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HOHENZOLLERISCHE HEIMAT E 3828 Herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein 49. Jahrgang Nr. 1 / März 1999 Der Übergangskreistag für den neuen Landkreis Sigmaringen am Eingang der Kreisberufsschule in Meßkirch am 27. April 1973. Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen. EDWIN ERNST WEBER: Die Entstehung des »Großkreises« Sigmaringen vor 25 Jahren Der Landkreis Sigmaringen in seiner heutigen Gestalt konnte am 1. Januar 1998 seinen 25. Geburtstag feiern. Das - abgesehen von gelegentlichen Reibereien und kleineren Rivalitäten - zumeist einvernehmliche und kooperative Zu- sammenwirken der im Landkreis zusammengeschlossenen 25 Städte und Gemeinden mit ihren etwa 130 000 Bewoh- nern im zurückliegenden Vierteljahrhundert hat weitge- hend vergessen lassen, unter welch massiven politischen Auseinandersetzungen und Erschütterungen der neue Ver- waltungsbezirk zu Beginn der 1970er Jahre zustande ge- kommen ist. Wohl an nur wenigen Brennpunkten in Baden- Württemberg war seinerzeit die von der damaligen CDU- SPD-Koalition unter Ministerpräsident Hans Filbinger betriebene große Kreisreform derart heiß umstritten wie im Bereich Sigmaringen-Saulgau-Pfullendorf-Meßkirch, wo bis 1973 die »äußeren« Kreisgrenzen noch immer mit den zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen dem Königreich Württemberg, dem Großherzogtum Baden und dem Für- stentum Hohenzollern-Sigmaringen gezogenen Landes- grenzen identisch waren. Für den seit 1952 im gemeinsamen Bundesland Baden- Württemberg zusammengeschlossenen deutschen Südwe- sten war dabei die Kreisreform von 1972/73 bereits die zweite Gebietsneugliederung innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten: Im damaligen preußischen Regierungsbezirk der Hohenzollerischen Lande waren 1925 die Oberämter Sigmaringen und Gammertingen zum Landkreis Sigmarin-

Hohenzollerische Heimat Jg49 1999

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H O H E N Z O L L E R I S C H E

HEIMAT

E 3828

Herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein

49. Jahrgang Nr. 1 / März 1999

Der Übergangskreistag für den neuen Landkreis Sigmaringen am Eingang der Kreisberufsschule in Meßkirch am 27. April 1973. Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen.

EDWIN ERNST WEBER:

Die Entstehung des »Großkreises« Sigmaringen vor 25 Jahren

Der Landkreis Sigmaringen in seiner heutigen Gestalt konnte am 1. Januar 1998 seinen 25. Geburtstag feiern. Das - abgesehen von gelegentlichen Reibereien und kleineren Rivalitäten - zumeist einvernehmliche und kooperative Zu-sammenwirken der im Landkreis zusammengeschlossenen 25 Städte und Gemeinden mit ihren etwa 130 000 Bewoh-nern im zurückliegenden Vierteljahrhundert hat weitge-hend vergessen lassen, unter welch massiven politischen Auseinandersetzungen und Erschütterungen der neue Ver-waltungsbezirk zu Beginn der 1970er Jahre zustande ge-kommen ist. Wohl an nur wenigen Brennpunkten in Baden-Württemberg war seinerzeit die von der damaligen C D U -SPD-Koalition unter Ministerpräsident Hans Filbinger betriebene große Kreisreform derart heiß umstritten wie im

Bereich Sigmaringen-Saulgau-Pfullendorf-Meßkirch, wo bis 1973 die »äußeren« Kreisgrenzen noch immer mit den zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen dem Königreich Württemberg, dem Großherzogtum Baden und dem Für-stentum Hohenzollern-Sigmaringen gezogenen Landes-grenzen identisch waren.

Für den seit 1952 im gemeinsamen Bundesland Baden-Württemberg zusammengeschlossenen deutschen Südwe-sten war dabei die Kreisreform von 1972/73 bereits die zweite Gebietsneugliederung innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten: Im damaligen preußischen Regierungsbezirk der Hohenzollerischen Lande waren 1925 die Oberämter Sigmaringen und Gammertingen zum Landkreis Sigmarin-

gen und die Oberämter Hechingen und Haigerloch zum Landkreis Hechingen vereinigt worden. Die badische Ge-bietsreform von 1936 hatte den bisherigen Amtsbezirk Pfullendorf zu Uberlingen und den Amtsbezirk Meßkirch zu Stockach geschlagen, und die württembergische Verwal-tungsneugliederung von 1938 schließlich brachte die Zu-sammenlegung der Oberämter Saulgau und Riedlingen zum neuen Landkreis Saulgau. Obgleich alle diese von »oben« verordneten Gebietsreformen zumal bei vielen Bewohnern der aufgelösten Bezirke zunächst auf beträchtliche Vorbe-halte gestoßen waren und in den neuen Landkreisen ein unübersehbarer Dualismus zwischen den neuen »Kreis-hauptstädten« und den früheren Amtsstädten herrschte, entwickelte sich in den neugeschaffenen Verwaltungsbezir-ken erstaunlich rasch ein intensives Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Dazu trug in hohem Maße sicherlich die gemeinsam bewältigte Notzeit in den Kriegs-und Nachkriegsjahren bei.

Der Kampf um den Landkreis Saulgau

Vor diesem Hintergrund stießen die im neuen Bundesland Baden-Württemberg bereits seit der Mitte der 1950er Jahre diskutierten Pläne für eine neuerliche Kreisreform allent-halben auf entschiedenen Widerstand in den Landkreisen. Es bedurfte der Durchsetzungskraft einer Großen Koaliti-on von 1966 bis 1972, um in der Reformeuphorie jener Jah-re eine radikale Neueinteilung der Verwaltungsbezirke weitgehend ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Zu-sammenhänge und Zugehörigkeiten durchzusetzen. Ein 1969 vorgelegtes Denkmodell der Landesregierung (sog. Krause- oder 25er-Modell) hatte sogar eine Reduzierung von bisher 63 auf 25 Landkreise vorgesehen und in unserem Raum die Bildung der Großkreise Sigmaringen-Saulgau, Konstanz-Stockach-Uberlingen, Ravensburg-Tettnang-Wangen sowie Ulm-Biberach-Ehingen vorgeschlagen. In Saulgau und zumal beim dortigen Landrat Dr. Wilfried Steuer stieß dieser Plan einer Fusionierung mit dem hohen-zollerischen Nachbarkreis Sigmaringen sowie kleineren Teilen der Kreise Stockach (Raumschaft Meßkirch/Stetten a. k. M.), Ehingen und Münsingen (Bereich Zwiefalten) so-fort auf massive Ablehnung. In wiederholten Entschließun-gen des Kreistags sowie zahlreicher Gemeinderäte sprach man sich statt dessen für den Erhalt des Landkreises Saulgau in seiner bisherigen Gestalt oder aber, falls dies nicht mach-bar sein sollte, für einen Zusammenschluß mit Biberach zu einem »mitteloberschwäbischen« Großkreis aus. Zwei im Juli 1970 vorgelegte Kommissions-Gutachten (Dichtel-bzw. Reschke-Gutachten) trugen dieser Stimmung Rech-nung und sahen im Gesamtzusammenhang von nunmehr insgesamt 38 bzw. 36 Landkreisen einen Großkreis Bibe-rach-Saulgau sowie einen Großkreis Sigmaringen einsch-ließlich des württembergischen Mengen sowie der badi-schen Raumschaften Pfullendorf und Meßkirch vor. Aller-dings sollten nach den beiden Gutachten sämtliche neuen Kreise in insgesamt 12 bzw. 13 Regionalverbände mit weit-reichenden Planungszuständigkeiten integriert werden - im Fall von Biberach-Saulgau sollte dies die Region Donau-Riß mit Sitz in Ulm und im Fall von Sigmaringen die Regi-on Oberschwaben/Ravensburg sein.

Eben diese Zuordnung nach Ulm, die Anfang 1971 in einer Stuttgarter Regierungsvorlage übernommen wird, läßt in der Stadt Saulgau sowie den benachbarten Göge-Gemein-den einen »Bürgeraufstand« ausbrechen, wie ein Zeitungs-bericht aus jenen hektischen Wochen vermeidet. Ende Janu-ar 1971 bildet sich in Saulgau eine Bürgerinitiative, die in-nerhalb kürzester Zeit 1250 Unterschriften für einen Anschluß der Stadt und ihres Umlandes an den neuen Kreis

Sigmaringen und mit diesem an die Region Oberschwa-ben/Ravensburg sammelt. »Wir haben nicht zwischen Bibe-rach und Sigmaringen, sondern zwischen Ulm und Ravens-burg zu wählen. Diese Entscheidung kann nur Ravensburg heißen, wenn wir auch in Kauf nehmen müssen, daß der Weg dorthin zunächst über Sigmaringen geht«, heißt es in einem Flugblatt der Bürgerinitiative. Im Großkreis Bibe-rach wäre das am Rande gelegene und des größten Teils sei-nes Umlandes beraubte Saulgau das fünfte Rad am Wagen, während die Stadt bei Sigmaringen ihren Verflechtungs-und Nahbereich erhalten und überdies eine angemessene Rolle im Kreis-Konzert spielen könne. Bereits am 4. Febru-ar trifft sich der Saulgauer Gemeinderat, der sich noch im Dezember des Vorjahres mit 16 gegen eine Stimme für den Anschluß an Biberach ausgesprochen hatte, in Ostrach zu einem ersten Informationsgespräch mit dem Sigmaringer Kreisrat, und am 18. März stimmt das Stadtparlament in ei-ner Sitzung von seltener Dramatik mit zehn gegen sechs Stimmen für die Zuordnung zum künftigen Großkreis Sig-maringen. »Wir sollten dahin gehen, wo die meisten Freun-de sitzen«, rechtfertigt Bürgermeister Günther Strigl den Sinneswandel und sieht nunmehr bei Sigmaringen weitaus bessere Entfaltungs- und Gestaltungschancen für seine Stadt als bei Biberach. Vergeblich bleibt die Intervention von Stadtrat Blank, der sich gegen den »lebensschwachen« Kreis Sigmaringen ausspricht, der nur seiner Tradition we-gen aufrechterhalten werden solle und dem Saulgau zum Auffüllen diene.

Nahezu zeitgleich zu Saulgau kippt auch in zahlreichen Umlandgemeinden der Stadt die Stimmung zugunsten eines Anschlusses an Sigmaringen um. Nachdem sich auch in der Göge eine Pro-Sigmaringen-Bürgerinitiative gebildet hatte und binnen kurzer Frist an die 1000 Unterschriften zusam-mengekommen waren, sprechen sich zwischen Ende Febru-ar und Anfang April 1971 die Gemeinden Bremen, Hohen-tengen-Beizkofen, Oelkofen, Günzkofen und Ursendorf und sodann auch Herbertingen und Marbach bei Bürgeran-hörungen oder Gemeinderatsbeschlüssen mit großer Mehr-heit für ein Zusammengehen mit Sigmaringen aus. Der Son-derausschuß des Landtags für die Verwaltungsreform und sodann auch das Landesparlament selbst respektieren die-sen Meinungsumschwung und weisen den Mittelbereich Saulgau nebst der Göge und dem Raum Herbertingen dem künftigen Großkreis Sigmaringen zu. Landrat Dr. Steuer bleibt nur die verbitterte Klage über die zu einem erhebli-chen Teil selbstverschuldete Auflösung und Vierteilung des Kreises Saulgau, dessen Gemeinden auf die neuen Kreise Bi-berach, Sigmaringen, Ravensburg und Reutlingen aufgeglie-dert werden.

Strittige Zuordnung des oberen Linzgaus

Von kaum geringerer Brisanz und Dramatik ist das Kreisre-form-Geschehen im oberen Linzgau: Nachdem der Nord-teil des bisherigen Landkreises Überlingen zunächst dem geplanten Großkreis Konstanz-Überlingen-Stockach und sodann dem neu zu bildenden Seekreis Friedrichshafen zu-geordnet werden soll, kommt es in Pfullendorf im Frühjahr 1971 zu einem nach Auffassung vieler Umlandgemeinden »urplötzlichen« Meinungsumschwung und zu einem Ge-meinderats-Votum zugunsten eines Anschlusses an Sigma-ringen. Ähnlich wie die Saulgauer sehen auch die Pfullen-dorfer im neuen Kreis Sigmaringen bessere Mitbestim-mungs- und Entfaltungschancen als an der Peripherie des Seekreises. Ein Teil der Umlandgemeinden will diesen Pful-lendorfer Schwenk gen Sigmaringen indessen nicht mitma-chen und fühlt sich von der Stadt »überfahren«. Hattenwei-ler und Taisersdorf halten weiterhin am Seekreis fest, und

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5 o b c t t 3 o U c r t f ö c t a u b e ^

Mitteilungen aus dem Geschichtsverein

Veranstaltungen im 2. Quartal 1999

I. Mitgliederversammlung

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen Ge-schichtsvereins e.V. findet am Montag, 10. Mai, um 18.30 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sig-maringen statt. Hierzu sind alle Mitglieder des Vereins herzlich eingeladen.

Programm:

1. Begrüßung und Nachrufe,

2. Bericht des Vorsitzenden,

3. Bericht des Schatzmeisters,

4. Rechnungsprüfungsbericht zum 31.12.1998

5. Sonstiges

Weitere Tagungsordnungspunkte oder Ergänzungen sind bis spätestens 3. Mai 1999 an das Sekretariat des Ge-schichtsvereins, Karlstraße 1/3, 72488 Sigmaringen (Tel. 07571/101-558) zu richten.

Im Anschluß an die Mitgliederversammlung findet um 20 Uhr am gleichen Ort ein öffentlicher Vortrag statt. Dr. Jürgen Klöckler, Universität Konstanz:

Königreich Schwaben oder schwäbisch-alemannische Demokratie?

Pläne zur staatlichen Neugliederung Südwestdeutsch-lands unmittelbar nach 1945.

II. Vortrag

Prof. Dr. Götz Schneider, Universität Stuttgart:

Warum gibt es Erdbeben auf der Schwäbischen Alb?

Samstag, 8. Mai, um 20 Uhr im Feuerwehrgerätehaus in Jungingen.

Anlaß zu dem Vortrag, der gemeinsam von der Gemein-de Jungingen und dem Hohenzollerischen Geschichts-verein veranstaltet wird, bildet der Bau des ersten größe-ren Seismometers durch einen Junginger Feinmechani-

ker vor 90 Jahren in Straßburg. Im Anschluß an die Ver-anstaltung folgt ein Stehempfang.

Prof. Dr. Schneider lehrt am Institut für Geophysik der Universität Stuttgart und ist ein international angesehe-ner Erdbebenforscher.

III. Exkursion

Der Hohenzollerische Geschichtsverein veranstaltet am Samstag, 12. Juni, eine Ganztagesexkursion zur Ausstel-lung

Menschen, Mächte, Märkte - Schwaben vor 1000Jahren

nach Villingen.

Den Teilnehmern werden unter der Leitung des Vereins-mitglieds Dr. Casimir Bumiller kompetente Führungen durch die historische Stadt Villingen und die Ausstellung geboten.

Abfahrt: Sigmaringen 7.30 Uhr (Haltestelle gegenüber der Marstallpassage),

Hechingen 8.30 Uhr (Obertorplatz).

Rückkehr: Sigmaringen ca. 18 Uhr (Marstallpassage),

Hechingen ca. 19 Uhr (Obertorplatz).

Anmeldungen sind bis spätestens 9. Juni zu richten an:

- Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen:

Herrn Dr. Vees (Tel. 07471/9381-0).

- Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen:

Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558 außer montags).

IV. Vorankündigung

Die Landratsämter (Kreisarchive) Rottweil, Sigmarin-gen, Tuttlingen und Zollernalbkreis sowie der Hohen-zollerische Geschichtsverein werden am Samstag, 16. Oktober, in der Hohenberghalle in Schömberg-Schör-zingen die Vortragsveranstaltung

Vorderösterrreich an oberem Neckar und oberer Donau

anbieten. Zu dieser Veranstaltung, die musikalisch um-rahmt wird, konnten eine Reihe sachkundiger Referen-ten gewonnen werden.

gez. Dr. Becker Vorsitzender

Großschönach droht zeitweise am innerdörflichen Streit zwischen den nach Pfullendorf strebenden Aftholderber-gern und dem Uberlingen favorisierenden Kernort zu zer-brechen, ehe sich dann am 20. Juni 1971 bei einer Bürgeran-hörung eine deutliche Mehrheit für den Anschluß an den Kreis Sigmaringen findet. Die hochemotionale Auseinan-dersetzung erreicht im Mai 1971 ihren Höhepunkt, als der Pfullendorfer Bürgermeister Hans Ruck in einem offenen Brief dem Überlinger Landrat und Landtagsabgeordneten Schiess die Schuld an der mittlerweile vom Kreisreform-Sonderausschuß des Landtags beschlossenen »Zerstücke-lung« des nördlichen Linzgaus auf die künftigen Kreise Friedrichshafen, Sigmaringen und Ravensburg zuschreibt und diesem unterstellt, daß dessen zwischen Kleinstadel-hofen und Hattenweiler gelegene Jagd und Fischerei bei der neuen Grenzziehung eine Rolle gespielt haben könnte.

Der Kampf um die Feinabgrenzung der neuen Großkreise dauert bis zur letzten Minute, als im Juli 1971 der Stuttgar-ter Landtag die endgültigen Reformbeschlüsse faßt. In einer Kampfabstimmung weist dabei das Landesparlament auf Antrag des Sigmaringer Abgeordneten Franz Gog das schon an Tuttlingen verloren geglaubte Beuron doch noch dem Kreis Sigmaringen zu, während die hohenzollerischen Gemeinden Langenenslingen und Billafingen samt acht um-liegenden Saulgauer Kreisgemeinden trotz der enormen Entfernung zur neuen Kreisstadt an Biberach gehen. Gegen ihren erklärten Willen werden die fünf hohenzollerischen Hohenfels-Gemeinden dem Kreis Konstanz zugeschlagen, Winterlingen und die vier bisherigen Sigmaringer Kreisge-meinden Benzingen, Harthausen auf der Scheer, Kaiserin-gen und Straßberg kommen zu Balingen. Nachdem sie ge-gen ihren Widerstand zunächst dem Großkreis Ravensburg zugeordnet werden, gelingt den badischen Gemeinden 111—

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Der 1973 gebildete »Dreiländerkreis« Sigmaringen mit seinen landsmannschaftlichen Anteilen. Vorlage: Gregor Richter u. a.: Der Land-kreis Sigmaringen. Geschichte und Gestalt. Sigmaringen 1981, S. 25.

mensee, Illwangen und Ruschweiler im letzten Moment doch noch der Anschluß an Sigmaringen.

Das Ende von Hohenzollern

Die Kreisreform bedeutete auch das Ende des Landeskom-munalverbandes der Hohenzollerischen Lande, einer 1875 nach preußischem Vorbild gebildeten kommunalen Selbst-verwaltungseinrichtung, die mit Hilfe jährlicher Staatsdota-tionen ihr übertragene staatliche Aufgaben vor allem im So-zialbereich, im Straßenwesen sowie der Kultur- und Wirt-schaftspflege in eigener Zuständigkeit und Verantwortung sowie mit eigenen Selbstverwaltungsgremien erfüllt hatte. Als nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Untergang Preußens die beiden hohenzollerischen Landkreise Hechin-gen und Sigmaringen mit den gleichfalls französisch besetz-ten südwürttembergischen Kreisen zum neuen Land Würt-

temberg-Hohenzollern vereinigt werden, gibt das 1950 erlassene»Gesetz über die Selbstverwaltung der Hohen-zollerischen Lande« diesen den überkommenen Sondersta-tus in der kommunalen Selbstverwaltung zurück. Bereits in den 1960er Jahren macht sich unübersehbar eine gewisse Konkurrenzsituation bemerkbar zwischen dem gesamt-ho-henzollerischen Kommunalverband, der über die jährliche Landesumlage zum Kostgänger der beiden Kreise wird, und den Landkreisen Hechingen und Sigmaringen, die nach ei-ner Angleichung der hohenzollerischen Verhältnisse an die im Südweststaat allgemein praktizierten Formen kommu-naler Selbstverwaltung und Aufgabenwahrnehmung stre-ben. Für den Landeskommunalverband - dem hohenzolle-rischen Landeshistoriker Fritz Kallenberg zufolge eine »aschgraue, glanzlose bürokratische Institution«, die aller-dings ihre Verwaltungsaufgaben einwandfrei erfüllte - rührt sich denn auch keine Hand, als die Landesregierung mit der

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Kreisreform dessen Aufhebung beschließt und damit die letzte noch verbliebene politische Klammer zwischen den beiden bisherigen hohenzollerischen Kreisen wegfällt.

Hohenzollern gehört mit der Kreisreform als staatsrechtli-ches Gebilde der Vergangenheit an. Von den beiden hohen-zollerischen Kreisstädten überlebte nur Sigmaringen als Sitz eines Landratsamtes, Hechingen fiel an den neugebildeten Zollernalbkreis mit dem Verwaltungssitz in Balingen. Die

bis heute mitten durch den Landkreis Sigmaringen, wobei im ersten Fall die hohenzollerischen Ortschaften zur Erzdiöze-se Freiburg, im zweiten Fall dagegen zur Württembergi-schen Landeskirche mit Sitz in Stuttgart gehören. Keine Ver-einheitlichung gelang bislang auch im Sparkassenbereich, wo sich zum 1. Januar 1974 zwar die Sigmaringer Hohenzolleri-sche Landesbank und die Kreissparkasse Saulgau vereinig-ten, die badischen Bezirkssparkassen in Meßkirch und Pful-

Den heraldischen Übergang von Hohenzollern zu Vorderösterreich markiert das 1978 verliehene Wappen des neuen Landkreises Sigmarin-gen: An die Stelle des alten Sigmaringer Kreiswappens von 1954 mit dem schreitenden goldenen Hirsch auf rotem Grund und dem schwarz-silbernen Hohenzollern-Geviert im Schildfuß tritt nach etlichen Auseinandersetzungen als Kompromiß zwischen Badenern, Hohenzollern und Württembergern im neuen Landkreis der Sigmaringer Grafschafts-Hirsch in Verbindung mit dem silbernen österreichischen Binden-schild. Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen.

ehemals 121 hohenzollerischen Gemeinden verteilen sich seit 1973 auf neun verschiedene Kreise, immerhin 58 gehören dem Landkreis Sigmaringen in seiner neuen Gestalt an. Besaß der alte hohenzollerische Landkreis Sigmaringen einen starken Schwerpunkt auf der Alb bis hinauf nach Trochtelfingen, so erfährt das Sigmaringer Kreisgebiet 1973 mit dem Erwerb der württembergischen Gebiete um Saul-gau und Mengen sowie der badischen Raumschaften Pful-lendorf und Meßkirch eine deutliche Gewichtsverlagerung auf die Südseite der Donau und damit in Richtung Ober-schwaben.

Als nach zweijähriger Aufregung und Konflikten die neuen Landkreisgrenzen schließlich feststanden, teilten nicht we-nige Bürger die Haltung, die der Meßkircher Stadtrat Knit-tel bereits Ende 1970 in der Kreisreform-Debatte geäußert hatte: »Es ist mir egal, ob an meinem Auto Tut oder Fut steht.« Das Zusammenleben in den neuen Landkreisen ent-wickelte alsbald eine eigene Dynamik, die mittlerweile über die ehemaligen Kreis- und Ländergrenzen hinwegreichende neue Zusammengehörigkeiten und Verbindungen wachsen ließ - bis zur nächsten Kreisreform.

Alte Grenzen erweisen sich als zählebig

In nicht wenigen Bereichen erwiesen sich die alten Kreis-und Landesgrenzen indessen über die Kreisreform hinaus als ausgesprochen zählebig: Die Grenzen der katholischen Diö-zesen wie auch der evangelischen Landeskirchen verlaufen

lendorf dagegen bis heute ein Eigenleben führen. Gleiches gilt für den Sportkreis Sigmaringen, der lediglich die würt-tembergischen und hohenzollerischen Kreisteile und Sport-vereine umfaßt, mit den im badischen Landessportbund or-ganisierten Vereinen in den Räumen Pfullendorf, Meßkirch und Stetten a. k. M. dagegen nur in einer 1975 gebildeten lo-sen Arbeitsgemeinschaft kooperiert. Noch bunter sind die Verhältnisse bei den Sängern, wo sich der Landkreis Sigma-ringen immerhin auf vier Gaue verteilt. Die alten Kreisgren-zen widerspiegelten sich bis vor kurzem schließlich auch in der hiesigen Zeitungslandschaft mit ihren, entlang den alten Verwaltungszugehörigkeiten nahezu hermetisch abgegrenz-ten Verbreitungs- und Berichterstattungsgebieten. Eine rühmliche Ausnahme bilden dagegen die Blasmusiker, die seit 1979 in einem einheitlichen Blasmusikverband Sigmarin-gen unter einem Dach vereinigt sind.

Positive Bewertung des »Dreiländerkreises« Sigmaringen

Eine Ende 1998 vorgenommene Umfrage des Kreisarchivs bei elf kommunalpolitischen »Veteranen« der Kreisreform-Kämpfe vor 25 Jahren ergab in der nachträglichen Bewer-tung der Verwaltungsneugliederung eine weitgehende Übereinstimmung: Die befragten Landräte, Bürgermeister, Kreisräte und weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus jenen stürmischen Tagen halten im nachhinein mit ganz wenigen Ausnahmen die vollzogene Reform für prinzipiell sinnvoll und bewerten das politische und auch menschliche Miteinander und die Integration im 1973 neu

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zugeschnittenen »Dreiländerkreis« Sigmaringen als positiv und gelungen. Bedauert wird vielfach, daß der neugeschaf-fene Landkreis durch die Zuordnung weiterer Nachbarräu-me - namentlich der Bereiche Straßberg-Winterlingen, Lan-genenslingen und Altshausen - nicht wirtschaftlich und fi-nanziell stärker ausgestattet worden ist. Die Aussagen aus dem Saulgauer Raum machen auch nach einem Vierteljahr-hundert keinen Hehl daraus, daß die Zuordnung nach Sig-maringen keine Liebesheirat, sondern ausschließlich eine kühl kalkulierte »Vernunftehe« war, in der man allerdings zum Nutzen der eigenen Gemeinde durchaus gut gefahren sei und sogar Freunde gefunden habe. Nahezu durchgehend

Quellen und Literatur:

Landratsamt Sigmaringen, Kultur- und Archivamt, Dienstregistra-tur Az. 361.1 Projekt 25 Jahre Kreisreform - Fragebogen-Umfrage vom Dezember 1 998 zur Kreisreform 1972/73. Kreisarchiv Sigmaringen 11 - 1991/2 Nr. 284A u. B, 111 - 1991/1 Nr. 3. Otto H. Becker: »... daß auch im Zuge der Kreisreform ein Land-

sieht man den Landkreis in erster Linie als »Verwaltungsge-bilde«, zu dem die Bürger eine weitaus schwächere emotio-nale Bindung besäßen als etwa zu ihrem Wohnort und ihrer Gemeinde. Die Entwicklung und Pflege eines Kreisbewußt-seins könne aufgrund dieser primär funktionalen Wertigkeit und Wahrnehmung der Landkreise daher nur in begrenz-tem Umfang gelingen. Eine wichtige Aufgabe käme bei der Entwicklung einer »Kreisidentität« gleichwohl der politi-schen und menschlichen Kompetenz des Landrats als dem fahrenden Landkreis-Repräsentanten und darüber hinaus auch kreisweiten Initiativen und Projekten zumal in den Bereichen Kultur und Sport zu.

kreis mit Hauptstadt im Raum Hohenzollern erhalten bleiben soll-te«. Zur Bildung des Landkreises Sigmaringen. In: H H 42. J. (1 992), S. 49-58. Fritz Kallenberg: Die Sonderentwicklung Hohenzollerns. In: Ders.: Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996, S. 129-282 (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).

O T T O H. B E C K E R

Zeugnisse der Fidelisverehrung in Brasilien

Nach seiner Kanonisation 1746 wurde die Verehrung des Heiligen Fidelis von Sigmaringen von allen Zweigen der Franziskusorden in ihren Missionsgebieten in Lateinameri-ka, Afrika, Asien und Ozeanien verbreitet. Die Saat der Söhne des Heiligen Franz von Assisi ist dabei offensichtlich besonders gut in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Brasilien aufgegangen. So gibt es in diesem südamerikani-schen Land nicht nur den Ordensnamen des Sigmaringer Stadtheiligen und Landespatrons von Hohenzollern, son-dern auch den Herkunftsort von St. Fidelis als Vornamen. In einem Schreiben des »Instituto Hans Staden de Ciencias, Letras e Intercambio Cultural Brasileiro - Alemäo« in Säo Paulo vom 7. Dezember 1992 wurde der Verfasser in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den zeitgenössischen bra-silianischen Politiker namens Sigmaringa Seixas hingewie-sen. Selbstverständlich trägt das Zentrum der Kapuziner für franziskanische Spiritualität in Piracicaba im Bundesstaat Säo Paulo den Namen Seminário Seráfico Säo Fidelis. Der Fideliskult in diesem Lande hat aber vor allem auch in der Bezeichnung der Stadt »Säo Fidelis« im heutigen Bundes-staat Rio de Janeiro seinen Nieder-schlag gefunden.

Die Stadt, rund 300 Kilometer nor-döstlich von der Metropole Rio de Ja-neiro gelegen, ist aus einer Siedlung hervorgegangen, die 1781 von den bei-den aus Italien stammenden Kapuzi-nerpatres Angelo Maria da Lucca und Vittorio da Cambiasca am Fluß Paraiba zur Missionierung und Befriedung des wilden Indiostammes der Coroados gegründet worden ist. Wenige Jahre später ließen die beiden Kapuziner dort ein Kirchlein errichten, das sie zu Ehren des Heiligen Fidelis von Sigma-ringen, des ersten Heiligen ihres Or-dens und der Propaganda Fide, weih-ten. Das kleine Gotteshaus wurde fer-ner mit einem bescheidenen Hospiz und einer Schule zur Unterrichtung und Unterweisung der Eingeborenen versehen. Der Ort Säo Fidélís erfreute

sich daraufhin regen Zuzugs durch die Indios des Umlan-des.

Im Hinblick auf diese positive Entwicklung faßten die bei-den Kapuzinerpatres nun den Plan, in dem Ort eine größere und repräsentativere Kirche zur Verehrung des Märtyrers Fidelis zu errichten. Nach der Inschrift hinter dem Hauptaltar wurde der Grundstein zu dieser Fideliskirche am 8. September 1799 gelegt; das fertiggestellte Gotteshaus konnte danach am 23. April 1809 schließlich eingeweiht werden. Bereits 1808 hatte man das ursprüngliche Fidelis-kirchlein in eine Rosenkranzkirche umgewandelt, ein Pa-trozinium, das in Brasilien übrigens für die Kirchen der Sklaven üblich war.

Die neue Fideliskirche zeichnete sich sowohl durch ihre Größe als auch durch ihre Architektur aus. Der Bau mit dem Grundriß eines griechischen Kreuzes wird im Zentrum von einer eindrucksvollen Kuppel überragt. In deren unte-rem Teil sind Fresken der vier Evangelisten abgebildet. In den vier Nischen darüber befinden sich die Statuen von vier

Fideliskirche in Saö Fidélis... Foto Marico Weichert, Köln

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Heiligen aus dem Kapuzinerorden. Auf dem Fresko hinter dem mit einer Fidelisstatue versehenen Hochaltar sind die unbefleckte Jungfrau Maria, der Heilige Franz von Assisi, der Heilige Felix von Cantalice und der Märtyrer Fidelis von Sigmaringen dargestellt. Diese Fresken waren Schöp-fungen der beiden Gründer von Säo Fidelis. Pater Angelo Maria da Lucca starb übrigens 1811. Vier Jahre später folgte ihm Pater Vittorio da Cambiasca in den Tod nach. Sein Nachfolger wurde Pater Giovanni Antonio da Lucca, der 1831 in Säo Fidelis verstarb.

Im Spätsommer 1815 besuchte der bedeutende Ethnograph und Naturforscher Maximilian Prinz zu Wied (1782-1867), ein Großonkel der Königin Elisabeth von Rumänien (1843-1916), auf seiner Brasilienreise auch Säo Fidelis. In seiner Reisebeschreibung, wovon ein Exemplar in der Fürstl. Hofbibliothek in Sigmaringen verwahrt wird, be-merkte der Prinz zu Wied bezüglich der Gründung und der Lage des Ortes: »S. Fidelis am schönen Ufer des hier ziem-lich breiten Paraiba, ist eine Mission, ein Dorf der Coroa-dos- und Coropo-Indier, und ward vor etwa 30 Jahren von einigen Capuciner-Mönchen aus Italien angelegt...« Über die Eingeborenen lesen wir in der Reisebeschreibung: »Kaum war der neue Tag angebrochen, so verfügten wir uns in die, den Coroados und Coropos, von den Missionarien erbauten Hütten. Wir fanden diese Menschen noch sehr ori-ginel, von dunkelbrauner Haut, völlig nationaler Gesichts-bildung, sehr markirten Zügen, und rabenschwarzen Haa-ren. Ihre Häuser sind recht gut und geräumig, von Holz und Lehm erbaut, und mit Dächern von Palmblättern und Rohr gedeckt wie die der Portugiesen. Man sieht darin die aufgehängten Schlafnetze und in der Ecke Bogen und Pfeil angelehnt...«

Selbstverständlich besuchte der Naturforscher auch die Fi-deliskirche in Säo Fidelis. Darüber lesen wir in dem Buch: »Da der Tag unserer Ankunft zu S. Fidelis ein Sonntag war, so wohnten wir Morgens der Messe in der Klosterkirche bey, wo die Bewohner der umliegenden Gegend sich zum Theil aus Neugierde eingefunden hatten, um die fremden Gäste zu beschauen. Herr Pater Joäo hielt eine sehr lange Predigt, wovon ich nicht ein Wort verstand. Nachher stie-

Quellennachweis:

Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied: Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817. Frankfurt a. M. 1820.

Literatur:

a) Zur Geschichte von Säo Fidelis:

Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum in lucem edita jussu rmi. P. Bernardi ab Andermatt ...Vol. XIV. Romae 1898. S. 208 ff. Storia dell'attivitä missionaria dei Minori Capuccini nel Brasile (1538?—1889). Romae 1958. S. 162 ff. P. Frei Jacinto de Palazzolo O.F.M.Cap.: Histöria da Cidade de Säo Fidelis 1781-1963. Rio de Janeiro 1963. Aurenio Pereira Carneiro: Histöria de Säo Fidelis. Niteröi 1988. P. Oto Campos Braga: Carolärio - Säo Fidelis no Brasil. In: Richard Schell: Vida em Deus. Säo Fidelis de Sigmaringa. Trad. Frei Egberto Prangenberg OFM. Piracibaba - SP - 1993. S. 63 ff.

gen wir in dem unbewohnten Kloster umher und besahen seine Merkwürdigkeiten. Die Kirche ist groß, hell und geräumig, und von Pater Victorio, der erst vor ein Paar Mo-naten gestorben ist, ausgemahlt. Dieser Capuciner-Missio-nar hatte thätig für das Wohl der Indier gearbeitet, und lebte in sehr günstigem Andenken, da man hingegen den jetzigen Geistliche nicht so sehr zu lieben schien. Die Mahlerey im Innern der Kirche kann zwar nicht schön genannt werden, ist aber doch leidlich, und für diese abgeschiedene, wenig besuchte Gegend eine große Zierde, die den Fremden ange-nehm überrascht. Hinter dem Altar stehen die Nahmen der vier Missionäre angeschrieben, an der Seite sind eine Menge Votivtafeln aufgehangen ...«

Die 1855 zur Gemeinde erhobene Missionsstation Säo Fide-lis entwickelte sich ab 1864 zum Mittelpunkt eines bedeu-tenden Kaffeeanbaugebietes. Die gesamte Produktion konnte auf dem Fluß Paraiba verschifft werden. 1870 er-folgte sodann die Erhebung von Säo Fidelis zur Stadt. Nach der Aufhebung der Sklaverei in Brasilien 1888 setzte dort je-doch allmählich der Niedergang des Kaffeeanbaus ein. 1928 legte das letzte Schiff im Hafen von Säo Fidelis ab. Heute ist der Fluß nicht mehr schiffbar. Seitdem bildet der Anbau von Zuckerrohr, Reis, Mais, Bananen und Baumwolle die Haup-terwerbsquelle der Region. War die wirtschaftliche Lage zu-meist wenig rosig, so wird in Säo Fidelis heute die Zukunft im Hinblick auf die Errichtung einer Obstsaftfabrik wieder hoffnungsvoller beurteilt.

Heute zählt Säo Fidelis etwa 35 000 Einwohner. In der Stadt, in deren Zentrum sich die majestätische Kirche Säo Fidelis befindet, ist die Verehrung des Stadtheiligen selbst-verständlich lebendig geblieben. Auch ein Interesse an dem historischen Kapuzinerpater Fidelis und seinen Wirkungs-stätten im fernen Mitteleuropa ist in dieser brasilianischen Stadt vorhanden. So wird im April diesen Jahres vornehm-lich auf Betreiben des bei der Deutschen Welle in Köln täti-gen brasilianischen Redakteurs Marcio Weichert und seiner Frau Graga eine Ausstellung über »Säo Fidelis de Sigmarin-ga« gezeigt. Das Staatsarchiv Sigmaringen wird zu dieser Schau in Lateinamerika Reproduktionen von vier einschlä-gigen Dokumenten aus seinen Beständen beisteuern.

h) Über den Ethnographen Maximilian Prinz zu Wied:

Ph. Wirtgen: Prinz Maximilian zu Wied, sein Leben und wissen-schaftlicheThätigkeit. Leipzig 1867. Prärie- und Piainsindianer. Die Reise in das innere Nord-America von Maximilian Prinz zu Wied und Karl Bodmer. Katalog zur Aus-stellung des Landesmuseums Koblenz aus Anlaß des Rheinland-Pfalz-Tages 1993 in Neuwied. Mainz 1993. Unterstützung erfuhr der Verfasser bei seinen Nachforschungen, die nicht nur wegen der Sprachbarrieren schwierig waren, vor-nehmlich durch Frau Dr. Rosemarie E. Horch und Frau Margarida Pinsdorf vom »Instituto Hans Staden ...« in Säo Paulo, P. Dr. Okta-vian Schmucki OFMCap., damals »Historisches Institut der Kapu-ziner« in Rom, Herrn Franz Ludwig Hepp, abwechselnd wohnhaft in Nova Friburgo in Brasilien und in Sigmaringen, und durch Herrn Redakteur Marcio Weichert in Köln. Ihnen allen möchte der Autor an dieser Stelle seinen aufrichtigen Dank sagen.

EDWIN ERNST W E B E R

Fürstin Amalie Zephyrine in Inzigkofen

Im Fürstlichen Park Inzigkofen wurde auf Initiative des örtlichen Bildungswerks sowie des Schwäbischen Albver-eins ein Denkmal für den 1794 in der Französischen Revo-

lution hingerichteten Lieblingsbruder der Sigmaringer Für-stin Amalie Zephyrine rekonstruiert und der umliegende Parkbereich neu gestaltet. Finanziert wurde die Unterneh-

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mung durch Zuschüsse der Oberschwäbischen Elektrizi-tätswerke und des Sigmaringer Fürstenhauses sowie durch Spenden aus der Bevölkerung.

Zusammen mit der Teufelsbrücke, dem Amalienfelsen, dem »Känzele« (»Schöne Aussicht«) und der Eremitage gehörte der vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts geschaffene Gedenkstein für Fürst Friedrich III. von Salm-Kyrburg zur historischen »Meublierung« der romantischen Parkanlage im Hangbereich des Donautals unterhalb des ehemaligen Klosters Inzigkofen. Das Denkmal erinnert an die dynastische Verbindung zwischen den Fürstenhäusern Hohenzollern-Sigmaringen und Salm-Kyrburg im ausge-henden 18. Jahrhundert, die über die Person von Amalie Ze-phyrine von ausschlaggebender Bedeutung für den hohen-zollerischen »Sonderweg« in der südwestdeutschen Ge-schichte des 19. und 20. Jahrhunderts geworden ist. Die dynastischen Bande zwischen den schwäbischen Ho-henzollern und dem Zweig der linksrheinischen Wild- und Rheingrafen wurden 1781 und 1782 durch eine zweifache Eheverbindung geknüpft: Erbprinz Friedrich von Salm-Kyrburg heiratete zunächst die Sigmaringer Fürstentochter Johanna, ehe dann im Jahr darauf deren Bruder, Erbprinz Anton Aloys, die Ehe mit einer jüngeren Schwester Fried-richs, der 1760 geborenen Amalie Zepyhrine einging. In

die folgenden zwei Jahrzehnte getrennt von ihrem Mann und bis zu dessen gewaltsamem Tod 1794 an der Seite ihres Bruders zumeist in Paris. Zu einer Versöhnung der Eheleute ist es auch nach der späteren Rückkehr von Amalie Zephy-rine nach Hohenzollern nicht mehr gekommen.

Ahnlich unglücklich verlief auch die Ehe zwischen Fried-rich und Johanna, die unter dem verschwenderischen und haltlosen Lebensstil ihres Gatten unsäglich litt und kurz vor ihrem frühen Tod 1790 mit erst 25 Jahren ihre achtjährige Ehe als »wahres Fegefeuer« charakterisierte. Fürst Friedrich von Salm-Kyrburg erscheint im Lichte neuerer Forschun-gen in der Tat als ausgesprochen zwielichtige und proble-matische Gestalt, der mit seiner in erster Linie dem äußeren Schein und Prestige (»paraitre«) verpflichteten Verschwen-dungssucht und Projektenmacherei sein Haus in den Ruin führte. Seine unverhältnismäßigen Aufwendungen für eine extravagante Hofhaltung in Paris, rauschende Feste, über-zogene Bauprojekte und risikoreiche Wirtschaftsunter-nehmungen standen in einem geradezu grotesken Mißver-hältnis zu seinen bescheidenen Einkünften aus dem Familienbesitz im linksrheinischen Deutschland, in den österreichischen Niederlanden und in Frankreich und manövrierten den Fürsten bereits vor dem Ausbruch der Revolution in eine nahezu ausweglose Verschuldung und

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Um 1900 entstandener Plan des Fürstlichen Parks Inzigkofen. Links in der Mitte ist der Standort des Denkmals für Fürst Friedrich III. von Salm-Kyrburg.

beiden Eheverbindungen prallen konträre Lebensauffas-sungen aufeinander - hier provinzielle Bescheidenheit und Gediegenheit, dort weltläufiger Glamour und Verschwen-dung - und lassen die Beziehungen letztlich scheitern. Die in der mondänen Adelswelt des vorrevolutionären Paris groß gewordene Amalie Zephyrine fühlt sich in der schwä-bischen Duodez-Residenz Sigmaringen denkbar unwohl, von ihrem Schwiegervater überwacht und von ihrem Gatten vernachlässigt und lieblos behandelt. Zehn Wochen nach der Geburt des Stammhalters, des späteren Sigmaringer Fürsten Karl, entflieht sie mit Hilfe ihres Bruders Friedrich aus den für sie unerträglichen Verhältnissen und verbringt

Bildvorlage Kreisarchiv Sigmaringen

eine allgegenwärtige Bedrängnis durch Gläubiger, Pfändun-gen und Zwangsversteigerungen. Seine Unterstützung für die revolutionäre Bewegung in der Anfangsphase der Staatsumwälzung in Frankreich seit 1789 ist neben zweifellos vorhandenen persönlichen Sympathien auch von der Hoffnung bestimmt, mit Hilfe der politischen Veränderungen aus seiner Schulden-Sackgasse zu entkom-men. Dem gleichen Zweck dient auch die Erhebung von Erbansprüchen auf den niederländischen Besitz der verstor-benen Mutter seiner Ehefrau Johanna, deren früher Tod 1790 Friedrich allerdings aller Chancen in der Erbauseinan-dersetzung mit seinem Sigmaringer Schwager Anton Aloys

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beraubt. Mit der zunehmenden Radikalisierung der Revolu-tion seit 1792 wird für Friedrich der Spagat zwischen seinen beiden Rollen als deutscher Reichsfürst einerseits und als Bürger der egalitären und antifeudalen französischen Repu-blik andererseits immer schwieriger, unter der Anklage der Konspiration gegen den Staat wird er schließlich nach vier-monatiger Einkerkerung am 23. Juli 1794 - vier Tage vor dem Sturz von Robespierre und dem Ende der jakobini-schen Schreckensherrschaft - zum Tode verurteilt und zu-sammen mit 49 Mitangeklagten, darunter auch Alexandre de Beauharnais, wahrscheinlich noch am selben Tage auf der Guillotine hingerichtet.

Amalie Zephyrine hält ihrem Lieblingsbruder, den sie gänz-lich unkritisch und schwärmerisch verehrt, über seinen Tod hinaus die Treue. Nachdem sie sich zunächst vergeblich um die Exhumierung ihres in einem Massengrab im Garten ei-nes ehemaligen Augustinerklosters in Paris beigesetzten Bruders bemüht hatte, erwirbt sie 1796 das gesamte Terrain, läßt es ummauern und mit einem vergitterten Eingang ver-sehen sowie mit einem Gedenkstein zu Ehren Friedrichs ausstatten. Eine weitere Erinnerungsstätte läßt sie nach ih-rer Niederlassung in Inzigkofen in dem auf ihre Initiative zu einer romantischen Parkanlage umgestalteten Hangbereich unterhalb des ehemaligen Augustinerchorfrauenstiftes anle-gen. Auf einem freistellenden Jurakalkfelsen unweit des Parkeingangs wird hier in klassizistischem Stil ein recht-eckiger, massiver Gedenkstein auf einem Doppelsockel und bekrönt von einer Ellipse errichtet, der die Inschrift »Mei-nem Bruder, der mir entrissen wurde - 23. Juli 1794« trägt. Der Gedenkstein geriet vor einigen Jahrzehnten in Abgang und wurde nunmehr als wichtiges Zeugnis der hohenzolle-rischen Landesgeschichte nach älteren Beschreibungen und Zeitzeugenerinnerungen von Inzigkofer Bürgern durch den Rulfinger Bildhauermeister Christoph Stauß rekonstruiert. Eine vom Kreisarchiv Sigmaringen entworfene zusätzliche Inschrift erläutert den Entstehungszusammenhang des Denkmals. Die Inzigkofer Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins übernahm die Neutrassierung des Steilwegs zur Denkmalshöhe sowie die Anbindung der Denkmalsroute an den Hauptwanderweg vom Parkeingang zum Amalien-felsen durch eine kleine Holzbrücke über den dort befindli-chen Wassergraben.

Die Rückkehr von Amalie Zephyrine nach Hohenzollern 1808 nach 23jähriger Abwesenheit und damit auch ihre drei Jahre darauf erfolgende Niederlassung in Inzigkofen sind indirekte Folgen der »großen Politik«, in der die separierte Sigmaringer Fürstin in diesen Jahren der grundstürzenden politischen Umwälzungen auf nachhaltige Weise mitmischt. Amalie Zephyrine, die nach dem gewaltsamen Tod ihres Bruders ihres unruhigen und extravaganten Lebensstils in der französischen Hauptstadt offenkundig überdrüssig ist, sucht 1798 wieder den Kontakt zu ihrer hohenzollerischen Familie und zumal zu ihrem bereits im Jugendalter stehen-den Sohn Karl, den sie seit ihrer Flucht aus Sigmaringen nicht mehr gesehen hatte. Sie bietet ihrem bezüglich einer Versöhnung reservierten Ehemann Anton Aloys einen »Deal« an: Als Gegenleistung für das Wiedersehen mit Erb-prinz Karl will sie ihre vorzüglichen Kontakte zu Spitzen-persönlichkeiten des revolutionären Frankreich, zumal zu Außenminister Talleyrand sowie zu Josephine de Beau-harnais und deren zweiten Gemahl Napoleon Bonaparte, zum Nutzen des Hauses Hohenzollern einsetzen.

Weitaus mehr als dem in der Forschung lange Zeit hervor-gehobenen Schutz durch das stammverwandte preußische Königshaus haben es die beiden hohenzollerischen Für-stentümer Sigmaringen und Hechingen eben diesen persön-lichen Beziehungen und dem Einfluß von Amalie Zephyri-

ne bei den französischen Staatsspitzen zu verdanken, daß ihre Duodezstaaten die unter dem Druck Napoleons erfol-gende territoriale Flurbereinigung der Jahre 1803 bis 1806 als souveräne Staaten unversehrt und im Fall von Sigmarin-gen sogar mit einigem Gebietszuwachs überstehen und nicht wie sämtliche anderen südwestdeutschen Klein- und Mittelterritorien an Baden oder Württemberg fallen. Die im Frühjahr 1806 bereits in der Residenzstadt Sigmaringen an-gebrachten württembergischen Besitznahmepatente wer-den auf Intervention von Amalie Zephyrine bei Napoleon von französischen Dragonern wieder entfernt. Der von Fürst Anton Aloys nur »blutenden Herzens« ak-zeptierte Preis für die von Amalie Zephyrine vermittelte Protektion von Napoleon für die beiden hohenzollerischen Fürstentümer ist die offenkundig von der Sigmaringer Für-stin und Kaiserin Josephine bereits 1806 eingefädelte Ehe-schließung von Erbprinz Karl mit der damals knapp 14jährigen Gastwirtstochter Antoinette Murat, der Nichte von Napoleons Reitergeneral und Schwager Joachim Mu-rat. Nach der Eheschließung Anfang 1808 übernimmt Ama-lie Zephyrine die ständige Begleitung ihrer jungen Schwie-gertochter, die in den folgenden Jahren zumeist von ihrem in Militärdiensten Napoleons sowie des zum König von Neapel aufgestiegenen Joachim Murat stehenden Ehemann getrennt lebt. An der Seite des jungen Paares und gegen den anhaltenden Widerstand von Fürst Anton Aloys kehrt Amalie Zephyrine im Sommer 1808 nach 23 Jahren nach Sigmaringen zurück und läßt sich zusammen mit Sohn und Schwiegertochter zunächst im Schloß zu Krauchenwies nie-der. 1811 begründet sie in dem zu einem Schlößchen umge-bauten ehemaligen Amtshaus des Augustinerchorfrauen-stiftes Inzigkofen eine eigene Hofhaltung.

Um die standesgemäße und repräsentative Unterbringung der Fürstin zu gewährleisten, erhält der 1726 errichtete klö-sterliche Verwaltungsbau eine klassizistische Blendfassade und im Westen einen Küchenanbau, der umgebende Garten wird mit Brunnenspielen und Skulpturen aus der antiken Götterwelt ausgestattet. Zwischen Schloß und Klosterkir-che entsteht gleichfalls in klassizistischem Stil ein kleines Gebäude, das zunächst als Wachlokal für fünf Soldaten dient und nach 1840 zu einem Speisesaal (»Teehaus«) für die nunmehr in Inzigkofen untergebrachte Familie von Erbprinz Karl Anton, dem Enkel von Amalie Zephyrine, umgebaut wird. Vor allem aber wird auf Veranlassung der Fürstin der unterhalb von Kloster und Schlößle gelegene, bislang unbewaldete Donau-Hangbereich zu einem weit-läufigen Park im englischen Stil umgestaltet. Das Hang-gelände bildet den östlichen Ausgang des Durchbruchstals der jungen Donau durch die Schwäbische Alb und ist mit mannigfaltigen natürlichen Sehenswürdigkeiten wie Steil-und Schaufelsen, Klüften und Grotten ausgestattet, die nun-mehr mit Spazierwegen erschlossen und in eine teilweise raffinierte Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern einge-bettet werden. Die Arbeiten dauern bis etwa 1829. Nach dem Erwerb der bislang fürstenbergischen Domäne Nickhof durch das Sigmaringer Fürstenhaus 1841 wird der Park nach Westen bis zum »Känzele« und den Grotten er-weitert und erreicht seine bis heute bestehende Ausdehnung von ca. 25 Hektar. Die bis 1848 angelegte Lindenallee bildet dabei die Verbindung zwischen dem vorderen, älteren und dem hinteren, jüngeren Teil des Parks. Der besondere Reiz des Parks liegt von jeher im Zusammenklang von reizvoller Landschaft und natürlichen Sehenswürdigkeiten mit be-wußten und effektvollen Eingriffen in die Natur und beson-ders der gezielten »Meublierung« des Parks mit künstlich geschaffenen »Highlights« wie Teufelsbrücke, Eremitage oder eben dem Denkmal für Fürst Friedrich III. von Salm-

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Kyrburg auf einem frei stehenden Kalkfelsen. Beim Amali-enfelsen erstreckt sich der Park in einem kleinen Abschnitt auch auf das nördliche Donauufer, wo Amalie Zephyrine 1817 auf einer schön gelegenen Anhöhe eine Eremitage an-legen läßt, die der Sigmaringer Fürstenfamilie und ihren Be-suchern als beliebtes Ausflugsziel dient. 1853 erfolgte die Umgestaltung der Eremitage zur St. Meinradskapelle mit ei-nem weithin sichtbaren Türmchen. Als Schauplatz für Fest-lichkeiten unter freiem Himmel diente die Steinwiese, eine unbewaldete Grünfläche südlich des Donauknies beim Amalienfelsen.

Als Gäste des Sigmaringer Fürstenhauses kommen im 19. Jahrhundert nicht wenige illustre Persönlichkeiten nach In-zigkofen und in den dortigen Fürstlichen Park. Besonders häufig und offenbar auch gerne zu Besuch in Inzigkofen waren Fürst Friedrich IV. von Salm-Kyrburg, der Sohn des 1794 hingerichteten Friedrich III. und Neffe Amalie Ze-phyrines, die in Arenenberg am schweizerischen Boden-seeufer ansässige Exkönigin Hortense von Holland, eine Tochter von Josephine Beauharnais und ihrem ersten Ge-mahl Alexandre de Beauharnais, sowie deren Sohn Louis Napoleon, der spätere französische Kaiser Napoleon III. Die innige Beziehung von Amalie Zepyhrine sowohl zu ihrem Neffen wie auch zu Hortense geht auf die Pariser Re-volutionsjahre zurück, als sich die Fürstin in schwieriger Zeit geradezu rührend ihres Neffen sowie der Beauharnais-

Vorderansicht des im Fürstlichen Park Inzigkofen rekonstruierten Gedenksteins der Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine für ihren während der Französischen Revolution in Paris 1794 hingerichte-ten Bruder Fürst Friedrich III. von Salm-Kyburg. Die auf Amalie Zephyrine zurückgehende Inschrift lautet: »Meinem Bruder, der mir eintrissen wurde den 23. Juli 1794«. Fotos: E. Weber.

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Rückansicht des Gedenksteins mit einer vom Kreisarchiv Sigmarin-gen entworfenen Erläuterung über den Entstehungszusammen-hang des Denkmals.

Kinder nach dem Tod beider Eltern bzw. des Vaters ange-nommen hatte. Zweifellos den Höhepunkt dieser illustren Besuche bildete am 24. August 1851 ein kurzer Aufenthalt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., des neuen Landesherrn der beiden hohenzollerischen Fürstentümern, der in den Tagen zuvor auf dem Hohenzollern sowie in Sig-maringen die Huldigung seiner neuen Untertanen entge-gengenommen hatte. Im Inzigkofer Park wurde nunmehr vom Nachmittag dieses Tages bis in die finstere Nacht hin-ein eine festliche Unterhaltung für den König und seine zahlreiche Gefolgschaft geboten, die Ortschronist Josef Hartmann wie folgt beschreibt: »Die vielen und großartigen Abwechslungen von Kanonendonner, Männergesängen, bengalischem Feuer u.s.f. machten auf die zahlreiche Volks-menge einen imposanten, unvergeßlichen Eindruck«. Wohl im Bereich zwischen Klostermauer und Lindenallee war ein großes Zelt aufgeschlagen worden, unter dem Chronist Hartmann zufolge »Seine Königliche Majestät mit hohem, zahlreichen Gefolge (...) sich längere Zeit sehr vergnügt und traulich unterhielten, wo schon Alles aufs Glänzendste zum Soupe« vorbereitet war. Mit sichtlichem Vergnügen be-merkte der hohe Monarch bei einbrechender Dämmerung die »hochauflodernden Freudenfeuer nach allen Seiten hin«. Bliebe anzumerken, daß die Inzigkofer Dorfbevölkerung bei diesen fürstlichen Park-Vergnügungen allenfalls als Zaungäste, Statisten und dienstbare Geister vertreten war.

Als Wohnstätte über einen längeren Zeitraum diente das In-zigkofer Schlößle dem Sigmaringer Fürstenhaus allerdings nur in zwei Fällen: Zum einen seit 1811 für die Fürstin

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Amalie Zephyrine, die sich indessen 1822-24/25 in Sigma-ringen an der Westseite des späteren Karlsplatzes das sog. Schlößle erbauen läßt, das später mit dem 1842-47 für ihren Enkel Karl Anton errichteten repräsentativen Prinzenbau zu einem zusammenhängenden Komplex vereinigt wurde, der heute als Dienstsitz des Staatsarchivs dient. Hier wohn-te sie seit 1824 bis zu ihrem Tode 1841, der im hohen Alter von 81 Jahren durchaus unspektakulär im Bett erfolgte und keineswegs als Folge eines Sturzes auf einem weißen Schim-mel vom Amalienfelsen in die Fluten der Donau, wie dies eine mitunter in Inzigkofen kursierende Sage wahrhaben will. Eine weitere intensive Nutzung des Schlosses erfolgte in den 1840er Jahren durch Erbprinz Karl Anton, der mit seiner Familie in Inzigkofen offenbar regelmäßig die Som-mermonate verbringt. Der vierte Sohn des Prinzenpaares, Prinz Friedrich, erblickt in Inzigkofen das Licht der Welt. Eine Rolle spielt das Inzigkofer Schlüssle in der hohenzolle-rischen Revolution von 1848/49: Auf dem Höhepunkt des Sigmaringer Septemberaufstandes, als am 26. September 1848 eine Volksversammlung mit mehr als 3000 Teilneh-mern auf dem Karlsplatz die Einsetzung eines revolu-tionären »Sicherheitsausschusses« und die Entwaffnung des fürstlichen Militärs beschließt, wartet hier Fürst Karl Anton die Ereignisse ab und flieht tags darauf zusammen mit der Regierung ins badische »Ausland«, nach Uberlingen. Zuvor hatte Karl Anton noch die Frankfurter Zentralgewalt um

Literatur

Max Beck, Inzigkofen. Kurzchronik mit Bildern aus Inzigkofen, Vilsingen und Engelswies. Horb am Neckar 1988. Joachim Emig, Friedrich III. von Salm-Kyrburg (1745-1794). Ein deutscher Reichsfürst im Spannungsfeld von Ancien regime und Revolution. Josef Hartmann, Der unterhaltend belehrende Fremdenführer in den Fürstlichen Anlagen zu Inzigkofen. Sigmaringen 1875. Fritz Kallenberg, Fürstin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-

Wiederherstellung der Ordnung in seinem Fürstentum er-sucht - was dann am 10. Oktober 1848 in Gestalt einer Mi-litärintervention durch 2000 Mann bayerische Truppen auch geschieht und der Sigmaringer »De-facto-Republik« ein abruptes Ende bereitet.

In Inzigkofen ist die Erinnerung an Amalie Zephyrine und ihr abenteuerliches Leben in besonderem Maße lebendig ge-blieben. Dazu hat in erster Linie der von ihr veranlaßte Fürstliche Park und hier zumal der nach der Sigmaringer Fürstin benannte Amalienfelsen mit dem Allianzwappen der Häuser Salm-Kyrburg und Hohenzollern-Sigmaringen sowie der Inschrift »Andenken an Amalie Zephyrine 1841« beigetragen, der, wie geschildert, offenbar die Phantasie zu manchen legendenhaften Ausschmückungen anzuregen vermag. Wer die Anbringung von Allianzwappen und In-schrift an dieser Stelle eigentlich veranlaßt hat, konnte aus den Quellen bislang nicht ermittelt werden. Denkbar wäre, daß die Initiative von Erbprinz Karl Anton ausgegangen ist, der in den 1840er Jahren längere Zeit mit seiner Familie das für seine Großmutter umgebaute Inzigkofer Schlößle be-wohnte und dem abweichend von den in der älteren Lan-desgeschichtsschreibung mitunter unzutreffenden mora-lisch bestimmten Vorbehalten gegenüber dem »Teufels-weib« - eine positive Würdigung der Fürstin und ihrer herausragenden Rolle in der hohenzollerischen Landesge-schichte am ehesten zuzutrauen wäre.

Sigmaringen. In: Ders. (Hg.), Hohenzollern. Stuttgart u. a. 1996, S. 452-459. Fritz Kallenberg, Hohenzollern im Alten Reich. In: Ebenda, S. 48-128. Wilfried Schöntag, »... daß die Rheinbunds-Acte das Fürstenhaus größer, mächtiger und reicher - das Land aber unfreier und ärmer gemacht hat ...« Die Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen im Zeitalter Napoleons. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons. Hg. v. Württembergischen Landesmuseum. Band 2 Aufsätze. Stuttgart 1987, S. 81-102.

PETER THADDÄUS LANG

Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen (Teil 2)

Das Entstehen grosser industrieller Betriebe mit ihren auf kleinem Raum zusammengedrängten erheblichen Werten führte zur Errichtung von Werksfeuerwehren. Die erste war die Betriebsfeuerwehr des Hüttenwerks Lauchterthal vom Jahre 1910; im Kreis Hechingen folgten 1925 die Betriebs-feuerwehr S. Wolf & Cie in Stetten und 1936 der Firma Heinrich Maute in Bisingen. Zwei später hinzugekommene Werksfeuerwehren wurden nicht anerkannt und wieder aufgehoben.

Der technische Fortschritt machte sich im Feuerlöschwesen besonders in der Motorisierung geltend. Den Anfang mach-te der Kreis Hechingen, der im Jahre 1924 den ersten auto-mobilen Löschzug in Hohenzollern beschaffte und als Kreislöschzug organisierte. Im Kreis Sigmaringen legte sich die Gemeinde Sigmaringendorf im Jahre 1925 eine pfer-debespannte Kraftspritze zu, die erste im Kreis Sigmarin-gen. Später bildeten sich Feuerlöschverbände von Gemein-den zur gemeinsamen Beschaffung und Haltung von auto-mobilen Kraftspritzen, und schließlich beschafften sich auch verschiedene Ortsfeuerwehren Trag-Kraftspritzen. Die Werksfeuerwehren waren von Anfang an motorisiert. Im Gefolge der im Jahre 1935 eingeleiteten politischen Er-eignisse griff das neu aufkommende autoritäre Prinzip auch

auf das Feuerwehrwesen über. Für Preussen und damit auch für Hohenzollern wurde am 15.12.1933 ein neues Feuer-wehrgesetz erlassen, dass die Feuerwehren stärker als bisher der Polizeiaufsichtsbehörde unterstellte. An die Stelle der Führerbestellung durch, die Wahl trat die Ernennung.

Eine bedeutsame organisatorische Neuerung brachte das Jahr 1938. Durch das Reichsfeuerlöschgesetz vom 23. 11. 1938 wurden die Landes- und Kreisfeuerwehrver-bände aufgehoben und die Feuerwehren in eine technische Hilfspolizeitruppe umgewandelt. An die Spitze der Feuer-löschpolizei in Hohenzollern trat der vom Regierungspräsi-denten ernannte Bezirksführer der Freiwilligen Feuerwehr. Die Feuerwehr-Kreisführer wurden von den Landräten er-nannt.

Während des zweiten Weltkrieges war der Mannschaftsbe-stand der Feuerwehren durch Einberufungen stark ge-schwächt, doch traten ältere Feuerwehrmänner in die Lücken. Auch Jugendabteilungen und sogar Frauenabtei-lungen wurden gebildet.

Im Sommer 1945, wenige Monate nach Beendigung der Kriegshandlungen, wurde das Feuerlöschwesen neu organi-siert. Die Einbeziehung der Freiwilligen Feuerwehren in die Polizei, die sich nicht bewährt und auch dem Willen der

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Feuerwehrmänner nicht entsprochen hatte, wurde wieder aufgegeben. Da die Feuerwehren auch in wirren Zeiten in-nerlich gesund geblieben waren, vollzog sich der Neuauf-bau rasch, gefördert durch das besondere Verständnis und Interesse der französischen Besatzungsmacht. Von der Geräteausrüstung war nur wenig verloren gegangen. Seit dem Frühjahr 1946 steht die lückenlos organisierte Feuer-wehr wieder in voller Schlagkraft zum Einsatz gegen Feuersgefahr bereit.

Organisation. Die Freiwilligen Feuerwehren bilden nach wie vor die Grundlage des Feuerlöschwesens. Es wird ange-strebt, in jeder Gemeinde eine Freiwillige Feuerwehr zu gründen. Pflichtfeuerwehren werden nur dann errichtet, wenn es nicht gelingt, genügend Freiwillige zur Bildung ei-ner Feuerwehr zu bekommen. Im Kreis Hechingen beste-hen nach dem Stand vom 30. Juni 1946 39 Freiwillige Feuer-wehren (darunter 11 motorisierte) sowie 8 Pflichtfeuerweh-ren mit einem Gesamt-Mannschaftsbestand von 2100 Mann, im Kreis Sigmaringen 50 Freiwillige Feuerwehren (darunter 6 motorisierte) und 33 Pflichtfeuerwehren mit zu-sammen 1700 Mann. Die Werkfeuerwehren, deren Zahl im Kreis Hechingen zuletzt 2 und im Kreis Sigmaringen 1 be-trug, sind noch nicht in die Feuerlöschorganisation einge-reiht. An der Spitze des Feuerlöschwesens in jedem Kreis steht der Kreisbrandmeister, der den Landesbrandmeister (Landesfeuerwehramt) in Tübingen unterstellt ist. Feuer-wehrverbände sind noch nicht gebildet worden, doch wäre der Zusammenschluss auf Kreisgrundlage der Entwicklung des Feuerlöschwesens sehr förderlich und daher erwünscht. Die Gliederung der Feuerwehr in Löscheinheiten richtet sich nach den vorhandenen Fahrzeugen. Für jedes Fahrzeug ist eine Gruppe eingeteilt, die aus dem Führer und 8 Mann besteht, und zwar 1 Maschinist, 1 Melder, 2 Mann Angriff-strupp, 2 Mann Wassertrupp und 2 Mann Schlauchtrupp. Zu jedem Fahrzeug kommt ausserdem eine gleich starke Reservetruppe für einen etwaigen Ausfall. Die Ausbildung erfolgt bei Übungen, die von den Feuer-wehren alle vier Wochen, bei den motorisierten Wehren vierzehntägig abgehalten werden. In jedem Jahr beruft der Kreisbrandmeister die Feuerwehrkommandanten zu Dienstversammlungen ein.

Die Geräteausrüstung ist befriedigend. Sie besteht aus auto-mobilen Kraftspritzen, Tragkraftspritzen, pferdebespann-ten oder handgezogenen Handdruckspritzen, fahrbaren mechanischen Leitern, Schiebeleitern, Anstell-Leitern, Stock- und Dachleitern (Hakenleitern), Hydrantenwagen (Schlauchkarren) mit Zubehör wie Stand- und Strahlrohren und Werkzeugen. Zur Waldbrandbekämpfung stehen be-sondere Geräte bereit. Die Druckschläuche sind einheitlich genormt. Es gibt A-Saugschläuchen, B-Druckschläuche mit 75 mm I.W., C-Druckschläuche mit 52 mm l.W. und 25 mm-Schläuche für kleine Handdruckspritzen. Die Reichskupplung Storz ist in ganz Hohenzollern eingeführt, während im benachbarten württembergischen Bezirken teilweise noch die alte Giessbergkupplung verwendet wird.

Kreisschlauchpßegerei. Zur Pflege der Druckschläuche rich-tete im Jahre 1941 der Kreisbrandmeister in Hechingen eine Kreisschlauchpflegerei ein, die heute von den Feuerwehren der Kreise Hechingen, Sigmaringen und Balingen benützt wird. Das schadhafte Schlauchmaterial wird dort gewa-schen, in einer neuzeitlichen Trockeneinrichtung durch Warmluft von innen getrocknet und als dann geflickt und geprüft.

Alarmmittel sind in den Städten Weckerlinien, in einigen Gemeinden Sirenen. Meist wird der Alarm durch Horn-signale und Glockengeläute gegeben.

Hydranten. Die meisten hohenzollerischen Gemeinden be-sitzen Wasserleitungen, in die ohne Ausnahme Hydranten eingebaut sind als Entnahmestellen für Löschwasser. In Ho-henzollern sind zwei Hydrantenarten vertreten, die würt-tembergischen Normalhydranten in betonierten Schächten und die badischen Hydranten, ebenfalls Unterflurhydran-ten, aber ohne Schacht. In den Straßen sind Hinweisschilder zum leichteren Auffinden der Hydranten bei Schneefall an-gebracht.

Die Dienstgradbezeichnungen bei den Freiwilligen Feuer-wehren sind: Kreisbrandmeister, Hauptbrandmeister Ober-brandmeister, Brandmeister, Hauptfeuerwehrmann und Feuerwehrmann. Die Leiter der örtlichen Feuerwehren heissen Feuerwehrkommandanten.

Die Uniformierung besteht aus dunkelblauem Rock mit Rangabzeichen, Stahlhelm und Branddienstgurt.

Unterhaltung. Die Beschaffung und Unterhaltung der Löschgeräte, die Sorge für Bekleidung und Ausrüstung, Alarmeinrichtungen, Wasserversorgung und Gerätehäuser ist Aufgabe der Gemeinden.

Unfallfürsorge. In Hohenzollern besteht eine eigene Unfall-fürsorgekasse für die Feuerwehren, aus der Unterstützun-gen gewährt werden.

Auszeichnungen. Für besondere Dienste und treue lang-jährige Dienstzeit wurden früher durch den Hohenzolleri-schen Landesfeuerwehrverband Feuerwehr-Ehrenzeichen verliehen.

Feuerwehrmuseum. Im Jahre 1936 wurde mit dem Aufbau eines Hohenzollerischen Feuerwehrmuseums im Schloss in Haigerloch begonnen, dem die Gemeinden eine Reihe alter Geräte und aufschlussreiche Erinnerungsstücke überwie-sen. Seit der Beanspruchung des damaligen Museumsraums durch das Landwirtschaftsamt sind die Ausstellungsstücke im alten Rathaus in Hechingen gestapelt aufbewahrt.

Feuerwehrzeitung. Von 1924-1938 bestand die Württem-bergisch-Hohenzollerische Feuerwehrzeitung als Organ des Württ. und des Hohenz. Feuerwehrverbandes. Sie er-schien in Stuttgart. In dieser Zeitung wurden die Verlautba-rungen des Hohenz. Feuerwehrverbandes veröffentlicht. Der Hohenzollerische Teil der Zeitung wurde vom Vorsit-zenden des Höh. Landesfeuerwehrverbandes, J. Schmid, Hechingen, redigiert. Ausserdem brachte die Zeitung aus-führliche Berichte über Veranstaltungen und über verdiente Feuerwehrjubiiiare.

Stand der Motorisierung

a. Kreis Hechingen

Feuerlöschverbände

Feuerlöschverband I Burladingen TS 8 (Tragkraftspritze mit 800 Liter Leistung in der Minute) mit Anhänger und Schleppwagen.

Feuerlöschverband II Hechingen LF 15 (Löschfahrzeug mit 1500 Liter Leistung in der Minute) sowie LF 12 (alter Kreislöschzug).

Feuerlöschverband III Haigerloch, TS 8 mit Anhänger und Schleppwagen.

Feuerlöschverband IV Empfingen, TS 8 mit Anhänger und Schleppwagen.

Motorisierte Werksfeuerwehren

Heinrich Maute, Bisingen, TS 8 mit Anhänger und Schlepp-wagen.

S. Wolf &Cie. Stetten bei Hechingen, TS 8 mit Anhänger und Schleppwagen.

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Stand der Motorisierung des Kreises Sigmaringen

Löschverbände

Sigmaringen L F 1 5 Krauchenwies TS 8 Ostrach TS 8 Wald TS 8 » Standort Liggersdorf TS 8 Gammertingen TS 8 » Standort VeringenstadtTS 8 Kaiseringen • TS 8

Motorisierte Ortsfeuerwehren

Beuron TS 8 Inneringen Langenenslingen Trochtelfingen Sigmaringendorf Achberg

2 rad. Kraftspritze 8 (Schleppwagen requiriert)

TS 8 TS 8 TS 8 LF 8 (requiriert) TS 8

Nach dem heutigen Stand der Motorisierung ist Hohenzol-lern mit einem Netz von Motorspritzenstationen überzo-gen. In jedem 15-km-Umkreis ist eine Kraftspritze verfüg-bar.

Hechingen, im Juli 1946.

Erläuterungen:

LS Ii: Löschgruppenfahrzeug mit einer Pumpleistung von 1500 1/min.

TS 3 bzw. TS 8: Tragkraftspritze mit einer Pump-Leistung von 300 bzw. 800 1/min.

requiriert: von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt.

Wer kennt ein Werk des Bildhauers Karl Volk aus Jungnau?

Frau Häfner-Volk, die in der Schweiz wohnt, sucht nach Werken des Jungnauer Bildhauers Karl Volk. Wer in seiner Umgebung ein Werk von Karl Volk kennt, wird gebeten, Herrn Pfarrer Franz Gluitz, Kirchplatz 1 in 79286 Glottertal zu benachrichti-gen.

H E R B E R T RÄDLE

Neuentdeckte Werke von Jörg Stocker: Der Meister der Ennetacher Tafeln erhält mehr Profil

Neuentdeckte Werke

Als Hauptvertreter der Ulmer Malerei um 1500 werden in der kunstwissenschaftlichen Literatur allgemein Bartho-lomäus Zeitblom und Martin Schaffner genannt. Ihr Zeitge-nosse und Malerkollege Jörg Stocker wird dagegen meist übergangen. Das Interesse für Stocker beschränkt sich in der Regel auf die im Fürstlichen Museum Sigmaringen be-findlichen Tafeln des Ennetacher Altars, der 1496 in der En-netacher Pfarrkirche aufgestellt wurde und von Stocker sig-niert ist.

Auftraggeber des Ennetacher Altars waren wahrscheinlich die Grafen von Waldburg-Sonnenberg, Herren zu Scheer, zu deren Gebiet Ennetach gehörte. Das Ennetacher Retabel ist das einzige datierte und durch Inschrift beglaubigte Werk Stockers.

Uber Herkunft, Familie und Werkstatt Jörg Stockers ist we-nig bekannt, obwohl der Familienname Stocker in Ulm da-mals häufig bezeugt ist. Als Handwerker sind die Gold-schmiede Claus Stocker 1436 und Felix Stocker 1468 in Ulm ansässig; wahrscheinlich ist der 1485 bezeugte Zimmer-mannjörg Stocker der Vater des Malers. Der Maler Jörg Stocker wird zwischen 1481 und 1527 regel-mäßig in Schriftquellen in Ulm genannt, wo er zunächst in der Götzengasse und dann in der Vetterngasse wohnt. Sein Haushalt umfaßt 1517 sechs Personen. Wieviele Werkstatt-angehörige darunter mitgezählt sind, ist nicht bekannt.

Stockers Œuvre ist nun in neuester Zeit »erweitert« und sein Ruf aufgewertet worden dadurch, daß es Daniela v. Pfeil gelang, zwei Bilder des Ulmer Museums, eine Verkün-digung (Abb. 2) und eine Geburt Christi (nicht abgebildet), die bisher Martin Schaffner zugeschrieben wurden, als Wer-ke Jörg Stockers zu identifizieren. Die Autorin stützt ihren Nachweis1 in erster Linie auf technologische Untersuchun-gen (Infrarotrektographie), aber auch auf andere Beobach-tungen. So wurde, nach Pfeil, auf der Ulmer Geburt Christi »für die punzierte Goldfläche dieselbe Musterschablone verwendet wie für die Ennetacher« (S. 203) und »das gemal-

Abb. 1: Verkündigungsmr.r:a, Federzeichnung, Stockerwerkstatt Ulm um 1500. München, Staatliche Graphische Sammlung. Bild-nachweis: wie Abb. 2.

te Muster, mit dem das Ehrentuch hinter Maria auf der Ul-mer Verkündigung (vgl. unsere Abb. 2, rechts oben) verse-hen wurde, findet sich identisch auf der Beschneidung Chri-sti vom Ennetacher Retabel wieder« (ebd.). Außerdem seien Ubereinstimmungen auch bei der Gestaltung der Gewand-

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Abb. 2: Verkündigung an Maria, Jörg Stocker, um 1500. Ulm, Ul-mer Museum. Bildnachweis: Ausstellungskatalog wie Anm. 1, S. 203.

borten und Säume festzustellen. Des weiteren glichen die Bodenkacheln auf der Ulmer Verkündigungstafel (Abb. 2) -auch farblich - denen der Ennetacher. Ebenso seien die Lili-enblüten wiederverwendet. Ferner verweist Daniela v. Pfeil auf überzeugende stilistische Übereinstimmungen zwischen den Ulmer und den Ennetacher Tafeln (ausführlich S. 204).

Wir zeigen die Ulmer Verkündigungstafel auf unserer Abb. 2 neben einer kürzlich - ebenfalls von der genannten Auto-rin - entdeckten Federzeichnung aus der Stocker-Werkstatt (Abb. 1; Graphische Sammlung München), die eine Verkün-digungsmaria darstellt. Beide Bilder zeigen, von ihrer großen Ähnlichkeit abgesehen, eine erstaunlich hohe künst-lerische Qualität und sind daher geeignet, das Ansehen des bisher allgemein unterschätzten Jörg Stocker' als Vertreter der Ulmer Malerei um 1500 aufzuwerten.

Anmerkungen:

1 Daniela v. Pfeil, Jörg Stocker — ein verkannter Maler aus Ulm, in: Ausstellungskatalog Württ. Landesmus. Stuttgart 1993, S. 199-209.

2 Urteile über Stocker finden sich in der in Anm. 1 genannten Ar-beit auf S. 209, 1. So sind für Rott (1934) die Tafelgemälde Stockers der Inbegriff von »solid-nüchternen Durchschnittslei-stungen«. Stange (1957) beurteilt Stockers Malerei als »herb«, »kraftlos«, »reizlos« und »phantasielos«. Hingegen bezeichnete ihn Grüneisen (1840) immerhin als »tüchtigen Meister«.

Buchbesprechungen

Wissen um das demokratische Erbe

Auf vielfältige Weise und vielerorts im Land wurde im vori-gen Jahr an die Revolutionsereignisse von 1848/49 erinnert. Jetzt besteht die Möglichkeit, sich einen Überblick über die Geschehnisse vor Ort zu verschaffen und sich »Wissen um das demokratische Erbe« (Kreisarchivar Dr. Weber) auf ho-henzollerischen, badischen und württembergischen Schau-plätzen unserer Region anzueignen. Im Thorbecke-Verlag erschien als Band 7 der »heimatkundlichen Schriftenreihe des Landkreises Sigmaringen« das 352seitige, mit Schwarz-weißbildern aufgelockerte Buch »Fiür die Sache der Frei-heit, des Volkes und der Republik« (35 DM; ISBN: 3-931634-02-7). In zwölf Beiträgen werden auf der Grund-lage neuester Forschungsergebnisse Revolutionsabläufe im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmaringen geschildert und Zusammenhänge verdeutlicht.

Mit einer allgemeinen Hinführung leitet Christel Lührs-Trugenberger in die Thematik ein. Sie skizziert unter ande-rem die damaligen politischen und sozialen Verhältnisse, die den Boden für die Revolution bereiteten, und schildert die Abläufe bis hin zu den Revolutionsfolgen und hin zum Übergang Hohenzollerns an Preußen.

In den folgenden elf Aufsätzen werden verschiedene Revo-lutionsabläufe mit ihren lokalen Besonderheiten verdeut-licht. Dr. Christoph Rieber führt in die »Demokratenhoch-burg Sigmaringen«, in der 1848/49 viermal fremdes Militär eingreifen mußte, wenngleich es bei einer unblutigen Erhe-bung für eine demokratische und soziale Republik blieb. Dr. Rieber erwähnt unter anderem die Rolle des Turnver-

eins und jene von Einzelpersonen wie der des Advokaten Dr. Carl Otto Würth.

Solches vertieft Dr. Andreas Zekorn, der sich in seinem Bei-trag auf die Spuren der Museumsgesellschaft und des Bür-gervereins in Sigmaringen begab. Er nennt politische Gesin-nung und politisches Wirken führender Mitglieder, etwa des fürstentreuen Hofkammerpräsidenten von Weckherlin, des liberalen fürstlichen Regierungsdirektors Mock, des radika-len Demokraten Karl Dopfer oder des Vertreters der Ultra-montanen, des Pfarrers Silvester Miller.

Dr. Herbert Burkarth legt dar, warum, wie und mit welchen Folgen »das Feuer der Empörung« in und rund um Gam-mertingen während der Jahre 1848/49 loderte. Er erinnert unter anderem an Volksbewaffnung, Bürgerwehr (mit Mu-sikzug), Schießstand im Weihtäle und Munitionslager in der Michaelskirche, aber auch an Führungspersönlichkeiten wie Advokat Aicheier oder Bürgermeister Reiser. Zu den positi-ven Folgen der Revolution für Gammertingen zählten die Vergrößerung und Stärkung des Oberamtsbezirks, die Ab-

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Schaffung alter Abgaben und Dienste sowie das Aufblühen des Vereinslebens.

In seinem Aufsatz über die Revolution in Pfullendorf konn-te Dr. Edwin Ernst Weber unter anderem auf die Aufzeich-nungen des Malers Johann Nepomuk Lang zurückgreifen. In der badischen Amtsstadt spielte sich auch Kurioses ab. So kam es am 28. Juni 1849 zu einer Schlägerei im Wirtshaus und auf der Straße, und die 1846 beschafften Kanonen des Bürgermilitärs wurden für die, die sie nutzten, zur lebens-gefährlichen Waffe. Bei unkontrollierten Explosionen kam es beinah zur Katastrophe, und zwei Männer wurden le-bensgefährlich verletzt. Nichts zu lachen hatten auch die Pfullendorfer Revolutionäre nach der militärischen Beset-zung der Stadt, und das politische Klima in Pfullendorf war über Jahre hinweg massiv vergiftet. Für einen Pfullendorfer verlief das Streben nach Freiheit vor 150 Jahren besonders tragisch. Konrad Heilig, der es zum Kommandant der Fest-ungsartillerie in Rastatt gebracht hatte, wurde am 11. Au-gust 1849 von den Preußen vor ein Standgericht gestellt und erschossen.

Armin Heim verdeutlicht in seinem Beitrag, daß Meßkirch ein besonderer Nährboden revolutionären Gesinnung war, wobei Bürgermeister Emmert eine entscheidende Rolle spielte. Als einer der »größten Wühler« mit republikani-scher Gesinnung galt auch der Bietinger Kaplan Johann Ehing, der deswegen suspendiert wurde. Als rühriger Revo-lutionär und Wortführer der Meßkircher Demokraten trat zudem Adlerwirt Johann Baptist Roder (1814-1890) in Er-scheinung. Nach der Revolution wurde gegen 46 Meßkir-cher gerichtlich wegen Hochverrats ermittelt; 27 Angeklag-te wurden mit Vermögensbeschlagnahmung bestraft, in 16 Fällen wurde Haftstrafe verhängt.

An den Unruhen in Meßkirch hatten auch Frauen großen Anteil. Darüber informiert Margret Maunz in dem Thor-becke-Buch. Treibender Motor war der demokratische Frauenverein, geleitet von Creszentia Kolb, geborene Voll-mer, der Frau des Oberlehrers Alois Kolb, der den Volks-verein mitbegründet hatte.

Über die soziale Lage und unbefriedigenden wirtschaftli-chen Verhältnisse vieler Bürger im Amtsbezirk Meßkirch, besonders über die prekäre Situation der Bauern, berichtet Markus Vonberg. Für Arger unter den Bauern sorgten be-sonders die zu entrichtenden Abgaben, Fronden, Zehnten und sonstigen Lasten. Tief war das Mißtrauen gegen die fürstlich-fürstenbergische Verwaltung und entsprechend gereizt die Stimmung. Durch die nach und nach errungenen Zugeständnisse wurden die gröbsten Mißstände beseitigt. Ahnlich prekär waren die wirtschaftlichen Verhältnisse im badischen Amtsort Stetten a. k. M., wie Erika Jeuck darlegt. Sie schildert die Protestaktionen der Gemeinde-Vertreter gegen Graf Ludwig von Langenstein, die Forderungen der Bauern und den einvernehmlich abgeschlossenen Vergleich. Hauptakteur und Wortführer war seinerzeit Stettens Bür-germeister Franz Räfle, der sich durch Flucht in die Schweiz einer Bestrafung entziehen konnte. Er wurde als Hochver-räter verurteilt, und auch gegen die übrigen Teilnehmer an der Revolution wurde hart vorgegangen. Andreas Ruess, Anton Stehle und Helmut Göggel legen in drei Aufsätzen das Revolutionsgeschehen in den württem-bergischen Amtsstätten Saulgau und Mengen sowie im Be-reich der thurn- und taxisschen Standesherrschaft Fried-berg-Scheer dar. In Saulgau engagierte sich besonders das mittlere und gehobene Bürgertum für die Demokratie. Sehr eifrig war Stadtschultheiß Georg Caspar Neidlein, der Peti-tionen und Versammlungen initiierte und auch Auseinan-dersetzungen mit dem konservativen Bürgerwehrkomman-

danten oder dem ungeliebten Oberamtmann Cunradi nicht scheute. In Mengen gab es viele ortsspezifische Probleme. Die Ein-wohner waren unzufrieden mit der städtischen Obrigkeit, deren Amtsführung und Machtausstattung. Unbeliebt war beispielsweise auch der neue Forstfachmann. Die Mengener wollten die bestehende Revolutionsstimmung nutzen, um eine Beseitigung ihrer lokalen Probleme mit zu erreichen, was zum Teil auch gelang.

Zugeständnisse wurden auch von der thurn- und taxisschen Standesherrschaft ertrotzt. Sie betrafen unter anderem die Beseitigung der Feudallasten, Verbesserungen im Wahlrecht und im kommunalen Geschehen. Wortführer in Scheer wa-ren Schultheiß Gottfried Hanst, Amtsrichter von Rom und Kaplan Ama.

Baden-Württemberg besitzt viele Attraktionen. Dazu zählen die sieben regionalen ländlichen Freilichtmuseen. Eins davon befindet sich in hohenzollerischer Nähe, in Neuhausen ob Eck. Ihm und den anderen sechs Kleinoden (Walldürn-Gottersdorf, Wackershofen, Beuren, Gutach, Kürnach und Wolfegg) hat der Stuttgarter Graphiker und Fotograf Uli Kreh einen prächtigen Bildband gewidmet. Er ist unter dem Titel »Zeugen einer Vergangenheit« im Silber-burg-Verlag Tübingen erschienen (200 Seiten, 452 Farbbil-der, Großformat, ISBN: 3-87407-280-0; 58 DM).

»Zeugen einer Vergangenheit«, ausgestattet mit aussagestar-ken Fotos, deren Betrachtung manche Erinnerung weckt und Lust macht, sofort vor Ort zu fahren, ist mehr als ein bloßer Bildband, der Sehenswürdigkeiten dokumentiert. Die Texte beschränken sich keineswegs nur auf Bildunter-schriften. Beigefügt ist immer ein geschichtlicher Aufriss, in dem Entstehung und Werdegang der Schaustücke dargelegt werden. Hingewiesen wird zudem auf Tierhaltung, auf Handwerkertage und sonstige Veranstaltungen im Mu-seumsbereich. So weckt das Buch nicht nur Aufmerksam-keit, es stellt auch eine Anerkennung für alle dar, die mit Hilfe des Landes durch die Schaffung der Freilichtmuseen mehr als 150 Bauernhäuser und dörfliche Gebäude, die an ihrem alten Standort nicht mehr gehalten werden konnten, vor dem Untergang gerettet haben und die nun Zeugnis ab-legen vom früheren Leben und Arbeiten der Menschen in unserer Heimat.

Uli Rothfuss aus Trossingen hat 20 kleinstädtische Episoden aus Schwaben, die sich während des Nazi-Regimes zugetra-gen haben, szenisch aufgearbeitet und im Buch »Die Hitler-fahn' muß weg!« vorgelegt (Silberburg-Verlag, 95 Seiten, ISBN: 3-87407-289-4). Dramatik ist beim Lesen zu spüren, und die 20 Stationen eignen sich gut zur Aufführung in Thea-tergruppen: in Schulen und darüber hinaus. So ähnlich haben sich die Ereignisse wohl überall in unserem Land abgespielt. Sie erinnern an Unterdrückung und Ausgrenzung von Min-derheiten, an Macht und blinden Gehorsam, an Ohnmacht und Mitläufertum, an das Zur-Seite-Schauen und an die Hoffnung und den Widerstand einzelner Mutiger.

Von Pfarrer Rudolf Paul liegt ein weiterer Band aus der Rei-he »D Bibel für Schwoba« vor, diesmal die Übertragung des 2. Buchs Mose (Exodus) in unsere Mundart. Er hat den Titel »D Befreiong« und ist im Silberburg-Verlag erschienen (175 Seiten, ISBN: 3-87407-281-9). Der Autor sieht in der Mundart ein Mittel, den Menschen Bibel und Evangelium auf »heimelige Art« nahezubringen. Gerd Bantle

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Verlag: Hohenzollerischer Geschichtsverein Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen

E 3828

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«

Register 1998

Seite

Bingen, die Herren von Hornstein und das Dorf Bingen 20

Bubenhoven, Das unrühmliche Ende der Gebrüder Hans Casper und Hans Wolf von Bubenhoven, Söhne des Landhofmeisters Johannes I. von Bubenhoven 38

Buchbesprechungen Zwischen Alb und Bodensee, Radwanderführer 67 Hornstein, Beiträger zur Geschichte von Burg, Familie und Herrschaft 14 Bildband von Inneringen erschienen 35 Der Meister von Meßkirch 15 Lebenslese, Erinnerungen eines Wengerters 16 Reutlingen, kleiner Bildband vom Silberburgverlag 16 Von Rittern, Bauern und Gespenstern und die Welt ist die Welt 15 Revolution von 1848/49 im Oberamt Riedlingen 51 Revolution im Südwesten, Stätten der Demokratie bewegung in Baden-Württemberg 52 Die Jagd nach dem heiligen Stab, Roman von Peter Thaddäus Lang 67

Zum Feuerlöschwesen im Hohenzollerischen 63 Glatt, was bietet die Heimat ihren Kindern 12, 34, 48

Gauggel Anton, »Die Posaune der Freiheit schallt über die deutsche Erde«, Anton Gauggel - Ein hohenzollerischer Freischärler in der Revolution von 1848/49 54

Harthausen a. d. Scheer, Die Seelsorger von Harthausen a. d. Scheer 49

Hechingen, Die Hechinger Bürgerwehr während der Revolution von 1848/49 31

Hechingen, Eine bedeutende Neuerwerbung des Staaatsarchivs: Der Nachlaß Täglichsbeck 7

Hechingen, Thomas Täglichsbeck (1799-1867) 30 Hohenzollerischer Geschichtsverein, zur

Wiedergründung vor 50 Jahren 18 Hohenzollerischer Geschichtsverein, Jahresver-

sammlung 1998 67 Das Schwert im hohenzollerischen Kürbis, Veran-

staltung zur Revolution von 1848/49 in Hohen-zollern 65

Inzigkofen, Die Meinradskapelle im Fürstlichen Park in Inzigkofen 61

Inzigkofen, Ein weiteres Jubiläum: 50 Jahre Volks-hochschulheim Inzigkofen 29

Isny, Zwei Brakteaten der Münzstätte Isny -Schwäbische Grafen als Städtegründer und Münzherren 44

Mengen, Zum Tode des Altbürgermeisters und Kunstförderers Hermann Zepf 4

Neufra, Das Hochaltarbild der Muttergotteskapelle 2 September, Gedicht von Maria Leibold 50 Stetten a. k. M. Vor 190 Jahren sollte Stetten a. k. M.

württembergisch werden 8 Sigmaringen, Das ehemalige Denkmal Kaiser

Wilhelms I. in Sigmaringen 10 Der Sigmaringer Leopoldplatz - Notizen zu seiner

Geschichte, Gestalt und Funktion Teil 2 22 Sigmaringer Revolutionäre im »Zollernschen Hof«

Ölbild von 1848 53 Stoll, Meine Erinnerungen an das Revolutionsjahr 1848 45 Michael Walter, zur Erinnerung an Michael Walter

1876-1958 43

H O H E N Z O L L E R I S C H E HEIMAT

herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein, Postfach 16 38, 72486 Sigmaringen. ISSN 0018-3253 Erscheint vierteljährlich.

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und den angrenzenden Lan-desteilen mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben fachhi-storischen auch populär gehaltene Beiträge.

Bezugspreis: Für Mitglieder des Hohenzollerischen Geschichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nicht-mitglieder DM 13,00 jährlich. Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25) können beim Hohenzollerischen Ge-schichtsverein (s. o.) bestellt werden.

Die Autoren dieser Nummer:

Gerd Bantle Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen

Dr. Otto H. Becker Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen

Dr Peter Thaddäus Lang Stadtarchiv, 72422 Albstadt

Dr. Herbert Rädle Veit-Jung-Straße 13 a, 92318 Neumarkt

Dr. Edwin Ernst Weber, Kreisarchivrat Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen

Gesamtherstellung: Jan Thorbecke Verlag, 72488 Sigmaringen, Karlstraße 10

Schriftleitung: Dr. med. Herbert Burkarth, Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen Telefon 07574/4407

Die mit Namen versehenen Artikel geben die persönliche Meinung der Verfasser wie-der; diese zeichnen für den Inhalt der Beiträ-ge verantwortlich. Mitteilungen der Schrift-leitung sind als solche gekennzeichnet.

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden an die Adresse des Schriftleiters er-beten.

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzolleri-sche Heimat« weiterzuempfehlen.

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E 3828

H Ö H E N Z O L L E R I S C H E

HEIMAT Herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein

49. Jahrgang Nr. 2 / Juni 1999

KARL W E R N E R STEIM

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf

Der Jahreslauf war früher - mehr als heute - unterbrochen durch verschiedene Feste und Feiern, die an bestimmte Tage gebunden waren. Dazu gehörten sowohl kirchliche als auch weltliche Feste (1). Nachstehend soll ein Rundgang durch das Jahr in Haigerloch mit seinem Brauchtum gegeben wer-den, wie es überwiegend anhand von Akten ermittelt werden konnte. Für mündliche Auskünfte sei vor allem den Ge-schwistern Rosa (1898-1992) und Sofie Trenkle (Jahrgang 1901) sowie Gertrud Zimmermann (1903-1992) gedankt.

Das Jahr beginnt zwar am 1. Januar, doch an diesem Tag mit dem Uberblick anzufangen, wäre problematisch. Erstens würden damit die Weihnachtstage bis Dreikönig auseinan-dergerissen, die auch im Brauch zusammengehören. Zwei-tens markiert der 1. Januar den Jahresbeginn noch nicht sehr lange: erst im Jahre 1691 hat Papst Innozenz ihn als kirchli-ches Fest bestätigt. Es ist daher meist üblich, mit dem Ende des Arbeitsjahres zu beginnen, das mit dem Martinstag, dem 11. November, gleichgesetzt wird.

Martini - 11. November

Der heilige Martin wurde 317 oder 336 in Pannonien gebo-ren. Er wurde Soldat, ließ sich taufen und gründete um 370 das erste abendländische Kloster bei Poitiers. Später wurde er Bischof von Tours. Er starb dort um das Jahr 400 und wurde an einem 11. November begraben. Bekannt ist die Legende, nach der er seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Im 5. Jahrhundert wurde er heiliggesprochen. Kirchen und Kapellen sind ihm u. a. auf der Burg Hohenzollern, in Bur-ladingen, Hechingen, Heiligenzimmern und Rangendingen geweiht (2). Dank seiner frühen Verehrung war der Mar-tinstag schon im Mittelalter ein wichtiger Termin. Außer-dem begann um diese Zeit die Adventsfastenzeit. Es ist ver-ständlich, daß man vorher noch einmal kräftig feiern wollte, und da bot sich der Martinstag an. Davon dürfte auch der Begriff der Martinsgans stammen. Martini war aber vor al-lem ein Rechtstermin, an dem die meisten Zehnten eingelie-fert und auch die Zinsen und sonstigen Abgaben bezahlt werden mußten. Solange es Knechte und Mägde gab, war dies der wichtigste Termin, die Dienstboten zu wechseln. Schließlich war Martini ein wichtiger Markttermin. Weit verbreitet sind die herbstlichen Laternenumzüge der Kin-der, meist um oder am Martinstag. Dieser Brauch kam aus Norddeutschland. Dazu paßt ein weiterer Spätherbst-brauch: die Rübengeister - ausgehöhlte Rüben, in die ein Gesicht geschnitten wird. Man setzt eine Kerze in die Rübe und diese gelegentlich auf einen Stecken.

Barbaratag - 4. Dezember

Die Sitte, Barbarazweige zu schneiden und im Hause zum Blühen zu bringen, ist schon etliche Jahrzehnte alt. Dabei handelt es sich meist um Edelkirschen- oder Forsythien-zweige, die man am Barbaratag, also am 4. Dezember, ins Wasser stellt - an Weihnachten sollen sie blühen. Wie sich Gertrud Zimmermann erinnerte, war dieser Brauch schon in ihrer Kindheit üblich. In der Gärtnerei Haas/Zimmer-mann schnitt man etwa zehn Tage vor dem Barbaratag Zweige, holte sie ins Haus und ließ sie vortreiben, damit sie an Weihnachten blühten. Diese Zweige wurden dann ver-kauft. Beim Flieder gelang es sogar, kleine Dolden hervor-zubringen mit dem typischen Fliederduft.

Nikolaustag - 6. Dezember

Nikolaus war im 4. Jahrhundert Bischof von Myra in Kleinasien. Um ihn ranken sich viele Legenden. Im 10./11. Jahrhundert kam seine Verehrung auch nach Deutschland. In der Folge wurde Nikolaus Patron vieler Kirchen, in un-serem Raum zum Beispiel in Haigerloch, Bisingen, Hos-pach und Kremensee; Altäre sind ihm außerdem in Empfin-gen, Hechingen, Hart, Gruol und Grosselfingen geweiht (3). Der hl. Nikolaus muß in Haigerloch schon sehr früh verehrt worden sein; nicht umsonst trägt die Unterstadtkir-che sein Patrozinium, das seit 1350 genannt wird (4). Früher wurde der Nikolaustag in der Unterstadtkirche feierlich be-gangen, wie Rosa Trenkle berichtete. In den ersten Jahr-zehnten unseres Jahrhunderts war der Nikolaus in schlechte Kleidung gehüllt, allenfalls lieh man sich die sehr seltenen Pelzkittel von Haigerlocher Ärzten aus. Gertrud Zimmer-mann erinnerte sich noch mit Schrecken daran, daß man vor dem Besuch von St. Nikolaus Angst gehabt habe; auch Knecht Ruprecht habe sich sehr wüst aufgeführt und mit seinem Kettenrasseln die Angst der Kinder noch verstärkt. Lange Jahre wirkte Zimmermeister Heinrich Huber als Ni-kolaus. Die Oberamtsbeschreibung von 1928: »Das Fest des hl. Nikolaus, der >Santiklostag<, ist heute noch ein besonde-rer Freudentag der Kinderwelt. In Haigerloch singen die

Kinder kurz vor St. Nikolaus: >Santi Klos, Butterballa, laß mir a paar Äpfl falla!< Auch kommt heute noch der St. Ni-kolaus in Bischofstracht am Vorabend des 6. Dezember in die Häuser.« Rosa Trenkle berichtete vom Nikolaus-Besuch im alten Kindergarten, der sich in der Pfluggasse befand. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat Nikolaus meist als ehrwürdiger Bischof in weißem Meßgewand mit Krumm-stab, Bischofsmütze und vor allem einem wallenden Bart auf (jahrzehntelang von Paula Klumpp dargestellt). Ganz im Gegenteil war dazu der Knecht Ruprecht gekleidet, der stets einen großen Sack mit sich führte, in dem sowohl Süßigkeiten und kleine Geschenke für Kinder waren, wo diese aber durchaus einmal verschwinden konnten, wenn sie während des Jahres nicht artig waren.

Advent

Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Als noch sehr jung im adventlichen Brauchtum ist der Advents-kranz zu bezeichnen. Mögliche Vorläufer waren die seit dem 16. Jahrhundert bezeugten »Weihnachtsmaien«, grüne Zweige, auf »Christ- und Lichterkronen«. Der Advents-kranz selbst soll auf das »Rauhe Haus« bei Hamburg, eine Erziehungsanstalt, zurückgehen, die seit 1833 bestand. Dort gab es eine besondere Form der Adventsandacht: Zunächst wurden Wachslichter an der Orgel aufgestellt und bei der Verlesung des Textes entzündet; später wurde »auf dem Kronleuchter des Saales vom ersten Advent an mit jedem Tag ein Licht mehr angezündet«; der Leuchter hatte also Platz für 28 Lichter. Auch der Schmuck mit Tannengrün scheint um die Mitte des letzten Jahrhunderts dazugekom-men zu sein. Später verbreitete sich der Brauch, wobei er vermutlich während des Ersten Weltkrieges über norddeut-sche Lazarette, wo Adventskränze hingen, in den Süden kam (5). Der Adventskranz war noch in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts im Südwesten kaum verbreitet. Gertrud Zimmermann berichtete aber, daß schon während des Ersten Weltkrieges in Haigerloch einige Adventskränze geflochten wurden. Später nahm diese mühevolle Arbeit für die Gärtnerei Haas/Zimmermann stark zu. Gebunden wur-den einfache Weißtannenkränze über einem Holzreifen. Geschmückt wurden die Adventskränze schon damals mit vier roten Kerzen und roten Bändern.

Weihnachten

Das Weihnachtsfest, die Geburt Christi, wird seit dem 4. Jahrhundert gefeiert. Auf dem Konzil von Konstantinopel (381) wurde es auf den 25. Dezember festgelegt und 813 zum Feiertag bestimmt. Stark besucht waren jeweils die drei Messen am ersten Weihnachtsfeiertag (Engelamt, Hirtenamt, »Missa in die«). 1875 - und wohl auch sonst üblich - wurden Engelämter in der Unterstadt- und St. Annakirche gehalten, Hirtenamt und Hauptgottesdienst (vor ausgesetztem Allerheiligsten) in der Schloßkirche. Am Nachmittag war feierliche Vesper (6). »Die Sitte, zu Weihnachten allerlei Gebäck herzustellen, besonders die sog. Springerle und das Hutzelbrot oder Bir-nenbrot, d. h. Brot mit getrockneten Birnen (Hutzeln) und andern Zutaten, ist noch weit verbreitet«. Untrennbar zu Weihnachten gehört der Christbaum. Die ältesten Belege dafür in Deutschland stammen aus dem 16. Jahrhundert. Es handelte sich um »wynacht mayen« (7). Der Brauch entwickelte sich aus den damals schon üblichen »Maien«, unter denen man nicht nur Maibäume verstand, sondern grüne Zweige und Bäumchen, die zu allen mögli-chen Festlichkeiten aufgestellt wurden. Im 18. Jahrhundert wurde der Weihnachtsbaum im Schwäbischen allmählich

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5 o f c n ¿ o U * r t f 4 K C o n f e c

Mitteilungen aus dem Geschichtsverein

Veranstaltungen im 3. Quartal 1999

Seminare

I.

Wegen weiterhin großen Zuspruchs wiederholen der Hohenzollerische Geschichtsverein e. V. und der Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden e.V. am Freitag, 23. Juli, von 10 bis ca. 17 Uhr im Staatsarchiv in Sigmaringen das

»Archivseminar für heimat- und familienkundlich Interessierte«

Programm: 10.00 Uhr Begrüßung

10.15 Uhr Genealogische und ortsgeschichtliche Quellen in südwestdeutschen Archiven (Dr. Trugenberger) (Kaffeepause 11.15 U h r - 1 1 . 3 0 Uhr)

II .30 Uhr Einführung in die Bestände des Staats-archivs Sigmaringen (Dr. Becker)

Mittagspause 12.30 Uhr - 13.30 Uhr) 13.30 Uhr Hinweise auf die Benutzung des Staatsar-

chivs Sigmaringen (Dr. Becker)

14.00 Uhr Ausgewählte Quellengattungen zur Orts-und Familiengeschichte (Dr. Becker/Dr. Tru-genberger)

(Kaffeepause 15.00 Uhr - 15.15 Uhr)

15.15 Uhr Schlußdiskussion

15.45 Uhr Archivführung (Dr. Becker/Dr. Trugenberger)

Der Unkostenbeitrag beträgt für Mitglieder des Hohen-zollerischen Geschichtsvereins oder des Vereins für Fa-milien- und Wappenkunde 20 DM, für Nichtmitglieder 30 DM pro Person.

II.

Der Hohenzollerische Geschichtsverein e. V. und der Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden veranstalten am Freitag, 24. September, von 13 Uhr bis ca. 17 Uhr im Staatsarchiv in Sigmaringen un-ter der Leitung von Archivrat Dr. Ziwes, Sigmaringen, ein Nutzerseminar

»Einführung in die Chronologie«

Welcher Kalendertag war der in einem Kirchenbuch er-wähnte 23. Sonntag nach Trinitatis 1716? Warum wurde - wie im Kirchenbuch vermerkt - in einem württember-gischen Dorf Konrad Oswald von kaiserlichen Soldaten am 5. September 1634 erstochen, obwohl die kaiserlichen Truppen das Herzogtum Württemberg erst heimsuch-ten, nachdem sie die Schweden am6. September 1634 in Nördlingen geschlagen hatten? Warum kann ein Ritter am 26. Dezember 1420 eine Urkunde ausstellen, obwohl er bereits im Juni 1420 gestorben ist? Welcher Kalender-tag war der Dienstag nach Katharina 1388?

Auf alle diese Fragen und noch mehr gibt o. g. Seminar Auskunft. Der Unkostenbeitrag beträgt für die Mitglieder des Ho-henzollerischen Geschichtsvereins oder des Vereins für Familien- und Wappenkunde 10 DM, für Nichtmitglie-der 15 DM.

Nähere Auskünfte über die beiden Seminare erteilt Frau Liebhaber im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel. 07571/101-558). Vorankündigung

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und der Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische Ge-schichtsverein e. V. laden alle Geschichtsfreunde zum Besuch der Vortragsveranstaltung

» Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau«

am Samstag, 16. Oktober 1999, ab 9.30 Uhr in die Ho-henberghalle in Schömberg-Schörzingen ein.

Programm:

9.30 Uhr Grußworte

10.00 Uhr Bernhard Rüth, Der Übergang der Herr-schaft Schramberg an Österreich

10.40 Uhr Kaffeepause

11.00 Uhr Hans Peter Müller, Oberndorf als vor-derösterreichische Stadt

11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster, Fridingen und Spaichingen, Die »Hauptorte« Ober-hohenbergs

ca. 12.20 Uhr Mittagspause

14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber, Landeshoheit von »oben« versus Herrschaftverdichtung von »unten«. Territorialherrschaft in Vorder-österreich und Fürstenberg-Meßkirch am Beispiel der Untertanendörfer Engelswies und Kreenheinstetten

14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn, Unter dem Schutz-flügel des Kaiseradlers: Die Grafschaften Sigmaringen und Veringen als österreichi-sche Lehen

15.20 Uhr Kaffeepause 15.45 Uhr Karlheinz Geppert M. A., Die vorderö-

sterreichischen Städte Schömberg und Binsdorf

16.25 Uhr Dr. Martin Zürn, Die vorderösterreichi-sche Herrschaft Kallenberg

Ende der Nachmittagsveranstaltung: ca. 17.15 Uhr

18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der Stadt Schömberg (mit Abendessen) Musikalische Umrahmung: Volkstanzmu-sik Frommern

Grußworte 20.00 Uhr

20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai, Habsburg am oberen Neckar und der oberen Donau

gez.: Dr. Becker Vorsitzender

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heimisch, galt aber bis Ende des 19. Jahrhunderts immer noch als sehr selten. Vor allem in den Dörfern muß der Christbaum noch lange als Luxus angesehen worden sein, den sich nur die reichsten Bauern leisteten. Es ist nicht bekannt, ob es sich bei den »Tännlein«, die der spätere berühmte Haigerlocher Barockbaumeister Christi-an Großbayer laut Stadtgerichtsprotokoll in seiner Jugend »umgehauen« hat, schon um Christbäume handelte (8). Auch in Haigerloch waren die Christbäume vor der Jahr-hundertwende selten. Im Jahre 1897 übernahm die Stadt erstmals den öffentlichen Verkauf der Christbäume, was darauf schließen läßt, daß es erst jetzt eine stärkere Nachfra-ge gab und die Bäume vorher wohl nur vereinzelt abgege-ben wurden (9). Damals wurde festgelegt, daß der bisherige Waldbannwart Josef Geigentasch mit Rücksicht darauf, daß er und seine Vorgänger »für die Abgabe von Christ-bäumchen ein Trinkgeld von den Abnehmern für sich bean-spruchen durften«, 8 Mark als Ersatz für die entgangene Einnahme erhalten sollte. Das war zugleich die Hälfte des Erlöses aus dem Christbaumverkauf; die Stadt erhielt näm-lich für 55 Bäume 16,55 Mark. Der Stadtrechnung lassen sich interessante Details entnehmen. Die Kinderschule er-hielt einen Baum geschenkt. Die Frage, warum zehn Famili-en gleich zwei Bäume kauften, ist nicht leicht zu beantwor-ten. Vermutlich gaben sie die Christbäume an Bekannte oder an Verwandte weiter. Angesichts einer Zahl von rund 350 bis 400 Haushaltungen ist die Zahl der 55 Christbäume als gering einzustufen. Und wer leistete sich einen Baum? In erster Linie war es tatsächlich die sogenannte Oberschicht (darunter viele Beamte) wie beispielsweise Bürgermeister Münzer, Kaufmann Schönbucher, Uhrmachermeister Julius Huber, die Sekretäre Schneider, Meßmer, Hardt und Emter, Apotheker Glaiber, Bezirksgeometer Eble, Postverwalter Möder, Gerichtsdiener Eisenhauer, Amtsrichter Kraus, Hauptlehrer Fink, Stadtbaumeister Wilhelm Schönbucher, Baumeister Schäfer, Stadtrechner Büchle sowie die Gastwir-te Wilhelm Zöhrlaut, Posthalter Linsenmann, Bierbrauer Wilhelm Maier, Bäckermeister Mang und Hirschwirt Mock. Gekostet hat ein Baum - es findet sich »übrigens nur die Be-zeichnung »Christbaum« und »Christbäumehen« - 10 bis 80 Pfennige. Bei einem Tagesverdienst für einen Handwer-ker von 2 bis 3 Mark waren die Bäume nicht gerade billig. Wie aus der Stadtrechnung auch hervorgeht, wurden die Christbäume im Unterstadtwald geschlagen. Hermann Wannenmacher erhielt für einen Tag Arbeit 2 Mark, Gallus Schwenk, der eine Fuhre abholte, 1,50 Mark. Im folgenden Jahr verkaufte die Stadt 68 (Vorjahr 55) Christbäume, unter ihnen an Seehofpächter Späth, Dr. Mock, Amtstierarzt Bühler, die evangelische Kirchengemeinde und Amtsrichter Hodler. Die Preise betrugen zwischen 0,30 und 1,50 Mark, der Gesamterlös 35,45 Mark. 1899 waren es nur 51 Bäume, die zwischen 0,30 und 1 Mark kosteten, insgesamt 22, 10 Mark (10). Man kann also nicht davon sprechen, daß der Christbaumverkauf gleich von Anfang an einen starken Aufschwung genommen hätte. Andererseits muß man berücksichtigen, daß wohl auch Private Christbäume abga-ben.

Der Christbaumverkauf war im Prinzip immer Sache der Stadt, erinnerte sich Gertrud Zimmermann, wobei aber

früher viele Leute - aus einer Art Gewohnheitsrecht - ihre Christbäume selbst im Wald geholt hätten. Einzelne Bau-ern, auch aus Owingen, verkauften ebenfalls Bäume. Der Christbaumschmuck, bunte Glaskugeln aller Art, Christ-baumspitzen und sehr feines »Engelshaar«, kam damals aus dem Erzgebirge. Der Baum bekam als Zierde Äpfeln und »Kringele«. Letztere waren ein einfaches Buttergebäck, das mit einem Glas ausgestochen wurde. Selbst das Backen war für die Kinder eine Freude; da wurde schon der Teig »ver-sucht«. Die Gärtnerei Haas/Zimmermann verkaufte kleine Tischbäumehen.

Der erste lichtergeschmückte Weihnachtsbaum im Freien soll erst 1912 auf dem Madison Square in New York aufge-stellt worden sein (11). Nach dem Ersten Weltkrieg trat der neue Brauch seinen Siegeszug in Deutschland an. Die Na-tionalsozialisten bemächtigten sich sofort des jungen Brau-ches, der Baum sollte die Volksweihnacht der Volksgemein-schaft symbolisieren. Öffentliche Christbäume wurden in Haigerloch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt: am Marktplatz, vor dem Rathaus und in der Oberstadt. Die recht stattlichen Bäume wurden mit Ketten elektrischer Lichter geziert.

Bescheiden ging es früher noch in Sachen Geschenke zu. Von Eltern, Taufpaten und Großeltern gab es vor allem et-was zum Anziehen, für die Mädchen Puppen und für die Buben - als höchstes der Gefühle - vielleicht eine Dampf-maschine.

Es versteht sich, daß die einzelnen Vereine auch früher schon ihre Weihnachtsfeiern abhielten, so der Kirchenchor mit viel Gesang in der »Brauerei Maier«. Vor allem wäre ein Weihnachtsfest ohne das Lied >Stille Nacht« undenkbar ge-wesen. Rosa Trenkle berichtete, wie es sogar den Juden so gut gefiel, daß sie es gern mitsangen. Der »Rosen-Jakob« (Jakob Levi) kam oft zur Kirchenchor-Weihnachtsfeier, nur um dieses Lied zu hören.

Anmerkungen

1 Allgemeine Literaturauswahl: Angelika Bischoff-Luithlen: Von Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten. Stuttgart 1979. -Dietz-Rüdiger Moser: Bräuche und Feste im christlichen Jahres-lauf. Köln 1993. - Anselm Schott: Das vollständige Römische Meßbuch. Freiburg 1961. - Herbert Schwedt/Elke Schwedt: Schwäbische Bräuche. Stuttgart 1984.

2 Elmar Blessing: Die Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrozinien für den Kreis Hechingen im Mittelalter und in der Neuzeit. Diss. Tübingen 1962.

3 S.Anm. 2. 4 Franz Xaver Hodler: Geschichte des Oberamts Haigerloch

(OAB). Hechingen 1928 S. 927 Anm. 21. 5 Hermann Bausinger: Der Adventskranz - ein uralter Brauch?

In: Marin Blümcke: Abschied von der Dorfidylle? Stuttgart 1982.

6 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA): Nr. 1317 7 OAB, S. 885. 7 Herbert Schwedt/Elke Schwedt: Schwäbische Bräuche. Stuttgart

1984. 8 Eckart Hannmann/Karl Werner Steim: Christian Großbayer.

Ein hohenzollerischen Baumeister des Spätbarock. Sigmaringen 1982, S. 17.

9 Stadtarchiv Haigerloch (STA). 10 Ebd., Bände Nr. 254. 11 S.Anm. 7.

GERD BANTLE

Vor 130 Jahren verstarb Hofmaler Richard Lauchert

Am 28. Dezember 1868, vor 130 Jahren starb in Berlin im Sigmaringen, der es trotz seines kurzen Lebens zu europa-Alter von erst 45 Jahren Hofmaler Richard Lauchert aus weitem Ansehen gebracht hat.

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Geboren am 4. Februar 1823 im heutigen Südwestbank-Ge-bäude, entwickelte Richard Lauchert, dessen Großmutter eine Schwester des bekannten Sigmaringer Malers Johann Fidelis Wetz war, schon früh seine künstierische Begabung. Einen Gönner fand er in Erbprinz Karl Anton von Hohen-zollern, der ihm durch ein Stipendium den Besuch der Münchner Kunstakademie ermöglichte, ebenso Studienrei-sen nach Italien und Paris.

1850 von Karl Anton zum Hofmaler ernannt, spezialisierte sich Richard Lauchert auf die Portraitmalerei und erhielt in der Folgezeit zahlreiche Aufträge von Adelsfamilien. Bei ei-nem Aufenthalt in Petersburg malte er den russischen Zaren und Mitglieder aus dessen Familie.

Gegen erhebliche Widerstände, vor allem bedingt wegen des Standesunterschieds, ehelichte der Sigmaringer Prinzes-sin Amalie von Hohenlohe-Schillingsfürst, die ihm zwei Kinder schenkte.

Die zahlreichen Aufträge zehrten an den Kräften des Künstlers, und so starb er mitten in seinem erfolgreichen Schaffen. Er darf zu den bedeutendsten Bildnismalem des 19. Jahrhunderts gezählt werden, und die Herstellung eines Kunstbandes über Leben und Werk hätte der Sigmaringer eigentlich verdient.

WALTER KEMPE

Das alte Amtshaus zu Ostrach

Das alte Amtshaus und die alte Zehntscheuer in Ostrach, Rentamtstraße 1, wurden 1996 vom Fürstlichen Hause von Thurn und Taxis der Gemeinde Ostrach übereignet. Diese Besitzübertragung gibt Anlaß, die geschichtliche Bedeutung und den ideellen Wert der beiden Gebäude für das Gebiet der heutigen Gesamtgemeinde Ostrach in kurzer Zusam-menfassung darzustellen, zumal inzwischen weiteres, um-fangreiches Archivmaterial hierüber ermittelt wurde.

Das Amtsgebäude

Die Bausubstanz des ehemaligen Amtshauses zeigte bei der Übernahme 1996, trotz Alters, noch einen verhältnismäßig guten Zustand. Es war schon seit mehreren Jahren nicht mehr bewohnt.

Bei einem Fachwerkhaus dieser Art sind, wie die alten Bau-akten zeigen, im Laufe der Zeit immer wieder Reparaturen und Verbesserungen notwendig gewesen. Ein Brunnen un-terhalb des Hauses, bereits 1720 beschrieben, war früher mit ein Grund für eine hohe Feuchtigkeit im Gebäude. Er wurde später zu einer Kläranlage für die Abwässer umfunk-tioniert. Änderungen der Nutzung waren ebenfalls Anlaß zu Umbauten im Inneren, ob nun zu Wohnzwecken oder zur Nutzung als Oberamt mit Kanzlei-, Archiv- und Vor-ratsräumen, Rentamt und Oberförsterei. Auch die künftige Verwendung wird wiederum bauliche Maßnahmen erfor-dern.

Das Amtsgebäude selbst dürfte nach Genzmer und nach früheren Schätzungen in den Brandversicherungsunterla-gen, um 1700 erstellt worden sein. Um diese Zeit regierte der Salemer Abt Stephan I. Jung als Landesvater, der für die Erneuerung der wichtigsten Bauten in Ostrach sorgte. Es waren dies Kirche, Pfarrhaus, Kaplanei und Amtshaus. Ein Amtshaus existierte somit auch vor 1700 an dieser Stelle. 1705 wurde dann im Ostracher Urbar Nr. 6 die Oberamts-behausung mit allem Zugehör als Salemer Besitz beschrie-ben. Ein »Grundris von Osterach« aus dieser Zeit zeigt die

Hofmaler Richard Lauchert (1823-1863)

einzelnen Gebäude des Komplexes. Anhand von Anstel-lungsverträgen, sog. Bestallungen salemischer Amtsträger und anderen aufschlußgebenden Urkunden, lassen sich nun Amtshaus, das den Amtsträgern auch als Wohnung diente und Zehntscheuer sowie eine weitere Salemer Amtsscheuer in Ostrach bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen.

Die Funktion der Amtsgebäude

Seit dieser Zeit, dem 14. Jahrhundert, dienten diese öffentli-chen Gebäude dem Kloster Salem als Verwaltungssitz für seine bisherigen und später dazu erworbenen Besitzungen im Bereich »Ob den Bergen«, »als zu Ostrach und anderen Orten so in die Pfleg des Salemer Hofes in der Freien Reichsstadt Pfullendorf gehören«. Vorher erfolgte hier die verwaltungsmäßige Erfassung der Einzelbesitzungen durch das Bursaramt bzw. Kelleramt in Salem selbst. Das Bursar-amt, auch Burse genannt, war damals die Finanzzentrale Sa-lems, die von einem Bursar (Bursier) geleitet wurde. Dem Kelleramt oblag die weit gefächerte Wirtschaftsverwaltung. Leiter war der Kellermeister, auch als Kellner oder Zellerar bezeichnet.

Nach einem Sigmaringer Schutz- und Schirmbrief von 1324 für den Salemer Bereich »Ob den Bergen«, handelte es sich damals um die Orte, die links des Flüsschens Ostrach lagen: »das ist Lausheim ihr Hof, Ostrach, Burgweiler, Magen-buch, Levertsweiler, Spöck und Wangen.« Für diesen flächenmäßig nicht geschlossenen salemischen Distrikt bil-dete sich dann allmählich die Bezeichnung »Herrschaft Ostrach« heraus, wobei die Oberaufsicht des Klosters nach wie vor in Händen eines Pflegers in Pfullendorf, später auch in Bachhaupten lag. - Bachhaupten bildete hierbei schon früh mit den salemischen Besitzungen rechts der Ostrach in den Orten Eschendorf, Tafertsweiler und Günzenhausen bis 1705 ein eigenes Amt. - Der Sitz des Pflegers wechselte dann während des 18. Jahrhunderts mehrmals zwischen Pfullendorf und Bachhaupten.

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Die behördlichen Verwalter im Amtshaus

Der Titel des jeweiligen Verwalters, der im Amtshaus zu Ostrach, etwa vom 14. bis 16. Jahrhundert wohnte und wirkte, lautete in diesen Urkunden mit wenigen Ausnah-men »Kaufmann zu Ostrach«. Haus, Hof, Scheuer und Zehntscheuer waren seinen vielseitigen Aufgaben angepaßt.

So hatte er die Getreide- und anderen Naturalabgaben der Zehntpflichtigen zunächst zur Lagerung in der Zehntscheu-er entgegen zu nehmen und verteilte Bau- und Brennholz aus den Beständen des Klosters an Lehensleute und andere Bezugsberechtigte. Er zog Steuer- und Bußgelder ein und führte darüber Buch. Rechnungen wurden von ihm ausge-stellt sowie Rechnungen beglichen. Seine Jahresabrechnung hatte er dem Pfleger in Pfullendorf vorzulegen. Er führte das Lehenbuch und verlieh Höfe und Konzessionen. Als Bevollmächtigter des »Gotteshaus« Salem hatte er für die Einhaltung der Verordnungen und Gesetze zu sorgen und mit »Güte und Recht« zu handeln. Auch für kleinere Streit-fälle war er zuständig. Verwarnungen, Viehschäden und Übertretungen der »Gebote« waren höheren Orts zu mel-den. Bei seiner Tätigkeit außerhalb der Amtsräume im Amtsbereich war er beritten und trug Harnisch und Ge-wehr. Auf größeren Reisen trug er, seiner Position entspre-chend, eine stattliche Hofkleidung.

Um 1600 wird dann das Amtshaus mit Hofraite, Scheuer, Ofenhaus, Schweinestall und zugehörigen Gärten zu Ostrach zum Oberamtssitz. Jetzt wohnte und wirkte hier der salemische Oberamtmann der Herrschaft Ostrach bzw. des Oberamts Ostrach, ob den Bergen und allen Orten, so in die Pfleg Pfullendorf gehören. Seine Tätigkeit dürfte ähnlich der des früheren »Kaufmanns zu Ostrach« gewesen sein, wie aus den Bestallungen und den Vorschriften hervor-geht mit dem Titel »Statuten, Satzungen und Verboten des Gotteshauses Salem in den Gerichten, Zwingen und Bannen »Ob den Bergen«, aus alten und richtigen Originalen und Jahresbriefen (-Verordnungen) gezogen. Neben dem früheren »Kaufmannsamt zu Ostrach« gehörte jetzt auch das Amt Bachhaupten mit den salemischen Besit-zungen rechts der Ostrach zum Oberamt Ostrach. Im Oberamtshaus zu Ostrach finden wir recht fähige, aus-gebildete Persönlichkeiten als Oberamtmänner, z. B. Rechtsgelehrte, was im 18. Jahrhundert besonders deutlich wird.

In dieser Zeit des 18. Jahrhunderts wohnten sie auch hin und wieder beim Pfleger in Bachhaupten, meist jedoch in Ostrach. Ob das u. a. mit Renovierungen des Ostracher Amtshauses zusammenhing, konnte bisher nicht ermittelt werden.

Die Nutzung der Dienstwohnung im Amtshaus zu Ostrach durch den jeweiligen Oberamtmann war mietfrei (»ohne Zins«), Reparaturen gingen zu Lasten des Reichsstifts, aus-genommen Schäden an Öfen und Fenstern. Mietfrei bzw. pachtfrei war auch das bei der Einstellung vertragsgemäß überlassene Eigentum des Stifts, wie Amtshaus samt Hofraite, Scheuer, Ofenhaus, Schweineställe, Baum- und Krautgärten. Diese Regelung galt auch schon für den jewei-ligen »Kaufmann« z. B. 1573 für Joachim Haimpoltsen.

Die Landesherrschaft über das Ostracher Gebiet im 17. und 18. Jahrhundert.

1611 erhielt der Klosterstaat unter Abt Petrus II. Müller, zunächst pfandweise, auch die Landesherrschaft bzw. die Hohe Gerichtsbarkeit über das Gebiet der Herrschaft bzw. das Oberamt Ostrach links der Ostrach von Graf Ernst Ge-org von Hohenzollern - Sigmaringen. Hiermit stieg auch

die Bedeutung des Ostracher Oberamtssitzes. 1637, mitten im 30jährigen Krieg, trennte Salem den Bereich Burgweiler ab und übergab ihn der Reichsgrafschaft Heiligenberg. Um 1700 erwarb Salem in komplizierten Verfahren die landes-herrschaftlichen Rechte über seine Besitzungen rechts der Ostrach käuflich von den Truchsessen von Waldburg, de-nen die zuständige Grafschaft Friedberg-Scheer gehörte. Das Haus Österreich war hierbei oberster Lehensherr. We-nig später kaufte Salem auch die bereits pfandweise erhalte-nen Rechte links der Ostrach von den Hohenzollern, deren oberster Lehensherr ebenfalls das Haus Österreich war. Die Grundherrschaft bzw. die niedere Gerichtsbarkeit über die beiden Gebiete stand Salem bereits seit 1509 zu.

Besondere Ereignisse im Oberamtshaus während des 17. und 18. Jahrhunderts.

Salem hatte nun, ab 1611, auch landesherrschaftliche Rechte im Bereich Ostrach erhalten, wie z. B. die Hohe Gerichts-barkeit unter der Oberhoheit des Hauses Österreich. Hier-mit erlangte es eine größere Selbständigkeit, die sich auch auf die Tätigkeit im Ostracher Oberamtshaus auswirkte.

Bei speziellen Anlässen wird dies wieder sichtbar. So bei den sogenannten Erbhuldigungen und Vereidigungen der Un-tertanen des Herrschafts- bzw. Oberamtsbereichs Ostrach und teilweise weiterer salemischer Bezirke, auf dem Hofe vor dem Oberamtshaus Ostrach, 1615, nach der Wahl des Salemer Abts Thomas I. Wunn und 1685, nach der bereits 1680 erfolgten Wahl des Salemer Abts Emanuel Sulger. Der jeweilige Abt erschien hierbei in Begleitung der salemi-schen und kaiserlichen Amtsträger zu dieser Handlung, die notariell festgehalten wurde, am Fenster der oberen Stube des Amtshauses, das gegenüber der Zehntscheuer lag und hielt seine Einfuhrungsrede, wonach sich der Oberamt-mann offiziell beim neuen Abt bedankte. Nach Besichti-gung der wehrhaften Untertanen auf dem Hofe erfolgte dann in der Zehntscheuer die Musterung durch salemische Beamte.

Der Vorgänger des 1615 gewählten Abtes Thomas I. Wunn war der bereits erwähnte Abt Petrus II. Müller. Er trat 1593 sein Amt an. Zuvor war er Pfleger zu Pfullendorf und so mit der ihm schon damals unterstellten Herrschaft Ostrach be-sonders vertraut. Die Erneuerung der Ostracher Zehnt-scheuer im Jahre 1595 erfolgte unter seiner Regierung. Sein Wappen mit der Jahreszahl prangt noch heute an der Front der Scheuer. Es vereint das damals gültige Wappen des Reichsstifts Salem mit seinem persönlichen. Im runden Schild ist, hier im rechten unteren Viertel, das Wappen des 30. salemischen Abtes beigefügt. Dieses persönliche Wap-pen ist heute noch farbig in der Wappentafel des ehem. Klo-sters Salem erhalten.

Zwischen den beiden uns bekannten Erbhuldigungen im Amtshaus zu Ostrach, 1615 und 1685, lag eine Zeit voller Not und Elend, die der 30jährige Krieg mit sich brachte. Be-sonders während des sog. Schwedischen Krieges von 1630 bis 1647 zogen vielerlei Kriegsvolk und raubende, plün-dernde Banden durch den Ort.

Die Überlieferung bringt, soviel ersichtlich, keine Einzel-heiten über die Geschehnisse im Amtshaus und die Tätig-keit sowie die Beschwernisse des Oberamtmanns zu Ostrach. Mehr erfahren wir über den zuständigen salemi-schen Pfleghof Pfullendorf und über das Reichsstift in Sa-lem selber. Beschrieben werden meist in größerem Rahmen die Marschrouten der schwedischen, württembergischen, kaiserlichen und anderen Heerscharen und ihre Folgen, z. B. von Mengen, Riedlingen über Saulgau, Pfullendorf, Stockach, nach Heiligenberg und Salem. Die Leiden und

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Einen Auszug aus Wächters Tagebuch, besonders über die Vorkommnisse im Amtshaus zu Ostrach vor und nach der Schlacht im März 1799 und die Einquartierungen im Au-gust 1799 gab Willi Rieger 1982 in der Heimatgeschichtli-chen Beilage des Mitteilungsblattes der Gemeinde Ostrach. Aus anderen Quellen erfahren wir, daß sich am 4.11.1796 sämtliche Bürgermeister und Dorfpfleger des Oberamtes im Oberamtshaus zu Ostrach versammelten, um ihm zu dan-ken. Auf dem Amtshofe erschollen die Hochrufe der jungen Leute aus den einzelnen Ortschaften, die dem Ordensmann dann auch ein musikalisches Ständchen brachten.

Die Schäden in Ostrach unmittelbar nach der Schlacht am 21. März 1799 wurden von Pater Wächter wie folgt be-schrieben: »Die Dächer und Häuser waren überall elend zu-gerichtet. Im Amtshaus waren über 30 Kanonenkugeln ein-geschlagen. Die Stiege der Laube war abgeschossen, der Fensterstock samt der Mauer in des Herrn Oberamtmanns Zimmer zusammengerissen. In diesem mittleren Stock war keine einzige ganze (Fenster-)Scheibe mehr. Daher war die erste Arbeit, das Notwendigste auszubessern, bevor die bei-den österreichischen königlichen Hoheiten Erzherzog Carl und Erzherzog Ferdinand mit ihrer Begleitung noch an die-sem Tage im Amtshause Quartier nehmen konnten.«

(Fortsetzung folgt)

Interessenten können von der Schriftleitung eine Kopie mit zahlrei-chen Anmerkungen und Quellenangaben anfordern, bitte DM 3,-Porto beilegen.

Das alte Amtshaus in Ostrach

Foto: E. König

Verwüstungen waren jedoch in Ostrach nicht viel weniger als in den größeren umhegenden Orten. Aus den Akten geht hervor, daß u.a. im Mai 1631 eine große Einquartierung erfolgte. Im Juni 1632 kamen drei Kompanien schwedischer Reiter und 150 Dragoner nach Ostrach, die hier übel hausten. Sie brannten acht Bauern-häuser und zwei Scheunen nieder. Als am 25. Oktober 1632 der Oberamtmann, hier Pfleger zu Ostrach genannt, nach Hause kam, war alles und jedes zerschlagen und geraubt. Ob sein Amtshaus dabei nur reparaturbedürftig wurde oder neu aufgebaut werden mußte, ist nicht zu ersehen.

Am Ende dieses mörderischen Krieges waren die meisten Einwohner geflohen oder tot. Man zählte am 4. Mai 1647 im Amte Ostrach nur noch 41 »magere Untertan«.

Die Wiederbesiedlung der verödeten Landschaft in kürze-ster Zeit dürfte für das Reichsstift Salem und seinen Ober-amtmann zu Ostrach eine große Herausforderung gewesen sein. Die katholischen Kirchenbücher in Ostrach und Ta-fertsweiler nennen die meist aus Vorarlberg, Luzern und Thurgau Eingewanderten namentlich.

Nach den Anstellungsverträgen für die salemischen Ober-amtmänner dürfte das Oberamtshaus in dieser Zeit, zumin-dest 1625, 1644 und 1651, voll nutzbar gewesen sein, eben-falls beim Abtbesuch 1685.

In den schlimmen Kriegs jähren 1796 und 1799 kam der sale-mische Konventuale und Oberbursier Pater Karl Wächter zur Unterstützung des alten Oberamtmanns ins Oberamts-haus nach Ostrach.

HANS PETER M Ü L L E R

Das unrühmliche Ende der Gebrüder von Bubenhofen

In Heft 3 Jg. 1998 hat sich F. Feist der dankenswerten Auf- ten, nicht überzeugend. Allein die von ihm selbst angeführ-gabe unterzogen, das finanzielle Ende der Gebrüder Hans ten Zahlen über die auf Gammertingen haftenden Schulden Kaspar und Wolf von Bubenhofen näher zu beleuchten, belegen eindeutig, daß die Herrschaft total überschuldet wobei er zahlreiche, bislang unbekannte Schweizer Quellen war. verwenden konnte. Allerdings ist seine Schlußfolgerung, Zur angemessenen Beurteilung der »causa Bubenhofen« ist daß die Bubenhofen ihren Besitz nicht wegen Überschul- zuallererst eine genaue und richtige Chronologie der Ereig-dung, sondern wegen finsterer Machenschaften der öster- nisse vonnöten, die wie folgt aussieht. Am 20. Sept. 1520 reichischen Administration in Württemberg verloren hät- mußte Hans Kaspar im Riedlinger Vertrag schwören, seine

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Besitzungen binnen 10 Tagen an seine Mitgewähren und Bürgen unter der Leitung von Walter von Hirnheim, Hauptmann des Schwäbischen Bundes, abzutreten. Dies hat er offensichtlich nicht getan, vielmehr ging er gewaltsam ge-gen einzelne Mitglieder der Bürgengemeinschaft vor, wes-halb er im Juli 1521 vom österreichischen Statthalter gefan-gengenommen und auf Schloß Hohenurach (in Graf Hein-richs Gemach) gebracht wurde. In der Folgezeit fanden mehrere Verhandlungen in Stuttgart zwischen dem Statthal-ter, den Bürgen und den Söhnen Hans Kaspars statt. Diese führten zu Vergleichen vom 22. Aug. und 21. Okt., die je-doch wirkungslos blieben. Erst ein neuerlicher Vergleich vom 7. Dez. 1521 hatte Erfolg, denn noch am selben Tag wurde Hans Kaspar auf Urfehde aus dem Gefängnis entlas-sen. In der Urfehde wird lediglich auf seine »gewaltigen und tätlischen Handlungen« gegen die Bürgen abgehoben, während die übrigen Streitpunkte, nämlich der Raub seiner Kleinodien in Reutlingen und die Einnahme der Baiinger Dörfer 1519 ausdrücklich ausgenommen wurden. Auch nach dem Verkauf der Herrschaft Gammertingen 1524 ließen die Bürgen nicht locker, denn 1528 prozessierten sie gegen Hans Kaspars Sohn Hans Jakob vor dem Rottweiler Hofgericht. Offenbar wollten sie auch noch seines Vaters Haus in Rottenburg bekommen, was jedoch nicht gelang.

Auch bei Hans Kaspars Bruder Wolf von Bubenhofen ist die Verschuldung evident. Am 26. Okt. 1526 mußte er Schloß und Dorf Geislingen samt dem Hof Bronnhaupten und den Häusern zu Balingen und Rottweil gegen ein Leib-geding an seine Gewähren und Bürgen Wendel von Hailfin-gen und Hans von Weitingen abtreten. In der Einleitung des Abtretungsvertrags wurde ausdrücklich festgehalten, daß die beiden Bürgen wegen ihm zur Leistung aufgefordert worden seien, weshalb sie ihn vor dem Rottweiler Hofge-richt verklagt und die Acht erwirkt hätten.

Im Gegensatz zu den bisherigen Darstellungen (z. B. KB Balingen) waren die Dörfer Dotternhausen, Rosswangen und halb Dürrwangen nicht von der Abtretung betroffen, denn diese hatte Wolf bereits am 16. Dez. 1523 an Erzher-zog Ferdinand von Österreich verkauft, der sie am 12. März 1525 an Wendel von Hailfingen und Hans von Weitingen weiterveräußerte. Von der auf 8500 fl. bezifferten Kaufsum-me bekamen die Verkäufer aber jeweils nur 1600 fl., während der Rest an die Gläubiger zu bezahlen war.

Quellen:

HStA Stgt. A 155 U 31 und Bü 5; B 19 U 98, 99, 101; C 3 U 328 a und Bü 449.

HANNES S C H N E I D E R

D i e Bahnstat ion Zol lern

Vor 120 Jahren wurde die Zollernbahn vollendet

Bau der Hohenzollernbahn

Während der vierten Bauperiode der Königlich Württem-bergischen Eisenbahn von 1867 bis 1878 entstand auch die Hohenzollernbahn1, die von Tübingen über Hechingen nach Sigmaringen führt.

In einem Staatsvertrag vom 3. März 1865 zwischen Würt-temberg und Preußen wurde vereinbart, daß die Eisenbahn-verbindung auch durch preußisches Gebiet gebaut werden sollte.

Die Planung stammte von Oberbaurat Schlierholz, Detail-bearbeitung und Ausführung wurden den Bauämtern Tü-bingen, Balingen, Ebingen und Sigmaringen, sowie dem Hochbauamt Sigmaringen mit Bauinspektor Eulenstein übertragen.

Vorarbeiten und Ausführungen wurden so organisiert, daß auf den fertigestellten Teilstrecken der Betrieb aufgenom-men werden konnte. Die einzelnen Teilabschnitte der Bahn-strecke von Tübingen nach Sigmaringen wurden wie folgt eröffnet:

Tübingen—Hechingen am 29. Juni. 1869. Die Fertigstel-lung der Strecke Hechingen—Balingen verzögerte sich durch den deutsch-französischen Krieg bis 1. August. 1874. Am Tag der Eröffnung gab es in Balingen, wie auch auf den anderen Bahnhöfen, ein großes Festprogramm. Die Strecke Balingen—Sigmaringen war am 4. Juli. 1878 fertiggestellt. Auch in Sigmaringen wurde ein Fest gefeiert, das mit einer Gewerbeaussteilung verbunden war. Nach dem Fahrplan waren vier Züge täglich ab Tübingen und ab Sigmaringen vorgesehen2.

Die Gesamtlänge der Strecke Tübingen—Sigmaringen be-trägt 87,505 km, wovon 40,409 km auf preußischem Gebiet lagen. Die Unterhaltung der ganzen Stecke war alleinige Sa-che der Königlich Württembergischen Bahnverwaltung

Die Baukosten für die Strecke betrugen 23 316 753,12 Mark

Streit um die Station Zollern

Am 2. Juli 1872 sandte die Königlich Württembergische Ei-senbahn-Bau-Commision eine Note an die Königlich Württembergische Eisenbahndirektion in Stuttgart, in der die Errichtung einer Station am Fuße des Hohenzollern vorgeschlagen wurde: »Seine Majestät, der König von Württemberg, hat verfügt, eine Station unterhalb des Ho-henzollern, für seine Majestät, den deutschen Kaiser, zu er-richten. Es wird gebeten die Ansicht bald mitzuteilen, so daß man der Königlich Preußischen Regierung, in Sigma-ringen, eine baldige Antwort geben kann.«

Am 18. September 1872 sandte die Königliche Eisenbahndi-rektion eine ablehnende Antwort. Man sei nicht gewillt, ei-ne Station nur für den Kaiser zu bauen, wenn sie nicht zu-gleich auch dem öffentlichem Verkehr diene. Das Königli-che Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und die Königliche Eisenbahndirektion stritten sich bis 1873. Am 21. April 1873 bewilligte die Königliche Eisenbahndirekti-on dann doch die Erstellung einer Haltestelle unterhalb des Hohenzollern. Sie sollte dem deutschen Kaiser, aber auch zur Aufnahme von Personen und Gepäck dienen3. Der Architekt konnte jetzt mit der Planung und dem Bau beauftragt werden. Das Eisenbahn-Hochbauamt Balingen schrieb die Arbeiten im Volksfreund sowie in den Hohen-zollerischen Blättern aus. Bis zum 18. Januar 1874 sollten Angebote fürTrottoir, Dohlen, Beleuchtung und Signalein-richtung sowie für die Dunglege auf der Station Zollern ab-gegeben werden4.

Die Station ist fertiggestellt

Pünktlich zur Einweihung der Strecke Hechingen—Balin-gen, am 1. August 1874, war die Station fertiggestellt. In den »Hohenzollerischen Blättern« vom 6. August 1874 erschien ein überschwänglicher Bericht:

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»Bei der Ausfahrt aus diesem Liasabschnitt hält der Zug. »Station Zollern!« ruft der Kondukteur. Er ruft mit diesem Namen eine Fülle von Gedanken wach. Tausende begeister-te Deutschen werden hier aus - und einsteigen, denen der Zoller so lieb ist, als Mekka dem Muselmann, oder dem christlichen Pilger Jerusalem. Die Station ( 547,6 m ü. d. M.) wird selbstverständlich nur ein Haltplatz werden für Rei-sende. An einen anderen Verkehr, als an den Personenver-kehr, kann hier nicht gedacht werden. Das Stationsgebäude, von dem aus ein direkter Fahrweg zur Burg führt, ist darum auch teils aus Holz, teils aus Stein im mittelalterlichem Stile

setzen will. Muß dafür aber das ganze Stimmungsbild zer-stört werden? Wenn man je dieses historische Denkmal, daß einem jetzigen Zeitgeschmack nicht mehr entspricht, so kurzer Hand abtragen wollte, würde auch im württember-gischen Reichsbahnsprengel manches der Bevölkerung wertvolle und vertraut gewordene Stück der Vergangenheit fallen müssen«6.

Obwohl die Station Zollern besonders für Mitglieder der Kaiserlichen Familie gebaut war, wurde sie von ihnen nur wenig benutzt. Kaiser Wilhelm II. benützte den Bahnhof

Die Station Zollern 1996 Foto: Hannes Schneider

ausgeführt und es sind Lokale für fürstliche Besucher er-stellt. Schade nur, daß gerade auf der Station Zollern ein Vorberg die Aussicht auf den Zollern behindert!«

Die Station war hauptsächlich gedacht für »allerhöchste Herrschaften«, welche die unter Friedrich Wilhelm IV. wie-der aufgebaute Burg Hohenzollern besuchen wollten. Sie war ca. 25 m lang, 9 m breit und bestand aus folgenden Tei-len: dem Wärterhaus, Mittelbau, Salongebäude mit ange-bautem Turm. Der Stil, vor allem der Turm entsprach der Ritterburgen-Romantik. Im Volksmund bekam die Station schnell den Namen »Ritterbahnhof«. Es gab einen Fürsten-salon, sowie Wartesäle 1., 2., 3. und 4. Klasse. Uber dem Fürstensalon breitete ein Preußenadler seine Schwingen aus. Der Saal war mit einer Holzdecke, einen reich verzier-ten Fries und einer Büste von Kaiser Wilhelm II. ge-schmückt.

Ein Teil der Bahnstation war für die Kasse und Gepäck vor-gesehen. Auch gab es eine Wohnung für den Bahnhofsvor-steher5.

anläßlich eines Besuchs am 10. November 1893 auf der Burg Hohenzollern. Uber diesen Besuch berichteten die »Ho-henzollerischen Blätter«:

»Gestern hatten wir die Freude, unseren Kaiser anläßlich seines Besuchs auf der Burg Hohenzollern zu begrüßen. Seine Majestät kam mit einem Sonderzug und wurde unter dem Donner der Geschütze seiner Stammburg begrüßt (da-mals hatte die Zollerburg noch eine Garnison). Zur Be-grüßung hatte sich auch der Fürst von Hohenzollern einge-funden, der schon am Abend vorher ankam und in der Villa Eugenia übernachtete. Außerdem fanden sich viele Ein-wohner, benachbarte Landbevölkerung sowie ein Teil der hiesigen Schüler und der Elementarschule Wessingen ein. Kaiser und Gefolge fuhren trotz schlechter Witterung mit offenen Landauern zur Burg. Es wurde dort ein Mittags-mahl gereicht, ein Gang um die Basteien mußte infolge der Witterung ausfallen. Um 3 Uhr fuhr der Kaiser zurück zur Station Zollern, wo der Militärverein Spalier stand. Um 4.51 Uhr fuhr der Zug zurück nach Sigmaringen«7.

Abbruch des Turmes

Im Jahr 1929 wurde der Turm abgetragen, da man an dieser Stelle eine Wohnung bauen wollte. In der Bevölkerung regte sich Protest. Die »Hohenzollerischen Blätter« berichteten:

»Die Zollernlandschaft hat soeben eine Veränderung erfah-ren, die von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Auf dem Zollernbahnhof ist der Turm, der sich der landschaftli-chen Umgebung schön eingliederte, irgend einer schwachen Überlegung der jetzt maßgeblichen Bahninstanz zum Opfer gefallen. Es verlautet, daß man an diese Stelle eine Wohnung

Die Gleisanlage

Bei der Station Zollern handelt es sich um einen Bahnhof mit zwei Bahnsteiggleisen, die eine Kreuzung zweier Züge erlau-ben. Sie besitzt ferner einen Gleisstumpf zur Verladung.

Im Jahr 1874 war ein Kreuzungsgleis von 163 m Länge ein-gebaut worden. 1908 wurden zusätzlich Schutzweichen auf jeder Seite eingebaut. Man nutzte diesen Umbau auch zur Verlängerung des Kreuzungsgleises auf 239 m.

Trotzdem war die Nutzlänge des Kreuzungsgleises bald wieder für die sichere Durchführung der Züge zu kurz.

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Grundriß der Station Zollern 1906, an der linken Seite der 1929

abgebrochene Turm. Eisenbahndirektion Stuttgart

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Wenn man bedenkt, daß der Stückgut- und der Wagenla-dungsverkehr sich seit 1913 auf das neunfache gesteigert hatte, kann man verstehen, daß es auf der Station Zollern immer größere Platzprobleme gab. Vielfach mußten Wagen in Balingen abgestellt werden, oder man mußte sogar Züge in Hechingen und Bisingen zurückhalten.

Es wurde mehrmals eine Verlängerung des Kreuzungsglei-ses auf mindestens 550 m gefordert sowie der Bau eines neu-en Verladegleises, um den Wagenladungsverkehr vernünftig durchführen zu können. Es ist aber nichts geschehen Im Jahr 1930 wurde dann endlich reagiert und das Kreuzungs-gleis verlängert.

Am Ende der sechziger Jahre begann der Rückbau. 1967 wurde die Weiche Richtung Balingen ausgebaut und damit die Kreuzungsmöglichkeit genommen. 1972 folgte dann der endgültige Abbau der Gleisanlagen.

Die Sonderfahrt von 1972

Am 13. September 1972 hatte Herzogin Viktoria Luise ihren achtzigsten Geburtstag. Anläßlich dieses Ereignisses lud Prinz Louis Ferdinand zu einer Nachfeier auf die Burg Hohenzollern ein. Das nutzte man zu einer sogenannten »Adels-Rallye«. In Bad Imnau wurden die Damen abge-setzt. Von hier aus fuhr ein Museumszug der Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen (GES), der Zug wurde von der GES Lok 11 gezogen. Diese Lok war 1911 von der Maschinenfabrik Esslingen für die Hohenzolleri-sche Landesbahn gebaut worden.

Anmerkungen 1 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79III Bü 330,331; E 79 III Bü 576,577. 2 Volksfreund 23.7.1874. 3 Staatsarchiv Ludwigsburg E 79 Bü 1009. 4 Volksfreund 15.1.1874. 5 HZ 9.7.1966. 6 HBL 11.6.1929. 7 HBL 14.11.1929. 8 Heimatbücherei Hechingen, HZ 28.09./ 02.10.1972; Gemeinde

Bisingen, Schwabo 02.10.1972.

Quellen und Literatur: Kreisarchiv Zollernalbkreis Stadtarchiv Balingen Stadtarchiv Hechingen Notariat Hechingen Hohenzollerische Blätter (HBL) Hohenzollerische Zeitung (HZ)

Der Publikumsandrang auf den Bahnhöfen war groß, denn viele wollten Herzogin Viktoria Luise und Prinz Louis Fer-dinand sehen. Bis Hechingen fuhr der Zug auf den Gleisen der Hohenzollerischen Landesbahn und wurde dann dort auf die Gleise der Bundesbahn umgesetzt. Er fuhr nun auf der Hohenzollernbahn bis zur Station Zollern. Dort warte-ten der Bisinger Bürgermeister Haasis, die Stadtkapelle He-chingen, sowie viele Presseleute und Schaulustige. Nach dem Empfang im Kaisersaal der Station fuhren Herzogin Viktoria Luise und Prinz Louis Ferdinand in einem offenen Landauer zur Burg Hohenzollern8.

Ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung

Bis 1972 war die Station Zollern besetzt und wurde danach noch bis 1977 als unbesetzter Haltepunkt bedient. Die Züge hielten aber nur noch unplanmäßig, besonders für Reise-gruppen, die auf die Burg Hohenzollern wollten.

Im Jahre 1976 wurde die Station als Kulturdenkmal von be-sonderer Bedeutung eingestuft. Im gleichen Jahr wurde das Bahnhofsgebäude zum Kauf angeboten. Zunächst fand sich niemand, der sich um die Station kümmerte, so daß sie im-mer mehr verkam. Das machte sich besonders an einge-schlagenen Fenstern und demolierten Räumen bemerkbar.

Schließlich fand sich 1981 doch ein Kaufwilliger, der bereit war, das Stationsgebäude wieder instand zu setzen und die Auflagen des Denkmalamtes zu berücksichten.

Der Volksfreund (Volksfreund) Schwarzwälder Bote (Schwabo) Baudirektor von Morlok, Rückschau auf die Erbauung der Königlich Württembergischen Eisenbahn, Stuttgart 1890 (Nachdruck 1986). Stefan Hammer, Rolf Arbogast, Alte Bahnhöfe in Württemberg, Stuttgart Edition Erdmann. Guido Motika/Balingen, Grundriß und Skizze Informationen über die Gleisanlagen. Conzelmann August GmbH & Co./Bisingen, Bild aus dem Jahr 1910. Hohenzollerische Zeitung, Bilder aus dem Jahr 1979. Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen e. V. Stuttgart, GES Lok 11. Jürgen Herre/Balingen, Bilder vom Preußen-Adel. Hans Kobschätzky, Streckenatlas der deutschen Eisenbahnen 1835-1892, Alba Verlag Düsseldorf. Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, Amtliches Bahnhofsverzeichnis der Deutschen Reichsbahn, Berlin 1933.

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Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau

Vortragsveranstaltung am Samstag, 16. Oktober 1999, ab 9.30 Uhr in Schömberg-Schörzingen, Hohenberghalle (sie-he auch »Mitteilungen aus dem Geschichtsverein« in diesem Heft).

Weite Landstriche an oberem Neckar und oberer Donau gehörten bis 1806 zu Vorderösterreich. Die jahrhunderte-lange Zugehörigkeit zum Hause Habsburg war prägend für die Region. Heute finden sich zahlreiche Gebietsteile dieses ehemals österreichischen Territoriums in den Landkreisen Rottweil, Tuttlingen, Sigmaringen und dem Zollernalbkreis wieder.

Mit der Vortragsveranstaltung »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau« wird die Thematik der Landes-ausstellung zu Neckar/obere Donau vertieft. Die Vor-tragsthemen spiegeln die Vielfalt wider, die für Vorderöster-reich charakteristisch ist: Zu Vorderösterreich gehörten Herrschaften und Städte, die sich direkt unter österreichi-scher Hoheit befanden, wie auch Territorien, die als Lehen oder Pfandschaften an Adlige vergeben waren. Letzteres war beispielsweise bei den Grafschaften Sigmaringen und Veringen der Fall, welche die Grafen und Fürsten von Ho-henzollern-Sigmaringen seit 1535 als österreichische Lehen inne hatten. Habsburg fungierte für die vorderösterreichi-schen Untertanen sowohl als direkter Landesherr, der seine Landeskinder relativ milde regierte, wie auch als »Schutz-flügel«, der über solche Untertanen gebreitet wurde, die

von nachgeordneten Herren bedrängt wurden. Habsburg mußte aber auch politische Rücksichten auf ein weit ge-spanntes Klientelsystem von Adel und Klöstern, und damit auch auf die Lehens- oder Pfandinhaber nehmen. Nicht zu-letzt wurden dabei eigene, österreichische Interessen ver-folgt. Der gesamte Südwesten wurde als wichtiges habsbur-gisches Einflußgebiet angesehen. Insgesamt blieb die habs-burgische Regentschaft recht lange in guter Erinnerung. Mit den Vorträgen sollen zentrale Aspekte Vorderöster-reichs am regionalen Beispiel herausgearbeitet werden. Zu-gleich sollen Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge, die für die Region konstitutiv waren, deutlich werden. Der Tagungsort in Schömberg-Schörzingen liegt am Fuße des Oberhohenbergs, wo sich die Stammburg der Hohen-berger befand. Von hier dehnten die Hohenberger ihr Herr-schaftsgebiet aus, das 1381 an Habsburg verkauft wurde. Bis 1806 war die Grafschaft Hohenberg österreichisch.

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und der Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische Geschichtsver-ein laden alle Geschichtsfreunde ein zum Besuch der Vor-tragsveranstaltung.

Die Veranstaltung findet mit freundlicher Unterstützung der Stadt Schömberg und der Ortschaftsverwaltung Schör-zingen statt.

Dr. Andreas Zekorn

W O L F G A N G SCHAFFER

Sittliche Mißstände in der Mitte des 19. Jahrhunderts -zwei Beispiele aus Hohenzollern (Inneringen und Heiligenzimmern)

Noch für das vergangene Jahrhundert gehört es zu den Merkmalen dörflicher Existenz, daß der weltlichen Auto-rität wie z. B. dem Bürgermeister die geistliche Autorität in Form eines Priesters, sei er nun Pfarrer, Pfarrverwalter, Vi-kar oder Kaplan, zur Seite stand. Beide waren auf örtlicher Ebene verantwortlich für das Funktionieren von Ordnung, der Bürgermeister »von Amts wegen« für die öffentliche Ordnung und der Geistliche für die erfolgreiche Vermitt-lung christlich-katholischen Gedankenguts unter den Gläu-bigen. Als solcher aber war der Geistliche auch zuständig für die Einhaltung sittlich-moralischer Normen, eine Auf-gabe, die ihn mitunter in einen deutlichen Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen in seiner Gemeinde bringen konnte. Auf dem Hintergrund einer staatlichen Politik, die im 19. Jahrhundert noch immer mehr auf den Untertanen denn auf den mündigen Staatsbürger abzielte, die dabei zu-mal auch durch die Kirche unterstützt wurde, konnte es nicht ausbleiben, daß es auch Abweichungen und Abweich-ler gab, die sich ihre eigenen Freiheiten nahmen und damit zum Objekt der Kritik wurden. Die beiden im folgenden zu schildernden Fälle zeigen auf der anderen Seite in ihrem Verlauf, daß gerade die Durchsetzung sittlicher Normen vor Ort durch den Vertreter der katholischen Kirche ange-sichts konkret obwaltender Verhältnisse eines nicht unbe-trächtlichen Fingerspitzengefühls bedurfte, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Beide Beispiele repräsentieren sicher-

lich nicht die Regel, verweisen aber darauf, daß sich dörfli-che Strukturen keineswegs immer so idyllisch darstellten, wie sie manchmal aus historischer Distanz zu sein scheinen.

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Auf diesem Hintergrund hatte z. B. auch Karl Jordan Glatz1), der 1857-1858 für wenige Monate die damals bereits seit eineinhalb Jahrzehnten vakante Pfarrei Inneringen zu verwalten hatte, erhebliche Probleme mit seiner kleinen Pfarrgemeinde. Als Priester der Diözese Rottenburg war Glatz zwischen 1855 und 1860 als Aushilfe an das Erzbistum Freiburg »ausgeliehen« worden und wurde in dieser Funkti-on in den hohenzollerischen Dekanaten eingesetzt. Seine insgesamt recht kurzfristigen Einsätze mögen dazu beigetra-gen haben, daß er nicht immer Zeit fand, einen guten Kon-takt zu seiner Pfarrgemeinde herzustellen. Glatz empfand je-denfalls noch in seiner späteren Funktion als Kaplaneiver-walter in Bingen, also schon nicht mehr in Inneringen tätig, die dortigen Verhältnisse als so eklatant, daß er meinte, unbe-dingt das Freiburger Ordinariat hierüber in Kenntnis setzen zu müssen. Andererseits betonte er in seinem Schreiben vom 16. Juni 1858 an die kirchliche Oberbehörde ausdrücklich, mit seiner Schilderung auf keinen Fall eine neue Untersu-chung provozieren zu wollen - es hatte also vielleicht schon einmal eine solche gegeben, die indes nicht mehr dokumen-

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tiert ist. Seinem nur wenige Seiten umfassenden Bericht über »die sittlichen Zustände in der Gemeinde Inneringen«, - un-ter diesem Titel wurde die Akte durch das Freiburger Ordi-nariat abgelegt2) - wollte Glatz nur als eine Mittheilung ver-standen wissen, die eigentlich an das Dekanat in Ringingen hätte geschickt werden müssen, wenn ihm - wie er zugab -der Weg nicht zu weit gewesen wäre und er durch Vorberei-tung auf das Pfarrer-Examen und andere Dinge davon abge-halten worden wäre. Eine Reaktion des Ordinariates liegt denn auch nicht vor. Gleichwohl ergibt sich aus der Schilde-rung von Glatz ein kleiner Blick in vergangene Zustände, die dem gestrengen und auf Einhaltung von Sitte, Ordnung und Moral ausgerichteten Blick eines Geistlichen durchaus mißfallen konnten.

Als einen der Hauptverantwortlichen für die von ihm festge-stellten mißlichen Zustände in Inneringen machte Glatz an erster Stelle den Lehrer Schmid aus. Traditionellerweise be-stand in Preußen eine ausgesprochen enge Beziehung zwi-schen Kirche und Schule, was u. a. dadurch zum Ausdruck kam, daß Pfarrer und Kapläne nicht nur den Religionsunter-richt in der Elementarschule übernahmen, sondern auch die Schulaufsicht durch Geistliche wahrgenommen wurde. Die-ser enge Konnex zwischen Schule und Kirche wurde in jenen Jahren nicht in Frage gestellt, sondern galt geradezu als staatstragend. Lehr- und Lernziele in der Elementarschule (= Grundschule) waren darüber hinaus in jenen Jahren weitge-hend durch religiöse Bezüge geprägt und die Person des Leh-rers häufig durch gleichzeitige Wahrnehmung des Amtes ei-nes Mesners und/oder Organisten mit dem kirchlichen Dienst verwoben. Um so mehr mußte es einem Geistlichen vor Ort auffallen, wenn Schule sich nicht so vollzog, wie er dies gerne gesehen hätte. Der Lehrer Schmid jedenfalls hatte, kaum daß Glatz im Schulunterricht tätig geworden war, des-sen Kritik durch seinen elitär anmutenden Grundsatz her-vorgerufen, weniger begabte Kinder solle man ruhig gehen lassen. Diesen keineswegs väterlich-pädagogischen Grund-satz tadelte Glatz schwer. Auch der damals übliche werktägi-ge Kirchenbesuch der Kinder ließ nach seiner Ansicht deut-lich zu wünschen übrig, doch wollte er hier bewußt nicht zu energisch durchgreifen, da dies offensichtlich einer gewissen Nachlässigkeit in der Erfüllung der religiösen Pflichten im Orte selbst entsprach: Glatz hatte festgestellt, daß von 190 Bürgern und Familienvätern am Sonntagmorgen überhaupt nur etwa 80 den Gottesdienst besuchten.

Glatz versuchte daher, durch Reduzierung der Zahl der kir-chenpflichtigen Werktage für Schüler auf zwei bis drei die Besuchsfrequenz zum Gottesdienst zu steigern, diese aber dafür strenger zu kontrollieren. Dies trug ihm nach eigener Darstellung im Orte größte Unannehmlichkeiten ein. So bemerkte er über einen längeren Zeitraum hinweg, daß in der Sonntagmorgen-Messe in den Kirchenbänken der obe-ren Schulklasse bedeutende Lücken waren. Seine weiteren Untersuchungen ergaben einen Zusammenhang damit, daß um jene Uhrzeit herum den ganzen Winter hindurch etwa 20 Kinder nach Veringen(stadt) geschickt wurden, um dort »Tarmburinarbeit« 3) zu holen.

Ein solches Verhalten wurde in der Inneringer Bevölkerung in keinster Weise hinterfragt; sogar der Lehrer als Autorität in Sachen Erziehung der Jugend hatte offenbar nichts dage-gen einzuwenden, kamen doch die Kinder jeweils unmittel-bar am Hause Schmids vorbei. Glatz wandte sich daraufhin sogar mit einer entsprechenden Anzeige an das Oberamt und versuchte von Amts wegen neue Zeiten für die Abgabe von Arbeiten festlegen zu lassen - eine Reaktion erhielt er jedoch nicht.

Lehrer Schmid erfuhr nicht nur wegen seiner Nachlässigkeit im Schulunterricht die Kritik des Pfarrverwalters. Dieser

konstatierte vielmehr auch im Hinblick auf die Führung der Mesnerei bei Schmid Nachlässigkeit, Mangel an Reinlich-keit, Pünktlichkeit, Anstand und Würde, vermißte darüber hinaus in Orgeldienst und Kirchenmusik einige Qualität. Schmid selbst nutzte nach den Recherchen von Glatz seine Freizeit in leidenschaftlichem Spiel, wobei es an Flüchen und Schwüren nicht fehlt. Schmid stand offenbar an der Spitze ei-ner Gruppe von Gleichgesinnten - Glatz bezeichnet sie als Spielgesellschaft - , die sich bis über die Polizeistunde hinaus trafen. Nach eigenem Bekunden hatte Schmid schon einmal an einem Nachmittag den erheblichen Betrag von 16 Gulden verloren, bzw. am nächsten Tag einen solchen von 18 Gulden gewonnen. Glatz hatte bereits amtliche Anzeige gemacht, damit jedoch offenbar erneut nichts bewirkt.

Neben Schmid machte Glatz als zweiten Hauptverantwort-lichen für die sittlichen Mißstände den Inneringer Chirur-gen Knaupp aus. Zwischen Oktober 1857 und Mai 1858 hatte Glatz diesen nur drei- bis viermal in der Kirche ausge-macht, charakterisierte ihn darüber hinaus als der Trunk-sucht verfallen. Gefahr sah Glatz in dem Chirurgen nicht zuletzt auch deshalb, weil dieser aus seiner nicht-kirchli-chen Haltung öffentlich kein Hehl machte und dadurch den Glauben, den Begriff von Unschuld und guter Sitten aus den Herzen der Leute anfocht. Im Orte selbst hatte Knaupp schon deswegen nichts zu befürchten, als niemand teils we-gen Verschuldung an ihn, teils wegen voraussichtlicher Not-wendigkeit seiner Dienste entgegenzutreten wagte. Über-haupt sah Glatz das unmäßige mit Flüchen verbundene Spielen als den eigentlichen Krebsschaden der Gemeinde an. Die Väter seien hier ihren Söhnen ein schlechtes Bei-spiel, die Söhne wiederum verschafften sich durch heimli-che Fruchtverkäufe die Mittel für ihre Spielsucht. Schließ-lich war das allabendliche Herumschwärmen dem Pfarrver-walter ein großes Ärgernis und Indiz für sittlichen Mißstand, um so mehr, als dies in vermischter Weise gesch-ah. Die Tatsache, daß im Jahre 1857 dessen ungeachtet in In-neringen kein uneheliches Kind getauft worden war, sah Glatz nicht als Entlastung an. Er verwies darauf, daß er das Thema von der Kanzel zur Sprache gebracht hatte und be-sonders gegenüber den Christenlehrpflichtigen zwei ernste Ansprachen gehalten hatte.

Wir wissen leider nicht, wie sich die Situation in Inneringen weiter entwickelt hat. Es ist natürlich nicht auszuschließen, daß Glatz in der Umsetzung seiner seelsorglichen Funktio-nen vielleicht nicht immer glückliche Hand gehabt hat. An-dererseits klagt er über Mißstände, die in jenen Jahren in vielen Gemeinden weit verbreitet waren: Herumschwärme-rei der Jugend, Alkoholismus und Spielsucht tauchen im-mer wieder in den kirchlichen Visitationsberichten auf und sind als Bestandteil der dörflichen Gesellschaft nicht zu leugnen. Es vermag gleichfalls nicht zu verwundern, daß ei-ne Gemeinde, die seit Jahren keinen ordentlichen Pfarrer hatte, sondern jeweils nur vertretungsweise pastoriert wur-de, zu einem gewissen Teil dem kirchlich-moralischen Zu-griff entglitt. Für Inneringen fehlen die Quellen, um uns weitere Schlüsse zu ermöglichen. Immerhin wissen die aus späteren Jahren erhaltenen Visitationsberichte von den hier beschriebenen Mißständen nichts mehr.

II

Mit einem ganz anderen sittlichen Mißstand hatte sich zwi-schen 1864 und 1866 der Pfarrer in Heiligenzimmern Maxi-milian Schnell4) auseinanderzusetzen, nämlich dem »ärger-lichen Leben des Anton K.«5). In einer Gesellschaft, die lan-ge Jahre die Aufnahme eines Gewerbes, die Erlangung des Bürgerrechts oder auch die Gründung einer Familie bewußt eingeschränkt und nicht zuletzt von einem Mindestvermö-

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gen abhängig gemacht hatte, waren Verstöße, wie z. B. in der Form des Konkubinats, zwar bestraft worden, gehörten aber durchaus zur dörflichen Realität. Immer wieder gibt es Fälle, in denen Dorfbewohner, die nicht die Erlaubnis zur Heirat erhalten hatten, dennoch mit ihrem Partner zusam-menlebten und dann auch - naturgemäß uneheliche - Kin-der in die Welt setzten. Von Staats wegen war dies ein Ge-setzesverstoß, aus dem Blickwinkel der Kirche ein sittlich-moralischer Mißstand, der immer wieder in Wort und Schrift gegeißelt wurde. In der Pfarrei Heihgenzimmern es-kalierte Anfang der 1860er Jahre ein Fall, der in seiner Art deutlich über die angedeuteten Verhältnisse hinausging, gleichzeitig aber auch nicht uninteressante Einblicke im Hinblick auf die Tolerierung auch sittlich-moralischen Ab-weichens im dörflichen Umfeld gewährt. Immerhin ging es um den Vorwurf des Inzests, und es ist bezeichnend, daß eben nicht durch eine amtliche Untersuchung ermittelt wurde, sondern versucht wurde, durch die dem Pfarrer zur Verfügung stehenden Mittel die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.

Der beschuldigte Anton K., geboren am 19. Februar 1802, hatte, wie Pfarrer Maximilian Schell am 21. April 1864 dem Freiburger Ordinariat berichtete, schon von jeher einen är-gerlichen Lebenswandel geführt. Obwohl nie verheiratet, zeugte er im Jahre 1828 eine Tochter, Franziska K., die es bis zur Ortsbötin in Heiligenzimmern brachte. Im Jahre 1840 wurde K. zum zweitenmal Vater, diesmal einer Tochter Magdalena von einer anderen ledigen Frau. Ein 1857 wie-derum von einer anderen Frau geborener Knabe wurde im Ort gleichfalls K. zugeschrieben. Anfang der 1860er Jahre wohnte K. mit einer ledigen Frau namens Magdalena K. zu-sammen, die 1863 ein Mädchen gebar. Als Pfarrer Schnell die Mutter deswegen befragte, erklärte diese, sie sei auf einer Reise vergewaltigt worden. Schnell bezeichnete dies als Lü-ge und mahnte sie, das Zusammenleben aufzugeben, da sie in der ganzen Pfarrgemeinde Ärgernis errege.

Bewegte sich diese Mahnung des Seelsorgers noch im Rah-men des zu Erwartenden, so erreichte der Fall doch eine an-dere Dimension, als die erste Tochter des Anton K., die Ortsbötin Franziska, dem Pfarrer berichtete, daß ihr Vater vor einigen Jahren mit ihrer Halbschwester Magdalena In-zest getrieben habe, dessen sie anläßlich eines Besuches in deren Haus gewahr geworden sei. Schnell verzichtete auf die Schilderung weiterer Details, denn: Die Zartheit des Ge-genstandes verbot eine weitere Inquisition, zitierte nunmehr aber den K. zu sich. Da K. einige Jahre zuvor sich gegenüber dem damaligen Pfarrverwalter Bürkle Rohheiten erlaubt hatte, zog Schnell den Bürgermeister Maier als Zeugen hin-zu. Der Pfarrer wies darauf hin, daß K. durch sein Zusam-menleben mit der Magdalena K. im Orte großen Verdacht wider sich errege; K. bestritt das Konkubinat nicht, wohl aber, der Vater der Magdalena zu sein. Als Schnell ihm den § 141 des preußischen Strafgesetzbuches vorlas, der von der Bestrafung des Inzests handelte, zeigte sich K. sichtlich be-troffen. Auf Vorhaltung gab er schließlich zu, der Vater des 1863 geborenen Kindes zu sein.

Schnell befahl ihm nun, das Haus der Magdalena K. zu mei-den, doch kehrte er nach einiger Zeit zunächst heimlich, dann auch öffentlich, immer wieder dorthin zurück. Im De-zember 1863 stellte ihn der Pfarrer vor die Alternative, ent-weder mit Sack und Pack in ein anderes Haus zu ziehen, an-dernfalls er bei der Staatsanwaltschaft Klage einleiten wer-de. K. zog daraufhin tatsächlich aus und nahm zudem eine Beleidigungsklage gegen einen Dritten vor Gericht zurück, nachdem dieser ihm gedroht hatte: Wenn Du die Klage nicht zurücknimmst und die Kosten bezahlst, so sage ich bei Ge-richt, was die Pfarrei von Dir weiß. Bald zeigte sich indes,

daß K. von seinen Besuchen im Haus der Magdalena nicht abließ. Pfarrer Schnell nutzte daraufhin die Gelegenheit der Verlesung des Ehepatents nach dem Fest Epiphania, insbe-sondere mit Verweis auf das dort ausgesprochene Verbot des Zusammenwohnens, dazu, von der Kanzel darauf hin-zuweisen, daß ein ebensolches ärgerliches Verhältnis in der Pfarrgemeinde bestand. Desgleichen erklärte er, bei Fortset-zung dieses Verhältnisses der bischöflichen Behörde Anzei-ge machen zu wollen, um das äußerste kirchliche Mittel der Exkommunizierung zu bewirken. Noch zögerte Schnell aber selbst und verweigerte Ostern 1864 dem K. die Kom-munion noch nicht. Auf die Unterstützung der Bevölke-rung konnte Schnell nicht hoffen: einige Bürger fürchteten die Rache Ks., der als zorniger Säufer galt, wenn sie gegen ihn auftreten würden, andere würden propter affines macu-las die Nicht-Bestrafung von K. wünschen. Schnell, über-zeugt, daß es Aufgabe der Kirche sein müsse, gegen solche Zustände vorzugehen, sah daher im Ordinariat die letzte In-stanz, die hier etwas würde ausrichten können. Er verwies darauf, daß K. eine Anklage wegen Inzest sehr scheuen würde, da der daraus entstehende Skandal in Heiligenzim-mern doch zu sehr Aufsehen erregen würde. Auch Dekan Johann Baptist Göggel in Stetten bei Haiger-loch war um einen guten Rat verlegen. Einerseits sollte K. eben nicht wegen Inzest angeklagt werden, andererseits war in Preußen Konkubinat kein Straftatbestand. Die Orts-behörde in Heiligenzimmern zeigte sich in der Angelegen-heit weitestgehend passiv, zumal sie höheren Ortes keine Unterstützung fand. Von der Verhängung eines Kirchen-banns aber riet Göggel ausdrücklich ab, indem der Gebann-te möglicherweise zum Luthertum übergehen würde, womit man eine protestantische Station in Zimmern hätte, die bei den Lutheranern allein Schutz und Beistand fände. Das Freiburger Ordinariat entschied, mit der Anwendung här-terer Maßregeln noch zu warten und über Pfarrer Schnell vielmehr noch eine Zeitlang seelsorgerlich auf K. einwirken zu lassen, in der Hoffnung, dies würde eine Abstellung des Übels nach sich ziehen. Schnell zitierte daraufhin das Paar getrennt voneinander zu sich und ermahnte beide, die ihr Verhältnis nicht leugneten, nochmals eindringlich, davon abzulassen. Nur zu bald wurde aber offenbar, daß K. sein Lasterleben fortsetzte und bei ihm obendrein noch ein paar ledige Leute bekanntschaftshalber Unterkommen fanden, was den Skandal nur noch mehr verstärkte.

Der Pfarrer hielt nunmehr eine zweite oberhirtliche Mah-nung für angebracht, ganz im Sinne seines Dekans, der sich immer noch nicht für eine Exkommunikation aussprechen wollte. Göggel schlug allerdings vor, K. anzudrohen, daß ihm eine eventuell notwendig werdende dritte Ermahnung während des öffentlichen Gottesdienstes von der Kanzel mitgeteilt werden würde. Am 1. Februar 1864 erging dar-aufhin eine offizielle oberhirtliche Ermahnung an K. Als auch diese fruchtlos blieb, griff Schnell zu stärkeren Maß-nahmen: von Neujahr 1866 bis Passionssonntag ließ er für das ärgernisgebende Paar an Sonn- und Festtagen das allge-meine Gebet dergestalt durchführen, daß zwar keine Na-men genannt wurden, wohl aber jeder wußte, welches Paar gemeint war. Hierdurch enthob sich der Pfarrer der Gefahr, daß gegen ihn gerichtliche Klage wegen Beleidigung einge-leitet wurde. Als sich K. über dieses Vorgehen in der Ge-meinde beschwerte, sprach Schnell, der sich zuvor nochmals mit seinen Amtsbrüdern besprach, den Aus-schluß des Paares von der Osterkommunion aus. Als Mag-dalena K. bald darauf mit Sack und Pack nach Amerika aus-wanderte, so daß nun die Leute sagen, das öffentliche Gebet habe geholfen, war das Ärgernis, wie Schnell am 4. Juni 1866 dem Ordinariat Gott sei Dank mitteilen konnte, end-lich aus der Welt.

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Anmerkungen

1 Karl Jordan Glatz, geb. 28.1.1827 Rottweil, Priesterweihe Rot-tenburg 10.8.1852, Vikar Oberndorf, 1855 Kooperator Hechin-gen, 1857 Pfarrverwalter Inneringen, 1858 Pfarrverwalter Klo-sterwald, Pfarrverwalter Bärenthal, Kaplaneiverwalter Bingen, 1859 Pfarrverwalter Wiblingen, 1860 Rückkehr in die Diözese Rottenburg, 1867 Pfarrer Neufra bei Rottweil, 1878 Pfarrer Wiblingen, gest. 5.9.1880.

2 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14543. Das um-fangreiche Werk von Johannes Maier/Siegfried Krezdorn, Die Geschichte des Ortes Inneringen (Schussenried 1966) kennt die hier beschriebene Szenerie nicht. Auch die Durchsicht zeit-genössischer Visitationsprotokolle im Freiburger Archiv ergab keine weiteren Hinweise.

3 Gemeint ist die Tambourierstickerei, eine Zierstickerei, die statt mit einer Nadel mit einem Häkchen durchgeführt wurde. Sie gehört in den Kontext der im 19. Jahrhundert auf der Schwäbi-schen Alb weit verbreiteten sog. Hausindustrie, mit der sich ein großer Teil der Bevölkerung, durch die kargen Einkünfte aus der Landwirtschaft nur unzureichend unterhalten, einen Nebenver-

dienst verschaffte. Besonders im Winterhalbjahr fanden hier Frauen und Kinder Beschäftigung. Weit verbreitet war z. B. im ehemaligen Amtsbezirk Straßberg die Weißstickerei (Mousselin-oder Trommelstickerei), die seit Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem für Schweizer Handelshäuser durchgeführt wurde. Sog. Stickferker lieferten im Namen der Schweizer »Verleger« Roh-stoffe an Stickerinnen aus, sammelten die fertigen Stücke wieder ein und rechneten unter Abzug einer Vermittlungsgebühr mit beiden Parteien wieder ab. Seit den 1860er Jahren erfolgte eine deutliche Zurückdrängung des personalintensiven Einsatzes der Weißstickerei durch die zunehmende Verbreitung von Maschi-nen.

4 Maximilian August Hermann Schnell, geb. 20.6.1824 Sigmarin-gen, Priesterweihe 10.8.1848, Kaplanei-und Präzeptoratsverwe-ser Haigerloch, 1854 Hofkaplan Haigerloch, 1857 Pfarrer Heili-genzimmern, Kammerer des Dekanats Haigerloch, 1866 Dekan Haigerloch, 1869 Pfarrer Haigerloch, 1886 Erzbischöflicher Geistlicher Rat, gest. 22.7.1900.

5 Archiv des Erzbistums Freiburg, Ordinariat 14486; der Namen wurde durch den Verfasser dieser Zeilen abgekürzt.

B O T H O WALLDORF

Was aus den rußgeschwärzten L o k o m o t i v - R e m i s e n wurde.

Das Schicksal der vier Lokomotivschuppen der Hohenzollerischen Landeshahn von 1901

Im Juli 1899 ist mit dem Bahnbau in Hohenzollern begon-nen worden. Am 5. Juli 1899 wurde die Hohenzollerische Landesbahn AG [HzL] als Aktiengesellschaft ins Handels-register in Sigmaringen eingetragen. Diese Ereignisse sind der Anlaß, am 9.-11. Juli das 100-jährige Bestehen dieses be-deutenden süddeutschen Verkehrsunternehmens zu feiern.

Bekanntlich wurden in den Jahren 1900/01 die vier Stich-bahnen gebaut, die in Stetten bei Haigerloch, Burladingen, Gammertingen und Bingen endeten. An diesen vier Endsta-tionen wurde auch jeweils ein zweiständiger Fachwerklok-schuppen mitsamt Wasser- und Kohlenstation gebaut. Die Lokomotiv-Remise, wie der damalige Sprachgebrauch lau-tete, bot zwei kleinen, zweiachsigen Dampf-Lokomotiven der Type »d« der Westdeutschen Eisenbahngesellschaft Köln Platz. Anläßlich des Centenariums der HzL ist es in-teressant, dem Schicksal dieser vier Lokomotivschuppen nachzugehen. Am wenigsten überliefert ist uns vom Lok-schuppen in Stetten bei Haigerloch. Es gibt davon keine Fo-tos und keine Archivalien. Der Stettener Bürgermeister wollte die Entfernung des Lokschuppens nicht hinnehmen, sah er doch darin ein Stück Infrastruktur seines Dorfes. Langfristig sollte er recht behalten. Wie froh wäre die HzL heute, wenn für ihre Kleinlok ein Lokschuppen in Stetten noch vorhanden wäre.

In Burladingen, dem Endpunkt der Killertalbahn bis 1908, wurde der Lokschuppen auf Fotos und Ansichtskarten meist beiläufig abgebildet, so daß sein Aussehen bildlich überliefert ist. Das Betriebsbuch der Dampflok Betriebs-nummer C 2 (erbaut 1899, verschrottet 1938) weist uns ty-pische Dampflokarbeiten archivalisch nach, die in Burladin-gen durchgeführt wurden. Das waren Auswaschen des Kes-sels, Rohre blasen, sowie Frisitarbeiten, die sogenannten Revisionen. Mit der Fertigstellung des Gesamtnetzes der HzL im Jahre 1912 verloren die Lokschuppen in Burladin-gen und Stetten ihre Funktion. Sie wurden 1914 an den neu-en, zusätzlichen Betriebstmittelpunkt umgesetzt und hin-tereinander stehend wieder aufgebaut. Diese Schuppen

dienten bis September 1962 den in Haigerloch stationierten Dampfloks und Triebwagen als Stellplatz, sowie den in Hai-gerloch bis 1966 beheimateten Dieselloks ebenfalls. Die Schuppen sind heute noch vorhanden und dienen Ab-stellzwecken, beispielsweise für die nunmehr historische, 1957 erbaute Landesbahn-Diesellok V 81.

Bis in die 1940er Jahre hatte die HzL in Bingen zwei ihrer kleineren Dampfloks für den planmäßigen Betrieb statio-niert. Wegen der oft befahrenen Steigung Sigmaringen-Hanfertal waren die Loks sogar in die andere Fahrtrichtung gedreht, damit über der Kante der Feuerbüchse immer genügend Wasser war. Später wurden die Gleise entfernt und der Lokschuppen als Unterstellplatz für die Landes-bahn-Omnibusse umgebaut und durch einen einfachen Bretterschuppen erweitert. Im Januar 1947 hatte die HzL mit einem gemieteten Bus den Kraftverkehr aufgenommen. 1987 wurde in Bingen eine moderne Omnibus-Abstellhalle errichtet und der alte Lokschuppen - weil funktionslos ge-worden - abgebrochen. In Bingen erinnert noch im Ju-biläumsjahr 1999 ein funktionsfähiger Wasserkran an die 1900-1947 hier planmäßig beheimateten Dampflokomoti-ven. Interessant ist die Feststellung, daß die ehemaligen Lokschuppen-Standorte Bingen und Burladingen (ab 1955, erweitert 1962) auch zu Stützpunkten des Hzl-Kraftver-kehrs wurden.

Uberlebt hat äußerlich im Originalzustand nur der Lok-schuppen in Gammertingen. Was bei historisch werdenden Gebäuden immer wichtig ist: Es war in den letzten 100 Jah-ren immer eine Nutzung für das Bauwerk gefunden wor-den. Als der Lokschuppen 1901 in Betrieb genommen wur-de, hatte die preußische Oberamtsstadt Gammertingen noch keine öffentliche Wasserversorgung. Die Loks Be-triebsnummer 4d oder 6d sogen mit Hilfe eines Pulsometers das Quellwasser aus dem Boden in einen Wasserbehälter, der sich im Schuppen befand. Diese Technik ist heute längst vergessen. Sie ist nur noch auf Bauplänen dargestellt. Nach Einführung des Dieselbetriebes ab 19 mußten immer mehr

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Ersatzteile auf Lager gehalten werden. Der alte Lokschup-pen diente zeitweise als Lackierschuppen und wird bis heu-te als Magazin benutzt. Magazinverwalter war in den 1930er Jahren Otto Götz (1889-1975). Ihm folgte Max Liener, ge-lernter Hufschmied aus Hettingen. Im Jubiläumsjahr 1999 werden in dem Lokschuppen Ersatz-Drehstelle für die 1997 eingeführten Triebwagen vom Typ »Regio-Shuttle« aufbe-wahrt. So schließt sich der Kreis von den ersten Loks der

Hzl, den zweiachsigen Dampflokomotiven der Type »d« bis zu den modernsten Triebfahrzeugen Baujahr 1937. So ist uns wenigstens einer der vier Lokschuppen durch viele Zu-fälle weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben. Das Schicksal der vier Lokomotiv-Remisen zeigt, daß der Landesbahnbetrieb ein ständiger technischer Innovations-und Anpassungsprozeß ist.

s Moiaglöckle

Moiaglöckle, Moiaglöckle und dei lanzaörmegs Fräckle läutescht aus da Früahleng ei jo sogar da letschta Schnai mit deim scheena weißa Röckle O wia blüahscht du so bescheida, dur dees Buachawäldle rei. schtill vrlassa und so zart, Moiaglöckle, dei süaß Gschmäckle, Moiablum, ällz ka de leida, dees vrdreibt olm d'Ploog und d' Waih Glöckle hold vo edler Art.

Maria Leibold

Mitgliederversammlung des Hohenzollerischen Geschichtsvereins

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen Geschichts-vereins e. V. fand am 10. Mai 1999 im Spiegelsaal des Prinzen-baus (Staatsarchiv) in Sigmaringen statt. Nach der Begrüßung der Anwesenden und dem Verlesen der Totentafel, wozu sich die Teilnehmer von ihren Sitzen erhoben, legte der Vorsitzen-de Dr. Otto Becker einen umfangreichen Bericht über die Vereinsarbeit seit der Mitgliederversammlung am 6. Oktober 1998 in Hechingen vor. Danach bildeten wie in den vergange-nen Jahren Vortragsveranstaltungen einen Schwerpunkt in der Tätigkeit des Geschichtsvereins. Auf eine außerordent-lich gute Resonanz war das Kolloquium über die Revolution 1848/49 in den Fürstentümern Hohenzollern gestoßen, das am 10. Oktober 1998 im Zoller-Hof in Sigmaringen von den Kreisarchiven Sigmaringen und Zollernalbkreis sowie vom Hohenzollerischen Geschichtsverein gemeinsam veranstaltet wurde. Auf dieser Veranstaltung händigte der Vorsitzende Herrn Prof. Dr. Fritz Kallenberg übrigens die Urkunde über seine Wahl zum Ehrenmitglied aus.

Im Herbst wurde in Zusammenarbeit mit dem Haus der Heimat Baden-Württemberg in Stuttgart als Begleitpro-gramm zu der im Staatsarchiv Sigmaringen gezeigten Aus-stellung »Weit in die Welt hinaus ... Historische Beziehun-gen zwischen Südwestdeutschland und Schlesien« ein Block von insgesamt drei Vorträgen angeboten. Zuerst sprach das Ehrenmitglied Prof. Dr. Gregor Richter über das Wirken des Hofkapellmeisters Thomas Täglichsbeck in Hechingen und in Löwenberg in Schlesien (27. Oktober). Es folgte ein Vortrag des Stuttgarter Publizisten und Historikers Harald Schukraft über die Verbindungen der Häuser Württemberg und Hohenlohe mit Schlesien (10. November). Abschlie-ßend referierte Dr. Otto Becker über die Entstehung und die Entwicklung des ehemaligen Besitzes der Fürstlichen Häuser Hohenzollern in Brandenburg, Schlesien, Pommern und in Posen (8. Dezember).

Anschließend sprach Herr Michael Hakenmüller in Sigma-ringen (1. Februar) und in Hechingen (15. März 1999) über

die Bildungsreise der Fürstin Pauline von Hohenzollern-Hechingen durch Hohenzollern und Oberschwaben nach Tirol im Jahre 1811. Ebenfalls in Hechingen und in Sigma-ringen (22./23. Februar 1999) referierte Beiratsmitglied Dr. Andreas Zekorn über das Thema »Österreich in Schwaben: Ein Abriß der Geschichte Vorderösterreichs«. Dieser Ein-führung war es wohl vor allem zu verdanken, daß der Halb-tagesexkursion am 27. Februar 1999 zur Landesausstellung »Vorderösterreich - nur die Schwanzfeder des Kaiserad-lers?« ein solcher Erfolg beschieden war. Hierfür sprach der Vorsitzende dem Archivarskollegen Dr. Zekorn seinen auf-richtigen Dank aus. Demgegenüber wurden die vereinbar-ten Termine des Vortrags »Der ferne Nachbar Europas -Kulturelle Tradition und Gesellschaft in der Türkei« vom Referenten abgesagt.

Auf große Resonanz stieß ferner der Vortrag von Prof. Dr. Götz Schneider vom geophysikalischen Institut der Univer-sität Stuttgart mit dem Thema »Warum gibt es Erdbeben auf der Zollernalb?«, der am 8. Mai 1999 vom Hohenzolleri-schen Geschichtsverein und von der Gemeinde Jungingen im Feuerwehrgerätehaus der Killertalgemeinde veranstaltet wurde. Beiratsmitglied Otto Bogenschütz, der den Vortrag vorgeschlagen und auch die Organisation und die Werbung übernommen hatte, stattete Dr. Becker hierfür seinen Dank und seine Anerkennung aus.

Ebenfalls sehr gut angekommen sind die vom Hohenzolle-rischen Geschichtsverein und vom Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden gemeinsam an-gebotenen Archivseminare für heimat- und familienkund-lich Interessierte. Das Interesse an diesen Ganztagsveran-staltungen im Staatsarchiv Sigmaringen war so groß, daß das Seminar nach dem Termin am 26. September am 7. Novem-ber 1998 und dann am 24. April 1999 wiederholt werden mußte. Diese Veranstaltung findet übrigens am 23. Juli noch einmal statt.

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Verlag: Hohenzollerischer Geschichtsverein Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen

E 3828

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«

Leider konnte die Zeitschrift für Hohenzollerische Ge-schichte 34 (1998) noch nicht ausgeliefert werden, obwohl die Zweitkorrektur Ende Februar 1999 beim Verlag abgege-ben werden konnte. Die vierteljährlich erscheinende Ho-henzollerische Heimat konnte demgegenüber stets termin-gerecht ausgeliefert werden. Der Vorsitzende sprach dem Schriftleiter, Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, hierfür sei-nen aufrichtigen Dank aus. Es folgte eine kurze Vorschau auf das Vereinsprogramm in den kommenden Monaten.

Anschließend legte Schatzmeister Hans Joachim Dopfer ei-nen positiven Bericht über die Finanzsituation und den Kassenstand zum 31. Dezember 1998 vor. Die Herren Fritz Schöttgen und Alois Schleicher bescheinigten in ihrem Prü-fungsbericht eine ordnungsgemäße Rechnungsführung. Be-anstandungen gab es keine. Auf Antrag des Vorsitzenden wurde der Schatzmeister daraufhin von der Mitgliederver-sammlung einhellig entlastet. Der Vorsitzende sprach Herrn Dopfer seinen Dank für die dem Verein in der Vergangen-heit geleistete Arbeit aus. Es folgte die Entlastung des Vor-stands insgesamt.

Dr. Becker nahm die Entlastung zum Anlaß, den Kollegen im Vorstand und Beirat für ihre Mitarbeit und Unterstüt-zung zu danken. Sein besonderer Dank galt dem Schriftleiter der Hohenzollerischen Heimat, Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, dem Mitschriftleiter der Zeitschrift für Hohenzol-lerische Geschichte Dr. Zekorn und Frau Liebhaber, die mit viel Engagement und Umsicht die laufenden Geschäfte des Vereinssekretariats wahrnimmt, vor allem auch den Versand der Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte, der Tau-schexemplare, der Sonderdrucke sowie vierteljährlich auch den Versand der Hohenzollerischen Heimat bewerkstelligt. Es folgte als weiterer Tagesordnungspunkt die Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden für die Dauer der laufenden Amtsperiode des Vorstands, die infolge des Rücktritts von

Herrn Dr. Vees notwendig geworden war. Als Kandidaten schlug die Vorstandschaft Rektor a. D. Otto Werner aus Hechingen vor. Aus den Reihen der Anwesenden wurden keine weiteren Vorschläge gemacht. Herr Werner wurde daraufhin ohne Gegenstimme zum stellvertretenden Vorsit-zenden gewählt. Der Vorsitzende gratulierte Herrn Werner zur Wahl und verband damit seinen Wunsch auf gute Zu-sammenarbeit.

Unter dem Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« bedankte sich Prof. Dr. Eberhard Gönner, Präsident der Landes-archivdirektion Baden-Württemberg a. D., für die Verlei-hung der Ehrenmitgliedschaft durch die Mitgliederver-sammlung am 6. Oktober 1998, an der er aus gesundheitli-chen Gründen nicht hatte teilnehmen können. In seiner Ansprache berichtete das Ehrenmitglied u. a. auch darüber, welch großen Eindruck die führenden Hechinger Vereins-mitglieder in den 30er Jahren, wie z. B. Dr. med. Ernst Senn, Studienrat Heinrich Faßbender, Willy Baur oder Maximili-an Schaitel, auf ihn als Heranwachsenden gemacht und da-mit auch seine Berufswahl beeinflußt hätten. Der Vorsitzen-de dankte dem Ehrenmitglied Prof. Gönner einmal dafür, daß er die weite Reise von Stuttgart auf sich genommen ha-be, um an der Mitgliederversammlung teilzunehmen, und zum andern für seine anerkennenden Worte über die Arbeit des Vereins.

An die Mitgliederversamlung schloß sich traditionsgemäß ein öffentlicher Vortrag an. Es sprach Dr. Jürgen Klöckler, Universität Konstanz, über das Thema »Königreich Schwa-ben oder schwäbisch-alemannische Demokratie? Pläne zur staatlichen Neugliederung Südwestdeutschlands unmittel-bar nach 1945«. Der kenntnisreiche, vor allem aber gut strukturierte und exzellent dargebotene Vortrag stieß bei den Anwesenden auf großes Interesse, wie durch die an-schließende Diskussion deutlich wurde. Otto H. Becker

H O H E N Z O L L E R I S C H E HEIMAT

herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein, Postfach 16 38, 72486 Sigmaringen. ISSN 0018-3253 Erscheint vierteljährlich.

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und den angrenzenden Lan-desteilen mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben fachhi-storischen auch populär gehaltene Beiträge.

Bezugspreis: Für Mitglieder des Hohenzollerischen Geschichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nicht-mitglieder DM 13,00 jährlich. Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25) können beim Hohenzollerischen Ge-schichtsverein (s. o.) bestellt werden.

Die Autoren dieser Nummer: Gerd Bantle Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen Dr. Otto H. Becker Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen Walter Kempe Silcherstraße 11, 88356 Ostrach Maria Leibold Zollerstraße 3, 72939 Burladingen Hans Peter Müller Weiherplatz 7, 72186 Empfingen Dr. Wolfgang Schaffer Erkelenzer Straße 15, 50933 Köln Hannes Schneider Auf Schmieden 52/1, 72336 Balingen Karl Werner Steim Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen Botho Walldorf Lenaustraße 23, 72127 Wannweil Dr. Andreas Zekorn Landratsamt, Hirschbergerstraße 29,

72334 Balingen

Gesamtherstellung: Jan Thorbecke Verlag, 70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71

Schriftleitung: Dr. med. Herbert Burkarth, Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen Telefon 07574/4407

Die mit Namen versehenen Artikel geben die persönliche Meinung der Verfasser wie-der; diese zeichnen für den Inhalt der Beiträ-ge verantwortlich. Mitteilungen der Schrift-leitung sind als solche gekennzeichnet.

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden an die Adresse des Schriftleiters er-beten.

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzolleri-sche Heimat« weiterzuempfehlen.

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DER ilXZrCr Sr. MAJE S TAT BKS TONTOS DURCH! Bl£ EHRENPFORTE zir iromriirtXLô or;

Einzug des neuen Landesherrn König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen am 24. August 1851 in Sigmaringen, durch eine am westlichen Stadteingang errichtete Ehrenpforte (Zeichnung W. Laur, Lithographie J.F. Lutz)

E D W I N ERNST W E B E R

Hohenzollern wurde vor 150 Jahren preußisch Ein »Gewaltstreich« gegen Volk und Verfassung

»Die Besetzung der beiden Fürstenthiimer Sigmaringen und Hechingen durch preußische Truppen, wovon man längst in öffentlichen Blättern gesprochen, tritt nun wirklich ein. Wie man sagt, sollen 3000 Mann zu diesem Zwecke morgen hier einrücken. Daß die Besitznahme der Fürstenthümer durch die Preußen ein Gewaltstreich sei, liegt offen am Tage. (...) Nach dem Verfahren Preußens in Baden und der völligen Besiznahme (!) unserer Fürstenthümer scheint es wahr wer-den zu wollen, daß Deutschland in Preußen aufgehen wer-de.« Mit diesen Sätzen informierte der »Sigmaringer Erzähler«, das Sprachrohr der Demokraten und Republika-ner im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen am 3. August 1849 seine Leser vom unmittelbar bevorstehen-den Einmarsch preußischer Truppen in die beiden hohen-zollerischen Fürstentümer. Noch am selben Tag rückten tatsächlich unter dem Befehl von Oberst von Kußnow zwei Bataillone des 26. preußischen Linieninfanterieregiments, zwei Eskadronen Ulanen vom 8. Regiment und eine halbe Batterie Artillerie im Sigmaringer Fürstentum ein. Zwei Ta-ge später erschien dem preußischen Befehlshaber die Ruhe im Ländchen soweit hergestellt, daß er mit dem Gros seiner Truppen zur Besetzung des benachbarten Fürstentums Ho-henzollern-Hechingen abmarschierte und in Sigmaringen lediglich eine Besatzung von 210 Mann mit zwei Geschüt-zen zurückließ.

Die Hintergründe dieser Militäraktion, die in unmittelba-rem Anschluß an die blutige Niederwerfung der demokrati-schen Volkserhebung in Baden durch die Preußen erfolgte, hatte der »Sigmaringer Erzähler« bereits in seiner Ausgabe vom 31. Juli 1849 ebenso respektlos wie korrekt geschildert: Zu erwarten sei »eine Mediatisirung der Fürstenthümer zu Gunsten Preußens« und damit »wieder einmal ein Staats-streich«, der »gegen Recht und Verfassung das Volk wie eine Waare verschacher(t).« Der König von Preußen gewinne mit der Einverleibung der hohenzollerischen Fürstentümer »einen guten militärischen Punkt« im Süden Deutschlands, der Fürst von Sigmaringen dagegen behalte unter preußi-schem Schutz seine Domänen.

Die militärische Besetzung der hohenzollerischen Für-stentümer Anfang August 1849 bildete gleichsam einen Vorgriff auf die spätere Angliederung der beiden südwest-deutschen Duodezstaaten an das Königreich Preußen, die in einem Vertrag vom 7. Dezember 1849 zwischen König Friedrich Wilhelm IV. und seinen beiden hohenzollerischen Vettern, Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen und Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin von Hohenzol-lern-Hechingen, sodann formell vereinbart wurde. Die bei-den Fürsten treten darin die Souveränität über ihre Territo-rien an den stammverwandten König von Preußen ab und erhalten als Gegenleistung Jahresrenten von 25000 bzw. 10000 Taler zugesichert. Die sog. Domänen, hinter denen sich in erster Linie die 1803 von den hohenzollerischen Für-sten säkularisierten Kirchengüter verbergen, werden diesen vom neuen Landesherrn als fürstlicher Privatbesitz aner-kannt und garantiert. Während die Landtage der beiden ho-henzollerischen Fürstentümer unter Bruch der Landesver-fassungen von 1833 bzw. 1848 zu dieser Einverleibung durch Preußen nicht gehört werden und der Ubergang der Landesherrschaft damit ohne Zustimmung des Volkes er-folgt, wird in den beiden preußischen Kammern am 12. März 1850 ein »Gesetz über die Vereinigung der Hohen-

zollernschen Fürstentümer mit dem Preußischen Staatsge-biet« beschlossen. Nur wenige Wochen später findet am 6. April 1850 in Sigmaringen und am 8. April in Hechingen die feierliche Übergabe der Regierungsgewalt an die preußi-schen Behörden statt. Die schwäbischen Hohenzollern am oberen Neckar und an der oberen Donau waren damit zu Preußen geworden und blieben es bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die preußische Übernahme von 1849/50 gibt dem hohen-zollerischen »Sonderweg« in der Geschichte Südwest-deutschlands eine neue Richtung und verlängert ihn um ein-hundert Jahre. Begonnen hatte diese Sonderentwicklung 1806, als die beiden hohenzollerischen Zwerg-Fürstentü-mer gegen alle Wahrscheinlichkeit vor allem dank der exzel-lenten persönlichen Beziehungen der Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine in die politischen Führungsschichten des napoleonischen Frankreich der Mediatisierung entgangen waren und neben den neugeschaffenen Mittelstaaten Baden, Württemberg und Bayern zu souveränen Mitgliedern zunächst im Rheinbund und seit 1815 sodann im Deutschen Bund wurden.

Das 40000 Einwohner zählende Fürstentum Hohenzol-lern-Sigmaringen präsentiert sich am Vorabend der Revolu-tion als Verfassungsstaat mit liberalem Regierungschef, ver-gleichsweise »moderner« Herrschafts- und Verwaltungs-praxis und mit entwickelter politischer Partizipation und Öffentlichkeit. Auffallend rückständig erscheint dem-gegenüber das unter einer drückenden Verschuldung lei-dende Fürstentum Hohenzollern-Hechingen mit seinen knapp 20000 Einwohnern. Im Unterschied zu Sigmaringen entsteht hier im Vormärz kein Verfassungsstaat, vielmehr bleibt es bei dem 1798 am Ende von 200jährigen Unterta-nenkonflikten abgeschlossenen Landesvergleich, dessen seit 1835 nach einer neuen Wahlordnung rekrutierte zwölfköp-fige Landesdeputation ohne eigentliche konstitutionelle Verankerung bleibt. Die Landesverwaltung galt als schlam-pig und wenig kompetent, der seit 1838 regierende Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin war eher den Musen und zu-mal der Musikpflege denn Regierungs- und Verwaltungsge-schäften in seinem Ländchen zugetan.

In beiden Fürstentümern löst die Nachricht von den Revo-lutionsereignissen in Frankreich und in Baden im März 1848 eine lebhafte politische Bewegung aus. In Hechingen kommt es am 11. März 1848 zu einer tumulthaften Massen-versammlung von rund 1500 teilweise mit Sensen, Stöcken und Pistolen bewaffneten Landbewohnern, die lautstark von ihrem Fürsten die Abschaffung der Frondienste und der Zehnten, die Aufhebung der bäuerlichen Lehensver-hältnisse, eine gerechtere Besteuerung, die auch die fürstli-chen und geistlichen Güter einbezieht, sowie eine Be-schränkung des Schacherhandels der Juden verlangen. Die zeitgemäßen bürgerlich-liberalen Forderungen wie Presse-freiheit, Volksbewaffnung oder ein deutsches Parlament spielen kaum eine Rolle. Es ist mithin eine bäuerliche Re-volte in der Tradition der jahrhundertelangen Hechinger Untertanenkonflikte, die den Fürsten schließlich am Abend dieses für ihn traumatischen Tages nach mancherlei Demütigungen und zuguterletzt massiven Drohungen zur vorbehaltlosen Einwilligung in alle Petitionspunkte nötigt. Nach diesem dramatischen Auftakt nimmt das Hechinger Revolutionsgeschehen in der Folge indessen einen ange-

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o U e t t f ö e C o n b c ' V

Mitteilungen aus dem Geschichtsverein

Veranstaltungen im 3. Quartal 1999

I. Exkursion

Der Hohenzollerische Geschichtsverein e.V veranstaltet am Samstag, 23. Oktober, eine Ganztagesexkursion mit Diözesankonservator Wolfgang Urban, Rottenburg a.N., zur

Reichenau und nach Konstanz. Vormittags werden auf der Reichenau unter der kundi-gen Führung von Herrn Urban Oberzell und Mittelzell mit dem Münsterschatz besucht. Nach dem Mittagessen wird Herr Urban die Gruppe in Niederzell führen. Da-nach erfolgt die Weiterreise nach Kosntanz, wo Herr Ur-ban auf einem Rundgang durch die historische Innen-stadt den Mitreisenden u.a. das Münster mit seiner Mau-ritiusrotunde und der Krypta, das Augustinerkloster, die Bürgerschaftskirche St. Stefan und das Haus des Johan-nes Hus zeigen und erläutern wird.

Abfahrt: Hechingen um 7.00 Uhr Haltestelle Obertor-platz Sigmaringen um 8.00 Uhr Haltestelle gegenüber der Marstallpassage.

Rückkehr: Sigmaringen ca. 18.30 Uhr, Hechingen ca. 19.30 Uhr.

Anmeldungen sind bis spätestens 19. Oktober an Frau Liebhaber zu richten (Tel. 07571/101-558). Die Teilneh-merzahl ist auf 50 Personen begrenzt.

II. Einzelvorträge

Pfr. Klaus Frank, Ettlingen:

Aus christlichem Glauben für Menschenwürde und Freiheit: Reinhold Franks Widerstand gegen den

Nationalsozialismus. Montag, 22. Nov., um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen.

Montag, 29. November, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsachiv) in Sigmaringen.

Prof. Dr. Utz Jeggle, Universität Tübingen:

Erinnerungen an die Haigerlocher Juden. Montag, 6. Dezember, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-gen.

III. Vortragsveranstaltung

Die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und Zollernalbkreis sowie der Hohenzollerische Geschichts-verein e.V laden alle Geschichtsfreunde zu der Vortrags-veranstaltung

Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau

am Samstag, 16. Oktober, ab 9.30 Uhr in die Hohenberg-halle in Schömberg-Schörzingen ein.

Programm:

9.30 Uhr Grußworte 10.00 Uhr Bernhard Rüth: Der Übergang der Herr-

schaft Schramberg an Österreich.

10.40 Uhr Kaffeepause 11.00 Uhr Hans Peter Müller: Oberndorf als vor-

derösterreichische Stadt. 11.40 Uhr Dr. Hans-Joachim Schuster: Fridingen

und Spaichingen, die »Hauptorte« Ober-hohenbergs,

ca. 12.20 Uhr Mittagspause

14.00 Uhr Dr. Edwin Ernst Weber: Landeshoheit von »oben« versus Herrschaftsverdichtung von »unten«. Territorialherrschaft in Vor-derösterreich und Fürstenberg-Meßkirch am Beispiel der Untertanendörfer Engels-wies und Kreenheinstetten.

14.40 Uhr Dr. Andreas Zekorn: Unter dem Schutz-flügel des Kaiseradlers: Die Grafschaften Sigmaringen und Veringen als österreichi-sche Lehen.

15.20 Uhr Kaffeepause

15.45 Uhr Karlheinz Geppert M.A.: Die vorderöster-reichischen Städte Schömberg und Bins-dorf.

16.25 Uhr Dr. Martin Zürn: Die vorderösterreichi-sche Herrschaft Kallenberg,

ca. 17.15 Uhr Ende der Nachmittagsveranstaltung 18.00 Uhr Empfang des Zollernalbkreises und der

Stadt Schömberg (mit Abendessen). Musikalische Umrahmung: Volkstanz-musik Frommern

20.00 Uhr Grußworte

20.15 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai: Habsburg am oberen Neckar und der oberen Donau.

IV. Seminar

Der Hohenzollerische Geschichtsverein e.V. und der Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden e.V. veranstalten am Freitag, 5. November 1999, von 13.00 Uhr bis ca. 17.30 Uhr im Staatsarchiv Sigmaringen ein Nutzerseminar Einführung in die Ar-chivbestände zur Geschichte Oberschwabens.

Das Fürstlich Thum und Taxis'sche Depositum Obermarchthal im Staatsarchiv Sigmaringen

(STAS Dep. 30).

Programm: 13.00 Uhr 13.15 Uhr

14.00 Uhr

15.00 Uhr

Begrüßung

Die Fürsten von Thum und Taxis in Ober-schwaben (Dr. Annegret Wenz-Haub-fleisch)

Teilbestände des Depositums (Birgit Kirchmaier) Archivalientypen und Dokumentationsin-halte (Josef Adam, Birgit Kirchmaier, Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch)

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16.30 Uhr Archivführung

Teilnehmergebühr: 15 DM (für Mitglieder eines der veran-staltenden Vereine: 10 DM). Kto. des HGV 803.843 bei der Hohen. Landesbank, BLZ 653 510 50.

Nähere Auskünfte über das Seminar erteilt Frau Liebha-ber im Staatsarchiv Sigmaringen (Tel. 07571/101-558).

V. Vorankündigung

Der Hohenzollerische Geschichtsverein und das Kreis-

archiv Zollernalbkreis werden voraussichtlich im Früh-jahr 2000 ein Seminar

Einführung in die altdeutsche Schrift veranstalten. Das Seminar soll ca. 4 bis 5 Doppelstunden umfassen. Das Programm wird noch rechtzeitig in vorlie-gender Zeitschrift bekanntgegeben.

gez.: Dr. Becker Vorsitzender

sichts des enormen Konfliktpotentials überraschend mode-raten Verlauf, dessen weitere Stationen die Wahl einer De-putierten-Versammlung des sog. »Achtundfünfzigers«, die Abschaffung zahlreicher Feudallasten durch Vereinbarung mit der fürstlichen Regierung und schließlich am 16. Mai die öffentliche Verkündigung einer Verfassung sind. Zu ver-danken ist die Mäßigung in erster Linie dem Einfluß von Pfarrer Josef Blumenstetter aus Burladingen, der zum Wortführer der liberalen Bewegung im Fürstentum wird und in aller Schärfe die Beachtung der Gesetze und die Ab-sage an jede Art von Gewalt verlangt.

Ganz anders entwickeln sich 1848 die Dinge in Hohenzol-lern-Sigmaringen. Zumal in der Residenzstadt mit ihrer po-litisch aktiven Bürgerschaft kommt es im Sommer 1848 zu einer wachsenden Radikalisierung unter demokratischen und republikanischen Vorzeichen. Deren spektakulären Höhepunkt bildet am 26. September eine - zeitlich syn-chron zu den Aufständen von Struve in Südbaden und von Rau in Württemberg einberufene - riesige Volksversamm-lung mit 3000 Teilnehmern auf dem Sigmaringer Karlsplatz, die auf Antrag des Demokratenführers Dr. Karl Otto Würth mit »Stimmeneinheit« die Einsetzung eines revolu-tionären Sicherheitsausschusses und die Entwaffnung des fürstlichen Militärs beschließt. Fürst Karl Anton und seine Regierung fliehen daraufhin ins badische Überlingen und bitten die Frankfurter Zentralgewalt um Wiederherstellung der Ordnung im Fürstentum. Dies geschieht zwei Wochen später tatsächlich, als 2000 Mann bayerischer Truppen in Sigmaringen einmarschieren und der - allerdings nie formell ausgerufenen - hohenzollerischen Republik ein freilich un-blutiges Ende bereiten. Im Unterschied zur bäuerlichen Sensen- und Mistgabelrevolte in Hechingen trägt die Sigma-ringer Revolution eindeutig bürgerliche Züge und befindet sich mit ihren Forderungen nach Pressefreiheit, Religions-und Gewissensfreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichten, deutschem Parlament und schließlich sogar nach Ein-führung der Republik absolut auf der Höhe der Zeit. Die wichtigste lokalspezifische Forderung ist die Übergabe der fürstlichen Domänen an das Land.

Die demütigende Erfahrung der Ohnmacht gegenüber ihren revolutionären Untertanen und der drohende Verlust der Domänen ist für die hohenzollerischen Fürsten bereits im Frühjahr 1848 der Ausgangspunkt für Verhandlungen mit Preußen und zeitweise sogar Württemberg und der Frankfurter Zentralgewalt über eine Abgabe der Souverä-nität gegen Garantie der Domänen als Privatbesitz. Nach langem Sträuben aufgrund von Legitimitätsbedenken findet sich 1849 schließlich König Friedrich Wilhelm IV. zu einer Übernahme der beiden Fürstentümer durch Preußen bereit. Letztlich ausschlaggebend für den Meinungswandel des Königs ist ein vom späteren Oberhofzeremonienmeister von Stillfried genährter dynastischer Geschichtskult, der die Stammverwandtschaft zwischen den schwäbischen und

fränkisch-brandenburgischen Linien der Hohenzollern ver-klärt und die südwestdeutschen Fürstentümer mit dem Zol-ler als das »Stammland« der preußischen Könige und späte-ren deutschen Kaiser romantisiert.

Seinen historisch nachweisbaren Kern hat die spätere »Kai-serstammland«-Legende in der Belehnung der schwäbi-schen Zollern 1192 mit der Burggrafschaft Nürnberg, in de-ren Gefolge sich im 13. Jahrhundert ein eigener Zweig des Hauses in Franken etabliert, von dem wiederum die fränki-schen Markgrafen, die Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg (1415/17), die preußischen Könige (1701) und die deutschen Kaiser (1871) abstammen. Ungeachtet des konfessionellen Auseinanderdriftens in der Reformation, als die fränkischen und brandenburgischen Linien prote-stantisch wurden, die schwäbischen Hohenzollern aber katholisch blieben, wurde das Bewußtsein von der gemein-samen Herkunft wachgehalten und durch Erbvereinbarun-gen von 1695 und 1707 gestützt, die eine Eventualsukzessi-on für den brandenburgischen Familienchef (»Caput fami-liae«) im Fall des Aussterbens des schwäbischen Hauses vorsehen. Der Souveränitätsverzicht der beiden hohenzol-lerischen Fürsten von 1849 gilt vor diesem Hintergrund rechtlich als Antizipation, d.h. Vorwegnahme des durch die älteren Familienverträge begründeten brandenburgisch-preußischen Erbfolgeanspruchs.

Ihren zu Stein gewordenen Ausdruck findet diese romanti-sche Verklärung der Stammverwandtschaft im bereits 1846 von den schwäbischen Hohenzollern-Fürsten und dem preußischen König beschlossenen gemeinsamen Wiederauf-bau der weitgehend verfallenen Burg Hohenzollern, die so-dann in den Jahren 1850 bis 1867 als monumentaler neogo-tischer Neubau auf den Grundmauern der alten Stammfeste ersteht. Geradezu folgerichtig erscheint es, wenn Friedrich Wilhelm IV. die Erbhuldigung seiner neuen schwäbischen Untertanen am 23. August 1851 in der »Wiege des schwarz-en Adlers«, auf dem zu dieser Zeit noch ruinösen Zoller-berg, inszenieren läßt.

Daß die Begeisterung der neuen preußischen Untertanen über ihren von »oben«, ohne ihre Einwilligung verfügten Herrschaftswechsel freilich über den Kreis der von Maßre-gelung und Verfolgung bedrohten Demokraten und Repu-blikanern hinaus durchaus ihre Grenzen hatte, offenbart ei-ne aus jener Zeit überlieferte Anekdote: Demzufolge ver-kündete ein hohenzollerischer Pfarrer seiner Gemeinde in der ihm aufgetragenen Kirchenpredigt, er werde heute dar-über zu sprechen haben, »wie sehr wir uns freuen sollen, daß wir preußisch geworden sind, und darüber, daß wir dies um unserer Sünden willen auch nicht besser verdient ha-ben«.

Literaturhinweise

Otto H. Becker u.a. (Bearb.): Preußen in Hohenzollern. Begleit-band zur Ausstellung. Sigmaringen 1995.

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Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den Hohenzol-lerischen Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen. He-chingen 1952 (= Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns 2).

Fritz Kallenberg (Hg.): Hohenzollern. Stuttgart 1996 (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 23).

Für die Sache der Freiheit, des Volkes und der Republik. Die Re-volution 1848/49 im Gebiet des heutigen Landkreises Sigmarin-gen. Hg. v. Landkreis Sigmaringen. Sigmaringen 1998 (= Hei-matkundliche Schriftenreihe des Landkreises Sigmaringen Bd. 7).

H E R B E R T RÄDLE

Eine Madonna Ulmer Herkunft in Dettingen (Hohenz.), vielleicht von Nikiaus Weckmann

In der Zeit kurz vor und um 1500 sind in Ulm neben eini-gen anderen, die bloße Namen bleiben - als klare Persön-lichkeiten mit fest umrissenem Œuvre faßbar die Bildhauer Michel Erhart und Nikiaus Weckmann (letzterer bisher meist mit Jörg Syrlin gleichgesetzt).

In den 1470er Jahren, als Weckmann lernte, wurde die Ul-mer Skulptur von einigen Multscher-Schülern, vor allem aber von Michel Erhart geprägt.

Für die Zuordnung der Dettinger Madonna (Abb. 1) ist ins-besondere ein Motiv interessant, das Weckmann (Meister in

Abb. 1: Mutteigottes in Dettingen bei Horb (ehemals Dejun-gen/Hohenz.). Wohl von Nikolaus Weckmann. Bildnachweis: Ka-talog wie Anm. 1, S. 127

Abb. 2: Schutzmantel-Madonna von Michael Erhart, Berlin Staad. Museen, Skulpturengalerie. Bildnachweis: Katalog wie Anm. 1, S. 127

Ulm seit 1481) von Erhart übernommen hat. Es handelt sich um das bei spätgotischen Darstellungen der Gottesmutter auch sonst vielfach übliche Requisit des Kopftuchs, das zu-meist vom Mantel deutlich unterschieden und auch farblich abgesetzt ist.

Michel Erhart läßt es mit einer Art Wirbel auf der einen Kopfseite beginnen und führt es dann über den Kopf, um es auf der anderen herunter- und meist in großer Kurve quer aber die Brust zu führen, wie z. B. bei der Schutzmantel-Madonna in der Skulpturengalerie Berlin (Abb. 2).

Nikiaus Weckmann greift dieses Motiv auf, variiert es je-doch, indem er das Kopftuch nicht herunterfallen läßt, son-dern hinter dem Kopf um den Nacken führt, wie wir es bei den Madonnen in Ochsenhausen (Abb. 3) oder Ennetach sehen1.

Bei der Dettinger Figur ist das Kopftuch deutlich auf die Weckmannsche Art gelegt, während die Manteldrapierung eher eine diagonale, auf das Kind zuführende Anlage zeigt -

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ähnlich Kompositionen Michel Erharts (etwa in Blaustein-Ehrenstein)2. Doch weist der Mantelsaum mit dem Detail des vom Wind hochgewehten »Ohrleins« wiederum ein sehr typisches Motiv der Weckmann-Werkstatt auf3.

Die Dettinger Madonna nimmt also formal eine Zwi-schenstellung zwischen Erhartschen Schöpfungen wie der Madonna in Blaustein-Ehrenstein und Weckmann-Figuren wie der Ennetacher Madonna ein.

Erklären ließe sich dies durch einen Bildhauer, der nachein-ander in beiden Ulmer Werkstätten tätig war. Der Kunst-wissenschaftler Heribert Meurer möchte allerdings wegen der »ausgesprochen Weckmannschen Gesichtszüge« eine Zuschreibung an Weckmann vorziehen4.

Anmerkungen

1 Die Ennetacher Madonna ist abgebildet bei Manfred Hermann, Kunst im LKr. Sigmaringen, 1986, S. 95, ebenso in dem Ausstel-lungskatalog »Meisterwerke massenhaft«, Stuttgart 1993, S. 100.

2 Die Blaustein-Ehrensteiner Madonna von Michel Erhart ist ab-gebildet im Katalog wie Anm. 1, S. 128.

3 Dieselbe Gestaltung des Mantelsaums - mit »Ohrlein« - findet sich z. B. auch bei der Figur des Bischofs Ambrosius am West-portal des Ulmer Münsters (um 1500. Abb. im Katalog wie Anm. 1, S. 80) oder bei der Madonna im Adelberger Retabel (Adelberg LKr. Göppingen, Ulrichskapelle). Abb. im Katalog Nr. 78.

4 Sämtliche Informationen sind dem in Anm. 1 genannten Aus-stellungskatalog entnommen, bes. S. 125ff. Zu erwähnen bleibt noch, daß in dem Kunstdenkmäler-Band Kreis Hechingen von 1939 die Dettinger Madonna dem (neckarschwäbischen?) Mei-ster des Oberndorfer Altars zugewiesen wurde. Vgl. Meurer, wie Anm. 17, S. 133, Katalog »Meisterwerke ...«, wie Anm. 1.

Abb. 3: Madonna in der Klosterkirche Ochsenhausen von Niko-laus Weckmann, Ulm. Bildnachweis: Beuroner Kunstverlag

EDWIN ERNST WEBER

750 Jahre Sigmaringendorf - Ein Blick in die Geschichte des Ortes

Der »großen Politik«, konkret dem weltgeschichtlich be-deutsamen Streit zwischen Kaiser und Papst um die Vor-herrschaft im christlichen Abendland hat Sigmaringendorf seine urkundliche Ersterwähnung vor fast genau 750 Jahren zu verdanken. Mit einer am 17. September 1249 in Lyon ausgefertigten Urkunde stellt der damalige Papst Innozenz IV. das bei Bregenz am Bodensee gelegene Benediktinerklo-ster Mehrerau unter seinen besonderen Schutz und bestätigt dessen umfangreichen, von Vorarlberg, Liechtenstein und der Schweiz über das Allgäu und Oberschwaben bis an die obere Donau nach Sigmaringendorf reichenden Besitz an Gütern und Herrschaftsrechten. Im Jahr zuvor war das zur päpstlichen Partei gerechnete Kloster von Anhängern des Stauferkönigs Konrad IV. überfallen, geplündert und ver-brannt worden und hatte dabei wohl auch seine Besitz- und Rechtsdokumente eingebüßt. Die Papsturkunde von 1249 stärkte nun zum einen die Stellung der Mehrerau gegen ihre Gegner und rekonstruierte zum anderen die klösterlichen Besitzrechte in insgesamt mehr als 60 Orten. Sigmaringen-dorf bildet dabei einen absoluten Außenposten der Meh-rerauer Besitzungen, die nächstgelegenen Klostergüter fin-den sich in Ruschweiler bei Pfullendorf sowie in Tüfingen und Siggingen bei Salem.

»Sigemaeringen« in der Papsturkunde von 1249

Nicht verschwiegen werden sollte, daß die Zuweisung der urkundlichen Ortsnennung von 1249 nach Sigmaringendorf historiographischem Scharfsinn zuzuschreiben ist und auf den ersten Blick durchaus überraschend erscheinen muß.

Im Papstdiplom Innozenz IV. wird nämlich unter den Meh-rerauer Besitztümern ein Ort namens »Sigemaeringen« auf-geführt, wo das Kloster das Patronatsrecht, die Zehnten und andere Einkünfte der örtlichen Kirche und darüber hinaus noch weitere Besitzungen innehat. Schmücken sich damit die »Dorfer« etwa mit fremden Federn, konkret mit jenen der nahegelegenen Kreisstadt Sigmaringen, deren Burg im Zusammenhang mit einer kriegerischen Auseinan-dersetzung im sog. Investiturstreit bereits im Jahr 1077 erst-mals erwähnt wird? Die Sigmaringendorfer dürfen beruhigt sein - sie feiern ihr Jubiläum in diesem Jahr völlig zu Recht und nehmen den benachbarten Kreisstädtern auch nichts weg!

Des Rätsels Lösung bringt der Blick auf die kirchlichen Ver-hältnisse: Das Kirchenpatronat samt Zehnten und anderen Einkünften der Pfarrkirche kann das Kloster Mehrerau in der Mitte des 13. Jahrhunderts nur in dem alten Pfarrort Sigmaringendorf, nicht aber in der zu dieser Zeit erst aus ei-ner Burgsiedlung hervorgehenden Stadt Sigmaringen besit-zen. Sigmaringen nämlich ist vor 750 Jahren noch nach Laiz eingepfarrt, und in der entstehenden städtischen Siedlung besteht zunächst nur eine dem Hl. Johann Evangelist ge-weiht Burgkapelle, die erst 1359 einen ständigen Priester er-hält und wo mit bischöflicher Erlaubnis erst seit 1464 auch an Sonn- und Feiertagen Gottesdienst gehalten werden darf. Ihre Toten müssen die Sigmaringenstädter sogar noch bis 1744 auf dem Kirchhof der Mutterpfarrei Laiz bestatten. Die Pfarrei Sigmaringendorf, die mit ihrem Petruspatrozi-nium erstmals 1317 namentlich genannt wird, zählt dem-

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gegenüber wohl zu den ältesten Pfarreien im Kreisgebiet. Nach den Befunden der Frühmittelalterforschung setzt die Konsekrierung von Peterskirchen in Südwestdeutschland um 700 ein und weist damit ähnlich wie die noch älteren Martinspatrozirrien in die fränkische Zeit zurück. Das Sig-maringendorfer Doppelpatrozinium mit den hll. Petrus und Paulus wird erstmals 1354 genannt.

Ein Ort der ältesten Besiedlungsschicht

Für die Kreisstädter kommt es indessen noch dicker: Die richtigen, will heißen die ursprünglichen Sigmaringer sind nicht sie, sondern die benachbarten »Dorfer«. Die histori-sche Forschung geht nämlich davon aus, daß das heutige Sigmaringendorf eine Siedlung der sog. alemannischen Landnahmezeit und damit der ältesten Besiedlungsschicht des Frühmittelalters ist. Unter den etwa 30 im Sigmaringer Kreisgebiet bislang aufgefundenen alemannischen Reihen-gräberfeldern mit Körperbestattungen aus der sog. Mero-wingerzeit, also dem Zeitraum vom frühen 6. bis zum Be-ginn des 8. Jahrhunderts, ist neben anderen Orten vorzugs-weise in den Tallagen von Donau und Laudiert auch Sigmaringendorf anzutreffen. Zum anderen verweist auch die Endung des Ortsnamens auf -ingen nach dem Befund der historischen Ortsnamensforschung auf eine Entstehung in der ältesten alemannischen Besiedlungsphase bis zum 6. Jahrhundert. Das in Sigmaringendorf ansässige Hochadels-geschlecht verlegte, dem allgemeinen Trend zur Errichtung befestigter Burgen folgend, vermutlich in der zweiten Hälf-te des 11. Jahrhunderts seinen Sitz auf den militärstrategisch günstiger gelegenen Donaufelsen flußaufwärts am Standort des heutigen Sigmaringer Hohenzollernschlosses. Die ver-storbene Archivdirektorin Dr. Maren Kuhn-Rehfus vermu-tete die namentlich bislang unbekannten Erbauer der Sig-

maringer Burg im Verwandtenkreis der miteinander zusam-menhängenden benachbarten Grafen von Pfullendorf-Ramsberg, Bregenz, Altshausen und Rohrdorf. Zusammen mit dem Adelssitz »wanderte« auch der Ortsname Sigma-ringen donauaufwärts mit und bezeichnete fortan sowohl die neue Burg und die sich bald daran anschließende Burgs-iedlung wie auch das ältere Dorf.

Eben darin, in dieser teilweise bis in das Spätmittelalter hin-ein fehlenden namentlichen Differenzierung zwischen der jüngeren Burg- und der älteren Dorfsiedlung liegt die große Schwierigkeit bei der zuverlässigen Lokalisierung der in den Quellen begegnenden Ortsbenennungen von Sigmaringen. Nahezu stets bedarf es der interpretatorischen Oberprü-fung, ob sich die jeweilige Nennung auf die Adelsburg und die entstehende Stadtsiedlung auf dem Donaufeisen oder aber auf das Bauerndorf an der Einmündung der Lauchert in die Donau bezieht. Die älteste Nennung von »Sigimarin-gin« aus dem Jahr 1077, die sich mit dieser Namensangabe in den allerdings erst ein gutes Jahrhundert später entstan-denen Klosterchroniken von Petershausen und St. Gallen findet, meint eindeutig die befestigte Burg und damit die spätere Stadt, wo im Investiturstreit Anhänger von König Heinrich IV. erfolglos durch den Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden belagert wurden. Demgegenüber beziehen sich die Nennungen eines Sigmaringen in der erwähnten Pap-sturkunde von 1249 und gleichermaßen im sog. »Liber deci-mationis« von 1274 ebenso eindeutig auf Sigmaringendorf, da es in beiden Fällen um die - in der späteren Stadt zu die-ser Zeit noch nicht vorhandene - Pfarrkirche geht. Die erste zuverlässige Unterscheidung zwischen der dörflichen und der städtischen Siedlung gleichen Namens gibt das sog. Habsburgische Urbar von 1306. In dieser Zusammenstel-lung der den Herzögen von Osterreich als den damaligen

In monatelanger Arbeit wurden zum Sigmaringer Ortsjubiläum verschiedene markante historische Gebäude der Gemeinde - die Meinrads-kapelle in Laucherthal, das Rathaus, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die Bruckkapelle sowie, nicht auf dem Bild, das Laucherthaler Hochofengebäude von 1707 und das Schlößchen Ratzenhofen als Modelle nachgebaut. Auf dem Bild die Gruppe der Modellbauer (von links nach rechts): Walter Speker, Norbert Nägele, Oskar Guide, Achim Speker, Wilhelm Gemalzick, Egon Fischer, Willi Schneider und Albert Rebholz Foto: Ludwig Speh

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Inhabern auch der Herrschaft Sigmaringen zustehenden Be-sitzungen und Einkünfte wird erstmals differenziert zwi-schen der »bürg (...) und stat ze Sigmeringin« einerseits und »Sigmeringen in dem dorfe« andererseits. Diese Bezeich-nung »Sigmaringen das dorff« bürgert sich sodann ab dem 14. Jahrhundert zunehmend zur Unterscheidung von der namensgleichen Stadt ein.

Die Verbindung Sigmaringendorfs zum Vorarlberger Bene-diktinerkloster Mehrerau, die ausweislich eines Nekrolog-eintrags auf die Schenkung durch einen Mönch namens Chuno zurückgeht, besteht bis zum Beginn des 19. Jahr-hunderts fort. Seit 1397 übt der Mehrerauer Abt nicht mehr nur die Patronats- und Zehntherrschaft aus, sondern fun-giert mit der sog. Inkorporation, d.h. der Einverleibung der Pfarrei und ihres Pfründvermögens in sein Kloster nominell sogar als Ortspfarrer. Dieses Amt übt er verständlicherwei-se aber nicht persönlich aus, sondern läßt sich durch einen Pfarrvikar, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durchgehend Ordenspriester aus Mehrerau, vertreten. Nach der Säkulari-sation des Benediktinerklosters 1806 gehen das Sigmarin-gendorfer Patronat samt Zehntherrschaft auf Bayern und sodann auf Österreich über, von dem sodann 1826 Hohen-zollern-Sigmaringen diese kirchlichen Herrschaftsrechte er-wirbt.

Fragt man nach den Besonderheiten Sigmaringendorfs, die seine geschichtliche Entwicklung von der anderer, benach-barter Ortschaften unterscheiden, so stößt man alsbald auf seine schiere Größe und zum anderen auf seine gewerbliche Dynamik. Soweit sich dies bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, ist Sigmaringendorf stets neben der Residenzstadt Sigmaringen und zeitweise Bingen und Krauchenwies der bevölkerungsreichte und auch wirt-schaftlich und steuerlich ertragreichste Ort der gesamten Grafschaft Sigmaringen. In den Jahren von 1690 bis 1750 trägt Sigmaringendorf stattliche 12,34 Prozent des gesamten überterritorialen Steueraufkommens der sog. Mediatorte der Grafschaft Sigmaringen einschließlich des Amtes Wald und damit weitaus mehr als jedes andere Untertanendorf. An dieser wichtigen Funktion des Ortes als Steuerzahler hat sich im Grunde genommen bis heute wenig geändert: Der Sigmaringer Kreiskämmerer beispielsweise weiß bei der all-jährlichen Berechnung der Kreisumlage sehr genau, was er an Sigmaringendorf hat.

Rasanter Bevölkerungszuwachs

Liegt Sigmaringendorf 1806 mit 629 Einwohnern noch annähernd gleichauf mit Bingen und Rulfingen, so ver-größert sich in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten der Bevölkerungs-Vorsprung zunehmend, um 1961 mit 3005 Einwohnern schließlich die doppelten Werte sogar der größeren Nachbardörfer wie Bingen, Krauchenwies und Ostrach zu erreichen. Im gesamten 20. Jahrhundert bis zur Kreisreform ist Sigmaringendorf hinter der Kreisstadt und deutlich vor allen anderen Städten und Gemeinden der be-völkerungsmäßig zweitgrößte Ort des hohenzollerischen Landkreises Sigmaringen. Während die Einwohnerzahl von 1875 bis 1970 im Durchschnitt des Kreisgebietes um 71,4 Prozent ansteigt, beträgt der Zuwachs bei Sigmaringendorf stolze 168,2 Prozent. Die Ursachen sowohl für diese ver-gleichsweise rasante Bevölkerungsentwicklung wie auch für die Finanzstärke des Ortes liegen in der besonderen wirt-schaftlichen Entwicklung, die Sigmaringendorf bis weit in die Nachkriegszeit hinein vor allen anderen Kommunen der Umgebung auszeichnet und ihm sein spezifisches Gepräge gibt.

Am Anfang dieser bemerkenswerten ökonomischen Ent-wicklung stehen indessen bittere Not und Armut eines

Großteils der Dorfbevölkerung. Einer im 17. und 18. Jahr-hundert weitgehend gleichbleibenden Gruppe von ca. 25 wohlhabenden Mittel- und Großbauern, die im Be-sitz der grundherrschaftlich gebundenen Lehensgüter sind, steht eine stetig wachsende Schicht von unterbäuerlichen Kleinstelleninhabern und Tagelöhnern gegenüber, die sich in einer heute kaum noch vorstellbaren Armut mit ihren häufig großen Familien zu zweien oder gar dreien ihre zu-meist elenden und schäbigen Katen teilen müssen. Vom Er-trag ihrer vielfach winzigen Anwesen können diese Dorfar-men in der Regel nicht leben, und so bleiben sie auf zusätzli-chen Verdienst außerhalb der eigenen Landwirtschaft angewiesen - entweder als Tagelöhner und saisonale Hilfs-kräfte auf den Höfen der größeren Bauern und den fürstli-chen Domänen oder aber durch die Ausübung eines Hand-werks. Es kann daher nur wenig überraschen, wenn Sigma-ringendorf bereits im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert eine für oberschwäbische Verhältnisse eher überdurch-schnittliche Gewerbedichte aufweist. Wurden 1745 in der Ortschaft 22 Handwerker ermittelt, so hat sich deren An-zahl bis 1804 auf 53 Handwerksmeister sowie neun Gesel-len erhöht. Bei 125 Ehen und 136 Bürgern im Dorf geht da-mit rund die Hälfte aller Familienväter einer handwerklich-gewerblichen Neben- oder Hauptbeschäftigung nach.

Zu diesen weit in die Geschichte zurückreichenden gewerb-lichen Aktivitäten gehört an der Lauchert auch die Eisenge-winnung aus den auf der Alb vorhandenen Bohnerzen mit Hilfe von sog. Rennfeuern. Dieser Gewerbezweig gewinnt 1707 eine neue Qualität, als der Sigmaringer Fürst Meinrad II. nach dem Vorbild benachbarter Territorialherr-schaften - etwa der Fürstenberger 1670 im Thiergarten - im heutigen Ortsteil Laucherthal ein Hüttenwerk mit Hoch-ofen errichten läßt. Trotz des imposanten und kürzlich vor-bildlich sanierten Hochofengebäudes bleiben die Größen-verhältnisse dieses Betriebes verglichen mit der späteren Entwicklung lange Zeit durchaus bescheiden: Einer vom damaligen Ortspfarrer erstellten Bevölkerungsstatistik zu-folge lebten 1802 in dem als »Schmelze« bezeichneten Sig-maringendorfer Ortsteil 92 Bewohner, darunter 40 Männer über 14 Jahren, die wohl zum allergrößten Teil einer Be-schäftigung als »Laboranten« im fürstlichen Hüttenwerk nachgegangen sein dürften. Ausschlaggebend für die Ent-wicklung des Werks von einer eher bescheidenen Bohnerz-hütte zu einem enorm expandierenden industriellen Groß-betrieb im Laufe des 19. und dann vor allem des 20. Jahr-hunderts ist die mit den Namen fähiger Betriebsleiter wie Bergverwalter Maximilian Haller oder Hüttenverwalter Egon Sauerland verbundene kontinuierliche Modernisie-rung und vor allem Diversifizierung der Produktion. Nicht zuletzt dank seines - heute würde man sagen - fähigen Ma-nagements und stetiger technischer Innovationen überwin-det das Hüttenwerk Laucherthal seine Standortnachteile abseits der großen Verkehrswege und der Erz- und Kohle-vorkommen und übersteht auch letztlich mit Bravour die diversen Stahlkrisen in den 1860/80er Jahren, in den 1920er Jahren und zuletzt in den 1960/70er Jahren.

Wohlstand und Abhängigkeit vom Hüttenwerk

Dank des Hüttenwerks Laucherthal wird Sigmaringendorf seit der Jahrhundertwende zur einzigen Industriegemeinde und zum wichtigsten Beschäftigungsstandort im alten ho-henzollerischen Landkreis Sigmaringen, wo zeitweise (1971) ein Viertel aller industriellen Berufstätigen des Kreis-gebietes ihre Arbeitsstätte haben. Während die Gemeinde und ihre Bewohner einerseits dem Hüttenwerk ihren öf-fentlichen wie auch privaten Wohlstand zu verdanken ha-ben, befinden sie sich andererseits aber auch in einer weit-

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gehenden Abhängigkeit von diesem bis vor kurzem größten Industriebetrieb des Landkreises und zumal den wirtschaft-lichen Konjunkturentwicklungen. »Wohl und Wehe der Gemeinde war im Laufe der letzten 250 Jahre weitgehend mit der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Betriebs ver-bunden«, ist ebenso nüchtern wie korrekt in einer 1971 er-stellten Gemeinde-Darstellung von Sigmaringendorf zu le-sen. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen macht diese Abhängigkeit mehr als deutlich: Einem Tiefpunkt in den 1880er Jahren mit nur noch 37 Mitarbeitern folgt bis zum Ersten Weltkrieg ein Anstieg auf 350 und schließlich dank der Rüstungskonjunktur während des Krieges auf 709 Werktätige, darunter erstmals auch ausländische Kriegsge-fangene und Frauen, die die Lücken der an die Front gerufe-nen Männer schließen sollten. Einem drastischen Rückgang der Beschäftigenzahl in der Weimarer Zeit schließt sich, wiederum vor allem als Folge von Rüstungsaufträgen, ein erneuter Anstieg in der NS-Zeit auf 780 und sodann während des Zweiten Weltkriegs auf 2100 Arbeiter an, die sich zeitweise zum größeren Teil aus ausländischen Zwangsarbeitern zusammensetzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt sich dieses Auf und Ab, als auf einen Niedergang in der französischen Besatzungszeit mit zeit-weise nur noch 180 Beschäftigten während des bundesdeut-schen »Wirtschaftswunders« ein Anstieg auf über 2000 Mit-arbeiter zu Beginn der 1960er Jahre und in der Folge vor dem Hintergrund der Stahlkrise und einer beständigen Um-strukturierung und Rationalisierung ein kontinuierlicher Rückgang auf heute noch etwa 800 Beschäftigte im Stamm-werk Laucherthal folgen.

Die bemerkenswerte Gewerbegeschichte Sigmaringendorfs beschränkt sich allerdings keineswegs auf das Hüttenwerk Laucherthal. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der größte Arbeitgeber des Ortes nicht etwa die »Schmelze«, sondern eine 1839 in einem neuerbauten Fabrikgebäude an der Lauchert eröffnete mechanische Baumwollspinnerei und Weberei, die ausweislich des Hof- und Adress-Hand-buchs des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen 1844 6000 Spindein und 100 Webstühle in Betrieb hatte und rund 150 Mitarbeiter beschäftigte. Dem Textilunternehmen war in Sigmaringendorf indessen kein dauerhafter Erfolg be-schieden, nach einem Brand 1876 wurde das Betriebsgelän-de von dem Fabrikanten Schaal aus dem württembergischen Scheer erworben, der in der Folge hier eine Filial-Holzstof-fabrik, den Vorgängerbetrieb des heute auf die Galvanisie-rung und das »Shielding« (Metallisierung von Kunststoffge-häusen zur Abschirmung von elektromagnetischer Strah-lung) spezialisierten Unternehmens, errichtete. Im Windschatten des Großbetriebs im Laucherthal entwickelte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Sigmaringen-dorf eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen vor allem in den Bereichen Holz- und Metallverarbeitung, Ma-schinenbau und Textilherstellung, die zusammengenommen Mitte der 1960er Jahren rund 250 und heute immerhin etwa 600 Arbeitsplätze bei insgesamt etwas über 1400 Stellen im produzierenden Gewerbe der Gemeinde anbieten können. Dank dieser aufstrebenden Mittelbetriebe konnte der Arbeitsplatz-Abbau im Laucherthal zumindest teilweise ausgeglichen werden und ist Sigmaringendorf neben Pful-lendorf, Saulgau und Krauchenwies einer der wichtigsten industriellen Produktionsstandorte im Landkreis Sigmarin-gen geblieben.

Rote Insel im schwarzen Meer

Die starke gewerbliche Ausrichtung des Ortes und der hohe Arbeiteranteil an der Wohnbevölkerung haben Sigmarin-gendorf seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein spezifi-

sches soziales, politisches und kulturelles Gepräge verlie-hen, das sich bis vor kurzem markant von den ländlich-kon-servativen Verhältnissen in den Dörfern und Städten der Umgebung abhob. Innerhalb Hohenzollerns, das seit dem »Kulturkampf« der 1870er Jahre eine unverrückbare Domäne zunächst der Zentrumspartei und sodann der C D U ist, erscheint Sigmaringendorf und zumal sein Teilort Laucherthal als rote Insel im schwarzen Meer. In der Arbei-tersiedlung rund um das Hüttenwerk besitzen die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD vor allem in der Weimarer Republik eine treue Anhängerschaft und erreichen Wahler-gebnisse bis nahe an die 50 Prozent, während sie im Mittel des gesamten Kreisgebietes zumeist unter zehn Prozent bleiben. Sigmaringendorf und das Laucherthal sind denn auch unter der NS-Gewaltherrschaft das Zentrum des anti-faschistischen Widerstandes im Landkreis, wo beispielswei-se am sog. Führer-Geburtstag des Jahres 1933 eine Haken-kreuzfahne vom Masten gerissen und im Gasthaus »Eisen-hammer« antinazistische Lieder gesungen werden. Vier Arbeiter werden für dieses »Verbrechen« postwendend in das Konzentrationslager Heuberg eingeliefert. Als nach Kriegsende die KZ-Häftlinge im Landkreis Sigmaringen er-mittelt werden, kann Sigmaringendorf mit acht von insge-samt 27 Personen den mit weitem Abstand höchsten Anteil einer Einzelgemeinde aufweisen. Auch in der Nachkriegs-zeit halten die kommunistischen Sympathien der Laucher-thaler Arbeiter noch über lange Jahre hinweg an. Eine höchst aktive Ortsgruppe hält bis zum Verbot der KPD in den 1950er Jahren allmonatliche Versammlungen mit teil-weise mehr als 50 Besuchern in den Gasthäusern »Fridolin« oder »Eisenhammer« ab und arbeitet mit ihren 30 Mitglie-dern unverdrossen für die »Verwirklichung des Marxis-mus«, wie in einer Befragung 1948 der Vereinszweck um-schrieben wird. Es überrascht unter diesen Umständen nicht, daß der einzige Kommunist, der je in einem Sigmarin-ger Kreistag saß, 1946 in Gestalt des KPD Kreissekretärs Mühl aus Sigmaringendorf kommt.

»Multikulturelle« Gesellschaft im Laucherthal

Die Industrialisierung und der beständige Zuzug von Ar-beitskräften haben in Sigmaringendorf und besonders im Laucherthal die dörfliche Welt vergleichsweise früh nach außen geöffnet und seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine für das Oberland eher untypische »multikulturelle« Gesellschaft entstehen lassen. Kamen die Zuwanderer an-fänglich ganz überwiegend aus anderen deutschen Staaten, vor allem dem Ruhrgebiet und den sächsischen Bergbauge-bieten, wo auch gezielt Fachleute für die Produktion im Hüttenwerk angeworben wurden, so stieg im weiteren Ver-lauf dieses Jahrhunderts beständig der Anteil ausländischer Beschäftigter. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei dem massenweisen Einsatz ausländischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter im Ersten und dann vor allem im Zweiten Weltkrieg in der Rüstungsproduktion des Hüttenwerks zu. Am Ende des Zweiten Weltkriegs sind im Laucherthal unter den annähernd eintausend ausländischen Arbeitskräften nicht weniger als 14 Nationalitäten vertreten, die unter teil-weise unwürdigen Bedingungen und schlechter Versorgung in insgesamt 14 Baracken untergebracht sind. Gräber auf dem Sigmaringendorfer Friedhof erinnern bis heute an die-ses eher düstere Kapitel der örtlichen Industriegeschichte.

Der Normalfall im Umgang mit den beständig zuziehenden Fremden sind in Sigmaringendorf und im Laucherthal in-dessen nicht Ausgrenzung und Ausbeutung, sondern die selbstverständliche Aufnahme und die verhältnismäßig ra-sche Integration der Zuzügler in die dörfliche Gesellschaft. Es mag an der mittlerweile mehr als hundertjährigen Erfah-

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rung mit der Arbeitsmigration liegen, daß in Sigmaringen-dorf die aus anderen Dörfern bekannte Differenzierung in Alteingesessene und »Reingschmeckte« eine weitaus gerin-gere Rolle spielt und Zuzügler sowohl im politischen Leben wie vor allem auch in den Vereinen eine durchaus wichtige und anerkannte Rolle spielen. »Bei uns im Laucherthal ist die Mentalität gegenüber Fremden einfach offener«, lautet eine häufig zu hörende Beschreibung dieser Haltung, die den Zuwanderer nicht primär als Bedrohung, sondern mit Neugierde und Interesse sowie als mögliche Bereicherung sieht. Auch die Verbindung von Sigmaringendorf zu seiner argentinischen Partnerstadt Rafaela ist letztlich eine Folge der Arbeitsimmigration: Diethelm Lehmann und seine Ehe-frau Regula, die Eltern des 1840 in Sigmaringendorf gebore-nen Wilhelm Lehmann, des späteren Gründers von Rafaela und 17 weiterer Siedlungen in Argentinien, führte die Tätig-keit in der erwähnten Baumwollspinnerei aus der Schweiz an die obere Donau.

Bliebe zum Schluß noch der Blick auf eine letzte und wohl gleichfalls auf die spezifische Sozialstruktur zurückgehende Besonderheit von Sigmaringendorf, das geradezu legendäre »Dorfer« Vereinsleben. Mit ziemlicher Sicherheit ist Sigma-ringendorf im Kreisgebiet die Ortschaft mit der höchsten Vereinsdichte. Auch dies hat bereits eine lange Tradition: Bei einer Erhebung im Jahr 1940 wurden dem Landratsamt aus Sigmaringendorf stolze 19 Vereine gemeldet, während es die benachbarten Landgemeinden und selbst Städte wie

Gammertingen durchgehend auf nicht einmal zehn Vereine brachten. Einigermaßen mithalten konnte mit 13 Vereinen allenfalls noch Bingen, während der Vereinsbestand in der Kreisstadt Sigmaringen mit 21 Nennungen angesichts der dreifachen Einwohnerzahl als eher bescheiden erscheinen muß. Auch wenn die Nachbarschaft seither stark aufgeholt hat, dürfte der Sigmaringendorfer Vorsprung mit mittler-weile rund 30 Vereinen bei 3700 Einwohnern bis heute fort-bestehen. Die besondere Leistung der Sigmaringendorfer Vereine liegt in ihrer bemerkenswerten sozialintegrativen Funktion, deren Bedeutung für den Zusammenhalt und das Zusammenwachsen der »multikulturellen« Gesellschaft der Industriegemeinde im zurückliegenden Jahrhundert gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Welchen Schatz Sigmaringendorf in seiner höchst vitalen Vereinskul-tur besitzt, offenbart sich besonders deutlich in diesem Jahr beim Ortsjubiläum, das zu einem wesentlichen Teil von den Vereinen und ihren ehrenamtlichen Mitgliedern gestaltet wird. Es ist der Gemeinde und ihren Bewohnern zu wün-schen, daß die gemeinsame Besinnung auf ihre Geschichte und Herkunft das Gemeinschaftsbewußtsein als Grundlage für die Bewältigung der Zukunft weiter stärkt.

(Leicht überarbeitete Fassung des bei der Jubiläumsfeier am 2. Juli 1999 gehaltenen Festvortrags. Zur Geschichte von Sigmaringendorf erscheint voraussichtlich bis Sommer 2000 ein vom Kreisarchiv Sigmaringen redaktionell betreuter Aufsatz-Sammelband.)

Quellen und Literatur

Urbar Sigmaringendorf 1731 (STAS Ho 80 Bd. 1 B.q. Nr. 3). Statistik des Kreises Sigmaringen 1926-1956 (STAS Ho 199 Bd. 4

Nr. 454). Chronik Sigmaringendorf - Berichte und Materialsammlung zur

Ortsgeschichte und Ortsentwicklung 1929-1991 (GA Sigmarin-gendorf).

Politische Betätigung in der Gemeinde 1946-1955 (Gemeindever-waltung Sigmaringendorf - laufende Registratur Az. 004.00).

Karl Dehner, Bernhard Eisele, Hans Hinger und Anton Speh (Bearb.): Chronik von Sigmaringendorf 1249-1981. Sigmarin-gendorf 1982.

Adolf Helbok (Bearb.): Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein

bis zum Jahre 1260. Innsbruck 1920-25 (Urkunde Nr. 445). Maren Kuhn-Rehfus: Sigmaringen 1077-1977. Ein Abriß seiner

Geschichte. In: 900 Jahre Sigmaringen 1077-1977. Hg. v. d. Stadt Sigmaringen. Sigmaringen 1977, S. 11-66.

Hans-Peter Meier-Dallach (Hrsg.): 900 Jahre Zukunft. Augen-blicke der Ewigkeit. Zeitschwellen am Bodensee. Sommeraus-stellung des Landes Vorarlberg im Kloster Mehrerau 1999. Lin-denberg/A 1999.

Andreas Zekorn: Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfas-sungs- und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und 18. Jahrhundert. Sigmaringen 1996 (= Arbeiten zur Landeskun-de Hohenzollerns Bd. 16).

WALTER KEMPE

Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung)

Ostrach und sein Oberamtshaus am Ende der salemischen Herrschaft

Infolge des Lüneviller Friedensschlusses vom 9. Februar 1801 und nach den Bestimmungen des Reichsdeputations-hauptschlusses vom 15.2.1803, wurden die umfangreichen Besitzungen der Klöster säkularisiert. So sollte das Haus Baden das Gebiet des Reichsstifts Salem erhalten, ausser den Herrschaften Ostrach, Schemmerberg und der Pflege Ehin-gen. Diese Ländereien sollten dem Fürstl. Hause von Thum und Taxis zufallen, das bereits einige Zeit vorher Herr der Reichsgrafschaft Friedberg-Scheer geworden war. Allge-meine Gesichtspunkte zur praktischen Durchführung des Beschlusses wurden in einer Konvention von Ulm schon am 31. Oktober 1802 festgelegt. Ein Monat vorher, am 29. September 1802, war bereits der Thum und Taxis'sche Re-gierungspräsident Alexander Graf von Westerholt vorsorg-lich in Ostrach eingezogen. Das Haus Thum und Taxis be-reitete die endgültige Übernahme vor. Oberamtmann Grimm aus der benachbarten Reichsgrafschaft Friedberg-Scheer erstellte für seinen Regierungspräsidenten von We-

sterholt von 1802 bis 1803 unter der Adresse »Fürstliches Rentamt Ostrach« einen äusserst präzisen Bericht mit meh-reren Abteilungen über alle verfügbaren Daten des bisher reichsstift-salemischen Oberamtes Ostrach. Mit diesem Be-richt von 1802/1803, der Archivgut der Fürsten von Thum und Taxis ist, dürften wir die beste Darstellung unseres Ostracher Raumes mit detaillierter Grenzbeschreibung und geometrischen Angaben sowie Zuständigkeiten in Händen haben. Interessant ist hier die Übersicht über die Orte des Oberamtes Ostrach von 1802. Im Oberamtsbezirk liegen 1802 folgende Orte:

Ostrach, ein Pfarrort u. Sitz des Oberamtes, Tafertsweiler, ein Pfarrort, Bachhaupten, Eschendorf, Günzenhausen, Einhart, Pfarrort, Levertsweiier, Pfarrort, Magenbuch, Pfarrort, Lausheim,

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Kalkreute, Spöck und Arnoldsberg, ein Hof, Junghof oder Sandhäusle.

In diesem Hoheitsgebiet liegen einige Ortschaften, über welche der Herrschaft Ostrach nur bechränkte Rechte zu-stehen:

Jenkofen Wirnsweiler Wangen Dichtenhausen Burgweiler (z.T.) Stadtbann Pfullendorf (z.T.) Mottschieß (z.T.)

In der 3. Abt. des Grimmschen Berichts von 1803 sind un-ten die Gebäude aufgezeichnet, die damals das Rentamt im Oberamt Ostrach unmittelbar zu unterhalten hatte (ausser in anderen Ortschaften).

Die von Ostrach:

das Amtshaus nebst Scheuer und 3 Gärten, die Zehntscheuer, die Wohnung des Forstrates nebst Garten (ehemaliges Haus im Bereich Pfullendorfer Straße 17), die Wohnung des Amtsknechts nebst Garten (ehem. Gefängnisgebäude, Rentamtstraße 1/5, heute Privat-besitz) die Pfarrkirche (Patronat Salem, später Fürstl. Thum und Taxis) der Pfarrhof nebst Scheuer, das Benefiziat (Kaplaneihaus), das Messmerhaus, welches zugleich Schulhaus ist (in-zwischen abgerissen) (die kirchlichen Pflegschaften hatten einen besonderen Etat

Des weiteren werden wir in der 6. Abt. des Berichtes »Civil Liste« 1803 über die Verwaltung der Herrschaft Ostrach durch ein eigenes Oberamt informiert, das seinen Sitz in dem Dorfe Ostrach hatte, die Oberaufsicht in Forst- und Jagdsachen führte und das Rentamt mitbesorgte.

Das Dienstpersonal bestand aus 1 Oberamtmann, 1 Ober-amtsrat, 1 Forstrat, 4 Revierjägern, 1 Kastenknecht, 1 Amts-knecht, 1 Scharfrichter, den herrschaftlichen Schultheissen der einzelnen Orte und Zolleinnehmer.

Weiter wurde hier Näheres über diese Personen und ihren Wohnsitz festgehalten. Wir möchten hier nur über die drei Haupt-Amtsträger kurz berichten.

Da wird uns der 1803 amtierende Hofrat und Oberamt-mann (Friedrich) Stehle vorgestellt. Er wurde 1802 mit sei-nem Sohn nach Ostrach versetzt. Zuvor war er 21 Jahre Oberamtmann bei den oberen salemischen Pflegeämtern Ulm, Singen und Schemmerberg. Er war der letzte salemi-sche Oberamtmann, der vor dem Besitzwechsel das salemi-sche Amtshaus zu Ostrach bewohnte. In dieser Dienststel-lung wurde er von Thum und Taxis nach der Übernahme der Herrschaft Ostrach weiter beschäftigt und konnte auf-grund seiner örtlichen Kenntnisse seinem neuen Fürstl. Herren wertvolle Dienste leisten. Stehle starb in Ostrach am 24.08.1809.

Der Sohn (Friedrich) Stehles, Carl Theodor, wurde nach Ankunft in Ostrach zum Sekretär ernannt und dann im Au-gust 1803 zum Oberamtsrat erhoben. Er wohnte im Amts-haus zu Ostrach bei seinen Eltern, weil in Ostrach ausser dem Amts- und dem Forsthaus kein »Beamtungshaus« war. Als nächstes wird uns über Forstrat Anselm Sutor berichtet und seine Aufgaben in Forst- und Jagdsachen des Oberam-tes Ostrach. Er wohnte zu dieser Zeit noch in dem inzwi-schen abgegangenen Forsthaus in Nähe des Oberamtshau-ses (Grundstück Pfullendorfer Str. 17) und betreute zu-gleich das Ostracher Jagdrevier als Revierjäger. Wichtige Entscheidungen jedoch traf auch hier das Oberamt. Forstrat Anselm Sutor war bereits seit 1787 in salemischem Dienst. Nach 1803 wohnte er dann wohl in Bachhaupten, wo er das Lehengut, »Zwibel« genannt, erhalten hatte. 1821 überließ er dieses Gut bei der Heirat seiner Tochter seinem Schwiegersohn Ignatz Köberle.

Als die Fürstliche Verwaltung von Thum und Taxis im Jah-re 1803 dann das Amtshaus zu Ostrach vom Reichsstift Sa-lem übernahm, wurde der Bauzustand sehr genau geprüft und in den Akten festgehalten. Hinzugezogen wurde der Ostracher Zimmermann A. Riedle und der Maurermeister J. Birkner. Ihr Bericht ist auch heute noch nach fast 200 Jah-ren interessant und aufschlußreich. Am 13. November 1803 gaben sie zu Protokoll (auszugsweise):

Das Amtshaus ist ein altes, »vergangenes« Haus, das schon viele Hauptveränderungen erlitten hat. Im Jahre 1801 wur-de es soweit wie möglich renoviert. Die Türen und Fenster samt Läden u.a. wurden angestrichen und die Wand zu der Kammer neben der Kanzlei durchgebrochen, um sie zu ver-grössern.

Der Fussboden der Zimmer über der Kanzlei hing in einer eisernen Vorrichtung, die an das obere Gebälk befestigt war. Von Zeit zu Zeit gab er ein wenig nach, so daß der Ofen im oberen Zimmer sich von der Wand neigte und Schäden ver-ursachte. Neuanstriche und Reparaturen waren dann erfor-derlich.

Der Hauptfehler, der die meisten Reparaturkosten in die-sem Haus verursachte, ist der Übergang der Fassaden vom Erdgeschoß zu den Fachwerk-Stockwerken, die Simsen bil-den. Bei starkem Wind gaben die Balken nach und brachten das Glas in den Fensterrahmen zum Zerspringen. Eine wei-tere Ursache für zersprungenes Fensterglas waren die schlechten Halterungen der Fensterläden, die bei starkem Wind aufgerissen wurden.

In der Kanzlei und im Archiv hatten 1803 die tragenden Bo-denbalken keine feste Verbindung mit der Mauer. Sie sollten wenigstens im Archiv mit eisernen Stangen festgemacht werden. Die im Fürstl. Thum und Taxis'schen Amtshaus am 13. November 1803 festgestellten Mängel, z .B. an den Fenstern, wurden offenbar erst 1813 endgültig beseitigt. Glasermeister Joseph-Anton Schmid in Ostrach erhielt nach ausführlicher Korrespondenz zwischen dem Taxis'-schen Oberamt Ostrach und der Taxis'schen Regierung den Auftrag, neue Kanzleifenster einzubauen. CFortsetzung folgt)

HANS PETER HAULER

Der Glockenguß zu Dürmentingen im Jahre 1655

Der Dreißigjährige Krieg ging im Jahre 1648 mit dem West-fälischen Frieden zu Ende, doch zeigten sich Folgen der Not und des Elends noch einige Jahre danach. Nur langsam besserten sich die Lebensverhältnisse in den Dörfern.

Schritt für Schritt begann man die zerstörten und verlasse-nen Hofstellen wieder aufzubauen und neu zu besetzen. In dieser Wiederaufbauphase wurden auch Kirchen, Pfarrhäu-ser und andere den Heiligenpflegen der Ortschaften gehörige

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Gebäude und Güter wieder hergerichtet, Schadhaftes er-neuert und Fehlendes ergänzt.

Da und dort hatten die durchziehenden Truppen während des Kriegs die Kirchenglocken von den Türmen geholt, um Kanonen daraus gießen zu lassen. In dieser Nachkriegszeit mußte in vielen Ortschaften das Geläut in den Glocken-stühlen wiederbeschafft oder ergänzt werden. Die damaligen üblen Straßen- und Wegeverhältnisse verhin-derten einen Glockentransport über weite Strecken und veranlaßten die Glockengießer ihren Arbeitsaufträgen nachzuziehen. An geeigneten Orten, dort wo man das Ma-terial für die Herstellung von Glockenformen antraf, wur-den Schmelzöfen errichtet und, wenn möglich, gleich meh-rere Aufträge an diesen Orten durchgeführt. Von einem sol-chen Glockenguß, bei dem in Dürmentingen fünf kleinere Glocken gegossen wurden, erfahren wir aus dem dortigen Amtsprotokoll1. Nicht der Glockenguß selber war Anlaß für die Niederschrift dieses Ereignisses, sondern vielmehr die Untersuchung eines vermuteten Metalldiebstahls.

Am 2. Dezember 1655 erschien vor dem Dürmentinger Oberamt Andreas Miller, Oberwirt allda, und klagte gegen den Herrn Pfarrer Michael Visel, daß im ganzen Ort herum erzählt werde, er, der Wirt, habe vor etlichen Wochen, als die Glockengießer in Dürmentingen waren, ein Stück Me-tall gestohlen. Auf sein Nachfragen hin habe er feststellen müssen, daß diese Reden vom Herrn Pfarrer im Dorf ausge-geben worden sein sollen. Er bitte daher, man möge den Herrn Pfarrer zum Beweis seiner Aussagen anhalten.

Nachdem von Seiten des Amtes Erkundigungen im Dorf eingeholt worden waren, führte man am 11. Dez. eine Zeu-genbefragung in der vermeintlichen Diebstahlsache durch. Als erster Zeuge wurde Matheis Binder, der alte Hirt von Dürmentingen, vernommen. Er berichtete, daß er sich während des Glockengusses mit noch anderen in der Zie-gelhütte in Dürmentingen befunden habe, wo ein Schmelz-ofen errichtet worden war.

Das Metall im Ofen war bereits geschmolzen und es sollte keine Viertelstunde mehr dauern, bis die fünf Glocken ge-gossen werden sollten. Erwartungsvoll starrten alle auf den Ofen.

Die Dunkelheit der Nacht und das leuchtende, flüssige Me-tall scheinen eine gespenstische Atmosphäre in der Gießhütte erzeugt zu haben. So sehr die Schmelze die Blicke der Umstehenden auch angezogen haben mag, so achteten doch mehrere Personen, einschließlich der ver-nommenen Zeugen, auf ein größeres Stück Metall, das auf dem Teil des Ofens lag, der zur Lehmgrube hinzeigte.

Zwei Glockengießer waren am Werk, der Altmeister Chri-stoph Reble und der »junge Glockengießer«, bei dem es sich um dessen Schwiegersohn Joachim Grüninger handelte, der 1645 Christoph Rebles Tochter geheiratet hatte. Sie kamen aus Villingen im Schwarzwald und betrieben die dortige Gießhütte.

Altmeister Christoph Reble fragte den Oberwirt Miller dreimal: »Andreas, ist das Metall alles im Ofen?« Worauf der Wirt die Frage jedesmal bejahte. Kurz vor dem Ofenanstich ergriff Andreas Miller unverse-hens eine Holzstange, fuhr damit in die Schmelze und rühr-te darin herum. Das Holzstück begann sofort zu brennen und wurde vom Hirten Matheis Binder und dem Bannwart sofort mit Wasser und Lehm gelöscht. Glockengießer Chri-stoph Reble schimpfte »Hei der Teufel - Andreas, was macht ihr im Ofen, habt nichts darin zu schaffen!«

In dieser kurzen Zeit des Löschens hatte niemand auf das Stück Metall geachtet und anschließend war es weg. Des

Millers Bub sei kurz zuvor bei dem Metallstück gestanden, weiß Binder zu berichten, auch daß er gleich in den Ofen gesehen habe, da so ein großes Stück Metall nicht so schnell in der Schmelze hätte aufgehen können. - Allein er habe keine Spur von diesem Stück im Ofen entdecken können. Obiger Zeuge erzählt weiter, daß er am nächsten Morgen den Pfarrer Visel beim jungen Glockengießer habe stehen sehen. Die beiden hätten leise miteinander geredet. Da habe er gesagt: »Ei, Herr Pfarrer, was habt ihr Heimliches?« »Matheis wenn Du's errätst, will ich's Dir sagen« gab der Pfarrer zur Antwort.

Darauf habe er zum Herrn Pfarrer gesagt, »es sei nächtens etwas vorbei geloffen, sie sagen gewiß davon«. Da gab der Pfarrer zu, daß er es erraten habe und forderte ihn auf, ihm alles zu berichten, was er darüber wisse. Als weiterer Zeuge wurde M(eister) Janco Benda, wohl auch ein »Neubürger« in Dürmentingen, befragt. Er wie-derholte weitgehend die Angaben des ersten Zeugen und meinte, wenn er nicht ein so scharfes Auge auf das Metall-stück gehabt hätte, wäre es wohl schon früher weggekom-men. Auch er sei durch das brennende Holzstück abgelenkt worden. Als er aber anschließend auf den Wirt Andreas Miller gesehen habe, habe dieser »seine Hosen in den Hän-den gehabt und sie mit der Hand hinter sich geschoben, er habe sich gebogen und mit so grimmigen Augen um sich ge-sehen, daß er sich gefürchtet habe«. Der Wirt sei dann zur Hütte hinaus gegangen.

Benda eilte ins Pfarrhaus um Pfarrer Visel von dem Her-gang Bericht zu erstatten. Der Pfarrer war der Meinung, man solle dem verdächtigen Wirt hinterhergehen, Benda da-gegen gab zu bedenken, es sei finstere Nacht, selbst wenn der das Metallstück habe, könne er es jederzeit wegwerfen und den Diebstahl ableugnen. Er wolle wetten, Andreas Miller komme wieder in die Gießhütte zurück. Und so ge-schah es auch; kurze Zeit später stand er wieder ganz unbe-fangen neben den Glockengießern. Des Millers Buben aller-dings habe man in dieser Nacht nicht mehr gesehen. Der Zeuge beschloß seine Aussage mit der Feststellung, daß kein Mensch außer dem Miller und dessen Buben die Gießhütte während des Glockengusses verlassen habe. Die weitere Untersuchung des Falles scheint keine neuen Erkenntnisse erbracht zu haben.

Aus einem etwas späteren Protokollbucheintrag kann man vermuten, daß bei Andreas Miller eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat, die aber bezüglich des vermißten Metall-stücks ergebnislos geblieben zu sein scheint. Man hat die Sa-che damit auf sich beruhen lassen.

Interessant ist die Geschichte und der Verbleib und der da-mals gegossenen Glocken:

Die Glockenweihe wurde zu einem großen Festtag. Der Prälat Matthias Binder vom Kloster Schussenried kam nach Dürmentingen, um die Glocken zu weihen2.

Zwei dieser Glocken waren für die Kirche in Dürmentingen bestimmt, eine größere zu Ehren des hl. Johann Bapt., eine kleinere zu Ehren der hl. Anna. Von diesen beiden Dürmen-tinger Glocken ist heute keine mehr vorhanden, sie sind mit größter Sicherheit im Jahre 1877, als Dürmentingen vier neue Glocken gießen ließ3, vom Glockengießer Konrad Zoller in Biberach eingeschmolzen worden. Auch diese vier neuen Glocken gibt es übrigens nicht mehr, sie wurden Op-fer der beiden Weltkriege4. Eine dritte Glocke ging nach Andelfingen, sie hatte einen Durchmesser von 85 cm, war 72 cm hoch und 375 kg schwer und wies eine zweizeilige Majuskelinschrift auf:

»S. MATTHÄVS - S. LVCAS - S. MARCVS - S. J O H A N -

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NES . CHRISTOPH REBLE V N D J O A C H I M G R E N I N G E R V O N V I L L I N G E N COS MICH ZV DIERMATINGEN M + D + C + LV.«

Diese Glocke wurde wegen der bedeutenden Inschrift und ihrem relativ hohen Alter im Ersten Weltkrieg von der Ab-lieferung zurückgestellt, fiel jedoch dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Die vierte und letzte Glocke, von der wir wis-sen, ist glücklicherweise noch vorhanden. Sie hängt außen an der Friedhofskapelle in Bad Schussenried und war der

Anmerkungen

1 Staatsarchiv Sigmaringen - Dep. 30 Rep. VIII Amtsprotokolle Dürmentingen.

2 Der Bussen - Beilage zur Riedlinger Zeitung vom 1. Nov. 1931. - Th. Selig: Aus dem Leben des Pfarrers Michael Visel in Dür-

Grund für die Reise des Prälaten von Schussenried zur Glockenweihe gewesen.

Sie hat einen Durchmesser von 52 cm und ist 41 cm hoch. Auf ihr findet sich u. a. der Name des Schussenrieder Präla-ten Binder, eine Kreuzigungsgruppe und der hl. Martin zu Pferde. Ihre Herkunft wird folgendermaßen angegeben:

»IOACHAM " G R I E N I N G E R * V O N * V I L L I N G E N * GOS * MICH - ZV * DIRMATINGEN : ' «5.

mentingen. 3 Württ. Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1919/20. 4) A. Nägele: Die Glocken des Oberamtes Riedlingen. 5 G. Grundmann: Deutscher Glockenatlas, 1959.

KARL W E R N E R STEIM

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)

Apostel Johannes - 27. Dezember

Sehr alt ist das Fest des hl. Johannes, Apostels und Evangeli-sten. Er wird gewöhnlich am Herzen Jesu ruhend darge-stellt. Auch in Haigerloch gab es früher den Brauch der Seg-nung und Austeilung von Johannes-Wein. 1879 verkündete der Pfarrer, er nehme die letztmals 1836 erfolgte Segnung dieses Weines wieder auf12. Der Wein wurde nach der Messe an der Kommunionbank ausgeteilt.

Fest der Unschuldigen Kinder -28. Dezember

Dieses Fest ist im Abendland schon im 5. Jahrhundert be-zeugt. In St. Paul vor den Mauern Roms werden die Reli-quien der heiligen Unschuldigen Kinder verehrt, die wegen ihres Zeugnisses für Christus sterben mußten. Es ist über-liefert, daß in Haigerloch 1896 an diesem Tag in St. Anna ein Rosenkranz um Abwendung von Kinderkrankheiten gebe-tet wurde13.

Silvester und Neujahr

In Haigerloch gab es die unterschiedlichsten Silvester- und Neujahrsbräuche. Schon aus dem letzten Jahrhundert über-liefert ist das »Paschen«, das Auswürfeln von Silvester-Bre-zeln. Dieser heute noch geübte Brauch fand früher vor al-lem im Gasthaus »Bürgerstüble« und in der »Krone« statt, wobei man um große Brezeln und Hefezöpfe würfelte. Spä-ter hat sich diese Sitte auch in anderen Gasthäusern der Stadt eingebürgert.

Ein alter Brauch ging im Jahre 1861/62 zu Ende: das Neu-jahrssingen der Nachtwächter14: »Nachdem durch Anord-nung der K. Regierung das Singen in der Neujahrsnacht den Nachtwächtern untersagt ist, und denselben hiedurch ihre bisherigen Geschenke von den hiesigen Einwohnern entge-hen, wird beschlossen, jedem der beiden hiesigen Nacht-wächter soll eine Entschädigung für die Geschenke auf das neue Jahr 1862 mit 5 fl aus der Gemeindekasse gewährt ... werden.« Vorausgegangen war eine Verfügung des Sigma-ringer Regierungspräsidenten Seydel vom 26. Oktober 1861: »Wie uns zur Kenntnis gekommen, hat in letzter Zeit das Abbrennen von Feuergewehren und dergleichen in der Neujahrsnacht eine das öffentliche Interesse gefährdende Ausdehnung genommen und muß deshalb auf eine genaue-re Beobachtung der ... des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen gehalten werden. Für die dießfallsige Wirk-samkeit der Polizei ist es aber ein sehr hinderlicher Um-

stand, daß an manchen Orten noch die Sitte herrscht, wo-nach Gemeindebedienstete (Polizeidiener und Nachtwäch-ter) in der Neujahrsnacht herumziehen, vor den Häusern singen, die Einwohner beglückwünschen und des andern Tages von Haus zu Haus Geschenke sammeln. Es ist diese Sitte wohl an den meisten Orten abgestellt, wie sie dann an sich als eine Ungehörigkeit erscheint. Mit Rücksicht darauf, daß auch die Polizeibediensteten am wenigsten in der Neu-jahrsnacht der Ausübung ihrer Pflicht entzogen werden dürfen, beauftragen wir die Königl. Oberämter an den Or-ten, wo die erwähnte Sitte noch herrscht, mit den Amtsvor-ständen sich darüber ins Vernehmen zu setzen, daß dieselbe abgestellt und den Gemeindebediensteten dafür eine ange-messene Entschädigung aus der Gemeindekasse gewährt werde...«15.

Sehr alt ist natürlich auch das Schießen in der Neujahrs-nacht. 1857 haben zwei Mann die Gendarmerie beim Pa-trouillieren »in der Stadt wegen unnützen Schüßens unter-stützt«, wofür jeder einen Gulden bekam16. 1860 waren es sogar vier Mann, die »in der Neujahrs Nacht gewacht we-gen unnützen Schüßen17. »Die Sylvesternacht ist hier ruhi-ger als in früheren Jahren abgelaufen. Wohl hörte man hier und da einen Schuß, die Gendarmerie und Polizei scheint aber kurzen Prozeß mit den Schießlustigen gemacht zu ha-ben, denn sie haben den Ruhestörern einfach die Pistolen abgenommen, was ein Radikal-Mittel sein dürfte, wenn nicht Rückgabe der Waffen stattfinden würde«, schrieb die Zeitung im Jahre 1865 aus Haigerloch18. 1873 wurde ein le-diger Bürger von Haigerloch mit 1 Gulden 45 Kreuzer be-straft, weil er »in der letzten Neujahrsnacht in der Nähe von Gebäuden geschoßen«. Die Ersatzstrafe betrug einen Tag Gefängnis19. »In der letzten Neujahrsnacht ist auch hier ein kleines Unglück passiert, indem einem jungen Burschen ein Stück aus dem Daumen geschossen wurde«, berichtete die Zeitung im Jahre 1878 aus Haigerloch20. Als ob die Haigerlocher das Herannahen des Weltkrieges geahnt hätten, feierten sie den Jahresbeginn 1913 nochmals sehr groß21: »Die Sylvesternacht war hier recht lebendig. Der Würfelbecher wurde in allen Wirtschaften sehr fleißig herum gereicht, und die Brezeln und Hefekränze zierten so manchen Arm eines liebenden Gatten, der nach Becher-klang und frohem Gesang im alten oder im neuen Jahr sei-nem Heim zusteuerte. Die Freudenschüsse krachten an al-len Ecken, besonders auf dem Marktplatz war ein Knattern von übergroßer Liebenswürdigkeit, und die Feuergarben

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schössen jäh in die Luft mit ihrem goldenen Schweife die Nacht erleuchtend. 12 Uhr schlug's vom Turm her, und die Sylvesterglocken vom evang. Kirchlein gaben dem Toten-stündchen des alten Jahres das stimmungsvolle Geleite hin-aus in den Strom der Zeit, der alles mitreißt und in seinen erbarmungslosen Wellen vergräbt.« In den kommenden Jahren war es dann an Silvester/Neujahr sehr ruhig, auch 1918, wie der Haigerlocher Bote berichtete: »Die Sylvester-nacht ist im allgemeinen ruhig verlaufen. Die Wirtschaften waren größtenteils um 22 Uhr schon zu. Um Mitternacht begrüßte das Glöcklein von der Ev. Kirche das junge Jahr. Warum wird denn in der Silvesternacht nicht auch auf dem Römerturm geläutet?«

Allmählich kehrte das alte Brauchtum wieder zurück. Der Bericht von Silvester 19 1 922: »Um den Übergang vom alten zum neuen Jahr recht wirkungsvoll zu gestalten, wurden in der Neujahrsnacht eine große Anzahl von Fröschen und Kanonenschlägen zur Entladung gebracht. An dieser Knal-lerei hatten besonders die Jungen eine Freude, die in dem letzten Jahre nie einen Kanonenschlag gehört hatten.« Ein-schränkungen, die das Schießen betrafen, gab es im Dritten Reich. Bürgermeister Rein gab Ende 1939 bekannnt23: »Das Schießen in der Neujahrsnacht sowie das Abbrennen von Feuerwerk und ähnlichen Erzeugnissen im Freien ist verbo-ten. Zuwiderhandlungen werden mit Strafe bis zu 150 RM bestraft.«

Ein neuerer Brauch ist das Blasen vom Römerturm in der Silvesternacht. Vom Jahreswechsel 1923/24 ist überliefert: »Sehr stimmungsvoll verkündeten zwei hiesige Trompeter vom Kranze des Römerturms herab das Scheidestündchen des alten Jahres«24. Dies wurde auch im folgenden Jahr fort-gesetzt. 1926 erweiterte die Stadtkapelle das Spielen vom Turm noch um eine Variante. Dentist Thomas Back schrieb an den Bürgermeister25: »Die Stadtkapelle, unterstützt von einigen hiesigen Männern, beabsichtigt in der Neujahr-snacht eine Beleuchtung des Römerturmes vorzunehmen, verbunden mit Spielen der Kapelle und dem Glockengeläu-te. Zur Deckung der Unkosten beabsichtigen wir eine Haussammlung vorzunehmen.« Wie sich Gertrud Zimmer-mann erinnerte, war das Spielen auf dem Römerturm in der Silvester- bzw. Neujahrsnacht in den 20er und 30er Jahren abhängig vom Bestehen einer Stadtkapelle.

Kirchliche Silvesterfeiern gibt es in Haigerloch schon lange und wurden im letzten Jahrhundert als »Jahresschlußan-dacht« bezeichnet. Sie fanden - beispielsweise 1931 - in der Unterstadt- und in der evangelischen Kirche statt26. Laut Rosa Trenkle wurde die Silvesterandacht wohl nach dem Krieg von der Unterstadt- in die Schloßkirche verlegt. Sogar Evangelische hätten oft daran teilgenommen. Sitte war es auch, daß der Pfarrer allen einzeln dankte, die während des Jahres irgendwie für die Kirche tätig waren.

Dreikönig - 6. Januar

Dreikönig war bis zum 4. Jahrhundert der altchristliche Jahresbeginn und ist heute noch ein wichtiger Termin im Kirchenjahr. In den katholischen Kirchen werden an diesem Tag Wasser, Salz und Kreide geweiht. Viele Gläubige halten diese Weihe für besonders segenskräftig und bewahren et-was von dem Wasser für Notfälle auf. 1896 verkündete der Haigerlocher Pfarrer, er führe die vor 60 Jahren abgeschaff-te feierliche Weise der Dreikönigwasserweihe wieder ein27. Die geweihte Kreide dient den Sternsingern, den Heiligen Drei Königen, dazu, die Buchstaben C - M - B an die Türen der Häuser zu schreiben. Diese Buchstaben können die Ini-tialen der König sein - Caspar, Melchior, Balthasar - ; sie können aber auch bedeuten: »Christus mansionem benedi-cat« - Christus segne dieses Haus. Das Salz wurde früher

dem Vieh gegeben. »Die alte, schöne, sinnvolle Sitte, am Dreikönigstag, wo Salz und Kreide in der Kirche geweiht werden, mit der Kreide die Anfangsbuchstaben der Namen der Heiligen drei Könige (K + M + B) samt der Jahreszahl an die Türen des Hauses zu schreiben, ist heute fast gänzlich abgegangen«, schrieb 1928 die Oberamtsbeschreibung. Die-ser Brauch wurde aber in den letzten Jahrzehnten wieder belebt.

Rosa Trenkle erinnerte sich, daß früher am Dreikönigstag Sänger aus Rangendingen nach Haigerloch kamen, die das neue Jahr ansangen, wobei auch der »Sand-Michel« diesen Brauch ausübte.

St. Sebastian - 20. Januar

Sebastian, nach der Legende kaiserlicher Offizier, wurde um das Jahr 289 wegen seines christlichen Bekenntnisses auf Befehl des Kaisers Diokletian mit Pfeilen durchbohrt. Der hl. Sebastian wird als Patron gegen die Pest verehrt. Deshalb fehlt seine Darstellung auch in kaum einer alten Kirche. In der Haigerlocher Unterstadtkirche wurde früher traditio-nell am Sebastianstag eine hl. Messe an seinem Altar gelesen (z. B. noch um 1875) und um Abwendung ansteckender Krankheiten ein Rosenkranz mit Litanei gebetet28.Der Al-tar ist inzwischen abgegangen, in der Kirche vorhanden ist noch die Plastik des Heiligen.

Maria Lichtmeß - 2. Februar

Papst Sergius führte das Fest Ende des 7. Jahrhunderts in den Kirchenkalender ein; es erinnert an Marias Besuch mit ihrem Kind im Tempel, 40 Tage nach der Geburt des Soh-nes. Der 2. Februar fällt in den ausgehenden Winter und be-zeichnete früher, in einer weithin bäuerlichen Gesellschaft, den allmählichen Beginn des Arbeitsjahres. Dazu brauchte man die Knechte und Mägde wieder, die an Martini entlas-sen worden waren. An Lichtmeß gingen also die Dienstbo-ten wieder in Stellung. Auf Lichtmeß wurden auch, wie auf Martini, Zahlungen geleistet. Und mit diesen Tag hörten auch die winterlichen Zusammenkünfte auf, die Licht- oder Kunkelstuben. Traditionell fand an Lichtmeß die Kerzen-weihe statt, 1875 zum Beginn des Hauptgottesdienstes in der Schloßkirche.

Fastnacht

Am Dreikönigstag - und nicht am 11. November! - pflegt die schwäbische Fastnacht zu beginnen. Brauch und Wort müssen schon im 12. Jahrhundert bekannt gewesen sein. Fastnacht bedeutet sprachlich den Vorabend oder Vortag der großen Fastenzeit. Die mittelalterliche Fastenordnung war streng: Vom Aschermittwoch an durfte man sich täg-lich, mit Ausnahme der Sonntage, nur einmal satt essen. Die 40tägige Fastenzeit erklärt somit die Lust der Menschen, sich vorher nochmal mit Speise und Trank, mit Tanz und Dummheiten usw. auszutoben.

Über die Fastnacht in Haigerloch gibt es ein eigenes Buch29. Näheres ist - wie auch der nachstehende Text -dort nachzulesen. Über die Haigerlocher Fasnet in preußi-scher Zeit gibt es interessante Belege. Wie in Rottweil und anderswo trug die Fastnacht damals ziemlich karnevalisti-sche Züge. Im »Hohenz. Wochenblatt« des Jahres 1857 entrüstete sich ein Mitarbeiter über das »Hexenspringen« der Schulkinder und löste damit sogar ein behördliches Einschreiten aus. In der Zeitung stand aus dem Eyachtal zu lesen: »Die Fa-schingstage machen sich an manchen Orten durch einen Unfug bemerkbar, durch das sog. >Hexenspringen< der

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Schulkinder, welche am Dienstag und Donnerstag maskiert auf der Gasse ihr Unwesen zu treiben sich erlauben. Es be-darf keiner Beweise, daß hierdurch der Keim der Verwilde-rung und Rohheit in diejugendlichen Herzen gelegt wird,

Anmerkungen

12 Pfarrarchiv Haigerloch (PfA.) Nr. 1317 7. 13 PfA. Nr. 1319. 14 StA, Bände, Nr. 218. 13 StA: Akten, Nr. 69. 16 StA: Bände, Nr. 214. 17 Ebd,Nr. 218. 18 Hohenz. Wochenblatt, Nr. 3, 1863. 19 StA: Bände, Nr. 230. 20 Hohenz. Blätter, Nr. 3, 10.1.1878. 21 Haigerlocher Bote, Nr. 1,3.1.1913.

wenn nicht die Schulbehörde ein wachsames Auge darauf gerichtet hält. Übrigens wäre es die Pflicht der Eltern, einen derartigen Fanatismus ihrer Kinder mit ernster Strenge von Hause aus zu verbieten und zu unterdrücken.«

22 Der Zoller, Nr. 2, 3.1.1920. 23 StA Akten Nr. 389. 24 Haigerlocher Bote, Nr. 2,1924. 23 StA 577. 26 PfA 1315. 27 Ebd. 1319. 28 Ebd. 1317.

29 Karl Werner Steim, Fastnacht in Haigerloch. Hechingen 1987.

(Fortsetzung folgt)

Buchbesprechungen

Ostrach 1799, die Schlacht, der Ort, das Gedenken, heraus-gegeben von Edwin Ernst Weber im Auftrag der Gemeinde Ostrach.

Das Buch erschien zum 200. Gedenkjahr der Schlacht bei Ostrach. Am Gründonnerstag 1799, dem 21. März, stießen im Gebiet Hohentengen-Ostrach-Hoßkirch österreichi-sche und französische Truppen zusammen und lieferten sich blutige Kämpfe. Es gelang den Österreichern, die Franzo-sen über den Bach Ostrach Richtung Westen zurückzu-drängen. Obwohl die »Schlacht bei Ostrach« im Verlauf der Koalitionskriege nur von geringer Bedeutung war, ist sie doch der Bevölkerung von Ostrach und Umgebung lebhaft im Gedächtnis geblieben.

Über die Ereignisse von 1799 wurde schon viel geschrieben. Auf Anregung des Kreisarchives Sigmaringen sollten die Gedenkveranstaltungen durch eine umfassende Aufarbei-tung des Themas auf wissenschaftlicher Grundlage ergänzt werden.

Fünf Autoren berichten nicht nur von der Schlacht, von Krieg und Politik, sondern auch über den Schauplatz des Geschehens, die Herrschafts- und Lebensverhältnisse Ostrachs und seiner Umgebung.

Herausgeber Dr. Edwin Ernst Weber schreibt über das Sale-mische Oberamt Ostrach im 18. Jahrhundert. In mehreren Kapiteln werden die Verhältnisse der Klosterherrschaft und der Untertanen eingehend dargestellt.

Die Entwicklung nach der Säkularisation, Übergang an Thum und Taxis und Mediatisierung durch das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen werden von Staatsarchivdirek-tor Dr. Volker Trugenberger geschildert.

Militärhistoriker Heinrich Bücheler aus Inzigkofen bringt eine Darstellung der französischen Revolutionskriege ins-gesamt. Er stellt die Schlacht bei Ostrach in den Zusammen-hang der französischen Revolutionskriege und der militäri-schen Operationen in Oberschwaben im Frühjahr 1799. Viele der handelnden Personen werden in Bildern gezeigt.

Den Verlauf der Schlacht anhand von Augenzeugenberich-ten und anderen zeitgenössischen Quellen zeichnet Ober-studienrat Gerhard Fetscher, Leiter des Ostracher Heimat-museums, nach.

Kulturwissenschaftler Armin Heim aus Meßkirch berichtet über mehrere kleinere Denkmäler aus verschiedenen Zeiten

und über Planung, Errichtung und Einweihung des Denk-mals auf dem Buchbühl. Er weist auf den kulturgeschichtli-chen Sonderfall hin, daß in der wilhelminischen Zeit (1903) hier nicht eines Sieges gedacht wurde, sondern eher der Lei-den der Bevölkerung und der Schwäche des damaligen Deutschland, auf dessen Boden sich auswärtige Mächte bekämpften.

Das Buch ist mit ca. 50, zum großen Teil farbigen Abbildun-gen ausgestattet. Der Umschlag zeigt ein Ölgemälde des Bi-beracher Malers Joh. Bapt. Pflug. Abgebildet ist ein weiteres Schlachtenbild aus den fürstlichen Sammlungen in Sigma-ringen, das von einem bisher nicht bekannten Maler stammt. Eine Fülle von historischen Karten, graphischen Darstellungen und Fotos veranschaulichen den Text.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die wissenschaftliche Aufarbeitung der »Schlacht bei Ostrach« einen wesentli-chen Beitrag zur lokalen Geschichte darstellt.

Das Buch ist im Selbstverlag der Gemeinde Ostrach er-schienen und kann bei der Gemeindeverwaltung Ostrach und bei den Buchhandlungen bestellt werden (ISBN 3-00-004325-X) DM 35,-.

Aus Freude am Wort

1898 veröffentlichte der Haigerlocher Franz Xaver Hodler das Buch »Dichterstimmen aus Hohenzollern«. Vom Landratsamt Zollernalbkreis herausgegeben (ISBN 3-927249-12-2), ist nun, von Kohlhammer & Wallishauser, Hechingen, hergestellt, das von Alfred Münz bearbeitete 217seitige Buch »Zollernalb-Profile - Aus Freude am Wort« erschienen. 41 Schreibende aus dem Zollernalbkreis lieferten zu diesem Werk, bei dem ein Redaktionsteam unter Leitung von Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn mit Hand anlegte, Gedichte und Prosatex-te. Es soll, wie einst Hodlers Band, so Landrat Willi Fischer im Vorwort, »einen guten Querschnitt des aktuellen schrift-stellerischen Schaffens in unserem Landkreis vermitteln«.

Horst Schaudt hat das als Band 4 in der Schriftenreihe des Zollernalbkreises erschienene Buch mit einem farbigen Umschlagbild und Schwarz-Weiß-Skizzen liebevoll illu-striert. Die Autoren werden auf den letzten Seiten kurz vor-gestellt (meist mit Bild), und Alfred Münz schreibt in seiner Einleitung: »Sehr bunt ... ist die Sammlung geworden, eine Art Blumenstrauß ... In der Anthologie soll ... wie in einer

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Verlag: Hohenzollerischer Geschichtsverein Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen

E 3828

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«

Quellfassung ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, was in scheuen und versonnenen oder flotten und weltgewandten Schreibern wie ein Grundwasser verborgen war ... Und schließlich will das Buch alle Schreibenden ermutigen, im Bemühen um sprachliche Gestaltung ihres Erlebens nicht nachzulassen.«

So unterschiedlich die Lebensläufe der Autoren, so unter-schiedlich sind auch die Themen ihrer Texte und die Qua-lität. Da findet der Leser Tiefsinniges und Erheiterndes, er wird konfrontiert mit Erfahrungsberichten und Gefühlvol-lem, mit Befürchtungen, Wunschträumen und Hoffnungen. Er entdeckt Meisterhaftes und »Versuacherle«, hin und wie-der auch Stilblüten im Blumigen. So wird Lesen zur span-nenden Entdeckungsreise, die Freude der Autoren am Wort wird spürbar (ein treffender Buchtitel) und zudem sehr viel Heimatliebe.

Das Buch könnte Ansporn sein für die Sigmaringer Land-ratsamt-Verwaltung, den Anstoß zu einem ähnlichen Werk in ihrer Region zu geben. Bislang existiert im Kreis Sigma-ringen lediglich eine 102seitige Broschüre, im Jahr 1991 von der Pädagogischen Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung unter dem Titel »So isch's bei ons« herausgegeben und be-schränkt auf schwäbische Mundartbeiträge. Dabei gäbe es weitaus mehr zu entdecken.

Auf 237 Seiten enthält das Buch »Einsteigen bitte!« (Verlag Schwäbisches Tagblatt, Tübingen; ISBN 3-928011-32-4) je-de Menge lehrreiche Informationen zur Geschichte des Zugverkehrs allgemein und zu der der Hohenzollerischen Landesbahn, die seit 100 Jahren besteht, im Besonderen. Wolfgang Alber, Utz Jeggle und Botho Walldorf haben das mit historisch bedeutsamen Schwarz-Weiß-Fotos versehene Buch herausgegeben. Kurzbeiträge beleuchten das Thema »Bahn« aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Da wird beispielsweise die spannende Lebensgeschichte des Reutlin-ger »Weichenstellers« Friedrich List skizziert, eines genia-

len Querdenkers und Ideenschmieds, dessen tragisches Da-sein im Freitod endete. Da wird auch der oftmals steinige Weg beschrieben vom Ende der Postkutschenzeit hin zum Zeitalter, in dem sich die Bahn als modernes Verkehrsunter-nehmen bewährte. Da gibt es bedenkenswerte Überlegun-gen zum Schauerlebnis und Wartefrust von Bahngästen, zur Sinnlichkeit des Bahnfahrens und natürlich zu den Faktoren Zeit und Raum. Erfahrungen werden geschildert und viel Geschichtliches wird aufgerollt. Zu letzterem gehören unter anderem die Rückblende auf große und kleine Unglücke, die Darlegung der Verbundenheit zwischen Hohenzolleri-scher Landesbahn und Salzwerk Stetten bei Haigerloch, die mit großer Eindringlichkeit geschilderte Juden-Deportati-on, die Pilgerreisen, organisiert von Pfarrer Wessner und Prälat Kramer, sowie vieles andere mehr. Das Buch ist eine wahre Fundgrube, keineswegs nur für Eisenbahnfreunde, zumal die einzelnen Themen, obwohl kompakt gehalten und prägnant formuliert, so aufbereitet wurden, so daß man mit viel Gewinn und ständig erneuertem Interesse liest, ba

Grenzgängerin

Zu den dunklen Seiten unserer Heimatgeschichte zählten die Armut und die oft damit einhergehende Kriminalität. 1818 wurde auf dem Marktplatz in Calw letztmals eine Frau öffentlich hingerichtet. Raubmord wurde ihr zur Last ge-legt. Uli Rothfuss hat die bewegte und bewegende Lebens-geschichte dieser einstigen Vagantin im Buch »Gertrude, Grenzgängerin« (Silberbuch-Verlag Tübingen, ISBN 3-87407-312-2) in zwölf dramatischen Szenen skizziert, die nachdenklich machen und sich zur theatralischen Auf-führung eignen. Passend dazu hat Dieter Huthmacher aus Bad Teinach 14 Lieder geschrieben und komponiert und auf einer C D herausgegeben, die über ihn (Postfach 1147) bezo-gen werden kann. ba

H O H E N Z O L L E R I S C H E HEIMAT

herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein, Postfach 1638, 72486 Sigmaringen. ISSN 0018-3253 Erscheint vierteljährlich.

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und den angrenzenden Lan-desteilen mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben fachhi-storischen auch populär gehaltene Beiträge.

Bezugspreis: Für Mitglieder des Hohenzollerischen Geschichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nicht-mitglieder DM 13,00 jährlich. Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25) können beim Hohenzollerischen Ge-schichtsverein (s. o.) bestellt werden.

Die Autoren dieser Nummer:

Gerd Bantle Hedingerstraße 5, 72488 Sigmaringen

Hans-Peter Hauler Hopfengartenweg 12, 88499 Riedingen-Grüningen

Walter Kempe

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach

Dr Herbert Rädle Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt

Karl Werner Steim, Berliner Straße 72, 88499 Riedlingen

Dr. Edwin Ernst Weber; Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen

Gesamtherstellung: Jan Thorbecke Verlag, 70173 Stuttgart, Eberhardstraße 69-71

Schriftleitung: Dr. med. Herbert Burkarth, Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen Telefon 07574/4407

Die mit Namen versehenen Artikel geben die persönliche Meinung der Verfasser wie-der; diese zeichnen für den Inhalt der Beiträ-ge verantwortlich. Mitteilungen der Schrift-leitung sind als solche gekennzeichnet.

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden an die Adresse des Schriftleiters er-beten.

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzolleri-sche Heimat« weiterzuempfehlen.

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H Ö H E N Z O L L E R I S C H E

HEIMAT

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Herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein

49. Jahrgang Nr. 4 / Dezember 1999

Erbhuldigung der Hohenzollernschen Lande für König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1851

Den feierlich inszenierten Höhepunkt des im August 1849 mit dem Einmarsch preußischer Truppen eingeleiteten Uber-gangs der Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen an das Königreich Preußen bildete am 23. August 1851 die Erbhuldi-gung der Deputierten der hohenzollerischen Städte und Gemeinden für den neuen Landesherrn, König Friedrich Wilhelm IV., auf dem Zollerberg. Der symbolträchtige Akt auf der zu dieser Zeit im Wiederaufbau befindlichen Stammburg der Zol-lern und damit auch des preußischen Königshauses wurde, neben anderen Künstlern, auch von dem Nürnberger Architek-ten, Maler und Lithographen Georg Eberlein (1819-1884) bildlich festgehalten: Ein heute im Sigmaringer Verwaltungsge-richt befindliches Ölgemälde und eine inhaltlich damit übereinstimmende Lithographie zeigen im Zentrum der Darstellung den im Burginnenhof aufgestellten Baldachinthron mit dem sitzenden König und seinem Bruder Prinz Wilhelm, dem späte-ren preußischen König und deutschen Kaiser, stehend links daneben. Rechts vom Thron sind die Fürsten von Thum und Taxis sowie Fürstenberg zu sehen, die dem König als hohenzollerische Standesherren die Huldigung per Handschlag leisten. Auf den Stufen vor dem Thron finden sich höchste Repräsentanten des preußischen Königshauses und Staates, darunter Mi-nisterpräsident von Manteuffel und Vizeoberhofzeremonienmeister Freiherr Rudolf von Stillfried, der geistige Urheber der

späteren Kaiserstammland-Legende, rechts unterhalb Hof- und Staatsbeamte der bisherigen hohenzollerischen Fürstentü-mer und links vom Thron die Vertreter der Geistlichkeit beider Konfessionen mit dem Freiburger Generalvikar Buchegger und Domkapitular Staudenmaier, beide in weiß-roten Chorröcken, an der Spitze. Gegenüber dem Thron hinter einer rotbe-tuchten Abschrankung sind die insgesamt 300 namentlich bekannten Deputierten sämtlicher hohenzollerischer Städte und Gemeinden mit dem Sigmaringer Hofgerichts-Advokaten und Gemeinderat Friedrich Bürkle als Sprecher versammelt, die mit erhobener Hand den Huldigungseid für den neuen Landesherrn nachsprechen. Unter den zahlreichen weiteren Teilneh-mern an der Huldigungsfeier fallen vorne links noch Trachtenmädchen mit goldverbrämten Schappeln aus Zimmern und Wessingen auf. Im Hintergrund des Bildes ist die gotische Michaelskapelle zu erkennen, das letzte noch intakte Gebäude der älteren, im 18. Jahrhundert verfallenen Burganlage, die nunmehr bis 1867 nach preußischen Plänen zum grandiosen »natio-naldynastischen Monument« wiederaufgebaut wird.

Text: Edwin Ernst Weber Bildvorlage: Verwaltungsgericht Sigmaringen

Rolf Vogt

Der Knödel aus der Asche Ein Phantom der Geschichtswissenschaft: Der demokratische Verein im Hechingen des Jahres 1848

Opfer weitgehend unüberwindlicher Widrigkeiten wurde vor gar nicht mal so langer Zeit ein Schulleiter in Hechin-gen. Gerade neu in der Stadt, schlich sich in einen Zeitungs-artikel ein falscher Vorname ein, der nicht mehr aus der Welt zu schaffen war. Redakteur um Redakteur und Schreiber um Schreiber, denen sich der richtige Name noch nicht ein-geprägt hatte, griff auf den Artikel mit dem falschen Vorna-men zurück, und es dauerte lange Monate, ja Jahre, bis die Folgen des ersten Fehlgriffs auskuriert waren.

Hatte der Schulleiter noch Zeit und Gelegenheit, immer mal wieder darauf hinzuweisen, welcher Tort ihm geschehe, fällt diese Korrektur naturgemäß um so schwerer, je länger zurück die Dinge liegen, die von einem Autor zum anderen kolportiert werden. Mißverständnisse in der Geschichts-wissenschaft zu beseitigen, kann mühselig sein. Bevor der Schleier des Vergessens wieder über die Revolutionsjahre von 1848/49 fällt, ist ein Versuch jedoch überfällig. Denn auch in den Veröffentlichungen der zurückliegenden Mona-te unterstellt die Forschung eine schier ungewöhnliche Konstellation von politischen Vereinen im Fürstentum Ho-henzollern-Hechingen und in seiner Residenzstadt. Sie geht schon für den Frühsommer des Jahres 1848 von der Exi-stenz eines demokratischen Zielen verpflichteten »Märzver-eins« aus, der im Gegensatz zum Vaterländischen Verein in Hechingen gestanden haben soll.

Die Altlast Egler

Begonnen hatte mit dieser Sicht Ludwig Egler, der in der Erstausgabe seiner Chronik für das Jahr 1848, aber ohne ge-nauere Datumsangabe, von einem Märzverein berichtet, der »zur Wahrung der politischen Rechte« gegründet wurde und »die freisinnigen Elemente in der Stadt und auf dem Lande« zusammengefaßt habe. Demgegenüber hätten sich die konservativen Kräfte im Vaterländischen Verein wieder-gefunden. In der von Rudolf von Ehrenberg bearbeiteten Neuauflage blieb es bei diesem Hinweis. Als die Egler-Chronik Ende der 70er Jahre für eine weitere Neuauflage durchgesehen wurde, verließen die Bearbeiter den vorgege-benen Kurs. Sie wandelten die Vorlage ab und strichen den Märzverein aus dem Jahr 1848. Stattdessen ließen sie nur ei-nen Vaterländischen Verein gelten, in dem sich konservative Bürger Hechingens Anfang Juli 1848 zusammengeschlossen hätten, um konstitutionelle Zielsetzungen zu propagieren.

Die Spottanzeige

Um so bedauerlicher ist die jüngste Rückkehr zur Aus-gangsstellung. Sie geht auf Eberhard Gönner zurück, dess-sen 1952 veröffentlichter Dissertation über die Revolution von 1848/49 die Geschichtswissenschaft, die sich mit Ho-henzollern beschäftigt, nahezu Handbuch-Charakter zuge-wiesen hat. Tatsächlich überzeugt Gönners Darstellung hin-sichtlich der Entwicklung im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen mit Glanz, aber es ist doch nicht zu übersehen, daß er die Ereignisse im Fürstentum Hohenzollern-He-chingen - wenn auch aus vermutlich verständlichen Grün-den - nachrangig behandelt. Gönner berichtet von einem »demokratische(n) Verein in der Residenzstadt« Hechin-gen, der Ende Juli 1848 erwähnt werde, aber anscheinend »kein großes Echo gefunden« habe. Der demokratische Verein sei nach dem »konstitutionelle(n) Verein« entstan-den. Als einzigen Beleg für den demokratischen Verein nennt Gönner die Ausgabe des Verordnungs- und Anzeige-blatts für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen vom 2. August 1848. Dort allerdings findet sich eine etwas zweifel-haft anmutende Spottanzeige, in der sich ein Inserent als »provisorische(s) Comite des demokratischen Knödel-Ver-eins« ausweist und zu einer Versammlung »zur vollständi-gen Gründung« dieses demokratischen Knödelvereins »in das bekannte Lokal« einlädt. »Auch für aristokratische Mä-gen sind die demokratischen Knödel-Vorträge durchaus nicht schädlich«, hebt der Inserent hervor und empfiehlt, »das zur Bearbeitung der Vorträge nöthige Material« -Brechmittel wohl - rechtzeitig bei einem Apotheker zu be-sorgen.

Außer dem demokratischen Knödelverein des Verord-nungsblatts und dem »Märzverein« der ersten Egler-Chro-nik gibt es offenbar keine weiteren Hinweise auf diese frühe Spaltung der liberalen Bewegung in Hohenzollern-Hechin-gen. Im Stadtarchiv Hechingen oder im Staatsarchiv Sigma-ringen scheint noch kein Forscher entsprechende Akten-funde gemacht zu haben. Trotzdem ist die Legende langle-big.

Dabei läßt allein der Name »Märzverein« für den Frühsom-mer des Jahres 1848 stutzen. Die Welle der Gründungen von Märzvereinen setzte im Deutschen Bund erst nach der Gründung des Zentralmärzvereins in Frankfurt ein. Dort schlossen sich am 21. November 1848 Abgeordnete der Na-tionalversammlung aus mehreren Fraktionen zusammen,

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^ f t g l j ^ do^cnsoUertf^c Conbc ' ^ ¡ g j j j

Mitteilungen aus dem Geschichtsverein

Veranstaltungen im 1. Quartal 2000

I. Vorträge

Bodo Walldorf, Wannweil

100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn Montag, 31. Januar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechingen. Montag, 7. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prin-zenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen. Ulrich Feldhahn M. A., Stuttgart Residenzarchitektur in Fürstenberg und Hohenzollern.

Die Schlösser in Donaueschingen, Hechingen und Sigmaringen (mit Dias)

Montag, 28. Februar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal des Neuen Schlosses (Sparkasse Zollernalb) in Hechin-gen.

Dienstag, 29. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen. Der geplante Vortrag von Prof. Dr. Hubert Krins, Außenstelle des Landesdenkmalamts Baden-Württem-berg in Tübingen, über den Denkmalschutz wird noch rechtzeitig in der Hechinger und Sigmaringer Presse an-gekündigt.

II. Seminar

Der Hohenzollerische Geschichtsverein und das Kreis-archiv Zollernalbkreis veranstalten das Seminar

Einführung in die altdeutsche Schrift Die Veranstaltung unter der Leitung von Dr. Becker und Dr. Zekorn umfaßt vier Doppelstunden (90 Minuten); sie

findet am 15., 22. und 29. März sowie am 5. April jeweils um 20 Uhr in der Städtischen Volkshochschulen He-chingen (Münzgasse 4) statt. Der Unkostenbeitrag pro Person beträgt 20 DM.

Anmeldungen zum Seminar, das auf 20 Teilnehmer be-grenzt ist, nimmt Frau Liebhaber vom Vereinssekretariat des Geschichtsvereins (Tel. 07571/101-558) entgegen. Bei Bedarf kann die Veranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden.

III. Halbtagswanderung

Der Geschichtsverein lädt ein zu einer

Wanderung auf der Grenze der Freien Pürsch am 25. März unter der Leitung von Herrn Gewerbeleh-rer i.R. Gottlob Ast, Onstmettingen, ein. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Zollersteighof bei Onstmettingen.

IV. Vorankündigung

Der Geschichtsverein plant eine viertägige Exkursion (22. bis 25. Juni) mit dem Thema

Die hohenzollerische Markgrafschaft Ansbach Unter der Leitung des Baiinger Fachschriftstellers Wolf-gang Willig sollen u.a. Nürnberg, die Residenz Ansbach und Heilsbronn (Grablege der fränkischen Hohenzol-lern) besucht werden.

Die Fahrtkosten werden etwa 700 DM (Fahrt, Über-nachtungen mit Halbpension, Erintrittsgelder, Führun-gen) betragen.

Voranmeldungen zur Studienreise - das genaue Pro-gramm soll im 1. Heft der Hohenzollerischen Hemat 2000 abgedruckt werden - nimmt Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558)entgegen.

gez.: Dr. Becker Vorsitzender

eine Art Einheitsfront der Demokraten, die nach dem Scheitern ihrer politischen Anstrengungen im Herbst 1848 die Wahrung der sogenannten Märzerrungenschaften des Jahres 1848 als Minimalziel fanden. Ihr einigendes Band wurde die Forderung nach Annahme der in Frankfurt aus-gearbeiteten Reichsverfassung durch die deutschen Bundes-staaten.

Auch in Hohenzollern-Hechingen entstand um die Jahres-wende 1848/1849 ein Märzverein. Er verstand sich als Zweigverein des Frankfurter Zentralmärzvereins und hatte seine treibende Kraft in Pfarrer Josef Blumenstetter, der bis zum September 1848 Abgeordneter in Frankfurt gewesen war und zu einer der Fraktionen - Westendhall - gehört hatte, die sich im Zentralmärzverein wiederfanden. Der He-chinger Märzverein wurde am 6. Januar 1849 in Stetten ge-gründet und gab sich im Februar 1849 im traditionell linken Gasthaus Löwen in Hechingen einen Vorstand.

Der Vaterländische Verein

Im Frühsommer 1848 hatte Hechingen in Wirklichkeit kei-nen Märzverein, aber sehr wohl ein politisches Leben, das

weitaus aufregender war, als es die Forscher bislang glauben machen wollen. Das hatte nicht nur mit den Neuigkeiten zu tun, die aus Frankfurt, aus Baden, aus dem gesamten Deut-schen Bund sowie dem europäischen Ausland in die Resi-denz kamen, sondern auch mit den Veränderungen im All-tag. Die Demonstration der Bauern aus den Landgemein-den am 11. März 1848, die Hechingen zittern machte, brachte der Stadt eine neue Kommunalordnung und damit ein neues Stadtoberhaupt und einen neuen Gemeinderat, ei-ne Bürgerwehr, ein Parlament - jedenfalls tagte es mitten in der Stadt - und eine ganze Menge offizieller Veranstaltun-gen. Auch ein wenigstens kurzlebiger Handwerker-Aus-schuß läßt erkennen, daß das öffentliche Leben ähnlich be-wegt war wie in anderen vergleichbaren Städten. Tatsächlich wurde im Juli 1848 in Hechingen ein Vaterländi-scher Verein gegründet. Die Initiative - soweit nachvoll-ziehbar - ging von einem anonymen Beitrag im Verord-nungsblatt des Fürstentums aus, der dem »mehrfach ausge-sprochenen Wunsch vieler Bürger« ein Sprachrohr gab und den Verlag des Verordnungsblatts, die Riblersche Hofbuch-druckerei, als Kontaktadresse angab. In dem Beitrag wurde vorgeschlagen, die Gründung ähnlicher Vereine »in unsern

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Nachbarstaaten« zum Vorbild zu nehmen und die »Festhal-tung an der konstitutionellen Monarchie, mit den freisin-nigsten Institutionen, Aufrechterhaltung der Ordnung, so-mit Schutz der persönlichen Sicherheit und des Eigenthums und thätiges Zusammenwirken, um dem gedrückten Ver-kehr, dem Handel und den Gewerben nach Möglichkeit aufzuhelfen« zu den »obersten Grundsätze(n) des Vereins« zu machen. Angeregt wurde die Einrichtung von Ortsverei-nen mit Lokalvorständen und in der Residenzstadt ein »Central-Comite«. Das Zentralkomitee solle »die ganze Leitung des Vereins« übernehmen.

Einige Tage nach diesem Aufruf reagierten »im Auftrag vie-ler Bürger« W Daniel, F. Gförer, J. Kohler, C. Lorch und J. F. Mayer mit der Ankündigung einer Gründungsver-sammlung im Hechinger Rathaus. Alle Einwohner - nicht nur die Bürger - wurden mit Datum vom 30. Juni unter Hinweis auf den kurz zuvor erschienenen anonymen Auf-ruf für den 6. Juli 1848, 19 Uhr, zu einer Zusammenkunft eingeladen. Die Zusammenkunft wurde von einer nicht näher bekannten Zahl von Interessenten besucht, die offen-bar den Vaterländischen Verein konstituierten und ein »pro-visorisches Comité« bildeten, das noch am selben Abend zu einer zweiten Sitzung am 10. Juli »zur Berathung der Statu-ten« einlud. Auch diese Versammlung sollte - erneut um 19 Uhr - im Rathaus stattfinden. Zugleich werde acht Tage lang im Rathaus eine »Liste zu weiterer Einzeichnung« aus-gelegt.

Am 10. Juli 1848 verabschiedete die Mitgliederversamm-lung eine 14 Artikel umfassende Satzung und faßte den Be-schluß, die Vorstandswahlen in einer weiteren Versamm-lung am 16. Juli vorzunehmen. Bis dahin amtierte das provi-sorische Komitee weiter. Dem Verein hatten sich bislang 97 Mitglieder angeschlossen, die Mitgliederwerbung mit der im Rathaus ausliegenden Liste sollte bis zur nächsten Ver-sammlung verlängert werden.

Als Zweck des Vereins wurde in der im Verordnungsblatt abgedruckten Satzung »die Berathung vaterländischer An-gelegenheiten Behufs gesetzlich selbstthätiger Mitwirkung des Volkes« bestimmt. »Hauptaufgabe« des Vereins sollte sein, »sowohl für Aufrechterhaltung der bestehenden Staatsform und der gegenwärtigen Gesetze nach Kräften zu wirken, als auch jegliches Anstreben gegen die freie Ent-wicklung unserer politischen Zustände entschieden zurück zu weisen«. Mit »allen Kräften« wollte der Verein zudem darauf hinwirken, »den darniederliegenden Gewerben und dem stockenden Handel nach Möglichkeit aufzuhelfen«. Die Vereinsmitglieder wurden »auf Manneswort« verpflich-tet, »in keiner Weise an Verbindungen Theil zu nehmen, welche einen gewaltsamen Umsturz der bestehenden Geset-ze und Ordnung bezwecken«. Die Leitung der Vereinsge-schäfte hatte nach der Satzung ein siebenköpfiger Vorstand, der Ausschuß. Der Ausschuß hatte Vorstand, Stellvertreter und Schriftführer, die »aus seiner Mitte« ernannt werden sollten. Die Amtszeit des Ausschusses sollte ein Jahr betra-gen, eine Wiederwahl war zugelassen. Beschlußfähig war der Ausschuß bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte -vier mithin - seiner Mitglieder. Die Mitgliederversammlung setzte sich als Quorum für die Gültigkeit ihrer Beschlüsse die »Stimmenmehrheit« der anwesenden Mitglieder. Eine bestimmte Anzahl von anwesenden Mitgliedern war zur Beschlußfassung nicht notwendig. Der Zugang zum Verein stand »jedem unbescholtenen Einwohner Hechingens« of-fen, der das 18. Lebensjahr vollendet hatte.

Die Mitgliederversammlung am 16. Juli, einem Sonntag, nach dem Gottesdienst scheint nicht zustande gekommen zu sein oder kein Ergebnis gebracht zu haben, denn am Wo-chenende darauf erschien im Verordnungsblatt eine weitere

Anzeige, in der »die Ausschußwahl für den vaterländischen Verein« für den 23. Juli, diesmal nach dem »nachmittägigen Gottesdienste«, angekündigt wurde. Diese Versammlung kam zustande, über ihr Ergebnis unterrichtete das proviso-rische Comité in einer Anzeige im nächsten Verordnungs-blatt. Danach wurden in den Ausschuß Kaufmann Carry, Medizinalrat Dr. Gfrörer, Hoftierarzt Kohler, Medizinalrat Dr. Koller, Regierungssekretär Lorch, Goldarbeiter Mayer und Lehrer Sauter gewählt.

Medizinalrat Dr. Franz Gfrörer, Hoftierarzt J. Kohler, Re-gierungssekretär C. Lorch und der Juwelier J. F. Mayer hat-ten zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs gehört, die vermutlich seitdem als provisorisches Komitee amtier-ten. Nicht mehr in der Führungsriege war der Geschäfts-führer der Riblerschen Hofbuchdruckerei Wilhelm Daniel, neu hinzugekommen waren Kaufmann Carry, Medizinalrat Kajetan Koller und der Lehrer C. Sauter.

Elan verpufft

Danach scheint ein Großteil des Elans der Gründungsphase bereits vorüber gewesen zu sein - wie es die Literatur, dies-mal richtig, wiedergibt. Jedenfalls tritt der Verein mit sei-nem Namen im Sommer des Jahres 1848 nicht weiter in Er-scheinung. Offenbar noch vor der Wahl des Ausschusses hatte er allerdings eine Petition verabschiedet, die dem Ab-geordneten des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen in der Frankfurter Nationalversammlung, Pfarrer Josef Blu-menstetter, zugeleitet wurde. Blumenstetter lag die Petition wohl bis zum 16. Juli vor, jedenfalls wandte er sich an jenem Tag in Frankfurt an seine »liebe(n) Mitbürger« mit einem besorgt klingenden Brief, der am 19. Juli im Hechinger Ver-ordnungsblatt veröffentlicht wurde. Der Abgeordnete übergab die Petition aus Hechingen dem Frankfurter Parla-ment und trat ihr mit einem eigenen Dringlichkeitsantrag bei, der für den 18. Juli auf die Tagesordnung der National-versammlung gesetzt wurde.

»Hohe Nationalversammlung wolle durch Beschluß das Reichsministerium zu der öffentlichen Bekanntmachung veranlassen«, hieß es in dem Antrag, »daß das Volk durch die neuesten Ereignisse weder von den gesetzlichen Beiträ-gen zur Bestreitung des Staatsbedarfs, noch von seinen pri-vatrechtlichen Verbindlichkeiten entbunden sey; und daß den Maaßnahmen der Regierungen, sofern dieselben nicht mit der Landesverfassung, mit den Errungenschaften der Neuzeit und den Beschlüssen der Nationalversammlung im Widerspruche stehen, von allen Staatsangehörigen Folge ge-leistet werden müße.« Diese Klarstellung, gestützt von der Autorität der neuen Regierung, war den Kreisen, die dem Vaterländischen Verein Hechingens nahe standen, wichtig. Die Einhaltung der Spielregeln nämlich war Hechingens wirkliches Problem im Sommer 1848: Seit dem 11. März zahlten die Bauern in den Dörfern rings um die Residenz-stadt ihre Rechnungen nicht mehr, nicht die Steuern an den Fürst und wohl auch nicht die Lieferungen der Kaufleute aus der Stadt. Mitte September 1848 sah sich die Fürstliche Landesregierung zu einem Kraftakt veranlaßt. Sie schickte Militär nach Grosselfingen, um die Steuereintreibung si-cherzustellen. Mit einer offiziellen Bekanntmachung der so-genannten Zentralgewalt in Frankfurt hätte vielleicht vor-her schon Eindruck in den Dörfern erzielt werden können. Schließlich beriefen sich die Bauern in dem, was sie taten, immer wieder auf die neuen Zeitumstände, die angebrochen seien. Aber die Frankfurter Abgeordneten verwiesen den Antrag Blumenstetters nur zur weiteren Beratung an den Prioritäts- und Petitionsausschuß.

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Nächtliche Exzesse

Eine Woche nach der Bekanntmachung der Ausschußbeset-zung lenkte Anfang August 1848 die besagte Spottanzeige im Verordnungsblatt noch einmal den Blick auf die Vorgän-ge. Bis zum Vorliegen einer besseren Erklärung muß sie wohl auf den Vaterländischen Verein bezogen werden, der bis zur »vollständigen Gründung« wirklich mehrere Anläu-fe benötigte und ein Programm verfolgte, daß »auch für ari-stokratische Mägen« bekömmlich sein konnte. In der Anzeige macht sich jemand lustig über die Probleme des Hechinger Bürgertums, seine Position zu den unver-hofft auftretenden Entwicklungen zu finden. Indirekt kommt auf diesem Wege vielleicht doch demokratisches Gedankengut zutage, denn die Anzeige setzt einen deutli-chen Kontrapunkt zu der Auffassung des Vaterländischen Vereins. Der abtrünnige Inserent könnte zwar ein spotten-der Aristokrat, aber sehr wohl auch ein von der Regierungs-treue der Hechinger enttäuschter Demokrat gewesen sein. Sie gab es, keine Frage. Der »Erzähler«, das in Sigmaringen zweimal wöchentlich erscheinende Organ der Demokraten um Carl Otto Würth, hatte in Hechingen einen Korrespon-denten, der in der Zeitung berichtete, und wahrscheinlich auch Leser. Polarisierend wirkten Mitte August insbeson-dere die Abreise Fürst Friedrich Wilhelm Konstantins und im September die Ereignisse im Deutschen Bund, so daß ein regierungstreuer Leserbriefschreiber im Verordnungsblatt schließlich besorgt feststellte, »daß in der That auch bei uns eine republikanische Partei thätig, daß auch bei uns auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Verhältnisse hinge-arbeitet wird«.

Verschiedentliche Meldungen im Amtsblatt der Regierung deuten darauf hin, daß sich ein Brennpunkt in den Gasthäu-sern bildete, wo die Menschen zusammenkamen und heftig miteinander debattierten. Politischer Meinungsstreit kennt keine Sperrstunde, so daß die Ordnungshüter ihre liebe Not mit dem hatten, was sie als öffentliche Sicherheit betrachte-ten. Das Stadtschultheißenamt etwa machte im August 1848 bekannt, »daß die Polizeistunde genau einzuhalten sey« und das »Polizei-Personal« strikte Anweisung habe, Zuwi-derhandlungen anzuzeigen. Anlaß für die Bekanntmachung war, »daß häufig in den Wirthshäusern über die Polizeistun-de gezecht werde, und daß die verspäteten Gäste oft nicht zum Nachhausegehen zu bewegen seyen«. Es kam sogar vor, »daß muthwillige junge Leute die Gendarmen und son-stige Polizeibedienstete in Ausübung ihrer Pflicht durch ro-he Angriffe und Verfolgungen zu hindern suchten, um ihre nächtlichen Excesse zum Aerger der Gutgesinnten fortset-zen zu können«. Das fürstliche Oberamt sah sich deshalb gezwungen, die Behörden auf äußerste Pflichterfüllung zu drängen.

Aber das war eben im Herbst und weist den Weg zur Grün-dung des Märzvereins im Winter, dem sich die Neugrün-dung des Vaterländischen Vereins bekanntlich anschloß. Im Sommer 1848 gab es in Hechingen den bürgerlichen Dis-sens zwar wohl auch schon, aber er war nicht trennend ge-nug, um Raum für neue Vereine zu schaffen - für einen de-mokratischen Verein schon gar nicht, aber letztlich auch nicht für einen Vaterländischen Verein.

O T T O H. B E C K E R

Die Ubersiedlung des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin nach Schlesien aus archivischer Sicht

Recherchen zur Geschichte des Fürstenpaares Friedrich Wilhelm Konstantin (1801-1869) und Eugenie (1808-1847) von Hohenzollem-Hechingen im Bestand Hausarchiv Ho-henzollern-Hechingen des seit 1978 unter Eigentumsvorbe-halt im Staatsarchiv Sigmaringen hinterlegten Fürstlich Ho-henzollenschen Haus- und Domänenarchivs führen sehr häufig zu keinen positiven Ergebnissen. So werden bei-spielsweise von der Fürstin Eugenie geb. Prinzessin von Leuchtenberg in dem nach zeitgenössischen Vorbildern von den Archivaren Eduard Schwarzmann und Eugen Schnell in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts künstlich ge-bildeten Hausarchiv Hohenzollern-Hechingen nur jeweils ein Aktenfaszikel mit Unterlagen über deren Ableben, de-ren Testament mit Schriftgut über dessen Eröffnung aus den Jahren 1847/48 und Korrespondenz aus der Zeit von 1835 bis 1847 verwahrt. Auch der Bau der von dem damaligen Erbprinzenpaar 1833/34 errichteten Villa Eugenia im Domänenarchiv Hohenzollern-Hechingen des Depositums ist nur sehr fragmentarisch dokumentiert.

Diese Dokumentationslücke beruht sicherlich nicht auf ei-nem Zufall oder auf Nachlässigkeit. Der Befund läßt viel-mehr vermuten, daß Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin Unterlagen privaten Charakters nach Schlesien verbringen ließ, wohin er sich nach der Abgabe der Fideikommißgüter des Hauses Hohenzollern-Hechingen an die Sigmaringer Linie der schwäbischen Hohenzollen und der Übergabe sei-

ner Regierungsrechte an die Krone Preußen 1850 endgültig zurückgezogen hatte.

Die geäußerte Vermutung bezüglich der Dokumentati-onsdefizite in den Beständen Hausarchiv und Domänenar-chiv Hohenzollern-Hechingen durch archivalische Quellen im Bestand Ho 1 des Staatsarchivs belegt. So wies Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin mit Erlaß, gegeben am 25. Febr. 1850 auf Schloß Hohlstein in Niederschlesien, den Chef der Landesregierung in Hechingen, seinen Wirklichen Geheimen Rat Franz Gustav Frank von Fürstenwerth, an: »Nachdem mit der bevorstehenden Niederlegung Meiner Regierung in die Hände S[eine]r Majestät des Königs von Preußen Meine Cabinetskanzlei in Hechingen außer Thätigkeit tritt, so beauftrage ich Sie, die demgemäß erfor-derliche Actenausscheidung zu veranlaßen und die Behän-digung jener Aktenstücke, welche Mich und Meine Familie persönlich betreffen und weder auf Regierungs- noch Fidei-kommiß-Angelegenheiten Bezug haben - an Meinen Cabi-netssecretär Stettmund, den ich zur Entgegen-Nahme der betreffenden Acten hiemit anweise und bevollmächtige, einzuleiten«.

Am 30. März stellte der Kabinettsekretär Stettmund der Landesregierung in Hechingen den folgenden Revers aus: »Der Unterzeichnete bescheinigt hiemit durch Vermittlung F. Landesregierungs-Canzlei eine Kiste mit 2 Anhänge-schlössem und mit der Ueberschrift »Privatangelegenheiten

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Serenissimi< versehen, heute aus dem fürstl. Archive erhal-ten zu haben«. Ein Verzeichnis der ausgefolgten Akten liegt dem Vorgang nicht bei.

Unter dem Schriftgut, das damals nach Schlesien geschickt wurde, könnten sich auch Unterlagen über den Bau der Vil-la Eugenia befunden haben. So wurden in dem am 3. Febru-ar 1850 zwischen den beiden hohenzollenschen Fürsten ab-geschlossenen Haus- und Familienvertrag über die Abtre-tung der hohenzollen-hechingischen Fideikommißgüter an Fürst Karl Anton von Hohenzollen-Sigmaringen, der am 1. Mal 1850 in Kraft trat, dieses Palais und auch das Museum in Hechingen davon ausdrücklich ausgenommen. Diese al-lodialen Besitzungen Friedrich Wilhelm Konstantins ge-langten vielmehr erst mit dem am 2. Februar 1862 abge-schlossenen »Übereignungsvertrag wegen der Herrschaft Beutnitz und des Ritterguts Leitersdorf« an die Sigmaringer Linie der schwäbischen Hohenzollern. Mit dieser Aktenausfolgung hatte es offensichtlich nicht sein Bewenden. Im Hinblick auf die bevorstehende Abtre-tung seiner Regierungsrechte an Preußen schuf Fürst Fried-rich Wilhelm Konstantin, wie wir aus einem Erlaß vom 11. Februar erfahren, für die noch verbleibenden »Verwal-tungsgeschäfte« eine neue Behörde mit der Bezeichnung »Hofhaltung«, mit deren Leitung der Hofrat Speidel be-traut wurde. In einem weiteren Erlaß vom 11. März 1850 wurden der Hofmarschall Heinrich von Crousaz und der Oberjägermeister Baron von Hiller angewiesen, ihre bishe-rige »Geschäftsverwaltung« an Hofrat Speidel abzugeben und »die betr. Accten etc. etc. zu übergeben«. Diese Transaktion dürfte die Hauptursache für die auffal-lend dürftige Dokumentation der Hechinger Regierungs-und Verwaltungsbehörden im 19. Jahrhundert, vornehmlich der Geheimen Konferenz, der Landesregierung, des Forst-amts und auch der Hofkammer im Staatsarchiv bzw. im De-positum Fürstlich Hohenzollensches Haus- und Domänen-archiv gewesen sein. Über den Umfang der Aktenausfol-

gungen an die Hofverwaltung des Fürsten Friedrich Wil-hehn Konstantin können, da die entsprechenden Verzeich-nisse fehlen, freilich nur Spekulationen angestellt werden.

Über das Schicksal des im ehemaligen Fürstentum Hohen-zollem-Hechingen erwachsenen Schriftguts in Schlesien lie-gen uns keine Informationen vor. Vermutlich sind diese Un-terlagen zusammen mit den schlesischen Herrschaften Pol-nisch-Nettkow, Kölmchen und Schlanphof sowie den Rittergütern Petrowitz nach dem Ableben des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin am 9. September 1869 an dessen aus nicht standesmäßiger Ehe mit dem Freifräulein Amalie Schenk von Geyern zu Syrburg stammenden Sohn, den Grafen Friedrich von Rothenburg, gelangt. Jedenfalls wird in dem am 11. Oktober 1869 ausgefertigten Vertrag über die Übernahme der zur Verlassenschaft des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin gehörigen Herrschaft Hohl-stein im damaligen Kreis Löwenberg seitens des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigrnaringen nur die Über-gabe aller die Verwaltung und Verpachtung dieser Herr-schaft bezüglichen Unterlagen an das Rentamt Hohlstein vereinbart.

Über das Archiv der Grafen von Rothenburg in Schlesien liegen im Fürstlichen Archiv in Sigmaringen keine Unterla-gen vor. Entsprechende Anfragen bei polnischen Archiven blieben bisher unbeantwortet.

Quellennachweise:

STAS Ho 1 Nr. 800 (C- l -1 Nr. 65), FAS HS N Z 53,1405, DS Aus-wärtige Besitzungen Nr. 333 und 341.

Literatur:

Otto H. Becker: Die Herrschaft Hohlstein, ein ehemaliger Besitz der Fürsten von Hohenzollern in Schlesien. In: »Weit in die Welt hinaus...« Historische Beziehungen zwischen Südwestdeutsch-land und Schlesien. Ausstellungskatalog. Hrg. Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg. Bearb. von Annemarie Röder und Karl-Peter Krauss. Calw 1998. S. 31-39.

Ausgewählte Schriften und Gedichte von Ludwig Egler Ein Gedenkbuch, herausgegeben von der Stadt Hechingen, Redaktion Thomas Jauch

Als Ludwig Egler »von seinen Volksgenossen aufrichtig be-trauert, von Gelehrten und Dichtern anerkannt und geehrt, in seiner lieben Vaterstadt Hechingen« am 2. August 1898, drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag, starb, ging ein er-fülltes und vor allem arbeitsames Leben zu Ende. Beinahe mit Unglauben reagiert man angesichts der langen Liste sei-ner beruflichen, privaten, schriftstellerischen und öffentli-chen Tätigkeiten.

Nach seiner Jugendzeit, diese ist im ersten Teil des vorlie-genden Bandes beschrieben, arbeitete Egler weiterhin als gelernter Seifensieder im Geschäft seines Vaters, das er nach dessen Tod 1861 übernahm. Erst im fortgeschrittenen Alter, mit 38 Jahren, heiratete Ludwig Egler die 1843 geborene Magdalena Käßmodel, eine Tochter des vormaligen fürstli-chen Hofgärtners Karl Käßmodel. Das Paar hatte drei Töchter Antonia, verheiratet mit dem Lithograph, Photo-graph und Kaufmann Hermann Daiker, Lina, verheiratet mit dem Lehrer Karl Haiß und Luise, verheiratet mit dem Hechinger Stadtpfleger Wilhelm Klaiber.

In seinem Geschäft Am Rain 6, das Haus ziert heute eine im Rahmen der Albvereinstagung 1953 angebrachte Gedenkta-fel für Ludwig Egler, fertigte und verkaufte er u. a. Seife, Wasch- und Bleichmittel und Talgkerzen. Darüber hinaus

betätigte er sich als Versicherungs- und Auswanderungs-agent. Von 1871 bis zu seinem Tode war Egler verantwortli-cher Redakteur der Hohenzollerischen Blätter, deren natio-nalliberale Ausrichtung er prägte. Seine politische Einstel-lung führte zu Zeiten des Kulturkampfes zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Vertretern der ultramonta-nen Kirchenpolitik, was unzählige, oft polemisch geführte Seitenhiebe zwischen den Hohenzollerischen Blättern und dem konservativ ausgerichteten Konkurrenzblatt »Der Zol-ler« nach sich zog.

Im besonderen Maße hat Egler das öffentliche Leben He-chingens über Jahrzehnte mitgestaltet und geprägt. Während vieler Jahre war er als Mitglied im Bürgerausschuß und im Stadtrat in der Kommunalpolitik tätig. Egler wirkte in zahlreichen Vereinen und öffentlichen Gremien, u. a. war er Schriftführer und Chronist der Hechinger Feuerwehr, Schriftführer und Rechner des Landesausschusses der ho-henzollerischen Feuerwehren, Vorsitzender der ersten He-chinger Krankenkasse, der »Krankenkasse in Hechingen für Arbeiter, Dienstboten, Gesellen und Lehrlinge«, er war Mitglied im Verwaltungsrat der Höheren Töchterschule und der Frauenarbeitsschule und im Kuratorium der Kö-niglichen Realschule, der Vorgängerin des heutigen Gymna-

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siums. Aktiv betätigte sich Egler in den Vorständen des Landwirtschaftlichen Vereins, des Gewerbevereins, des Deutschen Vereins, des Abendvereins und des Verschöne-rungsvereins, daneben war er der Hechinger Vertrauens-mann des Schwäbischen Albvereins und Mitglied im Mu-sikverein sowie im Hohenzollerischen Altertums- und Ge-schichtsverein.

Fast unvorstellbar erscheint es in der heutigen Zeit, daß Eg-ler neben seinen beruflichen, familiären und öffentlichen Pflichten auch ein umfangreiches literarisches und wissen-schaftliches Werk hinterlassen hat. »Es waren die Geister unserer Dichter und Denker«, so schreibt Ludwig Egler in seiner Autobiographie, »mit welchen ich mein ganzes Le-ben hindurch im engren Verkehr gestanden.« Daß ihm dies nicht leicht gemacht wurde, davon zeugt seine Autobiogra-phie. Sein Wunsch nach einem Studium konnte ihm von den Eltern nicht erfüllt werden, die Hoffnung auf eine Ausbil-dung als Buchbinder zerschlug sich. Seine Begierde nach Geschriebenem wußte er jedoch auf vielfältige Art und Wei-se zu befriedigen, wenn er heimlich im Kuhstall oder nachts auf seinem Zimmer literarische, philosophische und histori-sche Werke las oder sich selbst Latein beibrachte. Erstmals konnte Egler 1847 ein Gedicht im Verordnungs-und Anzeigeblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-He-chingen veröffentlichen, es folgte eine lange Reihe von Pu-blikationen, darunter 12 Buchveröffentlichungen, sowie unzählige Gedichte und historische Aufsätze in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, mit denen sich der Schrift-steller und Forscher auseinandersetzte. Beeinflußt von der eben erst sich formierenden Wissenschaft der Germanistik, sammelte und bearbeitete er die Sagen und Mythen Hohen-zollerns, der Fürstin Eugenie von Hohenzollern-Hechin-gen widmete er eine Lebensbeschreibung und einen Sonet-tenkranz. Dem im 19. Jahrhundert im Entstehen begriffe-

nen Tourismus boten seine Führer durch Hechingen und die Burg Hohenzollern sowie für Bad Imnau mit Umge-bung und der Stadt Haigerloch eine Handreichung. Als Auswahl seiner Mundartgedichte konnte Egler 1881 die Sammlung »Aus'm Zollerländle« vorlegen. Für diese Ge-dichte gilt, was Hermann Fischer, der profundeste Kenner der schwäbischen Mundart, über Dialektdichtung allgemein geäußert hat, nämlich daß sie »von der Ueberkultur, wel-cher eine lang vom Volke getrennt lebende Literatur und Bildung leicht verfällt, sehr weit entfernt ist, daß [sie] inner-liche Wahrheit hat«.

Besonders hervorzuheben ist die 1887 erschienene »Chro-nik der Stadt Hechingen«. Es ist kaum zu ermessen, welche Leistung es im 19. Jahrhundert, wohlgemerkt für einen Au-todidakten, angesichts der unzureichenden Verfügbarkeit von Quellen und historischen Untersuchungen darstellte, mehr als 1000 Jahre Hechinger Geschichte in so kenntnis-reicher Weise zu behandeln. Die heute in dritter überarbei-teter und erweiterter Auflage vorliegende Chronik ist nach wie vor eine unverzichtbare Quelle für Forschungen über die Stadt Hechingen.

In der vorliegenden Auswahl aus den Werken Ludwig Eg-lers, die im übrigen mit Ausnahme der Chronik sämtlich vergriffen sind, sind Auszüge aus seiner Autobiographie, aus der Beschreibung von Hechingen und seiner Umge-bung, aus der Darstellung der Sagen und Mythen Hohen-zollerns und eine Auswahl seiner Mundartgedichte zusam-mengefaßt. Die Texte bieten einen Einblick in das Hechin-gen des 19. Jahrhunderts und reichen gleichzeitig über dieses hinaus, sind sie doch Grundlage für die Auseinander-setzung mit unserer Geschichte. Und nicht zuletzt erkennt man in den Mundartgedichten immer wieder alltägliche Wahrheiten, die auch heute noch gültig sind.

Thomas Jauch

KARL W E R N E R STEIM

Haigerlocher Brauchtum im Jahreslauf (Fortsetzung)

Schon einen Tag nach dieser Veröffentlichung sah sich der Haigerlocher Oberamtmann veranlaßt, ein Rundschreiben folgenden Inhalts an alle Bürgermeisterämter zu richten: »Durch Nro. 19 des Hohenzollerischen Wochenblattes und anderwerts ist hieher zur Kenntniß gelangt, daß in den Fa-schingstagen von Schulkindern Unwesen getrieben werde, und daß gegen dieses Unwesen eingeschritten werden soll-te. Wenn es nun auch zunächst Sache der Eltern und der Lehrer etc. ist, ... so ist doch hiemit der Thätigkeit der Poli-zei insbesondere da, wo jene ... ihren Pflichten nur wenig nachkommen, keineswegs ausgeschlossen, vielmehr werde das Bürgermeisteramt hiemit aufs Ernsteste angewiesen, ei-nem sich etwa zeigenden derartigen Unwesen mit aller En-ergie entgegen zu treten und nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene auf Grund des 340 Nro. 9 in die Schranken der Ordnungen des Gesetzes...« zu verweisen.

Der Haigerlocher Bürgermeister Stehle teilte - wohl wegen der erwähnten Vorkommnisse - am 19. Januar 1857 dem Regierungspräsidenten in Sigmaringen mit, er sei veranlaßt, betreffs der Fastnachtsbelustigungen eine polizeiliche Ver-fügung zu erlassen. Diese war dann sogar der Regierung zu geharnischt. Außerdem betonte die Regierung, sie setze voraus, es werde nur wirklichem Unfug entgegengetreten, da es nicht Absicht sein könne, harmlose und unschädliche

Volksbelustigungen zu unterdrücken. Nachträglich wurde nun von der Stadt eine Geldstrafe von mindestens sechs Kreuzern, eventuell eine 24stündige Arreststrafe festge-setzt. Bürgermeister Stehle schrieb an die Regierung, daß man »keineswegs unschuldige Vergnügungen verbieten, sondern einen großen Unfug, der sehr viel zur Verwilde-rung der Jugend beigetragen, entfernen wolle30. Endlich nahm die Stadt sogar ihre Polizeiverordnung wieder ganz zurück. Somit waren einmal preußische Behörden nach-sichtiger als die Stadt.

Zehn Jahre nach dem angeprangerten »Hexenspringen« der Kinder war 1867 vom »Butzenspringen« der Kinder und Erwachsenen »aus dem Haigerloch'schen« in der Zeitung zu lesen: »Es herrscht im ganzen Bezirk der große Unfug, daß an den Dienstagen und Donnerstagen von Dreikönig bis zum Fasching Schulkinder und der Schule Entwachsene »Butzenspringen«, d. h. sich in alte Weiberunterröcke, schmutzige Hüte und ekelhafte Kleidungsstücke aller Art verhüllen, mit Besen, Peitschen, Stöcken etc. bewaffnet die Gassen durchschwärmen, Rohheiten und Scandale aller Art verfuhren und die Straßen für jeden anständigen Menschen unsicher machen. Kann man diesem beispiellos rohen Überrest aus dem Heidenthum nicht entgegentreten? Gibt es kein Mittel, das Maskenvergnügen in die Grenzen des

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Anstandes zurückzuführen? Gibt es überhaupt keinen Er-satz für diese ungezogene Freude? Zunächst halten wir dafür, daß da, wo die erziehende Kraft der Schule an der In-dolenz der Eltern scheitert und nach außen ihre Schranken findet, die Polizei einschreiten und im Interesse der öffentli-chen Sicherheit und Sittlichkeit den Straßenunfug einfach unmöglich machen müßte. Bis jetzt - d. h. in früheren Jah-ren und heuer - ist es noch nicht geschehen, weshalb wir diese Angelegenheit öffentlich zur Sprache bringen möch-ten.«

Nach den alten Zeitungsberichten hatte vor allem die Ver-einsfastnacht im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ihre große Zeit, wobei überwiegend Theater gespielt wurde. Auch in dieser Beziehung verlief die Fastnacht gleich wie et-wa in Rottenburg am Neckar oder in Rottweil. Im übrigen war man natürlich von Umständen wie Krieg, Geldmangel usw. abhängig. Wichtigste Träger der Fasnet waren die 1843 gegründete Casinogesellschaft, aus der 1846 die Museums-gesellschaft oder »Herrenmuseum« hervorging. Als Gegen-stück dazu wurde später von der Bürgerschaft ein »Bürger-museum« gegründet, das sich ebenfalls der Fastnacht wid-mete. Sängerbund (1879) und Turnverein (1865) veranstalteten ebenfalls ihre Fasnetsbälle, wie auch die Mu-sikkapelle. Ursprünglich waren also die Vereine Träger des närrischen Geschehens in der Eyachstadt.

Von einem Narrenverein oder Narrenvorstand ist erstmals 1885 zu lesen, der eine »Bauernhochzeit« aufführte. Damals war der Verein ziemlich lose und konstituierte sich jährlich zur Fasnet neu. Erst im Jahre 1906 kam es zur Gründung ei-nes Karnevalvereins mit eigenen Statuten. Von da an lief das wichtigste Geschehen über ihn ab. 1925 wurde der Verein wiedergegründet. Er besteht - heute als Narrenzunft Hai-gerloch - noch immer. Zum wichtigsten Brauchtum ent-wickelte sich das alle Schaltjahr abgehaltene Bräuteln um den Marktplatzbrunnen.

Schmerzensfreitag - Freitag vor Palmsonntag

Ein beliebter Wallfahrtstag in der Schloßkirche war der Schmerzensfreitag. Unter der Schmerzensmutter von Jo-hann Georg Weckenmann am Chorgitter wurde eigens ein Altar aufgebaut. Die Wallfahrer kamen aus dem ganzen näheren und weiteren Raum Haigerloch, auch aus der Ge-gend von Binsdorf und Erlaheim.

Palmsonntag

Schon aus dem 4. Jahrhundert ist aus Jerusalem ein Prozes-sionsaufzug überliefert, der das biblische Geschehen dar-stellte, und aus dem 10. Jahrhundert stammt der älteste ent-sprechende Beleg aus Deutschland. Solche Aufzüge waren später weit verbreitet: Geistliche und Ministranten spielten den Einzug in Jerusalem nach, indem sie, von palmen-schwingenden Gläubigen begrüßt, auf Eseln ritten. Manch-mal waren diese Esel aus Holz geschnitzt und auf Räder montiert. Die Palmen werden aus Weidenkätzchen, die ja auch Palmkätzchen genannt werden, Haselzweigen, Wa-cholder, Buchsbaum, Stechpalmen u. a. zusammengestellt. Solche Palmen können einfache, kleine Sträußchen sein, die in der Kirche geweiht werden, aber auch die reinsten Kunst-werke, mehrere Meter hoch, verziert mit hölzernen Kreuz-chen oder solchen aus Holundermark. Die geweihten Pal-men werden ans Scheunentor oder neben die Haus- und Stalltüren gestellt.

In der Jugendzeit von Gertrud Zimmermann war es der Stolz der Haigerlocher Buben, möglichst große Palmen zu basteln. Drei oder vier Kinder mußten die langen Stangen in die Schloßkirche tragen, damit sie unterwegs nicht abbrachen.

In der Gärtnerei Haas/Zimmermann holte man die Zutaten, die es auf dem freien Feld nicht gab: Buchs, Thuja usw. Ge-ziert wurden die Palmen früher auch mit Kastanienblüten, die schon drei bis vier Wochen vorher geschnitten wurden, damit sie rechtzeitig zum Palmsonntag blühten. Wer als letz-ter die Kirche mit seinem Palmen betrat, der wurde in der Stadt als Palmesel verspottet. Deshalb standen die Buben am Palmsonntag sehr früh auf, trugen ihre Palmen zur Schloßkirche hinauf, wo sie an die Mauer gelehnt wurden. Dann ging man wieder heim und kehrte rechtzeitig vor dem Gottesdienst zurück. Während es sehr große Palmen in Hai-gerloch nicht mehr gibt, hat sich der Brauch, daß man auch verschiedene kleine Palmbüschel macht, weihen läßt und dann an Verwandte und Nachbarn gegen ein kleines Ta-schengeld verteilt, bis heute erhalten. Diese werden dann in der Regel an das Kruzifix in der Wohnstube gesteckt.

Karwoche

Die Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch und dauert bis Ostern, 40 Tage. Diese »Quadragese«, wie sie in der katholi-schen Kirche genannt wird, ist seit dem 4. Jahrhundert be-kannt; ihr Vorbild ist das Fasten Christi. Fasten war viele Jahrhunderte lang voller wirklich harter Einschränkungen -Fleischspeisen waren nicht erlaubt. Auch der Fisch, das ty-pische Fastengericht, durfte in den ersten Jahrhunderten der Quadragese nicht verzehrt werden. Heute sind die Fasten-gebote gelockert und werden auch von vielen Katholiken nicht allzu streng beachtet - mit Ausnahme der Karwoche, in der zunächst der Gründonnerstag noch Anklänge an alte Fastengewohnheiten bewahrt hat. Besonders am Karfreitag werden von vielen Menschen Fastenregeln beachtet, und zwar von Protestanten wie von Katholiken. Auf jeden Fall verzichtet man auf Fleisch.

Von Gründonnerstag bis zum Gloria im Gottesdienst am Karsamstag schweigen die Glocken. Dafür wurde in dieser Zeit früher eine große Rätsche auf dem Römerturm be-nutzt. Diese Aufgabe übenahm Luise Vogt, die sonst auch die Römerturmglocken läutete, später die Familie Trenkle. Schon um die Jahrhundertwende sagten die Eltern in Hai-gerloch ihren Kindern, wenn am Karfreitag die Glocken läuteten, drehe sich der Römerturm oder das Kapf. Vergeb-lich warteten dann die Kinder auf das Drehen, da ja die Glocken am Karfreitag stumm blieben. Am Mittwoch, Gründonnerstag und Karfreitag waren Metten in der Schloßkirche mit dem Singen der Leidensgeschichte, wobei sich ältere Haigerlocher noch an die markanten Stimmen von Karl Steim und anderen erinnern. Am Karsamstag fand die Auferstehungsfeier statt, der Priester weiht Wasser und die Osterkerze. Diese wird am Osterfeuer entzündet.

Ostern

Ostern ist das älteste und höchste Fest der Christenheit, das der Auferstehung des Herrn und der Überwindung des To-des. Es fällt auf den ersten Sonntag nach dem ersten Früh-jahrsvollmond; dabei gilt als Frühlingsanfang immer der 21. März. Das hat das Konzil von Nicaea im Jahre 325 festge-legt, und dazu noch, daß das Fest frühestens auf den 22. März, spätestens auf den 25. April fallen soll. Mindestens seit dem 12. Jahrhundert war die Weihe von Eiern in das li-turgische Ritual der Kirche aufgenommen worden; zur glei-chen Zeit erscheint Ostern als Abgabetermin für Zinseier. Damit sind wir schon auf den Spuren der Ostereier. Eier spielen in der Osterzeit deshalb eine so große Rolle, weil im Frühjahr die Hühner besonders fleißig legen. Wie der Hase zum Eierbringer wurde, wird eine Streitfrage bleiben. Die Volkskundler glauben, daß es diesen Brauch frühestens seit

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der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt. Man geht auch davon aus, daß die Gebildbrote in Form von Lämmern, wie sie heute noch überall gebacken und oft an Kinder ver-schenkt werden, als Hasen mißverstanden wurden. Es ver-steht sich, daß die bunt gefärbten oder bemalten Ostereier immer noch für die Kinder im Garten oder sonstwo ver-steckt werden.

Die Sitte der gefärbten Ostereier ist im Oberamt Haiger-loch ebenso heimisch wie anderwärts. Früher war es Brauch, dem Pfarrer in Haigerloch und auch vielfach auf dem Lande, zu Ostern von jedem Kommunikanten ein Ei zu reichen. Noch im 19. Jahrhundert fand in Haigerloch am Ostersonntag vor dem Amt die Schinkenweihe statt.

Ostereierfarben, »garantiert giftfrei«, bot 1910 die Haiger-locher Apotheke in der Zeitung an. Schon in ihrer Jugend gab es Osterhasen aus Zuckerguß, die Conditor Anton Mai-er selbst herstellte, berichtete Gertrud Zimmermann; erst später kamen Schokoladehasen dazu. (Fortsetzung folgt)

Josefstag -19. März

Am Josefstag gab es früher jeweils einen Festgottesdienst in der Schloßkirche. Die »Josefs« und »Josefinen« trafen sich an diesem Tag traditionell bei Josef und Josefine Kost im Gasthaus »Krone« oder bei Josef Schindler im »Löwen«31.

Aufgrund eines Vermächtnisses des aus Haigerloch stam-menden Geistlichen Rats Josef Marmon erhielt ab 1935 je-des Schulkind am Josefstag eine Brezel, die in der Unter-richtspause verteilt wurde. 1936 übernahm Marmons Schwester Angela die Bezahlung. Die Kindergartenkinder waren einbezogen. Insgesamt zählte man damals 176 Kin-der in der katholischen, evangelischen und jüdischen Schule sowie im Kindergarten. Die Verteilung besorgte der Amts-diener. Der Bürgermeister wies die Lehrer an, »die Schüler auf den Spender geeignet hinzuweisen«32.

1. April

»Der Brauch, am 1. April Neckereien zu verüben, das heißt Bekannte >in den April zu schickem, herrscht heute noch,

besonders bei der Jugend«, formulierte die Oberamtsbe-schreibung 1928. Daran hat sich nichts geändert. Kinder versuchen, sich etwa gegenseitig zu überreden, ein Päckchen »lbidum« (»Ich bin dumm«) in der Apotheke zu holen oder ähnliches. Den Hereingefallenen erwarten Spottverse: »Aprilakueh, mach d'Auge zue« oder »Aprila-gaas hot Dreck an d'r Nas«. Die Volkskunde geht davon aus, daß es sich dabei um Reste eines Frühlingsbrauches handelt.

Schon früher wurden in der örtlichen Presse manchmal mehr oder weniger gelungene April-Scherze veröffentlicht. So war vor Jahrzehnten angeblich eine Orgel auf dem Rö-merturm aufgestellt worden, die zur Unterhaltung der Stadtbevölkerung spielen sollte. Tatsächlich sollen sich Leu-te von der Unter- in die Oberstadt begeben haben, um die Orgel zu hören.

Georgitag - 23. April

Am Tag des hl. Georg wurden vielerorts Ritte und Pfer-demärkte abgehalten. Das ist darauf zurückzuführen, daß der heilige Georg, meist auf einem Pferd sitzend und als Drachenkämpfer dargestellt, als Pferdeheiliger gilt. Davon ist aber hier nichts überliefert.

Die früher üblichen Schülerfeste, wie z. B. am Georgitag, aber auch sonst, sind heute fast ganz in Abgang gekommen. »In Haigerloch bewegte sich am Georgitag der Zug der Schulkinder unter klingendem Spiel der türkischen Musik mit fliegenden Fahnen vom Schulhaus zum Festplatz, d. h. dem St. Anna-Hof, wo fröhlicher Gesang und heitere Spiele abwechselten.« So steht es in der Oberamtsbeschreibung. In der Tat lassen sich solche Schülerfeste bis ins 18. Jahrhun-dert zurückverfolgen.

Anmerkungen 30 0 A B , S . 884, 301. 31 Z . B . Haigerlocher Bote, Nr. 32, 18.3.1897; Ebd. Nr. 42,

18.3.1911.

WALTER KEMPE

Das alte Amtshaus zu Ostrach (Fortsetzung u. Schluß)

Die Fürstl. Thum und Taxis'sche Führung der Herrschaft Ostrach und Nutzung des Amtshauses Nicht lange dauerte das uneingeschränkte Verfügungsrecht des Fürsten von Thum und Taxis über Ostrach. Bereits 1806 wurde durch den Rheinbundakt dem Fürsten von Ho-henzollern-Sigmaringen die Landesherrschaft zugespro-chen. Beim Hause Thum und Taxis verblieben jedoch stan-desherrschaftliche Rechte und der Grundbesitz. Verwal-tungssitz blieb das ehemalige salemische Oberamtsgebäude, Rentamtstraße 1, Ostrach, in dem auch der jetzt Thum und Taxis'sche Oberamtmann Stehle wohnte. Ostrach erhielt je-doch noch ein weiteres Oberamt, das die Rechte des Für-sten von Hohenzollern-Sigmaringen als Landesherr vertrat. Mit Hohenzollern wurde 1850 dieses Amt preussisch. 1862 löste Preussen sein Oberamt in Ostrach, wie auch in Wald, auf und teilte beide verwaltungsmäßig dem Oberamt Sig-maringen zu. Mit dem Abzug des preussischen Oberamtes

aus Ostrach erfolgten auch weitere Veränderungen im Be-reich der Thum und Taxis'schen Behörden. Federführend wurde jetzt das Fürstl. Thum und Taxis'sche Rentamt in Ostrach. Man löste hierbei das Rentamt in Scheer auf und vereinte es mit dem in Ostrach. Das Rentamtsgebäude in Scheer wurde verkauft. Der dortige Rentmeister Maximili-an zum Tobel erhielt die Weisung, sich nach Ostrach zu be-geben und das vergrösserte Fürstl. Thum und Taxis'sche Rentamt Ostrach - Scheer zu übernehmen. Er erhielt seinen Sitz im ehemaligen salemischen Oberamtsgebäude, jetzt al-tes Rentamtsgebäude genannt.

Die Ubersiedlung des Rentmeisters zum Tobel bereitete ei-nige Schwierigkeiten. Ein längerer Briefwechsel mit seiner vorgesetzten Dienststelle erfolgte. So schrieb er u. a. am 23.06.1862 an die Hochlöbliche Domänen- Oberadmini-stration in Regensburg: »Wegen des festgesetzten Überga-betermins in Ostrach bin ich bereit, so schmerzlich es mir

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ankommt, meine Familie verlassen zu müssen, in das alte Rentamtsgebäude einzuziehen und mich mit 2 Zimmern zu begnügen, damit der kontraktierende Amtsschreiber Schlee daselbst auch provisorisch untergebracht werden kann. Meine Familie kann, wegen der Krankheit meiner Frau, erst dann übersiedeln, wenn die Baulichkeiten im neuen Rent-amtsgebäude ( wohl Pfullendorfer Straße 15, ehem. Gebäu-denr. 8 mit Waschhaus Nr. 133 ) vollendet sind. Die Loka-litäten im alten Rentamtsgebäude werden zum größten Teil als Arbeitslokale (Kanzlei) und zur Unterbringung der hie-sigen Akten (Archiv) dienen müssen.« Die Frau des Rent-meisters zum Tobel starb am 27. April 1869 in Ostrach nach ihrer Übersiedlung. Eine gußeiserne Grabtafel an der Fried-hofsmauer in Ostrach erinnert noch heute an sie.

serhalb der Scheuer zur Gasse hin. Heute kommt man über die Kellertreppe seitlich der Zehntscheuer direkt aus dem gewölbten Kellerraum ins Freie. Der Kellerraum selber ist jetzt einmal unterteilt. Vor Übernahme durch Thum und Taxis lagerte hier das Reichsstift Salem die Erzeugnisse sei-ner eigenen Weinberge, die zur Verteilung im Bereich Ostrach als sogenannter Besoldungswein für die Beamten und Geistlichen sowie zum Verkauf an die Wirte bestimmt waren. Der Keller konnte bis zu 60 Hektoliter Wein fassen (= 150 Eimer ä ca. 40 Liter). Da nun die fürstlichen Bedien-steten und die Geistlichen diesen Teil ihres Unterhalts nicht mehr als »Besoldungswein«, sondern in klingender Münze erhielten und auch kein Wein mehr zum Verkauf eingelagert wurde, blieb der Keller leer und konnte zunächst auch vom

Die alte Zehntscheuer von Ostrach mit der Jahreszahl 1595. Vorlage: Mitteilungsblatt der Gemeinde Ostrach.

Rentmeister zum Tobel und Amtsschreiber Schlee dürften bis zur Auflösung des Fürstl. Thum und Taxis'schen Rent-amts Ostrach-Scheer im Jahre 1877 in Ostrach tätig gewe-sen sein, wie zahlreiche Unterschriften unter Amtsschrei-ben und Pachtverträgen beweisen, so für die Fürstl. Thum und Taxis'sche Zehntscheuer und für die Oberamtsscheuer, die dann 1869 zum Abbruch verkauft wurde. Sie stand im rechten Winkel an der rechten Seite der Zehnt-scheuer, wie Grundrissplänen von 1849 und 1705 zu erse-hen ist.

Der Keller der Zehntscheuer

Bereits 1822 berichtete das Fürstliche Rentamt Ostrach über die Absicht, »den Keller beim Oberamtshaus dahier unter der Zehntscheuer« zu verpachten. Nach der Beschrei-bung hatte dieser Keller eine gewölbte Decke und war ca. 12,9 m lang, 3,3 m breit und 2,44 m hoch. Ein separater, ebenfalls gewölbter Kellerausgang mit Treppe führte aus-

Rentamt nicht genutzt werden. 1822 pachtete der Adlerwirt Willibald Böhm den Keller zur versuchsweisen Lagerung seines Braunbieres (nur 1-2 % Alkohol, schwach gehopft, wenig vergoren und oft etwas gesüßt).

Unter Rentmeister zum Tobel wurde er später auch an an-dere Ostracher Wirte verpachtet, die darin ihr Bier lagerten. Um 1835 versuchten Adlerwirt Böhm durch Neubau eines eigenen Braunbierkellers und Bruckwirt Knoll durch Aus-bau eines solchen Kellers im eigenen Wohnhaus eine Pacht-erneuerung für den Zehntscheuerkeller überflüssig zu ma-chen. Er wurde vom Bruckwirt jedoch weiterhin in An-spruch genommen.

Die Lagerung von Bier, wie man zumindest aus dem häufi-gen Wechsel der Pächter schließen kann, scheint nicht be-sonders erfolgreich gewesen zu sein. Dies mag aber nicht nur an der Qualität des Kellers, sondern auch an der für eine längere Lagerung fehlenden Eignung der damals gebrauten, meist obergärigen Biere gelegen haben.

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Tatsächlich erfolgte der entscheidende Durchbruch zu einer hohen Lagerfähigkeit von Bier erst später in Wien, wo Anton Dreher I einmal durch die Umstellung auf untergäriges Bier (1839), durch die Verbesserung von dessen Qualität und vor allem durch die not-wendige Reifung in natureisgekühlten Kellern (1840/42) eine ganzjährige Versorgung mit qualitativ gutem Bier möglich machte. Er gilt als der eigentliche Erfinder des »Lagerbieres«. Sein Vater Franz Anton Dreher (1736-1820) stammte von der »Krone« in Pfullendorf, war 1760 ziemlich mittellos nach Osterreich ausge-wandert, wo er als Bierkellner anfing und 1796 das Brauhaus Klein-Schwechat um 19 000 fl. erwerben konnte. Der Sohn Anton machte mit der Einführung des Lagerbieres und durch den Erwerb weite-rer Brauereien das Unternehmen zum größten seiner Art in der k.k. Donaumonarchie. Dessen Sohn Anton Dreher II (1849-1921) konnte das Unternehmen zum damals größten Brauereiunterneh-men der Welt ausbauen. (Grober, Joseph, »Pfullendorf im Linz-gau«, E.A. Schmidt Verlag Pfullendorf, 1988) Obwohl die Dreher im Mannesstamm ausgestorben sind, ist der Name Dreher auch heute noch mit der Brauereiwelt verbunden. Auf den Schildern des Schwechater Bieres prangt immer noch das Bild des Lagerbier-Er-finders Anton Dreher I, in Italien kann man Birra Dreher, in Un-garn Dreher Lager Bier trinken. Und wenn man von Wien nach Schwechat fährt, kommt man durch die Anton Dreher Strasse. Die Anton Dreher Gedächtnis Schenkung für medizinische Forschung unterstützt bis heute diese Forschungsrichtung in Osterreich. Der Brauführer des Anton Dreher I in den entscheidenden Jahren um 1840 ist ebenfalls ein Sohn unserer Heimat. Es war der erst 24jähri-ge Johann Götz aus Langenenslingen. Er gründete 1845 im damals österreichischen Galizien in der Nähe von Krakau eine eigene Brauerei. Er kam zu hohen Ehren und wurde vom Kaiser in den Freiherrenstand erhoben. Die von ihm gegründete Brauerei besteht im heutigen Polen auch heute noch und soll die größte des Landes sein. (Kommentar Dr. Hermann Frank)

Nach Wegfall der Zehntabgaben in Naturalien wurden vom Fürstlichen Rentamt Ostrach (später von der Fürstlichen Rentkammer Obermarchtal) auch Teile der Zehntscheuer selber an Ostracher Bürger zur Lagerung von Getreide und anderen Gütern verpachtet. Pacht- und später Mietverträge für die herrschaftliche«Zehntscheuer« liegen uns bis 1932 vor.

1865 informierte das Rentamt Ostrach die Fürstl. Domänen Oberadministration in Regensburg u.a. über das hiesige Feuerlöschwesen. Eine fahrbare Feuerspritze steht im Rat-haus der Gemeinde. Die beiden anderen Feuerspritzen, nämlich die kleine Handspritze in der Rentamtskanzlei und die größere tragbare im Archivraum der Zehntscheuer sind anbefohlenerweise dort aufgestellt. Im »Zehntscheuerar-chiv« waren zu der Zeit die älteren Registraturbestände des ehemaligen Rentamts Scheer untergebracht.

Die Auflösung des Fürstlichen Rentamts Ostrach-Scheer

Am 20. Oktober 1877 gab dann der Fürstl. Extraditions-Commissair in Ostrach, Seeberger, bekannt, daß das Fürstl. Rentamt Ostrach-Scheer aufgelöst und dem Fürstl. Rent-amt Marchtal einverleibt würde. Es hieß von da an Fürstl. Rentkammer Obermarchtal. Wieder fanden Veränderungen im Amtshause Ostrach statt. Künftig wurde das Gebäude

von der Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstverwaltung genutzt. Neben den Diensträumen als Oberförsterei wurde die Dienstwohnung für den jeweiligen Forstbeamten eingerich-tet. Wie die alten Bauakten ausweisen, erfolgte im April 1886 eine Modernisierung des Hauses, hier Forsthaus ge-nannt. Vom Keller bis zum Dach wurden neue Kamine mit Anschlüssen für sämtliche Räume eingebaut. Das Bauge-such wurde im Auftrag der Fürstlich Thum und Taxis'schen Rentkammer Obermarchtal gestellt. Bauaufseher war der Ostracher Zimmermann Riedle. Für die Gemeinde Ostrach unterschrieb Bürgermeister Kerle.

Eine gute Beschreibung des Hauses als »Revierverwaltungs-gebäude« der Fürstlich Thum und Taxis'schen Herrschaft mit genauer Angabe der Beschaffenheit der Innenwände, findet sich im Lagerbuch der (Feuer)Versicherungsanstalt, Oberamt Sigmaringen, Gemeinde Ostrach, vom 7.5.1914. Das Gebäude war teilweise unterkellert. Genzmer be-schrieb 1948 die Oberförsterei wie folgt: Zweigeschossiger, fünfachsiger Putzbau mit schöner Haustür, unten massiv, oben Fachwerk mit Satteldach in Biberschwanzdoppel-deckung.

Amtlichen Zwecken diente das Haus bis zur Auflösung der Fürstlich Thum und Taxis'schen Oberförsterei Ostrach im Jahre 1952 unter Oberförster Bergan. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Zusammenlegung mit der Oberförsterei Siessen zum Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstamt Siessen.

Am 1.7.1978 schließlich wurde das Forstamt Siessen mit dem Forstamt Littenweiler zum jetzigen Fürstlich Thum und Taxis'schen Forstamt Saulgau vereint. Nach 1952 bis etwa 1992 diente das ehemalige Amtshaus nur noch als Wohnsitz für verschiedene Bedienstete der FTT Forstverwaltung, unter anderem für den Revierförster Wilhelm Süß mit seiner Familie. Sie kamen 1958 nach Ostrach. Er selbst starb 1982.

In den letzen Jahren war das Gebäude nicht mehr bewohnt. Die dazugehörige »Zehntscheuer« wurde von der Fürstli-chen Forstverwaltung zuletzt noch als Lager für Geräte und dergleichen verwendet.

Nach Ubergang des ehemaligen Amtshauses und der »Zehntscheuer« im Jahre 1996 in Gemeindebesitz wäre, nach dieser beeindruckenden Vergangenheit, die Wieder-verwendung als Amtssitz der Gemeindeverwaltung ein schöner Traum, wenn heute die modernen technischen An-forderungen dem nicht entgegenstünden.

Mit der Ausstattung des Gebäudes als Heimatmuseum, ne-ben weiteren Ausstellungsmöghchkeiten und mit Ver-sammlungsräumen in der »Zehntscheuer«, würde man der Tradition jedoch auch gerecht.

Herrn Dr. Hermann Frank besten Dank für die freundliche Unter-stützung.

ANDREAS Z E K O R N

Das Leprosenhaus in Laiz

In diesem schmuck hergerichteten Häuschen, das nun als Museum für eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken des Künstlers Josef Henselmann dient, ging es früher höchst ärmlich zu. Versetzen wir uns drei oder vier Jahrhunderte zurück. Da gab es einen Holztisch, Holzbänke, ein paar Strohsäcke mit Bettlade und eine Waschschüssel. Dies war

das ganze Mobiliar für die sogenannten Leprosen oder Ar-men-Leute, die hier wohnten. Die Leprosen lebten größten-teils vom Bettel und Almosen.

Die Bezeichnungen Leprose und Lepra muten uns heute fremdartig an. Wir verbinden die Krankheit in der Regel mit Ländern der dritten und vierten Welt. Doch auch hier in

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Europa war die Seuche vornehmlich im Mittelalter bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein verbreitet. Seit der Antike war die Krankheit von Arabien und Palästina ausgehend im hohen Mittelalter bis nach Mitteleuropa vorgedrungen. Be-lege dafür sind unter anderem die Leprosenhäuser, die vie-lerorts eingerichtet wurden. Das Kloster St. Gallen besaß beispielsweise 763 ein solches Leprosenhaus. Die Krankheit selbst wird durch ein Bakterium hervorgeru-fen und durch Tröpfchen- und Schmierinfektion übertra-gen. Sie äußert sich in verschiedenen Formen. Hautflecken treten auf, knotige Auftreibungen der Nervenstränge und Geschwüre im Nasen-Rachen-Raum. Die Kranken können Verstümmelungen erleiden, erblinden und durch Kehlkopf-veränderungen eine rauhe Stimme erhalten. Die Krankheit kann sich sehr langsam entwickeln.

Der Aussatz wurde als unheilbar angesehen. Als wirksame Eindämmung der Infektionsgefahr galt die Absonderung der Kranken, die bereits in der Antike üblich war, in Europa sich aber erst auf einen Beschluß des 3. Laterankonzils im Jahre 1179 endgültig durchsetzte. Als Krankenrecht fiel die Regelung der Verhältnisse der Aussätzigen in die Ord-nungskompetenz der Kirche. Für die Feststellung des Aus-satzes waren im Mittelalter die bischöflichen Sendgerichte zuständig. Ab dem 13. Jahrhunderten ging die Lepraschau an vereidigte Wundärzte oder Stadtärzte über. Nach der Landesordnung für Hohenzollern-Hechingen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts waren bei spielsweise die Uberlinger Stadtärzte für die Leprosenschau zuständig. Auch die Ein-wohner der Grafschaft Sigmaringen, die der Krankheit ver-dächtigt wurden, schickte man nach Uberlingen.

Bei Verdacht auf Aussatz war eine genaue Untersuchung vorgeschrieben. Anhand der beschriebenen Anzeichen für Lepra konnte sie relativ genau diagnostiziert werden. War die Krankheit festgestellt, so erfolgte die Abscheidung des Leprosen nach einem besonderen Ritual: über den Aussät-zigen wurde das Totenamt verlesen. Anschließend wurde er in einem Sondersiechenhaus untergebracht. Für Unterbrin-gung und Unterhalt der Leprosen war im Mittelalter die Pfarrgemeinde bzw. der Landdechant zuständig. Das Bild der Leprosen in der mittelalterlichen Gesellschaft war dop-pelgesichtig: einerseits konnte die Krankheit als Folge der Sünde und äußeres Zeichen eines unchristlichen Lebens-wandels gelten, vor allem weil man im außerehelichen Bei-schlaf eine Übertragungsursache vermutete. Andererseits wurden die Leprosen von der Kirche wegen ihrer Leiden als wahre Märtyrer angesehen. Man nannte sie auch »Arme Leute« oder »Guote Leute«, woher sich die entsprechenden Bezeichnungen für die Leprosenhäuser als Armeleute- oder Guteleutehäuser herleiten. Als Märtyrern wurde den ver-storbenen Aussätzigen, denen ja bereits das Totenamt ge-halten worden war, die Messe für Märtyrer gelesen.

Das Leprosenhaus in Laiz trug typische Züge für dererlei Einrichtungen. Dies zeigt sich bereits an der Namensge-bung: in den Quellen wird es als Leprosen-, Sondersiechen-oder Arme-Leute-Haus bezeichnet. Das Haus war vom Dorfe Laiz durch die Donau getrennt. Die Absonderung der Kranken war folglich gewährleistet. Es lag an der Ver-kehrsstraße von Laiz nach Vilsingen, vermutlich um den In-sassen das Betteln zu erleichtern. Aus diesem Grunde wur-den Leprosenhäuser häufig an Durchgangsstraßen errichtet.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird die Laizer Einrich-tung in den städtischen und herrschaftlichen Quellen greif-bar. Damals befand sich die Lepra im deutschen Südwesten bereits auf dem Rückzug. Deshalb waren im Laizer Sonder-siechenhaus vermutlich nicht mehr ausschließlich Lepra-kranke beheimatet. In den Quellen werden die Insassen zwar wiederholt als »Leproseil bezeichnet, doch ist dies

wohl damit zu erklären, daß der Name »Leprosenhaus« ausschlaggebend für die Benennung seiner Bewohner war. Im Mittelalter hingegen dürften vorwiegend die Aussätzi-gen hier untergebracht gewesen sein. Daß sich später Nicht-lepröse in die Leprosorien einkauften und gesunde Bedien-stete angestellt waren, ist nichts Ungewöhnliches und war auch andernorts üblich. Dies ist auf die Liberalisierung des strengen Aussätzigenrechts beim Rückgang der Lepra zurückzuführen.

Im 17. und 18. Jahrhundert sind Kranke, Alte, Arme und auch Waisen als Einwohner des Laizer Siechenhauses be-legt. Sie kamen aus unterschiedlichen Orten der Grafschaft Sigmaringen. Das Laizer Sondersiechenhaus hatte demzu-folge eine zentrale Funktion. Dies ist möglicherweise darin begründet, daß die Stadt Sigmaringen selbst lange Zeit nur nominell über ein Spital verfügte. Die Aufgaben eines sol-chen Spitals übernahm das Laizer Arme-Leute-Haus. Wie in andere Leprosenhäuser konnte man sich nach dem Rück-gang der Lepra auch in die Laizer Anstalt einkaufen und ei-ne Pfründe, d.h. das Anrecht auf Versorgung oder zumin-dest Unterkunft, erwerben. Hierin ähnelte die Institution ebenfalls einem Spital.

Denkbar ist, daß die Sondersiechenpflege bereits im Mittel-alter eine zentrale Einrichtung war. Ihre Ansiedlung in Laiz dürfte daher rühren, daß sich hier die Mutterpfarrei von Sigmaringen befand. Das Haus wird zumindest für die Auf-nahme von Aussätzigen aus dem Pfarreisprengel zuständig gewesen sein, möglicherweise auch für einen größeren Be-zirk.

Lebensverhältnisse der Leprosen

Kommen wir zu den Lebensverhältnissen der im Siechen-haus Untergebrachten. Vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhun-dert hinein bildeten die Aussätzigen in einer Leprosenan-stalt eine Art religiöser Genossenschaft, eine Art Bruder-schaft, wie sie in Mittelalter und Früher Neuzeit häufig vorkamen. Für Neuankömmlinge gab es sogar eine Art No-viziat. Die Kranken gelobten Gütergemeinschaft, lebten nach einer Leprosenordnung und wählten aus ihrer Mitte einen Leprosenmeister. Die Leprosenordnung schrieb in der Regel Gleichheit von Nahrung und Kleidung vor. Auch für die Laizer Sondersiechen gab es noch im 18. Jahrhundert eine Satzung. Und noch 1725 wurde ein Bewohner dazu an-gehalten, sich gleich den anderen Leprosen mit einem schwarzen Mantel zu bekleiden1. Dies sind Hinweise dar-auf, daß die Laizer Leprosen ebenfalls in einer Art Bruder-schaft gelebt haben könnten. Die schwarzen Mäntel dürften darüber hinaus den Zweck gehabt haben, als äußeres Kenn-zeichen und Warnhinweis für die Krankheit zu dienen. Im allgemeinen mußten die Aussätzigen zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr kennzeichnende Kleidung tragen und mit akustischen Signalen, etwa mit Glocken oder Klappern, warnen.

Wie eingangs bemerkt, waren die Verhältnisse im Laizer Siechenhaus äußerst armselig. Um das Jahr 1600 wurde fest-gestellt, daß die »Armen Leute« eine Bank, einen Tisch, Strohsäcke für die gestifteten Bettladen nebst einer Wasch-schüssel benötigen würden, die Graf Karl von Hohenzol-lern-Sigmaringen zu bezahlen bereit war. Im Jahre 1716 be-richtete der Leprosenpfleger sogar, daß die Bewohner des Hauses wegen Mangel an Bettzeug die größte Not leiden würden und auf dem bloßen Stroh liegen müßten. Nicht einmal das Allernotwendigste war immer vorhanden. Dies ist kein Wunder, lebten doch die Leprosen größtenteils vom Bettel und von Almosen. Seit dem Frühmittelalter besaßen die Aussätzigen allgemein das Bettelrecht.

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Ähnlich verhielt es sich bei den Laizer Sondersiechen. Vor ihrem Haus, das, wie bemerkt, an einer Durchgangsstraße lag, war ein Opferstock angebracht. Am Sonntag durften sie zum Betteln vor die Stadtpfarrkirche in Sigmaringen gehen und danach in der Stadt sammeln, so bestimmte es Graf Karl II. um das Jahr 16002.

Einmal in der Woche erhielten die Leprosen im Schlofl von der Herrschaft die Hofsuppe3.Zu den Einkünften aus dem Bettel kamen die Almosen hinzu. Bereits im Mittelalter wurden die Leprosen im allgemeinen bevorzugt vor ande-ren Armen mit Spenden bedacht. Mittelalterliche Leproso-rien gelangten durch Schenkungen oder Stiftungen oft zu beachtlichem Wohlstand. Auch für das Laizer Sondersie-chenhaus gab es eine sogenannte Leprosenpflege, die, wie andere kirchliche Pflegen, auf Stiftungen zurückzuführen sein dürfte. Insbesondere die Grafen und Fürsten traten wiederholt als Almosengeber und Spender von Einrich-tungsgegenständen in Erscheinung. Ferner werden als Spender solcher Gegenstände die Klöster Gorheim und He-dingen, einzelne Nonnen dieser Klöster, Geistliche und Bürgersfrauen faßbar.

Im Zuge der spätmittelalterlichen Kommunalisierung, d.h. der Übernahme von Kompetenzen durch Städte, ging die Verwaltung der Sondersiechenhäuser von den aus der Mitte der Kranken gewählten Leprosenmeistern an nichtaussätzi-ge Pfleger über. In der Zeit als das Laizer Sondersiechenhaus in den Quellen faßbar wird, wurde die Leprosenpflege be-reits durch bürgerliche Pfleger verwaltet. Bis 1637 besetzte der Sigmaringer Stadtrat die Stelle der beiden Leprosenpfle-ger. Sogar die Schultheißen übernahmen teilweise dieses Amt. Nach 1641 zog die fürstliche Herrschaft die Beset-zung der Stelle an sich. Dies ist typisch für die Verhältnisse in Sigmaringen: die Herrschaft versuchte auch in anderen Fällen, etwa bei der Heiligenpflege, die für die Vermögens-verwaltung der Stadtpfarrkirche zuständig war, die Kon-trolle an sich zu ziehen. Es waren Bestrebungen, die Herr-schaft zu zentralisieren und zu intensivieren. Mehrfach wehrten sich die Bürger gegen solche Angriffe auf die städ-tischen Selbstverwaltungskompetenzen erfolgreich, zum Teil mit österreichischer Hilfe.

Bei der Leprosenpflege erlangte der Fürst ohne erkennba-ren Widerstand der Stadt die Kontrolle. Allerdings befand sich die Verwaltung der Pflege weiterhin in den Händen bürgerlicher Pfleger, die zugleich Ratsherren waren. Die Pfleger wurden in der fürstlichen Kanzlei vereidigt, erhiel-ten dort ihre Instruktionen und waren dem Fürsten rechen-schaftspflichtig. Die fürstliche Verwaltung übte eine relativ strikte Aufsicht aus.

Die Aufgabe der Leprosenpfleger war es, das Vermögen des Siechenhauses zu verwalten. Die Übernahme solcher Pfleg-schaften war im allgemeinen recht beliebt: zum einen gab es einen kleinen Nebenverdienst, zum anderen konnte man sich unter Umständen günstige Kredite verschaffen.

Die Leprosenpflege ging, wie bemerkt, auf Stiftungen zurück, die bereits im Mittelalter erfolgt waren. Die Haupt-einnahmen flössen aus verliehenem Kapital. Derartige Pfle-gen, wie die Leprosenpflege oder die bereits erwähnte Hei-ligenpflege, erfüllten in Sigmaringen und anderswo die Auf-gabe von Darlehenskassen. Benötigte jemand von den Einwohnern der Grafschaft Sigmaringen Geld, so wandte er sich in der Regel an eine oder mehrere Pflegen, um dort Geld aufzunehmen. Andere Möglichkeiten der Kreditauf-nahme waren rar. Der Zinssatz bewegte sich meist um die 5 % . Bei der Leprosenpflege können nun Kreditnehmer aus zahlreichen Orten der Grafschaften Sigmaringen und Ver-ingen nachgewiesen werden. Die Zinseinnahmen mehrten das Vermögen der Pflege, und die Pfleger waren gehalten,

zurückbezahltes Geld sofort wieder anzulegen. Auf eine ausreichende Absicherung durch Unterpfand war dabei zu achten. Durch die Kreditvergabe wuchs das Kapital der Le-prosenpflege merklich an. 1588/89 lagen die Zinseinnahmen bei rund 28 fl pro Jahr, 150 Jahre später waren es 87 fl. Das Kapital dürfte sich damit von ca. 560 fl auf ca. 1.958 fl er-höht haben.

An regelmäßigen Ausgaben hatte die Pflege zunächst die Besoldungen zu tragen: die Leprosenmagd erhielt jährlich 3 fl, die beiden Pfleger bekamen ebenfalls je 3 fl. An den Be-trägen wird deutlich, daß die Verwalterstelle etwas abwarf.

Zur Leprosenmagd ist an dieser Stelle zu bemerken, daß sie für die »Armen Leute« im Siechenhaus sorgte. Neben der genannten regelmäßigen Besoldung hatte sie noch weitere kleinere Einkünfte, erhielt wohl freies Essen und vor allem aus der fürstlichen Kasse nochmals einen erheblichen Besol-dungsanteil. Zeitweilig war für die Kranken sogar ein eige-ner Siechenbader angestellt.

Neben den bereits erwähnten Ausgaben trug die Leprosen-pflege die Kosten für den baulichen Unterhalt des Gebäu-des. Auch bekamen die Leprosen selbst Zuwendungen aus der Kasse. Schließlich übernahm die Pflege Kurkosten für Leprose oder bezahlte das Begräbnis. In den Jahren 1777/78 erfolgte gar ein Neubau des Hauses. Allerdings scheint das Siechenhaus zur Unterbringung von Kranken und Alten bald nicht mehr notwendig gewesen zu sein. 1814 wurde es nur noch von dem ehemaligen Jäger Jo-seph Rosenzweig bewohnt. Nun verkaufte die fürstliche Regierung das Gebäude für 700 fl an die Gemeinde Laiz. Zugleich wurde die Leprosenpflege aufgelöst und das Kapi-tal in Höhe von 7.500 fl der Landschaftskasse zugeschlagen. Die Landschaftskasse war die Steuerkasse und die zentrale Landeskasse für Sigmaringen gewesen4. Das Gebäude wur-de in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Verkauf nur noch wenig beachtet. Es diente als Unterkunft für verschie-dene Bewohner. Der Ankauf des Gebäudes durch Professor Henselmann weckte es quasi aus einem Dornröschenschlaf. Es ist ein geschmackvolles Haus, das sich uns heute präsen-tiert. Armut und Elend, die einst hier zu Hause waren, wer-den glücklicherweise nur noch vor unserem geistigen Auge sichtbar.

(Vortrag anläßlich der Einweihung des Kunst-Museums Laiz mit Werken des in Laiz geborenen Künstlers Josef Hen-selmann am 12. Juni 1999)

Quellen und Literatur (soweit nicht gesondert aufgeführt):

Zum Leprosenhaus in Laiz mit weiteren Belegen: Andreas Zekorn, Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Ver-fassungs-und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und 18. Jahrhundert, Sigmaringen 1996 (Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns, Bd. 16), S.237-248

Zur Lepra und den Leprosenhäusern allgemein: - Artikel »Aussatz«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I,

Sp.12491257 - Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und

Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, bes. S. 35ff., S.99f., S.104f., S.161.

- Arnold Weller, Sozialgeschichte Südwestdeutschlands, Stuttgart 1979, bes. S. 13-24.

Anmerkungen:

1 STAS, Ho 80a, C.II.l.c.Nr. 1., Verhörs-, Amts- und Oberamts-justizprotokoll 46,p.552 (16.6.1752).

2 STAS, Dep. 1, Akt. 1975. 3 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz, in:

Schwarzwälder Bote 1952, Nr. 33. 4 Maximilian Schaitel, Das Sondersiechenhaus in Laiz.

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GERD BANTLE

Professor Dr. med. Hermann Lieb

Mit der Geschichte des Sigmaringer Fürst-Carl-Landes-krankenhauses (heute Kreiskrankenhaus) ist ein Name eng verbunden, der des langjährigen Arztlichen Direktors, Pro-fessor Dr. Hermann Lieb. Er starb 1968. Auch in Hettingen ist man heute noch stolz auf Professor Dr. Lieb, der am 6. April 1897 in dem Lauchertstädtchen zur Welt kam. In Würdigung seiner Verdienste wurde er am 17. November 1954 zum Ehrenbürger seiner Heimat-gemeinde ernannt. Nach ihm wurde dort auch eine Straße benannt.

Als der Arztliche Direktor vor 30 Jahren in seinem Sigma-ringer Heim an der Brenzkofer Straße (heute wohnt Bür-germeister Gerstner dort) gestorben war, wurde sein Le-benswerk in ehrenden Nachrufen umfangreich gewürdigt. Hervorgehoben wurden unter anderem seine große ärztli-che und menschliche Einsatzbereitschaft, sein Pflichtbe-wußtsein und fachliches Wissen sowie sein Weitblick, der für die Krankenhaus-Entwicklung förderlich gewesen ist. Dr. Hermann Lieb wirkte von 1924 bis 1963 im Fürst-Carl-Landeskrankenhaus, dem er von 1943 an als Arztlicher Di-rektor vorstand als Nachfolger von Dr. End. Höhepunkte in seinem Leben waren außer der Verleihung der Hettinger Ehrenbürgerwürde 1952 die Verleihung des Bundesver-dienstkreuzes und 1954 die Ernennung zum Professor. Der engagierte Mediziner war stets um Fort- und Weiterbil-dung bemüht und nutzte sein Wissen zur Weiterentwick-

lung und Modernisierung des Sigmaringer Krankenhauses. So kam es nicht zuletzt dank seiner Initiativen zum Verbin-dungsbau zwischen dem Hauptgebäude, dem Josefshaus und dem Wirtschaftstrakt, zum Ausbau der Operationssäle, zur Einrichtung eines Entbindungsraums und Neugebore-nenzimmers und von Röntgenräumen. Dann erfolgte die Einrichtung einer geburtshilflichen Abteilung. Auch an der Aufgliederung der allgemeinen Krankenabtei-lung in drei Fachabteilungen (Nervenabteilung, Chirurgie, Innere Abteilung) war Dr. Lieb maßgebend mitbeteiligt. Sein späterer Nachfolger, der heutige Sigmaringer Ehren-bürger Dr. Rudolf Eisele, würdigte Liebs Wirken als Arzt mit den Worten: »Seine Arbeits- und Einsatzbereitschaft für die Kranken kannte keine Grenzen.«

Auch außerhalb seines ärztlicher Gebiets hat sich Professor Dr. Lieb für die Bevölkerung verdient gemacht: Als langjähriger Vorsitzender beim Kreisverein des Deutschen Roten Kreuzes und in der Kommunalpolitik, in der er sich im Kreistag engagierte, in den er auf der CDU-Liste 1953 gewählt worden war. Verheiratet war Dr. Lieb mit Rosa Schüler, die ihm zwei Söhne und eine Tochter schenkte, die alle im Bereich der Medizin Fuß faßten. Es war ein schwerer Schlag für die Familie, als wenige Tage nach dem Tod von Professor Dr. Lieb auch dessen Sohn, der Zahnarzt Dr. Günter Lieb, Privatdozent an der Universität Würz-burg, im Alter von erst 36 Jahren starb.

Buchbesprechungen

Botho Walldorf, 100 Jahre Hohenzollerische Landesbahn AG 1899-1999, Von Lokomotiv-Lebensläufen und vergan-genen Arbeitswelten.

Der Bau der Hohenzollerischen Landesbahn, damals noch als Kleinbahn bezeichnet, begann am nördlichen und südli-chen Ende, nämlich mit den Strecken Sigmaringen-dorf-Bingen und Eyach-Haigerloch. Gammertingen wurde schon 1901 mit Kleinengstingen verbunden und Burladin-gen mit Hechingen. Diese Strecken wurden von den »Loks mit dem langen Kamin« befahren. Jede Teilstrecke hatte auch einige Personenwagen und einen Packwagen. Das Buch bringt mehrere sehr schöne Abbildungen von diesen ältesten Landesbahn-Loks, von denen einige noch bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu sehen waren.

1908 wurden die einzelnen Strecken der Landesbahn durch den Bau der Strecke Burladingen-Gammertingen-Bingen zusammengeführt und mit dem 1909 erfolgten Anschluß des Regierungssitzes Sigmaringen fertiggestellt. Die Ver-größerung des Bahnnetzes und die Steilstrecken Killer-tal-Burladingen und Neufra-Gammertingen machten die Anschaffung von größeren Lokomotiven notwendig: Die Maschinen wurden größer, die Kamine kürzer. In der Be-triebwerkstätte Gammertingen wurden die Loks gewartet und ständig modernisiert; auf Heißdampf umgebaut, mit neuen Bremssystemen, elektrischer Beleuchtung und vielen anderen Dingen versehen. 1956 fuhr auf der Landesbahn die erste Diesellok. Nach 1960 wurde der Dampflok-Betrieb endgültig eingestellt.

Schon um 1934 wurde mit der Umstellung des Personen-

verkehrs auf Triebwagen begonnen. Auch diese hat Wall-dorf ausführlich fotografisch dokumentiert. Das Buch bringt aber nicht nur Bilder von Loks, sondern auch von vielen anderen Einrichtungen. Es gab mehrere Bahnhöfe mit Wartesaal, Diensträumen und einer Dienstwohnung im oberen Stock, kleinere mit einem Dienstraum und Warte-raum und schließlich kleine Fachwerk- oder Wellblechhüt-ten wie in Mariaberg oder im Hasental in der Haid - Be-darfs-Haltestellen. Manche sind längst abgerissen, andere umgebaut. Es gab (und gibt) auch vieles, was die Fahrgäste nicht sahen, wie z. B. Signalanlagen, Schneeräumen, Streckenbegehung usw. Vieler Personen wird gedacht, die ihre Lebensarbeit bei der Landesbahn verbracht haben. Es gibt in dem Büchlein nicht nur technikgeschichtliche Fotos, sondern auch ausgesprochen romantische und schöne Bil-der mit Sonne, Schnee, weißem Dampf und großen schwarzen Rauchwolken.

Das Buch erschien im Selbstverlag des Verfassers: Botho Walldorf, Lenaustraße 23; 72827 Wannweil (DM 30.-).

Hechingen und Burg Hohenzollern

Herausgegeben von den in Hechingen geborenen Buch-händlerinnen Teresa Welte (von ihr stammen die meisten prächtigen Farbfotos) und Dorothea Welte (Text) erschien im Tübinger Silberburg-Verlag der 72seitige Bildband »He-chingen und Burg Hohenzollern« (ISBN 3-87407-273-8; 29,80 DM). Es ist ein idealer Band zum Schmökern und Verschenken. Er informiert kurz und prägnant über die be-

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wegte Stadtgeschichte und das Betrachten der Bilder macht Lust, sich an Ort und Stelle auf Entdeckungsreise zu bege-ben, denn Hechingen und die Umgebung haben weitaus mehr an Sehenswürdigkeiten und Attraktionen zu bieten als »nur« die Burg Hohenzollern, in der allein es natürlich ge-nug zu schauen und zu erleben gibt. Textteil und Bilderläu-terungen wurden von Linda Fecker und Hans Welte ins Englische und Französische übersetzt. Das Buch bringt da-her nicht nur den Einheimischen Gewinn, sondern ist auch eine Fundgrube und schöne Erinnerung für auswärtige und ausländische Hechingen-Besucher. ba

Lesegenuß und Rätselraten

Wer sich für Landesgeschichte interessiert und gern Rätsel löst, sei auf zwei im Silberburg-Verlag erschienene 128seiti-ge (Preis je 19,80 DM) Bücher aufmerksam gemacht: »Wer weiß, wer's war?« (ISBN 3-87407-306-8) und »Wer weiß, wo 's ist?« (ISBN 3-87407-307-6). Im ersten stellt der Jour-nalist Helmut Engisch 60 baden-württembergische Persön-lichkeiten vor, deren Namen zu erraten sind, und im zwei-ten fragt der Journalist und Historiker Dr. Jürgen Heinel nach 50 Orten, Bauwerken und Gegenden, die in Württem-berg geschichtlich bedeutsam sind. Die Lösungen werden (im Anhang leicht versteckt) mitgeliefert und enthalten nochmals vielerlei interessante Informationen. Da auch Anekdotisches nicht zu kurz kommt, werden Lesen und Raten zum Genuß. Fotos im einen und Zeichnungen im an-dern Band sorgen für zusätzliche Auflockerung. ba

Schwäbisches Paradies

Von dem Ulmer Schriftsteller Manfred Eichhorn ist im Sil-berburg-Verlag ein weiteres Mundartstück erschienen: »Das Schwäbische Paradies« (112 Seiten, 12 Fotos, 19,80 DM; ISBN 3-87407-339-4). Zugrunde liegt dem Buch »Die G'schicht vom Brandner Kaspar« von Franz von Kobell und Kurt Wilhelm. Manfred Eichhorn schuf einen Sechsak-ter für Laientheater-Ensembles (19 Rollen; durch Doppel-besetzung kann das Stück von vier weiblichen und sechs männlichen Darstellern bewältigt werden), dem es an Witz, Hintergründigkeit und Dramatik nicht mangelt. Im Inhalt geht es um die Frage: Gelingt es, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen? ba

Ihren Nachkommen hat Anna Schmidt aus Gauselfingen das Buch »Und trotzdem scheint die Sonne durch« gewid-met (Mauer-Verlag, Rottenburg, ISBN 3-931627-50-0). Le-senswert, weil ehrlich erzählt und anrührend, ist es aber auch für jenen Leserkreis, der lebensnahe, unverfälschte Le-bensgeschichten aus dem Bereich der Heimat schätzt. Anna Schmidt beschreibt das wechselvolle Leben ihrer Familie, in der der Vater die Hauptrolle spielt. Es geht um Not und Scheitern, aber auch um gegenseitige Hilfe und Gemein-schaftssinn. Viele Zeitgenossen dürften Ähnliches erlebt ha-ben und das Buch darum mit Rührung und innerem Ge-winn lesen. Schade ist, daß bei Drucklegung und Buchbin-dung nicht gerade mit Sorgfalt gearbeitet wurde. Anschrift der Verfasserin: Anna Schmidt, Bubenhofen-straße 4; 72393 Burladingen. ba

Tagung »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau«

Die variantenreiche Vielfältigkeit der habsburgischen Herr-schaft in Südwestdeutschland in Spätmittelalter und Früher Neuzeit offenbarte eine Vortragsveranstaltung unter dem Thema »Vorderösterreich an oberem Neckar und oberer Donau«, zu der die Landkreise Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen und Zollernalb sowie der Hohenzollerische Ge-schichtsverein am 16. Oktober 1999 nach Schömberg-Schörzingen eingeladen hatten. Nach der Begrüßung durch den Baiinger Landrat Willi Fischer im Namen der veranstal-tendn Landkreise wurden den annähernd 100 Zuhörern in der Schörzinger Hohenburghalle in insgesamt acht Einzel-vorträgen regionale Fallbeispiele und Erscheinungsformen der österreichischen Herrschaftspraxis und der damit stets einhergehenden ausgeprägten Partizipation der bäuerlichen und bürgerlichen Untertanen vorgestellt.

Der Rottweiler Kreisarchivar Bernhard Rüth stellte den kaufweisen Übergang der Ritterherrschaft Schramberg an das Haus Österreich 1583 als geradezu zwangsläufige Kon-sequenz einer bereits lange bestehenden Einbindung der Herrschaftsinhaber in das habsburgische Netzwerk dar. 1648 wurde die an der Nahtstelle zwischen Schwäbisch-Österreich und den habsburgischen Besitzungen im Schwarzwald und am Oberrhein gelegene Herrschaft an die Freiherren und späteren Grafen von Bissingen und Nippen-burg verpfändet und in der Folge sodann als sog. Kunkel-lehen unter Vorbehalt der österreichischen Landeshoheit überlassen. Interessant ist, daß nach Rüths Worten in der kollektiven Erinnerung der Schramberger die Verbindung zu den vor Ort ansässigen Bissinger Pfand- und Ortsherren den österreichischen Zusammenhang weithin überlagert hat. Durch eine lange und wechselvolle Verpfändungsge-

schichte zeichnet sich auch die benachbarte, von Hans Pe-ter Müller vorgestellte Herrschaft Oberndorf aus, die 1381 zusammen mit der Grafschaft Hohenberg von Österreich erworben worden war. Die Bandbreite der Pfandherren reicht von den schwäbischen Reichsstädten, den Markgra-fen von Baden, den Herren von Zimmern und Württemberg im Spätmittelalter bis zu den Herren von Hohenberg und den Herren von Pflummern im 17. und 18. Jahrhundert.

Auf eine lange und überaus vitale Tradition der kommuna-len und landschaftlichen Partizipation und Repräsentation der Untertanen konnte der Tuttlinger Kreisarchivar Dr. Joa-chim Schuster in seinem Vortrag über »Friedlingen und Spaichingen - die >Hauptorte< Oberhohenbergs« verweisen. Die Geschichte der Oberhohenberger Landschaft als einer genossenschaftlichen Interessen- und Leistungsgemein-schaft der 15 Ortschaften der »oberen« Grafschaft läßt sich dabei bis ins 15. Jahrhuzndert zurückverfolgen. Über den ursprünglichen Hauptdaseinszweck im Steuerwesen hinaus entwickelt sich die Landschaft in der Frühen Neuzeit zu ei-ner selbstbewußten und streitbaren Korporation, die bei-spielsweise zum Nutzen der bäuerlichen Bevölkerung zeit-weise den herrschaftlichen Forst pachtet und sich der Ver-pfändung der Herrschaft an die Herren von Ulm widersetzt. Fridingen, dem einzigen Städtchen und jahr-hundertelangen Amtssitz Oberhohenbergs wurde im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts von Spaichingen als Wirt-schaftszentrum und sodann auch als Verwaltungsmittel-punkt der Rang abgelaufen.

Die Risiken der von Habsburg betriebenen Verpfändungs-politik konnte der Sigmaringer Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst Weber am Beispiel der Herrschaft Gutenstein deut-

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PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«

lieh machen, geriet hier doch in den eineinhalb Jahrhunder-ten der Pfandschaft der Herren und Grafen von Zimmern die Zugehörigkeit zu Osterreich weitgehend in Vergessen-heit. Zudem nahmen die Meßkircher Pfandherren gegen den Widerstand ihrer bäuerlichen Untertanen eigenmächti-ge, gewaltsame Veränderungen von Gemeindegrenzen vor, die drei der vier gutensteinischen Ortschaften massive und lange nachwirkende Konflikte bescherten. Für die öster-reichisch lehenbaren Grafschaften Sigmaringen und Verin-gen was das Erzhaus in erster Linie als Appellationsinstanz in den zeitweise massiven Konflikten zwischen der zolleri-schen Ortsherrschaft und ihren bäuerlichen und bürgerli-chen Untertanen vom 16. bis ins 18. Jahrhundert von Be-deutung. Der Baiinger Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn verwies in seinem »unter dem Schutzflügel des Kaiserad-lers« überschriebenen Beitrag auf die ausgleichende und konflikteindämmende Wirkung, die Österreich als Lehens-und Landesherrschaft in diesen Auseinandersetzungen aus-übte.

Von einer fortschreitenden »Verbauerung«, einem Vordrin-gen der landwirtschaftlichen Orientierung war nach den Worten des Rottenburger Stadtarchivars Karlheinz Geppert M. A., die wirtschaftliche Entwicklung der österreichischen Städtchen Schömberg und Binsdorf in der Frühneuzeit ge-prägt. Von schier endlosen und für die verschiedenen Pfand-herren geradezu ruinösen Untertanenkonflikten berichtete Dr. Martin Zürn in seinem Vortrag zu der auf dem Heuberg gelegenen und vier Dörfer umfassenden österreichischen Herrschaft Kallenberg in der Frühen Neuzeit. Hauptkon-fliktpunkte waren dabei der herrschaftliche Anspruch auf

die Nutzung von Allmenden und Waldungen, gegen den sich die bäuerlichen Gemeinden in einer langen Wider-standstradition zur Wehr setzen.

Nach einem von der Volkstanzmusik Frommem umrahm-ten Empfang durch den Zollernalbkreis und die Stadt Schömberg und Grußworten u. a. von Dr. Otto Becker, dem Vorsitzenden des Hohelzollerischen Geschichtsver-eins, verwies Prof. Dr. Franz Quarthai in seinem ab-schließenden Abendvortrag auf den engen, bis ins 14. Jahr-hundert zurückzuverfolgenden Zusammenhang zwischen dem Aufbau und Funktionieren der österreichischen Herr-schaft einerseits und der finanziellen Mitwirkung der be-troffenen Untertanen andererseits. Der Erwerb Hohen-bergs beispielsweise gelang Österreich 1381 gegen die Kon-kurrenz Württembergs nur dank der außerordentlichen Unterstützung durch die Untertanen der Grafschaft, die aus politischem Kalkül unter die Herrschaft des mächtigen Erz-hauses strebten. Nach Quarthals Bewertung ist dieser Vor-gang im ausgehenden 14. Jahrhundert der Ausgangspunkt für die jahrhundertelange, lebendige Tradition der politi-schen Repräsentation und Partizipation der Untertanen und ihrer Landschaften in Hohenberg.

Bie Beiträge der inhaltlich fruchtbaren Tagung, die die Kenntnisse über die zeitweise nahezu in Vergessenheit gera-tende österreichische Vergangenheit unserer Region be-trächtlich erweitern konnte, werden in einem Sammelband veröffentlicht, den die beteiligten Landkreise im kommen-den Jahr herausgeben wollten.

Dr. Edwin Ernst Weber

H O H E N Z O L L E R I S C H E H E I M A T

herausgegeben vom Hohenzollerischen Geschichtsverein, Postfach 1638, 72486 Sigmaringen. ISSN 0018-3253 Erscheint vierteljährlich.

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und den angrenzenden Lan-desteilen mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben fachhi-storischen auch populär gehaltene Beiträge.

Bezugspreis: Für Mitglieder des Hohenzollerischen Geschichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten. Bezugspreis für Nicht-mitglieder DM 13,00 jährlich. Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25) können beim Hohenzollerischen Ge-schichtsverein (s. o.) bestellt werden.

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Dr. Otto H. Becker, Hedingerstraße 17, 72488 Sigmaringen

Dr. Hermann Frank Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen

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Walter Kempe Silcherstraße 11, 88356 Ostrach

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Rolf Vogt Marktplatz 6, 72379 Hechingen Dr. Edwin Ernst Weber Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen Dr. Andreas Zekorn Landratsamt, Hirschbergerstraße 29, 72334 Balingen

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