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65 Mittheilnngen aus dem chemischen Labo- ratorium der polytechiiischeii Schule zu Delft. (Eingelaufen den 15. November 1872.) I. Ueber den Einfluf's inactiver Lijsungsmittel auf das specifische Drehungsvermijgen activer Sub- stanzen *) ; von A. C. Oudemans jr. Hierau Tafel L - Die Untersuchungen von Biot, Bouchardat, Gernez u. A. haben den Beweis geliefert, dafs das specifische Dre- hungsvermogen activer in Losung vorkommender Substanzen, nicht, wie B i o t zuerst annahm, eine constante Grofse ist sondern von der Temperatur und dem Concentrationsgrad der Flussigkeit abhangig sein kann. Daher werden jetzt diese beiden Unistande bei Untersuchungen iiber das Drehungsver- mogen gewohnlich beriicksichtigt. Befremderid ist es aber, dafs ein drittes, in gewisser Hin- sicht vie1 wichtigeres Element bei dergleichen Untrrsuchungen fast gar nicht beachtet wird, namlich die Natur des inactiven Losungsmittels. In physikalischen Haridbiichern wird des Ein- flumes, welchrr durch die Natur des Losungsmittels ausgeiibt wird, oft nicht einmal mit einem Wort Erwahnung gethan und in chemischen Abhandlungen iiber diesen Gegenstand geht man gewohnlich stillschweigend von der Voraussetzung aus , dafs *) Auszug aus einer in Pogg. Ann. in etwas anderer Form und aus- fiihrlicher mitgetheilten Abbandlung, Annal. if. Cbem. n. Pbarm. CLXVI Bd. 5

I. Ueber den Einfluss inactiver Lösungsmittel auf das specifische Drehungsvermögen activer Substanzen

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Page 1: I. Ueber den Einfluss inactiver Lösungsmittel auf das specifische Drehungsvermögen activer Substanzen

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Mittheilnngen aus dem chemischen Labo- ratorium der polytechiiischeii Schule zu Delft.

(Eingelaufen den 15. November 1872.)

I. Ueber den Einfluf's inactiver Lijsungsmittel auf das specifische Drehungsvermijgen activer Sub-

stanzen *) ; von A. C. Oudemans jr.

Hierau Tafel L -

Die Untersuchungen von B i o t , B o u c h a r d a t , G e r n e z u. A. haben den Beweis geliefert, dafs das specifische Dre- hungsvermogen activer in Losung vorkommender Substanzen, nicht, wie B i o t zuerst annahm, eine constante Grofse ist sondern von der Temperatur und dem Concentrationsgrad der Flussigkeit abhangig sein kann. Daher werden jetzt diese beiden Unistande bei Untersuchungen iiber das Drehungsver- mogen gewohnlich beriicksichtigt.

Befremderid ist es aber, dafs ein drittes, in gewisser Hin- sicht vie1 wichtigeres Element bei dergleichen Untrrsuchungen fast gar nicht beachtet wird, namlich die Natur des inactiven Losungsmittels. In physikalischen Haridbiichern wird des Ein- flumes, welchrr durch die Natur des Losungsmittels ausgeiibt wird, oft nicht einmal mit einem Wort Erwahnung gethan und in chemischen Abhandlungen iiber diesen Gegenstand geht man gewohnlich stillschweigend von der Voraussetzung aus , dafs

*) Auszug aus einer in Pogg. Ann. in etwas anderer Form und aus- fiihrlicher mitgetheilten Abbandlung,

Annal. if. Cbem. n. Pbarm. CLXVI Bd. 5

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66 0 u d e rn a n s, u6er den Einjufs inactiver Liisungsmittel

das Losungsmittel keinen speciellen E n flufs ausubt, wenn die active Substanz dadurch keine chemische Veranderung erleidet.

Vor einigen Monaten habe ich mich vielfach mit Unter- suchungen uber das Drehungsvermogen der Chinaalkaloide und ihrer Verbindungen beschaftigt und dabei die Ueberzeugung bekommen, d d s in vielen Fallen das specifische Drehungsver- mogen weit mehr von der Beschaffenheit der zur Losung an- gewendeten Flussigkeit, als von den beiden oben in erster Linie genannten Momenten beeinflufst wird. Zugleich hahe ich aber beim Durchstudiren der hierauf beziiglichen Literatur bemerkt, dafs schon B i o t und nach ihm Jo d i n diesen Ein- flufs erkannt und gewurdigt liaben.

B i o t zeigte (Memoires de l’hcademie T. 15, 93), dafs bei ungefahr gleichen Temperaturen (22 bis 25O C.) und gleicher Concentration (0,32) die Weinsteinsaure in Holzgeist ein spec. Drehungsvermogen besitzt von + 4,3O, in Wasser aber ein solches von + 9,5O. Bei + 5O C. wurde die merkwiirdige That- sache beobachtet , dafs dieselbe (rechtsdrehende) Weinstein- saure bei derselben Concentration (0,OZ) in wasseriger Losung ein eben so grofses Drehungsvermogen nach der Linken zeigte (- 2,i0), als in der allroholischen Losung nach der Rechten gefunden wurde (+ 2,i0) 3*).

J o d i n (Compt. rend. T. 58, 613) fand 1864, dafs eine gewisse Losung von Invertzucker rnit den1 gleichen Volum Wasser vcrdiinnt, ein Dreliungsvermogen hatte von - 28,8O ; mit den1 gleichcn Volum Alkohol versetzt , zeigte sie ein Drehungsvermogen von nur - 19O. Aus der Thatsache, dafs solche Differenzen bei Rohrzucker und Glycose nicht vor- kamen , schlofs J o d i n , dafs in der Levulose liegen miisse, des Invertzuckers ausmacht. ______

*) Diese Versuche beziehen sich

die Ursache der Abweichung welche den einen Bestandtheil Diese Annahme wurde durch

auf rothes Licht.

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auf das speciJische Drehungsvermijgen activer Xuhstanzen. 67

das Experiment bestakigt ; er fand, dafs bei einer Concentration von 0,128 Crm. Levulose auf 1 CC. die alkoholische Losung ein Dreliungsvermogen von - 920 und die wasserige von - 104O zeigte. Beini Vergrofsern des Alkoliolgehaltes wurde das Dreliungsvermogen stets kleiner.

Beini An fang meiner Untersuchungen war auch ich der Meinung, dafs die Wahl des Losungsmittels bei Untersuchungen uber das Drehungsvermogen gleichgiiltig sei , vorausgesetzt, dafs es sich optisch inactiv und chemisch indifferent verhalte. Ich fand jedoch zufdlig, dafs, wenn man in einer Losung von schwefelsaurem Cinchonin das Wasser durch Alkohol er- setzt, das specifische Dreliungsvermogen des Alkaloidsalzes sehr merkbar modificirt wird, und dadurcli wurde ich veran- lak t zu einer Reihe von Versuchen, welche darthaten, dafs in den meisten Fallen Verschiedenheit des Losungsmittels Ver- schiedenheit in der Grofse des specifischen Drehungsvermogens hervorbringt.

Zur Bestimmung des specifischen Drehungsvermogens be- nutzte ich einen W i 1 d’schen Polaristrobometer. Es war mir nioglich, mit diesem vortrefflichen Instrumente , bei Beriick- sichtigung der erheischten Vorsorgen, eine Genauigkeit des Endresultates bis auf 1 bis 2 Minuten zu erreichen. Die Beob- achtungen wurden hintereinander an den vier Quadranten des getheilten Kreises gemaclit und diefs einigemale wiederholt, so dafs im Ganzen fur jede Fliissigkeit 12 bis 20 Rlal abgelesen wurde. Wenn man aus jedcr Reihe von vier Beobachtungen das Mittel nimmt, eliminirt man, wie v a n d e S a n d e Bak- hu y z e n (Pogg. Ann. 144, 259 ff.) gezeigt hat, einige durch die mangelliafte Construction und Stellung des Nicols und der zu den1 S a v a r t’schen Polariskop gehorenden Kalkspathplatten bedingten Fehler.

Bei meinen ersten Versuchen bestimmte ich das Gewicht der activen Substanz und das Gewicht und die Dichte der

5 *

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68 0 u d e m a n s, iiber den E i n j t d s inactiver Liisungsmittel

Losung bei einer Temperatur von + 17O C., und berechnete dann das auf das gelbe Natriurnlicht bezopene specifische

Drehungsvermogen (u) rnittelst der Formel ( a ) = ___ F . 6.1'

worin (r die beobachtete Ablenkung, B die Dichte der Losung, E den Concentrationsgrad dersclben und 1 die Lange der Fliis- sigkeitssaule bedeutet.

Spater uniging ich die zeitraubende Dichtebestimniung durch die Anwendung von sehr kleinen Mafskolben von 20 bis 40 CC. Inhalt, die auf dem diinnen Hals eine mit Diamant angebrachte Theilung hatten, welche das Volum bis auf genau angab. Mit diesen Kolbchen wurde also das Volum der Fliissigkeit bestimmt. Ich wendete dann zur Berechnung von ( a ) die

Formel (a) = __ an, worin v das Voluiii und p das Gewicht

der activen Substanz, und 1 dasselbe wie in der vorigen Formel bedeuten.

Bei Befolgung dieser letzteren Mrthode kann d r r Con- centrationsgrad nicht aus den bestimmten Grol'sen abgeleitet werden ; man berechnet ihn jedoch mit, hinreicbender Genauig- kei t , wenn man annimmt, dafs die active Substanz in dem Volum des Losungsmittels verschwindet, ohne dieses zu ver- grofsern oder zu verringern. Ich lasse jetzt die Ergebnisse der angestellten Versuche folgen.

Q

V C L

1 . P

I. Spec$sches Drehungsvermiigen verschiedener activen Sub- stanzen bei Anwendung verschiedener Liisungsmittel.

Zur Untersuchurig wurderi so vie1 wie inoglich Substanzen yon verschiedenem chemischen Charakter gewahlt. Die Wahl war jedoch einigermafsen beschrankt durch den Umstand, dafs viele active Substanzen schwierig rein zu bekommen sind, ein sehr geringes Drehungsvermogen haben oder in den gebrauch- lichen Losungsmitteln wenig loslicli sind.

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auf das specz$zhe Brehungsvermogen activer Substanzen. 69

I Zur Liisung angewendete Fliissigkeit

Untersuclite Substanz

Rohrzucker n

Leichtes Cubebenol ") n n

n Cinchonin

Brucin (hei 100O C. getrocknet)

Podocarpinsaure ++) C17H2203

n

Potioca2pinsaures Natrium

C17H21Na03 f 8 H 2 0 Phloklzin

n

Wasscr Alkohol 50 pC.

Rein Alkohol (abs.)

Benzil ' Chloroform

Alkohol Chloroform

Wasser Alkohol Alkohol Wasser Alkohol Wasser Wasser Wasser

Alkohol 93 pC. Alkohol

Chloroform Chloroform

Alkohol Alkohol 93 pC.

Aetber Aether Wasser Wasser Wasser Alkohol Alkohol

Holzgeist

Coucen- tration

0,056 0,050

0,061 0,060 0,075

,006-0,oot ,004-o,oo:

0,014 0,023 0,055 0,020 0,022 0,016 0,026 0,031 0,054

0,019

0,09

0,054

0,049 0,04

0,04 0'07 0,046 0,064 0,188 0,09 0,046 0,039

Spec. hehungs- wmogen

f 66,9O + 66,4 - 40,s - 41,6 - 41,6 - 41,7 f228

+169 +I91 +193 f154 +172 +162 +158 +I56 +175 - 85 -127 -119 +136 +136

+130

+212

+130

+ 82 + 79

$ 2 - 52 - 52

") Das Priiparat war aus'uugefahr 1 Liter rohen Cubebenols, das ich der Freigebigkeit des Herrn Dr. J. E. d e V r i j verdanke, durch fractionirte Destillation hereitet. Der Siedepunkt lag bei 221O C. Fur das specifische Gewicht fand ich 0,856, also eiuen vie1 kleineren Werth, als S c h m i d t (Archiv der Pharmacie 191, 1 his 49). Durch Destillation im Vacuo lassen sich die beiden atherischen Oele CsOH,, besser trennen und das specifische Dre- hungsverm6gen des also gewonnenen leichten Oels ist dann grolser, als das des unter normalem Luftdruck gewonneneu. Obige Ver- suche sind mit unter letzterem Umstande destillirtem Oel vorge- nommen.

**) Eine yon mir entdeckte Harzsiinre, welche gut krpstallisirt und in alten Exemplaren von Podocarpus Cupressina gefunden wird.

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70 0 d e m a n s, u6er den EinJufs inactiver Lijsungsrnittel

Aus obiger Tabelle ist ersichtlich, dafs in einigen Fallen die Bestimmung des specifischen Drehungsvermogens activer Substanzen, bei Anwendung verschiedener Losungs- mittel, dasselbe Resultat giebt, dafs aber in der Regel kleinere oder grofsere Differenzen zwischen den beobachteten Werthen fur das specifische Drehungsvermogen beobachtet werden und zwar bei derselben Temperatur und derselben Concentration.

Eine kleine Differenz finden wir bei Rohrzucker; dafs diese niclit einem Beobachtungsfehler zugeschrieben werden kann, glaube ich bei der erreichbaren grofsen Genauigkeit sicher stellen zu konnen. Sehr grofs sind die Differenzen im specifischen Drehungsvermogen , welche bei Alkaloiden und ihren Verbindungen beobachtet werden ; bei Brucin ist der Wer th des specifischen Drehungsvermogens in einer alkoholi- schen Losung fast anderthalbmal so grofs, als in einer chloro- formischen Losung.

11. Specajkches Drehungsverrnijgen einer activen Substanz bei Anwendung von Gemischen zweier inactiven Lijsungsrnittel.

Ein Zufall veranlafste mich 5 zu untersuchen , wie das specifische Drehungsvermogen einer activen Substanz sich ver- halt, wenn diese in verschiedenen Geniischen zweier inactiven Flussigkeiten gelost wird.

Beriicksichtigen wir den concreten Fall des Cinchonins, das in seiner rein alkoholischen Losung ein specifisches Dre- hungsvermogen zeigt von f 228O untl in seiner rein chloro- formischen Losung von + 212O. Welchen Wer th wird das specifische Drehungsvermogen erreichen, wenn das Cinchonin in verschiedenen Gemischen der beiden genannten Fliissigkeiten gelost w i r d ?

Jeder wird ohne Zweifel erwarten, dafs dieser W e r t h zwischen den beiden Zahlen 212 und 228O liegen und desto

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auf das specmjische DrehungscerrnGgen actice?. Suhstnnsen. 71

mehr sich der letzteren nahern wird, je reicher an Alkohol das Gemenge wird.

Dem ist jedoch in der Wirklichkeit nicht so, wie aus folgender Tabelle ersichtlich, worin die specifischen Drehungs- vermogen von Cinchonin fur einige Gemische von Chloroform und Alkohol angegeben sind. -

Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11

Zusammensetzung der Losungsmittel.

100,OO CHCI, 99,66 ,, 98,74 94,48 ,, 86,95 ,, 82,26 65,OO ,, 44,29 27,54 17,02 ,, 0900 n

Specifisches Irehungsvermogen

+ 212,oo 216,3 226,4 236,6 237,O

229,5 226,6 227,6 227,s 228,O

234,7

Um eine klare Vorstellung von dem Einflusse zu bekom- men, welcher von den beiden Bestandtheilen der Flussigkeit auf das specifische DrehungsverinGgen von Cinchoilin ausgeubt wird, habe ich das Gesetz, nach welchem sich dieses rnit der Zusamtneiisetzung des Losungsmittels verandert, graphisch dar- gestellt. In Fig. 1 sind als Ordiiiaten angenommen die Wer the von CCY), verniindert mit einer dern Betrag von 210° entspre- chenden Linienlange. Die Abscissen (von links nach rechts gehend) stellen die Procente Chloroform vor , welche das Losungsniittel enthalt. Bei A giebt die Ordinate also das specifische Drehungsvermogen von in reinem Alkohol und bei B das von in reinem Chloroform gelostem Cinchonin an.

Bei der Betrachtung der gezeichneten Curve stellen sich folgende merkwurdige Thatsachen heraus.

1) Man kann in einer alkoholisclien Losung von Cinchonin ungefahr die Halfte des Alkohols durch Chloroform ersetzen,

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72 0 u d e m a n s, uber den Einjufs inactiver Lb'sungsmittel

ohne dafs dadurch ein erheblichcr Einflufs auf das specifische Drehungsvermogen des hikaloids ausgeiibt wird. Wird da- gegen bei einer Losung von Cinchonin in Chloroform nur l/Qoo

des Losungsmittels durch Alkohol ersetzt, S O wird schon eine Differenz von 46 in dem specifischen Drehungsvermogen her- vorgebracht.

2) Das specifische Drehungsvermogen von Cinchonin er- reicht' ein Maximum bei dcr Lijsuiig in eineni Gemisch von 10 pC. Alkohol und 90 pC. Chloroforrri.

3) Man kann aus d m Einflusse, welchen zwei Flussig- keiten jede fur sicli aiif das specifische Drehungsvermogen einer activen Substnnz auslihcn, 1tcii:cn Schlufs ziehen auf den Einflufs , welclicn ein Gcuiengc beider darauf ausiiben wird. Daruiri ist t:s bei Untersuchungen iiber das Drehungsver- niogen gehotcn, stets so vie1 wit: inogiicli die Losungsinittel i i r i reinen Zustandc ZLI verwenden. Besonders mag hier her- vorgehoben werden , dafs inan Weingeist nicht von willkiir- liclrer Stirke zu nehmen hat, sondern entweder ganz abso!uten Alkohol, odcr bei vergleichenden Untersuchungen wenigstens einen Weingeist von constantem Wassergehalt benutzen soll. Denn auch bei Misciiungen von Alliohol und Wasser wird man dergleichen specielle Einflusse zu erwarten haben , wie sie oben bei Gemengen von Alkohol und Chloroform beob- achtet wurden.

Es verstsht sich, dafs der Fall, den wir oben kennen gelernt, niclit bei allen Gemischen zweier Flussigkeiten vor- komnien wird, und dafs das Gesetz, nach welchem das speci- tisclic Drehungsvermogen eiiier activen Substanz von der Zu- sammensetzung der niIischungen zweier Flussigkeiten abhgngt, durcli Curven sehr verscliiedener Form, vielleicht auch aus- nahinsweise durch eine geradt: Linie wird vorgestellt werden kiinnen.

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auf das specz$sche Drehungsvermiigen acticer Substaneen. 73

Wir haben nur einen einzigen Fall studirt und konnen daraus nicht auf andere Falle schliefsen. Es ware aher sehr interessant, diese Untersuchung auch auf andere active Sub- stanzen und auf Mischungen sehr verscliiedener Losungsmittel auszudehnen.

111. Versuch zur ErkZiirung der oben beschriebenen Er- scheinungen.

B i o t erklarte den Einflufs der Concentration auf das specifische Drehungsverniogen activer Substanzen durch die Hypothese, dafs sich bei der Auflosung dieser letzteren und bei weiterer Verdunnung der entstandenen Fliissigkeit gewisse irioleculare Verbindungen der activen Substanz mit dem Liisungsmittel bilden wiirden. Je nachdem das Verhaltnifs zwischen beiden sich anderr:, wiirden nach ihm andere Com- binationeii entstelien, und es liefse sich denken, dafs das specifische Drchungsvermogen der activen Substanz durcli die Verbindung mit dern Losungsmittel vom Anfang an niodificirt und bei weiterer Verdunriung (also bei Bildiing rieuer Corn- binationen) mehr und tnehr geandert wiirde.

Als ich iiber das Ergebnifs nteiner oberi beschriebenen Versuche nachdachte, kam es mir nicht unmoglich vor die Idee, welche dieser Hypothese zu Grunde liegt narnlich Bil- dung gewisser molecularer Verbindungen und Aenderung des

specijischen Drehungsvermogens in PoZge davon, auch zur Erklarung der von rnir beobacliteten Thatsachen anzuwenden.

Eine active Substanz wird von verschiedenen Losuiigs- mitteln rnit verschiedener Intensitat aiigezogen , und dadurch wird nach der Ansicht vieler Chemilier und Physiker die ver- schiedene Losliclikeit hedingt. Je nachdetn eine Flussigkeit irn Stande ist, mehr von ciner activen Suhstanz aufzunchrnen, wird sic auch irinigere triolecrilare Coinhinationen daniit bilden konnen und folglicli iii einer gewissen Richtung starker modi-

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14 0 u d ern a n s, u6er den Einju fs inactiver Losungsmittel

ficirend auf das specifische Drehungsvermogen derselben wirken.

Im Einklang damit sieht man auch wirklich, dafs die grofseren Zahlen in der auf Seite 69 mitgetheilten Tabelle fur dieselbe Substanz zu den Losungsmitteln gehoren, worin sie besser loslich sind. So z. B. lost sich Zucker leichter in Wasser als in Alkohol von 50 pC.; Cinchonin leichter in Alkohol als in Chloroform ; schwefelsaures, sal- petersaures und chlorwasserstoffsaures Cinchonin, auch podo- carpinsaures Natrium besser in Alkohol als in Wasser ; Brucin vie1 leichter in Chloroform als in Alkohol u. s. w. Analog damit wird gewohnlich (nicht immer) das specifische Dre- hungsvermogen einer activen Substanz bei Zunahnie der liken- den Flussigkeit grofser ; und ich will es dahin gestellt lassen, ob die Ausnahmen von dieser Regel sich nicht auf befrie- digende Weise erkl l ren liefsen (z. B. bei Salzen durch Dis- sociation in der Flussigkeit u. s. w.).

Ein sehr interessanter Beieg fur die Richtigkeit dieser Annahme ist der unverkennbare Zusaninienhang zwischen der Loslichkeil von Cinchonin in Gemischen von Alkohol und Chloroform und dem specifischen Drehungsvermogen des Alkaloids in diesen Flussigkeiten. 1st die gemachte Hypo- thrse begrundet, so niufs die sonderbare Erscheinung , dafs das specifische Drehungsverniogen des Cinchonins in gewissen Geniischen von Chloroform und Alkohol einen grofseren W e r t h h a t , als in einer rein alkoholischen oder chloroformischen Losung, seinen Grund darin haben, dafs das Alkaloid in diesen Geinischen loslictier ist, als in einem der beiden Bestandtheile.

Um hieruber ins Reine zu kommen, habe ich die Loslich- keit von Cinchonin in verschiedenen Gemischen der beiden Losungsmittel bestimrnt und dabei die in folgender Tabelle verzeichneten Resultate erhalten.

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auf das speczjiische Drehzcngsvermogen acta'ver Substanzen. 75

Nr.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Menge der aufgelasten Zusammensetzung des Losungs- Substanz in Procenten

mittels (Gewioht des Losungsmit- tels = 100)

100,O C,H,O + 0,O CHCI, 0,77 90,s n + 971 n 0,94 77,6 n f 2224 n 1,27 64,9 n + 3531 n 1,83 4797 n + 5273 n 3,30 3499 1 + 65,1 n 484 2774 n + 7276 n 5,67 2'48 n f 7772 n 5,88 18,2 n + 81,8 n 5,81 7,8 n + 9212 n 4,14 1,9 n + 98,1 n 1,30 090 n + 100,O n 0,28

auf das speczjiische Drehzcngsvermogen acta'ver Substanzen. 75

Mit Hiilfe dieser Data ist in Fig. 2 die Loslichkeitscurve von Cinchonin fur Gemische von Chloroform und Alkohol gezeichnet. Als Abscissen sind, wie in Fig. 2 angenommen, die in dem Losungsmittel enthaltenen Procente Chloroform und als Ordinaten die gelosten Procente Cinchonin.

Aus der Figur erliellt : 1) Dafs Cinchonin wcniger loslich isb in Chloroform als

in Alkohol; dafs aber verschiedene Gemische der beiden Flussigkeiten bestehen, worin das Alkaloid sich viel leichter lost, als in einem der Bestandtheile.

2) Dafs wenn man bei den Beiden Nullpunkten anfangt, bei steigender Menge Chloroform die Loslichkeit viel weniger schnell zunimmt, als bei steigender Menge Alkohol.

3) Dafs Cinchonin am meisten loslich ist in einem Ge- mische von 20 pC. Alkohol und 80 pC. Chloroform

Wir finden bei Vergleichung der beiden in Fig. 1 und 2 gezeichneten Curven unsere Annahme also in der Haupt- sache bestatigt. Ich kann jedoch nicht umhin, auf folgende Punkte aufmerksam zu machen :

1) Dafs das Maximum des specifischen Drehungsver- mogens und das der Loslichkeit nicht zusanimenfallen.

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76 0 u d ern a n s, iiber den E i n j u f s inacticer Lb'sungsmittel

2) Dafs bei Zufiigung von Chloroform zu einer alko- holischen Losung voii Cinchonin wohl sogleich die Loslichkeit, aber nicht sogleich das specifische Drehuiigsveratogen merk- bar geandert wird.

Vor der Hand wird es wohl nicht rniiglich sein, diese Abweichungen von dem a priori Erwarteten zu erklaren. Vielleicht findet bei der Miscliuiig von Chloroform und Alko- hol etwas dergleichen statt , wie es von D u p r 6 und P a g e bei Gemischen von Alkohol und Wasser beobachtet ist, nam- lich dafs die specifische Warme einiger Gemische grofser ist als die der einzelnen Bestandtheile; und vielleicht iibt dieser Umstand einen speciellen Einflufs auf das specifische Drehungs- vermogen der activen Substanz aus.

Nachschrift.

Nachdein die Ergebnisse der oben heschriehenen Ver- suche in einer in hollandischer Sprache verfafsten Abhaudlung *) veroffentlicht waren, sind vor Kurzem von Dr. J. L. H o o r - w e g in Utrecht einige Versuctie iiber denselben Gegenstand angestellt worden, deren Resultate im Allgenieinen die niei- nigen bestatigen. H o o r w e g hat bisher nur mit Strychnin und essigsaurem Morphin experimentirt und dabei, bei An- wendung verschiedener Losungsmittel, verschiedene Werthe fur das specifische Drehungsvermogen bekommen , wie sich aus folgenden Tabellen ersehen lafst :

Slr ychnin.

Losungsmittel

I I

Ihehungs- vermiigen

I I

Alkohol (0.865) 1 0,0091 I - 128 Chlorokorm ' 0,04 1 0,0225 I 1 :!:,7

n Am ylalkohol

Mischung von 51,54 CHC1, 11. 20,56 C,H,O

0,O 15 - 140,7 ~ 0,!53 1 - 235

- 123

") Maandblad voor Natuurwetenschappen, 3. Jahrgang, Nr. 1, S. 12.

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auf das speczjische Drehungsvermogen activer Su6stanzen. 77

Essigsaures Morphin.

Losungsmittel

Absoluter Alkohol I 0,012 100,4 Alkohol von 0,865

Wasser 0,0097 - 98,9 1 0,025 1 77 n 0,00996 72

Merkwurdig ist der grofse Unterschied zwischen dem specifischen Drehungsvermogen des Strychnins in der alko- holischen und amylalkoholischen Losung (128O und 237O).

Diese letzteren Zahlen sind im Widerspruch mit der von mir gemachten Hypothese, dafs das specifische Drehungsver- mogen grofser sein mufs, je nachdem das Losungsmittel mehr von der activen Substanz aufnehmen kann. Hier sehen wir gerade das Gegentheil, und ich kann, einer solchen Thatsache gegenuber , die von mir gemachte Annahme nicht aufrecht erhalten.

Ich stirnrne ubrigens H o o r w e g gern bei, wenn er sagt : ,,dafs nach den von uns arigestellten Versuchen der Begriff eines speczjischen Drehungsvermogens kaum noch einen ratio- nellen Grund hat , und dafs auch dadurch das sogenannte moleculare Dre hurigsvermogen (specifis ches Drehungsver- mogen bezogen auf 1 Molecul) vie1 von seiner Bedeutung verliert.& Auch ich bin der Meinung, dafs die theoretischen Speculationen, welche von einigen Chemikern iiber den Zusam- menhang der specifischen Drehungsvermogen verschiedener che- misch ahnlicher Substanzen veroffentlicht sind , bei der Ver- anderlichkeit der Drehungsconstante (! ?) unter dem Einflusse verschiedener Umstande einen sehr zweifelhaften Werth haben. Dabei lasse ich noch ganzlich aufser Betracht, dafs man dabei oft den bei Chemikern nicht seltenen Fehler begangen hat, aus einigen Zahlen Gesetze abzuleiten nach einer Methode, welcher jeder wissenschaftliche Grund fehlt.