht: „Wie

steht’s mit dem? Wo find ich dies? Wer nahm mir das?“30

In diesem Eigenlob des Euripides kommt die Kritik am Sophismus heraus, der besonders mittels des Theaters jedem Bürger zugänglich gemacht wurde und ihn dazu brachte, zu denken und zu hinterfra-gen, aber vor allem sich auf sich selbst zu konzentrieren, sein Haus und Hof rationell zu bestellen und weniger Aufmerksamkeit dem Staat und der Staatspolitik zukommen zu lassen.31 Beklagt wird der Wandel der Handlungen vom Öffentlichen ins Private und vom Mo-ralischen zum Berechnenden.32 Darauf antwortet Aischylos:

So betrachte die Menschen, in welcher Gestalt von mir er zuerst sie bekommen:

Grundedler Natur, vierschrötig und stark, nicht Hasenpanierpatrioten, nicht Pflas-

tertreter und Gaukler, wie jetzt, Klatschweiber, durchtriebene Schelme, nein:

Speerwucht schnaubend und Lanzengewalt, weißbuschige Pickelhauben, Bein-

schienen und Helme und Waffengeklirr und siebenstierhäutigen Kriegsmut!33

Aischylos als Gewinner wird zum Exodus von Hades zurück in die Oberwelt nach Athen geschickt, mit dem Rat: „Glück auf den Weg, mein Aischylos! Zieh hin und rett uns die teuerste Stadt mit beson-nenem Rat, und züchtige scharf die Betörten: gar viel sind ihrer im Land!“34

Der bereits 465 v. Chr. verstorbene Aischylos verkörpert die gute alte Zeit, in der die frisch gegründete Demokratie Athen siegreich in den Perserkriegen strahlte, Euripides, der ein Jahr vor der Komödie verstarb, verkörpert hingegen das aktuelle Athen, das in tiefer Krise steckt, politisch, sozial und ökonomisch.35 Zu den bereits in den Ach-arnern angesprochenen Aspekten von Stolz auf Politik, Bürgerrecht und Handelsmacht, rückt in den Fröschen die Dichtkunst in den Vor-dergrund. Dieser Dichtkunst wird mit dem Tod der großen Dichter des 5. Jh. v. Chr., Aischylos, Sophokles und Euripides, ein Verfall,

30 Aristoph. Fr. 971–979. 31 Zimmermann 1998, 168; Ath. 14.15. 32 Ehrenberg 1968, 73. 33 Aristoph. Fr. 1013–1017. 34 Aristoph. Fr. 1500–1503. 35 Vgl. Ehrenberg 1968, 73.

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wenn nicht sogar das Ende durch Aristophanes prophezeit, das me-taphorisch für den Verfalls der alten Werte und der Bedeutung Athens steht. Wie es Dönt ausdrückt:

An einzelnen, sozusagen privaten Individuen mit ausgeprägtem Charakter führt uns

Aristophanes zugleich die natürliche Reaktion des Menschen auf Störungen des

gewohnten und vertrauten Lebensalltags vor, wie sie im politischen, geistigen oder

künstlerischen Bereich erlebt und empfunden werden.36

Dikaiopolis und Lamachos waren Individuen, die stellvertretend für parallele sozio-politische Bestreben der attischen Bevölkerung stan-den, wie Aischylos und Euripides für diachrone Charakteristika und Leitentwicklungen der attischen Kultur und Politik stehen. Mit dem Chor kommt in den Komödien ein weiteres erzählerisches Mittel hinzu, mit dem sich der Dramatiker aus dem fiktionalen Geschehen direkt an das Publikum wendet, was umso stärker verdeutlicht, dass das schauende Publikum direkter Bezugspunkt der szenischen In-halte war.

Bilder der Komödie

Betrachtet man dagegen Vasenbilder mit Komödiendarstellungen, so ist deren Narration vollkommen anders. Geschriebener Text und ge-maltes Bild verlaufen nach gänzlich unterschiedlichen Richtlinien. Die Vasenbilder zeigen Darstellungen des komischen Theaters, von Szenen einer Bühnenaufführung, sowie einzelner oder mehrerer Schauspieler in einem religiös-kultischen Kontext. Sie stammen – so-weit bekannt – aus Gräbern Unteritaliens und Siziliens und datieren allesamt in das frühe bis mittlere 4. Jh. v. Chr.37 Mit ihrer Thematik

36 Dönt 2012, 4. 37 Fundkontexte sind auf Grund alter Grabungen mit geringer Dokumentation und zahl-

reicher Raubgrabungen nur selten bekannt. Erhaltungszustände und der Vergleich mit bekannten Fundumständen erlauben jedoch die pauschalierende Aussage, nahezu alle unteritalisch-rotfigurigen Gefäße stammten aus Gräbern. Auch der Chronologie mangelt es an Präzision. Auf Grund weniger gut datierter Fundkontexte ist die gesamte Chrono-logie der Unteritalischen Keramik als relativ anzusehen. In umfassenden Werken hat A. D. Trendall dennoch eine überzeugende Chronologie erarbeitet, die allgemein zur Orien-tierung herangezogen wird. Zur Datierungsproblematik s. Trendall 1989, 15 f.; RVAp, LCS; RVP.

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erlauben sie einen Vergleich literarisch und ikonographisch überlie-ferter narrativer Identitätsbezüge, der die Eigenständigkeit der Bil-der, ebenso wie ihre Vielschichtigkeit betont.

Die eben besprochenen Annahmen der direkten Ansprache des Publikums durch den Dramatiker mittels des Chores sind nicht auf die Vasenbilder umzulegen. Auch die Rolle der Protagonisten zur metaphorischen Visualisierung identitärer Züge mittels ihrer Reakti-onen ist im Bild supprimiert und somit deutlich verändert. Der dritte Parameter der literarischen Komödie, das Publikum, bleibt auch bei den Bildern bestehen, tritt jedoch nicht in offensiven Kontakt mit dem Maler, nur noch mit dem Gefäß.

Die wegfallende, wörtliche Sprache des literarischen Werkes, die implizit wie explizit genutzt werden kann, ist durch die szenische Auswahl, kompositorische Bildelemente und die eigene Sprache der Ikonographie ersetzt. Folglich spricht der Maler, anders als der Dich-ter, den Betrachter nicht direkt an, sagt ihm nicht, was Ziel des Bildes ist, welche Aufgaben er sich gestellt hat und welche Vorstellungen er von der angesprochenen Gesellschaft hat. Vielmehr vermittelt er, vermutlich unbewusst, das Identitätsbestreben der unteritalischen Bevölkerungen mittels Bildauswahl und ikonographischer Bezüge.

Bestehen bleibt die Annahme, dass das, was immer mit dem Bild ausgesagt werden sollte, als common sense bestand. Denn ähnlich wie die Dramenstücke sind die Vasenbilder von der Resonanz des Pub-likums, in diesem Fall der Käufer, abhängig und wurden in Hinblick auf möglichst große Absatzchancen gefertigt. So kann auch hier da-von ausgegangen werden, dass die transportierten Ideen auf bereitere Zustimmung trafen.

Jedoch werden nicht die gleichen Auffassungen der Dramen des Aristophanes, wie sie in Athen aufgeführt wurden, eins zu eins im Bild übertragen gemeint sein. Und dies nicht allein wegen des medi-alen Wechsels. Zum einen ist die Identität des Malers eine andere und seine Intention gänzlich anders als die des Autors, denn er sieht sich nicht als Erzieher des Volkes. Zum anderen – und dies ist der

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entscheidende Wechsel – richten sich die Vasenbilder an eine völlig neue Gruppe von Betrachtern.

Geopolitischer Rahmen der Vasenbilder ist nicht Athen im pelo-ponnesischen Krieg, sondern Unteritalien mit einer ganz anderen Anforderung an die Ausprägung von Individualität. Als Zielgruppe treffen wir hier auf die in den Küstenstädten siedelnden Griechen, die bereits seit dem 8. Jh. v. Chr. im Zuge der großen Kolonisation Städte in Süditalien und auf Sizilien gründeten,38 und die Italiker, ver-schiedene lokale Bevölkerungsgruppen, die schon lange die Regio-nen des Binnenlandes bewohnten.39

Die Komödienbilder sind eine Errungenschaft dieses hybriden Kulturkreises und somit direkt auf diesen zu beziehen. Darstellungen attischer Komödien treten in Athen kaum auf. Vereinzelte attische Vasen zeigen Bilder, deren Bezug zum Theater naheliegt, aber nicht immer klar belegt ist. Zudem ist die Stückzahl derart gering, dass sie als wenig repräsentativ angesehen werden können.40 Im Gegensatz zu diesem Mangel an Possenbildern in Griechenland finden sich in Süditalien zahlreiche Gefäße, deren Darstellungen einen ganz augen-scheinlichen Bezug zum komischen Theater aufweisen. Die meisten Bilder sind keinen heute bekannten Dramenstücken zuzuordnen, ihr Bezug zum komischen Theater ist jedoch durch Masken, Kostüme und teils Bühnenbauten stets eindeutig.

38 Der Begriff der Kolonisation ist verfehlt, bleibt in der Forschung als Terminus jedoch bestehen. Wichtig gerade im Verhältnis zur weiteren Bevölkerung Unteritaliens ist zu beachten, dass die Griechen keine hegemoniale Vorherrschaft über das gesamte Gebiet hatten, wie es der Begriff der Kolonisation vermuten ließe, und weiter, dass die griechischen Städte in Italien weitestgehend unabhängig von den Mutterstädten und dem griechischen Festland waren. Einführend s. Boardman 1981.

39 Italiker ist lediglich der modernisierte Sammelbegriff für die zahlreichen indigenen Be-völkerungen Unteritaliens. Vorrangige Käufer waren unter ihnen Daunier, Peuketier, Lukaner und Sikuler. Aber auch in Gräbern der Messapier, Kampanier, Samniten, Brettier, Elymer oder Sikaner finden sich beachtliche Mengen unteritalisch-rotfiguriger Keramik. S. Coarelli 1971; Carpenter – Lynch – Robinson 2014.

40 Die wesentlich älteren Komastenbilder werden als Vorläufer teils herangezogen, die dick ausstaffierenden Wamse erlauben auch einen Vergleich (Bsp. Louvre S 1104). Zeitlich nähere Beispiele finden sich vereinzelt, so die bekannten Getty-Birds, die womöglich einen komischen Chor darstellen (Malibu 82.AE.83), karikierende Bilder mit deformierten Helden (Ruvo 1408) oder Darstellungen mit verzerrten bis grotesken Zügen, die an Masken denken lassen (Louvre M 9).

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Sie geben Vorführungen griechischer Komödien oder einfacher Volkspossen wider, in denen beispielsweise die Götter bei einem heimlichen Stelldichein abgebildet werden41, ein alter Kauz verball-hornt wird42 oder es wird ein gewöhnlicher Ehestreit gezeigt43. Ebenso gibt es zahlreiche Gefäße, auf denen ein Komödiant gemein-sam mit dem Gott Dionysos tanzt44.

In diesen Vasenbildern Unteritaliens erzählen die Maler implizit von gewandelten Identitäten, von neuen und unterschiedlichen Selbstverständnissen. Hierbei wird eben nicht eine Identität angespro-chen und widergegeben, sondern verschiedene: griechische Siedler, die ihre Identität auf die mutterländische, griechische Kultur begrün-den und Italiker, die wiederum ihre Identitäten in kultureller Eigen-ständigkeit, aber auch Übernahme griechischer Gepflogenheiten etablierten.

Ein Beispiel mit klarem Bezug nach Athen ist der apulische Glo-ckenkrater Berlin F 304645 (Abb. 1) mit einer Szene aus dem eben bereits angesprochenen Stück Die Frösche des Aristophanes. Vor einer Bühnentür links im Bild steht ein Komödiant mit faltigen Hosen und langärmligen Gewand, das die Bühnennacktheit präsentiert, darüber trägt er einen das Gesäß und den Bauch ausstaffierenden Wams und eine bärtige Maske. Seine rechte Hand ist zum lauten Schlag gegen die Tür mit der hinter seinem Kopf erkennbaren Keule erhoben. Über dem linken Arm flattert ein Raubtierfell. Hinter ihm reitet ein weiterer Komödiant auf einem Esel. Eine Maske ist auch bei ihm zu erkennen, Wams und Hosen sind weniger deutlich. Er ist kleiner und unauffälliger ausgestattet als der erste, was zu seiner Rolle als Sklave passt. Er trägt das Gepäck seines Herrn im großen Sack am Stock über seiner rechten Schulter.

41 Z. B. Vatikan U 19 Inv. 17106, um 360 v. Chr., nahe Asteass; RVP (2/176). 42 Z. B. Berlin F 3044, um 360 v. Chr. signiert von Asteass; PhV² 50, Nr. 76; RVP (2/125). 43 Z. B. Wien 466, um 380–370 v. Chr., Maler von Heidelberg U6; PhV² 47, Nr. 66; RVAp I

(101/36). 44 Z. B. London BM F 188, um 350 v. Chr., Asteass; PhV² 36, Nr. 48; RVP (2/26). 45 Berlin F 3046, um 375–350 v. Chr.; verloren; PhV 22; Taplin 1994, Nr. 7.

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Abb. 1: Apulischer Glockenkrater Berlin F 3046; Foto: M. Bieber, Die Denkmäler zum Theater-

wesen im Altertum (Berlin 1920), Taf. 80.1.

Keule, Löwenfell und kräftiges Auftreten des Ersteren lassen zu-nächst an Herakles denken. Doch klärt der Text genauer auf: Darge-stellt ist hier die Eingangsszene des Stückes, in der nicht Herakles, sondern Dionysos als Herakles verkleidet mit seinem Sklaven Xan-tias an die Tür des echten Herakles klopft, um diesen nach dem Weg in die Unterwelt zu fragen.46 Xantias beschwert sich im Stück, dass er das Gepäck tragen muss, übersieht dabei jedoch, dass er den Esel reitet und auf diesem das Gepäck ablegen könnte.47

Mit einer Darstellung der Frösche wird in Unteritalien nicht auf den Verfall der attischen Werte angespielt, sondern es werden mittels der Bilder neue Aussagen generiert. Zum Ausdruck kommt im Bild der Eingangsszene zu den Fröschen, dass das griechische Drama Eingang fand in die Welt der Italioten – der in Italien beheimateten Griechen

46 Aristoph. Fr. 1–77. 47 Aristoph. Fr. 20–25.

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– und dass die großen Städte Unteritaliens ein blühendes kulturelles Leben in griechischer Tradition führten. Dieser Berliner Glockenkra-ter ist allerdings insofern äußerst ungewöhnlich, als dass es neben ihm nur wenige weitere Beispiele gibt, die sich auf eine überlieferte attische Komödie zurückführen lassen.48 Dennoch belegen diese Bei-spiele die Verbreitung der attischen Alten Komödie im süditalischen Raum.49

Die italiotisch-griechische Perspektive kommt besonders in Dar-stellungen zu Anfang des 4. Jh. v. Chr. zum Ausdruck. In Apulien und in geringerer Stückzahl auch auf Sizilien erscheinen aufwändi-gere, figurenreiche und deutlich erzählerische Bilder, deren Inspira-tion man gut und gerne in aufwändigen Theaterproduktionen sehen kann, wie sie in Tarent oder Syrakus stattgefunden haben.50 Der Kelchkrater New York 24.97.10451 (Abb. 2), der dem Tarpoley-Maler zugeschrieben wird, ist ein beliebtes Beispiel. Rechts im Bild steht auf einem hölzernen Bühnenaufbau mit Tür ein Komödiant im Kos-tüm einer alten Frau, die zeternd in die Bildmitte gestikuliert. Vor ihr liegen ein Korb und eine tote Gans. Laut Beischrift klagt sie:

ΕΓΩΠΑΡ – ΕΞΩ (Ich übergebe52). Mittig in der Szene tänzelt ein dick ausstaffierter Komödiant mit erhobenen Armen auf Zehenspit-zen, mit dem Körper zur Frau wendet er den Kopf zurück zu einem weiteren Komödianten. Dieser steht lässig mit der einen Hand an der Hüfte, in der anderen einen Stock hinter sich haltend. Vorderer ruft:

ΚΑΤΕΔΗΣΑΝΩΤΩΧΕΙΡΕ (Er/sie hat meine Hände hochgebun-

den), während bei dem hinteren ΝΟΡΑΡΕΤΤΕΒΛΟ geschrieben steht. Ein Ausspruch, der nicht aus Worten, sondern sinnlosen Sil-

48 Das bekannteste Stück ist der Würzburger Glockenkrater H 5697, um 370 v. Chr., dem Schiller-Maler zugeschrieben. Auf dem Krater ist eine Szene der Thesmophoriazusae des Aristophanes zu sehen. Taplin 1994, Nr. 4; CVA Würzburg 4, 13–14, Taf. 4.

49 Csapo 2014, 38. 50 Webster 1956, 97–98; Nielsen 2002, 142–158; Csapo 2014, 38. 51 New York 24.97.104, um 400 v. Chr., Tarpoley-Maler; PhV, Nr. 84; RVAp (3/7); Taplin

1994, Nr. 2. 52 Übersetzungen folgen Taplin 1994, 31.

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ben besteht und als Zauberformel oder aber fremde Sprache gedeu-tet wurde.53 Ganz links im Bild steht deutlich erhöht im Raum ein Jüngling in einen Mantel gewickelt. Er trägt die Beischrift

ΤΡΑΓΟΙΔΟΣ, vor der eine komische Maske hängt.

Abb. 2: Apulischer Kelchkrater New York 24.97.104; Foto: <http://www.metmuseum.org/col-

lection/the-collection-online/search/251532?rpp=30&pg=4&ao=on&ft=apulian&pos=91>

(24.03.2016).

53 Mayo 1982, 83.

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Die Deutung des Bildes ist umstritten.54 Es handelt sich wohl um ein komisches Stück über einen Gänsedieb, der hier angeklagt und ge-fesselt wird. Ob es sich bei dem Fesselnden mit Stock um einen Kumpanen handelt, der der Alten einen Zaubertrick vorgaukelt, oder ob tatsächlich der Dieb der Leidtragende ist, bleibt Spekulation.55 Da die Szene sich nicht aus sich selbst heraus erklärt, ist anzunehmen, dass sie eine dramatische Vorlage hatte, der Maler also das Stück bei einer Aufführung gesehen hat oder die Komödie las. Ebenso muss er davon ausgegangen sein, dass auch potentielle Käufer mit dem In-halt vertraut waren.56

In den griechischen Städten Tarent, Syrakus, Metapont, auch Paestum gab es selbstverständlich Theater und auch von kleineren, fahrenden Schaustellern, die auf schnell aufzubauenden Holzbühnen agierten, ist auszugehen.57 So veranschaulicht dieses Bild und mit ihm viele weitere, welch großen Stellenwert das griechische Theater in Italien hatte und dass die Komödie einen identitätsstiftenden Cha-rakter aufweisen konnte.58 Indem der Maler eine Szene auswählt, de-ren Witz nur mit Kenntnis des weiteren Geschehens zu begreifen ist, beschreibt er seine Käufer als griechisch gebildete, kulturell interes-sierte Kenner. Die Auswahl des Themas und der speziellen Sequenz mit Einbindung von Detailinformationen, wie sie durch die Beschrif-tungen auftritt, ist es, die uns über den Wunsch der identitären Selbstdarstellung des Käufers des Gefäßes, der dieses bei seiner Be-stattung oder der eines Verwandten aufstellen ließ und als Grabbei-gabe wählte, Auskunft gibt.

Ein verstärkter Wunsch nach ausgeprägter Identitätsdarstellung der Griechen der Küstenstädte in Italien lässt sich durch den zuneh-menden Kontakt mit den benachbarten Bevölkerungen erklären.59

54 Taplin 1994, 30–32. 55 Mayo 1982, 83; Taplin 1994, 30–32. 56 Ein zweites Gefäß, der Glockenkrater Boston 69.695, wird mit dem gleichen Stück um

einen Gänsedieb in Verbindung gebracht und bestärkt die Vermutung, es handle sich um eine bestimmte, bekannte Komödie. Taplin 1994, 30–36.

57 Mertens 2006; Beacham 2007, 204. 213–215. 58 Vgl. Allan 2001, 69; Herring 2007, 14. 59 Vgl. Herring 2007.

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Zu den meist kriegerischen Auseinandersetzungen, besonders mit den Oskern, Messapiern und Lukanern, kam es über die Zeit ganz selbstverständlich zu vermehrtem Handel und auch zu Kulturaus-tausch. Eine Passage des Aristoxenos von Tarent vom Ende des 4. Jh. v. Chr., die bei Athenaeus zitiert wird, zeigt die verstärkte Sorge um die griechische Identität in den Kolonien. Er schreibt, man be-nähme sich wie die Poseidonier, die schon völlig barbarisiert seien.60 Dies bezieht sich auf das allgemeine Wirken und den Einfluss der Lukaner in Paestum, das Ende des 5. Jh. v. Chr. von ebendiesen ein-genommen wurde,61 und die Bedrohung der griechischen Kultur durch die indigene.62

Allan sieht nun in der Veranschaulichung und der Bedeutung des attischen Theaters eine konstituierte Bestätigung des Griechisch–Seins.63 Ein klarer Bezug zur griechischen Kultur wird also über Form und Thema der Vasen vermittelt.

Die Fundverteilung zeigt nun aber, dass die Stücke eben nicht nur aus den großen Städten, sondern auch aus den Orten der Italiker – besonders Ruvo – stammten, die vornehmlich von Dauniern und Peucetiern bewohnt waren.64 Die zeitweise vorgeschlagene Erklä-rung für das Auftauchen attischer Komödien in indigenen Gebieten, es handle sich um zufällige Zweitverwendungen, ist nicht haltbar.65 Ist es mittlerweile gut vertretbar zu behaupten, dass die Gründung der unteritalisch-rotfigurigen Werkstätten vorrangig durch den längst bestehenden Absatzmarkt des Hinterlandes begünstigt wurde.66 So muss davon ausgegangen werden, dass die Bildthemen unter Berück-sichtigung der indigenen Käufer gewählt wurden.67 Also kann man

60 Ath. 14.632. 61 Strab. 5.4.13. 62 Lomas 1995, 348; Herring 2007. 63 Allan 2001, 69. 64 Robinson 1990. 65 Robinson 2004, 208; Robinson 2014, 328. 66 Carpenter 2003, 2; Robinson 2004, 195. 67 Robinson 2004, 200.

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annehmen, dass mindestens die lokalen Eliten Kenntnis vom Thea-ter und ein Verständnis für den Inhalt der Stücke hatten.68 Wenn wir folglich festhalten, dass das Bildthema Komödie bewusst von Peuce-tiern, Dauniern, Lukanern und Oskern gewählt wurde, so kann man daraus schließen, dass Teile auch dieser Bevölkerung mit der griechi-schen Theaterkultur vertraut waren und dass sie durch die Beigabe dieser Bilder im Grab eine Verbindung zur griechischen Kultur zei-gen wollten und wohl eine weitere Bedeutung im Possentheater sa-hen, die über die elitäre Zurschaustellung transregionaler, also elitärer Bedeutung hinausging. Mit dem Gebrauch des Possenthemas wird mindestens eine Selbstdarstellung der indigenen Bevölkerung ge-zeigt, mit der sie ihre graecophile Gesinnung ebenso zeigt wie ein Interesse an Einbindung der griechischen Kultur in die eigene.

Hier zeigt sich der faszinierende Fall, dass identitäre Bezüge in einer Darstellungsform verschiedene kulturelle Identitäten anspre-chen können. Das gleiche Bildthema kann gleichermaßen zur kultu-rellen Abgrenzung wie zu kultureller Einbindung dienen. Die visuel-len Darstellungen des Theaters auf unteritalischen Vasen zeigen auf der einen Seite das konservative Festhalten an festlandgriechischer Kultur, auf der anderen Seite das Bestreben kultureller Verschmel-zungen. Hinzu kommen Innovationen, die auch auf den Einfluss der Italiker zurückgehen und damit Aufschluss über deren Identität ge-ben, denn eine Vorlage in attischer Komödie legen bei weiten nicht alle Darstellungen nahe.

Die Bilder sind so wenig einheitlich, dass es sich wohl um unter-schiedliche Arten von Aufführungen handelte: Neben den attischen Dramen erscheinen auch Lokalproduktionen mit deutlich italischem Einfluss wahrscheinlich. Ebenso spontanes Kabarett und vom pro-fanen Theatergeschehen unabhängige Darstellungen von Schauspie-lern, die bereits in einen kultischen Kontext gehören, sind möglich. Ein apulischer Glockenkrater im Victoria and Albert Museum69 (Abb.

68 Robinson 2004, 208; Robinson 2014, 329. 69 London, Victoria and Albert Museum 1776–1919, um 370 v. Chr.; PhV, 28.

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3) zeigt ein Bild des lagernden und schlemmenden Herakles, umstan-den von zwei alten Possendarstellern mit Thyrsosstäben. Der schwelgerische, stets hungrige und eher faule Herakles ist ein Thema, das häufiger aufgenommen wird.70

Abb. 3: Apulischer Glockenkrater, Victoria and Albert Museum 1776–1919; Foto: © Victoria

and Albert Museum, London.

Es handelt sich hierbei wahrscheinlich nicht um eine bekannte Ko-mödie, die verbreitet aufgeführt wurde und als Bildvorlage diente. Vermutlich spiegelt sich hier ein gängiges Witzrepertoire, aus dem

70 Vgl. Rio de Janeiro 1500, Sidney NM 88.2, London BM 1867.

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sowohl kleinere kabarettistische Stücke wandernder Schauspieler als auch Maler schöpften. Diese werden sich nicht auf die attische Ko-mödie und damit das dezidiert griechische Theater bezogen haben, sondern auch von der Lokalbevölkerung der Italiker für szenische Darbietungen genutzt worden sein. Als Beleg kann eine Oinochoe aus Kampanien, heute British Museum F 23371 (Abb. 4), herangezogen werden. Auf ihr stützt sich ein komischer Schauspieler mit über-kreuzten Beinen auf seinen massiven Knotenstock, der mit zwei Fin-gern der linken erhobenen Hand zu einer kleinen Statue spricht, die rechts im Bild auf einer Basis erhöht steht. Löwenfell und Keule ver-raten, dass es sich bei der Statue um eine Herakles-Figur handelt. Der

übergroße Schauspieler ist beschriftet mit AITNAS, was rückwärts gelesen Santia, also wieder Xantias bedeuten könnte. Von links nach rechts gelesen ein sehr ungriechischer Name, von rechts nach links ein sehr ungriechischer Schriftzug. Auch das Gewand des Schauspie-lers ist untypisch für griechische Darstellungen. Seinen Mantel schmücken Fransen am Saum und breite schwarze Bordüren, die sonst an der Tracht der einheimisch kampanischen Bevölkerung, den Oskern und Samniten zu beobachten sind.72 Es scheint sich hier also um die Darstellung eines oskischen Schauspielers in oskischem Kos-tüm oder um das Werk eines mehr mit oskischer als mit griechischer Tracht vertrauten Malers zu handeln.73

Einen weiteren direkten Hinweis auf die Verbreitung des Theaters und Verwendung des Bildthemas Theater im italischen Raum bieten die Bildträger, die verwendeten Gefäßformen. Als Beispiel sei der Askos angeführt. Der apulische Askos in Malibu 96.AE.11474 (Abb. 5–6) fällt in diesen Bereich. Hier ist auf der einen Seite ein laufender Sklave gezeigt, auf der anderen wohl sein Herr, der ihm mit erhobe-nem Stock folgt.

71 London BM F 233, 370–320 v. Chr., Maler unbekannt; LCS (2/94); Taplin 1994, Nr. 15. 72 S. Schneider-Herrmann 1996. 73 Taplin 1994, 41. 74 Malibu 96.AE.114, um 360–350 v. Chr., Meer-Gruppe; RVAp (11/133b).

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Abb. 4: Kampanische Oinochoe, British Museum F 233; Foto: © Trustees of the British Mu-

seum <http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_de-

tails.aspx?objectId=463512&partId=1> (24.03.2016).

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Askoi waren explizite Exportware für den Absatzmarkt Nordapu-lien. Die Form wird in Daunien bereits seit dem 9. Jh. v. Chr. ver-wendet und taucht in den Funden Tarents nahezu nicht auf.75 Das Motiv einzelner Schauspieler ist auf ihnen verbreitet, so dass das Mo-tiv sicherlich bewusst für den indigenen Markt gewählt wurde.76 Die Annahme lokaler Theaterproduktionen ist mehr als nachvollziehbar, an den Bildern jedoch wenig eindeutig zu belegen. Die Vielzahl der einfacheren Szenen legen Darbietungen einfacher Stücke von kleinen Schauspielgruppen nahe, die nicht örtlich gebunden waren. Der An-teil indigenen Einflusses bleibt schwer zu fassen.

Aus den antiken Quellen ist uns immerhin Rhinthon bekannt, ein einheimischer Dramaturg, der in Syrakus geboren und kurz nach 300 v. Chr. in Tarent gewirkt hat. Er soll die unteritalische Theaterform des Phlyakenspiels – hilarotragoedia – begründet haben.77 Wahrschein-licher ist aber, dass er einer längst bestehenden Form der Volksposse schriftliche Beachtung schenkte und ihr zu größerem Aufschwung verhalf. Werke des Rhinthon selbst, der erst nach Aufgabe dieser Bil-der arbeitete, dürfen wir in den Vasenbildern nicht vermuten, wohl aber Vorläufer.78

Der bereits zitierte Aristoxenos von Tarent beschwert sich laut Athenaeus weiter, dass auch unser, also vermutlich das griechische oder genauer tarentinische, Theater barbarisiert sei.79 Man kann aufgrund dessen annehmen, dass es eine merkliche, indigene Beein-flussung auch im Bereich des Theaters gab.80 Neben der Feststellung der Integration attisch-griechischen Theaters in indigenen Gebieten und Kulten lässt sich ein rückwirkender Einfluss indigener Vorstel-lungen auf die griechischen Siedlungen annehmen, die sich zumin-dest in der Wahl und auch Kenntnis der Maler ausdrückt.

75 Robinson 2004, 76 Robinson 2004, 193–195. 77 Suida, Rhinton, T1-T3. 78 PhV, 9; Taplin 1994, 52; Nielsen 2002, 157. 79 Ath. 14.632. 80 Herring 2007, 13.

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Abb. 5: Apulischer Askos Malibu 96.AE.114; Foto: Digital image courtesy of the Getty’s Open

Content Program <http://www.getty.edu/art/collection/objects/29524/unknown-maker-

apulian-red-figure-askos-greek-south-italian-apulian-360-350-bc/> (24.03.2016).

Verfolgt man den indigenen Einfluss und die Innovationen weiter, ist insbesondere die nahezu kanonische Ausprägung des Possenmo-tivs zur Mitte des 4. Jh. v. Chr. im lukanisch besiedelten Paestum bemerkenswert. Der Malergruppe um Asteas und Python zuge-schrieben, finden sich zahlreiche Gefäße mit Darstellungen eines tanzenden oder Fackel tragenden Komödianten als Begleitung des

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Abb. 6: Apulischer Askos Malibu 96.AE.114; Foto: Digital image courtesy of the Getty’s Open

Content Program <http://www.getty.edu/art/collection/objects/29524/unknown-maker-

apulian-red-figure-askos-greek-south-italian-apulian-360-350-bc/?artview=dor104695>

(24.03.2016).

Dionysos, wie es beispielsweise der Glockenkrater BM F 18881 zeigt. Dieser szenische Wechsel von erzählerischen Bildern zu stilisierten Motiven kennzeichnet einen deutlichen Wandel im Verständnis des Bildthemas. Es geht nicht mehr um Bühnenstücke und im Besonde-ren nicht mehr um deren Inhalt, sondern vielmehr um die Funktion

81 London BM F 188, um 350 v. Chr., Asteass; PhV², Nr. 48; RVP (2/26).

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und Interpretation des Possenschauspielers im mittlerweile kulti-schen Kontext.82

Dies ist eine Entwicklung, die man allgemein in der unteritali-schen Malerei beobachten kann: Elaborierte Themen werden durch vereinfachte, symbolreiche Bilder ersetzt, deren Bezüge vermehrt auf die Bereiche von Grab, Grabkult, Jenseits und dionysische Leichtig-keit verweisen.83 In diesen Bereich scheinen auch die Schauspieler-bilder zu gehören. Der Possenspieler nimmt einen festen Platz im Gefolge des Gottes ein und kann, wie auf einem Kelchkrater in Ma-libu84, wertgleich Mänaden oder Satyrn ersetzten.

Das Theater ist im gesamten griechischen Raum äußerst eng mit Dionysos verknüpft, die eindeutige Nähe zum Thiasos hingegen ist neu. Es handelt sich hierbei um eine ikonographische Innovation, die die Eigeninterpretation der Italiker veranschaulicht. Das Possenspiel und der Schauspieler erfahren eine Neudefinition und die Bilder wer-den inhaltlich verstärkt in den Grabkontext gerückt. Das Schauspiel versinnbildlicht die Nähe von Alltag, Fest, Symposion und Dionysos, und wird so in lokale Kulte integriert, die recht unbekannt sind. Diese Elemente – indigene Gewänder, lokale Gefäßformen und Umfor-mungen des Bildthemas – visualisieren den Einfluss der italischen Bevölkerungen. Sie zeigen deren Willen und Intention, nicht nur zu adaptieren, sondern Eigenes zu erhalten und eingebracht zu sehen, und das Selbstbewusstsein, eigene, mangels schriftlicher Quellen schwer zu fassende Werte, Vorstellungen und Rituale zu verbildli-chen.

Die Possenbilder sprechen folglich die kolonialen Griechen in ei-ner konservativen Verbindung zum festlandgriechischen Theater an und zeigen deren Bedürfnis, sich in griechischer Kulturtradition zu präsentieren. Zweitens verkörpern sie das Bestreben der lokalen Eli-

82 Green 1994, 90. 83 Zur Entwicklung und Motivik s. Trendall 1998; Mayo 1982. 84 Malibu 96.AE.30, um 360 v. Chr., Maler von Louvre 240; RVP (1/101).

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ten, sich weltoffen und vertraut mit der griechischen Kultur darzu-stellen. Und drittens gehen sie auf die Innovationen ein, die rückkop-pelnd die Eigenständigkeiten der Italiker aufnehmen.

Nimmt man nun den Vergleich zur literarisch überlieferten Ko-mödie wieder auf, so zeigt sich, dass die Vermittlung von Identität unterschiedlich abläuft. Der Dichter bedient sich der erzählerischen Methoden der fiktionalen Übertragung und der pädagogischen An-sprache. Er gebraucht Stilmittel wie die direkte Ansprache des Cho-res und metaphorische Stellvertreter wie Dikaiopolis und Lamachos. Der Maler hingegen nutzt das Bildthema Posse implizit zur Identitäts-bekräftigung. Anliegen des Dichters ist es, die Bevölkerung karikie-rend zu charakterisieren um hierüber einen Eindruck der aktuellen sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Spannungen zu vermitteln. Sein Ziel ist es nicht, dem Publikum, also dem Betrachter einen Spiegel vorzuhalten, sondern andersherum, dessen Eigenauf-fassung zu untermalen. Mittels der unterschiedlichen Interpretations-möglichkeiten werden somit verschiedene Identitätsbezüge herge-stellt, wodurch das Bildmedium seine vielseitige Deutungs- und Ver-wendungsmöglichkeit beweist.

Lilian Schönheit ist Doktorandin der Klassischen Archäologie an der Universität Hamburg.

Sie promoviert derzeit zum Thema „Das Possenspiel in Darstellungen unteritalischer Kera-

mik“. Ihr Magisterstudium an den Universitäten Wien und Hamburg schloss sie mit einer

Arbeit über „Tod und Trauer in Unteritalien. Zur Entwicklung der Grabszenendarstellungen

auf apulischer Keramik“ ab. Seit 2013 erhält sie ein Promotionsstipendium nach dem

HmbNFG.

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