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Rettungsdienste Notfallseelsorge Krisenintervention BUNDESVERBAND VERWAISTE ELTERN IN DEUTSCHLAND e.V. Hinweise für Schutzgebühr 3,– S

Hinweise für Rettungsdienste Notfallseelsorge ...€¦ · Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance auf Begegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender, aber

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RettungsdiensteNotfallseelsorgeKrisenintervention

BUNDESVERBAND

VERWAISTE ELTERN

IN DEUTSCHLAND e.V.

Hinweise für

Schutzgebühr 3,– S

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Begegnung mit trauernden Eltern und GeschwisternAuszug aus einem Vortrag im Rahmen eines Pastorenkonventsvon Gabriele Knöll

Erfahrungen, Wünsche und Anregungen für ErsthelferWas Eltern als sehr hilfreich erlebt habenund was sich Eltern gewünscht hätten

Der Umgang mit dem plötzlichen Tod eines KindesWas bei der Überbringung der Nachricht an die Elternvom plötzlichen Tod ihres Kindes zu beachten ist

Sie haben eine Todesnachricht zu überbringenKeine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Hinterbliebenen,sondern ein paar Hilfshinweise, sozusagen ein »Notfallkoffer«

Psychische Erste Hilfe bei Kindern im GroßschadensfallPUMUCKELMerkblatt von Diplom-Pädagoge Harald Karutz

Zur psychischen Situation von Kindern in NotfällenAnregungen für die Psychische Erste Hilfevon Diplom-Pädagoge Harald Karutz

Psychische Erste Hilfe bei trauernden KindernWINNETOUvon Diplom-Pädagoge Harald Karutz

Eine (lebens)-wichtige Begegnungvon Renate Salzbrenner

Der Wahrheit ins Auge sehenund Abschied nehmenvon Pfarrer Oliver Gengenbach

Tod am Straßenrand – Esther lebt weiterBericht der Eltern nach dem Verkehrstod ihrer Tochtervon Michael Adler

Bericht eines Notarztesbei der Situation »Plötzlicher Kindstod«von Notarzt Peter Dittmer

2 Inhalt

Bundesstelle:Fuhrenweg 3, 21391 ReppenstedtTelefon: 04131/680 32 32Telefax: 04131/68 11 40Internet: http://www.veid.de

AG Hamburg, VR-Nr. 154901. Vorsitzende: Gabriele KnöllE-Mail: [email protected]:Bank für Sozialwirtschaft KölnSpendenkonto: 8 321 100BLZ 370 205 00

Impressum:Herausgeber:Bundesverband Verwaiste Elternin Deutschland e.V.Redaktion: Gabriele KnöllSatz und Layout: Uwe BuckDruck: Bartels Druck, Lüneburg

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Begegnungmit trauerndenEltern undGeschwisternAuszug aus einem Vortragim Rahmen eines Pastoren-konvents

von Gabriele Knöll

Von diesem Vortrag erhofften sich die – sämtlich in der Not-fallseelsorge engagierten – Pastoren Antworten auf Fragenwie:

y In welcher Situation befinden sich Eltern, Familien, beimplötzlichen Tod eines Kindes?

y Wie kann man ihnen helfen?

». . . Jetzt stehe ich vor Ihnen mit großem Respekt. Sie sindder Beweis dafür, wieviel sich auf dem Gebiet der seelsor-gerischen Begegnung in den letzten Jahrzehnten veränderthat.Ich war zehn Jahre alt, als sich mein 17-jähriger Bruderdas Leben nahm. Darauf folgte Schweigen – schwarzesSchweigen – kein Seelsorger, an den ich mich erinnernkönnte – schon gar nicht für mich – nur der Schwester.Absolute seelische Einsamkeit! 1981 starb dann unser4. Kind, unser Moritz, ganz plötzlich – und unerwartet.Wer erwartet schon den Tod – mitten im Leben? Damalshat sich unser Seelsorger verschreckt hinter seinem Schreib-tisch verkrochen.Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance aufBegegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender,aber auch stellungnehmender, eben echter Begegnung ineiner Grenzsituation des Lebens, in der wir mit Hiob denTag verfluchen möchten: Ausgelöscht sei der Tag, an demich geboren!Verehrte Damen und Herren, Ihre Bereitschaft, sich mit derFrage zu beschäftigen, wie Begegnung mit trauernden Elternund Geschwistern gestaltet, gelebt werden kann, ist etwasWertvolles. Ich sehe es als Auszeichnung an, dass Sie michzu Ihrem Konvent eingeladen haben.«

Mitten im Leben der Tod!Als Mitarbeiterin der Telefonseelsorge hatte ich ja schongelernt, dass es Trauerphasen gibt (heute spricht man liebervon Traueraufgaben), die sehr individuell durchlebt werden.Aber wie viel anders ist Trauer im eigenen Leben, als inprofessioneller Distanz. Seien Sie sicher, dass Sie sich vomAusmaß des Schmerzes, von der Tiefe des Falles keine Vor-

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Begegnungmit trauerndenEltern undGeschwistern

stellung machen – es sei denn, Sie haben Vergleichbareserlebt. Gott sei Dank ist das so!Was ich bis dahin »wusste« aus meiner Arbeit in der Tele-fonseelsorge und als Therapeutin, das »begriff« und »erlitt«ich beim Tod meines Sohnes. Stellen Sie sich vor, da gönntsich ein verliebtes Ehepaar fünf Tage Liebesurlaub– ohne Kinder. Am vierten Tag der Anruf: Moritz tot. Bodenweg – der Himmel stürzt ein! Verzweifelt schreiend, liegendauf dem Marktplatz einer mallorcinischen Stadt. Nein! DieWelt schreit Nein!Irgendwie schaffte es dieses Paar wieder zurück nachDeutschland – zurück? Wohin? Ist das noch unser Haus?Ich stelle mir vor, einer von Ihnen hätte dort auf unsgewartet – einer wie Sie wäre mir begegnet! Hätten Siemich ausgehalten? Keine Wut – kein Geschrei mehr –keine Träne! Aber glauben Sie nicht, das wäre leichtgewesen für Sie! Heute denke ich, man muss mich fürverrückt gehalten haben – damals. Und ich war es auch –ver-rückt. Stundenlang schwärmte ich vom herrlichenMallorca. Das Kind ist tot – und die Mutter ergeht sich inSchilderungen von Landschaft und Liebestagen. Was hättenSie getan?Meine Freundin ließ mich reden, hörte mir zu, eine Wochelang. Ich durfte so sein. Meine Freundin spürte, wie ver-zweifelt ich dem Schmerz auswich – um weiterleben zukönnen. Es hat geklappt! Ich lebe – und das sogar wiederglücklich. Meine Freundin bewertete mein Verhalten nicht.Während meine Mutter versuchte, dem Tod meines Sohneseinen Sinn zu geben (Gott wird gewusst haben, wozu dasgut ist – vielleicht warst Du mit vier Kindern ohnehin über-fordert), bestätigte meine Freundin mir, dass Moritz’ Todungerecht – stinkend ungerecht sei.Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, muss ich gestehen,dass es nur fragmentarisch ein Bewusstsein dafür gibt, dasses in diesem Chaos irgendwo auch drei kleine Kinder undeinen Ehemann gab. Immer mal wieder tauchte wohl derGedanke an sie auf – immer mit dem Wissen, überhauptnicht mehr meiner Familie gewachsen zu sein. Neben demSchmerz der Trauer nun auch noch der Schrecken des Ver-sagens. Nein, lieber wieder an Mallorca denken.

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Beerdigung? Wie geht das? Irgendwie unter die Erde – bevormir die Kraft vergeht. Sehnsucht! Ich will, ich muss meinKind sehen. Wo ist mein Kind? Telefonate, Bestatter, Kran-kenhaus, Staatsanwaltschaft. Ich spürte, wie mir die Kraftverlorenging für das zu kämpfen, was mir wichtigwar. Ich ging mir selbst verloren. Irgendwo zwischen demGestern, dem Heute, dem Morgen. Ich habe auch widerbesseren Wissens nicht verhindert, dass Freunde unsere4-jährige Tochter zum Spielen mit sich nahmen, um ihr sodie Beerdigung zu ersparen. Ich hätte so sehr eines Men-schen bedurft, der sich zum Anwalt meiner Bedürfnissemacht. Wir hätten so sehr jemanden benötigt, der uns alleim Blick hat, der uns zusammenhält.Stellen Sie sich die Familie als ein Mobile vor, das – beijedem Luftzug – erneut sein Gleichgewicht austaxiert. Nunist ein Teil dieses Mobiles abgeschnitten – und das Gesamt-gebilde hängt schief – aus dem Gleichgewicht gekippt, ausder Bahn geworfen . . .«Trauerarbeit bedeutet nun, dieses Mobile, dieses Familien-gefüge wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Am Endedieses Prozesses wird jeder seinen Platz, seine Positiongeändert haben.Nun möchte ich Ihnen nicht weiter meinen Weg durchmeine Trauer schildern, sondern Ihnen einige Ideen mitauf den Weg geben, wie Begegnung mit trauernden Elternund Geschwistern aussehen kann. Diese Ideen – keine For-derungen – entstanden durch mein eigenes Erleben,aber natürlich auch durch meine vieljährige Erfahrung ausder Arbeit mit Betroffenen.

Einer allein kann nicht alles leisten!Seien Sie sicher, dass Sie nicht alles leisten können undmüssen. Zeigen Sie ruhig eigene Betroffenheit, Ratlosigkeitund Traurigkeit. Lassen Sie Hoffnungslosigkeit, Fassungs-losigkeit zu. Alles Andere ist nicht Trost, sondern Ver-tröstung.Helfen Sie mit, sich der Tatsache des Todes zu stellen. Spre-chen Sie es aus: Felix-Moritz ist tot – Anja ist gestorben.Gerade wenn die Betroffenen flüchten vor dem unendlichenSchmerz, der unweigerlich mit diesem Gedanken verbun-

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den ist, halten wenigstens Sie so den Bezug zur Realität –und ganz tief drinnen kommt die Botschaft auch an. Flüch-ten die Betroffenen nicht, sondern stellen sich der Tatsachedes Todes, so verletzt es auch, wenn dieses Entsetzen ver-harmlosend umschrieben wird als »das was geschah« oderähnlich.Wenn ein Kind stirbt, reagieren Menschen individuell –nicht vorhersehbar. Ich habe geschrien, andere verfallen ineine Art Todesstarre. Meistens aber herrscht zumindest Auf-regung. Die Eltern haben ein Recht auf Aufregung –ein Recht auf lautes Schreien – ein Recht auf Hin- und Her-laufen, auf Toben. Tränen und Schreie dürfen, ja müssensein. Sie müssen nicht versuchen, zu beruhigen. Wenn dieEltern nicht ausdrücklich selbst wünschen, Beruhigungs-mittel zu bekommen, raten Sie Medizinern davon ab, solchezu verabreichen. Die medikamentöse »Beruhigung« derBetroffenen dient nicht wirklich deren Wohl, sondern ent-lastet die Mitmenschen. Stellen Sie sich an die Seite derEltern und halten Sie die Reaktion der Eltern aus.Bringen Sie Ruhe in die Familie, indem Sie Geschwindigkeitdrosseln. Beteiligen Sie sich nicht an der Aufregung z.B. derHelfer. Kochen Sie Kaffee, setzen Sie sich hin, zünden Sieeine Kerze an . . .y Versuchen Sie dabei, alle Familienmitglieder im Blick

zu haben. Betroffen ist nicht nur, wer schreit. Auchder scheinbar so starke Vater oder das herumalberndeKind sind verwirrt – nicht mehr Herr ihrer Sinne. Geradefür die Väter und die Geschwister ist es oft doppeltschwer, zusätzlich zur eigenen Betroffenheit jetzt nochverängstigt zu werden durch das seltsame Verhalten derMutter.

y Versuchen Sie vorsichtig herauszufinden, was dieEltern und Geschwister wünschen. Machen Sie sichzu deren Anwalt. Vermitteln Sie zwischen den Interessen /Notwendigkeiten eventuell anwesenderRettungsdienste oder Bestatter und den Interessen derFamilie.

y Erklären Sie der Familie so genau es geht, was ebenmit ihrem Kind geschieht und warum es geschieht.Bereiten Sie die Eltern vor auf das, was kommen wird

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(eventuell Eintreffen der Polizei, des Bestatters, des Gesundheitsamtes).

y Helfen Sie den Eltern, Geschwistern und anderenAngehörigen, sich in aller Ruhe von ihrem toten Kind zuverabschieden. Bieten Sie an, das Kind auszusegnen undeventuell, falls es noch nicht getauft wurde, ihm vor Gotteinen Namen zu geben.

y Ermutigen (nicht überreden) Sie die Eltern und Ge-schwister, das Kind selbst zu waschen und anzu-kleiden. Auf diese Weise ein letztes Mal dem Kindfürsorgliche Liebe gegeben zu haben, erfüllt die Familieoft jahrelang mit Dankbarkeit.

y Regen Sie die Familie ruhig an, dem Kind noch etwasmitzugeben: Die Kuscheldecke, ein Bild, ein Spielzeug,einen Brief . . . Bei all diesen Vorbereitungen setzt bereitsein heilsames Erinnern ein – und Sie, wenn Sie dabeisein dürfen – erfahren viel: vom gestorbenen Kind undseiner Familie. Das hilft vielleicht, eine sehr individuelleGrabrede halten zu können.

y Vielleicht möchten die Eltern gemeinsam mit denGeschwistern den Sarg gestalten, bemalen, aus-schmücken.

y Ermutigen Sie die Eltern, letzte »Spuren zu sichern«(eine Haarlocke, einen Hand- oder Fußabdruck, Fotos).

y Bieten Sie den Eltern Unterstützung bei den nächstenformalen Schritten an. Weisen Sie auf die Möglichkeiteiner Obduktion hin – wenn diese nicht ohnehin polizei-lich angeordnet ist. Für viele Eltern ist die Obduktionzunächst eine grausame Vorstellung. Machen Sie aberauch auf andere Aspekte aufmerksam: Mit der Klärungder Ursache kann auch Ruhe eintreten, wenn z. B. zwei-felsfrei geklärt wurde, dass kein Fremdverschulden vor-liegt. Manchem »Gerede« könnte so der Nährbodenentzogen werden.

y Ermutigen Sie die Familie, sich das Kind auch noch nachder Obduktion anzuschauen

y Seien Sie offen für die Vorschläge der Eltern hinsichtlichder Gestaltung der Beerdigung.

y Lassen Sie die Glaubenszweifel und den Zorn gegenüberGott zu. Sie müssen Gottes Handeln weder rechtfertigen

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noch klären. Im Gegenteil: Die Klage hat an dieser Stelleein Recht, ausgesprochen zu werden.

y Bieten Sie ruhig ein Wort der Hoffnung an, aber seien Siebitte nicht ungeduldig, wenn Betroffene auch über langeZeit kein Zeichen der Hoffnung erblicken können. Siewerden sie nicht zu einer Zuversicht überredenkönnen.

y Gehen Sie bitte auch noch nach der Beerdigung selbstauf die betroffenen Eltern zu. Haben Sie bitte den Mut,die Eltern auf ihre toten Kinder und ihre Trauer anzu-sprechen. Aufkommende Tränen bedeuten nicht, dass Sieeine Wunde neu aufgerissen haben, sondern, dass Vielesnoch nicht verarbeitet worden ist. Die Eltern haben oftnicht die Kraft, selbst nach Hilfe zu suchen.

y Machen Sie den Eltern – bei eventuellen Nachfragen –Mut, das Grab kindgemäß zu gestalten. Es darf gewissauch mal ein Windrädchen oder ein Keramikengeldarauf stehen, von den Geschwistern gesammelteSchneckenhäuser oder schöne Steine. Geben Sie IhreBesuche nicht ganz auf, selbst wenn Sie den Eindruckhaben, ein Gespräch ist jetzt nicht möglich. Auch undgerade das stille Aushalten kann hilfreich sein. MachenSie Besuche auch nach längerer Zeit, denn das ThemaTrauer ist noch nach vielen Monaten und Jahren präsent,dann wenn die Umwelt schon längst zur Tagesordnungübergegangen ist.

y Fragen Sie z. B. nach Fotos des verstorbenen Kindes. Kön-nen viele Eltern in der ersten Zeit der Trauer vielleichtnoch keine Fotos betrachten, freuen sie sich doch, wennsie sich nach größerem Abstand gemeinsam mit jemandInteressiertem an das Kind erinnern dürfen.

y Regen Sie die Familie an, die Adresse einer Selbsthilfe-gruppe ins Telefonbuch zu legen, dann ist sie verfügbar,wenn man sie braucht. Raten Sie den Eltern ruhig, denKontakt zu suchen. In den Gruppen wird nicht nur dasLeid geteilt, vielmehr wird gemeinsam nach Wegen in einneues Leben gesucht.

Mit diesen Ideen wird nicht der Anspruch erhoben, Siebedürften der »Nachhilfe« oder gar, Sie müssten – als guterSeelsorger – all dies leisten. Nehmen Sie sie vielmehr als

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Anregung, um in der jeweiligen Situation entscheiden zukönnen, was hier gut und angebracht ist für die Familie –und für Sie selbst.Was immer Sie tun, Ihr Mitaushalten, Ihr Zuhören, ist derbeste Beistand – und bewirkt mehr als tausend gut gemein-te Worte. Auch Hiob fordert: »Hört doch meiner Rede zuund lasst mir das Eure Tröstung sein.« Dann werden Sieam Ende miterleben können, wie das Mobile sich wiederrichtet. Alles, jeder, hängt dann an einem neuen Platz –aber es gibt wieder ein Gleichgewicht!

Haben Sie Vertrauen in die Entwicklung!

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GelebteTrauer ebnet den

Weg in ein neues Leben!Wer sind »Verwaiste Eltern« und wie helfen sie?

Jedes Jahr sterben 20.000 Kinder und junge Erwachseneaus unterschiedlichen Gründen. Zurück bleiben Trauernde:Eltern, Geschwister, Großeltern, Freunde.Die »Verwaisten Eltern« sind ein Netzwerk aus über 300 Gruppenin ganz Deutschland. In diesen Gruppen finden Eltern und »übriggebliebene« Geschwister einen Raum, in dem sie ihre Trauerleben und Wege in ein neues Leben finden.Zu den »Verwaisten Eltern« kann jeder kommen, der ein Kindoder ein Geschwisterteil verloren hat – unabhängig von Alter,Geschlecht, Familienstand, Konfession oder Wohnort.

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Liebe Ersthelfer!

Dies haben wir Eltern als sehr hilfreich erlebt:

y Es war gut, dass der Polizist in einem sehr persönlichenGespräch die Todesnachricht überbracht hat, dass er Zeithatte, dass er Angehörige, den Hausarzt, den Pfarrer, dieMitarbeiter des Kriseninterventionsdienstes informierte . . .

y Dass er solange geblieben ist, bis jemand anderer bei unswar . . .

y Es war wichtig für uns (mich), das tote Kind noch einmalzu sehen, zu berühren, zu riechen. Es war wichtig, unsZeit zu lassen, um uns von unserem toten Kind Abschiednehmen zu lassen, den Sarg noch einmal zu öffnen . . .

y Es war gut für uns, dass wir unser Kind selbst waschen,anziehen und betten durften. Es war unser letzter Liebes-dienst, den wir leisten konnten . . .

y Es war wichtig für uns, dass wir Telefonnummer des Zug-führers, des Autofahrers, des Notfallarztes bekommenhaben. Er hat mein Kind in den letzten Augenblicken sei-nes Lebens gesehen und konnte mir davon erzählen . . .

y Es hat gut getan, dass der Notarzt, der Polizist, der Seel-sorger . . . auch noch später bei uns vorbeigeschaut undnachgefragt haben, wie es uns ging, dass sie einfach nurgekommen sind, nicht viel geredet haben, nur da waren.

Dies hätten sich Eltern gewünscht und bitten darum, dassdie Ersthelfer dies bei anderen Todesfällen beachten:

y Bitte Vorsicht mit Pressemitteilungen über den Tod bzw.Unfall. Bedenken Sie bitte bei Fotos, welch schrecklichePhantasien sie in uns Angehörigen auslösen könnenbezüglich des Leidens unserer Kinder . . .

y Wir möchten sofort zur Unfallstelle gerufen werden unddort bleiben dürfen. Bitte haltet uns nicht fern, aberbegleitet, unterstützt uns, gebt uns, wenn möglich, klei-ne Aufgaben. Bezieht uns, wo immer möglich, in das»Rettungsgeschehen« mit ein. Vielleicht können wir denKopf halten, die Hand streicheln . . . Es wird uns späterdas gute Gefühl geben, etwas für unser Kind getan zuhaben . . .

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Erfahrungen,Wünsche undAnregungen . . .

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y Lasst uns bitte im Rettungswagen mit ins Krankenhausfahren. Trennt uns nicht von unserem Kind . . .

y Wenn wir nicht dabei sein können, macht Fotos vonunserem toten Kind, damit wir später noch die Möglich-keit haben, unser Kind zu sehen und das Unbegreiflichebesser zu begreifen. (Bitte diese Fotos aber nichtkommentarlos zusenden, sondern persönlich aushän-digen!) . . .

y Wir sind dankbar für konkrete Informationen: wohinwird unser Kind gebracht, was müssen/können wir tunoder veranlassen; wer ist am Wochenende zuständig;was geschieht in der Pathologie mit unserem Kind?Warum muss es noch einmal umgezogen werden, wenndoch die Kleidung sauber ist (Motorradanzug) . . .

y Wir möchten alle Details des Unfallhergangs erfahren:Was ist wie passiert; wann ist mein Kind gestorben;hat es gelitten? Wir wären froh gewesen um das Angeboteines Nachgespräches mit dem Notarzt, mit Unfallzeugenu. a. – sie hätten uns vielleicht manche unserer quälen-den Fragen beantworten können. Wir möchten – zumin-dest auf Nachfrage – ehrliche Auskunft über den Sach-stand, z. B. bei der Ermittlung des Unfallgeschehens, derTodesumstände erhalten. Es ist grausam, Detailsaus der Presse zu erfahren oder gar durch Tratsch. Essind unsere Kinder – und wir wären gern als erste überalles informiert, was unsere Kinder betrifft. Wenn ihrmeint, uns »schonen« zu müssen, so bedenkt bitte:Jede offene Frage regt unsere Phantasie an, die oft diegrausamste Wirklichkeit übertrifft. Je genauer wirwissen, was, wann, wie, warum geschah, je eher könnenwir beginnen zu trauern, zu begreifen: ja, es ist undbleibt tot. Zu beginnen mit einem Weiterleben ohneunser Kind . . .

y Es kann sehr hilfreich sein, wenn uns der Personal-ausweis und die persönlichen Sachen nicht sofort aus-gehändigt werden. Stattdessen möchten wir uns »dasLetzte, was uns blieb« gern zu einer für uns passendenZeit abholen dürfen: bei einem Mitarbeiter, der sich Zeitnimmt für uns und unsere Fragen – in einem Raumaußerhalb der hektische Routine . . .

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Erfahrungen,Wünsche undAnregungen . . .

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Liebe Ersthelfer!Euer Beruf bringt euch in Extremsituationen, wenn ihr mitdem Tod eines jungen Menschen konfrontiert seid. Es wirdeuch nicht nur professionelle, sondern vor allem mensch-liche Größe und Reife abverlangt. Auch wenn wir Elternin unserem eigenen Schmerz dies nicht so sehen und zumAusdruck bringen – wir sind euch sehr dankbar dafür! HabtDank für eure Nähe in den schwersten Situationen unseresLebens!

Eure Verwaisten Eltern

(Abschrift aus VERWAISTE ELTERN 1997/98)

. . . zusammengetragen von betroffenen Eltern in Kempten,ergänzt von einer Elterngruppe in Augsburg. Gerichtet anPolizisten, Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute, Berg- undWasserwacht, Seelsorger, Bestatter, Berichterstatter undandere berufliche Helfer, die mit dem Unfalltod oder Suizideines Kindes/Jugendlichen konfrontiert sind . . .

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Erfahrungen,Wünsche undAnregungen . . .

Ein Kind durch den Tod verlierenWas heißt das?Den Sinn des Lebens verlieren.»Als der Arzt vor uns stand und unsso komisch anguckte, habe ich ersteinmal gar nichts begriffen. Unsere kleineClaudia ist tot! In mir war alles taub.Ich habe Wochen gebraucht, um über-haupt zu verstehen, was passiert war.«

Hier findenEltern Hilfe:BundesverbandVerwaiste Elternin Deutschland e.V.Bundesstelle:Fuhrenweg 321391 ReppenstedtTelefon: 04131/680 32 32Telefax: 04131/68 11 40E-Mail: [email protected]: http://www.veid.de

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Eine der schwierigsten Aufgaben für die Ersthelfer (Ret-tungspersonal, Polizei) ist es, den Eltern die Nachricht vomplötzlichen Tod ihres Kindes zu überbringen. Für denErsthelfer ist es notwendig, die Bedürfnisse der überleben-den Familie zu erkennen und sich zu bemühen, sie weitest-gehend zu erfüllen. Gleichzeitig sollte man dafür sorgen,dass der Unglücksort (Ort des Geschehens) abgesichertwird, bis die eigentlich zuständigen Stellen (Polizei, etc.)eintreffen.

BenachrichtigungInformationen sollten nicht an die Medien weitergegebenwerden, bevor die betroffene Familie benachrichtigt wird. Essollte jeder Versuch unternommen werden, die Familiedirekt und schnell zu informieren. Die Familie sollte jedochniemals per Telefon vom Tod ihres Kindes erfahren.Am besten sollte die Benachrichtigung persönlich durchzwei qualifizierte Personen in Uniform erfolgen, die sich aus-weisen können. Da Menschen auf die Todesnachricht sehrunterschiedlich und unerwartet reagieren können, sollteeiner des Teams sorgfältig die Reaktion der Familie beobach-ten, während der andere das Gespräch führt.Das Team sollte die Nachricht vom Tod des Kindes in ein-zelnen Schritten überbringen:1. Vergewissere dich über die Identität der Familien-

mitglieder.2. Teile ihnen mit, dass sich ein Unfall/Notfall ereignet hat. 3. Erzähle ihnen, dass die Situation so ernst war, dass ein

Todesfall eingetreten ist.Das Team sollte den Namen des verstorbenen Kindes so oftes geht benutzen. Informiere die Familie direkt, ohne großeUmschweife, in klarer Sprache, beantworte Fragen taktvollund redlich und gib soviel Informationen als möglich, ohnedie laufenden Ermittlungen zu gefährden.Sobald die Familienmitglieder benachrichtigt worden sind,sollten sie nicht allein gelassen werden. Das Team solltedie Eltern fragen, ob sie zu jemandem Kontakt aufnehmenmöchten, der ihnen beistehen soll. Zusätzlich könnte einTeammitglied Kontakt zu Nachbarn, zum Arbeitgeber oderzum Pfarrer/Priester aufnehmen, um wichtige Infor-

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Der Umgangmit demplötzlichen Todeines Kindes

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mationen zu erhalten, z. B. über medizinische oder andereProbleme, während der andere Team-Kollege sich um dieFamilie kümmert.Falls es notwendig ist, dass ein Familienmitglied das toteKind identifiziert, sollte das Team die Familie fahren odereinen Transport organisieren zum Krankenhaus bzw. Lei-chenschauhaus und zurück. Wenn die Familie das tote Kindnoch einmal sehen möchte, so sollte ihr unbedingt derZustand und das Erscheinungsbild (Aussehen) des Körpersdes toten Kindes mitgeteilt werden.

Zu HauseWenn ein Kind zu Hause stirbt, ist sorgfältig darauf zu ach-ten, dass die Familie und das tote Kind mit Würde behandeltwerden. Die Ansprechpartner sollen solange dabei bleiben,bis die eigentlich zuständigen Stellen (Polizei, und wennmöglich das Kreisinterventionsteam) eintreffen und auf dieTrauerreaktionen der Familie geeignet reagieren. DieseReaktionen können Leugnen, Hysterie oder Wut sein.

Im KrankenhausWenn ein Kind ins Krankenhaus gebracht worden ist, sowird die Familie häufig in einem separaten Raum unter-gebracht, wo sie wartet und wartet und wartet. Die Familiewünscht jedoch Informationen und ist dankbar dafür, selbstwenn die schlimmsten Befürchtungen bestätigt werden.Obwohl die Ersthelfer in der Regel unter Zeitdruck stehen,um zu ihrer Dienststelle zurückzukehren, würde ein Kon-takt zu den wartenden Familienmitgliedern deren Traumaverringern und ihnen helfen, die Nachricht vom Tod ihresKindes zu akzeptieren. Falls die Teammitglieder jedoch keineZeit haben, um sich um die Familie kümmern zu können, sosollten sie die Familie zu den zuständigen Verantwortlichendes Krankenhauses führen. Hinterlassen Sie auf jeden FallIhren Namen und Ihre Telefonnummer, so dass die Familiespäter anrufen kann, falls sie noch Fragen hat.

Unterstützung der FamilieDa die Verarbeitung der Trauer eine lange Zeit in Anspruchnimmt, manchmal Jahre, ist es für die Familie hilfreich zu

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Der Umgangmit demplötzlichen Todeines Kindes

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wissen, dass Unterstützung möglich ist. Ersthelfer solltensich vertraut machen mit den verschiedenen Hilfsangebotenin der Gemeinde.Die Verwaisten Eltern sind eine nationale und regionaleSelbsthilfeorganisation, die den leidtragenden Eltern Ver-ständnis entgegenbringt und vielfältige Unterstützung(Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Trauerseminare, Lite-raturhinweise, etc.) anbietet.Wie der Name bereits ausdrückt, sind »Ersthelfer« gewöhn-lich die ersten am Unglücksort und die ersten, die dieFamilienmitglieder vom Tod des Kindes benachrichtigen.Wenn die Ersthelfer zuverlässig, offen und mitfühlend sind,so tragen sie zu einer Verringerung des Schmerzes beimTrauerprozess der Familie bei.

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Der Umgangmit demplötzlichen Todeines Kindes

In der heutigen Zeit lernen wir nicht mehr zu trauern oderTrauernden ihren Schmerz zu lassen. Deshalb unterdrückenviele Betroffene ihre Tränen und ihre Verzweiflung. Mit fatalenFolgen: Ungelebter Schmerz macht krank, zerstört Beziehungen,führt dazu, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder garsich das Leben nehmen.

Zeit heilt keine WundenHier setzt die Arbeit von»Verwaiste Eltern« an:y mit Seminaren und

Gruppen für trauerndeEltern, Geschwister undandere Angehörige

y mit Aufklärungder Öffentlichkeit,wie wichtig Trauern ist

y mit Aus- und Weiter-bildung von Trauer-begleiter/innen

y mit Beratung vonMenschen verschiedenerBerufsgruppen,die beim Tod einesKindes gefordert undoft überfordert sind.

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Zunächst lesen Sie bitte dieses Blatt durch, auch wenn Siees schon kennen. Die Fragen im ersten Teil sollen Ihnenhelfen und Sie auf die schwere Aufgabe einstimmen. Diepraktischen Ratschläge im zweiten Teil sollen Ihnen helfen,nichts zu vergessen, was wichtig werden könnte, soweit esvorhersehbar ist. Nehmen Sie sich fünf bis zehn MinutenZeit, versuchen Sie sich zu entspannen und: Seien Sieehrlich zu sich selbst!

Was werden Sie antreffen?Entsetzte Hinterbliebene? Kinder darunter? Oder Elternvielleicht, die durchdrehen bei der Nachricht? Sich schrei-end am Boden wälzen, mit den Fäusten auf Sie losgehenoder Ihnen stumm und hilflos schluchzend um den Halsfallen? Oder wird alles ganz anders sein: Völlige Gefasst-heit, Gleichgültigkeit oder gar Erleichterung, vielleichtsogar Genugtuung über den Tod und Hass auf den/die Ver-storbene/n?Sie kennen die Geschichte zwischen den Toten und seinenHinterbliebenen nicht, wissen nicht, ob die Ehe gut war, dieKinder o.k., wissen nichts von Liebe und Glück, nichts vonSchuld und Schulden, Sie wissen nur, was die Hinter-bliebenen noch nicht wissen: Ein Angehöriger ist gestorbenoder verunglückt. Und Sie müssen auf alles gefasst sein.

Wie steht es mit Ihnen selbst?Werden Sie unsicher, wenn Sie Ihre Gefühle nicht verbergenkönnen? Wenn Ihnen die Worte ausgehen und Sie einemaufgewühlten, wildfremden Menschen nur noch stumm dieHand drücken können? Oder werden Sie aggressiv, wennwieder ein Kind, es könnte Ihr eigenes sein, von einem rück-sichtslosen Autofahrer überfahren wurde? Verachten Sie denFixer mit dem »Goldenen Schuss« auf dem Bahnhofsklo?Und was halten Sie von dem Mann, der sich in seiner Alters-einsamkeit am Fensterkreuz erhängt hat? Denken Sie hinund wieder über den Tod nach?, der Ihnen in Ihrem Beruf,sei es auf der Straße, sei es bei einem Verbrechen, so häufigbegegnet? Oder versuchen Sie einen Bogen um den Tod zuschlagen? Doch so etwas lässt sich eigentlich nicht immerdurchhalten. So etwas macht einen bei solcher Aufgabe doch

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Sie habeneine Todes-nachricht zuüberbringen . . .

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nur verkrampft, korrekt oder völlig hilflos. Egal wie dieAngehörigen reagieren werden, sie erwarten von Ihnen fastimmer möglichst viel Einfühlungsvermögen. Wenn Sie ver-krampft sind, geht das nicht. Sie sollten bereit sein, offenenHerzens und mit verletzbarer Seele für die Angehörigen indieser Situation da zu sein, so wie diese es für Ihre körper-liche Unversehrtheit und den Aufruhr ihrer Seelen brau-chen. Das können Sie nur, wenn Sie selbst keine unüber-windbare Angst, aber auch keine Hornhaut auf der Seelehaben. Doch das hängt wohl zusammen.Routine für solche Aufgaben kann und darf es nicht geben.Ihre Unsicherheit ist im Gegenteil auch wertvoll: IhreUnsicherheit macht Sie menschlich – und selbst wenn Ihneneinmal die Augen feucht werden sollten oder plötzlich einhemmungslos weinender Mensch in Ihren Armen liegt undSie ihm nur noch hilflos das Haar streicheln können, Siebrauchen sich dessen nicht zu schämen, auch nicht vorIhren Kollegen. Es kommt in diesem Moment nur darauf an,dass Ihr Gegenüber Ihr Verständnis spürt. Seien Sie also ganzda für den Hinterbliebenen und ertragen Sie seine Nähe –um so eher wird er dann auch für Ihre vielleicht nötigenFragen da sein und sich dabei etwas normalisieren.

GrundsätzeHaben Sie in Ruhe bis hierher die Fragen gelesen? Wennnein, dann sollten Sie das zuerst tun. Denn die folgendenRatschläge sind keine Gebrauchsanweisung für den Umgangmit Hinterbliebenen. Die Ratschläge sind nur ein paarHilfshinweise, sozusagen Ihr »Notfallkoffer«. Ob Sie ihnrichtig anwenden, hängt unmittelbar mit Ihrer Persönlich-keit und Ihrer Geistesgegenwart zusammen und Sie er-werben sie nicht durch Handlungsrezepte.

Vorbereitungen1. Auch wenn es zunächst viel einfacher erscheint: Geben

Sie solche Nachrichten nie telefonisch durch. Sie lösenim Erleben des anderen eine Extremsituation aus. DasTelefongespräch mag er noch überstehen, aber wenn erdanach zusammenklappt und ohne Hilfe ist, dann habenSie die Folgen Ihres Anrufs zu verantworten.

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Sie habeneine Todes-nachricht zuüberbringen . . .

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2. Wenn ein Polizeibeamter noch nie eine Todesnachrichtüberbracht hat, sollte er keinesfalls allein eine solcheAufgabe übernehmen. Aber der junge und unerfahreneKollege sollte mitgenommen werden, damit er einesolche Situation kennenlernt bevor er sie selbstverant-wortlich bewältigen muss.

3. Soweit es ohne zuviel Aufwand möglich ist, machen Siesich vorher sachkundig: Der Tote oder Schwerverletztemuss einwandfrei identifiziert sein, notfalls nachfragen.Wie ist der Unfallhergang (ohne dass Sie ihn dann ausführ-lich in seiner Schrecklichkeit erzählen sollen)? Wo befindetsich der Tote? Wer wird weitere Auskunft geben können(Arzt, Krankenhaus)? Wenn Sie sich sachkundig gemachthaben, können Sie nach dem ersten Schock ein kompeten-ter Gesprächspartner sein. Manchmal, besonders in kleinenOrtschaften, lassen sich auch weitere Auskünfte einholen:Wer gehört zur Familie? Sind momentane Schwierigkeitenund Krankheiten bekannt? Sie können sich dann innerlichauf die Begegnung besser einstellen. Fragen Sie aber keineNachbarn, das könnte Probleme geben.

4. Sie müssen mindestens 30 Minuten Aufenthaltszeit inder Wohnung einkalkulieren – es kann aber auch deut-lich länger dauern.

5. Gehen Sie möglichst nicht allein. Wenn Sie jemandenmitnehmen, der kein Kollege ist (z.B. einen Pfarrer, Arzt,Verwandten), sollten Sie ihn kennen und vorher IhreFunktionsaufteilung besprechen. (Sie übernehmen dieNachricht, Ihr Partner die Nachbetreuung.)

6. Nehmen Sie unbedingt ein Funkgerät mit, aber lassen Siees zunächst ausgeschaltet. Mit dem Funkgerät könnenSie Hilfe herbeirufen lassen (Arzt, Pfarrer, Angehörige).Vielleicht informieren Sie aber auch schon vorher vor-sichtshalber die Rettungsleitstelle, damit notfalls schnellärztliche Hilfe geschickt werden kann.

Verhalten vor Ort1. Manche Menschen lächeln unbewusst – aus Unsicher-

heit oder um Aggressionen ihres Gegenüber abzu-wehren. Das wird Ihnen nicht unterlaufen, wenn Siesich das bewusst machen.

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2. Sind Sie auch wirklich an der richtigen Adresse? Gibt esim Haus mehrere Bewohner mit demselben Namen?Fragen Sie vorsichtshalber nach: Sind Sie die Frau von . . .der Vater von . . .? Doch zunächst stellen Sie sich kurzvor und nennen Ihre Dienststelle.

3. Die Nachricht soll erst nach Betreten der Wohnunggesagt werden, sonst könnte hinter der verschlossenenTür möglicherweise ein medizinischer Notfall eintreten.Wenn man Sie nicht einlassen will, ist der Satz: Ich mussIhnen eine schlimme Nachricht bringen . . . meist derrichtige Türöffner. Er eignet sich auch als Überleitung zureigentlichen Nachricht. Und wenn Sie dann noch stehensollten: Können wir uns nicht hinsetzen?, denn es wirdbesser sein, wenn der Hinterbliebene die Nachrichtsitzend erfährt, für den Fall, dass er umkippt.

4. Anwesende Unbeteiligte und Kinder sollten anfangsmöglichst nicht zugegen sein (Nebenzimmer).

5. Legen Sie persönliche Gegenstände des Toten, besonderswenn sie blutverschmiert sind, nur dann vor, wennes aus Ermittlungsgründen unaufschiebbar ist. SolcheErinnerungsgegenstände können schockverstärkendwirken.

6. Inzwischen ist der/die Hinterbliebene auf das Schlimm-ste gefasst: Sagen Sie jetzt Ihre Nachricht ohneUmschweife und ohne falsche Hoffnungen zu lassen.Ihr Mann hatte vor zwei Stunden einen Verkehrsunfallund starb noch an der Unfallstelle.

7. Jetzt lassen Sie dem Hinterbliebenen Zeit für seine Reak-tion. Alles ist möglich. Seien Sie offen und verstännisvoll– Mitleids- und Beileidsfloskeln werden in der Regelnicht erwartet, sondern nur Ihr Verständnis und Ihremomentane Anteilnahme als Zeuge dieses schrecklichenAugenblicks.

y Bei stark emotionaler Reaktion – Zeit lassen!y Fällt man Ihnen um den Hals, geht man Sie tätlich an –

in den Arm nehmen!y Bleibt die Emotion aus, wirkt der Hinterbliebene starr

und verschlossen – Achtung: Es kann sich ein Kollapsanbahnen. Er kann Sie auch möglichst schnell aus derWohnung haben wollen – Suizidgefahr!

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y Suizidgefahr auch, wenn der Hinterbliebene irgend-welche Schuldgefühle äußert!

y Bei körperlichem Zusammenbruch oder Hysterieanfällen– den Arzt rufen!

y Ist der Angehörige offensichtlich erleichtert über denTod – Achtung: nicht moralisch verurteilen, sondernauch in diesem Fall behutsam verstehend nachfragen!

y In der Regel gilt: Wenn der erste Schock vorüber ist,fragen Sie nach dem Verstorbenen, interessieren Siesich dafür, was er für ein Mensch war, was er seinen Hin-terbliebenen bedeutet hat. Sie bekunden damit mehrAnteilnahme als durch ein »herzliches Beileid«. Achtung:Diese Fragen dürfen keinen Verhörcharakter haben undsollen zu nichts weiter dienen, als dem Angehörigen zuzeigen, dass jemand bemüht ist, auf seine schrecklicheLage einzugehen. Anknüpfungsbeispiele: Das muss einfürchterlicher Verlust für Sie sein . . . Sie haben ihn/siesehr geliebt!? . . . Er/Sie hat Ihnen viel bedeutet . . . Siehatten ein gutes Verhältnis zueinander . . . Erzählen Siedoch etwas über sie/ ihn . . .

y Leiten Sie dann über auf anstehende Probleme, bringenSie aber keine Lösungen, das ist nicht Ihre Aufgabe. Wiewird es nun weitergehen? Haben Sie jemanden, derIhnen zur Seite steht? Lassen Sie dem HinterbliebenenZeit, seine Antwort zu finden! Kann ich etwas für Sietun? Soll ich jemanden von Ihren Verwandten oderFreunden anrufen? Oder haben Sie in der Nachbarschaftjemanden, der nach Ihnen schauen soll?

8. Verhindern Sie, dass einer der Hinterbliebenen sich ansSteuer setzt, um sofort zum Krankenhaus oder Unfallortzu fahren. Die Fahrtüchtigkeit kann nachhaltig beein-trächtigt sein.

9. Sie sollten in der Regel nicht gehen, ohne eine zuverläs-sige Person in der Wohnung zu hinterlassen: Ihr Kollege,mit dem Sie gekommen sind, ein Arzt, ein Pfarrer, einemotional nicht so stark betroffener Verwandter oderFreund oder ein Nachbar. Soweit möglich: Fragen Sieden Hinterbliebenen, wen Sie herbeirufen sollen(»ungeübte« Hilfspersonen müssen diskret auf möglicheKrisen hingewiesen werden).

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10. Hinterlassen Sie Ihre Visitenkarte und eine Kontakt-adresse, über die der Hinterbliebene weitere Einzel-heiten erfahren kann.

Nachbereitungeny Verdrängen Sie Ihre Erlebnisse nicht! Gehen Sie noch

einmal alles in Gedanken durch:y Ist der/die Hinterbliebene auch wirklich unter helfender

Kontrolle und eine Kurzschlussreaktion weitgehend aus-geschlossen?

y Wie fühlen Sie sich? Erleichtert, verunsichert, gekränkt,aufgewühlt, verärgert oder . . .

y Sprechen Sie die Situation und auch Ihre Gefühle mög-lichst mit Ihrem Kollegen durch. Fragen Sie ihn, wie er eserlebt hat, wie er sich fühlt.

y Wenn Sie sehr geschlaucht sind, dann gilt auch hier wiein anderen belastenden Situationen: Stressabbau durchkörperliche Betätigung!

y Wenn Sie Ihren anderen Kollegen Bericht erstatten, seienSie menschlich: Geben Sie keinen Sensationsbericht.Erzählen Sie nur dann ausführlicher, wenn Sie auch überIhre Reaktion und Ihre Gefühle sprechen können. WennSie Kollegen haben, mit denen Sie auch solche Gesprächeführen können, dann sind Sie in einem guten Kollegenkreis.

y Überlassen Sie ein Nachgespräch mit den Angehörigenkeinem Kollegen. Gehen Sie selbst, Ihnen bringt manVertrauen entgegen, weil Sie dem Hinterbliebenen durchdie gemeinsam durchstandene Extremsituation verbun-den sind.

y Wenn es geht, fragen Sie im Nachgespräch auch, ob Sieetwas falsch gemacht haben, etwa in der Art: Ich fühlemich immer fürchterlich unwohl, wenn ich jemandemmit einer solchen Nachricht wehtun muss . . . Sie bewei-sen damit ein weiteres Mal Ihr Verständnis und IhreSolidarität und bekommen vielleicht tatsächlich einebrauchbare Rückmeldung für Ihr Verhalten.

Nun haben Sie Ihre Gedanken gesammelt und sind aufIhre Aufgabe gut eingestimmt. Jetzt sollten Sie die nötigenVorbereitungen treffen. Und dann machen Sie sich mitIhrem Kollegen auf den Weg!

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Sie habeneine Todes-nachricht zuüberbringen . . .

Das Unglück alleinist noch nichtdas ganze Unglück;Die Frage ist noch,wie man es besteht.Erst wenn man esschlecht besteht,wird es ein ganzes Unglück.Das Glück alleinist noch nichtdas ganze Glück.

Ludwig Hohl

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PsychischeErste Hilfebei Kindern imGroßschadensfallPUMUCKELvon Dipl.-Päd. Harald KarutzMitglied des BeiratsVerwaiste Elternin Deutschland e.V.

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Leitgedanken der Betreuung im Großschadensfall:Kinder sollten bei ihren Eltern bleiben bzw. rasch zu ihnengebracht und auch von ihnen betreut werden.Ist dies nicht möglich, sollten Kinder in Sicherheit undgemeinsam mit anderen Kindern zu hilfreicher Aktivitätangeleitet werden.

Grundsätzliche Hinweise:1. Kinder sind kleiner als Erwachsene – und werden des-

halb häufig übersehen!2. Kinder zeigen häufig und in verschiedenster Hinsicht

ungewöhnliche sowie vor allem unerwartete Aktionen,die bei unvorbereiteten Helfern Irritationen und Ver-wunderung auslösen können.

3. Gerade körperlich unverletzt betroffene Kinder, die eineNotfallsituation miterlebt haben, sind besonders betreu-ungsbedürftig: Sie entwicklen häufiger psychische Folge-schäden als verletzte oder erkrankte Kinder!

4. Nachsorgemaßnahmen sind zu empfehlen; und das Ver-halten von Kindern nach einem Notfallgeschehensollte zumindest aufmerksam beobachtet werden, um dieEntwicklung evtl. behandlungsbedürftiger Folgeschädenfrühzeitig erkennen zu können.

Grundsätzlich gilt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen;sie erleben Notfallsituationen unter Umständen völlig andersals Erwachsene. Mit diesem Merkblatt sollen nun einigeAnregungen für die Betreuung von unverletzt betroffenenKindern in Großschadensfällen gegeben werden. Eineumfassende Ausbildung kann durch dieses Merkblatt natür-lich keinesfalls ersetzt werden!

PUMUCKEL: Regeln zur Betreuung

P lanungDie Erfahrung hat gezeigt, dass die besonderen Bedürfnissevon Kindern in einem Großschadensfall oftmals unberück-sichtigt geblieben sind. Zudem wurden gerade die unverletztbetroffenen Kinder regelrecht übersehen und dementspre-chend überhaupt nicht betreut. Von daher ist zu fordern, in

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PsychischeErste Hilfebei Kindern imGroßschadensfallPUMUCKEL

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allen Planungen für Notfallsituationen explizit und umfas-send eine Kinderbetreuung einzuplanen!

U nterbringungErstens soll die Unterbringung bzw. Betreuung von Kindernin Sicherheit stattfinden können, d.h. nach Möglichkeit ineinem relativen Abstand zum eigentlichen Schadensgebietund idealerweise in einem abgeschirmten, beheizten undlärmgeschützten Raum.Zweitens sollten betreuungsbedürftige Kinder niemals vonihren Eltern oder anderen Bezugspersonen getrennt werden:Im zweiten Weltkrieg erlitten z.B. Kinder, die zum Schutzvor alliierten Angriffen ohne ihre Eltern in Erholungsheimeauf dem Land evakuiert worden waren, häufiger psychischeFolgeschäden als Kinder, die gemeinsam mit ihren Elternmassive Bombenangriffe miterlebten!

M aterialbeschaffungVorzuhalten sind Ersatzbekleidung in Kindergrößen, Mal-stifte und Zeichenblöcke, Knetmasse, Kindermusik auf Kas-setten sowie einige Süßigkeiten (siehe unten).

U nterstützungIn vielen Fällen entwickeln Kinder spontan und unaufgefor-dert eigene und oftmals sehr hilfreiche Ideen, um dasGeschehen zu bewältigen. Vorschläge und Anregungen vonKindern sollten deshalb ernst genommen und nach Mög-lichkeit umgesetzt werden.

C oordinationDie Betreuung von Kindern im Großschadensfall muss gutkoordiniert werden. Diese Aufgabe sollte eine Person über-nehmen, die einsatztaktisch bzw. führungstechnisch undpädagogisch zugleich qualifiziert ist (z.B. Erzieher, Lehreroder Pädagogen mit Gruppenführerausbildung).

K ameradschaftlichkeitEine Gruppe von Kindern kann sich untereinander oftmalsselbst sehr gut stützen, und konstruktives Miteinander vonKindern wirkt sich meist sehr hilfreich aus: Kinder sollten

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Hier findenEltern Hilfe

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PsychischeErste Hilfebei Kindern imGroßschadensfallPUMUCKEL

Die Erinnerung bleibt»Wenn ich an Claudia denke, gibt es so viele›nie mehrs‹. Doch heute können Niklas, meinMann und ich mit ihrem Tod leben. Es ist zwarnichts mehr so, wie es war, und doch ist es gut.Unsere ›Rest-Familie‹ ist wieder zusammen-gerückt. Mein Job macht mir wieder Spaß,auch mein Chef ist zufrieden. Die Selbsthilfe-gruppe hat meiner Familie und mir das Lebengerettet! Vergessen werden wir Claudia nie –die Erinnerung bleibt.«

Bundesstelle:Fuhrenweg 3

21391 ReppenstedtTelefon: 04131/680 32 32Telefax: 04131/68 11 40E-Mail: [email protected]: http://www.veid.de

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demnach gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten können,und sie sollten ausdrücklich füreinander Verantwortung tra-gen. Dies kann (bei älteren Kindern) z. B. anhand konkreterRegeln vermittelt werden. (»Ihr müsst jetzt gut aufeinanderaufpassen!«)

E igenaktivitätJedes eigene Tun von Kindern mindert ihre Hilflosigkeit.Insofern sollte Aktivität initiiert und ermöglicht werden.Eine Möglichkeit besteht etwa darin, Kinder aufzufordern,doch ein Bild für die Männer und Frauen von der Feuerwehrzu malen. Die Bilder könnten sogar noch am Einsatzort anFeuerwehrleute übergeben werden, die sich gerade am Randdes Geschehens oder in einem Aufenthaltsraum ausruhen.

L ob, Leckereien und LieblingsspielzeugeHilfreiches Verhalten von Kindern sollte ausdrücklich positivverstärkt, d. h. gelobt werden. Süßigkeiten wirken meistensein wenig beruhigend, und typische Lieblingsspielzeuge (ins-besondere Stofftiere) haben fast immer eine positive Wir-kung.

BundesverbandVerwaiste Elternin Deutschland e.V.

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Zur psychischenSituationvon Kindernin NotfällenAnregungenfür diePsychischeErste HilfeTeil 1von Dipl.-Päd. Harald KarutzMitglied des BeiratsVerwaiste Elternin Deutschland e.V.

EinleitungKinder erleben Notfallsituationen als einen psychischen Aus-nahmezustand. Selbst dann, wenn sie körperlich unverletztgeblieben sind, können sich offenbar langfristig anhaltendeFolgeschäden entwickeln, so dass eine belastungsvermin-dernde Psychische Erste Hilfe (PEH) noch am Ort desGeschehens zu fordern ist, die den jeweiligen Entwicklungs-stand eines Kindes und daraus resultierende Besonderheitenbezüglich der Wahrnehmung, des Erlebens und typischerReaktionsweisen von Kindern in Notfällen berücksichtigtund einer psychischen Traumatisierung präventiv entgegen-wirkt.Im folgenden, zweiteiligen Beitrag werden basierend aufeiner Beschreibung der psychischen Situation von Kindern inNotfällen (Abb. 1) dementsprechend konkrete Hinweisegegeben, wie im Rahmen der psychosozialen Betreuung aufwelche einzelnen Belastungsfaktoren und Bedürfnisse vonKindern reagiert werden kann.Frühere Veröffentlichungen an anderer Stelle, in denen bis-lang ausschließlich die Psychische Erste Hilfe bei verletztenund akut erkrankten Kindern thematisiert wurde, werdendabei insofern ergänzt, dass die hier präsentierten Hinweise– durch die Einbeziehung weiterer Fachliteratur und um-fassender theoretischer Überlegungen – nunmehr auch beider Betreuung unverletzt betroffener Kinder, und zwarsowohl in alltäglichen Notfallsituationen als auch inGroßschadenslagen bzw. bei einem Massenanfall von Ver-letzten (MANV) umgesetzt werden können.Besonders angesprochen sind mit dieser Thematik natürlichHelfer in Betreuungseinheiten, Kriseninterventionsteamsund der Notfallseelsorge; zugleich aber auch Führungskräftesowie Mitarbeiter der Feuerwehren und des Rettungs-dienstes.

Die psychische Situation von Kindern in NotfällenZunächst kann die psychische Situation von Kindern in Not-fällen – wie bei jedem Erwachsenen auch – als einkomplexes Zusammenwirken verschiedenster Belastungs-faktoren und Moderatorvariablen beschrieben werden,wodurch sich individuell sehr unterschiedliche Reaktions-

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weisen ergeben. Einige Besonderheiten, die jedoch speziellbei Kindern zu berücksichtigen sind, gehen aus Abb. 2 her-vor: Neben wahrnehmungspsychologischen Aspekten unddem aktuellen Stand des Wissens, Denkens und Empfindenssind hier vor allem die Entwicklung der Sprache bzw. derSprachfähigkeit eines Kindes, unterschiedliche Erziehungs-einflüsse, die Anwesenheit und das Verhalten von Bezugs-personen sowie nicht zuletzt auch die jeweilige Art derHilfeleistung zu nennen.

Wahrnehmung des Notfallgeschehens(Eigene) Verletzungen und das Notfallgeschehen insgesamtwerden sehr genau und aufmerksam wahrgenommen. Hierist erstaunlich, auf welche Details Kinder aufmerksam wer-den, die Erwachsenen mitunter verborgen bleiben dürften.Eine bewusste Wahrnehmungslenkung bzw. Wahrneh-mungskonzentration (Filterung) auf einzelne Aspekte desGeschehens fehlt, so dass bereits nach kürzester Zeit eine

Abbildung 1:Die psychische Situationvon Kindern in Notfällen

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massive Reizüberflutung einsetzt, die die Fähigkeit, dasErlebte zu verarbeiten, weit übersteigt.Verstärkt wird diese Tatsache durch die kindliche Lage-perspektive (Froschperspektive), aus der heraus die Umge-bung, insbesondere anwesende Helfer und deren Hand-lungen, unter Umständen überdimensional und bedrohlichverzerrt erscheinen können. Außerdem ist darauf hinzu-weisen, dass die kindliche Wahrnehmung in besonderemMaße durch Gerüche geprägt wird, so dass vor allemunbekannte und eher unangenehme Gerüche (z. B. nachDesinfektionsmittel oder verbrannten Gegenständen) zusätz-liche Angst auslösen können.

Schockzustand und »fragende« UnsicherheitRasch verursacht wird ein akuter Schockzustand im Sinneeines erheblichen Erschreckens, ein fassungsloser (mitunterjedoch nur innerer) Aufschrei. Setzen daraufhin erste Ver-arbeitungsprozesse ein, entsteht eine in vielerlei HinsichtFragen beinhaltende und Fragen aufwerfende Unsicherheit,zunächst verbunden mit der nachvollziehbaren Feststellung,im Angesicht der miterlebten Situation eben tatsächlichnicht sicher zu sein.

Verstärktes InformationsbedürfnisAuf der Suche nach Antworten wird das kindliche Bedürfnisnach Information und Aufklärung verstärkt, wobei abhängig

Abbildung 2:Besonderheiten,die das kindliche Erlebeneiner Notfallsituationbeeinflussen

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28vom jeweiligen Entwicklungsstand ohnehin auf Infor-mationsdefizite bzw. auch auf das Vorhandensein vonsogenanntem »falschem« Wissen hinzuweisen ist. Kindernfehlen entsprechende Vorerfahrungen mit vergleichbarenNotfällen, geeignete Bewältigungsstrategien sind meist nochnicht vorhanden.Weil Kinder außerdem nicht dazu in der Lage sind, dietatsächlichen und häufig sehr komplexen (Kausal-) Zusam-menhänge von äußeren Umständen und einzelnen Abläufenin einer Notfallsituation zu überblicken, neigen sie dazu, fürdas Geschehene irrationale bzw. magisch-mystische »Ersatz-erklärungen« zu finden, um auf diese Weise vorhandeneLücken in ihrem kindlich geprägten Selbst- und Welt-verständnis zu schließen.

Gefühle, Gedanken, AngstGleichzeitig resultieren aus der mit vielen Fragen bzw. derschwierigen Suche nach Antworten verbundenen Ver-unsicherung zahlreiche Ängste (z. B. vor dem Verlassensein;davor, nicht mehr geliebt zu werden; vor Schmerzen; vorbestimmten Wahrnehmungen bzw. Anblicken, Geräuschenund Gerüchen; vor dem was noch passiert), Gedanken undGefühle.In besonderem Maße sind hierbei Schuldgefühle zu nen-nen, die in mehreren Eigenarten des kindlichen Denkensbegründet sind: Zu der bereits genannten Tendenz, magisch-mystische Erklärungen für Geschehenes zu finden, kommthier vor allem noch eine Egozentrierung des Denkens unddie in der Regel bis zum Alter von etwa sechs Jahrenfehlende Möglichkeit zum Perspektivwechsel hinzu. Dasbedeutet, Kinder können sich nicht in andere Personen undderen Intentionen hineinzuversetzen; sie erklären allesWahr-genommene stattdessen unmittelbar aus sich selbstheraus und auf sich selbst bezogen.Führt das bereits beschriebene Informations- bzw. Wissens-defizit in Verbindung mit diesen Denktendenzen dannletztlich zum Scheitern anderer Erklärungsversuche, bleibteinem Kind im Endeffekt nur noch die Möglichkeit,eigene Schuld anzunehmen und beispielsweise von derVerursachung der Notfallsituation durch ein eigenes Fehl-

Zur psychischenSituationvon Kindernin Notfällen

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29verhalten auszugehen, woraufhin häufig die Entwicklungregelrechter Bestrafungsphantasien folgt – auch wenn dafürobjektiv betrachtet überhaupt kein Grund zu erkennen ist.Schließlich muss an dieser Stelle darauf hingewiesen wer-den, dass– sofern ein Kind selbst auch körperlich verletztworden ist – physische Schmerzen noch eine zusätzlicheVerstärkung dieser negativen Gefühle und Gedanken bewir-ken, wobei sich insbesondere zwischen Schmerzen undÄngsten mitunter eigene Eskalationsmechanismen ent-wickeln können.

Verminderung der verbalen AusdrucksfähigkeitIm weiteren Verlauf können vor allem Ängste bei Kinderndazu führen, dass deren verbale Ausdrucksfähigkeit herab-gesetzt wird (und somit regelrecht »die Worte fehlen«), sodass es Kindern – vor dem Hintergrund einer ohnehin nochnicht abgeschlossenen Sprachentwicklung – jetzt erst rechtnicht (mehr) möglich ist, Ängste zu formulieren, Erregung inWorten auszudrücken und letztlich auch Fragen zu stellen.In besonderem Maße muss hierbei berücksichtigt werden,dass Kinder sich offenbar gerade deshalb nicht mehr trauen,über das Geschehene bzw. Erlebte zu sprechen, weil siebefürchten, dass durch das, was sie sagen, möglicherweiseeine weitere Verschlimmerung der Situation eintreten könn-te. Ein Kind, dass beispielsweise Bauchschmerzen empfin-det, nimmt es unter Umständen in Kauf, die Schmerzen zuertragen und verschweigt sie aus der Angst heraus, anson-sten zusätzlich zu den aktuellen Schmerzen noch die fol-gende (ebenfalls durchaus schmerzhafte) Behandlung ertra-gen zu müssen, in deren Rahmen möglicherweise z. B. Injek-tionen gegeben werden oder eine Operation zu erwartensein könnte (Dissimulationsversuch).Dass die ständige Zunahme von Angst durch die ansonsten(d. h. bei Erwachsenen) häufig erleichternd wirkende Äuße-rung von Belastungen somit nicht verhindert werden kann,wird auf diese Weise nachvollziehbar: Während Erwachsenedurch verbale Äußerungen mehr oder weniger explizit aufihre Situation und Bedürfnisse hinweisen können unddadurch selbst in hohem Maße dazu beitragen, Helfer aufsinnvolle Interventionsansätze aufmerksam zu machen, fehlt

Zur psychischenSituationvon Kindernin Notfällen

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30Kindern diese Möglichkeit. Mitunter ist sogar denkbar, dassdas im weiteren Verlauf einsetzende Schweigen bzw. dieäußerliche Teilnahmslosigkeit (Apathie) eines Kindes als ver-meindliche Tapferkeit oder fehlende Betroffenheit missinter-pretiert werden könnte.Festzustellen ist jedoch: Solange Kinder noch weinen undschreien können, verfügen sie über (wenn auch wenig effek-tive) Strategien, Belastungen zu verringern, und wenngleichdas Schreien oder Weinen nicht unbedingt hilfreich zurSituationsbewältigung beiträgt, ist es zumindest eine Mög-lichkeit, anwesende Helfer oder Bezugspersonen auf dieeigene psychische Situation aufmerksam zu machen und aufdiese Weise eine hilfreiche Reaktion – z. B. in Form folgen-der Zuwendung – zu veranlassen. Demgegenüber ist geradedas stille bzw. apathische Schweigen eines Kindes als einBesorgnis erregender innerer Rückzug zu betrachten, dermeist mit erheblichen psychischen Belastungen verbundensein wird und der im Angesicht der überwältigenden bzw.überfordernden Erfahrungen in einem Notfallgeschehenletztlich den Beginn einer »psychischen Kapitulation« kenn-zeichnet.

Zunehmende ErregungDie beschriebene Verminderung der verbalen Ausdrucks-möglichkeiten führt – in Zusammenhang mit der auchunmittelbaren Wirkung von belastenden Gefühlen undGedanken sowie dem nach wie vor bestehenden Informa-tionsdefizit – zu einer massiven Zunahme der psychischenErregung: Steht einem Kind im Notfallgeschehen gerade dasSprechen nicht mehr als Ventil für die Reduzierung ange-stauter Erregung zur Verfügung (und ist keine alternativeGelegenheit zur Erregungsabfuhr vorhanden), wird dieserErregungsanstieg verständlich.

Verminderte Fähigkeitzu zielgerichteter Informationsverarbeitung und AktivitätVor allem die gesteigerte Erregung und das noch immerbestehende Informationsdefizit führen nunmehr dazu, dassKinder in einem Notfallgeschehen – zumindest sofern siekeine entsprechende Hilfeleistung erfahren – kaum mehr

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31handlungsfähig sind. Sie wissen nicht, wie sie sich verhaltensollen, und selbst wenn sie es wüssten, wären sie zur Aus-führung zielgerichteter Aktivität wohl kaum in der Lage,weil der hohe Erregungsgrad jede bewusst koordinierteHandlung erheblich erschweren bzw. sogar unmöglichmachen würde (affektive Hemmung).

Überforderung, Handlungsunfähigkeit, Passivität,Hilflosigkeit, KontrollverlustIn der Folge wird das Gefühl, überfordert zu sein – vorallem.wenn noch immer keine entsprechende Interventionerfolgt – zunehmend stärker. Letztlich sind sie hilflos demGeschehen ausgesetzt, erleben das Geschehen, ohne daraufnoch in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können,vollkommen passiv und erleiden schließlich einen völligenVerlust der Kontrolle, so dass die beginnende Entwicklungdes Gefühls der Hilflosigkeit als Eintritt in eine regelrechte»Danger Zone« beschrieben werden kann: Mit dem Eintrittin diesen »psychischen Gefahrenbereich« kann davon aus-gegangen werden, dass eine psychische Traumatisierungzunehmend wahrscheinlich wird – und zwar abhängig vomjeweiligen Ausmaß der Überforderung, der Hilflosigkeit, derPassivität und des Kontrollverlustes, den ein Kind in dieserSituation subjektiv empfunden hat.

EinleitungNachdem die psychische Situation von Kindern in Notfällenim ersten Teil dieses Beitrags beschrieben wurde, beinhaltendie folgenden Ausführungen vielfältige Hinweise für eine»Psychische Erste Hilfe«, d. h. die psychosoziale Betreuungvon Kindern am Einsatzort.

Anregungen für die Psychische Erste HilfeGrundsätzlich dürfte bereits deutlich geworden sein: Daswesentlichste Anliegen einer Psychischen Ersten Hilfe beiKindern sollte darin bestehen, das Erreichen der beschriebe-nen »Danger Zone« als »psychischem Gefahrenbereich« zuverhindern und möglichst frühzeitig bzw. schon präventivzu bewirken, dass Gefühle der Hilflosigkeit und des Kon-

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Anregungenfür diePsychischeErste HilfeTeil 2

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32trollverlustes nicht erst entstehen. In diesem Sinne ist vorallem eine Anleitung von Kindern zu eigener hilfreicherAktivität, zur aktiven (und letztlich wie auch immer gearte-ten) Einflussnahme auf das Notfallgeschehen zu fordern,und als grundlegende Orientierungshilfe kann festgestelltwerden: Was ein Kind (entwicklungsbedingt) schon tunkann – und was es (situationsbedingt, d. h. auch nach demBeginn erster Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe)noch bzw. wieder tun kann, das sollte es auch tun!Die Darstellung einzelner Interventionsmöglichkeiten – undzwar konkret bezogen auf die unterschiedlichen Belastungs-faktoren, denen Kinder in Notfällen ausgesetzt sind – ist nunGegenstand des folgenden Textes (Tab. 1).

Wahrnehmungsbezogene InterventionDer raschen Abschirmung vom Notfallgeschehen kommthierbei die wohl größte Bedeutung zu, d. h. betroffeneKinder sollten schnellstmöglich aus dem Schadensgebietherausgeleitet und an einen sicheren Ort gebracht werden,

Belastungsfaktor InterventionsmöglichkeitWahrnehmung des Notfallgeschehens Abschirmung vom Notfallgeschehen

Bedecken von VerletzungenKommunikation auf gleicher Ebene

Unsicherheit Anwesenheit von BezugspersonenVerlässliche Nähe anderer HelferGemeinschaft mit anderen KindernUnterbringung an einem sicheren OrtSicherstellung physiologischer Grundbedürfnisse

Informationsbedürfnis Kindgerechte Vermittlung von InformationenEhrliche Antworten auf gestellte Fragen

Verminderung der Schaffungverbalen Ausdrucksfähigkeit alternativer AusdrucksmöglichkeitenAngst Behutsame Ablenkungsversuche

Einbezug von Kindern in die HilfeleistungAnregung zum SpielHilfeleistung durch Teddybären

Schuldgefühle Unbegründete Schuld verneinenRealistische Erklärungen anbieten

Zunehmende Erregung Langsam agieren und sprechenJede Hektik im Umfeld vermeidenWarme, gezuckerte Getränke verabreichen

Verminderte Fähigkeit zur Kinder ernst nehmenzielgerichteten Informationsverarbeitung Vorschläge und Anregungen von Kindern

aufgreifen und nach Möglichkeit umsetzenÜberforderung, Handlungsunfähigkeit, Delegation einfacher Aufgaben an KinderHilflosigkeit, Kontrollverlust Gemeinsame Aktivität von Kindern anregen

Entscheidungsfreiheit lassenund zu deren Nutzung ermutigen

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Tabelle 1

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Page 33: Hinweise für Rettungsdienste Notfallseelsorge ...€¦ · Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance auf Begegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender, aber

33so dass sie vor belastenden Anblicken (z. B. von Verletztenund Zerstörungen), aber auch der entsprechenden Geräusch-und Geruchskulisse geschützt sind.Sofern Kinder selbst verletzt sind, sollten sichtbare Zeichenihrer Verletzung (z. B. Wunden) ebenfalls rasch bedecktwerden. Die besondere Lageperspektive von Kindern kannschließlich vor allem dadurch berücksichtigt werden, dassman sich als Helfer im Betreuungseinsatz auf das körperlicheNiveau der Kinder herab begibt, d. h. sich herunterbeugtbzw. hinsetzt und auf diese Weise eine Kommunikation»auf gleicher Augenhöhe« anstrebt.

Sicherheit vermittelnDie fragende Verunsicherung bzw. das Empfinden einerexistentiellen Unsicherheit führt zur Forderung nach derVermittlung eines (neuen) Sicherheitsgefühls. Hierzu solltedie Anwesenheit der Bezugspersonen (Eltern) eines Kindesschnellstmöglich hergestellt und anschließend permanentaufrecht erhalten werden, wobei der unmittelbare Kontaktzu den Eltern übrigens sogar dann noch ein Sicherheits-gefühl vermittelt, wenn die Eltern selbst (leicht) verletztworden sind.In Studien, die während des zweiten Weltkrieges durch-geführt wurden, ließ sich z. B. feststellen, dass Kinder, diemassive Bombenangriffe gemeinsam mit ihren Eltern erlebthaben, diese Erfahrung offenbar besser verarbeiten konntenund weniger häufig psychisch traumatisiert wurden, als Kin-der, die in durchaus guter Absicht von ihren Eltern getrenntund in ländliche Regionen bzw. dortige Kinderheime ver-schickt wurden, um vor den Luftangriffen der Alliiertengeschützt zu sein (Separationstrauma).Nicht verschwiegen werden darf allerdings der Hinweis dar-auf, dass die Formulierung des Grundsatzes, Kinder nachMöglichkeit bei ihren Eltern sein zu lassen, häufig einebegleitende Psychische Erste Hilfe für die Eltern erforderlichmachen wird: Ansonsten wäre durchaus denkbar, dass sicheigene Ängste der Eltern auch auf ein Kind übertragen undsich wechselseitige Eskalationsmechanismen entwickeln.Sind Verwandte, vor allem die Eltern eines Kindes, im Not-fallgeschehen von vornherein nicht anwesend und können

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Page 34: Hinweise für Rettungsdienste Notfallseelsorge ...€¦ · Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance auf Begegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender, aber

34sie in kürzerer Zeit auch nicht herbeigeholt werden, stehtdie Gewährleistung einer verlässlichen Nähe durch andereMenschen als »ersatzweise« Bezugspersonen im Vorder-grund der Hilfeleistung, wobei hier die Helfer von Betreu-ungseinheiten und der Notfallseelsorge natürlich in ganzbesonderem Maße gefordert sind.Darüber hinaus ist keineswegs ausgeschlossen, dass sichmehrere betroffene Kinder in einem Notfallgeschehen auchselbst gegenseitig unterstützen und ein gewisses Gefühl vonSicherheit vermitteln: Allein die Erkenntnis, nicht alleine zusein – und gleichaltrige Kameraden um sich zu wissen,denen es ähnlich ergeht wie einem selbst, kann hilfreich seinbzw. positive gruppendynamische Prozesse unter Kindern inNotfällen in Gang setzen.Ein weiterer Ansatz, um Sicherheit zu vermitteln, ist dieschon zur Abschirmung empfohlene Verbringung betroffe-ner Kinder an einen geschützten, warmen (!) Ort abseits desunmittelbaren Schadensgebietes, an dem nicht zuletzt auchphysiologische Grundbedürfnisse von Kindern gestillt wer-den können sollten, d. h. es sollten ausreichende Getränke(oft tritt großer Durst auf!), Nahrungsmittel und Decken(Wärmeerhaltung bei rasch auskühlenden Kindern!) zurVerfügung stehen.

Verminderung des bestehenden InformationsdefizitsNaheliegenderweise scheint hier die altersgemäße Vermitt-lung von Informationen empfehlenswert, wobei einigeBesonderheiten zu beachten sind:Erstens ist die Vermittlung von Informationen offenbar nurwenig zweckmäßig, solange ein zu hoher Angstlevelbesteht: Eine affektive Hemmung verhindert in dieserSituation die adäquate Informationsaufnahme und -verarbei-tung von vornherein, so dass vor dem Beginn von Infor-mations- bzw. Aufklärungsversuchen stets anzustreben ist,kindliche Ängste wenigstens teilweise zu reduzieren.Zweitens sollte die kindgerechte Vermittlung von Infor-mationen grundsätzlich in einer einfachen Sprache erfolgen,d. h. mit kurzen, klar formulierten Sätzen, eindeutigenAussagen und einer allgemein verständlichen Wortwahl –jedoch ohne (!) dabei in eine regelrechte Babysprache zu ver-

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Page 35: Hinweise für Rettungsdienste Notfallseelsorge ...€¦ · Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance auf Begegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender, aber

35fallen: Auf diese Weise würden sich Kinder auch bzw. sogargerade in einem Notfallgeschehen nicht ernst genommenund unverstanden fühlen.Drittens ist nicht die Vermittlung aller Informationen hilf-reich: In einigen Fällen ist vielmehr denkbar, dass Informa-tionen, die von Helfern – wenn auch in guter Absicht – sozu-sagen unaufgefordert mitgeteilt werden, zusätzliche Ängstehervorrufen bzw. zur Entwicklung zusätzlich belastenderSorgen führen. Aus diesem Grund sollte die Vermittlung vonInformationen vor allem im Sinne der Beantwortung gestell-ter Fragen betrachtet werden, die dann selbstverständlichehrlich erfolgen muss, um keinen Vertrauensverlust zu pro-vozieren, sobald ein Kind bemerkt, dass es belogen wordenist.Viertens kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden,dass Informationen in besonderem Maße dann hilfreich sind,wenn ein betroffenes Kind mit ihnen »etwas anfangen«kann, d. h. wenn sie geeignet sind, hilfreiche Aktivität desKindes zu ermöglichen. Wissen, das nicht umgesetzt werdenkann, ist im Notfall verständlicherweise weniger nützlich alssolches Wissen, aus dem sich eine praktische (Handlungs-)Konsequenz ergibt.

Förderung von AusdrucksmöglichkeitenSofern man erkennt, dass ein Kind entwicklungsbedingtnoch nicht (oder situationsbedingt nicht mehr) verbalsierenkann, was es bedrückt, beängstigt oder was es gerne wissenwürde, sollte nach alternativen Ausdrucksmöglichkeiten ge-sucht werden: Denkbar ist hier z. B., Kinder ganz bewusstzu körperlicher Bewegung aufzufordern oder ihnen Knet-masse, Malbücher und entsprechende Zeichenstifte zur Ver-fügung zu stellen, um auf diese Weise Gelegenheiten zuschaffen, sich von Gefühlen und Gedanken entlasten zukönnen.

Ängste verringernAls Strategie zur Reduzierung von Ängsten sollten Ablen-kungsversuche – entgegen einer offenbar weit verbreitetenund durchaus üblichen Praxis – zunächst einmal kritischbetrachtet werden: In vielen Fällen bewirkt Ablenkung

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36offenbar nur, dass betroffene Kinder sich in ihrer Situationnicht ernst genommen fühlen und verwundert darüber sind,welche eigenartigen Verhaltensweisen der die Ablenkungs-trategie verfolgende Helfer zeigt. Im Übrigen ist es offenbarein Irrglaube anzunehmen, dass ein abgelenktes Kind weni-ger Angst oder Schmerz empfinden würde; und darüber hin-aus ist eine wirksame Ablenkung in vielen Fällen schlicht-weg nicht möglich.Wenn überhaupt, dann scheint eine Ablenkung vor allem indem Sinne empfehlenswert, dass sie ausgehend vomGeschehen und auf das Geschehen bezogen durchgeführtwird, indem man beispielsweise Aufgaben erteilt, dietatsächlich zweckmäßig und angebracht sind. So ist unterUmständen denkbar, unverletzte Kinder in Großschadens-ereignissen beim Aufbau und bei der Einrichtung einerRegistrierungsstelle oder ähnliches mithelfen zu lassen.Ansonsten kann eventuell auch die Anregung zum Spielen(z. B. mit Modellautos oder Puppen) eine hilfreiche undstabilisierende Ablenkung betroffener Kinder bewirken.In unbestrittener Weise wirksam ist es außerdem, Kindern inNotfällen Teddybären oder andere (weiche!) Stofftiere zuschenken: Eine bestimmte Größe und Fellbeschaffenheitvorausgesetzt, spenden sie Trost und geben sie Wärme, Haltund Geborgenheit.

Irrationale Schuldgefühle verneinenUm der beschriebenen Entstehung von besonders belasten-den Schuldgefühlen entgegenzuwirken, sollten Helfer denbetroffenen Kindern zunächst realistische Erklärungsansätzevermitteln, mit denen das Notfallgeschehen, sofern möglich,auf eine verständliche und leicht nachvollziehbare Weisebegründet wird. Wenn ein Kind bereits Schuldgefühleäußert, die jedoch offensichtlich unbegründet sind, solltevon den betreuenden Helfern ggf. auch explizit wider-sprochen werden.Eine schwierige Situation ergibt sich allerdings, wenn ingewissem Sinne eine tatsächliche Schuld des betroffenenKindes festzustellen ist. Diesbezüglich sei zunächst ange-merkt, dass die abschließende Aufarbeitung von begründe-ten Schuldgefühle im Rahmen einer Psychischen Ersten

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37Hilfe letztlich ohnehin nicht geleistet werden kann. Wich-tiger scheint hier zu sein, dem Kind zu vermitteln, dass auchweiterhin – und zwar völlig unabhängig von der eventuellenSchuld – eine verlässliche Nähe zu den Betreuungshelferngewährleistet ist, d. h. dass das Kind nicht alleine gelassenwird und auch keinen »Liebesverlust« zu befürchten hat.Eventuell können behutsam relativerende Aussagen hilfreichsein (»Das hast Du ja nicht gewollt!« / »Das so etwas pas-sieren würde, konntest Du nicht wissen!«). Unterstellungenoder Bagatellisierungen sind allerdings, auch wenn sie inguter Absicht geäußert wurden, absolut unangebracht!

BeruhigungUm den erhöhten Erregungsgrad betroffener Kinder zu ver-ringern, sollten alle Handlungen, Bewegungsabläufe bzw.auch die eweiligen Maßnahmen von Helfern an der Einsatz-stelle möglichst langsam (d. h. keinesfalls unnötig schnell!),ruhig und zielgerichtet durchgeführt werden. Jede Hektik istzu vermeiden, und auch das Sprechen sollte ruhig und lang-sam erfolgen. Zusätzlich beruhigend wirken warme,gezuckerte Getränke.

Förderung der Fähigkeit zur InformationsverarbeitungDie elementarste Voraussetzung dafür, die Fähigkeit zurInformationsverarbeitung eines Kindes zu fördern ist, dassein Kind unbedingt ernst genommen wird. Geschieht diesnicht (z. B. indem man ein Kind in durchaus guter Absicht»betüddelt«), können regressive Verhaltenstendenzenwomöglich noch verstärkt werden, weil man ein Kinddadurch regelrecht zu Verhaltensweisen drängt, die eigent-lich nicht mehr dem Stand seiner kognitiven Entwicklungentsprechen. U. U. ist durchaus denkbar, dass die geradenoch vorhandenen eigenen Ressourcen eines Kindes zurSituationsbewältigung erst durch das Verhalten von Helferngenommen werden. Sehr sinnvoll ist es vor diesem Hinter-grund, gerade die eigenen Ideen und Anregungen von Kin-dern in einem Notfallgeschehen aufzugreifen und nach Mög-lichkeit auch umzusetzen, wobei man häufig sogar über dieenorme Kreativität und Zweckmäßigkeit kindlicher Vor-schläge erstaunt sein wird!

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38Aktivität fördernUm die Aktivität von Kindern in Notfällen zu fördern, soll-ten zunächst leichte, d. h. altersgemäße Aufgaben verteiltwerden, die hilfreich zur Bewältigung des Notfallgeschehensbeitragen und auch tatsächlich bewältigt werden können.Darüber hinaus ist es sinnvoll, gemeinsame (und durchausauch ritualisierte!) Handlungen von Kindern anzustreben, sodass die Gemeinschaft der betroffenen Kinder gestärkt wird.Eine Anregung könnte es beispielsweise sein, dass unver-letzte Kinder Bilder für die Verletzten malen, gemeinsam sin-gen oder evtl. auch beten.

Hilflosigkeit vermindernDamit das Gefühl von Hilflosigkeit vermindert wird, sollteKindern in Notfällen immer eine möglichst große Entschei-dungsfreiheit gelassen bzw. eingeräumt werden, und esempfiehlt sich, Kinder ausdrücklich dazu zu ermutigen, eige-ne Entscheidungen zu treffen.

SchlussbetrachtungIm vorliegenden Beitrag wurden zahlreiche Möglichkeiteneiner Psychischen Ersten Hilfe bei Kindern in Notfällenerläutert, wobei letztlich immer die Anleitung zu eigenerAktivität bzw. zu hilfreicher Beschäftigung im Vordergrundstehen sollte.Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der organisato-rischen bzw. der auf die Ausstattung bezogenen Vorberei-tung entsprechender Einsatzsituationen eine große Bedeu-tung zukommt: Zahlreiche Materialien (Teddybären,Decken, Getränke, Malstifte, Papier, Knete und Spielzeug)müssen in ausreichenden Mengen vorhanden und vor allemrasch verfügbar sein.Für die Koordination der Betreuung betroffener Kindersollte außerdem ein Mitarbeiter zur Verfügung stehen, dernach Möglichkeit sowohl über eine einsatztaktische bzw.führungstechnische als auch über eine pädagogische Quali-fikation verfügt.

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39Grundsätzlich gilt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen;unter Umständen trauern sie völlig anders als Erwachsene.Dieses Merkblatt beinhaltet Hinweise für die PsychischeErste Hilfe (PEH) bei trauernden Kindern, die nur basierendauf einer Literaturanalyse zusammengestellt worden sind.Eine umfassende Ausbildung kann durch dieses Merkblattkeinesfalls ersetzt werden!

Leitgedanken der PEH bei trauernden Kindern:Kinder sollten so trauern können und dürfen, wie sie es tun. Kinder und Erwachsene sollten möglichst gemeinsamtrauern können.

Häufige Irrtümer bei der Betreuung trauernder Kinder:1. »Kinder sollten von allem, was mit Tod und Trauer

zu tun hat, möglichst ferngehalten werden!« – Kinderspüren ohnehin die Trauer der Erwachsenen. Werdensie jetzt (z. B. von den Vorbereitungen für die Beerdi-gung und der Teilnahme an der Trauerfeier) ausgegrenzt,empfinden sie dies unter Umständen als Bestrafung undentwickeln Schuldgefühle, weil sie sich für den Tod desVerstorbenen verantwortlich fühlen.

2. »Dein Onkel ist friedlich eingeschlafen.« – Solche Aus-flüchte führen unter Umständen dazu, dass KinderÄngste vor dem Schlaf entwickeln: Sie können meta-phorische Wortbedeutungen meist nicht erkennen.

3. »Dein Bruder ist jetzt im Himmel!« – Solche Äußerungensind aus Sicht eines Kindes nicht zu vereinbaren damit,dass der Verstorbene beerdigt worden ist.

4. »Kinder sind zu klein, um das Geschehene bzw. denTod eines Menschen zu verstehen.« – Zwar stimmt es,dass Kinder Erklärungsansätze entwickeln, die sich vondenen der Erwachsenen oftmals deutlich unterscheidenund mitunter zweifellos irrational sind; dies ändertaber nichts daran, dass sich viele Kinder gedanklichsehr intensiv und in zahlreichen Zusammenhängendurchaus mit dem Tod beschäftigen. Das vorhandeneInteresse an dieser Thematik sollte nicht übersehen, unddie Thematik selbst sollte schon gar nicht tabuisiertwerden!

PsychischeErste Hilfebei trauerndenKindernWINNETOUvon Dipl.-Päd. Harald KarutzMitglied des BeiratsVerwaiste Elternin Deutschland e.V.

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PsychischeErste Hilfebei trauerndenKindernWINNETOU

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WINNETOU: Regeln zur Betreuung

W enden Sie sich trauernden Kindern zu!Schenken Sie trauernden Kindern besondere Aufmerksam-keit, zeigen Sie Ihre Liebe und Zuneigung; Vermitteln SieSicherheit, indem Sie z. B. Absprachen zuverlässig einhaltenund für einen klar strukturierten (halt gebenden) Tages-ablauf sorgen.

I nformieren Sie trauernde Kinder!. . . über die laufenden Vorbereitungen für das Begräbnis-ritual, die geplante Trauerfeier und das bevorstehendeAbschiednehmen. Auch die Tatsache, dass jemand gestorbenist sowie die Todesursache sollte in einfachen Worten mit-geteilt werden.

N icht einengen, zensieren, bevormunden!Lassen Sie trauernde Kinder eigene Entscheidungen treffen,z. B. bezüglich der Art des eigenen Abschiednehmens, deseventuellen Ansehens eines Verstorbenen, der Auswahleines Abschiedsgrusses als Sargbeigabe etc.

N ichts verheimlichen, nicht ausschließen,sondern einbeziehen!

Lassen Sie trauernde Kinder an allem Anteil nehmen – auchan Ihrer eigenen Trauer. Erklären Sie trauernden Kindern,warum Sie selbst traurig sind und sich möglicherweiseungewohnt verhalten!

E rmutigen Sie trauernde Kinder, Fragen zu stellenund eigene Gefühle zu zeigen! Erlauben Sie trauerndenKindern, so zu trauern, wie sie es tun!Akzeptieren Sie die Art und Weise, in der ein Kind trauert,auch wenn Sie dadurch irritiert sein sollten oder eine andereVorstellung von »ordnungsgemäßer« Trauer haben! ZeigenSie Geduld, Toleranz und Verständnis – auch für Zorn,Unruhe und andere vorübergehende Verhaltensänderungen.

T hematisieren Sie (gemeinsame) Erinnerungenan den Verstorbenen! Teilen Sie Ihre Trauer!Sehen Sie sich z. B. gemeinsam Fotos oder Videos an,weinen Sie gemeinsam.

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PsychischeErste Hilfebei trauerndenKindernWINNETOU

»Verwaiste Eltern«bitten um Ihre Spende.

Bitte helfen Sie.Gleich wie viel Sie geben:Ihre Spende ist AusdruckIhres Mitgefühls.

BundesverbandVerwaiste Elternin Deutschland e.V.Bundesstelle:Fuhrenweg 321391 ReppenstedtTelefon: 04131/680 32 32Telefax: 04131/68 11 40E-Mail: [email protected]: http://www.veid.de

Bankverbindung:Bank für Sozialwirtschaft KölnSpendenkonto: 8 321 100BLZ 370 205 00

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O ffene und vor allem ehrliche Gespräche sind hilfreich,wenn Kinder sie wünschen!Das bedeutet: Texten Sie trauernde Kinder nicht zu, sondernbeantworten Sie ihre Fragen ehrlich und mit einfachenWorten.

U nternehmen Sie etwas,wenn ein Kind Schuldgefühle entwickelt und langfristig anhaltende Verhaltensänderungen zeigt!Sagen Sie ihm ggf. explizit, dass es unschludig ist und keineVerantwortung für den Tod trägt. Z. B. Daumenlutschenund Bettnässen, aber auch plötzliche Schulschwierigkeitensind Anzeichen dafür, dass professionelle Hilfe notwendigist!

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Eine (lebens)-wichtigeBegegnungvon Renate Salzbrenner

Der folgende Bericht lässt im ersten Abschnitt (Renate Salz-brenner) teilhaben an dem, wie aus Sicht einer Mutter nachdem Suizid ihres Sohnes ein unbarmherziger Ermittlungs-apparat einen Abschied verhinderte und somit Trauer er-schwerte. Der Beitrag zeigt aber auch, dass und wie einAbschied nachgeholt werden kann, wenn der Trauernde aufverständnisvolle Menschen trifft.Im zweiten Abschnitt berichtet ein Pfarrer (Oliver Gengen-bach) über dieses Geschehen aus seiner Sicht.Unser Sohn Christian nahm sich am Pfingstsonntag 1992durch Abgase das Leben.Er studierte damals in Bochum.Am Pfingstmontag erhielt mein Mann – der einzige in derFamilie, der an diesem Tag daheim in Erlangen war – denAnruf eines Bochumer Polizeibeamten: Christian sei gegen12 Uhr mittags von einem Spaziergänger tot in seinem Autoentdeckt worden.Bis unsere Tochter Annette und ich die furchtbare Nach-richt hörten, musste mein Mann damit stundenlang alleinleben.Annette und ich fuhren tags darauf nach Bochum. Wir saßeneinem nüchternen Polizeibeamten gegenüber. Er händigteuns persönliche Dinge Christians aus. Dazu erhielten wireine Liste mit Adressen von Einrichtungen, die für uns jetztwichtig wären: wie die von dem Friedhof, auf dem Christianvorübergehend aufgebahrt war.Meine Bitte nach einem Gespräch mit dem Beamten, der ihnzuerst gesehen hatte, lehnte er ab. Alles Wichtige könne eruns selbst sagen. Schließlich habe er 30 Dienstjahre hintersich.»Wo ist der Platz, an dem Christian starb?« wollte ichwissen. Er zeigte ihn uns kurz auf einem großen Stadtplan.»Gibt es ein letztes Foto von ihm?« fragt ich weiter. Er hieltuns die Schwarz-Weiß-Kopie eines Fotos entgegen, auf demich Christians Gesicht erkannte und doch wieder nicht. Allesverlief so schnell und emotionslos, als würde es sich um einenebensächliche Angelegenheit handeln.Meine letzte Frage: »Dürfen wir ihn sehen?« »Da habenschon viele den Mutigen gespielt und es nachher bitterbereut. Behalten Sie ihn in Erinnerung, wie er war«.

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Eine (lebens)-wichtigeBegegnung

Am folgenden Tag standen wir vor dem Wärter des Fried-hofs, wo Christian hingefahren wurde und wagten noch ein-mal zu fragen, ob wir ihn sehen könnten. Die Antwort warknapp und abweisend: »Seine Leiche ist polizeilich beschlag-nahmt und im Kühlfach.«Auch das ließen wir ohne Protest über uns ergehen undstellten uns für eine Weile schweigend vor die Tür, hinterder, irgendwo, lieblos aufgebahrt in einem Kühlfach, unserChristian liegen sollte.Nach der Überführung in die Leichenhalle unseres ErlangerFriedhofes sahen wir den Sarg hinter einem Glasfenster inAnwesenheit des Friedhofswärters. Wie sollten wir uns datrauen, noch einmal unsere wichtige Frage zu stellen!Ich muss etwas ergänzen: Christian besuchte uns zuletzt einhalbes Jahr vor seinem Tod. Der Umgang mit ihm warschwierig geworden und wir sollten ihn – ein Ratschlagseiner Psychotherapeutin – seinen eigenen Weg gehenlassen. Er ging ihn auf seine für uns unfassbare Weise.Fünf Trauerjahre vergingen. Immer wieder befiel mich derheftige Wunsch: Wenn ich den Spaziergänger sprechenkönnte, der Christian damals fand! Oder wenigstens denPolizeibericht einsehen oder letzte Fotos in Ruhe ansehendürfte! Irgendetwas, das mich näher als bisher an ChristiansLebensende heranlassen würde. Ein Ausgleich für die Ver-hinderung eines letzten Abschieds. Wie wichtig er für meineTrauer gewesen wäre, wusste ich nun längst.Und dann das Unglaubliche: Ich half auf dem »Markt derMöglichkeiten« des evangelischen Kirchentages in Leipzigbei einem Stand »Trauer nach Suizid«.Pfarrer Gengenbach sprach mich an: Er sei zuständig für dieevangelische Notfallseelsorge in Witten. Er wollte von mirwissen, welche Hilfe Menschen in Situationen, wie wir sieerlebt hatten, brauchten. Ich erzählte ihm von allen Bege-benheiten, bei denen wir uns allein gelassen fühlten, vorallem von der Unmöglichkeit eines letzten Lebewohls. Ichdachte nicht im geringsten daran, dass er mir auf irgendeineWeise beistehen könnte. Doch spontan sagte er: »Ich helfeIhnen.« Witten sei ja nicht weit von Bochum entfernt. Erwollte versuchen, an den damaligen Polizeibericht heran-zukommen.

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Eine (lebens)-wichtigeBegegnung

Bald darauf rief er mich in Erlangen an. Die Akten seienbei der Staatsanwaltschaft aufbewahrt. Auf einem Fest derFeuerwehr habe er einem Bekannten davon erzählt. Dieserschlug vor, seine Frau, eine Rechtsanwältin einzuschalten,die berechtigt sei, zum Anfordern der Unterlagen.Zwei Monate nach unserer ersten Begegnung saßen PfarrerGengenbach, die Rechtsanwältin und ich in der Anwalts-kanzlei um einen runden Tisch zusammen. Ein feierlicherAugenblick, als die Anwältin begann, den Bericht vondamals vorzulesen. Manchmal zögerte sie wie bei dem Wort»Leiche«. Sie wollte mir nicht wehtun. Ich weinte lautlosvor Trauer, aber auch vor tiefer Freude.Drei Fotos gab es von unserem Sohn. Wiederum ein Zögern,ob man mir das Bild, auf dem Christian – von der Polizeientkleidet – neben seinem Auto lag, zumuten könne. Ja, ichwollte alles hören und sehen. Pfarrer Gengenbach fuhranschließend mit mir zu Christians Sterbeplatz. Bis dahinwussten wir nicht genau, ob der Ort, den Annette und ichnach der kurzen Information des Polizeibeamten aufgesuchthatten, der richtige war. Nun endlich die Gewissheit: Er wares.Wir sprachen über Christians Leben und Tod und übermeine Gefühle. Dann beteten wir. Alles war ein Nachholendes verpassten Abschieds, der Versuch, mich jetzt besservom alten Christian zu lösen und seine neue Existenzanzunehmen.Indessen sehe ich es so: An der Hand von Herrn Gengen-bach sprang ich über einen Graben an ein Ufer, wo Lebenfür mich leichter wurde.Der Wahrheit

ins Auge sehenund Abschiednehmenvon PfarrerOliver GengenbachEv. KirchenkreisHattingen-Witten,Westfalen

Ich erinnere mich sehr gut an Frau Salzbrenner. Und es gibtwenige Ereignisse, seit ich in der Notfallseelsorge tätig bin, dieso schön für mich waren und an die ich mich besser erinnere.Als ich Frau Salzbrenner zufällig an dem Stand traf und sieerzählte, dass sie jahrelang ( fünf lange Jahre – das mussman sich mal vorstellen!) mit dem Tod ihres Sohnes lebenmusste, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, wieer starb und ohne sich von ihm verabschieden zu können –da wollte ich ihr gern helfen.

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45Es war im Grunde ja nicht schwierig. Wie Frau Salzbrennervon den Beamten behandelt wurde und dass niemand vor-her sich die Mühe gemacht hat, dem Bedürfnis von FrauSalzbrenner zu entsprechen, das kann ich nicht verstehen.Da ich in Witten Notfallseelsorger bin und das ganz nah beiBochum liegt, wandte ich mich mit der Bitte um Einsicht indie Akten an die Staatsanwaltschaft. Meine Überraschungwar groß, als ich in wenigen dürren amtlich distanziertenZeilen mitgeteilt bekam, dass eine solche Akteneinsicht nichtgewährt werden könne.Was mit einem Satz erwähnt hätte werden können, ist, dasses ohne Schwierigkeit möglich ist, wenn ein sog. »Organ derRechtspflege« (also z. B. ein Rechtsanwalt) die Akteneinsichtbeantrage. Warum stand das nicht in dem Brief?Diese Information bekam ich von einem Bekannten, dem ichdie Geschichte erzählte, und eine Rechtsanwältin war sofortbereit, die Akten anzufordern, um Frau Salzbrenner die Ein-sicht zu ermöglichen.Wir planten diesen Tag gut. Frau Salzbrenner sollte mit demZug kommen, ich wollte sie vom Bahnhof abholen und wirwürden dann zu der Rechtsanwältin fahren. Anschließendwollten wir zum Sterbeort von Christian fahren und danngemeinsam essen gehen. Genauso haben wir es auch gemacht.Die Rechtsanwältin und ich schauten uns zunächst ohneFrau Salzbrenner, aber mit ihrer Zustimmung, den Polizei-bericht und auch die Fotos an, die am Sterbetag von Chris-tian gemacht worden waren. Die Rechtsanwältin sagte zumir: »Nein, die Bilder kann ich ihr nicht zeigen! Ich binselber Mutter.« Ich wollte, dass Frau Salzbrenner selbst ent-scheiden kann und war eher der Meinung, dass dasAnschauen ihres toten Sohnes wichtig sei! Wir lasen dannFrau Salzbrenner aus dem Bericht vor, alles, was sie wissenwollte. Dann kam die Frage der Fotos. Ich beschrieb ihr genau,was auf den Bildern zu sehen war, und Frau Salzbrennerwollte sie unbedingt sehen. Ich erinnere mich sehr gut daran:Sie nahm die Fotos in die Hand, auch eines, das ihr die Rechts-anwältin nicht so gern zeigen wollte. Es zeigte Christian, wieer, von der Polizei ausgekleidet, neben dem Auto lag.Sie schau-te darauf und sagte dann: »Nein, das ist kein schlimmes Bild!«Diesen Satz habe ich seither in -zig Fortbildungen für Not-

Der Wahrheitins Auge sehenund Abschiednehmen

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46fallseelsorger, Polizeibeamte und Einsatzkräfte zitiert. FürFrau Salzbrenner war das kein schlimmes Bild. Um ein Viel-faches schlimmer waren die Phantasiebilder, die sie vonihrem Sohn während all der Jahre im Kopf hatte!Der Gang zum Sterbeort – ein schönes Grüngelände, dasChristian sich zum Sterben ausgesucht hatte – folgte. FrauSalzbrenner hatte Blumen und ein Gedicht mitgenommen,ich sprach ein Gebet und ein paar Segensworte. Mir kam esvor wie eine nachgeholte Beerdigung.Anschließend gingen wir gemeinsam essen, wie es nacheiner Beerdigung guter Brauch ist. Es war ein bewegenderAbschluss eines bis dahin ganz offenen, unabgeschlossenen,unerledigten Abschieds – so habe ich es empfunden. Ich warund bin dankbar, dass mit doch eigentlich so kleinem Auf-wand dies nach so vielen Jahren für Frau Salzbrenner mög-lich war. Das ist ein schönes Gefühl. Aber zurückgebliebenist für mich auch das Erschrecken über einen Ermittlungs-apparat, der ein Abschiednehmen unmöglich gemacht hat.Inzwischen – da bin ich sicher – würde ein vergleichbaresEreignis von allen Beteiligten anders gehandhabt werden.Durch spezielle Schulungen innerhalb der Polizei und auchdurch die Notfallseelsorge haben wir gelernt, dass Abschied-nehmen so ungeheuer wichtig ist. Frau Salzbrenners müh-same und schmerzvolle fünfjährige Zeit der Ungewissheithat sich so gesehen doch segensreich ausgewirkt: als Beispieldafür, was notwendig und ohne große Schwierigkeitenmöglich ist. Und dafür, dass man als nicht Betroffener dieserverbreiteten eigenen inneren Einflüsterung. »Das dürfen wirihr nicht zumuten!« nicht ohne weiteres trauen darf! Wersind wir denn, dass wir besser wüssten, was für eine Mutter,die ihr Kind verloren hat, gut ist, als diese selbst?!

Der Wahrheitins Auge sehenund Abschiednehmen

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Page 47: Hinweise für Rettungsdienste Notfallseelsorge ...€¦ · Heute haben betroffene Eltern mit Ihnen die Chance auf Begegnung – sich einlassender, zulassender, aushaltender, aber

47Liesbeth und Axel Holst waren mit ihren beiden KindernFrank und Esther eine Bilderbuch-Familie. Bis Esther am15. April 1994 kurz vor ihrem 17. Geburtstag tödlich ver-unglückte. Danach war nichts mehr wie es vorher war. Mitfairkehr-Chefredakteur Michael Adler sprachen die Holstsüber die Nacht des Unfalls, über ihre Tochter Esther, die Artund Weise wie in Deutschland mit Toten umgegangen wird,über Trauer und die Mühen, wieder leben zu lernen.»Esther war knallverliebt«, erinnert sich ihre Mutter. EineWoche war gerade vergangen, seit die Familie Holst aus demSkiurlaub in der Schweiz zurückgekommen war. JedenAbend hatte Esther aus dem Urlaub mit ihrem Freund tele-foniert. Kaum war die Familie aus dem Urlaub zurück, stander mit einem Riesenstrauß roter Rosen vor der Tür. DerStrauß steht heute noch getrocknet in Esthers Zimmer. Ander Wand hängen Bilder: Esther als Kind, mit Papa amStrand, Esther als Sportskanone mit Snowboard, mit Base-ballschläger. Esther Holst ist weiter im elterlichen Haus prä-sent, ohne dass es aufdringlich wirken würde. Sie wird nichttotgeschwiegen.»Sie war ein Bewegungstalent«, erzählt Axel Holst stolz, alswir vor den Fotos stehen. Welche Sportart auch immer sieanpackte, sie war Spitze. Baseball hatte es ihr besondersangetan, jene amerikanische Sportart, deren Regeln inDeutschland kaum einer versteht. Esther Holst spielte sehrerfolgreich bei den Bonn Capitals, sie war für die National-mannschaft nominiert. Mit vollem Einsatz hatte sie vor kur-zem den Trainerschein gemacht, mit Sondergenehmigung,

Tod amStraßenrandEstherlebt weiterAus: fairkehr 5/1999

von Michael Adler

Esther Holstmitten im Leben:Sie konnte gut Klavierspielen und Snowboarden.Sie hatte noch viele Pläne.

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48weil man dafür normalerweise 18 Jahre alt sein muss. Estherhatte sich durchgebissen. Ihre Kollegen beim Trainerlehr-gang waren alle Männer und alle um die 30. »Kerle wieSchränke«, sagt Liesbeth Holst, »und mein kleines Mädchenhat sich immer wieder Respekt verschafft.«Die Eltern hatten ihr letztes Spiel gesehen. Die Capitals hat-ten hoch gewonnen. Nach einem »Home-run« ihrer Estherhatte die Mutter sie noch gedrückt und gesagt: »Tschüß, wirgehen jetzt.« »Wir waren mit einer Bekannten aus Hollandverabredet, sonst hätten wir sie mitgenommen«, sinniertAxel Holst. Später stellte sich heraus, dass sie viele andereAngebote hatte, nach Hause zu kommen. Aber sie wollte mitihren Teamkolleginnen in diesem alten Campingbus mit-fahren, der auf dem Rücksitz keine Gurte hatte. DieFahrerin lenkte das erste Mal dieses gewöhnungsbedürftigeFahrzeug. Sie fuhr an der Unglückstelle zu schnell und ver-lor die Kontrolle. Die anderen kamen mit Verletzungendavon, nur Esther flog auf den Asphalt.»Ihre Tochter ist tödlich verunglückt.« Siegbert Heid, derVorsitzende des Bonner Baseballvereins, musste die schreck-liche Nachricht überbringen. Man kennt diese Szene ausFilmen.»Es war kurz vor Mitternacht. Ich saß auf der Couch,die Besucherin war bereits gegangen, in den Gläsern warnoch Wein«, erinnert sich Liesbeth Holst. »Plötzlich standdieser Satz im Raum. Alles, was man denkt in dieser Situa-tion ist ›Nein‹ und doch ist dieses ›Nein‹ viel mehr. Die Zeitsteht still, man ist sich schlagartig der Tragweite des Augen-blicks bewusst und doch völlig ratlos. Meine Erinnerungraste zurück, bis zur Geburt von Esther und voraus in eineZukunft, die ich mir plötzlich nicht mehr vorstellen konnte.«

Wo ist mein Kind?»Ich muss zu meiner Tochter, wo ist mein Kind?«, war FrauHolsts erste Reaktion. Esther Holst war gegen 21 Uhr nocham Unfallort gestorben – mehr als drei Stunden warenbereits vergangen. Stunden, die Mutter und Vater heutenoch fehlen. Eine Odyssee durch das nächtliche Bonnbegann. Der Vereinsvorsitzende brachte das Paar zum Bon-ner Polizeipräsidium. »Als wir dort auftauchten«, berichtetAxel Holst, »blickten die Beamten betreten auf den Boden

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anstatt in unser Gesicht, es herrschte eine Atmosphäre derBefangenheit. Offenbar war unser Vorgehen ungewöhnlich.«Er sagt das ohne Vorwurf, den Polizisten fehle einfach dieentsprechende Ausbildung.Nach längerem Drängen erfuhren die Holsts, dass ihreTochter ins Gerichtsmedizinische Institut gebracht wordenwar. Sie setzten durch, dass ein Polizeibeamter sie dorthinbegleitete. Dieses Institut ist, den Berichten der Holstszufolge, kaum auf Besuche von Angehörigen eingestellt. Dengeschockten Eltern und dem inzwischen verständigtenBruder Frank bot sich eher ein Bild wie auf einer Baustelle.In dem Durcheinander dauerte es schließlich eine dreiviertelStunde, bis Esther Holst gefunden war. »Ich hab’ sie an ihrenschwarzen Schnürschuhen sofort erkannt«, erinnert sichLiesbeth Holst an den Moment der Gewissheit.Und dann lag sie vor ihr, im gekühlten Metallsarg, dieblonde Mähne blutverklebt, der Körper äußerlich unverletzt– mit Gänsehaut. »Wann ist tot wirklich tot?«, fragt sie sichseitdem. »Ich nahm meinen Mantel, um sie zu wärmen.Und ich litt immer mehr darunter, dass ich in den vergan-genen Stunden nicht bei ihr gewesen war.« »Wenn es dirschlecht geht, werde ich immer bei dir sein«, hatte FrauHolst ihren Kindern versprochen, und kam sich jetzt wort-brüchig vor.Aber wenigstens an dieser unwürdigen Situation wollte sieetwas ändern. Wenigstens jetzt ihr noch einmal mit mütter-licher Wärme zur Seite stehen. »Mein Prachtmädchenwurde wie Abfall behandelt«, stellt Frau Holst heute nochbitter fest. »Ich muss mein Kind mit nach Hause nehmen«,forderte sie von dem irritierten Beamten, »raus aus derKälte«.Klar, dass diesem Wunsch Vorschriften entgegenstanden, dieeine Verlagerung der Toten zunächst unmöglich machten.Nach längerem Ringen war es schließlich möglich, dassEsther Holst zwei Tage später, am Sonntag, zum FriedhofSankt Augustin verlegt wurde. Der Raum war genauso kalt.Liesbeth Holst bestand darauf, dass sie Esther für die Beerdi-gung fertig machen durfte. Das Wasser, um die blutver-schmierten Haare zu waschen, musste Axel Holst mit demAuto von zu Hause heranschaffen.

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Esther(mit Baseballschläger)hatte ihre Trainerlizenzin der Tasche.

50Zwischen Tod und BeerdigungEs sind diese Tage zwischen dem Unfall und der Beerdigung,die den beiden heute noch zu schaffen machen. Axel Holsträumt ein, dass er viel früher aufgegeben hätte als seine Frau.Er hätte wahrscheinlich auf den Rat der Polizisten gehört.»Tun Sie sich das nicht an«, baten sie wohlmeinend diesuchenden Eltern. Heute weiss er, wie falsch dasgewesen wäre.»Ich war sehr stark in dieser Nacht«, sagt Liesbeth Holst,»ich hatte einfach die Kraft für meine Tochter zu kämpfen.«»Es war sehr wichtig, dass wir Esther gesucht haben, füruns und für sie. Die Würde des Menschen ist unantastbar«,zitiert der Jurist Axel Holst das Grundgesetz, »aber nur biszum Tod, danach ist es vorbei mit der Menschenwürde.«Die Wochen nach der Beerdigung waren kaum leichter. Inder ersten Zeit war das Haus noch voll. Esthers Freunde, dieFreunde der Eltern und Verwandte kamen. »Es hilft soviel,wenn einfach jemand den Arm um einem legt«, weiss Lies-beth Holst inzwischen. »Man braucht gute Freunde«, sagtihr Mann, »einige haben uns ausgehalten«. Das Unglück, einKind zu verlieren, ist derart wider die Natur, dass einige esnicht schaffen, darüber zu reden. »Bekannte wechseln plötz-lich die Straßenseite. Ein Kind zu verlieren macht einsam«,sagt Axel Holst. »Die Trauerphase der Umwelt endet irgend-wann, die Trauer der Eltern endet nie«.»Das erste halbe Jahr bin ich immer mehr weggeschlittert«,erzählt Liesbeth Holst im Rückblick. »Ziel und Pläne hatteich keine mehr«, beschreibt Axel Holst seinen Zustand.Nach zwei Wochen, ging er wieder zur Arbeit. »Ich habeden Kollegen gesagt, redet mit mir. Nichts ist schlimmer alsEsther totzuschweigen.« Das hat funktioniert. Einfach einernstgemeintes »Wie geht es Ihnen heute?« hilft schon.

Gott hat mitgeweint»Natürlich sucht man auch im christlichen Glauben nachHalt in einer solchen Krise«, schildert Axel Holst seineOrientierungsversuche. Aber jegliche Idee von göttlicherVorsehung scheint den Holsts absurd. »Die Maschine, mitder Esther zu Tode kam, war von Menschen gemacht. Eswar ein menschengemachter Tod«, sagt Axel Holst und Lies-

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beth Holst ergänzt: »Ich bin sicher, wenn Gott diesen Todgesehen hat, dann hat er mitgeweint.«Irgendwann wird beiden klar, dass die Individualstrategiebei der Bewältigung dieser persönlichen Katastrophe nichtausreicht. Es begann die mühsame Suche nach der not-wendigen psychologischen Hilfe.Am Anfang fehlt die Energie, sich zu kümmern. Und einHilfsangebot, wie bei der ICE-Katastrophe von Eschede, gibtes für Opfer und Hinterbliebene des Straßenverkehrs nicht.In Holland existiert ein Netzwerk von Selbsthilfegruppen,in denen sich Menschen mit gleichem Schicksal treffen.Liesbeth Holst ist Holländerin und hat sich informiert.»Selbsthilfegruppen funktionieren in Holland sehr gut. DieMenschen können sich in solchen Runden besser öffnen«,hat sie erfahren.

Mühsame Suche nach HilfeMehr zufällig erfuhren die Holsts von einem Verein namens»Verwaiste Eltern in Deutschland« mit Sitz in Hamburg.Dieser Verein versucht zwar sein Wirken auf ganz Deutsch-land auszuweiten, leidet aber an chronischer Geldnot. Lies-beth Holst begann eine Therapie. »In der Therapie bekommtman allerdings nicht die Hilfe, die man in der Trauer

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Vater und Tochterkurz vor Esthers Tod

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52braucht«, schildert Frau Holst ihre Erfahrung. Die Therapiewar dennoch wichtig für sie. »Sie hat mir deutlich gemacht,dass ich noch existiere«, sagt sie, »die meisten Eltern sterbenmit ihrem Kind ein Stück mit.«Eine Freundin riet ihr dann, Monika Müller von AlphaRheinland anzurufen. Sie hat die Holsts darin bestärkt, auchöffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, ihr Anliegenvon einem anderen Umgang mit Toten auch öffentlich zuvertreten.

Gespräch mit dem NotarztEin gutes Jahr nach dem Unfall schrieben sie einen Brief andie Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, in demsie die Irrungen der Unfallnacht darlegten und unter ande-rem darum baten, das Umfeld am GerichtsmedizinischenInstitut menschenwürdig zu gestalten und Polizisten imUmgang mit Angehörigen von Verkehrsunfallopfern besserauszubilden. Außerdem wollten sie endlich erfahren, was inden Stunden geschah, in denen sie ihre Tochter verlorenhatten.Die Oberbürgermeisterin antwortete prompt und einfühl-sam. Sie sorgte dafür, dass Liesbeth und Axel Holst mit denBeteiligten der Unfallnacht, dem Notarzt und den Polizistenein Gespräch führen konnten. Vater und Mutter haben dieentscheidende Lücke im Zusammenleben mit ihrer Tochterdamit ein Stück geschlossen. Auch die Details der Reanimie-rungsversuche des Notarztes waren für sie wichtig. Sie wis-sen jetzt, dass ihre Tochter nicht mehr auf der Straße unterSchmerzen nach ihnen geschrien hat. Solange sie dies nichtwussten, mussten sie es permanent fürchten.Liesbeth und Axel Holst haben aus ihren Erfahrungen aucheinen Auftrag für sich abgeleitet. »Wir wollen Eltern, Fami-lien in ähnlicher Situation die Suche nach Hilfe erleichtern«,formuliert Frau Holst das Ziel. Sie wollen die Idee derSelbsthilfegruppen hier in Deutschland verbreiten. »DiesesGespräch unter Gleichen«, sagt Axel Holst, »habe ich alssehr hilfreich empfunden. Man muss nicht alles erklären, dieGesprächspartner wissen, wie man sich fühlt. Und man rea-lisiert, dass man mit dem Unglaublichen nicht alleinedasteht.«

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In Frau Gebhardt, einer Pfarrerin in Rösrath bei Köln, habendie Holsts eine Mitstreiterin gefunden. Eine Handvoll Leutemachen mit und wollen, wie in Holland, die Betroffeneneiner Region zu einem Treffen animieren. Dabei sollen auchdie Geschwister angesprochen werden, die wie EsthersBruder Frank mit ihrer Trauer leben müssen. Liesbeth undAxel Holst haben nach fünf Jahren ihren Weg der Trauergefunden: »Wir können wieder am Leben teilnehmen. Wirbleiben Esthers Eltern. Sie wird nicht totgeschwiegen.Esther wird mit uns weiterleben.«

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Wir würden essehr begrüßen,wenn Sie durchIhre Mitglied-schaft IhreZugehörigkeitzum bundes-weiten Netz-werk der »Ver-waisten Eltern«dokumentieren.Eine Beitritts-erklärung fin-den Sie auf der3.Umschlagseite

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54Gefragt, was ich empfinde als Notarzt bei der Situation eines»Plötzlichen Kindestodes« habe ich mich an meinenWunsch erinnert, ich möchte mich umdrehen und weinen.Was von Seiten des Rettungsdienstteams auch unternom-men wird, es ist in einer solchen Situation hoffnungslos undvergeblich.Wir müssen die Eltern in der Angst, der Trauer, der Hoff-nungslosigkeit und dem Schmerz zurücklassen.Den Eltern soweit helfen zu können wie es möglich ist, daswollen wir versuchen, z. B. durch den Aufbau einer Gruppevon ausgebildeten, ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern, diesich der Aufgabe der Notfallbegleitung widmen.Gemeinsamkeit in Trauer und Not ist so hilfreich – trotzalledem.

Dr. Peter Dittmer, Notarzt

Bericht einesNotarztesbei der Situation»PlötzlicherKindstod«

»Wir müssen wiederanfangen zu leben«»Ein Jahr nach Claudias Todschlossen mein Mann undich uns einer Gruppe von›Verwaiste Eltern‹ an. Niklasging in eine Gruppe fürtrauernde Geschwister. Wirahnten – so konnten wir nichtweitermachen. Wir lebtennicht, wir existierten nur noch. In der Gruppetrafen wir andere Eltern, die alle ein Kind verloren haben. Der Schutz-panzer meines Mannes zeigte die ersten Risse und ich konnte endlich weinen –so viel ich wollte. Ich brauchte nicht stark zu sein und so zu tun, als sei alles in Ordnung.Hier hatten auch endlich all’ die Geschichten von Claudia Platz und langsam haben wir begonnen,die Zukunft zu planen – ohne sie.«

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EINZUGSERMÄCHTIGUNG

BundesverbandVerwaiste Elternin Deutschland e.V.Bundesstelle:Fuhrenweg 321391 ReppenstedtTelefon: 04131/680 32 32Telefax: 04131/68 11 40E-Mail: [email protected]: http://www.veid.deBankverbindung:Bank für Sozialwirtschaft KölnSpendenkonto: 8 321 100BLZ 370 205 00

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