6
R. Steinert 1, 2  · M. Depel 1, 4  · A. Schmidt 1, 3  · H. Ptok 1, 4  · F. Meyer 1, 5  · S. Wolff 1, 5    R. Otto 1  · I. Gastinger 1 1    An-Institut für Qualitätssicherung in der operativen Medizin gGmbH  an der Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg 2  Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, St.-Josefs-Krankenhaus, Salzkotten 3  Praxis für Hämatologie und Onkologie, Cottbus 4  Chirurgische Klinik, Carl-Thiem-Klinikum, Cottbus 5  Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg Iatrogene Milzverletzungen  in der kolorektalen  Karzinomchirurgie Einfluss auf das   onkologische Langzeitergebnis In einer 2012 erschienenen Publika- tion [1] wurde festgestellt, dass die iatrogene Milzläsion im Rahmen ko- lorektaler Karzinomeingriffe einen signifikanten Risikofaktor für ein schlechteres frühpostoperatives Er- gebnis darstellt. Dies betrifft insbe- sondere die hohe Rate an Anastomo- seninsuffizienzen und infektiös-sep- tischen Komplikationen. Das wiede- rum führt zu einer höheren Gesamt- morbidität und Operationsletalität. Im Vergleich findet sich ein eindeu- tig schlechteres frühpostoperatives Ergebnis in der Gruppe der splenek- tomierten Patienten gegenüber der Gruppe mit Organerhalt durch Repa- ration der verletzten Milz. Der ent- scheidende Risikofaktor für diese Organläsion war in der logistischen Regression die bei der Tumorlokali- sation im Linkskolon und im Rektum notwendige Mobilisation der linken Kolonflexur. Im Falle einer Milzläsion sollte aufgrund dieser Daten immer eine milzerhaltende Reparation ver- sucht werden. In der vorliegenden Arbeit wird am glei- chen Krankengut der Einfluss der iatro- genen Milzverletzungen auf das onkologi- sche Langzeitergebnis untersucht. Methodik Im Rahmen der prospektiven multizent- rischen Beobachtungsstudie des An-Insti- tutes zur Qualitätssicherung in der opera- tiven Medizin an der Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg erfolgte im Beob- achtungszeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2004 die prospektive multizentrische Erfassung von 47.435 Patienten, welche aufgrund eines kolorektalen Karzinoms behandelt wurden. Es wurde zunächst ei- ne Analyse dieser Daten zur frühpostope- rativen Ergebnisqualität hinsichtlich einer iatrogenen Milzverletzung während der operativen Behandlung vorgenommen [1]. In die Untersuchung eingeschlossen wurden 45.265 Patienten, welche sich ei- ner kurativen oder palliativen Resektion bzw. Exstirpation des Tumors unterzogen haben. Nicht erfasst wurden Patienten mit einer primär geplanten multiviszeralen Resektion einschließlich der Milz bzw. Patienten mit fortgeschrittenem Tumor- stadium durch Infiltration oder Metasta- sierung in die Milz. Aufgrund der hohen Fallzahl war fol- gende Gruppeneinteilung möglich: F Gruppe I (n=126): Patienten mit ia- trogener Milzverletzung und Entfer- nung des Organs, F Gruppe II (n=512): Patienten mit iat- rogener Milzverletzung und Belassen des Organs in situ, F Gruppe III (n=44.627): Patienten oh- ne iatrogene Milzverletzung. Die Gruppeneinteilung war hinsichtlich der Fragestellung erforderlich. In der vorliegenden Analyse zur Beur- teilung des onkologischen Langzeitergeb- nisses wurden die regelmäßig erhobenen Follow-up-Daten einbezogen. Für die Pa- tienten mit Milzverletzung und entspre- chender Einwilligung wurde eine Follow- up-Rate von 99,8% erreicht. In der Grup- pe III (ohne Milzverletzungen) betrug di- ese Rate 70%. Alle Überlebenszeiten wur- den mit verteilungsunabhängigen Metho- den nach Kaplan-Meier ermittelt. Die Datenerhebung erfolgte durch die an der Beobachtungsstudie freiwillig teil- Originalien Widmung In Dankbarkeit Herrn Prof. Dr. Dr. H. Lippert aus  Anlass seiner Emeritierung gewidmet. Chirurg 2014  DOI 10.1007/s00104-013-2697-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Der Chirurg 2014|

Iatrogene Milzverletzungen in der kolorektalen Karzinomchirurgie; Iatrogenic splenic injuries in surgery of colorectal carcinoma;

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R. Steinert1, 2 · M. Depel1, 4 · A. Schmidt1, 3 · H. Ptok1, 4 · F. Meyer1, 5 · S. Wolff1, 5  R. Otto1 · I. Gastinger1

1  An-Institut für Qualitätssicherung in der operativen Medizin gGmbH 

an der Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg2 Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, St.-Josefs-Krankenhaus, Salzkotten3 Praxis für Hämatologie und Onkologie, Cottbus4 Chirurgische Klinik, Carl-Thiem-Klinikum, Cottbus5 Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg

Iatrogene Milzverletzungen in der kolorektalen KarzinomchirurgieEinfluss auf das  onkologische Langzeitergebnis

In einer 2012 erschienenen Publika-tion [1] wurde festgestellt, dass die iatrogene Milzläsion im Rahmen ko-lorektaler Karzinomeingriffe einen signifikanten Risikofaktor für ein schlechteres frühpostoperatives Er-gebnis darstellt. Dies betrifft insbe-sondere die hohe Rate an Anastomo-seninsuffizienzen und infektiös-sep-tischen Komplikationen. Das wiede-rum führt zu einer höheren Gesamt-morbidität und Operationsletalität. Im Vergleich findet sich ein eindeu-tig schlechteres frühpostoperatives Ergebnis in der Gruppe der splenek-tomierten Patienten gegenüber der Gruppe mit Organerhalt durch Repa-ration der verletzten Milz. Der ent-scheidende Risikofaktor für diese Organläsion war in der logistischen Regression die bei der Tumorlokali-sation im Linkskolon und im Rektum notwendige Mobilisation der linken Kolonflexur. Im Falle einer Milzläsion sollte aufgrund dieser Daten immer eine milzerhaltende Reparation ver-sucht werden.

In der vorliegenden Arbeit wird am glei-chen Krankengut der Einfluss der iatro-

genen Milzverletzungen auf das onkologi-sche Langzeitergebnis untersucht.

Methodik

Im Rahmen der prospektiven multizent-rischen Beobachtungsstudie des An-Insti-tutes zur Qualitätssicherung in der opera-tiven Medizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erfolgte im Beob-achtungszeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2004 die prospektive multizentrische Erfassung von 47.435 Patienten, welche aufgrund eines kolorektalen Karzinoms behandelt wurden. Es wurde zunächst ei-ne Analyse dieser Daten zur frühpostope-rativen Ergebnisqualität hinsichtlich einer iatrogenen Milzverletzung während der operativen Behandlung vorgenommen [1]. In die Untersuchung eingeschlossen wurden 45.265 Patienten, welche sich ei-ner kurativen oder palliativen Resektion bzw. Exstirpation des Tumors unterzogen haben. Nicht erfasst wurden Patienten mit einer primär geplanten multiviszeralen Resektion einschließlich der Milz bzw. Patienten mit fortgeschrittenem Tumor-stadium durch Infiltration oder Metasta-sierung in die Milz.

Aufgrund der hohen Fallzahl war fol-gende Gruppeneinteilung möglich:FGruppe I (n=126): Patienten mit ia-

trogener Milzverletzung und Entfer-nung des Organs,

FGruppe II (n=512): Patienten mit iat-rogener Milzverletzung und Belassen des Organs in situ,

FGruppe III (n=44.627): Patienten oh-ne iatrogene Milzverletzung.

Die Gruppeneinteilung war hinsichtlich der Fragestellung erforderlich.

In der vorliegenden Analyse zur Beur-teilung des onkologischen Langzeitergeb-nisses wurden die regelmäßig erhobenen Follow-up-Daten einbezogen. Für die Pa-tienten mit Milzverletzung und entspre-chender Einwilligung wurde eine Follow-up-Rate von 99,8% erreicht. In der Grup-pe III (ohne Milzverletzungen) betrug di-ese Rate 70%. Alle Überlebenszeiten wur-den mit verteilungsunabhängigen Metho-den nach Kaplan-Meier ermittelt.

Die Datenerhebung erfolgte durch die an der Beobachtungsstudie freiwillig teil-

Originalien

WidmungIn Dankbarkeit Herrn Prof. Dr. Dr. H. Lippert aus Anlass seiner Emeritierung gewidmet.

Chirurg 2014 DOI 10.1007/s00104-013-2697-3© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Der Chirurg 2014  | 

nehmenden 346 deutschen Kliniken aller Versorgungsstufen. Die Eingabe der Pa-tientendaten wurde mithilfe des Compu-terprogramms Access (7.0; Microsoft) in eine Datenbank vorgenommen. Erfasst wurden 68 Items des Erfassungsbogens zur Qualitätssicherung in der operativen Versorgung des kolorektalen Karzinoms [2]. Die Patienten wurden im Vorfeld der Studie über die Teilnahme aufgeklärt, wel-che auf Freiwilligkeit basierte. Ein Votum der Ethikkommission war nicht notwen-dig, da die Daten streng anonymisiert aus-gewertet wurden.

Statistik

Die Auswertung der Access-Datenbank erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS 20.0 (SPSS). Im Vorfeld wurden zur Si-cherheit einzelne Daten mit SPSS im Kreuzvergleich auf Plausibilität überprüft und gegebenenfalls mit nochmaliger Ak-teneinsicht korrigiert. Die Auswertung wurde mithilfe einfacher Häufigkeitsaus-zählungen und dem χ2-Test für Kreuzta-bellen durchgeführt. Die Signifikanz wur-de mit p<0,05 statistisch bewertet. Weiter-hin wurde im Anschluss an die univaria-te Analyse die Durchführung logistischer Regressionen mit dem SPSS-Programm vollzogen, um entsprechende Einfluss-größen hinsichtlich der Milzläsion her-auszufiltern.

Ergebnisse

Im Untersuchungszeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2004 wurden im Rahmen der prospektiven multizentri-schen Beobachtungsstudie „Kolon-/Rek-tumkarzinom (Primärtumor)“ des An-In-stitutes für Qualitätssicherung in der ope-rativen Medizin an der Otto-von-Gueri-cke-Universität Magdeburg 47.435 Pa-tienten mit einem Kolon- oder Rektum-karzinom aus 346 deutschen Kliniken al-ler Versorgungsstufen flächendeckend er-fasst.

Bei 45.313 Patienten (95,5%) wurde der Tumor in kurativer oder palliativer Absicht reseziert oder exstirpiert. Ausge-schlossen wurden 48 Patienten mit einer Tumorinfiltration in die Milz oder einer Metastasierung der Milz, sodass in die ak-tuelle Untersuchung 45.265 Patienten ein-geschlossen und ausgewertet wurden.

Bei diesen 45.265 Patienten kam es bei 638 (1,4%) während der Operation zu einer Milzverletzung. Davon wurden bei 126 Patienten (0,3%) eine Splenek-tomie (Gruppe I) und bei 512 Patienten (1,1%) eine Reparation Milz mit Erhalt des Organs durchgeführt (Gruppe II). Bei 44.627 Patienten (98,6%) kam es zu keiner intraoperativen Milzverletzung (Grup-pe III; .Tab. 1).

Nachbeobachtungszeitraum

Insgesamt 565 (88,6%) der 638 Patienten mit einer iatrogenen intraoperativen Milzverletzung (Gruppe I + II) hatten ei-ne Aufklärung und Einwilligung zur Er-hebung von Nachsorgedaten unterschrie-ben. Bei 71 Patienten (11,4%) lag eine ent-sprechende Einwilligung nicht vor, sodass diese nicht in das Follow-up einbezogen werden konnten. Für 564 der 565 Pati-enten mit entsprechender Einwilligung konnten Nachsorgedaten erhoben wer-den. Das entspricht einer Follow-up-Ra-te von 99,8%.

Die längste Nachbeobachtung betrug 139,2 Monate (11,6 Jahre). Das mediane Follow-up lag bei 50,2 Monaten (95%-Konfidenzintervall [95%-KI]: 42,9–57,4).

In der Gruppe III ohne Milzverlet-zungen wurde bei einer Nachbeobach-tungszeit von 70,8 Monaten (5,9 Jahre) ei-ne Follow-up-Rate von 70% erreicht.

Zur komplexen Analyse der Nachbe-obachtungsdaten ist es erforderlich, noch-mals auf patienten- und tumorbezogene Daten der perioperativen Phase hinzuwei-sen, die ausführlich bereits publiziert wur-den [1].

Alters- und Geschlechts-verteilung, BMI

Im Untersuchungszeitraum lag das medi-ane Alter bei 69,0 Jahren. Die Altersver-teilung in den Gruppen I bis III ist unter-schiedlich. So besteht zwischen Gruppe I mit einem medianen Alter von 73,0 Jah-ren und Gruppe III mit einem medianen Alter von 69,0 Jahren ein signifikanter Unterschied (p=0,004). Auch zwischen den Gruppen II (medianes Alter 72,0 Jah-re) und III ist der Unterschied signifikant (p<0,001). Zwischen den Gruppen I und II besteht kein signifikanter Unterschied (p=0,827).

Die Geschlechtsverteilung (Männer zu Frauen) war im Gesamtkrankengut mit 1,15: 1 annähernd gleich. In der Grup-pe I mit Splenektomie zeigte sich eine Geschlechtsverteilung von 1,33: 1, in der Gruppe II mit Milzerhalt 1,14: 1 und in der Gruppe III ohne Milzverletzung ebenfalls 1,14: 1. Die Unterschiede waren nicht si-gnifikant.

Tab. 1  Iatrogene Milzverletzungen im Gesamtkrankengut und den Gruppen I bis III

Gruppe Häufigkeit Prozent

I Milzverletzung und Entfernung der Milz 126 0,3

II Milzverletzung keine Entfernung der Milz 512 1,1

III keine Milzverletzung 44.627 98,6

Gesamt 45.265 100

Tab. 2  Tumorlokalisation in den untersuchten Gruppen

Gruppen Rechtskolon Linkskolon Rektum p-Wert

I 15 (12,9%) 84 (72,4%) 17 (14,7%) p<0,0001

II 70 (14,4%) 269 (55,2%) 148 (30,4%)

I+II 85 (14,1%) 353 (58,5%) 165 (27,4%)

III 13.364 (30,9%) 14.622 (33,8%) 15.285 (35,3%)

Gesamt 13.449 (30,7%) 14.975 (34,1%) 15.450 (35,2%)

Tab. 3  Rate der Notfalleingriffe in den untersuchten Gruppen

Notfalloperation Gruppe I Gruppe II Gruppe III p-Wert

Nein 112 (89,9%) 490 (95,7%) 42.344 (94,9%) p=0,007

Ja 14 (11,1%) 22 (4,3%) 2283 (5,1%)

Gesamt 126 (100%) 512 (100%) 44.627 (100%)

2 |  Der Chirurg 2014

Originalien

Im Gesamtkrankengut lag der Body-Mass-Index (BMI) median bei 25,86 kg/m2. In den Gruppen I bis III zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.

Patientenrisiko (Komorbidität, ASA-Klassifikation)

Im untersuchten Zeitraum wiesen in Gruppe I 13 Patienten (10,3%), in Grup-pe II 81 Patienten (16,0%) und in Grup-pe III 7638 (17,1%) keine Nebenerkran-kungen auf. Dies bedeutet, in 82,7% der Fälle (n=37.528) hatten die Patienten eine erhöhte Komorbidität. Hierbei zeigte sich, dass die Unterschiede in den Gruppen bei den kardialen Nebenerkrankungen und dem insulinpflichtigen Diabetes mellitus signifikant sind. Die Verteilung der ASA (American Society of Anesthesiologists)-Klassifikation in den Gruppen I bis III zeigte keine signifikanten Unterschiede.

Tumorlokalisation

In Gruppe I lag bei 84 Patienten (72,4%) der Tumor im Linkskolon. Im Vergleich dazu waren im Rechtskolon 12,9% (n=15) und im Rektum 14,7% (n=17) lokalisiert. In Gruppe II stellt sich dieser Unter-schied mit 55,2% im Linkskolon zu 14,4% im Rechtskolon und 30,4% im Rektum ebenfalls signifikant dar. Hinsichtlich der Gruppe III zeigt sich eine gleichmäßige Verteilung der Patienten über alle Tumor-lokalisationen hinweg (.Tab. 2).

Dringlichkeit

Aus .Tab. 3 geht hervor, dass in Grup-pe I 14 Patienten (11,1%) mit einer Notfall-operation behandelt werden mussten, in Gruppe II waren es 22 Patienten (4,3%) und in Gruppe III 2283 (5,1%).

Histopathologische Ergebnisse

Stadieneinteilung der Primärtumoren (UICC-Klassifikation)In der Gruppe I wurden ca. 50% der Pa-tienten mit einem fortgeschrittenen Tu-morStadium III oder IV operiert. In der Gruppe II waren es 44,6% und in der Gruppe III 47,4%. Nur 14,6% der Sple-nektomierten hatten das UICC-Stadi-

um I, in den anderen Gruppen war dieses frühe TumorStadium In knapp über 20% nachweisbar. Diese Unterschiede sind in den Gruppen mit Milzverletzung signifi-kant (.Tab. 4).

Tiefeninfiltration des PrimärtumorsIn .Tab. 5 ist dargestellt, dass in allen drei Gruppen der Anteil der fortgeschrit-tenen Tumoren (T3/T4) bei über 70% lag. In der Gruppe mit Milzexstirpation lag

Zusammenfassung · Abstract

Chirurg 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]   DOI 10.1007/s00104-013-2697-3© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

R. Steinert · M. Depel · A. Schmidt · H. Ptok · F. Meyer · S. Wolff · R. Otto · I. GastingerIatrogene Milzverletzungen in der kolorektalen Karzinomchirurgie. Einfluss auf das onkologische Langzeitergebnis

ZusammenfassungEinleitung.  Die iatrogene Milzläsion im Rah-men kolorektaler Karzinomeingriffe stellt einen signifikanten Risikofaktor für ein schlechteres frühpostoperatives Ergebnis dar. Hinsichtlich des Einflusses der iatrogenen Milzverletzungen, insbesondere der Splenek-tomie, auf das onkologische Langzeitergeb-nis liegen bisher nur wenig valide Daten vor.Methodik.  Im Untersuchungszeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2004 wurden die Daten einer prospektiven multizentrischen Beob-achtungsstudie mit 45.265 Patienten, deren Tumor in kurativer oder palliativer Intention entfernt wurde, im Hinblick auf die Beeinflus-sung der Überlebensraten durch die iatroge-nen Milzverletzungen analysiert.Ergebnisse und Schlussfolgerung.  Von 564 Patienten mit einer iatrogenen Milzverlet-zung konnten nach entsprechender Einwilli-gung Nachsorgedaten erhoben werden. Das entspricht einer Follow-up-Rate von 99,8%. 

Das mediane Follow-up lag bei 50,2 Mona-ten.

Das mediane 5-Jahres-Gesamtüberle-ben lag in der Gruppe I (Milzläsion mit Splen-ektomie) bei 4,8 Jahren und in der Gruppe II (Milzläsion mit Organerhalt) bei 8,0 Jahren (p=0,009). Zwischen der Gruppe II (Milzläsion mit Milzerhalt) und Gruppe III (Kontrollgrup-pe ohne Milzläsion) bestand hinsichtlich des Langzeitüberlebens kein Unterschied. In der multivariaten Cox-Regressionsanalyse wur-de die iatrogene Milzläsion mit Splenektomie als unabhängiger Risikofaktor für ein schlech-teres onkologisches Langzeitergebnis iden-tifiziert.

SchlüsselwörterKolorektales Karzinom · Operative Therapie · Iatrogene Milzverletzung · Splenektomie · Langzeitergebnisse

Iatrogenic splenic injuries in surgery of colorectal carcinoma. Impact on the oncological long-term of outcome

AbstractIntroduction.  Iatrogenic lesions of the spleen during surgery of colorectal carcino-ma is considered a significant risk factor for a worse early postoperative outcome. With re-gard to the impact of iatrogenic splenic le-sions particularly associated with splenecto-my on the oncological long-term outcome, only limited valid data are available.Methods.  Data obtained in a prospective multicenter observational study were an-alyzed. The study enrolled 45,265 patients with surgery for colorectal carcinoma in cura-tive and palliative intentions during the study period from 01 January 2000 to 31 December 2004, with regard to the impact of iatrogenic splenic lesions on survival rates.Results and conclusion.  Follow-up data with corresponding informed consent were obtained from 564 patients with iatrogen-ic splenic lesions, resulting in a follow-up rate 

of 99.8%. The median follow-up period was 50.2 months. The median 5-year overall sur-vival was 4.8 years in group I (splenic lesion with splenectomy) and in group II (splen-ic lesion with organ preservation) 8.0 years (p=0.009). Between group II (splenic lesion with organ preservation) and group III (con-trol group with no splenic lesion) there were no significant differences with regard to long-term survival. Using multivariate Cox regres-sion analysis, iatrogenic splenic lesions with splenectomy were identified as an indepen-dent risk factor for a worse oncological long-term outcome.

KeywordsColorectal carcinoma · Surgical treatment · Iatrogenic lesion of the spleen · Splenectomy · Long-term results

3Der Chirurg 2014  | 

der Anteil an fortgeschrittenen Tumorin-filtrationsstadien bei 83,1%.

Lymphknotenbefall der Primär- tumoren, synchrone MetastasenIm Gesamtkrankengut zeigten 24.670 Pa-tienten (53,6%) keinen Lymphknoten-befall (pN). Hinsichtlich der pN1-/pN2-Klassifikation fanden sich keine signifi-kanten Unterschiede in den untersuchten Gruppen.

Im Beobachtungszeitraum betrug die Rate an synchronen Metastasen (M) im Patientengut 16,5%. 37.776 Patienten (83,5%) waren zum Zeitpunkt der ope-rativen Behandlung frei von Metastasen. Auch hier fanden sich in den Gruppen keine Unterschiede.

Postoperative Gesamtmorbidität

Die Gesamtmorbidität betrug im unter-suchten 5-Jahres-Zeitraum unter Berück-sichtigung allgemeiner und spezifischer postoperativer Komplikationen 36,0%. Eine signifikant höhere Gesamtmorbidi-tät fand sich in den Gruppen I (47,6%) und II (48,6%) mit Milzverletzung.

Spezifische postoperative Komplikationen

Die intraabdominelle Abszessrate war mit 5,5% nach Milzentfernung am höchsten,

ebenso der Anteil von Peritonitiden und Wunddehiszenzen. Im Gesamtkranken-gut beträgt diese nur 1,1%. Nach Milzre-paration zeigt sich nur die Hälfte der Ab-szessrate (2,9%) gegenüber einer erfolgten Milzexstirpation.

Auch hinsichtlich der Anastomosenin-suffizienzen zeigten sich nach einer Milz-exstirpation eine signifikant höhere Ge-samtrate gegenüber der Kontrollgruppe und der Gruppe mit Milzerhaltung.

Hospitalletalität

Die Hospitalletalität betrug im Gesamt-krankengut im Zeitraum 2000 bis 2004 3,1%.

In Gruppe I, Patienten mit iatrogener Milzverletzung und Splenektomie, wur-de eine Hospitalletalität von 11,9% beob-achtet. In Gruppe II und III lag die Hos-pitalletalität jeweils bei 4,7% bzw. bei 3,0% (p<0,001).

Multivariate Cox-Regressions- analyse für das 5-Jahres- Gesamtüberleben

Entscheidende Faktoren für das onkolo-gische Langzeitüberleben bleiben in der logistischen Regression erwartungsge-mäß das Tumorstadium und die Tiefen-infiltration (pT).

Daneben stellen jedoch die iatrogenen Milzläsionen mit Splenektomie (Grup-pe I), die Dringlichkeit der Operation (Notfall) und die Anastomoseninsuffi-zienz weitere unabhängige Variablen für ein schlechteres Langzeitüberleben dar (.Tab. 6).

5-Jahres-Gesamtüberleben  der Patienten der Gruppe I und II

Die Kaplan-Meier-Analyse für das 5-Jah-res-Gesamtüberleben ergibt ein media-nes Überleben in der Gruppe I (Splen-ektomie) von 4,8 Jahren (95%-KI: 2,402–7,205) und in der Gruppe II (Milzerhalt) ein medianes Überleben von 8,3 Jah-ren (95%-KI: 6,315–9,884). Der gezeigte Unterschied (.Abb. 1) ist zwischen den Gruppen I und II (p=0,009) und zwischen den Gruppen I und III (p=0,016) signifi-kant. Zwischen der Gruppe II (Milzläsion mit Milzerhalt) und Gruppe III (keine Milzläsion) besteht hinsichtlich des Lang-zeitüberlebens kein signifikanter Unter-schied (.Abb. 2; p=0,387) bei einem Gesamtüberleben in der Gruppe III von 7,1 Jahren (95%-KI: 4,89–9,26).

Diskussion

Die iatrogene Milzläsion im Rahmen ko-lorektaler Karzinomeingriffe stellt einen signifikanten Risikofaktor für ein schlech-teres frühpostoperatives Ergebnis dar. Dies betrifft insbesondere die hohe Ra-te an Anastomoseninsuffizienzen und in-fektiös-septischen Komplikationen. Da-von wird auch die Rate der höheren Ge-samtmorbidität und Hospitalletalität be-einflusst. Im Vergleich findet sich ein ein-deutig schlechteres postoperatives Er-gebnis in der Gruppe der splenektomier-ten Patienten gegenüber der Gruppe mit Organerhalt durch Reparation der ver-letzten Milz. Das waren die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchungen des glei-chen Krankengutes zu dem Einfluss der Milzläsion auf das frühpostoperative Out-come [1]. Ähnliche Erfahrungen teilen bei einer insgesamt sehr spärlichen Datenlage auch andere Arbeitsgruppen mit [3, 4, 5]. Noch weniger ist bisher über den Einfluss der iatrogenen Milzläsion auf das onko-logische Langzeitergebnis nach kolorek-talen Karzinomresektionen bekannt. In

Tab. 4  UICC-Stadien in den untersuchten Gruppen

Gruppen Stadium I Stadium II Stadium III Stadium IV p-Wert

I 18 (14,6%) 44 (35,8%) 43 (35,0%) 18 (14,6%) p=0,035

II 108 (21,2%) 174 (34,2%) 158 (31,0%) 69 (13,6%)

III 9671 (22,6%) 12.847 (30,0%) 12.932 (30,2%) 7372 (17,2%)

Gesamt 9797 (22,5%) 13.065 (30,1%) 13.133 (30,2%) 7459 (17,2%)

Tab. 5  Tiefeninfiltration des Primärtumors (pT) in den untersuchten Gruppen

Gruppen pT1 pT2 pT3 pT4 p-Wert

I 9 (7,3%) 12 (9,7%) 74 (59,7%) 29 (23,4%) p=0,003

II 46 (9,0%) 95 (18,7%) 314 (61,7%) 54 (10,6%)

III 4124 (9,5%) 8218 (19,0%) 25.161 (58,0%) 5863 (13,5%)

Gesamt 4179 (9,5%) 8325 (18,9%) 25.549 (58,1%) 5946 (13,5%)

Tab. 6  Ergebnisse der multivariaten Cox-Regressionsanalyse für das stadienunabhängige 5-Jahres-Gesamtüberleben

Variable p-Wert Hazard Ratio 95%-Konfidenzintervall

Dringlichkeit (Notfall/Elektiv) <0,001 1,640 1,521–1,768

Anastomoseninsuffizienz (ja/nein) <0,001 1,491 1,372–1,621

Milzläsion mit Splenektomie <0,019 1,451 1,064–1,979

4 |  Der Chirurg 2014

Originalien

der vorliegenden Arbeit wurde das be-reits untersuchte Krankengut [1] nun auf diese Frage hin analysiert. Aufgrund der hohen Fallzahl und einen dadurch mög-lichen Gruppenvergleich zwischen Milz-erhalt und Splenektomie sowie einer ak-zeptablen Nachuntersuchungsrate konn-ten detaillierte Aussagen hinsichtlich der Langzeitergebnisse erfolgen.

Das mediane 5-Jahres-Gesamtüber-leben lag in der Gruppe I (Splenekto-mie) bei 4,8 Jahren und in der Gruppe II (Milzerhalt) bei 8,0 Jahren (p=0,009). Zwischen der Gruppe II (Milzläsion mit Organerhalt) und Gruppe III (keine Milz-läsion) bestand hinsichtlich des Langzeit-überlebens kein Unterschied. In der mul-tivariaten Cox-Regressionsanalyse wa-ren erwartungsgemäß das Tumorstadium und die Tiefeninfiltration (pT) die ent-

scheidenden Faktoren für das onkologi-sche Langzeitüberleben. Daneben stellten sich jedoch die iatrogenen Milzläsionen mit Splenektomie (Gruppe I), die Dring-lichkeit der Operation (Notfall) und die Anastomoseninsuffizienz als weitere un-abhängige Variablen für ein schlechteres Langzeitüberleben dar. Somit ist die iat-rogene Milzläsion mit Splenektomie sta-dienunabhängig ein signifikanter Risiko-faktor für ein schlechteres onkologisches Langzeitergebnis. Das wiederum führt zu der Empfehlung, im Falle einer Milzläsion immer eine milzerhaltende Reparation zu versuchen. Wie bereits erwähnt, gibt es zu dieser Problematik nur wenige Literatur-daten. Die Rate an iatrogenen Milzläsio-nen im Rahmen der operativen Behand-lung kolorektaler Karzinome wird zwi-schen 0,4 und 1% angegeben [3, 4, 5]. Im

eigenen Krankengut wurde eine Rate von 1,4% (n=638) ermittelt.

In der Literatur wird über deutlich klei-nere Fallzahlen berichtet. So untersuchten Davis et al. [6] bei 57 Patienten den Ein-fluss der Splenektomie auf das Langzeit-ergebnis und fanden nur im UICC-Sta-dium III eine Verkürzung der Überle-benszeit bei den Patienten mit simultaner Milzentfernung. Varty et al. [7] postulier-ten bei 21 Patienten einer Fallkontroll-studie einen negativen Trend des 5-Jah-res-Überlebens nach Splenektomie. Auch Konstadoulakis et al. [8] und Wakeman et al. [9] berichten bei kleinen Patientenkol-lektiven über eine negative Beeinflussung des Langzeitüberlebens durch Splenekto-mie. Neuere Untersuchungen an einem größeren Krankengut werden von Mc Go-ry et al. [5] und Holubar et al. [3] mitge-teilt. Die Arbeitsgruppe von McGory er-fasste in einer retrospektiven Analyse von 41.999 kolorektalen Karzinomresektionen 241 Splenektomien (0,6%). Die Splenek-tomiegruppe zeigte hier ein hochsignifi-kant (<0,001) schlechteres 5-Jahres-Über-lebens. Dagegen beobachteten Holubar et al. bei 13.897 Patienten 59 Milzverletzun-gen mit 45 Splenektomien keinen Einfluss auf die Kurz- und Langzeitergebnisse.

Fazit

Die iatrogene Milzläsion, insbesonde-re eine damit verbundene Splenektomie, ist im Rahmen kolorektaler Karzinomein-griffe ein signifikanter Risikofaktor für ein schlechteres frühpostoperatives Er-gebnis und auch für das onkologische Langzeit-Outcome. Im Falle einer Milzlä-sion ist nach den vorliegenden Daten im-mer eine milzerhaltende Reparation zu versuchen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. I. GastingerAn-Institut für Qualitätssicherung  in der operativen Medizin gGmbH  an der Otto-von-Guericke-Universität,Leipziger Str. 44, 39120 [email protected]

Abb. 1 8 5-Jahres-Gesamtüberleben mit und ohne Milzerhalt

1,0

0,8

0,6

0,40 12

„Gruppeneinteilung“Milzverletzung + Entfernung

Milzverletzung + Entfernung-zensiertMilzverletzung + Milz belassen-zensiert

Milzverletzung + Milz belassenKeine Milzverletzung

Keine Milzverletzung-zensiert

Überlebenszeit [Monate]

Übe

rlebe

nsw

ahrs

chei

nlic

hkei

t

24 36 48 60

Abb. 2 8 5-Jahres-Gesamtüberleben in den Gruppen I bis III

1,0

0,8

Übe

rlebe

nsw

ahrs

chei

nlic

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t

0,6

0,40

Überlebenszeit [Monate]12 24 36 48 60

„Gruppeneinteilung“Milzverletzung + EntfernungMilzverletzung + Milz belassenMilzverletzung + Entfernung-zensiertMilzverletzung + Milz belassen-zensiert

5Der Chirurg 2014  | 

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  R. Steinert, M. Depel, A. Schmidt, H. Ptok, F. Meyer, S. Wolff, R. Otto und I. Gastinger ge-ben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1.  Mettke R, Schmidt A, Wolff S et al (2012) Milzver-letzungen im Rahmen kolorektaler Karzinomchir-urgie. Chirurg 83(9):809–814

2.  Marusch F, Koch A, Schmidt U et al (2002) Prospek-tive Multizenterstudie „ Kolon -/Rektumkarzinome „ als flächendeckende chirurgische Qualitätssiche-rung. Chirurg 73:138–146

3.  Holubar SD, Wang JK, Wolff BG et al (2009) Splenic salvage after intraoperativ splenic injury during colectomy. Arch Surg 144:1040–1045

4.  Wang JK, Holubar SD, Wolff BG et al (2011) Risk factors for splenic injury during colectomy: a mat-ched case-control study. World J Surg 35:1123–1129

5.  Mc Gory ML, Zingmond DS, Sekeris E, Clifford Y (2007) The significance of inadvertent splenecto-my during colorectal cancer resection. Arch Surg 142:668–674

6.  Davis CJ, Ilstrup DM, Pemberton JH (1988) Influen-ce of splenectomy on survival rate of patients with colorectal cancer. Am J Surg 155(1):173–179

7.  Varty PP, Linehan IP, Boulos PB (1993) Does concur-rent splenectomy at colorectal cancer resection in-fluence survival? Dis Colon Rectum 36(6):602–606

8.  Konstadoulakis MM, Kymionis GD, Leandros E et al (1999) Long term effect of splenectomy on pati-ents operated on for cancer of the left colon: a re-trospective study. Eur J Surg 65(6):583–587

9.  Wakeman CJ, Dobbs BR, Frizelle FA et al (2007) The impact of splenectomy on outcome after resection for colorectal cancer: a multicenter, nested, paired cohort study. Dis Colon Rectum 51(2):213–217

6 |  Der Chirurg 2014

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