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Volksschulamt Hochdeutsch als Unterrichtssprache Befunde und Perspektiven

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  • Volksschulamt

    Hochdeutsch als UnterrichtsspracheBefunde und Perspektiven

  • Vorwort 3

    1. Wo liegt das Problem? 4

    2. Zur Situation am Schulanfang 6

    3. Wenn Hochdeutsch zum Ernstfall wird 8

    4. Wenn Hochdeutsch zu Schriftdeutsch wird 10

    5. Welches Hochdeutsch solls denn sein? 12

    6. Was kann man beim Hochdeutschsprechen lernen? 14

    7. Wie viel Hochdeutsch braucht der Unterricht? 16

    8. Und wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist? 18

    Inhalt2

  • Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer sind sich denn auch

    ihrer Verantwortung fr die Sprachfrderung bewusst.

    Damit dieses Bewusstsein und die Anstrengungen,

    den Auftrag der Sprachfrderung mglichst effektiv zu

    er fllen, nicht ins Leere oder in verkehrte Richtungen

    laufen, ist eine breite Information darber notwendig, was

    wir heute wissen. Dazu will Hochdeutsch als Unterrichts

    sprache einen Anfang machen. Im Mittelpunkt steht

    dabei die gesprochene Sprache. Es ist geplant, in einer

    weiteren Broschre zum Thema zu machen, was wir tun

    knnen. Diese Folgebroschre wird Anregungen bieten,

    wie eine lebendige Hochdeutschkultur in der Schule

    erreicht werden kann.

    Ich wnsche der vorliegenden Broschre viele aufmerk

    same Leserinnen und Leser, denn das Wissen um eine

    Si tuation ist eine erste Voraussetzung dafr, dass sich

    diese Situation verndern kann. Und eine Vernderung

    hin zu einer effektiveren und bewussteren Sprach

    frderung aller tut not.

    Peter Sieber

    Pdagogische Hochschule Zrich

    Prorektor Forschung und Innovation

    Hochdeutsch ist Unterrichtssprache in unserer Schule.

    Fragen um den Gebrauch von Hochdeutsch und das

    Verhltnis von Hochdeutsch und Mundart begleiten die

    Deutschschweizer Schule, seit es sie gibt. Jede Genera

    tion muss ihre eigenen Antworten darauf f inden. Sie sind

    geprgt von dem, was man in der je aktuellen Zeit weiss,

    und durch das, was an dringenden gesellschaftlichen

    Fragen zur Lsung ansteht.

    Heute, wenn diese Broschre ihren Weg in die ffentlich

    keit f indet, sind wir in der glcklichen Lage, mehr ber

    den Erwerb und das Lernen von Sprachen zu wissen als

    je zuvor ohne allerdings bis ins Letzte Klarheit ber die

    vielfltigen und manchmal verworrenen Lernprozesse

    gewonnen zu haben.

    Heute ist aber auch in einer bisher nicht gekannten

    Weise offensichtlich, wie wichtig und notwendig mg

    lichst hohe Sprachfhigkeiten fr mglichst viele Men

    schen geworden sind. Damit ist der Auftrag an die Schule

    zur Frderung der Sprachfhigkeiten deutlicher und

    dringender geworden nicht allein aufgrund der viel

    sprachigen Zusammen setzung so mancher Klassen.

    Sprach fhigkeiten gehren zu den wichtigs ten Fhigkei

    ten, die wir fr unser heutiges Leben brauchen, sei es im

    Beruf, in der Freizeit oder in Fa mi lie und Partnerschaft.

    Sprachfhigkeit ist eine Schlsselqualif ikation. Deshalb

    kommt ihrem Auf und Ausbau so grosse Bedeutung zu.

    Wir mssen mehr als je zuvor unternehmen, um Kindern,

    Jugendlichen und auch Erwachsenen zu grsseren Sprach

    fhigkeiten zu ver helfen.

    Vorwort 3

  • 44 1. Wo liegt das Problem?

    Hochdeutsch ist Deutschschweizerinnen und Deutschschweizern durchaus vertraut. Niemand wnscht sich, dass unsere Tageszeitungen auf Schweizerdeutsch erscheinen, und niemand strt sich daran, dass in der Sendung Wetten, dass ...? Hochdeutsch gesprochen wird. Wenn wir jedoch selber Hochdeutsch sprechen sollten oder mssen, sieht die Sache pltzlich etwas anders aus.

    Hochdeutsch und Schweizerdeutsch im AlltagDas Nebeneinander von Hochdeutsch und Schweizer

    deutsch ist fr unsere alltgliche Sprachpraxis ebenso

    selbstverstndlich wie unproblematisch: Wir sprechen

    Mundart und wir schreiben Hochdeutsch. Fr die Schrift

    lichkeit ist Hochdeutsch der Normalfall, fr die mnd

    liche Kommunikation Schweizerdeutsch.

    Diese Verteilung wird zwar manchmal durchbrochen,

    etwa in der SMSSchreibpraxis Jugendlicher, in Gespr

    chen mit Fremdsprachigen oder wenn Fachleute ihre

    Statements im Fernsehen auf Hochdeutsch abgeben. Das

    sind jedoch Ausnahmen, die gleichsam besttigen, dass

    hier jemand von der sonst blichen Verteilung der beiden

    Sprach formen abweicht.

    Hochdeutsch und Schweizerdeutsch im UnterrichtEine Ausnahme bildet auch die Schule. Die Sprache des

    Unterrichts ist blicherweise Hochdeutsch oder sie

    sollte es, nach den Vorgaben der Lehrplne, zumindest

    sein. Das hat seine guten Grnde. Wo sonst knnen Kinder

    diese Form des Deutschen im mndlichen Bereich anwen

    den und jene Kompetenzen erwerben, die aus politischen,

    kulturellen und sprachlichen Grnden wnschenswert

    sind? Zudem ist Deutsch fr einen betrchtlichen Teil der

    Kinder die Zweitsprache. Diese Kinder sind in besonders

    hohem Ausmass darauf angewiesen, in der Schule mg

    lichst gute Lernbedingungen fr den Hochdeutscherwerb

    zu erhalten.

    Wenn Schule und Alltag einander in die Quere kommenEine der Ursachen dafr, dass Hochdeutschsprechen im

    Unterricht immer wieder zum Thema wird, liegt darin,

    dass Schule und Alltag einander in die Quere kommen.

    Die sprachliche Wirklichkeit im Unterricht weicht von der

    vertrauten Sprachsituation des Alltags ab. Das fhrt

    bei Lehrpersonen oft zu einer Verunsicherung, welche

    Sprachform sie im Unterricht whlen sollen. Zudem

    verfgen Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit gespro

    chenem Hochdeutsch nicht ber die gleiche Sicherheit wie

    in der vertrauten Mndlichkeit des Schweizerdeutschen.

    Beides fhrt leicht zu Ungereimtheiten:

    LehrpersonenwechselnimUnterrichthufigzwischen

    Hochdeutsch und Mundart, oft sogar fr ein zelne

    usserungen. Schlerinnen und Schler sind damit

    einem stndigen Wechselbad ausgesetzt, das nicht nur

    Fremdsprachige verwirren kann.

    Lehrpersonengehenmithochdeutschenund schwei

    zerdeutschen usserungen von Schlerinnen und

    Schlern oft unterschiedlich um. Bei schweizerdeut

    schen Beitrgen sind sie am Inhalt interessiert und

    reagieren, kommunikativ angemessen, auf Inhalte.

    Bei hochdeutschen usserungen achten sie dagegen

    auch auf sprachformale Korrektheit. Wichtig ist hier

    offenbar nicht nur, was jemand sagt, sondern auch, ob

    es sprachlich korrekt formuliert ist.

    Lehrpersonenpf legenunterschiedlicheKulturendes

    gesprochenen Hochdeutsch. Sie reichen vom Schwei

    zer Schulhochdeutsch, das sich an Normen der

    Schriftlichkeit orientiert, bis hin zu einem lebendigen

    gesprochenen Schweizer Hochdeutsch.

    Diese Ungereimtheiten haben Folgen fr das Lernen der

    Schlerinnen und Schler. Sie knnen deshalb nicht ein

    fach als Ausdruck sprachlicher Vielfalt oder als Ergebnis

    von Methodenfreiheit bagatellisiert werden.

  • 55

    Hochdeutsch zu sprechen ist in der Deutschschweiz aus der Alltagspraxis zumeist wenig vertraut. Das fhrt zu Unsicherheiten bei der Verwendung von Hochdeutsch im Unterricht. Wann und wie oft soll man Hochdeutsch als Unterrichtssprache whlen? Welches Hochdeutsch ist angemessen bzw. erwnscht? Und was ist zu bercksichtigen, damit nicht bloss Hochdeutsch gesprochen, sondern dabei auch sinnvoll und effizient gelernt wird?

  • 6 2. Zur Situation am Schulanfang

    Bereits im Vorschulalter begegnen Kinder dem gesprochenen Hochdeutsch. Es ist fr sie die Sprache einer vielfltigen, attraktiven Medienumgebung und sie verstehen gesprochenes Hochdeutsch nicht besser und nicht schlechter als gesprochene Mundart. Und nicht nur das: Kinder im Vorschulalter sind dem Hochdeutschen gegenber auch durchaus positiv eingestellt.

    Hochdeutsch von Anfang anDie Startbedingungen fr die Hochdeutschfrderung

    sind auf der Unterstufe ausgesprochen gnstig. Schulan

    fngerinnen und Schulanfnger verfgen schon ber

    eine hohe Verstehenskompetenz, die sie bereits im

    Vorschul alter erworben haben: ber Kindersendungen

    und Filme im Fernsehen, beim Spielen mit CDROMs und

    beim GeschichtenVorlesen durch Erwachsene. Untersu

    chungen in Zrcher Kindergrten haben gezeigt, dass die

    Kinder hochdeutsche Geschichten genau so gut verstehen

    wie Geschichten, die ihnen auf Schweizerdeutsch erzhlt

    werden.

    Kinder im Vorschul und Unterstufenalter sind dem

    Hochdeutschen gegenber auch positiv eingestellt. Sie

    akzeptieren Hochdeutsch ganz selbstverstndlich als

    eine Sprache neben ihrer Mundart, die ganz einfach zu

    einer bestimmten Fernsehsendung oder zu einem be

    stimmen Spiel gehrt. Oft verwenden sie Hochdeutsch

    spontan in ihren Rollenspielen, weil sie die Szenen und

    Geschichten aus ihrer Medienumwelt ja in der passenden

    Sprachform nachspielen wollen. Sie haben auch keine

    Probleme damit, wenn jemand sie auf Hochdeutsch

    anspricht, und geben ganz selbstverstndlich auf Hoch

    deutsch Antwort.

    Schulanfngerinnen und Schulanfnger sind zudem neu

    gierig darauf, diese Sprache zu erkunden und zu lernen.

    Schliesslich ist es ja die Sprache der grossen Kinder und

    der Erwachsenen, die Sprache der ungeduldig erwarteten

    Schule. Sie mchten diese Sprache genau so lernen, wie

    sie frher die Muttersprache, die Sprache ihrer Eltern,

    erwerben wollten. Fr viele zweisprachige Kinder kommt

    dazu, dass Hochdeutsch auch deshalb einen hohen Status

    hat, weil es die Sprachform ist, in der ihre Familien mit

    der Umwelt kommunizieren.

    Den Kindern zutrauen, was sie sich selber zutrauenSchulanfngerinnen und Schulanfnger sind auf den

    aktiven und herausfordernden Gebrauch des Hochdeut

    schen also gut vorbereitet. Die Chance, auf der Grund

    lage positiver Einstellungen und Erwartungen eine ganz

    selbstverstndliche und produktive Hochdeutschkultur

    aufzubauen, ist deshalb nirgends so gross wie auf der

    Unterstufe. Leider wird diese Chance oft zu wenig genutzt,

    etwa aus Angst, man knnte die Kinder berfordern, oder

    in der gut gemeinten Absicht, den Kindern die schulische

    Umgebung ber die Mundart vertraut zu machen.

    Die Angst, man knnte Kinder auf der Unterstufe mit

    Hochdeutsch berfordern, ist weitgehend unbegrndet,

    und zwar auch im Hinblick auf zweisprachige Kinder.

    Sie hat viel mit den Einstellungen von uns Erwachsenen

    gegenber dieser Sprachform zu tun, wenig mit den

    sprachlichen Fakten und noch weniger mit dem Erleben

    der Kinder.

    hnliches gilt fr die Haltung, welche die Kinder mg

    lichst lange vor der vermeintlichen Fremdsprache

    Hochdeutsch bewahren und die Schule durch den Dialekt

    vertraut machen mchte. Auch hier geht es um Vorbe halte,

    die vor allem Einschtzungen von Erwachsenen spiegeln

    und mit der Wahrnehmung der Kinder wiederum wenig

    zu tun haben.

    Damit spricht nichts dagegen, die gnstigen Startbedin

    gungen zu nutzen und im Unterricht gleich von Anfang

    an Hochdeutsch zu sprechen. Nicht anders als in der vor

    schulischen Erfahrung der Kinder ist Hochdeutsch dabei

    ganz selbstverstndlich eine Sprache der Verstndigung

    und des Spiels. Und mit der gleichen Selbstverstndlich

    keit wird sie nun zudem zur Sprache, die man bei der

    Arbeit an schulischen Themen verwendet.

  • 7Hochdeutsch kann von der Lehrperson von Anfang an problemlos als Unter richtssprache verwendet werden. Kinder sind durchaus in der Lage, Hochdeutsch zu verstehen, auch wenn sie sich selber noch nicht gleich differenziert auf Hochdeutsch ussern knnen. Das Sprachverstehen geht der eigenen Sprachverwendung immer weit voraus.

    Lehrpersonen sollen in einer vllig normalen Erwachsenensprache mit den Kindern kommunizieren und dabei ein gutes Modell fr eine lebendige gesprochene Sprache bieten. Nur so knnen die Kinder diese Sprachform in differenzierter Form erwerben.

    Die beste Sprachfrderung besteht darin, Hochdeutsch im Unterricht ganz selbstverstndlich einzusetzen und dabei auf die hoch effizienten Mechanismen des natr lichen Spracherwerbs zu vertrauen. Sprache ist dabei nicht Lerngegenstand, sondern Medium des persnlichen Ausdrucks und der Verstndigung und genau so wird sie am leichtesten und besten gelernt.

  • 8 3. Wenn Hochdeutsch zum Ernstfall wird

    Ein guter Teil der Probleme, die wir mit dem Sprechen des Hochdeutschen haben, sind hausgemacht. Unsere Einstellungen zum Hochdeutschen sind stark durch die Schule bestimmt. Dabei setzt traditionellerweise auf der Mittelstufe ein, was nachhaltige Auswirkungen hat: Hochdeutsch wird zum schulischen Ernstfall.

    Von der Fehlerdidaktik und ihren FolgenDie meisten Schlerinnen und Schler, die in die Mittel

    stufe eintreten, sprechen bereits leidlich gut Hochdeutsch

    und knnen sich in vielen Bereichen schon recht differen

    ziert ussern. Dabei gibt es natrlich noch Unsicherhei

    ten, zum Beispiel bei schwierigen Wortformen. Genau

    diese Unsicherheiten geraten nun in den Fokus einer ge

    zielten Sprachfrderung, die ihre Aufgabe vornehmlich

    darin sieht, die noch vorhandenen sprachlichen Defizite

    zu beheben.

    Davon ist auch Hochdeutsch als Unterrichtssprache be

    troffen. Hochdeutsch ist pltzlich nicht mehr einfach ein

    Kommunikationsmittel, mit dem man sich im Unterricht

    verstndigt. Die usserungen mssen auch sprachformal

    korrekt sein. Um die noch vorhandenen Defizite zu orten,

    werden die Beitrge der Schlerinnen und Schler sprach

    formal korrigiert, denn schliesslich mssen sie ja wissen,

    was sie noch nicht knnen. Das wirkt sich rasch einmal

    auf die Selbsteinschtzung aus (Hochdeutsch kann ich

    offenbar nicht so recht, ich mache immer Fehler!). Und

    weil man das, was man nicht so recht kann, in der Regel

    auch nicht sonderlich mag, entwickelt sich leicht eine

    negative Einstellung zum Hochdeutschen.

    Wenn diese Mechanismen spielen und sie spielen vor

    allem bei sprachlich schwcheren und mittelmssigen

    Schlerinnen und Schlern schnell einmal , sind die

    Konsequenzen vor allem fr Kinder aus bildungsfernen

    und fremdsprachigen Elternhusern gravierend. Der

    Mangel an sprachlichem Selbstvertrauen kann ein wich

    tiger Grund fr Schulversagen sein. Auf jeden Fall bilden

    eine negative Einschtzung der eigenen Fhigkeiten

    und eine negative Haltung zu einem Lerngegenstand so

    ziemlich die ungnstigsten Lernvoraussetzungen, die

    man sich denken kann.

    Von der Kopflastigkeit des Schweizer SchulhochdeutschLange galt in der Schule die einfache, off iziell allerdings

    nirgends festgeschriebene Faustregel, in den Unterrichts

    bereichen Sprache und Mathematik sei Hochdeutsch zu

    sprechen, whrend es im Sport und in musischen Fchern

    durchaus angemessen sei, Schweizerdeutsch als Unter

    richtssprache zu whlen.

    Diese fcherspezif ische Zuordnung hat den Vorteil, dass

    sie die beiden Sprachformen klar trennt. Allerdings

    nimmt man dabei in Kauf, dass die Schlerinnen und

    Schler Hochdeutsch in einer sehr einseitigen Verwen

    dung erfahren. Hochdeutsch wird zur Sprache der eher

    kognitiven Fcher, die mit Leistungsanforderungen und

    Selektionserfahrungen verbunden sind. Das hat Folgen.

    Auf die Dauer lsst sich nmlich kaum vermeiden, dass

    die situativen Erfahrungen aus diesen Fchern sich auch

    auf die Sprachform bertragen, die mit ihnen verbunden

    ist.

    Es ist so gesehen nicht zufllig, wenn viele Deutsch

    schweizerinnen und Deutschschweizer das Gefhl haben,

    Hochdeutsch sei im Vergleich mit Schweizerdeutsch eher

    sachlich und kopf lastig und deshalb wenig geeignet, um

    ber Persnliches oder ber Gefhle zu sprechen. Wie

    absurd diese Annahme ist, zeigt eigentlich schon ein

    Blick ber die Landesgrenzen oder in die Vorabendpro

    gramme im Fernsehen. Vor dem Hintergrund unserer

    Schul erfahrungen ist diese Einschtzung aber nachvoll

    ziehbar. Wenn die Vermittlung von Nhe und Gefhl der

    Mundart vorbehalten bleibt, knnen die Schlerinnen und

    Schler nicht erfahren, dass dies genau so gut auf Hoch

    deutsch mglich ist. Und solange diese Erfahrung fehlt,

    kann sich ein lebendiges gesprochenes Hochdeutsch nur

    schlecht entwickeln.

  • 9Beim sprachlichen Lernen ist ein entwicklungsorientierter Ansatz produktiver und effizienter als ein defizitorientierter. Die gezielte Frderung und weitere Differenzierung des bereits vorhandenen Knnens ist alleweil lernwirksamer und fr die Schlerinnen und Schler zudem mit positiven Erfahrungen verbunden.

    Die Korrekturpraxis im mndlichen Bereich ist zu hinterfragen. Ihre negativen Folgen sind gravierend und ihre Lernwirksamkeit ist fragwrdig. Korrekt sprechen lernt man ja nicht durch die blosse Imitation korrekter Formen.

    Die Koppelung des Hochdeutschgebrauchs an bestimmte Fcher, Unterrichtsformen oder Lernsituationen ist problematisch, weil Hochdeutsch dabei einseitig mit Erfahrungen aus diesen Situationen assoziiert und auf eine kopflastige Sprache reduziert wird. Das ist deshalb folgenschwer, weil sich Einstellungen zum Hochdeutschen stark ber Erfahrungen beim Sprechen aufzubauen scheinen, die dann auf das Hochdeutsche schlechthin bertragen werden.

  • Die Anforderungen an Lese und Schreibfhigkeiten sind im Beruf wie im Alltag gewachsen, Hochdeutschkompetenz wird zu einer immer wichtigeren Schlsselqualif ikation. Das Hochdeutschsprechen in der Schule wird oft einseitig als Beitrag zur Frderung dieser Schlsselqualifikation im schriftlichen Bereich gesehen, und das hat Folgen: Hochdeutsch wird unter der Hand zu Schriftdeutsch.

    Warum Hochdeutsch sprechen?Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass es wichtig ist,

    Hochdeutsch zu knnen. Wir brauchen diese Form des

    Deutschen zwingend fr das Lesen und Schreiben. Zwar

    ist fr das genaue Verstndnis eines politischen Kommen

    tars oder fr das Verfassen eines Bewerbungs schreibens

    noch einiges mehr erforderlich als die Fhigkeit, Hoch

    deutsch zu knnen. Ohne eine gute Hochdeutsch kom pe

    tenz geht es aber nicht.

    Was die mndliche Berufs und Alltagspraxis betrifft,

    sieht die Situation ziemlich anders aus. Die Notwen

    digkeit, Hochdeutsch zu sprechen, ist weitgehend an

    bestimmte Berufe gebunden. Wird im Gesprch mit

    Fremdsprachigen Hochdeutsch als Verstndigungs

    sprache gewhlt, sind in einem deutschsprachigen Gebiet

    Aufgewachsene ohnehin im Vorteil. Und wer in seiner Be

    rufs oder Lebenspraxis fter mit Deutsch sprachigen aus

    dem Ausland zu tun hat, lernt gerade dabei, Hochdeutsch

    zu sprechen, und zwar in Mustern der gesprochenen

    Sprache, die in der Schule blicherweise gar nicht vor

    kommen.

    Hochdeutschsprechen als Vorbereitung aufs Lesen und SchreibenDas Hochdeutschsprechen in der Schule wurde lange

    von den Anforderungen der Lese und Schreibpraxis

    her begrndet: Im Unterricht soll Hochdeutsch gespro

    chen werden, damit die Schlerinnen und Schler die

    frs Lesen und Schreiben erforderlichen Hochdeutsch

    kompetenzen erwerben. Diese Begrndung fhrt mit

    plausibler Logik dazu, dass sich das gesprochene Schul

    hochdeutsch an der Maxime Sprich, wie man schreibt!

    orientiert. Wenn die Mndlichkeit dazu dient, auf die

    Schriftlichkeit vorzubereiten, hat sie sich auch nach den

    Normen der Schriftlichkeit zu richten. Das gesprochene

    Schweizer Schulhochdeutsch wird so im eigentlichen

    Sinn des Wortes zur Schriftsprache und damit zu einem

    Konstrukt, das es in dieser Form nur in Schweizer Schul

    zimmern gibt.

    Wir sprechen SchriftdeutschWas es heisst, Schriftdeutsch zu sprechen, zeigt beispiels

    weise die bis heute gngige Forderung nach dem ganzen

    Satz. Diese Forderung ist fr schriftliche Texte, wo man

    blicherweise in ganzen Stzen formuliert, sicher ange

    messen. In der gesprochenen Sprache fhrt sie jedoch

    zu sonderbar knstlichen Kommunikationsmustern. So

    ist uns aus der Schule zwar vertraut, dass ein Schler auf

    die Frage An welchem Fluss liegt Basel? die Antwort zu

    geben hat: Basel liegt am Rhein. In einem ausserschu

    lischen Gesprchskontext wre eine solche Antwort nicht

    nur unblich, sondern sogar Ausdruck einer problema

    tischen Kommunikation. Wer auf die unverfnglich Frage

    Wann kommst du heute nach Hause? seinem Gegen

    ber mit Ich komme heute um acht Uhr nach Hause

    antwortet, signalisiert damit auch eine Strung auf der

    Beziehungsebene.

    Dass unser Hochdeutsch von Deutschsprachigen aus

    dem Ausland als ziemlich seltsam wahrgenommen wird,

    liegt zu einem guten Teil an dieser schriftorientierten

    Ausrichtung: Wir sprechen wie gedruckt, ein papie

    renes Deutsch, das von einem lebendigen gesprochenen

    Hochdeutsch etwa so weit entfernt ist wie der Dialog aus

    einem Klassiker von einer Gesprchsrunde im deutschen

    Fernsehen. Und weil wir zudem glauben, man msse so

    sprechen, berfordern wir uns auch andauernd selbst.

    Das Bemhen um wohl und ausformulierte Stze und die

    Angst vor sprachlichen Fehlern sind beim Sprechen nicht

    bloss unangemessen. Sie wirken sich auch ganz schn

    blockierend aus.

    4. Wenn Hochdeutsch zu Schriftdeutsch wird10

  • Die Orientierung an Normen der Schriftlichkeit fhrt zu einer knstlichen Form des gesprochenen Hochdeutsch. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, wenn Schlerinnen und Schler zu diesem schulischen Konstrukt keine positive Beziehung aufbauen knnen.

    Weil sich diese Einstellung leicht auf das Hochdeutsche generell bertrgt, hat das Folgen ber das Sprechen hinaus und belastet auch den Zugang zum Lesen und Schreiben. Die Voraussetzungen fr ein fruchtbares und effizientes Hochdeutschlernen werden damit auch fr die Schriftlichkeit ungnstig.

    Die Kultur des gesprochenen Schulhochdeutsch ist deshalb gleich im doppelten Sinn problematisch. Erstens lernen die Schlerinnen und Schler dabei nicht wirklich ein lebendiges gesprochenes Hoch deutsch. Sie erfahren Ihre Kompetenzen in echten Gesprchssituationen dann zu Recht als mangelhaft. Und zweitens werden die Schlerinnen und Schler im Hochdeutscherwerb, der fr die Lese und Schreibpraxis von fundamentaler Bedeutung ist, eher behindert als gefrdert.

    11

  • 12

    Eine positive Einstellung zum Hochdeutschen und eine wirkungsvolle Hochdeutschfrderung werden dann mglich, wenn die Schlerinnen und Schler Hochdeutsch im Unterricht als lebendige gesprochene Sprache erleben und verwenden knnen. Gesprochene Sprache unterliegt dabei andern Bedingungen als geschriebene und weist deshalb auch andere Merkmale auf.

    Merkmale gesprochener Sprache Schlerinnen und Schler verfgen zumeist ber eine

    gut ausgebildete mndliche Kompetenz in ihrer Mutter

    sprache, sei diese nun Schweizerdeutsch oder eine andere

    Erstsprache. Sie beachten intuitiv, dass man je nach

    Si tuation und Gesprchspartner anders spricht. Sie wh

    len ganz selbstverstndlich unterschiedliche Register des

    Sprechens, wenn sie z.B. Gleichaltrigen eine Geschichte

    erzhlen oder wenn sie mit Erwachsenen ber etwas dis

    kutieren. Die Aufmerksamkeit gilt dabei ganz dem Inhalt.

    Sprachformales spielt allenfalls eine Rolle, wenn es die

    Verstndigung beeintrchtigt.

    Genau dasselbe gilt, wenn Hochdeutsch Sprechende mit

    einander reden. Sie richten sich dabei nicht nach den Nor

    men der geschriebenen Sprache, sondern sprechen so, wie

    es die mndliche Situation erfordert. Die Grammatik der

    gesprochenen Sprache ist viel freier als die Grammatik des

    Geschriebenen: Gedanken werden probeweise formuliert,

    Stze werden verkrzt, abgebrochen oder umformuliert.

    Was von der Situation her ohnehin schon klar ist, muss

    nicht zustzlich sprachlich explizit gemacht werden. All

    das macht Sprache in mndlichen Situationen zu einem

    eff izienten Kommunikationsmittel.

    Unterschiedliche Register der gesprochenen SpracheDie Merkmale gesprochener Sprache zeigen sich beson

    ders ausgeprgt bei dialogischen Formen des Sprechens,

    am strksten in informellen Situationen. Hier wirkt das

    schriftorientierte Schulhochdeutsch deplatziert und

    wird im Unterricht dann auch fast automatisch durch die

    Mundart ersetzt. Das ist schade, weil die Schlerinnen

    und Schler dieses wichtige Register des gesprochenen

    Hochdeutsch damit gar nicht kennen lernen.

    hnliches gilt fr die vielfltigen Formen der Unterrichts

    kommunikation. Wenn Schriftdeutsch gesprochen

    wird, wirkt das aufgesetzt und knstlich. Die Unter

    richtskommunikation verkommt dabei zur bungsform

    frs Hochdeutschlernen. Dass sich die an Inhalten und

    kommunikativem Austausch interessierten Schlerinnen

    und Schler an solchen Gesprchen mit zunehmendem

    Alter immer weniger beteiligen mgen, berrascht des

    halb kaum.

    Etwas anders sieht es beim vorbereiteten Sprechen aus,

    das im Unterricht ebenfalls huf ig vorkommt. Wenn

    z.B. Schlerinnen und Schler vor der Klasse Ergebnisse

    einer Arbeit vorstellen, sind die Anforderungen an sprach

    liche Explizitheit und Genauigkeit wesentlich hher. Die

    Sprachverwendung wird schriftnaher, Merkmale der

    Mndlichkeit sind weniger ausgeprgt.

    Lebendiges gesprochenes Schweizer HochdeutschEine lebendige Hochdeutschkultur im Unterricht be

    rcksichtigt, dass gesprochene Sprache je nach Situation

    unterschiedlichen Anforderungen zu gengen hat und

    damit auch unterschiedliche Merkmale aufweist. Eine

    breite Hochdeutschkompetenz knnen die Schlerinnen

    und Schler nur auf bauen, wenn sie im Unterricht allen

    Registern der gesprochenen Sprache begegnen.

    Dabei darf und soll das in der Schule gepf legte Hoch

    deutsch ein selbstbewusstes Schweizer Hochdeutsch

    sein. Es ist nicht einzusehen, warum man nicht hren

    darf, dass wir aus der Schweiz kommen. Man hrt

    schliesslich auch, ob jemand aus Berlin, Mnchen oder

    Wien kommt. Gerade die regionale Lautung und regio

    nale Eigenheiten im Wortschatz machen gesprochenes

    Hochdeutsch authentisch.

    5. Welches Hochdeutsch solls denn sein?

  • 13

    Die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache sind betrchtlich. Eine lebendige Hochdeutschkultur im Unterricht wird nur mglich, wenn das bercksichtigt wird.

    Insbesondere ist zu beachten, dass es innerhalb der gesprochenen Sprache unterschiedliche Register gibt, die uns von der Mundart her durchaus vertraut sind. Damit die Schlerinnen und Schler eine breite Hochdeutschkompetenz entwickeln knnen, mssen sie im Unterricht der ganzen Vielfalt gesprochener Sprache begegnen.

    Das im Unterricht verwendete Hochdeutsch darf und soll ein gesprochenes Schweizer Hochdeutsch sein. Regionale Lautung und regionale Eigenheiten im Wortschatz machen das gesprochene Hochdeutsch authentisch und damit zu einer Sprache, in der die Schlerinnen und Schler sich heimisch fhlen knnen.

  • In der Begegnung mit gesprochenem Hochdeutsch und beim Hochdeutschsprechen lernen die Schlerinnen und Schler zunchst und vor allem, die mndlichen usserungen anderer immer besser zu verstehen und selber zunehmend kompetent Hochdeutsch zu sprechen. Das ist viel und hat seine Berechtigung in sich.

    Wenn Hochdeutschsprechen berstrapaziert wird Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der PISAStudie

    hat die Forderung, im Unterricht sei mehr Hochdeutsch

    zu sprechen, neue Aktualitt bekommen. Das berrascht,

    weil es bei dieser Untersuchung ja um Befunde ging,

    die mit der Lesekompetenz zu tun haben und nicht mit

    mndlichen Fhigkeiten. Trotzdem ist die Vorstellung,

    man knne schriftliche Texte besser verstehen, wenn im

    Unterricht mehr Hochdeutsch gesprochen werde, weit

    verbreitet.

    Traditionellerweise wurde fr das Hochdeutschsprechen

    in der Schule angefhrt, dass es der Vorbereitung aufs

    Lesen und Schreiben diene. Dabei ging man davon aus,

    dass ein Transfer vom Mndlichen ins Schriftliche quasi

    naturgegeben sei, an beiden Orten gehe es schliesslich

    um Hochdeutsch.

    Nun hat die neuere Sprach und Spracherwerbsforschung

    nachdrcklich gezeigt, wie gross die Unterschiede

    zwischen gesprochener und geschriebener Sprache

    sind und wie stark sich die Strategien der sprachlichen

    Planung in beiden Bereichen unterscheiden. Damit wird

    ein direkter Transfer unwahrscheinlich. Er ergibt sich

    zumindest nicht automatisch und wenn, dann bloss in

    Teilbereichen der sprachlichen Kompetenz.

    Hochdeutschf rderung im mndlichen und im schriftlichen BereichBeim Hochdeutschsprechen im Unterricht lernt man

    zunchst und vor allem, die usserungen anderer immer

    besser zu verstehen und eigene Beitrge zunehmend

    differenziert und situationsangemessen einzubringen.

    Damit ist viel und Wesentliches erreicht, das seinen Sinn

    und seine Berechtigung in sich hat.

    Und was ist mit der Frderung der schriftlichen Kom

    petenzen? Sie lassen sich wirkungsvoll nur innerhalb

    einer reichhaltigen Praxis des Umgangs mit schriftlichen

    Texten frdern. Lesen und Schreiben lernt man in erster

    Linie beim Lesen und Schreiben und nicht innerhalb der

    mndlichen Unterrichtskommunikation.

    Vom produktiven Nebeneffekt einer lebendigen HochdeutschkulturAuf einer ganz anderen Ebene kann allerdings auch das

    Hochdeutschsprechen im Unterricht einen Beitrag leisten,

    um die Hochdeutschkompetenzen der Schlerinnen und

    Schler ber die Mndlichkeit hinaus zu frdern. Wenn

    im Unterricht eine lebendige Kultur des gespro chenen

    Hochdeutsch gepf legt wird, werden die Schlerinnen

    und Schler keine ablehnenden Haltungen und negativen

    Selbsteinschtzungen auf bauen. Sie erleben Hochdeutsch

    ebenso selbstverstndlich als Sprache der Verstndigung

    und der Auseinandersetzung mit Inhalten wie das Schwei

    zerdeutsche. Diese positive Erfahrung schafft gnstige

    Lernvoraussetzungen, die durchaus auch dem anspruchs

    volleren Schriftspracherwerb zugute kommen.

    6. Was kann man beim Hochdeutschsprechen lernen?14

  • Die Verwendung von Hochdeutsch als Unterrichtssprache frdert zuerst und vor allem die mndlichen Kompetenzen und nur sehr bedingt die schriftlichen. Dafr sind die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu gross. Ein einfacher Transfer ist deshalb nicht zu erwarten.

    Das Transferproblem stellt sich auch, wenn im Unterricht ein schriftorientiertes Schulhochdeutsch gesprochen wird. Die Ertrge fr die Schriftlichkeit sind dabei ebenfalls gering und die Nebenwirkungen derart kontraproduktiv, dass davon dringend abzuraten ist.

    Als einfache Maxime fr die Hochdeutschfrderung kann gelten: Lesen und Schreiben lernt man beim Lesen und Verfassen von Texten; Hochdeutsch Sprechen lernt man in Situationen der mndlichen Sprachverwendung. Je reichhaltiger die Lese und Schreibpraxis im Unterricht ist und je vielfltiger, lebendiger und umfassender die im Unterricht praktizierte Kultur des gesprochenen Hochdeutsch, desto wirkungsvoller ist die Sprachfrderung, die dabei mglich wird.

    15

  • 16

    Hochdeutsch als Unterrichtssprache soll nicht mit falschen Erwartungen hinsichtlich der Lese und Schreibfrderung verknpft und damit zum Knigsweg fr den gesamten Hochdeutscherwerb hochstilisiert werden. Nur dann kann man angemessen damit umgehen. Dabei ist die Frage der Quantitt nicht allein entscheidend, die Qualitt rckt in den Vordergrund.

    Quantitt zahlt sich nur aus, wenn die Qualitt stimmt Es leuchtet unmittelbar ein, dass Quantitt sich nur aus

    zahlt, wenn auch die Qualitt stimmt. Wer das Falsche

    trainiert oder beim Training falsch vorgeht, riskiert, dass

    der ganze Aufwand umsonst gewesen ist. Im schlimme

    ren Fall kann das Training gar zu irreparablen Schden

    fhren. Das Bemhen, im Unterricht eine lebendige und

    vielfltige Kultur des gesprochenen Hochdeutsch zu

    schaffen, muss deshalb im Vordergrund stehen.

    Ebenso klar ist, dass es ohne Quantitt nicht geht. Die

    beste Lernsituation ntzt wenig, wenn sie punktuell

    bleibt. Dies gilt besonders ausgeprgt fr die komplexen

    Prozesse sprachlichen Lernens, die sehr viel Zeit brau

    chen. Eine wirkungsvolle Frderung der mndlichen

    Hochdeutschkompetenz ist deshalb nur mglich, wenn

    im Unterricht hauptschlich und dann konsequent in

    allen Situationen Hochdeutsch gesprochen wird. Die

    eindeutige Gewichtung zugunsten des Hochdeutschen

    ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil Kinder in der

    Deutschschweiz fast nur in der Schule Gelegenheit haben,

    Hochdeutsch zu sprechen.

    Vielsprachigkeit statt sprachlicher MonokulturGelegentlich wird heute gefordert, im Unterricht sei aus

    schliesslich Hochdeutsch zu sprechen, denn je hufiger

    man etwas mache, desto mehr schaue dabei heraus. Nun

    hat es allerdings Konsequenzen, wenn die Mundart als

    Sprachform des ausserschulischen Alltags in der Schule

    nicht mehr prsent ist und wenn die Erstsprachen der

    fremd und zweisprachigen Kinder ignoriert werden.

    Damit wrde etwas festgeschrieben, was in andern Be

    reichen bereits lnger als problematisch erkannt ist: die

    Freizeitlektre der Kinder und Jugendlichen wird in der

    Schule kaum wahrgenommen; ihre ausserschulische

    Schreibpraxis hat wenig oder nichts mit den schulischen

    Schreiberfahrungen zu tun. Diese Kluft zwischen Schule

    und ausserschulischem Alltag wird in neueren didak

    tischen Anstzen berbrckt. Es ist nicht einzusehen,

    warum sie gleichsam reaktiviert werden soll, indem

    man die Sprachen des ausserschulischen Alltags aus dem

    Unterricht aussperrt.

    Da leuchtet schon viel eher ein, Vielsprachigkeit als

    Chance zu nutzen. Vielsprachigkeit heisst in der Deutsch

    schweiz u.a. auch, ber zwei Formen des Deutschen zu

    verfgen und beide Formen mglichst kompetent zu

    beherrschen. Wenn im Unterricht nur noch Hochdeutsch

    vorkme unter Ausschluss von Mundart und anderen

    Erstsprachen , wre dies nicht bloss einseitig, sondern

    auch Ausdruck einer Verarmung. Sprachliche Vielfalt

    wrde auf eine sprachliche Monokultur reduziert.

    Die Frderung mundartlicher KompetenzenWenn Qualitt und Quantitt der mndlichen Hoch

    deutschkultur im Unterricht stimmen, bleibt auch Raum

    fr die gezielte Frderung mundartlicher Kompetenzen.

    Die Aufgabe der Schule in diesem Bereich ist zwar be

    grenzt, aber deshalb nicht unwichtig. In ihrem Alltag

    erleben die Kinder die Mundart weitgehend nur in Situa

    tionen des Spiels und in vertrauten Gesprchskontexten.

    Wo aber knnen sie erfahren, dass die Mundart auch eine

    Sprache des Diskurses oder der differenzierten Ausein

    andersetzung mit komplexen Themen sein kann? Gerade

    im Hinblick auf die sptere Berufs und Lebenspraxis ist

    entscheidend, dass entsprechende Kompetenzen auch

    in der Mundart zur Verfgung stehen. Nun fallen einem

    diese Kompetenzen nicht einfach zu. Wenn die Schule

    ihrem Bildungsauftrag nachkommen will, hat sie mit klar

    deklarierten gelegentlichen Mundartsequenzen auch hier

    einen wichtigen Beitrag zu leisten.

    7. Wie viel Hochdeutsch braucht der Unterricht?

  • 17

    Da sprachliche Lernprozesse viel Zeit brauchen, ist eine wirkungsvolle Hochdeutschfrderung nur mglich, wenn im Unterricht hauptschlich und dann konsequent in allen Situationen Hochdeutsch gesprochen wird. Quantitt zahlt sich allerdings nur dann aus, wenn auch die Qualitt stimmt.

    Wenn Qualitt und Quantitt der mndlichen Hochdeutschkultur im Unterricht stimmen, bleibt auch Raum fr gezielt eingesetzte Mundartsequenzen. Dabei knnen die Schlerinnen und Schler lernen, anspruchsvolle und aus dem Alltag noch wenig vertraute Situationen in der Mundart zu bewltigen.

    Vielsprachigkeit soll auch im Unterricht als Chance genutzt werden. Die Reduktion auf eine hochdeutsche Monokultur fhrt nicht bloss zu einer Verarmung, sondern auch zu einer Situation, die der sprachlichen Realitt in der Deutschschweiz nicht entspricht.

  • Unsere Schulklassen sind heute nicht nur insofern mehrsprachig, als die Kinder ber zwei Formen des Deutschen verfgen. Viele Kinder erwerben Deutsch als Zweitsprache. Das ist bei der Diskussion um Hochdeutsch als Unterrichtssprache und bei allen Bemhungen um Sprachfrderung zu bercksichtigen.

    Hochdeutsch als ZweitspracheFremd und zweisprachige Schlerinnen und Schler

    sind in besonders hohem Ausmass darauf angewiesen,

    mglichst gnstige Bedingungen fr den Hochdeutsch

    erwerb zu erhalten. Schliesslich ist Deutsch fr sie eine

    Zweitsprache, die sie zustzlich zu ihrer Muttersprache

    lernen mssen.

    Nun lernt man eine Zweitsprache zum Glck nicht wesent

    lich anders als die eigene Muttersprache, sofern die Be

    dingungen dafr gnstig sind. Etwas pauschali sierend

    kann man deshalb davon ausgehen, dass fr Fremd

    sprachige die gleichen Lernsituationen frderlich sind

    wie fr muttersprachlich Schweizerdeutsch sprechende

    Kinder. Allerdings bentigen Kinder nichtdeutscher

    Muttersprache wie auch Kinder mit geringer Unter

    sttzung im ausserschulischen Feld zustzliche Hilfen

    beim Deutscherwerb.

    Hochdeutsch als Sprache der schulischen Selektion Hochdeutsch ist die Sprache der schulischen Selektion

    fr alle Schlerinnen und Schler. Die Forderung, Hoch

    deutsch hauptschlich und dann konsequent in allen

    Situationen als Unterrichtssprache zu verwenden, soll

    helfen, mglichst durchgehend von sprachlich einheit

    lichen Lernsituationen zu prof itieren. Dies kennen wir

    auch aus dem Fremdsprachenunterricht. Und es hilft in

    besonderem Mass den fremdsprachigen Kindern.

    Dabei darf nicht vergessen werden, dass schulische

    Selektion weitgehend auf den sprachlichen Leistungen

    im schriftlichen Bereich basiert. Hochdeutsch soll im

    Unterricht aber vor allem gesprochen werden, damit

    Hochdeutsch sprechen gelernt wird.

    Mundart als Sprache der sozialen IntegrationAuch fr Fremdsprachige ist es wichtig, die Mundart ver

    stehen und beherrschen zu lernen. Die Mundarten sind ja

    die Sprache der sozialen Integration. Vieles lernen Fremd

    sprachige in der Freizeit und von Gleichaltrigen. Viele

    knnen aber nur in der Schule lernen, Anspruchsvolles in

    Mundart zu verhandeln. Deshalb braucht es auch bewusst

    gewhlte und jeweils klar deklarierte Situationen, in

    denen das gelernt werden kann. Dies ndert jedoch nichts

    an den Prioritten, die fr alle Schlerinnen und Schler

    gelten.

    Optimaler Spracherwerb in der SchuleOptimaler schulischer Spracherwerb ist mglich in

    einer angstfreien Atmosphre, bei guter, verstndlicher

    und reichhaltiger sprachlicher Vorgabe, in vielfltigen

    Handlungssituationen und mit bewusster Frderung von

    Strategien und Sprachaufmerksamkeit. Fr den Hoch

    deutscherwerb wird das am besten mglich, wenn fr

    alle Schlerinnen und Schler beim Sprachgebrauch

    in der Schule die gleichen positiven Faktoren beachtet

    werden.

    Positive Wirkungen fr die mndliche Hochdeutsch

    frderung gehen aus von

    einer Kultur des lebendigen gesprochenen Hoch

    deutsch im Unterricht

    der positiven Erfahrung der eigenen Hochdeutsch

    kompetenzen

    einem Umgang der Lehrpersonen mit mndlichen

    usserungen von Schlerinnen und Schlern, der kom

    munikativ angemessen an den Inhalten orientiert ist

    einemUnterricht,indemhauptschlichunddannkon

    sequent in allen Situationen Hochdeutsch gesprochen

    und ein Wechsel zur Mundart jeweils klar deklariert

    wird

    einemUnterricht,indemdieVariettenHochdeutsch

    und Mundart in ihren Unterschieden und Gemeinsam

    keiten altersgerecht bewusst gemacht und thematisiert

    werden

    einemUnterricht, der die sprachlicheVielfalt in der

    Klasse bercksichtigt und als Chance nutzt.

    8. Und wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist?18

  • Fremd und zweisprachige Kinder sind in besonders hohem Ausmass auf gnstige Bedingungen fr den Spracherwerb an gewiesen. Dabei kann man davon ausgehen, dass fr sie die gleichen Lernsituationen frderlich sind wie fr muttersprachlich Schweizerdeutsch Sprechende. Darber hinaus brauchen besonders Fremdsprachige zustzliche, auf ihre speziellen Bedrfnisse ausgerichtete Lernangebote.

    Die gelegentlich nur im Hinblick auf Fremd sprachige gestellte Forderung, im Unterricht sei hauptschlich und dann konsequent in allen Situationen Hochdeutsch zu sprechen, gilt fr alle Schlerinnen und Schler. Ebenso braucht es fr alle eine gut ausgebaute Kompetenz in der Mundart, die nicht in allen Teilen ausserhalb der Schule aufgebaut werden kann.

    Dies ndert jedoch nichts an den Prioritten, die fr alle Schlerinnen und Schler gelten: die hauptschliche und konsequente Verwendung des Hochdeutschen als Unterrichtssprache mit klar deklarierten Wechseln bei gelegentlichen Mundartsequenzen.

    19

  • Bildungsdirektion des Kantons Zrichwww.bildungsdirektion.zh.ch | www.volksschulamt.zh.ch

    Hochdeutsch als Unterrichtssprache

    Herausgegeben von:

    Bildungsdirektion des Kantons Zrich

    Volksschulamt

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    Redaktion

    Thomas Bachmann, Bruno Good

    Bilder

    Donat Brm

    Gestaltung und Produktion

    iwan raschle,

    raschle & partner SWB

    Juni 2003

    Bildungsdirektion des Kantons Zrich

    Pdagogische Hochschule Zrich