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III Jura Soyfer Das Vagabundenlied

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Jura SoyferDas Vagabundenlied

Notenblatt des Liedes Wenn der Himmel grau wird.... aus Astoria. Komponist: Jimmy Berg

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Herbert Arlt (Wien)

Das Vagabundenlied Eine Einleitung

AbstractDas hier vorzustellende Vagabundenlied von Jura Soyfer bzw. seine 34 bersetzung do-

kumentieren einen kleinen Ausschnitt des Werkes, der Verbreitungsgeschichte und der berset-zungsttigkeiten, die in den 1930er Jahren noch zu Lebzeiten Jura Soyfers begannen und heute bersetzungen bzw. bersetzungsprojekte in rund 50 Sprachen umfassen.1 Die Besonderheit dieser bersetzungen weltweit besteht aber keineswegs nur in der Vielzahl der Lnder (und damit Kommunikationsformen) sowie Sprachen. Vielmehr knnte gerade diese Dokumentation zur bersetzung des Vagabundenliedes der Beginn einer neuen sprachlichen Synergie im Sin-ne des Verbindenden in der Vielsprachigkeit sein. Denn die Vagabunden (die WandererInnen) spielen als NomadIn, StudentIn, MigrantIn RevolutionrIn in allen Kulturen eine Rol-le so unterschiedlich die Zeichensysteme und Synonyme auch sein mgen. Scheinbar an den Rand gedrngt, deklassiert, erniedrigt, ist doch von ihrer gesellschaftlichen Position abhngig, ob heute eine Gesellschaft arm oder reich ist. Die Unterdrckung der VagabundInnen, die Polarisierungen, vor allem die Gewalt, die Kriege haben in diesem Kontext eine Gesellschaft immer arm gemacht.

Mit dieser Dokumentation gilt es zunchst einmal, einen sprachlichen und kulturellen Reich-tum zu entdecken sowie die knstlerischen und gesellschaftlichen Mglichkeiten, die sich damit verbinden. Selbst berlegungen zu sprachmaschinellen bersetzungen spielen eine Rolle, die durchaus im Kontext traditionsreicher Diskussionen zu Mglichkeiten von bersetzungen ste-hen.

1. Das Lied

Die Grundlagen fr die bersetzungen sind unterschiedlich.2 Fr diese Einleitung und die bersetzungen im 21. Jahrhundert ist das Vagabundenlied in der Fassung, wie sie in der vier-

1 DieSammlungen,Edierungen,bersetzungenbefindensichseitden40erJahreninstndigerVernderungundwurdenauchmehrfachkommentiert.EineerstekleineDokumentationzudenbersetzungenfindetsichauf der Homepage der Jura Soyfer Gesellschaft unter: http://www.soyfer.at/deutsch/uebersetzungen.htm

2 Der erste Abdruck des Vagabundenliedes (mit Abweichung zu dieser Fassung) erfolgte in der Tageszeitung Der Wiener Tag (Der Sonntag), Nr. 159, 4. April 1937. Vgl. zu den Fassungen: Horst Jarka: Jura Soyfer: Das Gesamtwerk. Europa-Verlag: Wien, Mnchen, Zrich 1980, S. 824ff. (Im folgenden zitiert als: GW, Seiten-zahl.) Die in dieser Dokumentation enthaltenen bersetzungen entstanden bis auf die Franzsische alle

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bndigen Soyfer-Werkausgabe (im folgenden: WA) von 2002 enthalten ist, die Vorlage.3 Zum Teil wurden aber auch die bersetzungen von Horst Jarka ins Englische4 sowie durch Wladimir Fadeev ins Russische5 herangezogen. Fr die bersetzung ins Marokkanische waren die Fas-sung der Werkausgabe sowie die bersetzung ins Arabische durch Aleya Khattab die Grundla-ge, fr die bersetzung ins Aserbaidschanische neben der Werkausgabe die bersetzung von Gertrude Durusoy ins Trkische.6

DasLiedwirdnurimFallevonBrankoAndrialsbersetzungdesStckeswiedergeben(es ist ein Faksimile des Originalmanuskriptes). Der Text in Deutsch wurde mit dem Zusatz Vagabundenlied versehen. Im Originaltext dagegen wird mit diesem Lied das Stck Astoria erffnet, das erstmals vom 27. Mrz bis 17. April 1937 im ABC (ABC im Regenbogen) in Wien gespielt wurde.7 Demgem weichen auch die Titelgebungen in den bersetzungen ab. Anstatt Vagabundenlied wird verschiedentlich einfach der Refrain in der jeweiligen Sprache wiederholt: Mein Bruder Vagabund.

Dieses Lied, das wir Vagabundenlied nennen, besteht aus drei Strophen. In der ersten Strophe wird der Einzug des Winters dargestellt. In der zweiten Strophe offenbart sich die sozi-ale Klte. Und in der dritten Strophe scheint ein knstlicher Himmel eine Erlsung bringen zu knnen, wenn nur das unsoziale Verhalten berwunden werden knnte.

Doch die Soyferschen Texte, die so einfach zu sein scheinen, erweisen sich als gar nicht leicht zugnglich. Beginnen wir unseren Versuch einer Annherung mit einer Interpretation des knstlichen Himmels in der dritten und letzten Strophe:

Und wr der Himmel drobenVon Samt und von BrokatUnd Sternlein eingewoben,Ein jedes ein Dukat [...]8

nach der Edierung des Soyferschen Werkes durch Horst Jarka. (Die Details zu den Aspekten dieser Fassungen etc. sind in den nchsten Jahren im Rahmen der Herausgabe eines multimedialen historisch-kritischen Kom-mentars fr die neue Edition zu erarbeiten, deren Erscheinen fr Herbst 2010 vorgesehen ist.

3 Jura Soyfer: Werkausgabe. Bd.2. Auf uns kommts an. Szenen und Stcke. Deuticke: Wien 2002, S. 139.4 Its Up to Us! Works of Jura Soyfer, edition and translation by Horst Jarka. Ariadne Press; Riverside (Cali-

fornia) 1994, S. 169; darunter ins Armenische, Bosnische, Kroatische, Tadschikische, Usbekische.5 Jura Soyfer, Konyets Svyeta (Weltuntergang). Zeitschriften-Bibliothek Newa: St. Petersburg 1992, S. 30/31.

Theaterstcke, Romanfragment, ein Essay; Herausgabe, Kommentar und Nachwort von Alexandr W. Belob-ratow, bersetzungen von Irina Alexejewa, Alexandr W. Belobratow, Wladimir Fadeev, Jelena Krepak. (Der Band enthlt die Stcke Astoria, Vineta, Weltuntergang, einen Auszug aus So starb eine Partei und den Essay Franois Villon). Zumindest fr Armenisch, Bosnisch, Kroatisch, Tadschikisch, Usbekisch wurde diese bersetzung bercksichtigt, wobei auch eine wichtige Rolle die bersetzung des Soyferschen Essays zu Franois Villon spielt.

6 Nach Mitteilungen durch Mohammed Laasri (Fes) und Vilayet Hajiyev (Baku).7 Daten und Abbildungen dazu sind enthalten in: Jura Soyfer und Theater. Peter Lang Verlag: Frankfurt am

Main 19928 Weitere Zitate aus der Werkausgabe werden folgendermaen in den Text eingefgt: WA, Bd. [], Seite(n). Hier: WA, Bd.2, S. 139.

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Der Sommer ist verglommen,Der Herbst hat ausgeweint,Nun ist der Winter kommen,Der bitterbse Feind.Die Erde liegt im LeichenhemdUnd war einst jung und bunt.Was suchst Du noch, Du bist hier fremd,Mein Bruder Vagabund.

Wie springt dir an die WadenDer scharfe Winterwind,Du bist nicht eingeladen,Wo sie besoffen sind.Dich ruft kein Wirt zum heien PunschUm Sankt Silvesters Stund:Ein Rabe krchzt den Neujahrswunsch,Mein Bruder Vagabund.

Und wr der Himmel drobenVon Samt und von BrokatUnd Sternlein eingewoben,Ein jedes ein Dukat,Wr keiner, der die Leiter stellt,Da man sie holen kunnt,So ist die Zeit, so ist die Welt,Mein Bruder Vagabund

Aus: Astoria (1937)

Auf den ersten Blick, der meine Inter-pretation ber viele Jahre bestimmt hat, ist dieser Himmel durch Reichtum charakteri-siert. Die Aufgabenstellung scheint darin zu bestehen, solidarisch zu handeln, um diesen Reichtum erreichen, fr sich nutzen zu kn-nen:

Wr keiner, der die Leiter stellt,Da man sie holen kunnt,So ist die Zeit, so ist die Welt,Mein Bruder Vagabund. (WA, Bd.2, S. 139.)

Aber die Solidaritt allein bringt offen-bar die Vernderung nicht. Immer schon irri-tierend war fr mich in diesem Zusammen-hang das Wort Dukat.9. Meine Frage war: Warum verwendet Soyfer ein Wort, das altes Geld bezeichnet, das nicht als Zahlungsmit-tel in der Welt der 1930er Jahre verwendet wurde, aber als Sammlungsobjekt bis in die Gegenwart eine Rolle spielt? In welcher Be-ziehung stehen hier alte Welt und seine Ge-genwart und unsere Welt?

Durch die Arbeiten zum Film Otto Tausig spielt Broadway-Melodie 1492, der ebenfallsTeildieserPublikationist,fielmirwieder auf, dass das Wort Goldbrokat die sthetik des Burgtheaters in diesem Text

9 Erstmals wurden Dukaten 1284 in Venedig ge- prgt und haben sich von dort aus ber den gan- zen Kontinent verbreitet. Der Name kommt von der Umschrift auf der Rckseite der ersten Dukaten: Sit tibi

Christe datus quem tu regis iste ducatus Dir, Christus, sei dieses Herzogtum, welches du regierst, gegeben. In Venedig wurden Dukaten bis zum Ende der Republik im Jahre 1797 mit gleichem Mnzbild und nahezu unverndertem Feingewicht (Goldgehalt) geprgt. Damit waren die venezianischen Dukaten ber Jahrhun-derte die stabilste Whrung der Welt. Insbesondere fr das 14. und 15. Jahrhundert drfte der Dukat als die Welthandelsmnze angesehen werden, die auch als Mastab fr Gewichtsvergleiche herangezogen wurde. Zitiert nach Wikipedia. Im WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Dukat_(M C3 BCnze)

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charakterisiert. Aber die Broadway-Melodie 1492 folgt Astoria im ABC im Regenbogen und wird vom 20. November 1937 bis zum 27. Jnner 1938 gespielt (in einer Zeit, da Jura Soyfer als politischer Hftling im austrofaschistischen Gefngnis war). In diesem Stck wird eine enge Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellt:

Ja, man entdeckt die eigne Gegenwart,Wenn man ein Stck Vergangenheit entstaubt [...] (WA, Bd.2, S. 308.)

Das Stck Broadway-Melodie 1492 beginnt mit einem Wortwechsel zwischen dem Portier des Burgtheaters und dem Regisseur eines Avantgarde-Theaters ber Inhalt und Kulisse:

REGISSEUR: Die Handlung spielt um die Wende des 15. Jahrhunderts...PORTIER: Die Wnde interessieren mich nicht. Den Stoff will ich wissen.REGISSEUR: Ja, es dreht sich um die Entdeckung Amerikas. Das Stck be- ginnt...PORTIER: Alstern, san S terrisch oder was, nachn Stoff hab ich Ihna gefragt, was verarbeiten wolln. Schaun S mir im Burgtheater do arbeiten zum Beispiel nur mehr mit Goldbrokat. (WA, Bd.2, S. 219.)

Das Stck Broadway-Melodie 1492 folgt daher Astoria und bereitet das Publikum nicht auf Astoria vor. Auch nicht der Essay Franois Villon, der in der Tageszeitung Der Wiener Tag in der Nr. 187 am 17. Oktober 1937 erschien.10 Die Einfhrung der stabilen Weltwhrung Dukat einer Goldmnze erfolgt in dieses Stck der Finanzturbulenzen Astoria daher un-vermittelt. Aber offenbar kann mit dieser Goldmnze und dem Goldbrokat noch eher Reichtum ausgedrckt werden als mit der damaligen Nationalwhrung. (Immerhin hat sich der Dukat bis heute als Wertgegenstand erhalten.)

Die Ambivalenz ist aber umfassender. Denn das Burgtheater ist in diesem Stck ein Syn-onym fr Geschichtslosigkeit, Ausgrenzung, Inkompetenz als Merkmal des Autoritarismus. Sein Stoff aber wird zum Himmel der Vagabunden. Und der Regisseur des Avantgarde-Theaters, der alles ganz anders machen will, spielt sein Stck ausgerechnet in der Portierloge dieses Thea-ters vor. Wrde er denn auch Brokat fr seinen Himmel verwenden, wenn er gengend Subven-tion bekommen knnte? Ist das Burgtheater das Astoria des Theaterlebens?

Wichtig ist fr das Stck daher, dass Soyfer wie in den anderen Stcken zuvor die Zeiten miteinander verschrnkt und eine komplexe Sprache sowie vielschichtige Bilder verwendet.

10 GW, 857.

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Der Vagabund in Astoria ist bereits der Scholar, der mit der Entstehung der Nationalstaatlichkeit nicht mehr erwnscht ist.11 Seine Ausdrucksweise verweist auf Bildung und Fremdsprachen-kenntnisse. Und er wird in eine Welt hineingezogen, die virtuell ist. Aber diese Virtualitt wird mit dem Vagabundenlied noch nicht vorbereitet, durchaus aber der Schluss des Stckes, in dem die Vagabunden ganz in der Volkstheatertradition zum Abschluss gemeinsam ein Lied singen:

Such nicht Astoria,Mein Bruder Vagabund. (WA, Bd.2, S. 184.)

Aber nicht nur der Vagabund Hupka in Astoria, spter der Avantgarde-Regisseur in Broad-way-Melodie 1492 suchen nach diesem knstlichen Himmel, sondern auch etliche Theaterleute bis in die Gegenwart hinein. Und nicht zuletzt die gegenwrtige Krise ist durch dieses Suchen nach Astoria geprgt, durch die erfundene Wirtschaft und das erfundene Leben.

Neben Dukat und Brokat ist noch ein weiteres Wort wichtig, auf das vorab eingegangen werden soll: Leiter. Leon Askin mochte das Soyfersche Lied des Plakatanklebers sehr, in dem eine Leiter eine zentrale Rolle spielt, und er hat es immer wieder zitiert und als so etwas wie sein Lebensmotto angesehen. Die Leiter ist dort ein Synonym fr die Aufstiegsmglichkeit:

A so a Leiter, tuans dann sagn,Die tut a jeder mit sich tragn;Weil alle Menschen gleich san heut,Hat jeder a Aufstiegsmglichkeit. (WA, Bd.1, S.207.)

Wie in der dritten Strophe des Vagabundenliedes wird aber der Aufstieg be- bzw. verhin-dert, weil die Menschen gegeneinander kmpfen. Die Dukaten sind in diesem Lied die Le-bensplakate. Um diesen Kampf der Menschen gegeneinander geht es auch im Stck Astoria. Das Ergebnis des Kampfes um die Aufstiegsmglichkeiten wird folgendermaen zusammenge-fasst:

Die Leiter hat kan Sinn,Weil i der Pemsel bin,Kan Sinn, da i mi hetz und lauf,Den Scherbn hab i immer auf. (WA, Bd. 1, S. 207.)

11 Siehe den Kommentar von Knut Ove Arntzen in diesem Abschnitt zu seiner bersetzung des Vagabunden-liedes ins Norwegische.

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2. Das Stck

Das Vagabundenlied steht im Kontext und in Wechselwirkung mit folgenden Wortfeldern: dem Stck, dem Werk Jura Soyfers, der Verwendung in seiner Zeit, den Synonymen, der Spra-che in ihrer Historizitt und Gegenwrtigkeit.

Das Stck Astoria von Jura Soyfer ist heute das Gegenwartsstck. 1937 geschrieben, enthlt es alles, was ber die gegenwrtige Krise zu sagen ist. Im Stck Astoria ist es erfundenes Erdl, mit dem das Geld den Brgern entlockt wird:

GWENDOLYN: [...] Jedermann wei, wie schwer die armen Menschen sonst arbeiten ms-sen, wenn irgendwo Erdl gebohrt wird, jedermann wei, wie schmutzig das ist. Nichts von alledem ist bei uns zu bemerken. Unser Erdl entsteht auf die hygienischste Weise der Welt. Hndeklatschen.ANASTASIA [...]: Ist das wahr?HUPKA: Na hren Sie! Was gibt es Hygienischeres als Brsenmanver? (WA. Bd. 2, S. 170.)

Heute wird diese virtuelle Nachfrage durch die sogenannte dritte Pensionssule, durch entsprechende Bewertung von Grundstcken und Husern etc. geschaffen. Mit dem steigenden Geldvolumen steigt die Krise. Und nach wie vor gilt nicht nur fr die Vagabunden, dass die eigentlichen materiellen Werte weder das Gold noch der Brokat und schon gar nicht die Aktien sind, sondern die Realwirtschaft. Und diese Realwirtschaft ist weder durch Gewalt zu erschaf-fen noch durch groe Geldmengen. Der Mythos Markt hat wieder einmal seine Irrealitt be-wiesen.12

Das Stck, das mit einem Lied beginnt, das auch aus einem der vorangegangenen Jahrhun-derte sein knnte, endet daher mit einer konomischen Theorie, die fr die Beendigung der heutigen Krise von zentraler Bedeutung sein mte. Nicht als ein Enthllungsstck, sondern als ein Stck Literatur, das bereits mit seinem ersten Lied zeigt, wie komplex der nachfolgende Text sein wird, der hier nicht nher interpretiert werden soll, da das Thema das Vagabundenlied ist. Ebenso wird darauf verwiesen, dass die Forschungen zu den Wortfeldern dem multimedi-alen historisch-kritischen Kommentar vorbehalten bleiben ganz in der Tradition der Soyfer-Forschung, die ihre Ttigkeit stets als Prozess verstanden hat.

Fr die Interpretation des Vagabundenliedes ist daher wichtig, dass es nicht nur als histori-scher, sondern vielmehr als hchst aktueller Text wahrgenommen wird. Ganz im Sinne auch der Theorie von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen darunter dem Nebeneinander und In-

12 Walter Otto tsch: Mythos Markt. Marktradikale Propaganda und konomische Theorie. Metropolis Verlag: Marburg 2009.

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einander von Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft.

3. bersetzungen

Das Vagabundenlied wur-de am 30.6.2008 zum 20. Jah-restag der Grndung der Jura Soyfer Gesellschaft in 30 Spra-chen vorgetragen.13 Fr diese Dokumentation fehlen von der seinerzeitigen Prsentation nur die bersetzungen in Hindi und Punjabi durch Amrit Mehta. Sie sollen aber ebenso wie andere bersetzungen in kommenden Auflagennachgetragenwerden.

Die vorgetragenen berset-zungen entstanden im Laufe der Jahrzehnte.14 Einige wurden spe-ziell fr das Jubilum geschrie-ben, einige fr diese Dokumen-tation.

Wichtig ist, dass diese ber-setzungen beginnen, in einer neuen Weise miteinander in Be-ziehung zu stehen. Bereits bisher entstand der Groteil aus einem sprachbergreifenden Polylog, fr den es der Kommentare be-

13 Das seinerzeitige Programm im WWW: http://www.soyfer.at/ver-anstaltungen/fest_20jahre.htm

14 Im Abschnitt IV dieses Buches mit dem Titel Zum Gedenken wird auch einiger bersetzer gedacht, die mittlerweile verstorben sind.

Das Vagabundenlied, erschien erstmals gedruckt in Der Wiener Tag (Der Sonntag), Nr. 159, 4. April 1937.

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darf. Die bersetzungen sind daher nicht nur im jeweiligen kulturell-sprachlichen Kontext zu sehen, sondern auch im Kontext einer transnationalen Kommunikation, einer Globalisierung, die sich nicht nur militrisch oder wirtschaftlich vollzieht, sondern in deren Rahmen auch eige-ne Sprachen entwickelt werden. Diese Sprachen waren und sind nie auf sich selbst beschrnkt, sondern knnen immer nur aus der Wechselwirkung mit anderen Sprachen begriffen werden.

Gerade dafr sind die hier dokumentierten Vagabundenlieder in 33 Sprachen (inklusive Deutsch) mit ihren Kommentaren ein exzellentes Beispiel. ber das Wort Vagabund hinaus zeigen die bersetzungen zum Winter, zur sozialen Klte, zum Reichtum Vielfalt und gemein-same Lebenspraxis der Menschen weltweit. Aber es erweist bereits das Wort Vagabund, wie kompliziert die Annherung an die Globalitt in ihrer Komplexitt ist. Und immerhin wird hier nicht einmal in allen Fllen detailliert auf 33 von insgesamt vielleicht 20.000 Sprachen auf die-ser Welt an anhand eines Beispiels eingegangen.15

4. Das Wort Vagabund, seine Synonyme und bersetzungen

Der Vagabund im Stck Astoria ist ein armer Intellektueller ohne Obdach. Er ist ein Vaga-bund im Sinne der altlateinischen bzw. franzsischen Bedeutung des Wortes bzw. ein urbaner Nomade. Er ist ein Obdachloser im Sinne des persischen Wortes bikanehman. (Massud Rahnama, Email, 28.10.2009.)16 Auch im Arabischen wurde ein Wort mit hnlicher Bedeutung gewhlt: Muscharrad (ein Umherirrender, ein Nicht-Sesshafter). (Aleya Khattab, Email, 30.10.2009.) Und im persischen Sinne ist der bikanehman (der Vagabund) auch ein Unter-grundkmpfer, ein Partisan, ein Revolutionr ganz im Sinne des Soyferschen Stckes Astoria, mit dem es ebenfalls um Vernderungen geht. Denn die Soyferschen Vagabunden heien Fran-ois Villon und Bertolt Brecht. Es sind die Intellektuellen unserer Tage.

In den nachfolgenden Kommentaren zu den 34 bersetzungen werden vielfach exzellent die Begrndungen fr die bersetzungen des Wortes Vagabund bzw. die Wortfelder herausgear-beitet, in denen diese bersetzungen platziert werden. Hier sollen einige Hauptaspekte heraus-gearbeitet werden, die sich aufgrund der bisher vorliegenden bersetzungen ergeben. Es sollen aber auch einige Aspekte und Kommentare aufgenommen werden, die nicht als Kommentare in den nachfolgenden bersetzungsteil eingegangen sind, weil sie zu kurz (zu punktuell) oder

15 Fr die UNESCO spielt die Vielfalt der Sprachen eine zentrale Rolle (nicht nur im Jahr der Sprachen 2008, sondern bereits in ihrer Verfassung. Ein zentrales Dokument dazu war: Our Creative Diversity. Report of the World Commission on Culture and Development. UNESCO: Paris 1994. Ausgegangen wurde damals von 10.000 unterschiedlichen Gesellschaften in rund 200 Staaten. (Ebd., S. 16.) Zu heutigen Analysen und Pro-grammen siehe: http://portal.unesco.org/culture/en/ev.php-URL_ID=35097&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html

16 Vgl. Dazu auch: Graham D. Rowles, Habib Chaudhuny (Editors): Home and Identity in Late Life. Internatio-nal Perspectives. New York 2005, S.166.

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auch, weil sie zu lang waren. Dazu kam die Mglichkeit fr die bersetzerInnen, den Entwurf zum Abschnitt III (zum Vagabundenlied in 33 Sprachen) zu kommentieren und in der Einlei-tung zitiert zu werden. (Damit ist diese Einleitung auch ein Ergebnis einer kollektiven Arbeit, diemehrstufigrealisiertwurde.)

4.1. VagabundZunchst war einmal die Verwendung und die Rezeption des Wortes Vagabund interessant.

Denn die positive Besetzung bei Soyfer entspricht keineswegs derjenigen in allen deutschspra-chigen Bedeutungen bzw. Wortfeldern. Und es zeigt sich, dass auch die Bedeutungen in den verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich sind, auch wenn sie auf das gleiche lateinische bzw. franzsische Wort zurckgehen.

Knut Ove Arntzen hatte sich in den letzten Jahren vor allem mit Skandinavien und den baltischen Staaten im Zusammenhang mit Soyfer auseinandergesetzt. Es war unklar, warum es ihm mit seinen vielen Verbindungen und vielen Projekten nicht gelang, Soyfer auf eine dieser Bhnen zu bringen. Ein Erklrungsansatz knnte sich durchaus aus seiner Darstellung der gesellschaftlichen Stellung der Vagabunden in Norwegen ergeben. Aus seinem Kommentar (Email, 4.11.2009.): [...] obwohl die Regelungen, die ihn durch polizeiliche Manahmen ins Gefngnis oder Zuchthaus bringen konnten, weggefallen sind. Die meisten Norweger wrden sich aber freuen, wenn diese Manahmen wieder eingefhrt wrden. Traditionell gab es im 19. und20.JahrhundertenauchdieMglichkeit,zwangsweiseindieHandelsflotteweggewiesenzuwerden.17

In seinem Kommentar verweist er auf die Rigiditt des puritanischen Nationalstaates, der das Scholarentum unterbindet und auch gegen andere kulturelle Ausdrucksweisen vorgeht, die in anderen Lndern durchaus positiv verstanden werden. Gefragt werden knnte aber auch danach, ob nicht der gesellschaftliche Umbruch, der zu einer negativen Bewertung der Scholaren fhrte, auch in anderen Lndern zu pejorativen Bedeutungen fhrte. Im Moment kann nur festgestellt werden, dass es auch durch Wortentlehnungen zu diesen negativen Bedeutungen kam.

Um der Bedeutung des Soyferschen Wortes Vagabund zu entsprechen, wird nach Syn-onymen gesucht. Ein Beispiel dafr ist die bersetzung ins Bulgarische von Ana Dimova, die sich gemeinsam mit Penka Angelova fr Soyfer erfolgreich in Bulgarien engagiert hat. Ihre berlegungen:

VorlufigkannichIhnensagen,dassimBulgarischendasWortVagabunt(in)alsberset-zung nicht in Frage kam. Es wurde aus dem Rumnische entlehnt, hat NUR die Bedeutung Gau-ner, Betrger, Dieb. Als Entsprechung fr das deutsche Vagabund wird in allen Wrterbchern angefhrt: skitnik. (Email, 1.11.2009.)

17 Die folgenden Email-Zitate sind sprachlich adaptiert. Darunter: ae wird zu etc.

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Dem entsprechen auch die Vorschlge von Penka Angelova (Email, 1.11.2009.): [...] das Vagabundenliedmssteheissenoder.Siebewertetedie Lsungen, die Ana Dimova fr die bersetzungen gefunden hatte, als exzellent.

Katja Sturm-Schnabl hat fr die slowenische bersetzung eine hnliche Variante gefunden: Das Wort Vagabund habe ich mit potepuh bersetzt, das sinngem am ehesten dem Soyfer-schen Vagabund entspricht. Es existiert im Slowenischen auch das Wort vagabund, doch hat es eine pejorativere Bedeutung. (Email, 3.11.2009.)

Larissa Cybenko zur bersetzung ins Russische: Im Russischen gibt es nur eine Mglich-keit das Wort Vagabund zu bersetzen, nmlich brodjaga. Dieses Wort hat folgende Bedeu-tungen: 1. die Person, die obdachlos ist, ohne konkrete Beschftigung umherzieht; 2. im ber-tragenen Sinn die Person, die gerne reist. (Deutungswrterbuch). (Email, 8.11.2009.)

Raschid Alikajew interpretiert die Wortverwendung in der russischen bersetzung auch im Kontext des Vagabundenliedes in Russisch (siehe dazu in diesem Abschnitt die bersetzung und seinen Kommentar). Durch das Hinzufgen des attributiven Elements heimlos zum vor-angehenden Wort Bruder ergibt sich eine Annherung an den Soyferschen Ideengehalt des Stckes.

Auch in den kaukasischen Sprachen stellt sich die Situation nicht anders dar: Mzia Galda-vadze: [...] das georgische Wort Matsantsala, heit auf Deutsch Vagabund, Landstreicher, Herumstreicher (siehe in: 1. Chutsischwili-Charatischwili: Georgisch-Deutsches Wrterbuch, 1977, Verlag-Ganatleba, Tbilissi, S. 260, 2. Nodar Adamia: Georgisch-Deutsches Wrterbuch, Verlag Sabtschota saqartvelo, 1963, S.257, 3. Datikaschwili: Georgisch-Russisches Wrterbuch, Bd.2,VerlagSablitgami,1948,S.35,).

Und Vilayet Hajiyev: Zum Beispiel: das Wort Vagabund bedeutet im Aserbaidschanischen sfil, srgrdan, avara, das heisst einMensch, der keinen stndigen Lebensort hat, ob-dachlos ist. Aber whrend die beiden ersten Wrter irgendwie mit einem Bettlerleben assoziiert werden, Mitgefhl, Mitleid mglich sind, wird das dritte Wort meistens im negativen Sinne verwendet, mit Nichtstuer assoziiert und oft als Vorwurfs- oder Schimpfwort verwendet. Aus-serdemwirdsfillik(dasheisstVagabundentum,Vagabundsein)oftdurchussereVerhltnisse(wiezumBeispielgesellschaftliche)bedingt, avaralq(auchVagabundentum),aberdurchirgendwelche Mngel im Charakter des Menschen wie zum Beispiel Komplexe hervorgerufen. (Email, 31.10.2009.)

Fr das Italienische aber gibt es nach Alessandra Schinin auch andere Interpretationsmg-lichkeiten: Vagabondo kann sowohl als Adjektiv als auch als Substantiv verwendet werden. Vagabondi im Sinne von umherirrend knnen sowohl Menschen als auch Tiere, Wolken oder Gedanken sein. Vagabondo hat also eine neutrale Bedeutung, manchmal sogar positiv oder scherzhaft in Bezug auf Freiheit. Die negative Kennzeichnung des Substantivs als Nichtstuer wird auch verwendet (es gibt sogar die Straftat vagabondaggio), aber Vagabondo fr Landstrei-

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cherundIndividuumohnefixenWohnsitzundfixeArbeitklingtwenigerabschtzigals barbone (Clochard) oder mendicante (Bettler). (Email, 4.11.2009.)

Ein wichtiger Aspekt wird zustzlich von Nariman Hodjati eingebracht: Das Vagabunden-liedwiderspiegeltoberflchlichbetrachtetSoyfersMitgefhlfrdieEntrechtetenundVer-armten. Aber ist der Dichter nicht der wahre Vagabund? Ist das nicht ein symbolisches Selbst-portrait?IstnichtderDichter,derjenigederkeingeistigesZuhausefindet?EinewigFremder,ein ewigHeimatloser?UmdieAntwort zufinden, solltemandasGedicht zweiMal lesen.(Email, 14.11.2009)

Auch dies verweist auf ein spezielles kulturelles Umfeld und ist unmittelbar mit der Wert-schtzung fr Dichtung in Persien verbunden, aber auch mit der Stellung der Knstler, der Dich-ter, die sich gerade auch im Werk von Massud Rahnama widerspiegelt, der persische Schau-spielkunst auch in Wien bekannt gemacht hat.

Die gesellschaftliche Stellung der KnstlerInnen ist daher keineswegs nur eine neue Mg-lichkeit im Rahmen der sich entwickelnden Wissensgesellschaften. Es gibt im Umgang mit Sprachen jahrtausende alte Erfahrungen. Ein nicht unwesentlicher Teil wird gerade durch die Beschftigung mit dem Vagabundenlied im Ansatz deutlich. (Doch das, was begonnen wurde, bedarf noch der Fortfhrung. Gerade die Kommentare zeigen auch, in wie viele Richtungen das Verstndnis selbst anhand dieses kleinen Beispiels noch vertieft werden muss.)

WeitereAspekteundInterpretationensindindenKommentarenzufinden.Undeserweistsich, dass es in Europa, Asien, Afrika und den Amerikas durchaus Gemeinsamkeiten gibt nicht unbedingt vom Wort Vagabund selbst her auf der Basis eines gemeinsamen lateinischen Wor-tes, (was hauptschlich in europischen Sprachen vorkommt), sondern vor allem vom Sinn, vom kulturellen Kontext her.

4.2. WandererEine Gemeinsamkeit der bersetzungen ist der Aspekt des Wanderns. Dieser Aspekt ist in

Europa, aber vor allem auch in Asien mit Menschen verbunden, die nach Erkenntnissen (we-sentlich seit der Aufklrung), religisen Erlebnissen suchen. Einige bersetzerInnen haben nicht umsonst das Vagabundenlied auch mit der Goetheschen Dichtung in Verbindung gebracht. Und tatschlich hat sich Soyfer an der Universitt Wien auch eingehend mit Goethe beschftigt. Sogar mit groen kulturellen Traditionen wurde das Vagabundenlied verbunden (wie dem jdischen Selbstverstndnis). Das Wesentliche aber wie im Arabischen, Persischen ist die Ortslosigkeit, die Bewegung.

Dazu Nino Pirtskhalava (Email, 31.10.2009.) zum Georgischen: [...] das Wort Vagabund wrde ich als Moxetiale bersetzen, und es bedeutet jemand, der viel, manchmal auch ziellos unterwegs ist [...].

Munira Shahidi: Vagabond is translated into Tajik as barodari ovorai man, which means my wandering brother. (Email, 31.10.2009.). In ihrem Email vom 15.11.2009 konkretisiert sie

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den Kontext dieser Wortverwendung fr die bersetzung. In diesen wie in anderen Beispielen zeigt sich, dass im Zusammenhang mit Astoria vor allem das Verhltnis von Staat und Kunst von zentralem Interesse ist: But if in the classical literature the spirit of freedom is known as the term rind, which has been transformed into revolutionary poetry of the last century, which onecanfindinthepoemsandtheatricalscriptsofthe1920th to 1930th by Lohuti, Fitrat, Payrav Sulaymoni,Behbudi,Ajziandothers.ThesepoetsandpublicfigureswereeitherphysicallyormorallyannihilatedbyStalinistterror.Nevertheless,thetermo,Vagabund,asacommonAsian tradition of the last century, used by Shamsya Kasimova might be inspired more by the IndianfilmOvora-um,whichwasverypopularintheSovietUnionofthe1950th to 1960th.Re-evaluationoftheartandthoughtsofthereallyinternationalfiguresofthebegin-ning of the last century still not became a common challenge of the countries of CA. From that point, experience of Dr. Herbert Arlt, regarding Jura Soyfer heritage deserves a full support of the international community.

Azat Yeghiazaryan: Vagabond in Armenian is tapararashrdgik. In Armenian it has just the same meaning as a person who wanders from place to place without a home or job. (Email, 3.11.2009.)

Gerade hier aber fehlt die Darstellung des Kontextes. Wie bedeutsam die Sprache im Arme-nischen ist, zeigt sich bereits durch die Lage der Bibliothek in der Hauptstadt Jerewan.

Es sind also manchmal nur erste Schritte, die gegangen werden selbst dann, wenn in den jeweiligenLndernSoyfereinengroenAnklangfindet.DiePrsenta-tionderbersetzunger-folgt noch in der Tradition der bilateralen Begegnungen. Es wird erwartet, dass die bersetzung fr sich spricht und nicht auch fr jemanden von grundlegender Bedeutung sein kann, der die Sprache, in die die bersetzung erfolgt ist, nicht beherrscht. Wie aufschlussreich diese Kom-mentare aber sind, zeigen die Beispiele in diesem Abschnitt. Sie erst ermglichen, dass Kultur-wissenschaft in neuer Weise forschen kann.

4.3. Die Mehrfach-EntsprechungDie bisherigen Kommentare und die Kommentare zu den bersetzungen in der Folge zei-

gen, dass es oft die Mglichkeit gibt, zwischen einer Vielzahl von Wrtern zu whlen. Wie die bersetzerInnen schreiben, kam es Ihnen darauf an, mit Ihrer Wortwahl dem Ideengehalt des Soyferschen Textes zu entsprechen. In einigen Sprachen wird dies dadurch zu verwirklichen versucht, indem nicht nur ein Wort fr Vagabund verwendet wird, sondern mehrere Entspre-chungen. Hervorgehoben wird dies vor allem im Zusammenhang mit den bersetzungen ins Balkarische, Kabardinische und Russische. (Vergleiche dazu die Kommentare zu den nachfol-genden bersetzungen, aber auch zum Teil die Beitrge zum Symposion in dieser Publikati-on.)

Interessant ist, dass aber auch versucht wird, dem Wort Vagabund (oder seiner Entspre-chung) einen neuen Gehalt zu geben (Ana Dimova verweist in diesem Kontext auf intertextuelle

DAS VAGABUNDENLIED

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Tradierungen im Bulgarischen). Das wrde auch durchaus den literarischen Verfahren von Fran-ois Villon, Karl Kraus, Bertolt Brecht oder Helmut Qualtinger entsprechen. Insbesonders ent-spricht es aber dem Stck Astoria von Jura Soyfer, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es ist nicht ihre Stellung in einer sozialen Gruppe schlechthin, die Position in einer Partei oder einer Verwaltung oder einer Produktionssttte fr Wissen es sind Menschen auf dem Weg, die ihr Lied singen. Und indem sie so handeln, werden sie zu Subjekten der Geschichte (anstatt wie Hupka zu gekauften Schatten einer Macht).

In diesem Sinne schreibt die bersetzerin ins Kirgisische, Chinarbubu Tuleeva, in ihrem Email vom 16.11.2009: Das Vagabundenlied ist eine Art Epigramm zum Stck Astoria von Jura Soyfer. Es beinhaltet kurz und bndig das Drama von Menschen, die knstlich um sich herum das bauen und bilden, was unreal ist. Aber das unreale Land Astoria ist ein Traum von denen, die so leben wollen und nichts beitragen, nichts leisten wollen oder knnen. Real ist der Vagabund mit seinen Sorgen, seinen Leiden. Das himmlische Leben ist weit und hoch; es gibt keine Leiter, mittels der man den Himmel erreichen knnte. Er ist unerreichbar. Aber auf der Erde ist es windig, kalt, die Menschen sind weit distanziert voneinander infolge der Gegenber-stellung (Subordination, Opposition) reich/arm, Macht/Ohnmacht.

Aber nicht nur der Ideengehalt war in diesem Zusammenhang fr die Wortwahl ausschlag-gebend. Einige bersetzerInnen nennen auch andere Erfordernisse: Metrik, Rhythmus, Musik oder auch die theatralische Umsetzung.

5. Musik und Theatralik

Auch fr diesen Aspekt fhre ich nur einige Beispiele an. Denn systematische Arbeiten zu Rhythmik, Reim, Musikalitt gibt es bisher noch kaum. Besonders schwierig gestalteten sich auch die Versuche der Sammlung. Hier gibt es daher noch weite, offene Forschungsfelder.18

Grundstzlich sind diese Aspekte aber wichtig: Sicher spielen Metrik und Reim bei einer Liedbersetzung auch eine Rolle. (Ana Dimova, Email, 1.11.2009.)

Genauer Elena Viorel (Email, 11.11.2009.): Durch die metrische Struktur sind die Zeilen jeder Strophe (konsequent) im Rumnischen krzer geworden. Meine Bestrebung war, eine Anlehnung an die Versform der rumnischen Volksdichtung. Im Vers Was suchst Du noch, Du bist hier fremd, / Ce cati aici, straine? kann sogar das, was ich vorher mit der Krze gesagt habe, auch als ein Beispiel fr Kompensation, fr die Wiedergabe der volkstmlichen Form ist kommen fr ist gekommen aus dem 3. Vers durch eine hnlich volkstmliche Form des Verbs cati fr cauti gelten.

18 Vgl. dazu die Publikationen von Jutta Haslinger u.a. in der Zeitschrift Jura Soyfer. Die Inhaltsverzeichnisse im WWW: http://www.soyfer.at/deutsch/zeitschrift.htm

Herbert Arlt (Wien)

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Und Tams Lichtmann (7.11.2009): Der Refrain ist zwar dadurch um ein Wort lnger ge-worden als im Original, aber der Versrhythmus des Satzes war nur so zu sichern. Diese rhyth-mische Lsung kann auch dadurch begrndet werden, dass die Endbetonung des Wortes Vaga-bund in einem ungarischen Kontext vllig fremd klingt, im Ungarischen wird nmlich immer die erste Silbe betont.

Darber hinausgehend haben vor allem Daniela Placci und Dinora Azimova in ihren Kom-mentaren gezeigt, welche Bedeutung es hat, die Musikalitt zu bercksichtigen.

6. Die sprachmaschinelle bersetzung

Fr die Arbeit an der Edition der Gedichte in 33 Sprachen zeigte sich, dass die berset-zungsmaschinen durchaus ntzlich waren. Zumindest konnte im Ansatz verstanden werden, ob die bersetzungen sich auch auf das bezogen, um was gebeten worden war. Es erleichterte die Kommunikation, weil viele es nicht gewohnt waren, ber die eigene bersetzung zu sprechen, und durch einen Kommentar zur eigenen bersetzung die eigene Kultur, die eigenen Kommu-nikationsabsichten, die Zielffentlichkeit vorzustellen. Nur in Deutsch bzw. Englisch zu kom-munizieren, erwies sich als nur bedingt produktiv.

ber diese Hilfsfunktion hinaus gehen die berlegungen von Jorge Bauer, den im Zusam-menhang mit den bersetzungen von Jura Soyfer vor allem interessiert, inwieweit Gedichte aber auch ganz allgemein Texte von einem Computer bersetzt werden knnten. Seine ber-legungen werden hier ebenfalls vorgestellt. Und so wie etliche andere Texte werden sie hier ab-gedruckt, auch wenn sie nicht den Auffassungen des Herausgebers entsprechen. Der Grundsatz lautet aber: Produktivitt entsteht durch Vielfalt, absolute Wahrheit gibt es keine. Und es muss nicht alles kommentiert werden.

Was hier vorgelegt wird, ist nicht abgeschlossen. Es ist Teil eines Prozesses der vor Jahr-zehnten begann und gerade werden mit diesem Band wieder neue Aspekte eingebracht, die auch zu neuen Formen der Zusammenarbeit bei bersetzungen fhren knnten.

Einen besonderen Stellenwert bekommen sie aber durch die Realitt der Kommunikation, die durchaus etwas von einer Sprachmaschine hat, weil in den globalen ffentlichkeiten Wr-ter verbreitet werden, die wie bei der sprachmaschinellen bersetzung keinen realen Sinn ergeben. Sie sind von der Geschichte und der realen Produktion, dem realen Alltag losgelst worden. Und gerade dies ist die Basis fr die Entstehung von astorianischen Milliardenschden und vor allem von Hunger, Elend, Krankheiten, Tod (nicht zuletzt durch Gewalt und Krieg).

Wie soll zum Beispiel eine Maschine, die nach der Identitt der Identitt sucht, annehmen knnen, dass das Soyfersche Wort Vagabund in seiner wrtlichen Entsprechung im Bulgari-schen, Rumnischen, Slowenischen usw. pejorativ besetzt ist, dagegen im Deutschen, Italieni-schen etc. positive Aspekte enthlt. Und ebenso ist die Soyfersche Wortverwendung nur durch

DAS VAGABUNDENLIED

225

eine Individualisierung mglich, die aber eben nicht durch eine Maschine durchgefhrt werden kann, sofern sie nicht mit individualisierten Daten versorgt und mit entsprechenden Program-men ausgestattet wurde.

Wrter jedoch, die zugleich ihre Geschichte als Gegenwart beinhalten, die in sich eine wi-dersprchliche Bedeutung haben, sind maschinell nicht wirklich zu erfassen. Ausgeschlossen bleibt die Erfassung einer Identitt als Nicht-Identitt wie im Falle der balkarischen berset-zung, die gerade die Wiedergabe der Komplexitt der Soyferschen Dichtung ermglicht.

7. Die gesellschaftliche Bedeutung

Die Obdachlosen sind heute nicht nur diejenigen ohne Besitz. Die MigrantInnen sind nicht nur die rmsten der Armen. Heimatlos waren schon lange die Banken, die Konzerne. Es ist die Ideologie der Bauern, die in den Stdten nach Nationalismus ruft. Es sind oft die Zugewander-ten, Assimilierten, die am lautesten nach Nationalismus schreien. Es sind auch Nomaden, die Grenzen verlangen.

Gerade im Angesicht dieser Tatsachen offenbart sich die Bedeutung der Erfassung von Fak-ten als Prozess, der genauen Interpretation, der Sachlichkeit, der Fhigkeit mit Sprachen umzu-gehen. Der Armut der Intellektuellen entspricht die Armut etwas eines Drittels der Gesellschaft. Mit der Entkulturalisierung durch Verwaltungsprogramme in Kunst, Wissenschaft, Forschung, Wissensproduktionen wird die Grundlage fr die Krise gelegt. Die These lautet: das Budgetde-fizitentsprichtdemAusmades(funktionalen)Analphabetismus.Undder(funktionale)Anal-phabetismus ist Ausdruck der Entkulturalisierung.

Anders formuliert: die Krise entstand im wesentlichen nicht durch den Betrug von Mana-gern etc. Die Krise ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems. Und dieses gesellschaftliche Problem lautet: es versucht die alte Welt im neuen Gewand zu berleben. Die Mittel werden fr Sttzungen alter Produktionsformen verwendet. Zur Entwicklung von Wissensgesellschaften gibt es nicht einmal Programme. Schlagwrter, Slogans und Kampagnen bestimmen die ffent-lichkeit.

Einfachster Ausdruck der Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit und ge-sellschaftlichem Handeln sind insbesonders die staatlichen Investitionszahlen. Sie zeigen, dass die die neuen Mglichkeiten der Kultur nicht erkannt werden. Sie setzen auf alte Strukturen und provozierenaufdieseWeiseKonflikteundriesigeSchden.

Sich heute mit dem Vagabundenlied von 1937 auseinanderzusetzen, meint, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Und die Interpretation zeigt die Komplexitt der berliefe-rung, der sprachlichen Gestaltung, der Bedeutungen, der Mglichkeiten, sich der Wirklichkeit anzunhern.

Herbert Arlt (Wien)

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Und wenn es um die Zukunft geht: Die reale Produktion, die Solidaritt, die Kunst stehen fr Soyfer im Mittelpunkt:

Die Zeit, die ihre Strae zieht,Sie ist mir dir im Bund Marschier mit ihr und sing dein Lied,Mein Bruder Vagabund! (WA, Bd.2, S.185.)

Plakat zur Auffhrung Astoria des Jura Soyfer-Theaters 1991 in Berlin

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Aleya Khattab:

Kommentar Aleya Khattab zur bersetzung ins Arabische:

Es gibt seit einigen Jahren Versuche, Jura Soyfer ins Arabische zu bersetzen (darunter von Wafaa Sorour, die beim Soy-fer-Symposion 2006 einen solchen Versuch vorstellte). Am weitesten gediehen sind die Bemhungen von Aleya Khattab, die im Ab-schnitt II sehr genau das Umfeld dargestellt hat, in dem nun die bersetzung von Asto-ria ins Arabische entsteht.

Vom sprachlichen her gesehen hat ge-rade auch sie auf den Aspekt aufmerksam gemacht, wie mit lateinischen Wrtern umzugehen ist (vor allem, wenn sie in der Zielsprache der bersetzung im Gegensatz zu vielen europischen Sprachen gar nicht vorkommen und daher auch nicht einmal der Schein einer Gemeinsamkeit vorhanden ist).

ber die Wortverwendung hinaus zeigen sich aber auch andere wesentliche Unterschie-de. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Begriffe Kultur und Zivilisation im Arabischen. (Siehe dazu die Beitrge von Samira Kortantamer in der Enzyklopdie vielsprachiger Kulturwissenschaften des INST: http://www.inst.at/ausstellung/enzy/_arab.htm

Aleya Khattab schreibt dazu in einem Email vom 30.10.2009: Vagabund habe ich mit Muscharrad bersetzt, das bedeutet, derjenige, der von einem Ort zum anderen herumirrt und nicht an einem Ort sesshaft ist. Diese Nicht-Sesshaftigkeit hat aber schon ausgehend von den vielfltigen und unterschiedlichen kulturellen Kontexten eine andere Bedeutung. Erst aus diesem kulturellen Kontext heraus erschliet sich auch das sprachlichem Bemhungen, dem ge-rade in diesem Fall von verschiedenen Seiten hohe Achtung entgegengebracht wurde.

bersetzung ins Arabische:Aleya Khattab (Kairo)

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Azat Yeghiazarian:

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bersetzung ins Armenische::Azat Yeghiazarian (Jerewan)

Kommentar Azat Yeghiazarian:

In seinem Beitrag im Abschnitt II dieses Buches geht Azat Yeghiazarian auf Jura Soy-fer im armenischen, kulturellen Umfeld ein und arbeitet wesentliche Aspekte dazu heraus. Im Gegensatz zu anderen bersetzerInnen aber prsentiert Azat Yeghiazarian den Men-schen und Dichter Soyfer nicht im kulturellen Umfeld seines Landes in seinem Fall: Arme-nien , sondern im Vergleich mit einem Autor, William Saroyan, der als US-Autor verstan-den wird, denn Saroyan wurde in Kalifornien als Sohn einer armenischen Familie geboren. Und mit diesem kulturellen Umfeld hat Sa-royan sich intensiv auseinandergesetzt. Azat Yeghiazarian geht detailliert auf Parallelen zwischen diesen beiden Autoren ein.

Zum Vagabundenlied selbst gibt es von Azat Yeghiazarian nur eine kurze Erklrung: Vagabond in Armenian is tapararashrdgik. In Armenian it has just the same meaning as a person who wanders from place to place wit-hout a home or job. (Email, 3.11.2009)

Auch in seiner bersetzung wird daher das Wandermotiv hervorgehoben. Und im wis-senschaftlichen Beitrag, den er in Wien hielt, steht die Kunst und der Knstler im Mittel-punkt. Auch darin drckt sich ein kulturelles Verstndnis aus, das nicht selbstverstndlich ist. Denn die Bedeutung von Sprachen, Litera-turen, Knsten wird gerade heute weitgehend unterschtzt selbst wenn es unmittelbar um die Wissensproduktion geht. Hier zeigt sich aber in Armenien eine andere Herangehens-weise. Denn gerade die Sprache und die Dich-tung genieen dort eine hohe Wertschtzung.

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YusifSavalan:Sfillrinnmsi

Vilayet Hajiyev (Baku, Aserbaidschan)Kommentar zur aserbaidschanischen bersetzung

Das Problem des Verhltnisses Mensch-Gesellschaft zieht sich durch fast all Werke von Jura Soyfer wie ein roter Faden durch und tritt schon am Anfang des Stk-kes Astoria durch das Vagabundenlied krass hervor. Anders gesagt: dieses Lied ist eine deutliche Metapher zum tragischen Schicksal der von der Gesellschaft aus-geschlossenen Menschen. Wo die Erde durch den bit-terbsen Feind Winter im Leichenhemd liegt, wo der Neujahrwunsch nicht von Mitmenschen gesprochen, sondern von einem Raben gekrchzt wird, ist die neb-lige Zukunft der Zurckgeworfenen, Vagabunden in diesem Falle der literarischen Figuren von Soyfer schon vorausbestimmt. Die gesellschaftlichen und menschli-chen Verhltnisse bestimmen den bsen Geist der Zeit, und so entsteht zwischen ihr und den zu Vagabunden Gewordenen eine unberbrckbare Kluft. Aber bei diesem explizit ausgedrckten Pessimismus ist immer wieder ein implizites Mitgefhl, Mitleid zu spren, das als Rettung durch Vershnung gedeutet werden knnte. Deshalb soll jeder bersetzer, der dieses berhmte Lied in seine Muttersprache bersetzt, besonders dies im Auge behalten. Zum Beispiel: der Vagabund bedeutet imAserbaidschanischen sfil, srgrdan, avara,das heisst ein Mensch, der keinen stndigen Lebensort hat, obdachlos ist. Aber whrend die ersten beiden Wr-ter irgendwie mit einem Bettlerleben assoziiert werden, Mitgefhl, Mitleid mglich sind, wird das dritte Wort meistens im negativen Sinne verwendet, mit Nichts-tuer assoziiert und oft als Vorwurfs- oder Schimpfwort verwendet.Ausserdemwirdsfillik(dasheisstVaga-bundheit, Vagabundsein) oft durch uere Verhltnisse (wiezumBeispielgesellschaftliche)bedingt,avaralq(auchVagabundenheit)aberdurchir-gendwelche Mngel im Charakter des Menschen wie zum Beispiel Komplexe hervorgerufen. So istdasVagabundenliedinsAserbaidschanischealsSfillrinnmsibersetztworden,wasunserer Meinung nach, mit dem Geist des Originaltextes vllig bereinstimmt.

Sfillrin nmsi

Yayn odukz snb,Payz alayb dinclib.Tbitin z dnb,Amansz ya q glib.Torpaq brnb kfn,Tz-trdi o bir dnm.Yabansan, n gzirsn,Ey sfil qardam mnim.

Tab gtirmir baldrlarn,sn soyuq klklr.Kims sni armaybHam srxo olan yer.lin mqdds son gn,sti rab vern d yox.Qara tbrik edir sni,Ey sfil qardam mnim.

gr olsayd gy zMxmrdn v zrxaradan,stnd ulduzdan buta,Hr birisi bir dukata,He ks tutmazd nrdivanOnlar gydn drsn.Dvran bel, dnya bel,Ey sfil qardam mnim.

bersetzung ins Aserbaidschanische: Yusif Savalan (Baku)

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RaschidAlikajew:-

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Ubersetzung ins Balkarische:Raschid Alikajew (Naltschik)

Kommentar von Raschid Alikajew:Das Wort Vagabund wurde fr jede Strophe

des Liedes unterschiedlich bersetzt, wobei an erster Stelle verschiedene Seme zum Ausdruck gebracht wurden:einmalRuhelosigkeit(ein unruhiger Wanderer, dem auf der Suche nach seinem Land und seinem Heim die Sachen schbig geworden sind), ein anderes Mal Heimatlosigkeit und Heimlosigkeit und dabei doch einer von uns (-wortwrtlich:meinBruder, der ohne Haus uns Heim geblieben ist das reimt sich gut mit den vorangehenden Strophen, in denen er auf der Suche nach einem nicht existieren-dem Land ist) und ein nchstes Mal, dass er allein im Winde wandert, wieder auf der Suche ist und niemanden an seiner Seite hat ( der imWinde gebliebene Bru-der). Anders gesagt: es gibt eigentlich kein eindeu-tiges Wort, das das franzsische VAGABUND im Balkarischen zum Ausdruck bringt es muss mit verschiedenen Wortverbindungen interpretiert wer-den und jedes Mal wird ein wesentliches Sem in der Bedeutung des Wortes aktualisiert.

Diese Herangehensweise an die bersetzung im Balkarischen erlaubt dem bersetzer, die berset-zung in den Traditionen des balkarischen epischen Liedes zu machen. Es wird hchste Emotionalitt erreicht und der Vagabund wird dem Leser auf die-se Weise nher gebracht. Das Lied klingt Balkarisch sehr dynamisch und weist berhaupt keine Spuren von einer bersetzung auf. Es ist die balkarische epische Reimweise, die dem Lied ein echt ethno-nationales Antlitz verleiht. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch interessant, dass die berset-zung des Liedes bei den Balkaren viele Emotionen hervorruft (das wurde mehrfach erprobt). Keiner von den Befragten hat gefhlt, dass es eine ber-setzung ist. (Nach dem Email vom 31.10.2009.)

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FatimaFesti:Pjesmavagabunda

Pjesma vagabunda

Nije ovdje vie ljeta,jeseni mrke breme ga vilo,i dohvaa nas zime mrtvilo, okrutno i zlo.

Dokle je ledena pokrivaa,dotle prestaje snivaa.Da ide kletva te tjera,moj brate vagabund. Bije te olujai mrzne ti tijelo.Na okrepu, toplo jelo,nee te pozvati. Niti e se iko s tobom zbliitiu ovom tekom krajugdje vrane Novu Godinu oglaavaju, moj brate vagabund.

Sve da su nebesaod somota i brokata i zvijezde na njimasvaka od utkana dukata,

niko ti do njihne bi pokazao puta.Nije vakta za susreta,moj brate vagabund.

bersetzung ins Bosnische:FatimaFesti(LosAngeles),2008

Comments by Fatima FestiThe translation of the poem Vagabundenlied into

Bosnian attempts to communicate a wider feeling of social alienation, estrangenment in the Brechtian sen-se, the lack of empathy for the loneliness of the wan-dering soul of the poet Franois Villon. Yet it also con-veys the feeling of an ever-present nomadic human condition. In the light of the recent violent develop-ments and peoples mass-displacements in the war on Bosnia and Herzegovina and the subsequent political changes which took very diverging, also degrading paths (which split the country and led to an ambivalent social and cultural differentiation, leaving even deeper traumas behind) the translation also aims to convey onesconflicting,orfailedeffortstoenvisionabetterworld on the ruins of the previous one. It further ma-nifests the desillusionism of various refugee/migrant situations as it is depicted in Bosnian and in diasporic postimmigrant literatures.

The word vagabund which I used in the transla-tionisaBosnianmodificationofthesamewordasitoriginally appears in Romanic languages and as Jura Soyfer himself used it in its German version. However, its meaning refers not only to a restless person (as it can be found in some modern Bosnian lyrics: luta-lica),butrather toakindofadefient intellectual inthe transition between two worlds, the old and the co-ming one. It depicts the need for some transposition of an inquiring spirit at the moments when the sense of collectivity, humanity, and compassion is dissolved in the gap produced by changes in the systems of va-lue. It emphasizes yearning along with discouragement at certain points in time, and a discrepancy between a poetic nature on one side and the rudeness of social, hi-storical, and material realities on another. I also tried to keep the traces of different vernaculars of the Bosnian language and expressions that have been used by the population at different periods.

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AnaDimova:

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bersetzung ins Bulgarische:Ana Dimova (Schumen, Veliko Tarnovo / Bulgarien)

Kommentar Ana Dimova:Im Jahre 1996 erschienen Texte von Jura Soyfer in

bulgarischer Sprache im Pic-Verlag Bibliotheca Au-striaca: Veliko Tirnovo (Tarnovo): Ot raja do kraja na sveta (Der Lechner Edi schaut ins Paradies, Vine-ta, Astoria, Der Weltuntergang. bersetzt wur-den sie von Ana Dimova und Penka Angelova, die bei-de ausgezeichnete Kennerinnen der sterreichischen Literatur sind. Ot raja do kraja na sveta war eine wichtige bersetzung, in deren Folge Soyfer durch Theaterauffhrungen, Lehrveranstaltungen etc. einer breiten ffentlichkeit in Bulgarien vorgestellt wurde. An weiteren bersetzungen Soyferscher Texte wird ge-arbeitet.

Der Kommentar von Ana Dimova zur bulgari-schen bersetzung des Vagabundenliedes aus dieser Ausgabe:

Im Bulgarischen existiert das Wort vagabont(in) als Entlehung ber das Rumnische in der Bedeutung Gauner, Betrger, Dieb. Es kommt also als ber-setzung fr das deutsche Vagabund im Sinne Jura Soy-fers nicht in Frage. Eine angemessene Entsprechung fr Vagabund im Bulgarischen ist skitnik, eigentlich Landstreicher. Skitnik ist heute stilistisch poetisch konnotiiert, da es am Anfang des 20. Jahrhunderts ein zentrales Symbol der bulgarischen Moderne darstellte (ein bulgarischer Dichter aus dieser Zeit verwendete das Pseudonym Sirak Skitnik Waisenkind Land-streicher). Die bersetzung von Jura Soyfers Vaga-bundenlied bekommt durch diesen Kontext einen poe-tischen Beiklang.

Bei der bersetzung des Liedtextes haben eine nicht zu unterschtzende Rolle Rhythmus und Reim gespielt. Die Inversion Skitniko, bratko moj (Vaga-bund, Bruder mein) mit der Vokativendung o als An-

rede ist fr bulgarische Liedertexte sehr charakteristisch. Auch an anderen Stellen haben Metrik und Reimzwang zu semantischen Verschiebungen gefhrt, als Ganzes weicht der Text jedoch wenig vom deutschen Original ab. (Email, 1.11.2009.)

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Ouyang Tao:

Ouyang Tao (Beijing)Das Schicksalslied der Juden?

Die Vagabondage ist ein ewiges Thema der Literatur und der Kunst. Wre die Weltliteratur und die Welt-kunst ein groes Buch, dann knnte man die Schatten der Vagabunden fast in jedem Kapitel antreffen.

Als ein ewiger Jude, Jura Soy-fers Vagabundenlied knnte als das Schicksalslied der Juden im 20 Jahrhunderts betrachtet werden.

Nun ist der Winter kommen, Der bitterbse Feind.

Der Antisemitismus in Europa und Hitlers grausame Rassenpolitik waren die bitterbsen Feinde der Ju-den. Wie die heimatlosen Vagabun-den in der Silvesternacht, waren die Jude eine Nation ohne Erde. Der Judenstaat war damals ein Staat ohne Territorium.

Aber Jura Soyfers Vagabunden-lied ist kein verzweifeltes Wehkla-gen. In diesem Gedicht kann man die Hoffnung und das Jenseits sehen. Zwar gibt es keine Leiter, die die grausame Wirklichkeit mit dem Him-mel verknpfen kann, aber das Stern-lein ist da! So ist die Zeit, so ist die Welt, Mein Bruder Vagabund.

Die Juden glauben, dass Messias kommen werde, um die Welt zu ret-ten, und das Horn des jngsten Ge-

bersetzung ins Chinesische:Ouyang Tao (Beijing)

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Ouyang Tao:

richts endlich geblasen werde. Aber sie haben niemals den Kampf auf der Erde aufgegeben. Sie betrachten die Wirklichkeit immer mit Bequemlichkeit. Sie haben den Galgenhumor. Den harten Winter oder den Tod verlachen sie. In diesem Vagabundenlied kann man die Zhigkeit dieser Nation fhlen.

Aber ist Jura Soyfer wirklich ein Prophet der Juden? Als er das Vagabundenlied schrieb, hat er Tatschlich die Tragdie seiner Nation geahnt?

Vielleicht nicht. Die obenerwhnte allegorische Interpretation scheint mir zu subjektiv. Im Jahre 1936 dachte Jura Soyfer vielleicht gar nicht an das Schicksal der Juden.

Jura Soyfer ist nicht nur ein Jude, sondern auch ein Kommunist. Im Jahre 1929 brach die groe Welt Wirtschaftskrise aus. Abermillionen Menschen wurden auf der Strasse geworfen und hatten fast alles verloren. Die Proletarier vagabundierten in der ganzen Welt. Die kommunisti-sche Bewegung wurde immer strker.

Ist Jura Soyfers Vagabundenlied ein Schicksalslied des Proletariers?Nein. Das Vagabundenlied ist keine politische Lyrik. Es gibt keinen Aufruf zum Klassen-

kampf und keine bitteren Trnen.Fr wen hat Jura Soyfer das Gedicht eigentlich geschrieben? Fr die Juden oder die Proleta-

rier? Nein, er schrieb es fr die arme Menschheit.Der chinesische Philosoph Zhuang Zi hat gesagt: der Mensch ist nur ein Gast auf der Welt.

Aus dieser Sicht gesehen ist Jedermann blo ein Vagabund in dem unendlichen All. Die soge-nannte Heimat ist nur Asche!

Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat!, klagt der armer Nietzsche in Italien. Zarathustra ist auch ein Vagabund.

Ein Rabe krchzt den Neujahrswunsch, Mein Bruder Vagabund. Der Rabe von Allen Poe sprach nur: Nimmermehr! Der Rabe ist der Vogel von Allen Poe und Jura Soyfer.

Im Internet surfe ich zum Vagabundenlied auf chinesisch Liulangzhe zhi Ge (). Dann habe ich ein tolles Musikstck gefunden. Da spielt Itzhak Perlman Pablo de Sa-rasates Zigeunerweisen! Eine chinesische bersetzung von Zigeunerweisen heit auch Li-ulangzhe zhi Ge. Pablo de Sarasate ist auch ein wunderbarer Bruder von Jura Soyfer! Ich fhle, dass die Melodie der Zigeunerweisen auch in Jura Soyfers Gedichten klingt.

Jura Soyfer ist ein unartiges tanzendes Sternlein, das im All vagabundiert und die lange Nacht mit seinen Gedichten lachend durchbohrt und die Nachkommenden ermutigt.

Ein chinesischer Spruch lautet: die Poesie kann nicht grndlich interpretiert werden. Die Schnheit und der Zauber eines Gedichts besteht auch darin. Nachdem ich den Kommentar fer-tiggeschriebenhabe,findeich,dassicheinerderblindenMenschenbin,diedenElefantgenauschildern wollen, nachdem sie das Tier betastet haben.

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Horst Jarka: My Brother Vagabond

My Brother Vagabond

The summer sun has faded,Fall rained away its glow.The winter is acoming,The poor folks bitter foe.The earth is lying in its shroud, Its youth, its flowers gone.Move on, you are a stranger here,My brother vagabond.

The icy wind is bitingRight through your rags and shoes.You, bum, are not invited To fireside and booze.On New Years night no jolly hostWill pass a drink along.A crow is cawing you his toast:My brother vagabond.

And if the sky above us,As far as eye can reach,Were velvet woven through with stars,A silver dollar each,No one would hold your ladderTo pluck the stars out yond.Such are the times, such is the world,My brother vagabond.

bersetzung ins Englische:Horst Jarka (Missoula, Montana)

Kommentar von Horst Jarka:Das Lied erffnet Soyfers Vagabunden-

stck Astoria (1937), in demhilfloseLand-streicher Rebellen werden.

In den USA, einem Land dem Individua-lismus und der Mobilitt verschrieben und polarisiert im Widerstreit von Status-quo und Vernderung, tritt der vagabond, hobo, tramp, bum in Literatur, Massenmedien und Unter-haltungsindustrie mit vielfachen positiven und negativen Assoziationen auf von Ro-mantisierung (Idealisierung, Heroisierung), Sympathie, realistischer Kenntnisnahme bis zu auch rassistischer Ablehnung, Feindselig-keit, Kriminalisierung. In der Geschichte des Landes hat homelessness Tradition, erlitten von Einwanderern, Arbeits- und Obdachlo-sen, der Hilfe unwrdigen Armen, gesund-heitlich Gefhrdeten, Vergessenen aller Al-tersgruppen am Rand, wenn nicht auerhalb der Gesellschaft. Sie sind der berforderten Sozialfrsorge anvertraut und Gegenstand soziologischer Forschung.

Um das weitgesteckte Thema einzuengen: Im frhen 20. Jahrhundert wurde der Tramp in Chaplins genialer Fusion von Komik und Gesellschaftskritik von Millionen bejubelt, angefeindet von amerikanischen patriotischen Moralisten der Rechten. In der globalen Wirt-schaftskrise der 1930er Jahre war das Los der Vagabunden Massenschicksal. Ihr Sprecher war Soyfers Zeitgenosse, der Volkssnger und Aktivist Woody Guthrie (19121967). In seinen Liedern war er ein Bruder von Soyfers Vagabunden: Im just a-roamin round and the police make it hard wherever I go. Rich man took my home and drove me from my door. I aint got no home in this world anymore. WasGuthriezuseinereigenenLyriksagte:Afolksong iswhatswrongandhowtofix it,knnte man Soyfers Vagabundenliedern als Motto voranstellen.

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Gilbert Badia: Chanson du Vagabond

Kommentar von Jrgen Doll (Paris):In seinem bersetzungskommentar (Jura Soy-

fer, 2. Jg., Nr. 4/1993) schrieb Gilbert Badia: Soy-fer hat, wie man wei, wie Brecht, in seine Stcke gerne Lieder eingefgt. Die Schwierigkeit besteht schlussendlich darin, so genau wie mglich am Sinn des Originals zu bleiben, und dabei alles von einem deutschen Song in ein franzsisches Chan-son zu transformieren. Man muss eine Metrik aus-suchen, den Reim bewahren usw. Da verfahre ich ein wenig wie beim bersetzen von Prosaszenen. Ich versuche diese Gedichte nach einer Melodie zu singen, die ich ausgesucht bzw. erfunden habe je nach der Funktion und dem Charakter des Ori-ginalsongs. Alle diese berlegungen bezglich des Rhythmus und des Reims erklren sicher, wa-rum wir es bei Badias bersetzung der Lieder (hier des Auftaktslieds aus Astoria) mit einer sehr freien bersetzung zu tun haben. Dieser fallen sowohl der etwas archaisierende volksliedhafte Ton als auch zuweilen die poetische Bildlichkeit (mit im Franz-sischen nicht mglichen Anleihen bei Claudius und Heine) zum Opfer. So von Anfang an: Der Som-mer ist verglommen: der Sommer ist zu Ende; Der Herbst hat ausgeweint: auch der Herbst ist vergan-gen, oder: Wie springt dir an die Waden/Der scharfe Winterwind: Der kalte Wind durchfhrt dich/Dei-ne Fe sind erfroren, oder: Ein Rabe krchzt den Neujahrswunsch: Am Neujahrstag (bleiben dir) kei-ne Wnsche. Manchmal hingegen gelingt es Badia, selbst die Bilder sinngem zu bernehmen, so in den Versen 56: Die Erde war so schn/der Schnee

macht ihr ein Leichenhemd, 1314: Keiner ldt dich ein zu einem Glas/Um das Jahresende zu feiern, 17-20: Und wenn der Himmel da oben/Nur Samt und Seide wr/Wenn jeder Stern da oben/aus Gold, ja ein Goldbarren wr (der Goldbarren lingot steht hier natrlich um des Reimes willen).

Insgesamt aber lsst sich sagen, dass es Badia gelungen ist, die groen bersetzungsschwierig-keiten zu berwinden und Soyfers Verse in ein sangbares, nicht sinnentstellendes, schnes franzsi-sches Chanson zu transformieren.

Chanson du VagabondI Ah, il est bien fini lt !Lautomne aussi sen est all !Et voici quest venu lhiverCette sale saison denfer!Elle tait si jolie la terreLa neige lui fait un linceul.Qui cherches-tu? Tu es bien seulComme tout vagabond, mon frre.

II La bise te transperceTu as les pieds gels.Y en a qui se gobergentOn ne ta pas invit.Personne va toffrir un verrePour fter la fin de lanne.Le jour de lAn point de souhaitsPour le vagabond que tu es.

III Et si le ciel quon voit l-hautNtait que velours ou soieSi chaque toile quon y voitEtait de lor, voire un lingot,Aucun ami de par le mondePour taider les dcrocher.Telle est la vie, la destine,De nos frres qui vagabondent.

bersetzung ins Franzsische:Gilbert Badia ( Paris)

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Zurab Abaschidze/Giorgi Gogotschuri:

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bersetzung ins Georgische:Zurab Abaschidze (Tbilissi)Giorgi Gogotschuri (Tbilissi)

Kommentar Zurab Abaschidze (Interlinearbersetzung):

Allzu genaue Treue macht jede berset-zung steif, weil unmglich alles, was in der einen Sprache natrlich ist, auch in der ande-ren so sein kann. Bei der Arbeit an Astoria haben ich mich mit meinem Kollegen Giorgi Gogotschuri von diesem Lessingschen Gedan-ken leiten lassen, als wir, begeistert von Jura Soyfers reichem Gedankengut, dem kmpfe-rischen und dennoch humanistischen Pathos, voneinmaligerRaffinesse,GediegenheitundSchnheit seiner Sprache, Soyfers Texte nach-gedichtet, in ein georgisches Sprachgewand gekleidet haben.

Das Lied der beiden Landstreicher Hup-ka und Pistoletti am Anfang des Stckes be-inhaltet die Quintessenz des Werkes starke, innere Anteilnahme am Schicksal der infolge der sozialen Missstnden unterdrckten, de-klassierten Menschen.

Jura Soyfer, linksradikaler Denker und Dichter, ist seltsamerweise gegen jegliche Ge-walt eine solche Synthese antinomischer Ge-gebenheiten konnte nur im Herzen des Dich-ters, des Anhngers des Humanismus keimen.

Auch im Lied von Hupka und Pistoletti wie in anderen Versen des Stckes pulsiert der humanistische Pathos und beim berset-zen haben wir versucht, dies beizubehalten.

Jura Soyfers Themenwelt ist nicht von ihm erdacht, unzhlige Dichter haben ihre Feder daran gewetzt, aber die Manier, wie er beleuchtet, ist immer neu, originell, unge-whnlich Bewunderung und Erstaunen her-vorrufend.

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Zurab Abaschidze/Giorgi Gogotschuri:

Die transkribierte Fassung:

dagvemschvidoba zapchulitsremlad igvreba stveli,zamtari karze mogvadga,mteri avguli, dsveli.Ssudara gadaeparavel-mindvrebsa da tschalas,Schen sad gaqvs tavschesapari,dsmobilo matsantsala?

rogor gedsgera kandtschebschizamtris mssuskavi qari,sadats mtvralebi greoben,gamogichures kari.Tschikas aravin mogatsvdis,gzebs ra tkuilad kvalav,achaltsels kvawi dagtschkavlebs,dsmobilo matsantsala.

tsa rom gvapendes maglidanchaverds da atlass ramdens,kovel varskvlavis tsialschioqros dukati tschandes,kibit mis tschamossatanadarvis ekopa dsala;asseti dro da jamia, dsmobilo matsantsala!

In seinem Werk reprsentiert der Dichter die geistigen und knstlerischen Strmungen seiner Zeit, derenKonflikte undHoffnungen, dieEnt-tuschung ber die brgerliche Welt, hervorgeru-fen von der Erkenntnis einer notwendigen gesell-schaftlichen und knstlerischen Erneuerung.

Kommentar Giorgi Gogotschuri (Literarische Nachdichtung):

Jura Soyfers Werke werden auch bei uns in Georgien gelesen, auch bei uns verfolgt man mit Interesse die Handlungen der Personen seiner Stcke auf der Bhne und alle sind berzeugt, dass das alles nicht irgendwo anders, sondern bei uns geschieht. Verwunderlich ist nur woher kennt dieser Soyfer unser Leben so gut, so genau, so allseitig? Woher wei er, dass auch die Hun-gernden bei uns vom guten Essen und warmen Ofen und die Obdachlosen vom gemtlichen Zu-hause trumen? Er wei auch, dass der gestrige Bettler heute als echter Brokrat in der Kanzlei thront und von anderen Bettlern nicht die gering-ste Notiz nehmen will? Dass die Straen voll von Arbeitslosen sind? Dass der anstndige Mensch vom unverfrorenen Kerl beleidigt wird?

Wie lange dauert das?Wie lange gibt es nur schwarz und wei?

Die Idee des Kommunismus dauert solange, bis der Hunger da ist. Aber da ist der Schriftsteller enttuscht. Das von Kommunisten versprochene Astoria das Reich der Glcklichen existiert nicht, nur eine Fiktion!

Der Schriftsteller fhrt seine scharfe Feder, um uns in die Tiefe der sozialen Probleme schau-en zu lassen und die daraus entstandenen Gefahren deutlich zu machen, aber das alles ist mit leichtem Humor und lichten Farben gemildert.

Gibt es je ein soziales Gleichgewicht?Wohin geht letztendlich die Gattung Mensch?SoyferstelltdieFragen.DieffentlichkeitmussdaraufeineAntwortfinden.

DAS VAGABUNDENLIED

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Plakat zur Auffhrung Astoria in Georgisch im Kellertheater in Tbilissi, 2008

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Tams Lichtmann:

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bersetzung ins Hebrische:Tams Lichtmann (Debrecen, Budapest)

Kommentar Tams Lichtmann: Der Titel heit hebrisch nicht Vagabun-

denlied, da der Begriff Vagabund im He-brischen nur als Fremdwort aus dem Lateini-schen bekannt ist und in der Literatur der neu-hebrischen Sprache (iwrit) nicht benutzt wird. Das Wort wrde semantisch-stilistisch wenn berhaupt benutzt wrde einen landesfrem-den (auslndischen) Landstreicher und/oder ein Nomadenvolk bezeichnen. Mit diesem Wort wrde mehr die Fremdheit als der soziale Sta-tus eines Wandermannes assoziiert.

Im hebrischen Titel wird der Ausdruck Vagabund durch das Wort Wanderer er-setzt, so heit es: Das Lied des Wanderers. Dieser Titel assoziiert die altjdische Traditi-on; in der biblischen Zeit war die Wanderung die grundstzliche Lebensform des jdischen Volkes, das sogar oft in seiner Geschichte das Volk der Wanderungen genannt wird. Wande-rer waren die Urvter des Judentums, Abra-ham, Isaak und Jaakob. Die Wstenwanderung unter der Leitung von Moshe war der Weg aus der Knechtschaft in die Freiheit, wo die Ge-setzgebung und die Eroberung des gelobten Landes erfolgte. Diese historisch-mythischen Motive sind die strksten Symbole des Juden-tums. Whrend der Wstenwanderung erhielt das Volk die Zehn Gebote, die ontologisch-moralischen Grundgesetze der Menschheit und das Versprechen der Freiheit und des eigenen Landes. Nach dem tausendjhrigen Bestehen

des biblischen Landes Israel zerstrte Rom den Staat, aber das zerstreute Volk das zwar zwi-schen Himmel und Hlle nicht ein Stck Erde besa bewahrte whrend der ewigen Wan-derschaft den Traum des schon einmal versprochenen, aber dann verlorenen eigenen Landes, irgendeines Staates das irgendwo in der Welt existieren mu wie es von den Armen im Stck Astoria ertrumt wird , denn Je grer anderswo das Elend ist, um so viel grer mu in Astoria die Seligkeit sein. Weil sonst gleichert sichs nie aus auf der Welt.

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Tams Lichtmann: SIR SEL NODDIM

In fonetischer Transkription:

SIR SEL NODDIM

Hkjic kvr niszrfHsztv bkh et bikhjGm hachref higiHojev hkosz hzomBkitl sokevet hdmHpele hcir hcivoni sel zmn vrM t roc po bjn zrimchi noded hkvisim

Haruach hakar sel hachorefBinvich tokefet et raglechMeolm lo hajita orachSzviv sulchn sel chaverim alizimPundekj lo mzmin otch, ench chs et sichronDakt szilveszter hakados,Orev echad mekarker lech l hasan hachadas selch,Achi, noded hadrachim.

Iliu haju hasamim lemlaMele mesi vebrokadSezurim bahem kochavimKedukatim rabim,Af echad lo haj maamid lech szulm,Ked setagia lesm.Ze haidn, ze haolmAchi, noded hadrachim.

Insofern assoziiert Soyfers Vagabunden-lied in der hebrischen bersetzung (als Lied des Wanderers) die ganze jdische Geschich-te von den biblischen Urzeiten ber die Zer-streuung des Volkes (Diaspora) bis zur Ge-genwart mit der Zurckwanderung (Alijah) in den Staat Israel. Zion, das gelobte, das verlo-rene aber nie vergessene Land war der ewige Wunschtraum der Juden, der nach den jahr-zehntelangen Bestrebungen des politischen Zionismus und des sozialistisch-revolution-ren Arbeiterbundes (Der Satz im Schlulied von Astoria [Die Zeitist mit dir im Bund.]klingt wie ein Hinweis auf die zionistisch-jdische Arbeiterpartei: Der allgemeine jdische Arbeiterbund von Litauen, Polen und Russland, kurz auch Der Bund [, ] genannt) der osteuropischen Juden. Nach der tragischen Katastrophe des Judentums im Zweiten Weltkrieg wurde er wie eine erfllte Utopie verwirklicht.

Jura Soyfer, der Sohn russischer Emi-granten in Wien, dessen ganzes literarisches Lebenswerk ein stndiger Kampf war fr die Verwirklichung einer gerechteren, glckliche-ren Welt, fr die Erfllung einer zweitausend-jhrigen Utopie, wo die Armen, Erniedrigten und Unterdrckten aus aller Welt friedlich in ihrem eigenen Land leben drfen und einen eigenen Staat mit eigenen Hnden aufbauen knnen; sei es unter der Fahne des Sozialis-mus oder Israels, die in den frhen zionisti-schen Trumen und Plnen noch untrennbar waren. Vielleicht auch von dieser Utopie wird imzweitenVagabundenliedamEndedesStckesAstoriagesungen:DrumnimmdirPflugundSpaten/Und halte dich bereit/Und hol herbei deine Kameraden,/Und wo ihr grade seid:/Dort ist das Land, das dir gehrt/Auf diesem Erdenrund. (Quelle der Zitate: Jura Soyfer: Astoria. In: Horst Jarka (Hrsg.) Jura Soyfer: Das Gesamtwerk. Wien, 1980.)

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Kommentar zur Hindi-bersetzung von Amrit Mehta (Hyderabad)

Fr die Indern ist das Wort Vagabund mit einem Film verbunden, der Kultstatus erlangt hat. Herbert Arlt hat in seiner Einleitung auf Shamsya Kasimovas Faszination fr den indischen Film ovoro-um aufmerksam gemacht. Die-ses Wort wird in Hindi Aawaara ausgesprochen.

Der Film Awara (1951) behandelt die Geschichte ei-nes Vagabunden, der ein liebenswrdiger Gauner ist, durch kleine Betrgereien sein Brot verdient und ein Herz aus Gold besitzt ein Charakter wie der kleine Tramper von Charlie Chaplin. Bevor dieser Film zu Ende ist, wandelt dieser Tramper sich in einen Rebellen. Ein Film, der in Indien sowie in vielen anderen Lndern als ein epochales Werk der Filmkunst angesehen wird.

Wie in vielen europischen Sprachen ist die berset-zung des Worts Vagabund auch in Hindi mehrdeutig, meistens pejorativ, aber auch positiv besetzt. Ein Vaga-bund kann einerseits Schurke, Gauner, Spitzbube, Rowdy, Straenjunge, Wstling, Ehebrecher, Strolch, Bummler, Miggnger, Obdachloser, Taugenichts sein, andererseits ein ruheloser Wanderer, Landstreicher, Tramper, Reisen-der, ein Nicht-Sesshafter, Nomade, Asket, Philosoph, wan-dernder Mnch, Weisheitssucher, Einzelgnger, Rebell, Revolutionr. In der Erzhlliteratur und in den indischen Filmenwird einVagabund stets glorifiziert.Erwird im-mer als ein sympathischer Charakter dargestellt, whrend awara in der Alltagssprache eine negative Bedeutung hat. Wenn Buddha in heutigen Zeiten gelebt htte, htte man seine Suche nach Wahrheit als Bummelei bezeichnet. Weiters gibt es in der indischen Literatur einen beliebten Charakter namens Devdas, ein verstockter Sufer, ein Taugenichts, ein Wanderer, der nach seiner Geliebten ei-

ner verheirateten Frau schmachtet und sich zu Tode suft. So ein awara ist ein sympathischer Kerl, der in der indischen Literatur unsterblich geworden ist; Der Awara in der Hindi-bersetzung besitzt alle Charakterzge eines aus der Gesellschaft ausgestoenen liebenswerten Charakters.

In der Hindi-bersetzung habe ich den Reim des Gedichts beibehalten, obwohl die Strophen nach dem System der Zielsprache gebildet wurden. Damit bleibt die Dynamik des Originals erhalten.

Amrit Mehta: Die Hindi-bersetzung

bersetzung in HindiAmrid Mehta (Hyderabad)

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Daniela Placci: bersetzung und Musik

LA CANZONE DEL VAGABONDO

L estate si spenta lentamente,L autunno has messo di piangere,E arrivato ora lin verno,Nemico maligno.Nel lenzuolo funebre giace la terraChe un tempo fu giovane e colorata.Che cerchi ancora, qui sei straniero,Fratello vagabondo.

Come ti salta ai polpacciIl rigido vento din verno!Non sei in vitatoDove loro sono ubriachiPer la festa di S . SilvestroNessun oste ti chiama a bere un ponce bollente:Un corvo gracchia l augurio di buon anno,Fratello vagabondo.

E se il cielo lass fosseIntessu to di velluto e di broccatoE di stelline,E ognuna fosse un ducato...Non ci sarebbe nessuno che metterebbe la scalaPer andarle a prendere.Cos il tempo, cos il mondo,Fratello vagabondo.

bersetzung ins Italienische:Laura Masi (Mailand | Milano)

Daniela Placci (Asti):bersetzung und Musik

In diesem Lied wunderbar bersetztvonLauraMasifindenwir die typische Poesie von Jura Soyfer wieder. Das Lied beginnt und endet als Auftakt des Stckes Astoria mit der vollkommenen Hoffnungsabwesenheit. Hoffnung charakterisierte allerdings den letz-ten Teil des Gesanges des Kometen im Stck Der Weltuntergang (La fine del mondo), in dem die Zukunft der Welt als herrlich und gro definiert wird. Die Protagonistensind die Verlierer, die Letzten, dieGedemtigten dieser viel geliebten prosaischen Kategorie von Soyfer, mit denen er mgli-cherweise ein wenigAtem findet,eine leichte Entlastung. Nur fr die einzig zu ergreifende Tatsache, fr ein einziges Mal gibt er ihnen eine Stimme, die sie darstellt, die ihnen Wrde verleiht und Mensch-lichkeit. Das aber ndert nichts am tragischen Epilog, der sie erwartet. Der Winter berfllt die beiden Va-gabunden, die nicht die Mittel be-sitzen, um ihm zu begegnen. Auch wenn ein Sternenhimmel (wunder-volle bersetzung) aus Samt und Brokat einen Weg der Rettung er-mglichen wrde, so wre diese unseren Helden verwehrt, schuldig am Leben an den Grenzen, schul-dig daran, dass sie keinen Platz we-

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Daniela Placci: bersetzung und Musik

derinihrerZeitnochinihrerWeltfinden.Und darum heit es in diesem Lied: so ist die Zeit, so ist die Welt.

Die bersetzung von Laura Masi (Mai-land | Milano) hebt die Dialektik zwischen den Terminologien hervor, die zurckfh-ren auf ein Begrbnis und andere, gewhn-lich kindliche, frische Ausdrucksweisen (z.B. Sternlein, Wie springt dir an die Waden), um mglicherweise hauptsch-lich eine drastische Spannung zu erzeugen, um als Resultat beim Leser einen Effekt von extremem Mitgefhl und Mitleid zu erreichen.

Die bersetzung wie wirkungsvoll und genau sie auch ist birgt Probleme bei der In-Szene-Setzung. Es handelt sich tatschlich umeinLiedund als solchesmuss esbei derVertonungentsprechend spezifischenKriteriengengen. Ein Lied lebt von den Reimen, von Versen mit einer przisen Anzahl von Silben und muss der Musik, die gewhlt werden soll, wie ein Handschuh angepasst werden.

IndieserLagebefandichmichschoneinmalimJahre2007alswirLafinedelmondo(Der Weltuntergang) in Szene setzten.1 Auch damals musste ich auf der Basis der von mir ge-whlten Musik den Text der bersetzung verndern. Natrlich nicht deshalb, weil die berset-zung etwa ungengend gewesen wre, sondern aufgrund der Belange des In-Szene-Setzens und der Notwendigkeiten im Rahmen der Vertonung. Ich wurde von derselben Musik inspiriert und habe mich vom Klang zu den richtigen Worten tragen lassen selbstverstndlich dem Original der bersetzung soweit als mglich treu bleibend. Bevor ich mit dieser Arbeit begann, habe ich viel Musik aus dieser Epoche gehrt sei es fr das Kabarett, sei es klassische Musik, um mich in die Atmosphre dieser Periode zu versetzen. Ebenso war der Klang der Sprache fr mich sehr inspirierend.

Auch in diesem Fall werde ich nachstehende Strategie verfolgen: beginnend mit der Charak-teristik der Niederschrift und folgend der bersetzung werde ich die beste und wirkungsvoll-ste Terminologie whlen auch im Bewusstsein ihres Klanges und deren Aussprache sowie der maximalen Treue zur bersetzerin, um fr die groe Poesie von Jura Soyfer musikalisch eine Entsprechungzufinden.

bersetzung aus dem Italienischen: Jorg Zickenrot

1 Die DVD zur Auffhrung ist enthalten in der Publikation Die Lebendigkeit Jura Soyfers. Die Daten zur Publikation im WWW: http://www.inst.at/burei/CBand7.htm

SPETTACOLO TEATRALE

LA FINE DEL MONDO

di JURA SOYFER

Ankndigung des Theaterstcks La fine del mondo in Asti, 2007 im Internet

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Kotaro Isozaki:

bersetzung ins Japanische:Kotaro Isozaki (Fukui, Japan)

Kommentar von Kotaro Isozaki:Der Vagabund bei Jura Soyfer erinnert

uns an einen von der Gesellschaft Zurck-gelassenen. Dieses negative Vagabunden-bild scheint in Japan im folgenden Sinne eher fremd zu sein: Seit Alters her gehr-ten die Japaner dem Volk des Ackerbaus an und hatten in der Regel einen festen Wohn-ort. Aber deshalb sehnten sie sich zugleich nach Wanderreisen und einem Vagabun-denleben, in denen sie die Befreiung von den Regeln des gesellschaftlichen Lebens finden knnten. Klimatologisch gesehen,zieht der Anblick des jahreszeitlichen Wechsels die Japaner an, die Naturland-schaft, auch unbewohntes Bergland. Dabei erwarten sie, durch Reisen und Wanderun-gen sowohl natrliche als auch kulturelle Landschaften vllig genieen zu knnen. So weisen die Wanderreisen ein wesentli-ches Merkmal in vielen Haiku-Dichtungen wieetwavonBashMatsuo(16441694)oderSantkaTaneda(18821940)auf.

Aber wegen der wirtschaftlichen De-pression spricht man heute in Japan nicht wenig ber homeless, d.h. Obdachlose, die in Stadtparks, auf Straen oder in In-ternetcfes bernachten. Die meisten von ihnen ca. 95 Prozent von 25.296 Betrof-fenen nach der Statisik 2003 sind Per-sonen mittleren und hheren Alters, aber fast noch keine Straenkinder. In diesem Zusammenhang ist bei allen noch frisch im Gedchtnis eine Erzhlung der japanischen proletarischenLiteratur:Kaniksen(Krabbenschiff,1929)vonTakijiKobayashi(19031933).Sie erweckte in den letzten ein, zwei Jahren eine groe Aufmerksamkeit und wird dieses Jahr wiederverfilmt.DeshalbkannauchSoyfersVagabundenlied in Japan eine groe Sympathie gewinnen, insofern man es so versteht, dass der Obdachlose sein Herz ausschttet.

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RimmaS.Sakiewa/W.Unatlokow:iiii

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bersetzung ins Kabardinische:Rimma S. Sakiewa (Armavir) Wjatscheslaw Ch. Unatlokow (Naltschik)

Raschid Alikajew (Naltschik):Kommentar

Im Jahr 2008 wurde von Raschid Alika-jew im Universittsverlag der Kabardinisch-Balkarischen Staatlichen Universitt in Nalt-schik die bersetzung des Soyferschen Stk-kes Astoria in Kabardinisch herausgebracht (Cover siehe unten). Zur bersetzung des Vagabundenliedes ins Kabardinische schreibt er: [...] auch im Kabardinischen gibt es keine eindeutige Entsprechung fr das Wort Vaga-bund. Die bersetzer haben versucht, die Be-deutung des Wortes Vagabund mit verschie-denen Ausdrcken wiederzugeben. Einmal ist das1.lderMann,dersehrviel unterwegs ist, ohne eine bestimmte Be-schftigung zu haben, eine Art Nichtstuer, 2. einandermalistdaseineinLand-streicher, und in einer dritten Variation wird eine metaphorische Verbindung gebraucht, die ins Deutsche wortwrtlich bersetzt folgendes bedeutet: der Mann, der die Hunde zur Trank-stelle fhrt, d.h. Unntzes treibt. Die Wahl der entsprechenden Variante wird durch den Reim bedingt. (Email, 5.11.2009.)

Die karbardi-nische Ausgabe von Astoria

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ChinarbubuTuleeva:

Kommentar von Chinarbubu TuleevaDer Begriff Vagabund wurde ins Kirgisische mit

[tomojak]bersetzt.DiesesWorthatetlicheBedeutungen; darunter: Waisenkind, Obdachloser, ein Mensch, der in seinem Leben alles verloren hat.

Das Lied von Jura Soyfer ist den Menschen gewid-met, die ohne Obdach, ohne Arbeit, ohne Familie allein mit ihren Sorgen und ihren Leiden drauen unter dem Himmel im kalten Winter bleiben, der eine Metapher fr das schwere Leben in den 1930er Jahren in ster-reich ist.

Das Wort Tomojak vermittelt diese Hauptidee des Soyferschen Liedes. Er ist selbst kein verlorener Mensch. Im tiefen Herzen hat er positive menschliche Eigenschaften. Deswegen sprt er so tief die Klte des Winters also die Klte des realen Lebens , vergleicht sie mit der Schnheit des Sommers seines ehemaligen Lebens, mit den Trnen des Herbstes. Am kalten, grauen Winterabend vor dem Jahreswechsel reicht ihm keiner einen Schluck heien Punsch, um ihn nicht nur phy-sisch, sondern auch seelisch zu erwrmen. Gerade da-durch ist er ein Tomojak, da niemand etwas mit ihm zu tun haben mchte. Den Neujahrswunsch krchzt der Rabe ganz so wie an den Winterabenden nur die Ra-ben laut krchzen, womit die Stilistik bewahrt wird.

Im Kirgisischen ist es so: die Reichen werden noch reicher, die Armen noch rmer, denn die Reichen be-kommen Achtung, allerlei Geschenke, gute Arbeit die anderen nichts. Die Armen sollen einen groen Abstand zu den wohlhabenden Leuten wahren, um sie nicht mit ihren Sorgen und Leiden zu beunruhigen.

Der Tomojak versteht seine Ohnmacht, seine triste Situation. Sein Obdach ist der hohe Himmel reich an Samt, Brokat und Dukaten. Der knstliche Reichtum des Himmels dargestellt als Kulisse irdischer Reich-tmer, die nicht erreichbar ist wird auch in der bersetzung adquat dargestellt. Er ist benachteiligt im realen Leben. Der Kirgisische Leser versteht durch die bersetzung diese Hauptidee des Vaga-bundenliedes von Jura Soyfer. Es ist an ihm, seine Schlsse daraus zu ziehen.

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bersetzung ins Kirgisische: Chinarbubu Tuleeva (Bishkek)

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Han-Soon Yim: [ ]

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bersetzung ins Koreanische: Han-Soon Yim, (Seoul)

Kommentar von Han-Soon Yim:Das Wort Vagabund lsst sich auf ko-

reanisch in mehrere Synonyme bersetzen wie bangnangja ( ), yurangin ( ), nagne (); burang-ja ( ), ddeodori () und ddeunaegi (), wobei die ersten drei meist wertfrei sind und oft mit einer lyrischen Stimmung verbunden sein knnen. Die letz-teren besitzen dagegen nicht nur die fr alle Varianten gemeinsamen Konnotationen von Obdach- und Heimatlosigkeit, sondern auch die von Unzuverlssigkeit, Untreue, Sittenlo-sigkeit usw. Tausende Jahre lang war die An-sssigkeit fr die Koreaner von entscheiden-der Bedeutung, weshalb eben der Bauernstand noch bis zur ffnung des Landes den zweiten Platz imaltenvierstufigenKastensystembe-anspruchen konnte, und zwar nach den Be-amten und vor den Handwerkern und Kauf-leuten. Das Vagabundenlied von Jura Soyfer ist also in bangnangja-norae ( ) bzw. bangnang-ga ( : Wander-lied) zu bersetzen, zumal auch etliche Kom-posita wie bangnang-gasu ( Wandersnger), bangnang-siin ( Wanderdichter) fr Vagabund und yurang-geukdan ( , heute gelufiger: sunhoe-geukdan ) fr Wandertruppe vorhanden sind.

In meiner bersetzung habe ich die Sing-barkeit des Originals wiederzugeben versucht, ohne allerdings den Reim im Original wech-seln mnnlicher und weiblicher Kreuzreim durchgehend allein aus sprachsystembeding-ten Grnden bercksichtigen zu knnen. Auf die metrische Wiedergabe des Auftakts wurde ebenfalls verzichtet, weil er in der koreani-

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Han-Soon Yim: [ ]

schen Sprache eigentlich nicht vorkommt. Beim Vortragen sollte man wenigstens die Zweitei-ligkeit der Verszeilen ebenso wie im Original bercksichtigen: Jede Zeile meiner koreanischen Version besteht aus zwei metrischen Einheiten, wobei ein Metrum (koreanisch umbo, eine dem europischen Versfu angepasste Einheit) aus drei bis fnf Silben gebildet ist. Beim richtigen Vorlesen kann man die Eintnigkeit, die durch die Gebundenheit des Textes zu entstehen droht, vermeiden.

Augenfllig ist vor allem die Blickrichtung des lyrischen Ichs, die sich von der eingefro-renen Erde ber den kalten Winterwind und den vor allem im koreanischen Volksglauben ominsen Raben zum prachtvollen, aber unerreichbaren Himmel erhebt und dann pltzlich wieder nach unten zu dieser Welt strzt. Die abgrndige Trostlosigkeit, die dabei den Vagabun-denergreift,empfindenwirnochschrfermit,wenndasGedichtinKontrastzudenWander-liedern der Goetheschen Prgung gestellt wird. Weder Ser Friede noch Erquickung, die der des Treibens mde Wanderer vom Himmel ersehnt und wohl auch bekommen wird, noch die abendliche Ruhe, die sich von den bergigen Gipfeln ber Bume und Vglein im Wald zum Du und Ich verbreitet und damit die Natur und den Menschen vereint, ist dem Vagabunden Soyfers beschert. Whrend sich jener Wanderer in einer zeitlosen Naturwelt bewegt und somit fr alle Menschen aller Zeiten steht, ist dieser Vagabund an seine Zeit und seine Welt gebunden, die jeweils so ist. Ein Hauch von Religiositt, der im Goetheschen Himmel noch sprbar ist, verschwindet bei Soyfer in dem Augenblick restlos, in dem der mit Samt, Brokat und Sternen gezierten Himmel wie ein fr den Vagabunden unerreichbares Mrchenreich voller Goldmnzen vorkommt. In der Klassengesellschaft von Oben/Himmel und Unten/Erde gibt es fr die Armen also keinen Raum und keine Ruhe mehr, und zwar fr immer: Die wiederholt aufgezhlte Zeit vom Sommer ber den Herbst und Winter bis zum Silvester und Neujahr wird bezeichnender-weise nicht in einen hoffnungsvollen Frhling bergefhrt.

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FatimaFesti:Pjesmavagabunda

Pjesma vagabunda

Ljeta je sunce izblijedjelo, Jesen mu isprala sjaj. Mrzlost se primie, siromaha gorak kraj.

Zemlja se pod mrtvim pokrovom stie, Sva joj svjeina iezla, i cvijet.Idi dalje, nisi za ovaj svijet, brate moj, vagabund. Grizu studene iglice ispod otanjilih halja i obue. Ne pozivaju te, lutalice, da se ogrije uz pie.

Na Silvestrovo ti nitko Nee nuditi aice. Samo e vrane graktati zdravice, brate moj, vagabund. I da je nebo nad nama koliko se okom moe dose barun protkan zvijezdama,svaka srebrn novi,

nitko ti ne bi ljestvi pridrao kako bi se zvijezda dotakao. Vremena su takva, i svijet zao, brate moj, vagabund.

bersetzung ins Kroatische:FatimaFesti(LosAngeles),2008

Comments by Fatima Festi:The translation of the poem Vagabundenlied

into Croatian attempts to communicate a wider feeling of social alienation, estrangenment in the Brechtian sense, the lack of empathy for the loneliness of the wandering soul of the poet Franois Villon. Yet it also conveys the feeling of an ever-present nomadic hu-man condition: in particular, it points out the aporetic significanceofthenot-belongingdesignationofanintellectual. In the light of the recent violent develop-ments and displacements in the war on Croatia and the subsequent social, cultural and political changes that took diverging paths and left various, layered traumas behind, the translation also hints at ones hard and conflictingeffortstoenvisionabetterworldontheru-ins of the previous one.

The word vagabund which I used in the translati-onisaCroatianmodificationofthesamewordasitori-ginally appears in Romanic languages and as Jura So-yfer himself used it in its German version in his poem. However, its meaning refers not only to a restless per-son (as it can be found in some modern Croatian lyrics: lutalica, the expression which I also used once, in the third stance, and which is a Croatian word of Slavic origin). It rather refers to a kind of a challenged intel-lectual in the transition between two worlds, the old one and the coming one, and also to a person torn bet-ween the appeal of the homeland and the vastness of the ever-luring world. The use of the word vagabund depicts a search for some transposition of an inquiring spirit into some unknown otherness at the moments when the sense of collectivity, humanity, and compas-sion is dissolved in the gap produced by changes in the systems of value. The translation attempts to em-phasize human yearning along with discouragement at certain points in time, and a discrepancy between a poetic nature on one side and the rudeness of social, historical, and material realities on another.

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Mohammed Laasri:

Kommentar