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Leipziger Buchmesse In Leipzig öffnet die Buchmesse. Lesen Sie auf ZEIT ONLINE aktuelle Berichte, Rezensionen und Porträts. Dazu: Muntere kleine Schnipsel und Beobach- tungen aus den Messehallen und von den schönsten Partys www.zeit.de/literatur R Michael/AFP/Getty Images 13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT N o 12 14 Auf 72 Seiten extra die aufregendsten Bücher der Saison, ein Porträt der Nobelpreisträgerin Toni Morrison – und junge Autoren, die jetzt endlich abheben Lesen im Frühling Der Regisseur Spike Jonze hat mit »Her« den ungewöhnlichs- ten Liebesfilm des Jahres ge- dreht – eine Begegnung Das Porträt einer Spionin Roger Willemsen blickt zurück auf den Winter Eine Überdosis Risiko Bevor Pharmafirmen neue Produkte auf den Markt bringen, werden die Medikamente getestet – viele Studien finden in Schwellenländern wie Russland statt. Geht dabei alles mit rechten Dingen zu? Wer überwacht die Methoden und Ergebnisse? Welche Risiken tragen die Erkrankten? In Moskau und St. Petersburg sprachen die ZEIT-Autorin Nadine Ahr (2. v. l.) und die Reporterin Christiane Hawranek vom Bayerischen Rundfunk mit Patienten und Ärzten. Einige berichten offen über Korruption und Fälschungen DOSSIER SEITE 15 POLITIK 2 Parlament Der Digitale Ausschuss wird zur Sensation der laufenden Legislaturperiode VON MARIAM LAU 3 Pädophilie Was passiert nach der Therapie? Ein Langzeitporträt VON HEIKE FALLER 4 Ukraine Auf der Krim entzweit der geplante Anschluss an Russland die Bewohner VON JOCHEN BITTNER 5 In Donezk sind die Folgen der Krimkrise zu spüren VON ALICE BOTA 6 Charité Ein Ortsbesuch im politischen Krankenhaus VON ELISABETH NIEJAHR Nato Interview mit General James L. Jones 7 Venezuela Leiten die Aufstände das Ende des linken Lateinamerikas ein? VON THOMAS FISCHERMANN 8 Nordkorea Verbrechen gegen die Menschheit: Berichte aus den Vernichtungslagern VON MATTHIAS NASS 10 Feminismus Was will der Mann? Eine Replik VON ELISABETH RAETHER Syrien Die Kurden im Norden schaffen sich ihren eigenen Staat VON ONUR BURÇAK BELLI 11 Frankreich Die bürgerliche Opposition zerlegt sich selbst VON GEORG BLUME Ortszeit Kabul VON RONJA VON WURMB-SEIBEL 12 Zeitgeist VON JOSEF JOFFE Doppelte Staatsbürgerschaft Der Gesetzentwurf der Regierung ist hartleibig VON ÖZLEM TOPÇU Dausend 13 Zentralafrikanische Republik Der Konflikt ist nicht religiös motiviert VON SILVIA KUNTZ NeinQuarterly Wahlrecht Deutschland braucht eine Zweiprozenthürde VON MARCEL PAULY DOSSIER 15 Medikamententests Westliche Pharmakonzerne lassen neue Arzneien in Russland testen. Die Kontrollen sind lax VON N. AHR UND C. HAWRANEK GESCHICHTE 20 Mindestlohn Eine kleine Chronik VON DIETMAR SÜSS 21 18. März Veit Valentin – der Historiker der Deutschen Revolution VON RALF ZERBACK 24 FUSSBALL Steuerprozess Kaum noch zu retten – Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist auf dem Weg ins Gefängnis VON HANNS-BRUNO KAMMERTÖNS WIRTSCHAFT 25 Dynastie Nachfolgestreit im Hause Oetker VON RÜDIGER JUNGBLUTH Lebensversicherungen Die Regierung will die Kunden schröpfen – und das ist gut so VON MARK SCHIERITZ 26 Neuverschuldung Die fatalen Folgen der schwarzen Null VON MARK SCHIERITZ 27 Banken Jürgen Fitschen über die Krise auf der Krim und den Ruf seiner Branche – ein Interview 28 Energie Der Boom in den USA und die Hoffnung Europas VON HEIKE BUCHTER 28 Gasimporte Was passiert bei einem Boykott? VON FRITZ VORHOLZ 29 Klimapolitik Europa könnte un- abhängiger von russischem Gas werden VON FRITZ VORHOLZ 30 Silk Road Ein Niederbayer steht vor Gericht, weil er online Drogen verkauft hat VON WOLF WIEDMANN-SCHMIDT 31 Geldanlage Fragwürdige Geschäfte mit Wald VON HEINZ-ROGER DOHMS 32 Korruption Lässt sie sich besiegen? VON PETRA PINZLER 33 Naher Osten Ein Unternehmer fordert einen arabischen Marshallplan VON ANDREA BÖHM 34 »Abendzeitung« Michael Graeter über sein Leben als Klatschreporter 36 Welt des Geldes Londons Banken-Elite setzt auf Pferde VON JOHN F. JUNGCLAUSSEN Gold Der Preis steigt – aber wie lange noch? VON NADINE OBERHUBER 37 Italien Rettet den Mittelstand! VON ANDREA MORENTO Türkei Premier Erdoğan ist unter Druck wie nie VON DANIEL ETTER Netzausbau Die Wunschliste der Telekommunikationsindustrie VON MARCUS ROHWETTER 38 Was bewegt ... Weltraum- Managerin Claudia Kessler? VON CATALINA SCHRÖDER WISSEN 39 Medizin Die Not des Pflege- personals in deutschen Kliniken ist groß VON BURKHARD STRASSMANN Wissenschaft Keine Forschung mehr mit der Schweiz VON ULRICH SCHNABEL 41 Zoologie Neuroparasiten befallen Tiere und machen sie zu Zombies VON FRITZ HABEKUSS 42 Biologie Parasiten im Darm – ein Ökosystem VON HANNO CHARISIUS Robotik Maschinen müssen lernen, sich sozial zu verhalten VON BURKHARD STRASSMANN 43 Grafik So wohnen die Deutschen 45 KINDERZEIT Helden erfinden Zehn Tipps, wie man eine Geschichte schreibt VON KIRSTEN BOIE 46 KINDER- & JUGENDBUCH 1914 Neue Bücher zum Großen Krieg VON SARAH SCHASCHEK UND SILKE SCHNETTLER 47 China Deutschen Kinderbücher in Peking VON INNA HARTWICH 48 LUCHS des Jahres 2013 für Kirsten Boies »Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen«. Eine Laudatio VON PAUL MAAR FEUILLETON 49 Philosophie Martin Heideggers »Schwarze Hefte« sind erschienen VON THOMAS ASSHEUER Werbung Ein Videoclip von Edeka rehabilitiert den Supermarkt VON NINA PAUER 50 Debatte Antwort auf Sibylle Lewitscharoffs Dresdner Rede zur Reproduktionsmedizin VON EVA MENASSE Ein Besuch bei Sibylle Lewitscharoff in Berlin VON ADAM SOBOCZYNSKI 52 Ukraine Warum der Westen beim Konflikt mit Russland versagt VON JÖRG BABEROWSKI 53 Literatur Katja Eichinger und Franka Potente veröffentlichen zeitgleich Los- Angeles-Romane VON URSULA MÄRZ Fernsehen Die HBO-Serie »True Detective« VON LARS WEISBROD 54 Interview Ein Gespräch mit dem Kameramann Michael Ballhaus 56 Nachruf Zum Tode des Opern- und Theaterintendanten Gerard Mortier VON NIKE WAGNER Oper Elfriede Jelineks »Rein Gold« an der Berliner Staatsoper VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY 57 USA Die jungen Intellektuellen lesen wieder Karl Marx VON CASPAR SHALLER 59 Systemkritik Der Künstler Marc-Uwe Kling amüsiert mit Geschichten vom Känguru VON ELISABETH VON THADDEN 60 Kunstmarkt Das Auktionshaus Stargardt versteigert Autografen von Sigmar Polke und Gerhard Richter VON STEFAN KOLDEHOFF 61 Ausstellung »Playtime« im Münchner Lenbachhaus VON TOBIAS TIMM 62 GLAUBEN & ZWEIFELN Limburg Wie der Domkaplan Sascha Jung zum Gegner seines Bischofs wurde VON RAOUL LÖBBERT 63 Musik-Spezial Neues aus Klassik, Pop und Jazz auf sechs Seiten REISEN 69 Palästina Im Zoo von Kalkilja stopft und flickt ein Tierarzt für die Zerstreuung seiner Landsleute VON AGNES FAZEKAS 71 Vorabdruck »Miss Jemimas Journal« 72 Web Hoteliers sind die Netzkritiken leid VON COSIMA SCHMITT 73 Interview In Altamira werden Besuche der Steinzeithöhle verlost CHANCEN 75 Hochschule Die Regierung will mehr ausländische Studenten VON M. SCHMIDT 76 Schule Für Sozialarbeiter ist kein Geld mehr da VON ARNFRID SCHENK Spezial MBA, Management und Weiterbildung 77 Führungsseminare Was Manager von der Natur lernen können – und was nicht VON JAN GULDNER 78 Weiterbildung Die Universitäten müssen ihre Sonderrolle behalten 79 MBA Was bringen die Seminare im Netz? VON ANNE-SOPHIE LANG 80 Studiengänge Angebote der Hochschulen für Berufstätige VON MALTE BUHSE 81 Ein Tag mit ... einem Erbschafts- abwickler VON CHRISTOPHER PILTZ 92 ZEIT DER LESER RUBRIKEN 2 Worte der Woche 26 Macher und Märkte 34 Quengelzone 44 Stimmt’s?/Erforscht & erfunden 56 Impressum 60 Traumstück 61 Finis/Männer! 91 LESERBRIEFE Herrschen oder teilen VON RÜDIGER JUNGBLUTH Streit im Hause Oetker: Deutschlands bekannteste Wirt- schaftsdynastie war viele Jahre lang vom Erfolg verwöhnt. Plötzlich sind sich die drei Familienstämme uneins über die zukünftige Strategie. Ein Kampf um Macht und Ansehen WIRTSCHAFT SEITE 25 »Maomao« für 50 Yuan VON INNA HARTWICH Der Räuber Hotzenplotz heißt »Dadao Huochenbuluci«, und Momo »Maomao«: Deutsche Kinderbücher sind in China höchst beliebt. Außerdem: Rezensionen und eine Laudatio auf Kirsten Boie KINDER-& JUGENDBUCH AB SEITE 46 Foto: Frank Rollitz/Schneider-Press Foto: Ken Seet/Corbis IN DER ZEIT Titel: Lesen im Frühling 72 Seiten Literaturmagazin – die aufregendsten Bücher der Saison Musik-Spezial Popsängerin Miss Platnum und ihr Album »Glück und Benzin«. Außerdem: Opernstar Simone Kermes singt Mozart www.zeit.de/apps Foto: Sergey Kozmin/Agentur Focus für DIE ZEIT Till Janz u. Hendrik Schneider N o 12 ZEITnah Genießen Sie Jetzt DIE ZEIT 3 Monate lesen und 40% sparen! DIE ZEIT ist die Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Wissen und Kultur. ZEIT-Leser schätzen ihre Kompetenz und Meinungsvielfalt. Testen Sie jetzt 13 Ausgaben für nur 35,10 €! Als Dankeschön erhalten Sie zusätzlich zwei Geschenke. www.zeit.de *Bitte jeweilige Bestellnummer angeben DIE ZEIT, Leser-Service, 20080 Hamburg 040/42237070* 040/42237090 [email protected]* www.zeit.de Ich zahle per Rechnung Ich bin Student und spare nach dem Test sogar über 43%, zahle zzt. nur 2,55 € pro Ausgabe und erhalte DIE ZEIT 52x sowie das Studentenmagazin ZEIT CAMPUS 6x im Jahr separat zu- geschickt. Meine gültige Immatrikulationsbescheinigung füge ich bei. Ja, ich möchte von weiteren Vorteilen profitieren. Ich bin daher einverstanden, dass mich DIE ZEIT per Post, Telefon oder E-Mail über interessante Medienangebote und kostenlose Veranstaltungen informiert. Datum Unterschrift Ja, ich teste DIE ZEIT 3 Monate zum Sonderpreis! Ich teste DIE ZEIT 3 Monate lang für nur 35,10 € statt 58,50 € im Einzelkauf und spare 40%. Wenn ich mich nach der 12. Ausgabe nicht melde, beziehe ich DIE ZEIT 52x im Jahr für zzt. nur 3,99 € pro Ausgabe frei Haus statt 4,50 € im Einzelkauf. 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Anzeigen in dieser Ausgabe Spielpläne (Seite 17), Museen und Galerien (Seite 18), Link-Tipps (Seite 30), Bildungsangebote und Stellenmarkt (ab Seite 82) Früher informiert! Die aktuellen Themen der ZEIT schon am Mittwoch im ZEIT- Brief, dem kostenlosen Newsletter www.zeit.de/brief Die so gekennzeichneten Artikel finden Sie als Audiodatei im »Premiumbereich« unter www.zeit.de/audio

IN DER ZEIT - zeit-verlagsgruppe.de · Konflikt ist nicht religiös motiviert VON SILVIA KUNTZ NeinQuarterly ÖkosystemWahlrecht Deutschland braucht eine Zweiprozenthürde VON MARCEL

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Leipziger BuchmesseIn Leipzig öffnet die Buchmesse. Lesen Sie auf ZEIT ONLINE aktuelle Berichte, Rezensionen und Porträts. Dazu: Muntere kleine Schnipsel und Beobach-tungen aus den Messehallen und von den schönsten Partyswww.zeit.de/literatur

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12

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20. MÄRZ 2014 DIE ZEIT N o 13

Auf 72 Seiten extra die aufregendsten Bücher der Saison,

ein Porträt der Nobelpreisträgerin

Toni Morrison – und junge Autoren, die jetzt endlich abheben

Lesen im Frühling

MIT GROSSER LITERATURBEILAGE

Der Regisseur Spike Jonze hat mit »Her« den ungewöhnlichs-ten Liebesfilm des Jahres ge-dreht – eine BegegnungDas Porträt einer Spionin Roger Willemsen blickt zurück auf den Winter

Eine Überdosis RisikoBevor Pharmafirmen neue Produkte auf den Markt bringen, werden die Medikamente getestet – viele Studien finden in Schwellenländern wie Russland statt.Geht dabei alles mit rechten Dingen zu? Wer überwacht die Methoden und Ergebnisse? Welche Risiken tragen die Erkrankten? In Moskau und St. Petersburg sprachen die ZEIT-Autorin Nadine Ahr (2. v. l.) und die Reporterin Christiane Hawranek vom Bayerischen Rundfunk mit Patienten und Ärzten. Einige berichten offen über Korruption und Fälschungen DOSSIER SEITE 15

POLITIK2 Parlament Der Digitale Ausschuss

wird zur Sensation der laufenden Legislaturperiode VON MARIAM LAU

3 Pädophilie Was passiert nach der Therapie? Ein Langzeitporträt

VON HEIKE FALLER

4 Ukraine Auf der Krim entzweit der geplante Anschluss an Russland die Bewohner VON JOCHEN BITTNER

5 In Donezk sind die Folgen der Krimkrise zu spüren VON ALICE BOTA

6 Charité Ein Ortsbesuch im politischen Krankenhaus

VON ELISABETH NIEJAHR

Nato Interview mit General James L. Jones

7 Venezuela Leiten die Aufstände das Ende des linken Lateinamerikas ein?

VON THOMAS FISCHERMANN

8 Nordkorea Verbrechen gegen die Menschheit: Berichte aus den Vernichtungslagern VON MATTHIAS NASS

10 Feminismus Was will der Mann? Eine Replik VON ELISABETH RAETHER

Syrien Die Kurden im Norden schaffen sich ihren eigenen Staat

VON ONUR BURÇAK BELLI

11 Frankreich Die bürgerliche Opposition zerlegt sich selbst

VON GEORG BLUME

Ortszeit Kabul VON RONJA VON WURMB-SEIBEL

12 Zeitgeist VON JOSEF JOFFE

Doppelte Staatsbürgerschaft Der Gesetzentwurf der Regierung ist hartleibig VON ÖZLEM TOPÇU

Dausend

13 Zentralafrikanische Republik Der Konflikt ist nicht religiös motiviert

VON SILVIA KUNTZ

NeinQuarterly

Wahlrecht Deutschland braucht eine Zweiprozenthürde VON MARCEL PAULY

DOSSIER15 Medikamententests Westliche

Pharmakonzerne lassen neue Arzneien in Russland testen. Die Kontrollen sind lax VON N. AHR UND C. HAWRANEK

GESCHICHTE20 Mindestlohn Eine kleine Chronik

VON DIETMAR SÜSS

21 18. März Veit Valentin – der Historiker der Deutschen Revolution VON RALF ZERBACK

24 FUSSBALL Steuerprozess Kaum noch zu retten – Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist auf dem Weg ins Gefängnis

VON HANNS-BRUNO KAMMERTÖNS

WIRTSCHAFT25 Dynastie Nachfolgestreit

im Hause Oetker VON RÜDIGER JUNGBLUTH

Lebensversicherungen Die Regierung will die Kunden schröpfen – und das ist gut so VON MARK SCHIERITZ

26 Neuverschuldung Die fatalen Folgen der schwarzen Null VON MARK SCHIERITZ

27 Banken Jürgen Fitschen über die Krise auf der Krim und den Ruf seiner Branche – ein Interview

28 Energie Der Boom in den USA und die Hoffnung Europas

VON HEIKE BUCHTER

28 Gasimporte Was passiert bei einem Boykott? VON FRITZ VORHOLZ

29 Klimapolitik Europa könnte un-abhängiger von russischem Gas werden

VON FRITZ VORHOLZ

30 Silk Road Ein Niederbayer steht vor Gericht, weil er online Drogen verkauft hat VON WOLF WIEDMANN-SCHMIDT

31 Geldanlage Fragwürdige Geschäfte mit Wald VON HEINZ-ROGER DOHMS

32 Korruption Lässt sie sich besiegen?

VON PETRA PINZLER

33 Naher Osten Ein Unternehmer fordert einen arabischen Marshallplan

VON ANDREA BÖHM

34 »Abendzeitung« Michael Graeter über sein Leben als Klatschreporter

36 Welt des Geldes Londons Banken-Elite setzt auf Pferde

VON JOHN F. JUNGCLAUSSEN

Gold Der Preis steigt – aber wie lange noch? VON NADINE OBERHUBER

37 Italien Rettet den Mittelstand!

VON ANDREA MORENTO

Türkei Premier Erdoğan ist unter Druck wie nie VON DANIEL ETTER

Netzausbau Die Wunschliste der Telekommunikationsindustrie

VON MARCUS ROHWETTER

38 Was bewegt ... Weltraum- Managerin Claudia Kessler?

VON CATALINA SCHRÖDER

WISSEN39 Medizin Die Not des Pflege-

personals in deutschen Kliniken ist groß

VON BURKHARD STRASSMANN

Wissenschaft Keine Forschung mehr mit der Schweiz VON ULRICH SCHNABEL

41 Zoologie Neuroparasiten befallen Tiere und machen sie zu Zombies

VON FRITZ HABEKUSS

42 Biologie Parasiten im Darm – ein Ökosystem VON HANNO CHARISIUS

Robotik Maschinen müssen lernen, sich sozial zu verhalten

VON BURKHARD STRASSMANN

43 Grafik So wohnen die Deutschen

45 KINDERZEIT Helden erfinden Zehn Tipps, wie man eine Geschichte schreibt

VON KIRSTEN BOIE

46 KINDER- & JUGENDBUCH 1914 Neue Bücher zum Großen Krieg VON SARAH SCHASCHEK UND

SILKE SCHNETTLER

47 China Deutschen Kinderbücher in Peking VON INNA HARTWICH

48 LUCHS des Jahres 2013 für Kirsten Boies »Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen«. Eine Laudatio

VON PAUL MAAR

FEUILLETON49 Philosophie Martin Heideggers

»Schwarze Hefte« sind erschienen

VON THOMAS ASSHEUER

Werbung Ein Videoclip von Edeka rehabilitiert den Supermarkt

VON NINA PAUER

50 Debatte Antwort auf Sibylle Lewitscharoffs Dresdner Rede zur Reproduktionsmedizin VON EVA MENASSE

Ein Besuch bei Sibylle Lewitscharoff in Berlin VON ADAM SOBOCZYNSKI

52 Ukraine Warum der Westen beim Konflikt mit Russland versagt

VON JÖRG BABEROWSKI

53 Literatur Katja Eichinger und Franka Potente veröffentlichen zeitgleich Los-Angeles-Romane VON URSULA MÄRZ

Fernsehen Die HBO-Serie »True Detective« VON LARS WEISBROD

54 Interview Ein Gespräch mit dem Kameramann Michael Ballhaus

56 Nachruf Zum Tode des Opern- und Theaterintendanten Gerard Mortier

VON NIKE WAGNER

Oper Elfriede Jelineks »Rein Gold« an der Berliner Staatsoper

VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY

57 USA Die jungen Intellektuellen lesen wieder Karl Marx VON CASPAR SHALLER

59 Systemkritik Der Künstler Marc-Uwe Kling amüsiert mit Geschichten vom Känguru

VON ELISABETH VON THADDEN

60 Kunstmarkt Das Auktionshaus Stargardt versteigert Autografen von Sigmar Polke und Gerhard Richter

VON STEFAN KOLDEHOFF

61 Ausstellung »Playtime« im Münchner Lenbachhaus VON TOBIAS TIMM

62 GLAUBEN & ZWEIFELN Limburg Wie der Domkaplan Sascha Jung zum Gegner seines Bischofs wurde

VON RAOUL LÖBBERT

63 Musik-Spezial Neues aus Klassik, Pop und Jazz auf sechs Seiten

REISEN 69 Palästina Im Zoo von Kalkilja

stopft und flickt ein Tierarzt für die Zerstreuung seiner Landsleute

VON AGNES FAZEKAS

71 Vorabdruck »Miss Jemimas Journal«

72 Web Hoteliers sind die Netzkritiken leid VON COSIMA SCHMITT

73 Interview In Altamira werden Besuche der Steinzeithöhle verlost

CHANCEN75 Hochschule Die Regierung will mehr

ausländische Studenten VON M. SCHMIDT

76 Schule Für Sozialarbeiter ist kein Geld mehr da VON ARNFRID SCHENK

Spezial MBA, Management und Weiterbildung

77 Führungsseminare Was Manager von der Natur lernen können – und was nicht VON JAN GULDNER

78 Weiterbildung Die Universitäten müssen ihre Sonderrolle behalten

79 MBA Was bringen die Seminare im Netz? VON ANNE-SOPHIE LANG

80 Studiengänge Angebote der Hochschulen für Berufstätige

VON MALTE BUHSE

81 Ein Tag mit ... einem Erbschafts-abwickler VON CHRISTOPHER PILTZ

92 ZEIT DER LESER

RUBRIKEN2 Worte der Woche

26 Macher und Märkte

34 Quengelzone

44 Stimmt’s?/Erforscht & erfunden

56 Impressum

60 Traumstück

61 Finis/Männer!

91 LESERBRIEFE

Herrschen oder teilenVON RÜDIGER JUNGBLUTH

Streit im Hause Oetker: Deutschlands bekannteste Wirt-schafts dynastie war viele Jahre lang vom Erfolg verwöhnt. Plötzlich sind sich die drei Familienstämme uneins über die zukünftige Strategie. Ein Kampf um Macht und Ansehen

WIRTSCHAFT SEITE 25

»Maomao« für 50 YuanVON INNA HARTWICH

Der Räuber Hotzenplotz heißt »Dadao Huochenbuluci«, und Momo »Maomao«: Deutsche Kinderbücher sind in China höchst beliebt. Außerdem: Rezensionen und eine Laudatio auf Kirsten Boie KINDER-& JUGENDBUCH AB SEITE 46

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IN DER ZEIT Titel: Lesen im Frühling72 Seiten Literaturmagazin – die aufregendsten Bücher der Saison

Musik-Spezial Popsängerin Miss Platnum und ihr Album »Glück und Benzin«. Außerdem: Opernstar Simone Kermes singt Mozartwww.zeit.de/apps

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Artikelauswahl #12 Eine Auswahl an Artikeln zur Syndizierung der aktuellen ZEIT Nr. 12.

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»Es war eine Verirrung« Nach dem Skandal von Dresden: Ein Treffen mit der Autorin Sibylle Lewitscharoff Feuilleton, Seite 51

Vielleicht wird Uli Hoeneß erst in einem autobiografischen Buch genau erklären können, was ihn da geritten hat: zunächst eine ohnehin schon hohe Steuerschuld von mehr als drei Millionen Euro einzuge-

stehen, um dann vor Gericht zu erklären, dass er in Wirklichkeit den fünffachen Betrag hinterzogen habe. Anderntags hieß es dann, es könnten auch unglaubliche 27,2 Millionen gewesen sein, was die Glaubwürdigkeit des vorangegangenen Einge-ständnisses erschütterte. Hatte er das volle Ausmaß seines Betrugs bis zuletzt verdrängt oder die rich-tigen Zahlen nicht parat? Wollte er weiteren Ent-hüllungen zuvorkommen? Oder wollte er mit dieser Offenbarung, auf die das Gericht vielleicht so nie gekommen wäre, sein besonderes Schuld-bewusstsein unter Beweis stellen? Vor dem Land-gericht München II trat er schon auf wie vor dem Jüngsten Gericht und bedauerte »zutiefst« seine Schuld. Er wolle sich endlich ehrlich machen.

Bei Redaktionsschluss stand nicht fest, ob das vermeintlich ultimative Geständnis irgendeine mildernde Wirkung entfalten könnte oder das genaue Gegenteil. Aber es ist wahrscheinlich, dass Hoeneß nicht nur eine Freiheitsstrafe auf-erlegt wird, sondern er diese auch antreten muss. Spätestens dann werden ihm die Spitzenmanager des FC Bayern alle offiziellen Ämter nehmen und damit das vollziehen, woran die Aufsichts-räte des Vereins in ihren eigenen Unternehmen durch strenge Compliance-Regeln längst gebun-den sind. Spätestens dann wird der bis dahin er-folgreichste Fußballmanager der Welt am Tief-punkt seines Lebens angekommen sein.

Hoeneß muss behandelt werden wie andere Gesetzesbrecher auch

Es soll in der Flut der Leserkommentare voller Hass und Häme noch einzelne Stimmen geben, die für den nackten Sünder so etwas wie Mitleid zum Ausdruck bringen. Wer Derartiges äußert, macht sich inzwischen wohl auch zum Outlaw. Und doch ist es richtig, wenn Hoeneß die Strafe bekommt, die für ein so schweres Delikt fällig ist – so wie es für jeden anderen Bürger auch gilt. Wer schwer fehlt, hat die Konsequenzen zu tra-gen, egal, ob prominent oder nicht.

Das war keine Selbstverständlichkeit. Als im Jahre 2002 Boris Becker – damals noch recht angesehen – vor dem Landgericht München I wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 3,4 Millionen Mark angeklagt wurde, gab es nur einen Verhandlungstag, keine einzige Zeugen-vernehmung und auch nur ein halbherziges Schuldeingeständnis. Becker kam mit zwei Jah-ren auf Bewährung davon, von den Rängen brandete Applaus auf. Die Vorsitzende Richte-rin zeigte eine nahezu mütterliche Fürsorge-pflicht gegenüber ihrem ertappten Delinquen-ten. Und etliche Medien nahmen das milde Urteil mit Erleichterung auf. All das wird Uli

Hoeneß nicht widerfahren, und das muss man durchaus als Fortschritt an sehen.

Wenn er aber so behandelt werden soll wie jeder andere auch, dann müssten für ihn auch nach der Strafe alle Maßstäbe gelten, die für nicht prominente Bürger gelten: Auf Schuld und Sühne folgt das Recht auf Rehabilitierung. Hier ist in Deutschland etwas dramatisch aus dem Lot geraten. Wo früher Prominente oder besonders Betuchte auf privilegierte Behandlung hoffen durften, gibt es heute neben dem für Straftaten zuständigen Gericht ein öffentliches Verfahren, in dem jedes Maß verloren gegangen ist. Heftig-keit und Dauer der Kritik wirken so verheerend, dass Prominente, die einen Fehler machen, am Ende Ausgestoßene bleiben. Das gilt für Jörg Kachelmann ebenso wie für Karl-Theodor zu Guttenberg oder Alice Schwarzer, der man ihr Steuervergehen vermutlich nie verzeihen wird. Keiner der drei wurde je verurteilt.

Das Neben-Scherbengericht wird dadurch so kraftvoll, dass man es basisdemokratisch legiti-miert (Volkes Stimme!) und ihm dazu einen be-sonderen moralischen Impetus zuspricht, ange-sichts einer Elite, die angeblich ihrer Vorbild-funktion nicht gerecht wird. Was für eine ver-zerrte Perspektive! Die Eliten wurden früher einfach nicht so durchleuchtet. Nach dem ge-genwärtigen Reinheitsgebot wären viele Vorbil-der von gestern heute nicht mehr tragbar. Dem moralischen Impetus fehlt oft die Glaubwürdig-keit, weil die öffentlichen Ankläger im Kleinen auch immer wieder Fehler und Versäumnisse be-gehen, wie das bei Normalsterblichen nun mal die Regel und nicht die Ausnahme ist. Vor allem aber hat die mediale Erörterung von Skandalen inzwischen den Pranger abgelöst. Mancher Kriti-ker würde dieses Vorgeführtwerden selbst nicht einmal eine Stunde lang aushalten.

Das ist die Diskrepanz, die sich zwischen Rechtsstaat und Gesellschaft aufgetan hat: Alles im Rechtsstaat ist darauf angelegt, die Verhältnis-mäßigkeit zu wahren. Es ist ein differenzierender, immer wieder abwägender Prozess. Die Skandali-sierung lebt vom Gegenteil. Vom amerikanischen Internetphilosophen und Blogger David Wein-berger stammt ein bahnbrechender Satz, der sich auf den Schwund des Privaten im digitalen Zeit-alter bezieht, aber auch an dieser Stelle nicht un-gehört bleiben soll: »Ich glaube nicht, dass wir die neue Transparenz überleben können, wenn wir die gleichen Standards der Kritik beibehalten.«

Wenn Uli Hoeneß seine gerechte Strafe abge-tragen hat, muss die gesellschaftliche Re vi sion beginnen: Kann ein Mensch nur gut oder nur böse sein? Wann ist es der Ächtung genug? Und wann ist ein Ton erreicht, der nicht mehr viel über einen Gefallenen verrät, sondern über das Land, das ihn einst vergöttert hat?

Ewige StrafeKann ein Prominenter, der gefehlt hat, wieder in die Gesellschaft zurückkehren? VON GIOVANNI DI LORENZO

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69.JAHRGANG C 7451 C

No12

Der Spruch »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« trifft in der internationalen Politik so nicht zu. Man könnte sogar sagen, wer da ganz ohne Lügen aus-kommt, ist kein Politiker. Inso-

fern sind Putins offenkundige Lügen (die Soldaten dort sind gar nicht meine) und Tricks (bestellte Hilferufe von der Krim) allein noch kein Beweis dafür, dass er auf ganzer Linie unrecht hat. Was also ist dran an den prorussischen Argumenten?

1. Die Krim, ja eigentlich die ganze Ukrai-ne gehört historisch zu Russland. Darüber dürfen Historiker lange streiten – Politiker aber nicht. Wenn man in Europa wieder anfängt, ge-gen ein an der Gebietsansprüche geltend zu ma-chen und notfalls militärisch durchzusetzen, dann ist es um den Frieden auf dem Kontinent gesche-hen. Es kommt nicht darauf an, dass alle Grenzen gerecht sind, sondern darauf, dass sie gelten.

2. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, einen eigenen Staat zu grün-den, warum dann nicht auf der Krim? Auch dies kann eine den Frieden gefährdende Forde-rung sein. Darum darf sich ein neuer Staat allen-falls nach einer Phase politischer Verhandlungen mit der Zentralregierung bilden oder wenn die Minderheitenrechte lange Zeit verweigert wur-den, nicht aber im Handstreich. Das dazu not-wendige Referendum kann keinesfalls unter dem Druck einer militärischen Ok ku pa tion stattfin-den. Abgesehen davon, würden es die Russen etwa den Tsche tsche nen niemals erlauben, dieses Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen.

3. Der Westen hat mit zig Millionen Euro die Re vo lu tion in der Ukraine angeheizt. Wie viel Geld aus dem Westen dorthin geflossen ist, wissen wir nicht genau. Jedoch dürfte es sich nur um einen Bruchteil dessen gehandelt haben, was die Oligarchen, der Janukowitsch-Clan und Pu-tin in die politischen Kämpfe investiert haben. Im Übri gen setzen nicht Abertausende Menschen ihr Leben aufs Spiel, weil sie bezahlt werden, son-dern weil sie eine andere Zukunft wollen.

4. Die Regierung in Kiew ist nicht recht-mäßig an die Macht gekommen und daher illegitim. Das ist eine komplizierte rechtliche Frage. Janukowitsch wurde vom Parlament abge-setzt, wenngleich nicht nach dem in der Verfas-sung dafür vorgesehenen Verfahren. Allerdings hat der damalige Präsident die Menschen durch seine Brutalität und Sturheit in die Re vo lu tion getrieben, die dann bekanntermaßen nie ganz gesetzeskonform verläuft. Russen wissen das.

5. Putin darf sich jetzt wehren, weil der Westen gegenüber Russland das Versprechen gebrochen hat, die Nato nicht nach Osten auszudehnen. Letzteres trifft auf die baltischen Staaten und Polen zu. Allerdings war die Angst der Bevölkerung vor einem aggressiven Russland in den früheren Satellitenstaaten des Sowjet-imperiums aus historischen Gründen so groß, dass ihnen der Schutz der Nato schwerlich zu

verweigern war. Außerdem hat die Nato, von An-gela Merkel erzwungen, die Ausdehnung auf dem Gebiet der ehemaligen Sow jet union 2008 nach dem Georgienkrieg gestoppt. Der Ukraine und Georgien steht prinzipiell die Tür offen, doch in Wahrheit will die Nato sie nicht als Mitglieder.

6. Die EU hat Putin durch das Assoziie-rungsabkommen mit der Ukraine provo-ziert. Diese Sichtweise setzt voraus, dass Russ-land legitime Einflusszonen hat, in die der Wes-ten nicht vordringen darf. Es handelt sich aber in Wirklichkeit nicht um Einflusszonen, sondern um Menschen. Und wenn die Mehrheit der Ukrainer oder einst der Weißrussen der Mei-nung sind, dass ihnen die Orientierung an der EU ökonomisch und gesellschaftlich mehr bringt, dann gibt es keinen legitimen Grund, ihnen das zu verwehren. Doch selbst wenn man der EU Fehler attestiert, so rechtfertigt das keine militärische In ter ven tion, denn Widersprüche zwischen Assoziierung hier und Zoll union dort ließen sich wegverhandeln.

7. Der Westen hat im Kosovo und im Irak auch das Völkerrecht gebrochen. Bezogen auf den Irak, stimmt das formal und in der Sache, denn die Chemiewaffen, mit denen die In ter-ven tion gerechtfertigt wurde, gab es nicht. Hier allerdings gilt der Grundsatz, dass ein Unrecht kein weiteres rechtfertigen kann. Gerhard Schrö-ders Vergleich mit dem Kosovo-Einsatz hingegen ist falsch. Damals hatte Milošević schon andere Länder überfallen, es gab Massenmorde, Ver-treibung von Hunderttausenden und einen lan-gen diplomatischen Vorlauf. Erst als sich nichts mehr bewegte, griff der Westen zum letzten Mittel. Auf der Krim gab es all das nicht, Militär war nicht das letzte, es war das erste Mittel.

8. Putin garantiert den Russen Stabilität und Ordnung. Gemessen an den Verhältnissen unter Boris Jelzin, trifft das zu. Darum können Putin die ersten Jahre seiner Amtszeit durchaus als historisches Verdienst angerechnet werden. Allerdings versäumt er es seit Langem, mit dem Gas-Geld das eigene Land zu modernisieren. Stattdessen nährt der Reichtum aus dem Boden die Kor rup tion und die Oligarchen. Putin ant-wortet auf den Unmut vieler Russen darüber mit verschärfter Re pres sion, mit Schwulenhass, Na-tionalismus und globaler Machtpolitik. Putin befindet sich in einem Teufelskreis aus Kor rup-tion, nationaler Unterentwicklung und interna-tionaler Selbstüberforderung. Dächte er wirklich an die Interessen der Russen, dann würde er die EU nicht eindämmen wollen, sondern versu-chen, sich ihr anzunähern.

9. Es lohnt nicht, wegen der Ukraine die Beziehungen zu Russland zu gefährden. Wenn es stimmt, dass Putin nach außen aggressi-ver wird, um von inneren Problemen abzulen-ken, dann hilft es allenfalls kurzzeitig, zurückzu-weichen und die Ukrainer im Stich zu lassen.

Putins AusredenNeun Rechtfertigungsversuche des russischen Staatschefs zum Einmarsch auf der Krim und deren Widerlegung VON BERND ULRICH

KONFLIKT UM DIE UKRAINE

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ULI HOENESS VOR GERICHT

Siehe auch den Prozessbericht auf Seite 24

DIE ZEITW O C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I R T S C H A F T W I S S E N U N D K U L T U R 13. MÄRZ 2014 No 12

Wie heißt der?Nicht genug damit, dass die Neu-seeländer unsere Gegenfüßler sind, sie haben auch Standesämter, die aparte Namen tolerieren, was dazu führte, dass ein Pokerspieler seinen Namen verwettete und dem Sieger das Recht gab, ihm einen neuen zu verpassen. Nun heißt er Full Metal Havok More Sexy N Intelligent Than Spock And All The Super-heroes Combined With Frostnova. Da heißt man dann doch lieber Jim Knopf. GRN.

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 124 POLITIK

Simferopol/Bachtschyssaraj

In welchem Jahrhundert wir uns befinden, wird schlagartig erst wieder klar, als der Kämpfer Bratislaw ein weißes Samsung-Tablet aus der Beintasche seiner Flecktarn-hose zieht, um Nachrichten zu googeln. Bis dahin erzählte er davon, wie Kosaken vom Don ihn und seine Tschetnik-Miliz

aus Serbien um Hilfe gerufen hätten, um hier, auf der Krim, das russische Brudervolk zu verteidigen. Vor drei Tagen seien sie zu fünft angereist.

Jetzt stehen der Kommandant und seine Tschet-niks an einem Straßenposten kurz vor der Hafen-stadt Sewastopol und flößen den Autofahrern, die in die Schikane aus gestapelten Reifen fahren, eine Heidenangst ein. Der 39-Jährige sieht aus wie der menschgewordene Schrecken des Krieges: lange Haare, dichter Bart, beides so pechschwarz wie sei-ne Pelzmütze, dazu ein Abzeichen mit goldenem Totenkopf auf dem Oberarm. Er genießt es, dass er einschüchternd wirkt, genau wie es den »Kosaken« ein paar Meter hinter ihm sichtlich guttut, breit-

beinig und mit schwingenden Schlagstöcken auf die Fensterscheiben der Fahrzeuge zuzugehen. Ihre letzte richtig große Zeit hatten die Steppenkrieger bei der Abwehr Napoleons vor Moskau.

Am Sonntag soll die De-facto-Annexion der Krim durch Russland per Referendum besiegelt werden. Plakatkleber pflastern die Werbeflächen der großen Städte noch eilig mit »Die Krim gehört zu Russland«-Postern. In wessen Auftrag sie arbei-ten, wollen die Männer nicht sagen. Wahlwerbung für die proukrainische Seite ist keine zu sehen. Wei-

te Teile der Bevölkerung halten das Referendum für eine Farce, weil die Bürger offenbar nur die Wahl haben sollen zwischen einem sofortigen Anschluss an Russland oder völliger Autonomie (was einen späteren Beitritt zur Russischen Fö de-ra tion möglich machen würde). Viele hier fühlen sich überrumpelt. Werden nächste Woche schon alle automatisch zu Russen? Welches Geld gilt dann? Und woher soll eigentlich künftig der Strom fließen, der bisher aus der Ukraine kam?

Vor dem Abstimmungssonntag, der in Wahr-heit wohl ein Abspaltungssonntag werden wird, zittern viele hier, und das auf beiden Seiten. Die vollkommen unterschiedlichen Weltsichten, die auf der Krim aufeinandertreffen, haben bisher koexistiert. Niemand war zu einem Bekenntnis gezwungen. Jetzt aber soll man seine Heimat wählen, Geschichte wird zur Gegenwart, Ge-spenster werden heraufbeschworen. »Zombies« nennt die eine Hälfte der Bevölkerung die ande-re; gemeint sind jene, die nur russisches Fern-sehen sehen und glauben, in Kiew hätten Nazis geputscht. »Faschisten« schimpft die andere Seite jene, die die Krim in der Ukraine lassen wollen.

So wächst von Tag zu Tag die Angst der Volksgruppen voreinander. Zu viele Leute glau-ben hier gerade, einen Krieg verhindern zu kön-nen, indem sie aufrüsten und abschrecken. Dabei wird er so nur wahrscheinlicher.

Die Krimtataren haben unter russischer Herrschaft viel zu verlieren

Nachrichten machen die Runde, von »Überfäl-len«, von »Attentaten«: In einem Dorf südlich von Sewastopol, heißt es, hätten Russen das Ho-tel einer krimtatarischen Familie angezündet. Und in Bachtschyssaraj, einer traditionellen Siedlungsstadt der Krimtataren, seien Häuser von Muslimen mit Kreidekreuzen gekennzeich-net worden. Genauso hatten es einst Stalins Truppen 1944 getan. Damals vertrieb der Sowjet herrscher das Turkvolk der Krimtataren aus seiner Heimat, mit völkermörderischer Bru-talität. Mittlerweile sind Hunderttausende von ihnen zurückgekehrt, haben sich Existenzen und Häuser aufgebaut. In ihren Vierteln stehen viele neue Moscheen, oft noch im Rohbau. Die Krim-tataren, heute kaum zwölf Prozent der Krim-bewohner, haben als traumatisierte Minderheit am meisten zu verlieren unter einer erneuten Herrschaft Moskaus. Sie bemühen sich deshalb um Nüchternheit und Deeskalation.

Das niedergebrannte Haus sei das Resultat eines Streites zwischen Geschäftsleuten, sagt ein Vertreter der Krimtataren im Büro der Volks-gemeinschaft in Simferopol. Man solle diese Meldungen bitte nicht ungeprüft verbreiten. Es stimme auch nicht, dass schon Tausende Krim-tata ren das Land verlassen hätten. Ali Khamzin fängt regelrecht an zu schreien, wenn man ihm dieses Gerücht auftischt. »Niemals wird das ge-schehen!«, donnert der Chef des außenpoliti-schen Komitees der Krimtataren und sticht mit dem Zeigefinger in die Luft. Eine halbe Stunde lang hat er völlig ruhig geredet. Jetzt, plötzlich, zeigt er, wie blank seine Nerven liegen. »Die sla-wischen Chauvinisten werden uns nicht wieder aus unseren Häusern vertreiben. Wer das ver-sucht, wird sehen, wie Krimtataren kämpfen können!« Und übrigens, da schon mal ein deut-scher Reporter vor ihm sitze: »Sagen Sie Frau Merkel, dass sie auch eine Verantwortung für uns hat. Die Wehrmacht hat hier 110 Dörfer und 115 Moscheen niedergebrannt.«

Aber ist es nicht wahrscheinlicher, dass den Krimtataren ganz andere Leute zu Hilfe kom-men? Hat sich nicht in Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan und Syrien gezeigt, was passieren kann, wenn Muslime attackiert werden? Ach was, sagt Khamzin, Dschihadisten hätten hier keine Chance. Dazu sei der eigene Widerstand der Krimtataren zu stark, zu gut organisiert. Zehntausende von ihnen hätten sich schon zu Bürgerwehren zusammengeschlossen. Gibt es wirklich keine religiösen Extremisten unter den

Krimtataren? Keine, die ihre eigenen Geister zu rufen bereit wären?

In Bachtschyssaraj – dem Ort, in dem angeb-lich krimtatarische Häuser gekennzeichnet wur-den – treffen wir in einem Teehaus einen Mann, dessen Organisation wegen ihrer Nähe zum Terrorismus fast überall auf der Welt verboten ist. Fazil Amzayew, 32, gehört zur fundamenta-listisch-islamischen Hizb ut-Tahrir, der Partei der Befreiung. Sie strebt ein weltweites Kalifat an, lehnt die Demokratie ab und kämpft in vie-len Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung für die Schaffung von Gottes-staaten. Hizb ut-Tahrir habe bereits Tausende Mitglieder in der Ukraine, behauptet Amzayew, der sich als Leiter des hiesigen Medienbüros vor-stellt und erst einmal ein Aufnahmegerät auf dem Tisch plaziert. Er ist ein gebildeter Mann, Lederjacke, gestutzter Bart, und spricht fließend Englisch. Er sei selbst Krimtatar, sagt er, 1989 seien seine Eltern aus dem Exil in Usbekistan hierher zurückgekehrt. In der Ukraine werde Hizb ut-Tahrir nicht verfolgt, stellt er klar. Die Gruppe strebe hier auch kein Kalifat an, schon gar nicht mit Gewalt.

Aber hat er nicht Angst, dass er gleich am Montag nach dem Referendum von den russi-schen Sicherheitsbehörden verhaftet wird?

»Die Russen werden uns nicht sofort verfol-gen«, sagt Amzayew. »Sie werden die Lage erst stabilisieren müssen. Danach schlagen sie los.«

Hält er es denn für ausgeschlossen, dass Dschihadisten aus der Krim ein zweites Tsche-tschenien machen könnten, um die Muslime von der russischen Herrschaft zu befreien?

»Die Gefahr besteht, ja. Wenn der Eindruck entsteht, dass hier Muslime unterdrückt werden, werden Kämpfer aus allen Ländern kommen. Selbst Putin wird dann nicht mehr kontrollieren können, was hier passiert.«

Ob Hizb ut-Tahrir diesen Kämpfern dann helfen werde, hänge davon ab, sagt Amzayew, ob die Verfolgung »systematisch« sei. »Wir sagen: Dschihad ist erlaubt, sobald es sich um eine Be-setzung handelt.« Der Mediensprecher versteht sein Handwerk. Er weiß, wo er ambivalent blei-ben muss, um nicht zu drohen, aber auch nicht wehrlos zu erscheinen.

Zwei junge Krimtataren, die in der Teestube vor ihren Laptops sitzen, stimmen dem Hizb-ut-Tahrir-Mann zu. Der politische Islam, der eine Alternative zwischen Kommunismus und Kapi-talismus biete, gewinne auf der Halb insel immer mehr Anhänger, gerade unter jungen Leuten. »Und Sie wissen ja, was Allah sagt: Die Muslime sind wie ein Organismus – wird ein Teil von ih-nen verletzt, geht es dem ganzen Körper schlecht.«

Die Ukraine könnte ein neues Jugoslawien werden, hofft der Serbe

Auch die Nachrichten, die Bratislaw, der Tschet-nik, am Checkpoint vor Sewastopol von seinem weißen Tablet-PC abliest, zeigen das Radikalisie-rungspotenzial der Krimkrise. Er hat eine Web-site für Söldner geöffnet. »Schauen Sie, ich habe Freunde, die in Sierra Leone kämpfen«, sagt Bratislaw kopfschüttelnd und tippt auf die Glas-oberfläche. »Die wollen sofort hierherkommen, weil sie glauben, sie könnten hier bald gegen Amerika kämpfen.« Die Ukraine könne das neue Jugoslawien werden, glaubt er: »Die Nato unter-stützt die Faschisten, die Amerika hasser unter-stützen Russland. Ganz toll!« Er kann sich ein Lachen nicht verkneifen, hinter seinem Bart wohnt ein ebenso schwarzer Humor.

Und was antwortet er seinen Söldnerfreunden in dem Netzwerk?

»Ich sage denen: Bleibt bloß weg!« Er und seine Serben seien hier, um den Frieden zu si-chern, um Waffen und Provokateure aufzuspü-ren. »Wir sind keine kriegslüsternen war dogs, wirklich nicht.« Es gehe bloß darum, die Krim in Ruhe nach Russland zurückkehren zu lassen. Denn dass sie dahin gehöre, daran könne es doch wohl ernsthaft keinen Zweifel geben.

KrimKein Anschluss: Die Tatarin Lenara Matyschlena protestiert in Simferopol dagegen, dass ihre Heimatinsel von der Ukraine zu Russland wechseln soll Heute die Krim,

Tataren, serbische Söldner und Islamisten fiebern der Abspaltung der Halbinsel entgegen, berichtet JOCHEN BITTNER ...

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12 POLITIK 5

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Donezk

Am Abend, nach all der Angst, sitzen sie an einem Tisch und reden: Katja, Diana, Serhij, Oleh, Aleksej und Iwan. Alle jung, zwischen 20 und 35, alle gut ausgebildet, alle in Donezk im Osten der Ukrai-

ne geboren. Es ist Sonntag, der 9. März, der 200. Geburtstag des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko. Katja, Diana und die an-deren hatten an diesem Tag eine Demonstration für die Einheit der Ukraine geplant. Was vor ei-nigen Wochen eine Selbstverständ lichkeit war, treibt sie nun auf die Straße.

Es sollte die dritte Demo in dieser Woche werden. Zu der ersten hatten Katja und Diana spontan über die russische Facebook-Seite »Kontakty« aufgerufen, das war am Dienstag. Es kamen rund 3000 Leute. Die zweite De-monstration war am nächsten Tag, diesmal ka-men noch mehr, fast 10 000. Sie gaben sich das Motto »Donezk ist Ukraine«. Jeder sollte ver-stehen: Hier geht es nicht um politische Ab-rechnung, nicht um den Maidan, sondern um die Zukunft des Ostens.

Seit russische Truppen die Krim besetzt ha-ben, sind auch die Städte in der östlichen Ukraine in Aufruhr. Von einem »russischen Frühling« ist jetzt die Rede, täglich wird irgend-wo ein Regierungsgebäude gestürmt und die Loslösung von der Ukraine gefordert. Russ-lands Einfluss ist hier allgegenwärtig. Allein an diesem Sonntag hindert der ukrainische Grenz-schutz mehr als 3500 Russen daran, zu Protes-ten in die Ukraine zu reisen.

Die drohende Spaltung des Landes schafft erstaunliche neue Allianzen

Auch der reichste Oligarch des Landes ist beun-ruhigt. Rinat Achmetow gehören zahlreiche Fabriken im Osten der Ukraine. Er besitzt den lokalen Fußballklub Schachtar Donezk. Ach-metov war ein treuer Unterstützer des alten Regimes. Jetzt kalkuliert er neu: Sollte sich das Land spalten, wäre das schlecht fürs Geschäft.

Während Diana, Katja und die anderen sich für die Demonstration am Nachmittag vor-bereiten, landet Vitali Klitschkos Privatjet in Donezk. Klitschko muss versuchen gutzuma-chen, was sie auf dem Maidan versäumt haben: um die Menschen hier werben, ihnen die Angst nehmen vor dem, was kommt. Klitschko und Achmetow treffen sich an diesem Tag zu einem langen Gespräch. Weil es denkbar geworden ist, dass nicht nur die Krim, sondern auch der gesamte Osten der Ukraine an Russland verlo-ren gehen könnte, bilden sich neue Allianzen – auch zwischen dem Janukowitsch-Freund Achmetov und dessen Gegner Klitschko.

Katja, Diana und ihre Freunde hingegen versuchen, zu allen Distanz zu wahren: zu den Politikern, zu den Oligarchen, zu den Aktivis-ten. Als sie hören, dass Klitschko auf der De-monstration sprechen will, wird Diana wütend: »Was will er da? Das ist keine Plattform für Wahlkampf!« Und Aleksej fügt an: »Wir wollen zeigen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, aber ohne politisches Kalkül.« Doch an diesem Sonntag holt die Politik sie ein.

Donezk liegt etwa 600 Kilometer östlich von Kiew, eine Industriestadt mit knapp einer Million Einwohner. Die Sezessionsbewegung, die auf der Krim ihren Anfang nahm, greift nun auch bedrohlich auf Donezk über.

Vor etwa zehn Tagen besetzten prorussische Demonstranten hier die Regionalverwaltung, und ein Nationalist namens Pawel Gubarew, Anfang 30, rief sich zum neuen Gouverneur aus. Gubarew war früher Boxer, hat dann Ge-schichte studiert. Er hängt der Idee von einem panslawischen Großreich an, der Anschluss an Russland passt gut in diese Ideologie.

Doch was auf der Krim funktioniert hatte, scheiterte vorerst in Donezk: Hier sind die Poli-

zisten den Machthabern in Kiew gegenüber zwar kri-tisch eingestellt, aber noch immer halten sie loyal zum ukrainischen Staat. Sie räumten das besetzte Verwal-tungsgebäude, mehr als 60 Menschen wurden ver-haftet, Gubarew wurde festgenommen.

Sein Assistent, Andrej Lunew, ist ein kleiner, schmächtiger Mann Ende 30, der die Ideen seines Chefs vertritt, solange der noch in Untersuchungshaft sitzt. Man werfe ihm Separatismus vor, sagt Lunew empört. »Aber Pawel war nicht für die Abspaltung«, sagt er. »Er wollte nur ein Referendum. Er wollte wissen, was das Volk denkt.« Andrej allerdings glaubt bereits zu wissen, was das Volk will: zu Russland ge-hören. Denn: »Die jetzige sogenannte Regierung ignoriert die Interessen der russischen und russisch-sprachigen Menschen. Und wir können das nicht be-einflussen. Also gehen wir auf die Straße.«

Vor dem zentralen Lenin-Denkmal versammeln sich am Sonntagmittag 10- bis 15 000 Demonstran-ten. Die proukrainische Demonstration soll wenige Stunden später nicht weit entfernt stattfinden. Nun aber weht bereits die rote Flagge der Sowjetunion, und die Masse skandiert: »Rossija, Rossija!«

Als ein Redner die Masse fragt, ob sie zu Russland gehören will, recken sich Tausende Arme in die Luft. Viele hier sind Arbeiter. Sie fürchten, in der neuen Ukraine zu den Verlierern zu werden. Die Moderni-sierung des Landes, die die Europäer und der Interna-

DonezkSchutzheiliger Lenin: Prorussische

Demonstranten fürchten in der neuen Ukraine als Verlierer zu

enden – und sehnen sich nach dem Schutz Moskaus

tionale Währungsfonds fordern, würde viele hier den Arbeitsplatz kosten.

Aufgepeitscht ziehen die Demonstranten den Boulevard entlang zur Regionalverwal-tung, deren Eingang mit Nato-Draht gesichert ist und von Hunderten Polizisten bewacht wird. Einige wütende Männer holen die ukrai-nische Fahne vom Mast und hissen die russi-sche. Die Polizei schreitet jetzt nicht ein. Dann ziehen sie weiter, zu dem Platz vor der Kirche, dorthin, wo Diana, Katja und die anderen ihre Demonstration vorbereiten. Doch angesichts der prorussischen Menge brechen sie lieber ab. Einer aus der Gruppe schnappt sich ein Mega-fon und bittet die Demonstranten, nach Hause zu gehen. »Unsere Idee ist nicht das Leben an-derer wert«, wird Diana später sagen.

Sie wollen nicht Partei ergreifen, doch der Hass trifft sie trotzdem

Einige Hundert bleiben dennoch: Familien, Rentner, Studenten. Sie stehen nun mit dem Rücken zum Zaun vor der prächtigen Preobra-schenski-Kathedrale, ihnen gegenüber ein Mob wütender prorussischer Männer. Nicht einmal die Kirche ist in diesem Moment Zu-flucht für sie. Hastig schließt der russisch- orthodoxe Priester die Pforten: »Ich bin für eure Seelen da, nicht für die Politik.« Ein Last-wagen der Veranstalter fährt an der Kirche vorbei, auf der Plane steht in Gelb-Blau »Eine Ukraine«. Junge Männer rennen brüllend hin-ter dem Lkw her und wollen ihn stoppen, aber der Wagen entkommt. Die Stimmung kippt. Als ein Mann es wagt, eine kleine ukrainische Flagge hochzuhalten, fliegen Flaschen, Eier und Knallkörper.

Wladimir Putin sagt, er müsse Russen in der Ukraine vor Bedrohungen schützen. Doch seit die Krim sich abspalten will, brauchen im Os-ten des Landes mittlerweile eher die anderen den Schutz – Leute wie Diana und Katja. Sie müssen jetzt auf jedes Wort achten, auf jede Geste. Sie wollen nicht spalterisch wirken: Sympathien für den Maidan würden sie nicht zeigen, selbst wenn sie welche hätten. Mit Kie-wer Politikern wie Klitschko möchten sie sich lieber nicht ablichten lassen. Sie signalisieren Äquidistanz zu Russland und zur EU. Sie ste-cken im Dazwischen fest.

»Beide Seiten sprechen über dasselbe, nur in unterschiedlichen Sprachen«, sagt Aleksej. Sie wollen doch alle dasselbe: ein besseres Leben, höhere Gehälter, bessere Renten.

»Wir brauchen einen Dialog. Einen Run-den Tisch«, sagt Oleh, und es klingt hilflos.

»Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine zusam-menzuhalten«, sagt Diana.

Sie suchen nach Sätzen, die den immer wei-ter klaffenden Riss zwischen Kiew und Do-nezk, dem Maidan und dem Osten des Landes irgendwie kitten können. Sie sprechen mit pro-russischen Demonstranten und mit proukrai-nischen, aber der Hass trifft sie trotzdem.

Es ist spät geworden, als Dianas Telefon klingelt. Sie bekommt eine Warnung. Das Vi-deo, auf dem Diana und ihre Freunde gemein-sam zur Demonstration aufrufen, sei auf der radikalen prorussischen Website »Anti-Mai-dan« gepostet worden. Sie seien dort »zum Ab-schuss« freigegeben, ihre Fotos, ihre vollen Namen veröffentlicht worden. Für einen kur-zen Moment kommt Panik auf. Stehen da etwa auch die Adressen? »Wie sollen wir nun nach Hause kommen? Ich habe Angst heimzufah-ren«, sagt Diana aufgebracht. »Wir müssen die Polizei rufen.« Oleh lächelt müde.

An diesem Abend lassen sich Diana und Katja von Bekannten nach Hause begleiten. Es ist dunkel, als sie das alte Treppenhaus betreten und zu ihrer Wohnung hinaufsteigen. Eine hat Pfefferspray dabei, die andere drückt einen Baseballschläger an ihren Körper.

www.zeit.de/audio

... während in der Ostukraine die Angst steigt, dass nun das gesamte Land zerrissen wird, wie ALICE BOTA beobachtet

morgen der Rest?

Auf der Krim haben russische Einheiten Grenz-übergänge errichtet und ukrainische Stütz-punkte besetzt. Prorussische Milizen führen in und um Sewastopol Straßenkontrollen durch, in Bachtschyssaraj sollen Häuser der muslimi-schen Krimtataren markiert worden sein.

Im Osten der Ukraine haben prorussische Gruppen Regierungsgebäude gestürmt, so in Donezk, Charkiw und Luhansk. An der Grenze zu Russland hinderten ukrainische Grenzschützer Tausende Russen daran, für Proteste einzureisen.

Marineinfanterie,HafenMarine-

Hauptquartier Marine-stützpunkt

Luftwa�en-Stützpunkt

Luftwa�en-Stützpunkt

M-17 M-18

Ukrainischer Stützpunkt, belagert oder blockiert

Neuer Grenz-übergang

Russische Basisaus der Zeit vor der Krise

SimferopolSimferopol

Luftwa�en-stützpunkt

RUSSLAND

AsowschesMeer

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50 km

OdessaOdessaUKRAINEDnipro

SewastopolSewastopol

GwardeyskojeGwardeyskoje

Marinestützpunkt derSchwarzmeerflotte

ZEIT-GRAFIK/Quelle: The New York Times BachtschyssarajBachtschyssaraj

Beginnt so die Spaltung?

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 126 POLITIK

Wo hört die Medizin auf, weil die Diplomatie beginnt? Wenn ein Kli­nikchef die wichtigste Poli tikerin eines taumeln­den Staates während ih­res Hun gerstreiks unter­

stützt? Wenn er Medien erklären muss, warum diese Politikerin nach Berlin kommt, statt auf ein Kran­kenhaus ihres Heimatlandes zu vertrauen?

Samstagnachmittag vergangener Woche in Ber­lin, Kamerateams von Sendern aus der ganzen Welt stehen in einem hohen Gründerzeitsaal des Uni­versitätskrankenhauses Charité. Klinikchef Karl Max Einhäupl, dunkler Anzug, weißes Haar, sitzt mit einem Ärzteteam an einem langen Tisch und erklärt, wie es seiner Patientin Julia Timoschenko geht. Die frühere Regierungschefin der Ukraine, die ihr Nachfolger Viktor Janukowitsch einsperren ließ und die nun, nach ihrer Freilassung, als Kan­didatin für die Präsidentschaftswahlen gilt, ist am Vorabend eingetroffen. Sie will sich in Berlin we­gen eines Bandscheibenvorfalls behandeln lassen. Einhäupl betreut sie seit zweieinhalb Jahren, er ist mit Kollegen mehrfach in die Ukraine gereist und hat mit den Behörden verhandelt, als seine Patien­tin in den Hungerstreik getreten war. Nun braucht sie ihn wieder. Timoschenkos Schmerzen sind so stark, dass sie nicht ohne Hilfe gehen kann.

Einhäupl ist Professor für Neurologie und Vor­standsvorsitzender des Berliner Klinikums Cha­rité. An Tagen wie diesen ist er außerdem noch Diplomat, es geht nicht anders. Wann Timo­schenko Interviews gegeben kann, wer vorgelas­sen wird, wer wann in der Bundesregierung von ihrer Anreise erfährt und vor allem wie schnell Timoschenko wieder Politik in ihrem Heimat­land machen kann – bei all diesen Fragen redet der Professor mit. Wie auch bei anderen Politi­kern, von deren Behandlung die Öffentlichkeit nie offiziell erfährt. Davon gibt es viele. Der frü­here irakische Präsident Dschalal Talabani wurde in der Charité behandelt, Mitglieder arabischer Königshäuser, viele einflussreiche Russen. Weil diese Behandlungen auch das Bild Deutschlands prägen und daraus oft geschäftliche und politi­sche Bindungen entstehen, ist Einhäupl Gesund­heits­Außenpolitiker.

Der internationale Markt für Gesundheits­leistungen wächst. Während sich in Ländern wie Russland und China früher nur Eliten die Behand­lung in Deutschland leisten konnten, sind jetzt immer mehr Angehörige der Mittelschicht mobil. Preiswer te Flüge, ausführliche Informationen im Internet sowie nach Deutschland ausgewanderte Verwandte machen es leichter, hier die optimale Behandlung zu finden. Allein in Berlin hat sich ein halbes Dutzend Agenturen darauf spezialisiert, ausländische Patienten zu vermitteln. Einhäupl wünscht sich deshalb eine offizielle Gesundheits­Außenpolitik der Regierung. Im Auswärtigen Amt gibt es ein Fachreferat für Energiefragen, aber nicht für Gesundheit.

Immerhin hören auf Einhäupl fast alle Mächti­gen der deutschen Politik – schließlich wurden viele von ihnen an der Charité behandelt. Die Kanzlerin ließ kürzlich ihre Hüfte hier reparieren, Außenminister Frank­Walter Steinmeier wandte sich an die Charité, um seiner Frau eine Niere zu spenden. Ärzte und Pflegepersonal sind geübt da­

DIE ZEIT: Am kommenden Sonntag will die Krim­Bevölkerung in einem Referen­dum über den Anschluss an Russland ab­

stimmen. Könnte das zum Krieg führen?James L. Jones: Nein, ich glaube nicht. Ohne Zweifel ist dies einer der ernsthaftesten Konflikte mit Russland seit dem Ende des Kalten Krieges, aber solange er auf die Krim beschränkt bleibt, sehe ich keine Kriegsgefahr.

ZEIT: Geben Sie die Krim bereits verloren?Jones: Nein, absolut nicht. Die Krim ist integraler Bestandteil der Ukraine, und die Ukraine ist ein unabhängiger, souveräner Staat. Präsident Putin bricht internationales Recht. Sollte Russland tat­

sächlich die Halbinsel annektieren, darf dies nicht ohne ernsthafte internationale Konsequenzen blei­ben. Aber wir müssen auch beachten, dass über die Hälfte der Krim­Bewohner Russen sind. ZEIT: In Ihrer Zeit als Nationaler Sicherheitsbera­ter dachte sich Präsident Obama die sogenannte Reset­Politik aus, die auf einen Neuanfang in den sehr gespannten Beziehungen zu Moskau setzte. Ist diese Politik nicht komplett gescheitert?Jones: Nein, die Jahre 2009 und 2010 waren recht fruchtbar. Wir haben einen Vertrag ausgehandelt, der die Atomwaffenarsenale von Russen wie Ame­rikanern entscheidend reduziert. Die Regierung in Moskau gestattete uns, über ihr Staatsgebiet Nach­schub für unsere Truppen in Afghanistan zu trans­portieren, und wir haben unsere Zusammenarbeit bei der Terroristenbekämpfung intensiviert.ZEIT: Dennoch, muss diese Russland­Politik nicht im Lichte der Ukraine­Krise als gescheitert gelten?Jones: Verantwortlich für den großen Unter­schied zwischen damals und heute ist ein einziger Mann: Präsident Putin. Sein Vorgänger Dmitri Medwedew war bereit, nach dem russischen Ein­marsch in Georgien im Sommer 2008 die gespann ten Beziehungen zu Amerika zu verbes­sern. Doch Wladimir Putin hat eine völlig ande­re Sicht der Welt und der Geschichte seit 1945. In meiner Zeit als Nato­Oberbefehlshaber in Europa und als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Obama habe ich Putin sagen hö­ren, dass der Untergang der Sowjetunion die größte globale Katastrophe der letzten 100 Jahre gewesen sei. Für Putin ist es inakzeptabel, dass ehemalige Sowjetrepubliken und Staaten des Warschauer Paktes der EU, aber vor allem der Nato beigetreten sind. Das sei, so sagte er, die schlimmste Erniedrigung für sein Land, sein Volk – und für ihn selbst. Er würde diese Ernied­rigung weder vergessen noch verzeihen. ZEIT: Wenn man Putins Psyche so gut kannte, hätte der Westen nicht besser auf den Ukraine­Konflikt vorbereitet sein müssen?

Jones: Niemand hat gedacht, dass Putin so weit gehen würde. Denn die Ukraine ist nicht Georgien, sie grenzt an Mitgliedsstaaten von EU und Nato.ZEIT: Ist die Option einer Nato­Mitgliedschaft der Ukraine ein für allemal passé?Jones: Jetzt ist wohl nicht der beste Augenblick, um der Ukraine eine Nato­Mitgliedschaft an­zubieten. Aber die Möglichkeit sollte für die Zu­kunft nicht ausgeschlossen werden.ZEIT: Für Amerika ist die Ukraine doch weit weg. Liegt ihr Schicksal überhaupt im nationalen Si­cherheitsinteresse Amerikas?Jones: Ja, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie für unsere europäischen Freunde. In meiner Zeit als Nato­Oberbefehlshaber in Europa haben wir uns sehr für die Ukraine eingesetzt, haben ei­nen offiziellen Nato­Ukraine­Rat eingerichtet.ZEIT: Wären Sie immer noch Nationaler Sicher­heitsberater, was würden Sie Obama empfehlen?Jones: Dass wir sehr dringend eine langfristige Energiestrategie brauchen. Denn Europas Ab­hängigkeit vom russischen Gas und Öl könnte auf Dauer enorme geopolitische Konsequenzen haben. Wir erleben doch immer wieder, wie Pu­tin Russlands Energie als strategische Waffe ein­setzt. Doch dank Amerikas eigener gewaltiger Öl­ und Gasvorkommen haben sich die Zeiten geändert: Im nächsten Jahr werden die USA Russland als weltgrößten Energieproduzenten überholen und schon bald auch Saudi­Arabien als größten Ölproduzenten. Wir haben das Po­tenzial, zum größten Exporteur aller Arten von Energie zu werden. Das verändert den Weltener­giemarkt, und wir können entscheidend dazu beitragen, dass unsere europäischen Freunde und Verbündeten weniger von russischer Ener­gie abhängen und weniger verwundbar sind für Putins Erpressungen.ZEIT: Das ist sehr weit in die Zukunft gedacht.Jones: Ja, aber der zunehmende Export amerika­nischer Kohle nach Europa und insbesondere nach Deutschland beeinflusst schon jetzt die russischen

Energieexporte. Ich hoffe, meine ehemaligen Kol­legen im Weißen Haus begreifen die geopolitische Bedeutung dieses Augenblicks. Leider haben wir in den Vereinigten Staaten noch keine globale Energiestrategie. Unsere Energiepolitik ist zwi­schen 15 verschiedenen Behörden aufgeteilt, das muss sich schnell ändern. Und darum muss auch die umstrittene Keystone­Pipeline gebaut werden, die Rohöl aus Kanada zu unseren Raffinerien und Häfen am Golf von Mexiko transportieren würde.ZEIT: Was aber sollten Obama und die europäi­schen Verbündeten kurzfristig tun?Jones: Sanktionen erlassen, die auch das Banken­wesen betreffen. Und die Nato weiter stärken. 2002 haben alle Nato­Mitglieder versprochen, die Verteidigungsausgaben schrittweise auf jeweils zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandspro­dukts anzuheben. ZEIT: Ist das in Zeiten klammer Kassen nicht ein vergeblicher Wunsch?Jones: Auch das muss sich ändern. Im Augenblick wird durchschnittlich nur rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär aufgebracht – mit weiter sinkender Tendenz. Die Nato kann es sich nicht leisten, wie etwa im Libyen­Krieg, schon nach anderthalb Tagen keine Munition mehr zu haben. Das Bündnis sollte mit gemeinsamen Ma­növern auch ihren Mitgliedern entlang der russi­schen Grenze den Rücken stärken. Aber ich sage noch einmal: Energie und wie wir diese in Zukunft nutzen ist genauso wichtig wie Kriegsschiffe, Divi­sionen oder Jagdbomber. ZEIT: In Amerika wird einigen Europäern und vor allem den Deutschen vorgeworfen, bei Sanktionen zu zögerlich und Russland gegenüber zu nachsich­tig zu sein.Jones: Bislang halte ich die Reaktionen sowohl in Washington als auch in Europa für angemessen. Wir sollten zweierlei vermeiden: Taten, die ledig­lich ein gutes Gefühl verursachen. Und Worte, die alles nur schlimmer machen.ZEIT: Was heißt das?

Jones: Die Wahl unserer Worte sollte wohlüber­legt sein. Die extreme politische Zerstrittenheit in Washington und der Druck der Medien zwin­gen die Regierung oftmals zu vorschnellen Absichts erklärungen. Manchmal aber ist es bes­ser, dem Rat des früheren US­Präsidenten Teddy Roosevelt zu folgen: Sprich sanft, und trage einen großen Knüppel!ZEIT: Im syrischen Chemiewaffenstreit ließ Obama aus Angst einer Abstimmungsniederlage im Kongress den Knüppel im Sack. Hat diese Zö­gerlichkeit Putin nicht geradezu ermutigt?Jones: Wie ich sagte, Worte zählen. Wer propa­giert, im Zentrum der amerikanischen Politik ste­he künftig Asien, erntet unterschiedliche Reaktio­nen. Die Chinesen befürchten, Amerika wolle sie eindämmen. Unsere Freunde im Mittleren Osten schlussfolgern, das historische Paradigma »Öl ge­gen Sicherheit« sei wertlos geworden. Es war mit Sicherheit nicht beabsichtigt, andere mit solchen Äußerungen vor den Kopf zu stoßen. Aber oft treffen wir eine kolossal unglückliche Wortwahl und versuchen dann, das Gesagte mit erheblichem Zeitaufwand zu korrigieren. ZEIT: Sind die Hände des Westens im Ukraine­Konflikt nicht schon deswegen gebunden, weil man Putin unbedingt zur Bewältigung der Krisen in Syrien und im Iran braucht?Jones: Noch hat die Diplomatie in der Ukraine eine Chance. Doch wir sollten Putin aufzeigen, welche Konsequenzen seine Weigerung hätte. Die Umsteuerung der globalen Energiepolitik ge­hört dazu. Das wird ihn nicht freuen. Aber wir sollten keine Scheu haben, offen darüber zu reden.Die Fragen stellte MARTIN KLINGST

Klinikchef Einhäupl (l.), Patientin Julia Timoschenko:

Medizin trifft Politik

Die politische KlinikDie Berliner Charité ist zum Krankenhaus der Mächtigen

geworden – die Ärzte sind zunehmend auch als Diplomaten gefragt VON ELISABETH NIEJAHR

»Sprich sanft, und trage einen Knüppel«James L. Jones, Obamas ehemaliger Sicherheitsberater, über das Verhältnis der USA zu Russland und die Psyche Wladimir Putins

General James L. Jones war Nato­Oberbefehlshaber in Europa (2003–2006) und Nationaler Sicherheitsberater des US­Präsidenten (2009–2010)

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rin, Politiker über Hintereingänge und Kellertüren in die Behandlungsräume zu begleiten.

In der Charité gibt es zwar, anders als in einigen Privatkrankenhäusern, wenig Luxus für deutsche Politiker oder ausländische Staatsgäste – dafür aber Erfahrung mit Sicherheitsproblemen und viel Platz für Bodyguards. Wer als Prominenter ein­checkt, wird unter einem Pseudonym geführt. So will die Klinikleitung erschweren, dass heikle Krankendaten an die Öffentlichkeit gelangen. In der Regel funktioniert das System. Die meisten Ausländer, auch die Vermögenden, wollten aus­drücklich in derselben Klinik behandelt werden wie die deutschen Patienten auch, erklärt Helmar Wauer, einer der Geschäftsführer der Charité Health Care Services, die für ausländische Patien­ten zuständig ist. Man erwarte hier die beste Ver­sorgung, eher als in Kliniken, die auf wohlhabende Patienten aus dem Ausland spezialisiert sind.

Die Charité wirbt mittlerweile auf ihrer Home­page in vier verschiedenen Sprachen für ihre Be­handlungen. Besonders viele Patienten kommen aus russischsprachigen und arabischen Ländern. Alle werden grundsätzlich nur gegen Vorkasse be­handelt. Das schließt nicht aus, dass ein Patient mit einer scheinbar leichten Krankheit eingeliefert wird, die sich dann als Tumor erweist – und in solchen Fällen die Behandlung doch noch teurer wird. Aber insgesamt übersteigen die Einnahmen die Kosten des internationalen Geschäfts.

Wer in diesen Tagen durch die Flure der Cha­rité­Unfallklinken im Berliner Wedding geht, trifft dort heute schon mehr Araber als auf der Straße des Stadtteils, der bekannt ist für seinen hohen Ausländeranteil. Vor allem aus Libyen kommen viele Patienten, die Bundesregierung hat sich in internationalen Abkommen zu medizini­scher Hilfe verpflichtet, die Kosten werden groß­teils von ihr getragen. Schuss­ und Stechwunden, vor allem aber Verletzungen durch Autounfälle müsse sie behandeln, berichtet die Oberärztin Almut Tempka. Manchmal verständigt sie sich mit ihren Patienten, indem diese einen befreun­deten Dolmetscher anrufen, das Handy wird dann zwischen Ärztin und Patient hin­ und her­gereicht. Für schwierige Gespräche ziehen die Ärzte Übersetzer hinzu, früher waren sogar einige davon in der Charité fest angestellt. Aber dann stellte sich heraus, dass viele Patienten sich gerade bei heiklen Diagnosen lieber von Vertrauten hel­fen lassen wollen.

Auch aus der Ukraine werden außer Timo­schenko noch weitere Patienten anreisen. Nein, dafür bezahle nicht der deutsche Steuerzahler, er­klärt Einhäupl auf seiner Pressekonferenz. Und auch Julia Timoschenko zahle ihre Rechnung selbst. Erst nach dem offiziellen Gespräch zeigt er, dass die Grenze zwischen Politik und Medizin selbst für einen wie ihn nicht immer leicht zu finden ist. Würde er auch Viktor Janukowitsch behandeln? »Selbstverständlich, wir entscheiden nach medizi­nischen Kriterien, nach den Heilungschancen«, sagt er. Und würde er selbst Baschar al­Assad hel­fen, der Giftgas gegen sein eigenes Volk einsetzen ließ? »Theoretisch auch das, sonst wäre ich ein schlechter Arzt«, sagt Einhäupl, der Diplomat. »Aber ich bin nicht unglücklich darüber, dass sich diese Frage momentan nicht stellt.«

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12 POLITIK 7

Die Waffen liegen bereitVenezuela sollte ein linker Modellstaat werden. Jetzt steht das Land am Rande eines Bürgerkrieges VON THOMAS FISCHERMANN

Caracas

Man muss sich Sorgen ma-chen um ein Land, wenn einer seiner Kabinetts-minister droht, er werde notfalls »bewaffnet auf die Straße gehen«. Fidel Barbarito, Minister für

Kulturfragen in Venezuela und Spross einer der einflussreichsten Familien des Landes, hat gera-de genau das gesagt, und jetzt sitzt er da, lächelt breit und fügt erläuternd hinzu: »Ich wäre nicht der Einzige.«

Das Gespräch findet in einem Gebäude mit Blick auf die Hügelkette im Westen von Caracas statt. Ein riesiger Slum überzieht die Anhöhen, bunt gestrichene Shanty-Häuschen mit ein paar Hochhäusern dazwischen, hier wohnen an die 100 000 Menschen. Das Barrio 23 de Enero gilt, wie viele Armenviertel der Stadt, als eine Macht-basis der Chavisten: So heißen die Anhänger des charismatischen Comandante Hugo Chávez, der Venezuela von 1999 bis zu seinem Tod vor einem Jahr regierte. Heute halten die Chavisten zu sei-nem Nachfolger, dem etwas hölzernen Schnauz-bartträger Nicolás Maduro.

Außerhalb der Armutsviertel allerdings steht das Land am Rande eines Bürgerkriegs. Fast täg-lich werden aus Caracas oder den Provinzstädten Protestzüge gemeldet, zu denen inzwischen Zehntausende erscheinen. Die Proteste richten sich gegen die verheerende Versorgungslage im Land (manchmal fehlen sogar Mehl, Milch oder Toilettenpapier in den Geschäften), die zusam-mengebrochene Gesundheitsversorgung oder die hohe Straßenkriminalität – und statt sich die Beschwerden anzuhören, schickt das Regime Polizisten, Paramilitärs und Soldaten. Bilanz zum Wochenbeginn: Insgesamt 22 Tote auf bei-den Seiten. Paramilitärs hatten auf Menschen-mengen geschossen, Sol-daten wiederum wurden aus Wohnhäusern unter Feuer genommen, De-monstranten von Autos überrollt, Motorrad fahrende Paramilitärs mit aufgespannten Stahlseilen enthauptet.

Das Venezuela des Hugo Chávez sollte einmal zum Vorreiter eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts werden. Gefeiert in linken Sa-lons Europas, bildete es die Speerspitze eines gegen die USA gerichteten Wirtschaftsblocks. Es subventionierte linke Regimes in Kuba, Ecuador, Bolivien und Nicaragua mit billigem Öl. Doch wenn Chávez’ Nachfolger Maduro von seinem Volk entmachtet würde – oder er nur als Diktator überleben könnte, jedes inter-nationalen Ansehens verlustig –, wäre dies das Ende eines Traums.

Chávez liegt inmitten des 23 de Enero begra-ben. Ein wuchtiger Marmor-Sarkophag steht oben am Berg in einem Militärmuseum. Chávez-Fans reisen mit Bussen aus vielen Landesteilen an und harren in einer kilometerlangen Schlange aus, die sich durch die Gassen des Slums windet, aus übergroßen Lautsprecherboxen mit Parteilie-dern beschallt (»Sie wollen Bildung und Gesund-heit, dumdidum, Chávez und Maduro, zwei Pfundskerle als Präsidenten«).

»Hugo Chávez gab den armen Venezolanern ihren Stolz zurück«, hatte der kampfbereite Kul-turminister im Gespräch gesagt, und man kann hier draußen erahnen, was er meint: Es sind die Armen, die stundenlang in der Sonne stehen und darauf warten, den Marmor anzufassen und ei-nen Gruß an den Helden auf ein Stück Papier zu schreiben. Unter Chávez sank die Arbeitslosig-keit von 14,5 Prozent auf unter acht, die Armuts-rate fiel von 50 Prozent auf rund 31,9. Höhere Schulbildung erreicht statt der ursprünglichen 44,8 nun 73,3 Prozent der Bevölkerung.

Das Problem war nur, dass Chávez das haupt-sächlich durch Aufblähung staatlich finanzierter Schulungs-, Wohnungsbau- und Sozialprogram-me erreichte. So gedieh eine gigantische Pöst-chenwirtschaft und Bürokratie, die den verblie-benen privatwirtschaftlichen Teil der Wirtschaft

so gut wie abwürgte, aber Chávez war das weit-gehend egal. Die Öleinnahmen hatten in Vene-zuela immer schon wirtschaftspolitische Sünden ausgeglichen. »Ein Präsident sollte nicht auf Ökonomen hören«, hat Chávez einmal gesagt.

Er hatte begriffen, dass er es nicht nur mit wirtschaftlich Ausgeschlossenen zu tun hatte, sondern mit verletzten Seelen einer Gesellschaft, die generationenlang eine der ungerechtesten der Welt war. In seinen Ansprachen rief der Revolu-tionsführer immer wieder Mühselige und Bela-dene auf die Bühnen, hörte ihnen minutenlang zu und umarmte sie; er gab den Armen das Ge-fühl, er ganz persönlich sei für sie da.

Nur eines gehörte nie zum Plan des Hugo Chávez: auch für die anderen, die bürgerlichen Schichten des Landes zu regieren. Chavisten ver-stehen sich als »demokratische Revolutionäre«, die für die Mehrheit Politik machen. Doch wenn es hart auf hart kommt, sind sie mehr Revolutio-näre als Demokraten.

Für Leute wie David Smolanski fühlen sie sich nicht zuständig. Der Bürgermeister des wohlhabenden Stadtbezirks El Hatillo wird heu-te Nachtwache halten. Er hat auf seinen Schreib-tisch fünf Telefone gelegt, und jetzt sitzt er im Lampenlicht und hofft auf das Beste. »In einigen Nachbarstadtteilen haben in der vergangenen Nacht die colectivos gewütet«, sagt Smolanski. Er spricht von den motorisieren Einheiten, die in Slums wie dem 23 de Enero zu Hause sind: bewaffnete Banden, die sich der Sache der Re-volution verbunden fühlen, die vielfach sogar Waffenausbildung und Geld vom Staat erhal-ten, sich aber nicht unbedingt an jede Anwei-

sung eines Präsidenten Maduro hal-ten. Die colectivos fahren neuer-

dings auf Motorrädern durch wohlhabende Bezirke der

Stadt und terrorisieren die Bevölkerung.

Bürgermeister Smo-lanski fühlt sich allein gelassen von der Regie-rung – will aber nicht behaupten, dass die Re-

gierung die colectivos in die Oppositionshochbur-

gen schickt. Er vermutet es nur, wie die meisten Opposi-

tionellen in diesen Tagen. Er weiß, dass viele Einwohner seines

Viertels ihre Straßen mit Barrikaden aus Müll, Holz, Einrichtungsgegenständen und Sand-säcken abgeriegelt haben, um Männer auf Mo-torrädern fernzuhalten, und eigentlich müsste er gegen solche Störungen der öffentlichen Ver-kehrssicherheit sein, als Bürgermeister, »aber man muss auch Verständnis dafür haben, dass die Leute sich verteidigen wollen«, sagt er.

Smolanski ist 28 Jahre alt, kommt aus der konservativen Studentenbewegung des Landes und ist eine der prominentesten Figuren der Op-position. Eine Sternstunde hatte er kürzlich, als Präsident Maduro die neuen Bürgermeister be-grüßte, die Sache wurde im Fernsehen übertra-gen, und Smolanski hielt ihm einen kleinen Vor-trag über Toleranz und Demokratie. Maduro wurde ärgerlich. »Er hat mir gesagt, ich soll mich lieber um die Müllabfuhr kümmern«, sagt der Politiker und lacht.

Das Problem von Oppositionspolitikern wie Smolanski: Sie können die Chavistas nicht öf-fentlich kritisieren, ohne von staatlichen Medien, Regierungsvertretern oder Maduro selbst als Na-zis, Zionisten, sexuell Verirrte, US-Agenten oder Parasiten beschimpft zu werden. Und regelmäßig signalisieren die Chavisten, die seit Jahren die Grenzen zwischen Präsident, Partei, Staat und Nation vermischen, den Oppositionspartien: Ihr könnt das Land gar nicht übernehmen. Die Ar-mee wurde mit ideologisch zuverlässigen Füh-rungskräften durchsetzt, die sich von bürgerli-chen Machthabern womöglich nicht viel sagen lassen würden. »Und wenn eine andere Regie-rung an die Macht käme, würde der Wegfall der chavistischen Sozialprogramme von der armen Bevölkerung als Kampfansage empfunden wer-den«, sagt George Ciccariello Maher, ein führen-der amerikanischer Chávez-Spezialist, der lange in Venezuela gelebt und gelehrt hat. Oben in den

Bergen, so geht das Gerücht in Caracas, warteten inzwischen an die 50 000 bewaffnete Mitglieder der colectivos auf ihren Einsatz, falls die Demonstratio-nen ihrer Sache wirklich gefährlich werden sollten. In den Blättern der militanten linken Szene liest man Aufrufe zu einem »notwendigen Krieg, einem Krieg ohne Hass«. Freilich: Bisher ist das wirklich nur eine Bedrohung. Bisher ist es im Land, für ve-nezolanische Verhältnisse, sogar äußerst ruhig: 1989 etwa, zehn Jahre vor Chávez, wurde ein Protest ge-gen eine Erhöhung der Nahverkehrspreise derma-ßen brutal niedergeschlagen, dass am Ende 600 Menschen begraben werden mussten.

Marco Antonio Pence, Direktor eines Gewalt-forschungsinstituts, sagt: »Es ist ein offenes Ge-heimnis, dass viele Menschen in Caracas Waffen

haben – auf beiden Seiten. Irgendwann könnte hier offener bewaffneter Kampf zwischen den Gruppen ausbrechen.« Ob das so kommt, weiß in Caracas niemand recht zu sagen; auch die Chavisten vertun sich mittlerweile, wenn sie die Stimmung einschät-zen wollen. »Maduro hat gedacht, wenn er den Leuten im Karneval vier Tage frei gibt, wird nur noch gefeiert. Aber von wegen!« – das sagt Vanessa Eiser. Die Studentin sitzt auf dem Altamiraplatz, dem Zentrum der Proteste in Caracas.

Man sieht der stillen Frau mit der pinkfarbenen Brille und dem dazu passenden Halstuch (»kann man mit Essig tränken, gegen Tränengas«) nicht an, dass sie an Straßenschlachten teilgenommen hat. Sie stammt aus bürgerlichem Haus und sagt: »Ich habe es satt, beschimpft zu werden, nur weil ich

eine andere Meinung habe.« Aber sie habe von Chá-vez auch etwas gelernt. »In Venezuela gibt es nicht nur Altamira und Valencia, die Viertel der Wohl-habenden«, sagt die 22-Jährige. Jetzt allerdings stie-ßen Bürger aus allen Schichten zur Protestbewe-gung. »Die Leute verstehen einfach nicht, warum wir so viel Erdöl haben und es dann an Kuba und Ecuador verschenken, und im Supermarkt gibt es nur eine Marke Joghurt und kein Mehl.«

An einem Ende des Platzes betet eine Gruppe von Müttern einen Rosenkranz, ein Priester geht durch die Reihen und segnet die Demonstranten. In der Ferne Explosionen. Die kommen näher, Ge-schrei ist zu hören, plötzlich springen alle auf und rennen, so schnell sie können, in die Seitenstraßen, denn wieder rückt eine Polizeitruppe an.

In den Armenvierteln von Caracas ist Chávez immer

noch ein Volksheld

ZEIT-GRAFIK

VENEZUELA

CARACAS

1000 km

BRASILIEN

KOLUMBIEN

AtlantischerOzean

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 128 POLITIK

Der Alptraum im Lager 14Hunger, Folter, Zwangsarbeit, Hinrichtungen: In Nordkoreas Gulag sind mindestens 500 000 Menschen gestorben. MATTHIAS NASS hat in Südkorea drei Überlebende getroffen

Es ist der 28. Oktober 1970, als die Staatssicherheit Kim Hye-sooks Vater, die Mutter und die beiden Schwestern abholt. Hinter ihnen schließen sich noch am selben Tag die Tore des Lagers Nr. 18 in Puk-chang. Wieder ist eine Familie im

nordkoreanischen Gulag verschwunden.Kim Hye-sook ist damals acht Jahre alt, wird

von ihrer Großmutter betreut und lebt bei ihr. Dort taucht, fünf Jahre später, eine Tante auf. Ihr Auftrag: Sie soll Hye-sook ins Lager bringen. Es liegt in den Bergen, gut 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Pjöngjang. Umgeben ist das Lager Nr. 18 von einem vier Meter hohen Hochspan-nungszaun. Tief in der Nacht trifft die 13-Jährige dort ein. Die Mutter holt sie am Lagereingang ab, alt geworden, mit grauem Gesicht und zerfetzten Schuhen. Hye-sook erkennt sie kaum wieder.

Zwölf Kilometer müssen die beiden in dieser Nacht bis zu der Hütte marschieren, in der die Familie lebt – ohne den Vater, der inzwischen an

eine andere Stelle des Lagers verlegt wurde. Zwei Kinder sind im Gulag geboren worden, die Familie teilt sich einen einzigen Raum. Bald kommt die Großmutter hinzu, nun hausen sie zu siebt.

Im Dach klaffen Löcher. Wenn es regnet, steht der Raum unter Wasser. Im Winter gefriert alles zu Eis. Einmal am Tag bereitet die Mutter für die Fa-milie einen Brei aus Mais und etwas Salz; ein Abendessen gibt es nicht.

Am Tag nach ihrer Ankunft geht Kim Hye-sook in die Schule. Es ist Februar, tiefer Winter in Nordkorea, aber keines der Kinder trägt Schuhe. Ihre Füße haben sie mit Lappen und Plastikfetzen umwickelt. Weil der Hunger die Kinder schläfrig macht, nicken sie im Unterricht bisweilen ein. Dann gibt es Schläge.

Heute ist Kim Hye-sook 52 Jahre alt und lebt in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Ihr kleines Ein-Zimmer-Apartment ist vollgestopft mit Nippes. Bis auf einen Schrank hat der Raum keine Möbel. Wir setzen uns auf den geheizten Linoleum boden. Hier erzählt Kim ihre Geschichte.

Als sie mit 13 Jahren von der Tante abgeholt wird, weiß sie nichts von den Lagern. So wie die meisten Nordkoreaner nur Gerüchte kennen. Aber das weni-ge, was sie hören, lässt sie in Furcht erstarren bei der Vorstellung, es könne ihnen ebenso ergehen wie den Unglücklichen, die das Regime verschwinden lässt.

Sie sammelt, was irgendwie essbar ist. Ein Festessen, wenn es Mäusesuppe gibt

Berichte über den Gulag tut das Regime als imperia-listische Gräuelpropaganda ab. Doch Hunderte von Flüchtlingen haben inzwischen Zeugnis abgelegt. Satellitenaufnahmen bestätigen ihre Schilderungen. Am 17. März wird eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen dem UN-Menschenrechtsrat in Genf einen Bericht vorlegen. Er beweist: Das Regime in Pjöngjang verübt in großem Umfang Ver-brechen gegen die Menschheit. Dazu gehören Ver-sklavung, Folter, Mord und Tod durch Verhungern.

Kim Il Sung, der Staatsgründer und »Große Füh-rer« Nordkoreas, richtete die ersten Lager Ende der

1950er Jahre ein. Die Gesellschaft, ordnete er an, müsse von »Revisionisten und Klassenfeinden« ge-säubert werden. Sein Sohn, der »Geliebte Führer« Kim Jong Il, baute das Lagersystem weiter aus. Unter Kim Jong Un, dem dritten Herrscher der Kim-Dynastie, besteht es bis zum heutigen Tage fort.

Kim Hye-sook ist 16 Jahre alt, als sie die Lager-schule verlässt. Von nun an arbeitet sie in einer Kohlen grube, bis zu 16 Stunden am Tag. Sie schaufelt die Kohle in Loren, die andere Gefangene dann ans Tageslicht schieben. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr wird sie in der Grube schuften. Der Kohlestaub setzt sich in ihrer Lunge fest. Sie ist immer hungrig, sammelt, was irgendwie essbar ist, Gräser, Kräuter, Baumrinde. Ein Festessen, wenn es Mäusesuppe gibt.

Mehr als hundert Mal wird Kim Hye-sook Zeugin von Hinrichtungen. Die Gefangenen müssen sich in Reihen vor dem Galgen oder dem Erschießungspfahl hinsetzen. Mit dem Tod wird bestraft, wer einen Fluchtversuch wagt, wer ein paar Reiskörner für sich oder die eigene Familie in die Tasche steckt.

Kim glaubt, ihr ganzes Leben im Lager verbringen zu müssen. Die Mutter, die Großmutter und ein Bruder sind dort inzwischen gestorben. Doch im Jahr 2002 wird sie entlassen, im Alter von 40 Jahren.

Warum war sie überhaupt ins Lager gekommen? Damals dachte sie: Ich habe wohl die falschen Eltern. Das stimmte sogar, denn in Nordkorea herrscht Sip-penhaft. »Politische Verbrechen« werden bis ins drit-te Glied bestraft. Eines dieser Verbrechen ist Republik-flucht – Kims Großvater war während des Koreakrie-ges (1950 bis 1953) nach Südkorea geflohen.

Für Kim beginnt nun eine sieben Jahre währende Odyssee, unterbrochen von weiteren Ver-haftungen; über China, Laos und Thai-land schafft sie es nach Südkorea.

Kim Hye-sook, eine kleine, stämmige Frau mit kurz ge-schnittenem schwarzen Haar, ist eine begabte Zeichnerin. Ihre Erinnerungen an das Lager hat sie in Dutzenden großformatigen Bildern festgehalten: die Arbeit in der Kohlengrube, die Fol-terungen, die Exekutionen, das Schälen der Baumrinde. Den Tod der Mutter.

Aus dem Gedächtnis hat sie auch das Lager 18 nachgezeich-net. Fünf Meter breit, zeigt die Zeichnung die Häuser der Gefangenen, die Schule, das Gefängnis, die Straßen und die Berghänge, den Fluss Taedong, an dem das Lager liegt. Damals lebten 23 000 Menschen in dem Lager, das sich über 40 Kilometer durch ein Tal erstreckt.

Satellitenaufnahmen internationaler Menschen-rechtsgruppen bestätigen, wie präzise Frau Kims Zeichnung das Lager wiedergibt.

Jenseits des Flusses Taedong, vom Lager 18 aus zu sehen, liegt das noch viel schrecklichere Lager Nr. 14, das wohl schlimmste in Nordkorea. Nur einem ein-zigen Menschen ist, soweit bekannt, bisher die Flucht aus Lager 14 gelungen. Der amerikanische Journalist Blaine Harden hat die Geschichte Shin Dong-hyuks in einem erschütternden Buch beschrieben (Blaine Harden: Flucht aus Lager 14, DVA 2012).

In den fünf nordkoreanischen Lagern siechen heute noch 120 000 Gefangene

Im Lager geboren, verriet Shin mit 14 Jahren die eigene Mutter, als diese versuchte, gemeinsam mit dem älteren Bruder zu fliehen. Shin musste später zusehen, wie Mutter und Bruder hingerichtet wur-den: »Als seine Mutter von zwei Wärtern zum Gal-gen gezerrt wurde, sah Shin, dass das Gesicht seiner Mutter verquollen aussah. Sie zwangen sie, sich auf eine Kiste unter dem Galgen zu stellen, knebelten sie, banden ihre Arme hinter ihren Rücken und zogen eine Schlinge um ihren Hals zusammen. Sie legten ihr keine Augenbinde an. Sie suchte die Menge ab und fand Shin. Er wich ihrem Blick aus.Nachdem die Wärter die Kiste unter ihren Füßen weggezogen hatten, begann der Körper verzweifelt zu zucken. Als Shin seine Mutter so im Todes-kampf sah, dachte er, sie habe den Tod verdient.«

Shin überlebte das Lager nur, weil er rücksichtslos auf den eigenen Vorteil sah. Weil er stahl, log und denunzierte. Dass dies Unrecht war, musste er nach

dem Lager erst lernen. Gut und Böse, Richtig und Falsch – das gab es für ihn nicht.

Nach Angaben des Korea Institute for National Unification (KINU), eines von der Regierung in Seoul finanzierten Forschungsinstituts, besteht der nord-koreanische Gulag aus fünf Straf- und Arbeitslagern mit insgesamt etwa 120 000 Gefangenen. Die Lager sind als Ansammlungen von Dörfern angelegt, bis-weilen haben sie die Ausdehnung eines kleinen deut-schen Landkreises. Sie sind fern der Städte angesiedelt, in unzugänglichen, gebirgigen Regionen meist im Nordosten des Landes.

Es gibt zwei Kategorien: total control zones und revolutionizing zones. Gefangene in den revolutionizing zones haben nach erfolgter Gehirnwäsche eine Chan-ce auf Rückkehr in die Gesellschaft. Häftlinge in den total control zones werden die Welt draußen nie wieder-sehen; sie sind zum Tod im Lager verdammt, sterben an Krankheit, Unterernährung, Zwangsarbeit, Folter.

Weil den Gulag bisher noch kein Ausländer be-treten durfte – kein Vertreter einer Menschenrechts-organisation, kein UN-Repräsentant, kein Diplomat, kein Journalist –, sind die Aussagen der Flüchtlinge die einzige Informationsquelle über die Zustände dort. Etwa 26 000 von ihnen leben heute in Südkorea. Konnten in früheren Jahren nur ein paar Dutzend, allenfalls wenige Hundert Menschen der Diktatur im Norden entkommen, so stieg die Zahl jener, die den Süden erreichten, in den Jahren 2008 und 2009 auf bis zu 3000 an. Seit Kim Jong Un Ende 2011 die Macht übernahm, hat sich diese Zahl auf etwa 1500 wieder halbiert. Die Grenzkontrollen sind strenger geworden, und China schickt Flüchtlinge, die es auf

seinem Boden aufgreift, nach Nordkorea zurück, wissend, dass ihnen dort

Lager, Folter, manchmal die Hinrichtung drohen.

Nach dem nordkorea-nischen Strafgesetz wer-den »Verbrechen gegen den Staat und gegen die Nation« mit Lagerhaft bestraft. Es trifft Dro-genhändler und Re-gimekritiker, Leute mit Kontakten nach Südko-

rea, Christen sowie An-hänger anderer »subversi-

ver« Religionen.Wie viele Menschen sind

in den Lagern seit Ende der 1950er Jahren gestorben? Niemand

kenne die Zahl, heißt es bei KINU. »Min-destens 500 000«, schätzt Kang Chul-wan, der heute als Kolumnist für die südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo über Nordkorea schreibt.

Kang kam im August 1977 ins Lager. Er war da-mals ein Schulkind. »Zuvor lebten wir im Stadtzen-trum von Pjöngjang, gehörten zu den oberen Zehn-tausend«, erinnert er sich. Obwohl der Großvater – von der Kolonialmacht einst nach Japan deportiert und nach Kriegsende zurückgekehrt – dem Staat ein beträchtliches Vermögen vermacht hatte, blieb er dem Regime suspekt. Die Großeltern wurden in zwei ver-schiedene Lager gesteckt. Kang kam mit Großmutter, Vater und Schwester in das Lager Nr. 15 in Yodok. Der Mutter blieb das Lager erspart, sie stammte aus einer »guten«, revolutionären Familie. Der neun-jährige Kang musste auf dem Feld arbeiten, bis zu zwölf Stunden am Tag. »Die Wärter haben uns wie Feinde behandelt, jeden Tag wurde ich geschlagen.«

Begriff er damals, was ihm da widerfuhr? »Zuerst hatte ich keine Ahnung, warum ich eingesperrt war.« Man sagte ihm, alle Lagerinsassen seien schuldig und verdienten es, getötet zu werden. »Aber die Partei gibt dir noch eine Chance«, hieß es. »Wenn du hart ar-beitest, lassen wir dich frei.«

Zwei- bis dreimal im Monat fanden im Lager öf-fentliche Hinrichtungen statt. Neben dem Hinrich-tungsort stand das Lagergefängnis, in dem gefoltert wurde. Vor dem Gefängnis lagen oft Leichen.

»Ich kann die Erinnerungen nicht loswerden«, sagt Kang, »sie sind immer noch da.« Neun Jahre lang war er im Lager. Als er entlassen wurde, war er 18.

In seinem Büro steht in einem Glasschrank ein großes Farbfoto, das ihn mit dem ehemaligen US-Prä-sidenten George W. Bush zeigt. Bush hatte das Buch Die Aquarien von Pjöngjang gelesen, in dem Kang seine Leidensgeschichte aufgeschrieben hat, und den Autor im Juni 2005 ins Weiße Haus eingeladen. Über

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ZEIT-GRAFIK

150 km

NORDKOREA

SÜDKOREA

JAPAN

CHINAHwasong

YodokKaechon

Chongjin

Hweryong

Pjöngjang

Seoul

Pukchang

Orte, in denensich Lager befinden

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12

dem Foto hat Kang eine Gips-Nachbildung der Göttin der Demokratie angebracht, die Pekinger Kunststudenten im Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufgestellt hatten.

Nach der Entlassung aus dem Lager durfte die Fami-lie nicht zurück nach Pjöngjang, sie zog in ein Dorf in der Nähe von Yodok. Mit anderen jungen Leuten hörte Kang dort südkoreanische Radiosender, »K-Pop«. Die Staats-sicherheit bekam Wind davon. Wieder wurde es gefähr-lich für ihn. Mit einem Freund wollte er nach China fliehen. Den Grenzsoldaten gaben sie Zigaretten und Schnaps, liefen eines Nachts über den zugefrorenen Grenzfluss. Seit 1992 lebt er in Südkorea.

»Wir sind Zeugen eines großen Unrechts«, sagt der Vorsitzende der UN-Untersuchungskommission, Mi chael Kirby, ein ehemaliger Richter am obersten australischen Gericht. Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs das gan-ze Ausmaß der NS-Verbrechen deutlich geworden war, habe mancher sein Gewissen mit der Behauptung beru-higt, nicht genug gewusst zu haben. Diese Ausrede könne mit Blick auf Nordkorea niemand geltend machen. »Wir können nicht sagen, wir wussten es nicht. Wir wissen es!« Wer jetzt nicht handele, habe dafür keine Entschuldigung.

Nach Ausreden hat in der Vergangenheit allerdings mancher gesucht, auch im Süden der geteilten Koreani-schen Halbinsel. Bis Ende der 1980er Jahre herrschte in Seoul das Militär. Es prangerte die Repression im Norden zwar lautstark an. Aber als Verteidiger der Menschen-rechte war es nicht sehr glaubwürdig, unterdrückte es doch im eigenen Land die Opposition brutal.

Die Bürgerrechtler wiederum, die für Freiheit und Demokratie in Südkorea kämpften, blieben merkwürdig stumm, wenn es um die Unterdrückung im Norden ging. So wie der Dissident und spätere Präsident Kim Dae Jung, den das Militär jahrelang verfolgte und ins Exil trieb. Für Kim habe der Friede auf der Halbinsel immer oberste Priorität gehabt, sagt Moon Chung-in, Politikwissen-schaftler an der Yonsei-Universität in Seoul und ehemals enger Mitstreiter Kim Dae Jungs. Dem Frieden habe er den Kampf um die Menschenrechte untergeordnet.

Kommt uns das bekannt vor? Sicherheit gegen Frei-heit: Die falsche Alternative, mit der auch Entspannungs-politiker in Europa manches Schweigen rechtfertigten,

quälte den Vater der koreanischen »Sonnenscheinpolitik«. Aber er entschied sich, der Sicherheit Vorrang zu geben. Kim, sagt Moon Chung-in, habe Menschenrechts-initiativen regelrecht abgeblockt. »Das war ein Fehler.«

Manchem Liberalen und Linken im Süden hat die Hinrichtung Jang Song-taeks im Dezember 2013 die Augen geöffnet. Jang war die Nummer zwei im Norden. Der Onkel von Jungdiktator Kim Jong Un galt als dessen engster Berater, als dieser nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il mit knapp 30 Jahren die Regierung in Pjöngjang übernahm. Bis Jang vor laufenden Fernsehkameras aus einer Sitzung des Politbüros abgeführt wurde. Der Vor-wurf: Umsturzversuch. »Menschlicher Abschaum« war Jang in der Propaganda des Regimes nun, »minderwerti-ger als ein Hund«.

Jang war Kim Jong Un zu mächtig geworden. Die Gnadenlosigkeit, mit der er ihn fallen und mitsamt etli-chen Familienangehörigen vor die Erschießungskom-mandos stellen ließ, hat viele im Süden schockiert, die auf Entspannung gehofft hatten. Der Machtkampf warf ein grelles Licht auf die nordkoreanische Wirklichkeit. Im Dunkeln konnte sie all die Jahre nur deshalb bleiben, weil die meisten Opfer für die Weltöffentlichkeit kein Gesicht und keinen Namen hatten.

Aber es gibt jene, die dem Gulag entkommen sind. Man muss nur mit ihnen sprechen.

Mit der heute 78 Jahre alten Kim Youn-soon zum Beispiel. Sie war einmal eine Tänzerin, klassisches Ballett und koreanischer Tanz. Damals in Pjöngjang.

Kim Youn-soon ist eine lebhafte ältere Dame. Sie trägt violette Brillengläser, die kurzen Haare hält sie mit far-bigen Spangen zusammen. Sie erzählt rasch, wartet die Übersetzung kaum ab, will weiter berichten.

Sie hat einst gut gelebt in Nordkorea, ihre Familie gehörte zur Elite des Landes. Ihr ältester Bruder war im Koreakrieg ein hoher Offizier der nordkoreanischen Ar-mee, er stand an der Spitze der Truppen, die Seoul ein-nahmen. Sie habe, erzählt sie, eine Freundin gehabt, Song Hye-rim, die sie seit der Oberschule kannte. Song wurde Schauspielerin – und sie hatte eine Affäre mit Kim Jong Il, dem späteren Staatschef.

Kim Youn-soon wusste von der Affäre, die das Regime um jeden Preis geheim halten wollte. Zweimal befragte

die Staatssicherheit sie wegen des Verhältnisses. »Mein Wissen war gefährlich«, sagt Kim Youn-soon.

Wie gefährlich, das zeigte sich, als sie am 1. Oktober 1970 in das Lager Yodok eingeliefert wurde, zusammen mit ihren Eltern, beide über 70 Jahre alt, und mit ihren vier Kindern im Alter von 14 Monaten, vier, sieben und neun Jahren.

Ihr Mann war schon im Juli 1970 in ein Lager ver-schleppt worden. Den Grund dafür kennt sie bis heute nicht, sie hat ihren Mann nie wieder gesehen, weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Kim war damals 34 Jahre alt. Als sie neun Jahre später wieder freikommt, sind ihre beiden Eltern und der jüngs-te Sohn verhungert.

Kim Young-soon laufen Tränen über die Wangen, als sie davon erzählt.

Nordkorea ist kein Kuriosum. Es ist ein totalitärer Staat, der sich schuldig macht

Auch sie hungerte die ganze Zeit über. »Wir fingen alles, was fliegt oder läuft. Vögel, Mäuse, selbst Ameisen.« Ihre Kleidung konnten sie nicht wechseln. Hosen und Jacken wurden über offenem Feuer ausgeschüttelt, um die Läuse zu töten. Kim ahmt die Bewegung nach. »Tack, tack, tack, tack«, macht sie, als knackten die Läuse in den Flammen.

Nach ihrer Freilassung behält die Staatssicherheit Kim Young-soon im Auge. Immer wieder wird sie ge-warnt, niemandem von der Liaison ihrer Freundin mit Kim Jong Il zu erzählen.

Im Jahr 2003 flieht sie nach China: »Ich wollte so nicht weiterleben.« Sie besticht die Soldaten an der Grenze, sagt ihnen, sie wolle Verwandte in China be-suchen. Sie kehrt nie wieder zurück.

Fünf Monate lang ist sie auf der Flucht, durch China, Vietnam, Kambodscha und Thailand. Einer ihrer Söhne, der mit ihr geflohen ist, wird von den Chinesen gefasst und nach Nordkorea zurückge-schickt. Wochenlang verhört ihn die Staatssicherheit: Wo ist deine Mutter? Erneut gelingt ihm die Flucht, in Vietnam treffen die beiden wieder zusammen, er-reichen gemeinsam Südkorea. Die Folter hat ihn so

geschwächt, dass er heute, 49 Jahre alt, nicht richtig arbeiten kann.

Wieder weint Kim Young-soon. »Ich habe doch nichts Falsches getan! Sie war nur meine Freundin.«

Nordkorea, das sich seit Jahrzehnten von der Welt abriegelt, wird als das Land mit der Atombombe ge-fürchtet. Es wird als Anachronismus mit einem irren Despoten an der Spitze verlacht. Aber Nordkorea ist kein Kuriosum. Es ist ein totalitärer Staat, der sich fortwährend schlimmster Verbrechen schuldig macht.

Park Kwang Ho, Direktor im Wiedervereinigungs-ministerium in Seoul, kennt Nordkorea gut, er hat es viele Male besucht. Auch er sagt, die Regierung in Seoul sei immer »relativ vorsichtig« gewesen, wenn es darum gegangen sei, das Thema Menschenrechte in Pjöngjang anzusprechen. Man sei inzwischen über-zeugt, dass dies der falsche Weg gewesen sei. »Ich glaube, der einzig mögliche Weg für uns ist, die Welt von der traurigen und grausamen Geschichte der Lager wissen zu lassen. Diese Lager müssen vom Erd-ball verschwinden.«

Das wird so bald nicht geschehen. Und doch; wenn die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen ihren Bericht dem UN-Menschenrechts-rat überstellt, dann werden die dort vertretenen Staaten Stellung nehmen müssen: also auch China, das bis heute seine Hand über die Machthaber in Pjöngjang hält.

An den Tatsachen, die der Bericht zusammenträgt, ist kaum zu rütteln. Auch nicht an der Schlussfolge-rung des Kommissionsvorsitzenden Michael Kirby: Nordkorea sei ein totalitäres System, alle Befehls-stränge liefen beim »Obersten Führer«, bei Kim Jong Un, zusammen.

Deshalb hat die Kommission Kim Jong Un einen Brief geschrieben. Darin kündigt sie an, sie werde dem UN-Sicherheitsrat vorschlagen, vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag jene zur Rechenschaft zu zie-hen, die für die Verbrechen gegen die Menschheit in Nordkorea verantwortlich seien – »möglicherweise einschließlich Ihrer selbst«.

Als Teenager wurde Kim Hye-sook in ein Lager

gebracht, 27 Jahre lang saß sie

dort ein. Ihre Erinnerungen hat

sie aufgemalt (siehe oben).

Die Bilder sind rare Zeugnisse des Grauens im Gulag

POLITIK 9

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Der Wachmann ruft: »He, ihr Ferkel, lauft schneller!« Öffentliche Erschießung

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24FUSSBALL

der nun vorliegenden Unterlagen. Hat Hoeneß überhaupt noch so viel? Ihm droht Gefängnis. Verliert auch er jetzt den Halt?

München in dieser Woche: Mehr Aufsehen war lange nicht. Übertragungswagen mit klobi­gen Satellitenschüsseln haben den Justizpalast am Stachus umzingelt. Im »Strafverfahren gegen Ulrich H.« muss sich der Aufsichtsratsvorsitzen­de der FC Bayern AG wegen Steuerhinterzie­hung verantworten. Eine Zeitung hat geschrie­ben, dies sei »das schwierigste Auswärtsspiel« seines Lebens. Auch wenn diese Metapher nahe­liegt, sie ist völlig daneben, sie wird dem Drama, das sich im Sitzungssaal 134 abspielt, nicht annä­hernd gerecht.

Gut möglich, dass dies sein letzter großer Auftritt ist, sein letzter Auftritt in Freiheit für längere Zeit. Als der Angeklagte den Sitzungssaal am Montagmorgen durch eine Seitentür betritt, umspielt dennoch ein maliziöses Lächeln seinen Mund. Für einen Augenblick sieht es so aus, als könnte Hoeneß auch als Retter in eigener Sache infrage kommen. Dann gibt er diese Erklärung ab, mit der er »ohne Wenn und Aber reinen Tisch« machen will. Nicht 3,5 Mil­lionen Steuern habe er hinterzogen, sondern 18,5 Millionen! »Mehr als 50 000 Transaktionen insgesamt«, liest er von einem Blatt Papier ab, das er zwischen seinen Fäusten hält. »Ich war verrückt, ich habe die Ner­ven verloren.« Dann nimmt der An­geklagte seine Brille ab, seine Hände sinken wie ermattet auf die Kante des Tisches.

Der Prozess ist keine zwei Stun­den alt, als Hoeneß mit dieser Neuigkeit herauskommt. Damit sind die tagelangen Gedanken­spiele obsolet, ob eine Steuerschuld von 3,5 Millionen noch eine Fluchttür in eine Bewäh­rungsstrafe offen lässt. Jetzt sind es plötzlich 18,5 Millionen Euro! Ist das jetzt wirklich die Summe, um die es geht? Sie wird sich am fol­genden Tag als grobe Hochrechnung zu eige­nen Gunsten erweisen.

Es ist der große Augenblick der Steuerfahnder aus Miesbach, Rosenheim und München, die jetzt als Zeugen auftreten. Den Computer und die Handys, beschlagnahmt bei der Durch­suchung des Hauses Hoeneß in Bad Wiessee, haben sie bereits ausgewertet und umgehend wieder an die Familie zurückgegeben.

Andere Beweismittel haben weit weniger um­gehend ihr Ziel gefunden. Zum Beispiel all die Akten aus der Schweiz. Sie sollen Aufschluss ge­ben über das von Hoeneß lange verschwiegene Konto bei der eidgenössischen Vontobel Bank. Was überhaupt hat es auf sich mit all diesen ver­wirrenden Angaben über überhöhte Verlust­abschreibungen, über lange und kurze Strate­gien? Manche dieser Datenträger sind codiert. Wenn sie der bayerische Rechner nicht öffnen könne, dann »droht eine Auswertung von Hand«, wie eine Fahnderin erläutert. Für sie be­deutete das: »Kein Feiern an Fasching!« Recht ärgerlich ruft die Beamtin diesen Satz in ihr Mi­krofon. »Ich hab mir damit bei meinen Leuten keine Freunde gemacht.«

Man fragt sich: Blickt der Angeklagte durch? Wie kontrollierte er all die vielen Tausend Ge­schäfte in seinem Auftrag? Man muss es so sagen, bei der Beantwortung solcher Fragen hat Uli

Hoeneß seine schlechtesten Momente während dieses Verfahrens. »Eine genaue Übersicht hatte ich nie«, räumt er ein, »es herrschte ein großes Durcheinander!«

Bei einer Gelegenheit »wurden 18 Millionen Miese realisiert«, entfährt es dem Richter, »hat Vontobel das alleine entschieden?«. Zum ersten Mal ist der Saal 134 in diesen Prozesstagen ein Ort vollständiger Ruhe. »Ich war zocker­verrückt!«, sagt Hoeneß dann, er sei gefangen ge­wesen »in einer Spirale der Unglückseligkeit«.

Der Vorsitzende Richter des Hoeneß­Verfah­rens heißt Rupert Heindl, er ist 47 Jahr alt. Und wird am besten beschrieben mit jenen Eigen­schaften, die er nicht hat. Zum Beispiel ist er nicht höflich, er ist nicht geduldig. Wäre Rupert Heindl ein Kaufmann und angewiesen auf Kun­den, dann stünde er allein in seinem Laden. Aber er sitzt ja der Wirtschaftskammer des Land­gerichts München II vor, in diesem Amt sind andere Tugenden gefragt.

Der Mann kennt die Akten, durch die er sich, wie es auf den Fluren heißt, fast manisch penibel hindurchfrisst. Wehe, einer der Prozessbeteilig­

ten vertut sich auch nur um einen Tag im Datum – dann ist aber was los. Wenn ein Handy piept, droht Heindl an, beim nächsten Mal die Wachtmeister zu rufen.

Als Hoeneß zu Anfang des Pro­zesses, bei den Fragen zur Person, beiläufig sein gerade geborenes Enkelkind Leopold erwähnt, hält sich der Richter emotional zurück. Ein knappes »Gratuliere!«. Als der Angeklagte – beim Thema Krank­heiten – anhaltende Schmerzen an der Wirbelsäule als Folge seines Flugzeugabsturzes erwähnt, fragt

Heindl immerhin kurz nach: »Aber oberhalb des Rückens ist nichts geblieben?« – »Nein!« – »Gut!«

Prominentenbonus? Derlei Befürchtungen entbehren jeder Grundlage, denn der Richter hat bereits signalisiert, dass er mit dem Auftritt des Angeklagten nicht zufrieden ist. »Das kann man glauben, muss man aber nicht«, sagt er gern. Diesen Satz müsse man zu deuten wissen, sagen Gerichtsreporter, die Heindl lange kennen. Er bedeute nämlich, dass der Richter allmählich die Geduld verliert.

Nach der Mittagspause am Dienstag macht dann die neueste Zahl die Runde. Danach geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Hoeness 27,2 Millionen Steuern schuldig geblieben sei. Wäre der Angeklagte ein Politiker, müsste man jetzt schreiben, dass es sehr einsam geworden sei um diesen Mann.

Uli Hoeneß scheint jetzt wie verstummt. Sei­ne Frau sitzt in der ersten Reihe, er blickt nicht zu ihr hin, sondern schaut einfach aus dem Fens­ter. Am Abend spielt der FC Bayern gegen Arse­nal London, Champions League. Neuerdings gewinnen sie ihre Spiele auch ohne ihn.

Draußen, am Vereinsheim an der Säbener Straße, gibt es einen neuen Mann im Vorstand. Er soll sich um neue Märkte kümmern, um Asien und Amerika. Das können sie auch ohne ihn. Wird Hoeneß noch gebraucht?

Eigentlich nicht. Das mag für Hoeneß tröst­lich sein. Vielleicht aber auch zum Weinen. Wie Gerd Müller damals könnte jetzt Hoeneß selber einen Helfer vom Schlage Hoeneß gebrauchen.

Spirale der UnglückseligkeitDer Patriarch des FC Bayern steht vor Gericht. Über 27 Millionen Euro soll Uli Hoeneß hinterzogen haben VON HANNS-BRUNO KAMMERTÖNS

Bei ihm war es keine Steuerge­schichte, die ihn in die Zeitungen brachte. Nach der Karriere als Fußballprofi hatte Gerd Müller einfach das Glück verlassen. Der »Bomber der Nation« verlor sei­nen Halt, er verarmte und verfiel

dem Alkohol. Der Bayern­Patriarch Uli Hoeneß bekam das Unheil mit und überredete seinen früheren Mitspieler zu einer Entziehungskur. Das war 1991. Gerd Müller kam danach mit

dem Leben wieder zurecht. Er hatte nun einen Job, er durfte im Vereinsheim des FC Bayern an der Säbener Straße in München nach dem Rechten se­hen. Besucher erinnern sich, wie ihnen Gerd Müller

die Tür aufhielt. Ja, Müller, der Weltmeister von 1974 – er war es wirklich. Wie früher trug er wieder einen Trainingsanzug, wenn er einen Schritt nach vorn machte, umspannte seine Hose die mächtigen Oberschenkel noch immer wie eine zweite Haut. »Grüß Gott«, murmelte Müller. Man musste genau hinhören bei diesem tiefen Bayerisch.

Jetzt geht es Uli Hoeneß selber an den Kragen. Mittlerweile ist er 62 Jahre alt. Es ist eine große Steuergeschichte, die ihn in alle Schlagzeilen bringt. Es handelt sich um eine der größten Steuerstraf­taten eines Einzelnen, die je vor einem deutschen Gericht verhandelt wurden: Es geht um rund 27,2 Millionen Euro, die Hoeneß dem Staat schuldet. So die Staatsanwaltschaft nach einer ersten Durchsicht

Uli Hoeneß

Der FußballerSeine Karriere als Profi begann im Alter von 18 Jahren beim FC Bayern München. Von 1970 bis 1979 absol­vierte er – unterbrochen von einer kurzen Zwischenstation beim 1. FC Nürnberg – für den Verein 239 Bun­desligaspiele, bevor ihn eine Verlet­zung zum Karriereende zwang. Mit Bayern wurde er dreimal deutscher Meister und gewann dreimal in Fol­ge den Europapokal der Landesmeis­ter (1974–1976). Mit der deutschen Nationalelf wurde er 1972 Europa­ und 1974 Weltmeister.

Der ManagerAls Hoeneß 1979 in die Führungs­riege des FC Bayern wechselte, war er der jüngste Manager in der Ge­schichte der Bundesliga. Er über­nahm einen Verein mit einem Um­satz von zwölf Millionen Mark – und sieben Millionen Mark Ver­bindlichkeiten. Unter seiner Füh­rung wurde aus dem Verein der wirt­schaftlich stärkste Verein der Welt.

Der PrivatmannGeboren 1952 in Ulm als Sohn ei­nes Metzgermeisters, hat Hoeneß ge­meinsam mit seiner Frau Susi zwei inzwischen erwachsene Kinder. Sein Sohn Florian leitet die von seinem Vater 1985 gegründete, hoch profi­table Wurstfabrik in Nürnberg. 1982 hatte Hoeneß als einziger Pas­sagier einer Privatmaschine einen Flugzeugabsturz überlebt. Hoeneß engagiert sich seit vielen Jahren mit großen Summen im sozialen Bereich.

Privatmann Uli Hoeneß mit Ehefrau Susi auf dem Weg zur Anklagebank FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß als Ankläger und Mahner

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12

25

FastenbrecherJeder zehnte Deutsche fastet gerade. Bis Ostern verzichten die Bundesbürger wahlweise auf Alkohol, Zigaretten, Fleisch, Süßigkeiten, den Gebrauch ihrer Smartphones oder sogar auf Sex – manche auf mehrere Dinge gleichzeitig. Das zumindest behaupten sie in Umfragen.

Die neue Enthaltsamkeit ist mehr als blo-ßes Entsagen, sie zeugt von innerer Erhaben-heit. Verzicht wird zum hippen Konsum-Life-style. Die passende Lektüre dazu gibt es schon. Gerade ist das Buch Apokalypse jetzt! erschie-nen, in dem eine junge Autorin beschreibt, wie sie ein Jahr auf Konsum verzichtet hat: Sie geht jagen, schläft im Wald oder im Bauwagen, baut Stadtgemüse an, wird zur Selbermacherin und reist kostenlos durch Europa.

Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen haben die Asketen freilich nicht im Blick: Während deutsche Unternehmen so viel exportieren wie lange nicht, verpasst die Fastenzeit dem Binnenkonsum einen wei-teren Dämpfer. Und wer 40 Tage lang auf Sex verzichtet, verschärft das demografische Problem tendenziell sogar.

Hoffnung macht da, was Forscher vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln heraus-gefunden haben: Zehn Monate nach Karneval steigt die Geburtenrate in Deutschland stark an, also rund neun Monate nachdem die Deutschen angeblich so enthaltsam gelebt haben. Da liegt die Vermutung nahe: Die Deutschen sind große Fastenversprecher – und noch größere Fastenbrecher. KERSTIN BUND

60SEKUNDEN FÜR

Korruption Weltweit plündern kleptokratische Eliten ihre Länder aus. Doch es gibt Wege, sie zu stoppen S. 32WIRTSCHAFT

Ein gerechter RaubzugDie Regierung räumt bei den Lebensversicherern auf

Es wirkt wie eine Gaunerei aus dem Hause Wolfgang Schäuble. Der Bun des fi nanz-minis ter schnürt ein Milliardengeschenk für die Versicherungsindustrie – und lässt es die Kunden der Lebensversicherungen bezah-len. Pflichtgemäß begehren Verbraucher-schützer auf. Doch ihre Kritik geht am Kern der Angelegenheit vorbei.

Schäuble plant, dass Versicherte, deren Policen fällig werden, nicht mehr wie bisher an den sogenannten Bewertungsreserven der Versicherungsunternehmen beteiligt werden. Sie bekämen also weniger davon ab, wenn die Versicherung mit den Kundengeldern an der Börse Bilanzgewinne erwirtschaftet. Bisher musste sie die Hälfte dieser Gewinne an die ausscheidenden Versicherten abgeben.

Dass die Regierung diese Praxis nun ändern will, ist keine Gaunerei, sondern sinnvoll. Denn wenn die Reserven aller Versicherten an die wenigen jetzt ausscheidenden Kunden aus-bezahlt würden, bliebe nicht mehr so viel übrig für die große Zahl derjenigen, deren Ver-träge erst später auslaufen. Eine Minderheit würde sich auf Kosten der Mehrheit berei-chern. Gerecht ist das nicht.

Das gilt umso mehr, als es derzeit eigentlich gar nichts zu verteilen gibt. Denn die riesigen Bewertungsgewinne in den Bilanzen der Ver-sicherer existieren nur auf dem Papier. Sie kommen aus Geschäften mit Staatsanleihen, die – so ist es immer bei Anleihen – bis zum Ende ihrer Laufzeit auf jeden Fall wieder an Wert verlieren werden. Deshalb fehlt jeder Euro, der heute an die Versicherten ausge-schüttet wird, für die Kunden von morgen.

Keine Frage: Die Branche profitiert von der Neuregelung. Sie hat ihre Kunden mit hohen Zinsversprechen gelockt und hat jetzt ein Pro-blem, weil sie diese Zinsen im aktuellen Um-feld kaum erwirtschaften kann. Wenn nun auch noch die Reserven ausgeschüttet werden müssten, kämen einige Gesellschaften in ernst-hafte Schwierigkeiten und könnten ihre Ver-sprechen wohl nicht mehr halten.

Nur disqualifiziert die Tatsache, dass eine Maßnahme möglicherweise auch den Falschen zugutekommt, nicht die Maßnahme als solche. Entscheidend ist, dass die Versicherer und ihre Aktionäre die Neuregelung nicht zum eigenen Vorteil ausnutzen. Dafür muss die Regierung sorgen – zum Beispiel indem sie angeschlage-nen Gesellschaften untersagt, Dividenden auszuschütten, damit die Gelder auch tatsäch-lich bei den Kunden verbleiben.

Genau das ist nach derzeitigem Stand der Verhandlungen auch geplant. Das ändert indes nichts daran, dass sich viele Versicherte bald mit niedrigeren Auszahlungen begnügen müssen. So zeigt der Streit um die Reserven auch die Grenzen der oft als Allheilmittel ge-gen den demografischen Wandel angepriese-nen privaten Altersvorsorge. Wer auf den Markt setzt, der liefert sich dem Markt aus. Und das bedeutet: In Zeiten niedriger Zinsen gibt es weniger Geld. MARK SCHIERITZ

Für manche Menschen liegt das Leben da wie ein frisch gebügelter Anzug, in den sie nur noch hineinschlüpfen müssen. Alfred Oetker würde eines Tages seinem Bruder August als Chef des Familienkonzerns nachfolgen, das schien schon festzustehen, als er

noch studierte. »Es ist seine Hoffnung und meine Vorstellung, dass er mein Nachfolger wird«, ver-kündete August Oetker.

Das war vor mehr als zwanzig Jahren. Heute sind die Halbbrüder Gegner in einer Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern des traditionsreichen Fami-lienkonzerns. Die alte Eintracht ist passé, der Ton ist kühl geworden. »Bei uns gilt, dass keiner den Anspruch erheben kann, im Unternehmen zu arbeiten, nur weil er zur Familie gehört«, sagte der 69-jährige August Oetker jüngst in einem ZEIT-Interview. Dass der nächste Konzernchef wieder aus der Familie kommen werde, sei keineswegs sicher: »Das muss nicht sein.«

Deutschlands bekannteste Wirtschaftsdynastie hat sich zerstritten. Es geht um die Führungsfrage und um die Struktur eines der größten deutschen Privat-vermögen, dessen Wert mit 7,5 Milliarden Euro kon-servativ geschätzt ist. Es ist ein Kampf um Macht und um Ansehen, bei dem Eitelkeiten und Verletzungen eine Rolle spielen, aber auch die Sorge um die Zukunft einer ungewöhnlichen Unternehmensgruppe, die auf vielen Feldern tätig ist und in der 26 000 Menschen arbeiten. Dabei macht ein hartes Wort die Runde, das die Öffentlichkeit aufschreckt und den Mitarbeitern Angst einflößt – Zerschlagung.

Alfred Oetker, 46 Jahre alt, hat bislang nicht über den Konflikt gesprochen. Aber wie er über die Pro-bleme denkt, mit denen es Familienunternehmen zu tun haben, kann man in der Dissertation nachlesen, mit der er 1999 zum Dr. Oetker wurde. Die Arbeit trägt den Titel Stakeholderkonflikte in Familienkonzer-nen. Oetker beackert darin all die Felder, auf denen es zu Konflikten und Krisen kommen kann: Wie viel Gewinn wird ausgeschüttet? Sollen Familienmitglieder die Führung in der Firma haben, oder sind angestellte Manager dafür besser geeignet? Was geschieht, wenn einer aus der Familie verkaufen will? Und: Wie gelingt der Übergang von einer Generation zur nächsten?

Die Familienzweige prozessieren vor einem privaten Schiedsgericht

Oetker sieht einen Antagonismus wirken: »Die Trieb-kräfte, die das Verhalten in Familie und Unternehmen steuern, sind nicht nur unterschiedlich, sondern prin-zipiell gegensätzlich. Während ein gesunder Wettbe-werb im Unternehmen angestrebt wird, ist man inner-halb der Familie vielmehr bemüht, die Einigkeit und Harmonie zu erhalten.«

In der Praxis kracht es bei den Oetkers stark. So groß wurden die Konflikte, dass die Familie sie nicht mehr ohne fremde Hilfe lösen konnte. Wie das mana-ger magazin enthüllte, läuft seit drei Jahren ein Schieds-gerichtsverfahren, ein privater Prozess, der geheim bleiben sollte. Die Parteien haben sich untereinander verpflichtet, nicht öffentlich darüber zu sprechen.

Als Schiedsrichter wirken Topjuristen: der frühere Präsident des Bundesgerichtshof Karlmann Geiß und die Rechtsgelehrten Klaus Hopt und Peter Hommel-hoff. Der Streit dreht sich um die Strategie und die Verfassung der Unternehmensgruppe, aber auch Animositäten entfalten ihre Wirkung. Die traditions-reiche Wirtschaftsdynastie ist mit einer gewissen Ver-

zögerung in einen Umbruch geraten, der in ihrer un-gewöhnlichen Erbfolge angelegt war. Bis zu seinem Tod 2007 war Rudolf-August Oetker das Oberhaupt des Bielefelder Industriellenclans. Der Patriarch, der 90 Jahre alt wurde, war in seinem Leben dreimal ver-heiratet. Aus allen Ehen gibt es Nachkommen. Die älteste Tochter ist die 1940 geborene Rosely Schweizer aus einer Ehe Oetkers mit der Tochter der Rends-burger Stahlindustriellen Käte Ahlmann. Aus der zweiten Ehe gibt es vier Nachkommen: August, Chris-tian und Richard Oetker sowie ihre Schwester Bergit Gräfin Douglas, Ehefrau des Kunstmaklers Christoph Graf Douglas. Während der dritten Ehe wurden Al-fred, Ferdinand und Julia Oetker geboren. Der Alters-unterschied zwischen der ältesten und der jüngsten Tochter beträgt fast 40 Jahre.

Die Unternehmensgruppe gehört heute zu gleichen Teilen diesen acht Familienmitgliedern und teils schon ihren Nachkommen, jeder Familienstamm hält 12,5 Prozent. Dabei ist das Firmenreich so vielgestaltig wie der Clan selbst. In ihrem Stammgeschäft produziert die Familie neben Pudding und Backpulver vor allem Pizza und Müsli. Finanziell deutlich stärker ist sie in der Schifffahrt engagiert, ihr gehört die zweitgrößte deutsche Containerreederei: Hamburg Süd (eine Kurz-bezeichnung für Hamburg Südamerikanische Dampf-schifffahrts-Gesellschaft).

Die Oetkers besitzen außerdem noch die Rade-berger Gruppe, den größten deutschen Brauerei-konzern, der viele Marken aufgekauft hat: Dortmun-der Union, Schöfferhofer, Jever, Clausthaler, Berliner Kindl, Henninger, Binding, Brinkhoff ’s, Sion, Schlös-ser, Schultheiss und etliche andere. Henkell und Söhnlein, Selters und Bionade – vieles von dem, was in Supermärkten steht, kommt von Oetker, ohne dass die Kunden davon etwas mitbekämen.

Rund 400 Unternehmen mit mehr als elf Milliar-den Euro Umsatz gehören zu diesem oft unterschätz-ten Firmenimperium, darunter das Bankhaus Lampe, die Chemische Fabrik Budenheim und geschichts-trächtige Luxushotels wie das Brenners Park in Baden-Baden, das Le Bristol in Paris und das Hôtel du Cap-Eden-Roc an der Côte d’Azur.

Manch eine Einzelbeteiligung bedeutet für sich allein einen großen Reichtum, so zum Beispiel die Aktien der Douglas Holding (zu der neben den Par-fümerien auch die Einzelhandelsfirmen Thalia, Christ und Hussel gehören). 2012 veräußerten die Oetkers ihr Aktienpaket an eine US-Finanzfirma und bekamen dafür rund 400 Millionen Euro.

Portfoliobereinigung nennt man solche Aufräum-arbeiten im Vermögensbestand. Und um derartige Transaktionen geht es auch in der gegenwärtigen Aus-einandersetzung innerhalb der Großfamilie. Aber das Ganze wird von persönlichen Konflikten überlagert. Einer der Hauptgründe des Streits ist das Bestreben Alfred Oetkers, die Führung der Unternehmensgrup-pe zu übernehmen, die sein Urgroßvater Ende des 19. Jahrhunderts begründet und die sein Vater stark ver-größert hatte.

Auf den prestigeträchtigen Topjob hat der Junior lange hingearbeitet. Wie sein Vater in den dreißiger Jahren hat er Bankkaufmann gelernt. Er studierte in Passau Betriebswirtschaft, war in Oxford, wurde schließlich an der Handelshochschule Leipzig pro-moviert. Damit machte er dem Vater eine große Freu-de. Der Alte stand der Wissenschaft (»Professoren sind ein komisches Volk«) zwar skeptisch gegenüber, aber er schätzte Menschen mit Titeln. Erste Erfahrungen als Manager sammelte Alfred Oetker in den neunziger

Jahren bei einem befreundeten Familienunternehmen: Henkel in Düsseldorf. Später stieg er dann in der Oetker-Nahrungsmittelsparte bis zum Leiter des Ge-schäfts in den Niederlanden auf. Den Posten hat er inzwischen aufgegeben, seinen Wohnsitz in Amster-dam aber beibehalten. Hin und wieder werden er und Gattin Elvira, eine aus Sizilien stammende Prinzessin von Grimaldi di Nixima, vom niederländischen Kö-nigshaus eingeladen.

Von Zerschlagung kann keine Rede sein, aber vielleicht werden Firmen getrennt

Alfred Oetker hatte fest damit gerechnet, 2009 die Führung der Gruppe übernehmen zu können. Damals wurde Bruder August 65 Jahre alt, ein Generations-wechsel schien der normale Gang der Dinge zu sein. Doch Alfred fand nicht die Mehrheit im Beirat des Konzerns. Stattdessen wurde der damals 58-jährige Richard Oetker, Augusts Bruder, zum Chef gekürt – was selbst für ihn überraschend kam. Er war lange Zeit der Personalleiter des Unternehmens. Die Motive für seine Berufung an die Spitze kommentierte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit den Wor-ten: »Man sprach von meiner Erfahrung und schrieb mir noch allerlei andere Tugenden zu.«

Der Mann, der als Student 1976 entführt und schwer verletzt worden war, hat einen Sinn für Humor. Bis heute amüsiert ihn, dass der Psychiater, der sich damals um ihn kümmern sollte, den Namen Angst-wurm trug. Er brauchte den Therapeuten nicht. Oetker hat ein körperliches, aber kein psychisches Trauma davongetragen. Er hat das schreckliche Er-lebnis (er war tagelang in eine Kiste eingesperrt und erlitt Stromstöße) in heitere Gelassenheit transponiert. Wohl auch wegen seiner Erfahrungen fehle ihm heu-te der Sinn für Problemchen und Streitereien, sagt er. Dass er seinem Halbbruder in die Quere gekommen ist, ist ihm aber bewusst. »Da gab es die enttäuschte Erwartung eines Jüngeren«, sagte er 2011. Gleichwohl will er den Spitzenjob bis Ende 2016 behalten.

Ob dann Alfred Oetker zum Zuge kommt, ist un-gewiss. Die Entscheidung liegt nicht bei der Familie. Über die Führungsfrage entscheidet bei Oetker der Beirat. In diesem Gremium sind die drei Familien-gruppen (also jeweils die Nachfahren aus den Ehen des Patriarchen) durch jeweils ein Mitglied vertreten: August Oetker führt den Vorsitz. Alfred Oetker ist einfaches Mitglied. Bei den Schweizers hat ein Ver-treter der jüngeren Generation die Aufgabe über-nommen, Rudolf Louis Schweizer, der älteste Sohn von Rosely Schweizer und Miterbe eines schwäbischen Industrievermögens.

Der Oetker-Clan hat den Beirat mit viel Macht ausgestattet – ein Akt der Selbstbeschränkung. Firma vor Familie, lautet das Credo von jeher. Das Aufsichts-gremium soll dem Unternehmen einen Schutz vor Konflikten im Kreis der Eigentümer geben. Die Mehr-heit im Beirat wurde an Familienfremde abgegeben. Damit soll gewährleistet werden, dass die Interessen der Unternehmensgruppe den Vorrang haben.

Der Einflussreichste unter den externen Kontrol-leuren ist der frühere Henkel-Chef Ulrich Lehner. Weil er zusätzlich zu seinem Aufsichtsratsvorsitz bei der Telekom auch noch den bei ThyssenKrupp über-nommen hat, scheidet er aber nun bei Oetker aus. Ersetzt wird er durch einen Manager aus einem ande-ren großen Familienunternehmen: Hans-Otto Schra-

Herrschen oder teilen Streit im Hause Oetker: Bricht Deutschlands bekannteste Wirtschaftsdynastie bald auseinander?

VON RÜDIGER JUNGBLUTH

August Oetker, Chef des Beirats

Maja Oetker (in Blau), geführt von Sohn Ferdinand, links: Sohn Alfred und Elvira Oetker, rechts: Tochter Julia Oetker und José Antonio Sigurtà

Rosely Schweizer, geborene Oetker

Eine Marke, die fast jeder kennt

Richard Oetker führt den Konzern

Bergit Gräf in Douglas mit Ehemann Christoph

Christian Oetker liebt es diskret

Fortsetzung auf S. 26

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12

der, Chef des Hamburger Versandkonzerns Otto. Weitere Oetker-Beiräte sind Andreas Jacobs (Jacobs Holding, aber längst ohne Kaffee), Christoph von Grolman, der für eine Dachfirma der Familie Thys-sen-Bornemisza arbeitet, und Carsten Spohr, der gerade zum künftigen Lufthansa-Chef gekürt wurde. Keiner von ihnen taugt als Befehlsemp-fänger, wenn es darum geht, den nächsten Firmen-chef auszuwählen. Als Alternative zu Alfred Oetker gilt ein Familienfremder: Albert Christmann, ein Wirtschaftsingenieur, der lange die Radeberger Gruppe geleitet hat und seit Jahresanfang als Finanz-chef in der Holding-Zentrale wirkt.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Oet-ker-Eignern dreht sich aber nicht nur um die Frage, wer den Führungsposten einnehmen darf und wer nicht. Es geht auch um die Struktur der Unter-nehmensgruppe, und es ist eher eine Seeschlacht als ein »Puddingkrieg« (manager magazin).

Der größte Geschäftsbereich (mit einem Umsatz von 5,5 Milliarden Euro) ist die Containerschiff-fahrt. Ausgerechnet da läuft es aber schlecht. Die Krise hat Hamburg Süd schwer getroffen. Es gibt auf der Welt zu viele Schiffe und zu viele Container, als dass sie derzeit alle profitabel genutzt werden könnten. In dieser Situation konnten sich einige Oetkers mit der Idee anfreunden, die Unabhängig-keit im Reedereigeschäft aufzugeben und gemein-same Sache mit Hapag Lloyd zu machen. Das würde Kosten sparen (und Arbeitsplätze kosten). Nach einer Fusion stünde die Firma mit einer Con-tainerflotte von mehr als 250 Schiffen weltweit auf Rang vier hinter Mærsk, MSC und CMA CGM.

Ende 2012 begannen Verhandlungen über eine Fusion der beiden Hamburger Großreedereien. Doch im März 2013 wurden die Gespräche been-det, »vorübergehend« und »vorerst«, wie es in knap-pen Mitteilungen hieß. Angeblich hatte es ein Veto der jüngeren Oetkers gegen das Projekt gegeben. Aber aus Alfred Oetkers Umfeld ist zu hören, dass kein Verhandlungsergebnis vorgelegen habe, über das man hätte entscheiden können. So liest sich auch eine Mitteilung der Hapag-Lloyd-Gesell-schafter, laut der die beiden »Eigentümergruppen

bislang keine Einigkeit über eine partnerschaftliche Ausgestaltung der Transaktion erzielen konnten«. Die Oetkers haben es bei Hapag Lloyd mit mehre-ren Großaktionären zu tun. Die Reederei gehört zu 22 Prozent TUI und zu 78 Prozent einem Kon-sortium, in dem sich die Hansestadt Hamburg und der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne (Kühne + Nagel) zusammengefunden haben.

Inzwischen scheint es, als seien die Oetkers ins Hintertreffen geraten. Hapag Lloyd hat sich auf die Suche nach einem anderen Partner gemacht und ihn in der chilenischen Großree-derei CSAV gefunden. Jetzt sollen zunächst diese beiden Reedereien fusioniert werden. Die Verhand-lungen sind im Gange und sollen bis Jahresmitte zum Abschluss kommen. Es ist nicht ausgeschlos-sen, dass sich die Oetkers mit Hamburg Süd diesem Bündnis noch anschließen werden. Ihre Ver-handlungsposition hat sich aber verschlechtert.

Unter den Oetker-Geschwis-tern war es zum Streit darüber ge-kommen, wer bei solchen Mega-deals das Sagen habe. Dabei erziel-te Alfred Oetker einen Erfolg gegen seinen Halbbruder August, der den Fusionsplan betrieben hatte. Vor dem Schiedsgericht konnte sich Alfred mit seiner Position durch-setzen, dass eine Firmenhochzeit wie diese nicht allein von der Geschäftsführung und dem Beirat durchgezogen werden könne. Die Eigentümer müssten ihr zustimmen, und das mit einer Dreiviertelmehrheit in der Gesellschafterver-sammlung. Dadurch haben die drei jüngsten Oetkers eine Blockademacht. So verhinderten sie auch, dass sich die Oetker-Gruppe von ihrem Hotelgeschäft trennte, wie es die älteren Geschwis-ter beabsichtigten.

Vor allem August Oetker dränge seit dem Tod des Vaters darauf, die Aktivitäten der Gruppe stär-

ker als bisher zu konzentrieren, ist zu hören. Für ihn, der seine ersten beruflichen Erfahrungen einst in einer Reederei gemacht hat, stehen Schifffahrt und Nahrungsmittel im Vordergrund des Interesses. Die drei jüngsten Geschwister wollen dagegen das Vermögen möglichst breit gestreut lassen, die Bank und die Hotels gehören für sie daher weiterhin dazu.

Querelen gab es auch bei der Aufarbeitung der Familiengeschichte während der NS-Zeit. Die Jüngeren taten sich schwer mit dem Gedanken, das dunkle Kapitel wissenschaftlich untersuchen zu

lassen, weil sie fürchteten, es könn-te den Ruf des Vaters beschädigen. Die älteren Oetkers wollten größt-mögliche Klarheit. Als die Studie vorlag, sagte August Oetker in ei-nem ZEIT-Interview: »Mein Vater war Nationalsozialist.« Seine Stief-mutter Maja Oetker widersprach in der Neuen Westfälischen: »Es stimmt einfach nicht, dass mein Mann ein überzeugter Nationalso-zialist war. Das lasse ich mir von niemandem einreden.« An dem Interview ihres Stiefsohnes habe ihr »einiges nicht gefallen«.

Angesichts des Gesellschafter-streits fragen sich manche Beobach-ter inzwischen, ob die acht Oetker-Nachfahren – die teils selbst schon Großfamilien haben – bald ge-trennte Wege gehen werden. »Muss der Traditionskonzern zerschlagen

werden?«, spekulierte das manager magazin. Das klingt so, als dräute da ein großes Unglück. Aber so ist es nicht, und Zerschlagung ist auch das falsche Wort. Hier ginge es um eine Trennung von Ver-mögensteilen, die sehr unterschiedlich sind und außerhalb eines Familienkonzerns längst nicht mehr unter einer Führung stünden. Schon vor Jahren hatte es August Oetker als ein »unglaublich gutes Gefühl« genannt, »dass wir voneinander mehr oder weniger unabhängige Teile der Gruppe haben, die man, wenn man wollte oder müsste, veräußern

könnte, ohne dass die übrige Gruppe davon be-troffen wäre«. Firmenverkäufe wären kein Bruch mit der Tradition, sondern eher deren Fortsetzung. Immer wieder in der 123 Jahre langen Unterneh-mensgeschichte haben die Oetkers Firmen hinzuge-kauft, während andere Beteiligungen abgestoßen wurden. Statisch war die Gruppe nie. Selbst Rudolf-August Oetker, der ein passionierter Firmensamm-ler war, hat Beteiligungen veräußert, zum Beispiel den Deutschen Ring in den achtziger Jahren. Auch aus der Textilbranche (Windsor, Kayser) verabschie-dete sich die Familie wieder. Lange Zeit war auch unsicher, ob das Bankhaus Lampe, in das sich der Alte nach dem Krieg eingekauft hatte, im Familien-verbund bleiben würde. Keiner der älteren Söhne Oetkers mochte sich auf diesem Feld engagieren. Das ist heute anders. Ferdinand Oetker, der jüngs-te Sohn, ist Generalbevollmächtigter in der Bank.

Mit Vermögens-Auseinandersetzungen unter Geschwistern haben die Oetkers ebenfalls Erfah-rung. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde ein großer Besitz an Firmen, Immobilien und Wert-papieren aufgeteilt zwischen Rudolf-August Oetker, seiner älteren Schwester Ursula und seinem Halb-bruder Richard Kaselowsky junior.

Damals erhielt Ursula Oetker neben anderem die Schwartauer Werke, einen Hersteller von Marmelade. Aber sie und ihr Mann zeigten sich mit dem Erbe überfordert, die Geschäfte liefen schlecht. Erst als der älteste Sohn Arend Oetker Ende der sechziger Jahre das Ruder übernahm, ging es aufwärts. Lange Zeit sprach man bei die-sem Familienzweig von den »ärmeren Oetkers«. Aber aus einer ungünstigen Position nach der Vermögensteilung ist ein weiteres Milliardenver-mögen gewachsen. Heute gehört dem 74-jähri-gen Arend Oetker der Schweizer Nahrungsmit-telkonzern Hero, er ist an KWS Saat beteiligt und besitzt die Hälfte der Fährreederei TT-Line. Erben werden dereinst fünf Kinder aus zwei Ehen. Den Streit unter den Cousins und Cousi-nen beobachtet Arend Oetker wohl genau.

www.zeit.de/audio

26 WIRTSCHAFT

Bankenunion: Haften Steuerzahler weiter?Der Streit um eine europäische Bankenunion ebbte auch nach dem jüngsten Finanzminister-treffen nicht ab. Im Kern geht es um die Frage, wer künftig haftet, wenn Banken pleitegehen. Bisher sprang fast ausschließlich der Staat ein, künftig sollen die Eigentümer haften, am Ende aber auch die Branche als Ganzes. Während die Minister Dienstagabend von Fortschritten be-richteten, rechnete einer der Verhandlungs-führer des EU-Parlaments mit der deutschen Regierung ab. »Auf Druck von Finanzminister Wolfgang Schäuble und der Bundesregierung wollen die Mitgliedsstaaten, dass für die Abwick-lung von Banken nicht wie in den USA eine kleine Abwicklungsbehörde zuständig ist, sondern die Mitgliedsländer der EU sollen mitreden. Da-mit werden die Entscheidungen langwierig und politisiert«, sagte Sven Giegold, der die Verhand-lungen zwischen Rat, Kommission und Parlament für die Grünen führt.

Giegold kritisiert, dass die Staaten »noch für zehn Jahre mithaften für Fehlentwicklungen und

Versagen einzelner Ban-ken«. So lange soll es nach den derzeitigen Plänen dauern, bis ein Fonds zur Rettung der Banken vollständig auf-gebaut ist. Giegold for-dert schnelleres Handeln: »Die Frage ist doch: Wer haftet, wenn eine Bank pleitegeht? Zunächst die Gläubiger, darin sind sich alle einig, aber dann? Schäuble will, dass erst mal wieder der Staats-

haushalt herangezogen wird, das Parlament will, dass die anderen großen Banken in Europa dann einspringen.«

Vergangene Woche hatte das Parlament an-gekündigt, auch ohne eine Einigung mit den Fi-nanzministern eine erste Lesung abzuhalten. Gie-gold hält dieses Druckmittel für legitim: »Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren sieht eine Abstimmung in zwei Lesungen vor. Inzwischen machen wir von diesem Verfahren kaum noch Gebrauch, um schneller zu sein. Das zeigt, dass das Europaparlament bereit ist, pragmatisch zu handeln, und seine Macht mit Bedacht einsetzt.« Bis Mitte April müssen Mitgliedsstaaten und Par-lament sich einigen, dann ist die letzte Sitzungs-woche der Legislaturperiode. Andernfalls wird das nächste Europaparlament, das Ende Mai gewählt wird, über die Bankenunion abstimmen. TAT

Staatsanwaltschaft fordert Haft im Ring-ProzessIm Strafprozess um die geplatzte Finanzierung des Nürburgring-Ausbaus hat die Staatsanwalt-schaft Koblenz nach ihrem Plädoyer am Diens-tag Haftstrafen gefordert. Im Fall des Haupt-angeklagten Ingolf Deubel beantragte sie eine Gefängnisstrafe von vier Jahren. Der ehemalige Landesfinanzminister von Rheinland-Pfalz habe sich während der geplanten Ausbauphase der Autorennstrecke, deren Finanzierung im Jahr 2009 spektakulär kollabierte, der schweren Ver-untreuung von Steuergeld schuldig gemacht. Deubel, der die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurückweist und nach wie vor seine Unschuld beteuert (ZEIT Nr. 10/14), war damals Auf-sichtsratschef der landeseigenen Nürburgring GmbH. Neben ihm sind noch einige weitere ehemalige Führungskräfte angeklagt. Ein Urteil soll Mitte April verkündet werden.

Ebenfalls am Dienstag wurde bekannt, dass der zwischenzeitlich in die Insolvenz gerutschte Nürburgring nach langer Suche nun doch noch einen Käufer gefunden hat. Wie der Insolvenz-verwalter mitteilte, wird der Autoteile-Zulieferer Capricorn die Rennstrecke übernehmen. ROH

Das Geld der Frauen: Sinkende AbhängigkeitNoch lebt die Mehrheit der Frauen in Deutsch-land nicht überwiegend von Einkünften aus eigener Erwerbstätigkeit, aber der Anteil derer, die ihren Unterhalt selbst bestreiten, wächst stetig. 1996 betrug er 39 Prozent, 2012 waren es sechs Prozentpunkte mehr. Nach Angaben des

Statistischen Bundes-amts zu den Hauptein-kommensquellen leben weitere 29 Prozent der Frauen von einer Ren-te oder Pension. 18 Pro-zent sind wirtschaftlich abhängig von ihren Ehe- oder Lebenspart-nern oder von anderen Angehörigen. Acht Pro-zent der Frauen haben »Sonstige Einkünfte«. In dieser Kategorie sind

jene zusammengefasst, die von Sozialleistungen leben, aber auch solche, die ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Vermögenseinkünfte wie Mieten oder Zinsen bestreiten. JUN

45

MACHER UND MÄRKTE

Prozent der Frauen leben von eigener Erwerbstätigkeit

Sven Giegold, grüner Europa- abgeordneter

Wolfgang Schäuble hat sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern ge-sichert. Erstmals seit 46 Jahren wird der Bund keine neuen Schulden aufnehmen. So sieht es

der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vor, den das Kabinett an diesem Mittwoch abge-segnet hat. Nach fast einem halben Jahrhundert Schuldenwirtschaft ist Schluss mit einer Politik auf Kosten der kommenden Generationen.

Das ist die Lagebeschreibung, die Union und SPD in diesen Tagen verbreiten. Sie ist nicht völlig falsch. Es läuft ja auch ganz gut für den Finanz-minister, und die Republik diskutiert sogar wieder über Steuerentlastungen. Aber es gibt noch eine andere, weniger angenehme Sicht der Dinge.

So sinkt die Neuverschuldung vor allem, weil ein großer Teil der staatlichen Leistungen nicht in Schäubles Etat auftaucht, obwohl die Allgemeinheit dafür aufkommen muss. Es wächst ein riesiger Schattenhaushalt heran – und es bleibt wenig für die Dinge übrig, die das Land wirklich nach vorne bringen: Schulen, Kitas, Straßen, Schienen.

Was die Frage aufwirft, ob das mit der schwar-zen Null nun eigentlich eine gute Nachricht ist oder eine schlechte.

Allein in diesem und im kommenden Jahr spart Schäuble rund sechs Milliarden Euro ein, indem er den Zuschuss für die Krankenkassen kürzt. Zwar können die Kassen das derzeit noch verschmerzen, weil sie wegen der guten Kon-junktur im Geld schwimmen. Doch mit dem Zuschuss werden Leistungen bezahlt, die die Kassen für die Allgemeinheit erbringen – etwa die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern.

Deshalb sollten solche Leistungen nach allge-meiner Auffassung eigentlich aus dem allgemei-nen Steueraufkommen finanziert werden. Nun aber werden die Gelder der Beitragszahler für öffentliche Aufgaben zweckentfremdet, um den Staatshaushalt nicht zu belasten.

Die Beitragszahler werden mit 40 Milliarden Euro belastet

Auch die zusätzlichen Ausgaben der Koa li tion für die Mütterrente, die Rente mit 63 und die geplan-te Pflegereform belasten den Etat kaum – die So-zial kas sen dafür umso mehr. Den Preis bezahlen die Versicherten in Form von Beitragserhöhungen oder entgangenen Beitragssenkungen. Eine eigentlich für das laufende Jahr anstehende Minderung des Ren-tenbeitragssatzes um 0,6 Prozentpunkte hat die Regierung bereits kassiert, die Pflegebeiträge sollen im kommenden Jahr erhöht werden.

Die Kosten für die Beitragszahler sind enorm. Sie summieren sich nach Berechnungen von Heinz Gebhardt, Experte für öffentliche Finan-zen am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, bis zum Ende der Legislaturperiode auf rund 40 Milliar-den Euro – und ein großer Teil dieses Geldes dient ebenfalls der Finanzierung von versiche-rungsfremden Aufgaben, die eigentlich die All-gemeinheit übernehmen müsste. »Den Sozialver-sicherungen werden dauerhafte Zusatzbelastun-gen aufgebürdet«, sagt Gebhardt.

Das gefährdet nicht nur die Stabilität der Fi-nanzen, sondern auch die Stabilität der Gesellschaft.

Containerschiff der Hamburg Süd, Brenners Park-Hotel

Opfer für die

schwarze

Denn für Beiträge zu den Sozialsystemen gilt: Die Armen werden anteilig stärker zur Kasse gebeten als die Reichen. Die Steuerlast nimmt mit steigendem Einkommen zu, Geringverdiener sind sogar ganz von der Steuer befreit. Das stellt einigermaßen si-cher, dass die individuelle Leistungsfähigkeit bei der Finanzierung des Staates berücksichtigt wird.

Sozialbeiträge hingegen müssen schon auf kleinere Einkommen entrichtet werden – und sie sind gedeckelt. Ab einem Bruttoeinkommen von 4050 Euro im Monat steigen etwa in der gesetz-lichen Krankenversicherung die Beiträge nicht mehr. Nach einer Studie des RWI tragen Haus-halte mit einem Jahreseinkommen von mehr als 200 000 Euro rund 14 Prozent zum gesamten jährlichen Aufkommen aus der Einkommen-steuer bei, aber nur etwa ein Prozent zum Auf-kommen aus Sozialbeiträgen.

Die Reichen werden geschont, die Armen müssen bezahlen

Zu den Profiteuren des großkoalitionären Ver-schiebebahnhofs gehören deshalb Gutverdiener, Selbstständige und Beamte, die nicht in die ge-setz lichen Versicherungssysteme einzahlen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine Bundesregierung mit sozialdemokratischer Be-teiligung dafür die Verantwortung trägt – und die Genossen damit bis heute kein Problem zu haben scheinen. Jedenfalls verteidigte Arbeitsmi-nisterin Andrea Nahles diese Woche im Spiegel das Rentenpaket mit dem Argument, es sei »soli-de finanziert«, weil die Rente vor allem aus Bei-trägen bestritten werde.

Inzwischen sind auch die Fachleute im Bun-desfinanzministerium alarmiert. Alle drei Jahre legt Schäubles Haus einen Bericht über die lang-fristige Entwicklung der öffentlichen Finanzen einschließlich der sozialen Sicherungssysteme vor. Im Frühjahr sollte es wieder so weit sein. Die Arbeiten sind dem Vernehmen nach praktisch abgeschlossen. Doch wegen der beschlossenen Mehrausgaben muss jetzt noch einmal völlig neu gerechnet werden. Die Ergebnisse werden wenig erfreulich sein.

Die zusätzlichen Lasten wären für die Betroffe-nen leichter zu schultern, wenn die Regierung dafür sorgen würde, dass die wirtschaftliche Leistungs-fähigkeit des Landes erhalten wird. Solange die Gehälter steigen, ist es nicht so schlimm, wenn weniger Netto vom Brutto bleibt. Doch noch nicht einmal das ist sicher. In Schäubles Ausgabenplanung sind für die gesamte Legislaturperiode an zu sätz-lichen Mitteln für die Kommunen und die In-frastruktur nur rund 20 Milliarden Euro vorgese-hen. Das reicht vielleicht gerade einmal, um den Verschleiß wettzumachen. Die Zukunft des Stand-orts – und damit auch den Wohlstand kommender Generationen – sichert es nicht.

Das ist das Problem mit der schwarzen Null: Ein ausgeglichener Haushalt sagt für sich genommen wenig darüber aus, wie nachhaltig ein Land wirt-schaftet. Dabei gibt es Alternativen. Die Regierung hätte die zusätzliche Ausgaben finanzieren können, indem sie im Haushalt an anderer Stelle einspart, die Steuern erhöht oder sich beim Abbau der Neu-verschuldung etwas mehr Zeit lässt. Die Schulden-regeln hätten das sogar erlaubt.

Aber ganz offenbar war die schwarze Null wichtiger.

Die Regierung kommt wohl

schon bald ohne Schulden aus. Das ist auch

eine schlechte Nachricht

VON MARK SCHIERITZ

Herrschen oder teilen Fortsetzung von S. 25

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 1228 WIRTSCHAFT

E s ist zwar recht unwahrscheinlich. Aber sollte es wegen der Krimkrise tatsächlich zu einem Lieferstopp von Öl und Gas aus

Russland in die EU kommen, hieße das noch lange nicht, dass russische Energie nicht mehr nach Europa gelangte. Moskau kann auf die Einnahmen aus dem Energieexport nämlich kaum verzichten, es käme deshalb wahrschein-lich zu Dreiecksgeschäften. Denkbar wäre zum Beispiel, dass russisches Öl über den Umweg Türkei nach Europa fände.

Russisches Gas, das bisher ausschließlich per Pipeline nach Europa transportiert wird, ließe sich allerdings nicht einfach auf Schiffe verladen. Sollten die Lieferungen aus Russland tatsächlich ausbleiben, müssten die Europäer sich also ande-re Bezugsquellen erschließen. Eine Möglichkeit wäre, tiefgekühltes Flüssiggas (LNG) zu impor-tieren. Dafür ist eine spezielle Hafeninfrastruktur nötig, sogenannte Regasifizierungsterminals. Solche Anlagen gibt es bereits in mehreren euro-päischen Ländern, darunter in Belgien, in den Niederlanden, in Frankreich und in Spanien. Pläne, auch in Wilhelmshaven ein LNG-Terminal zu errichten, liegen seit Jahren auf Eis.

Selbst im schlimmsten Fall, dann nämlich, wenn kurzfristig kein Ersatz für ausbleibendes russisches Öl und Gas beschafft werden kann, gingen in der EU allerdings nicht sofort die Lich-ter aus. Die Öl importierenden Länder haben Vorräte angelegt; sofern sie der Internationalen Energieagentur (IEA) angehören, sind sie sogar dazu verpflichtet. Der Vorrat muss der Import-menge von mindestens 90 Tagen entsprechen. 20 der 28 EU-Länder sind Mitglied der IEA, darun-ter auch osteuropäische Länder wie Polen, Un-garn, Tschechien und die Slowakei. Nach Aus-kunft der Pariser Behörde reichen die Ölvorräte aller europäischen Mitgliedsländer derzeit aus, um sämtliche Importe 128 Tage lang zu ersetzen. Da Russland nur rund ein Drittel der Ölimporte liefert, könnte die EU rechnerisch rund ein Jahr lang auf den Nachschub von dort verzichten.

Auch Erdgas wird in den Mitgliedsländern der EU gehortet. In den Gasspeichern befinden sich momentan knapp 37 Milliarden Kubik-meter, das entspricht etwa einem Drittel der Importe aus Russland. Die Lage ist trotzdem recht komfortabel, weil die Heizsaison sich dem Ende zuneigt.

Wichtig wäre, dass die Gasspeicher vor Be-ginn des nächsten Winters wieder gut gefüllt sind. Sonst könnte es in europäischen Woh-nungen irgendwann ungemütlich werden. Erd-gas dient nämlich vor allem zum Heizen. Mit steigender Tendenz werden größere Mengen auch verstromt. 2011 wurden 22 Prozent der elektrischen Energie in der EU aus Erdgas er-zeugt, fast genauso viel stammte aus erneuer-baren Energien.

Sollten Benzin, Diesel und Kerosin knapp werden, käme der Verkehr zum Erliegen. Für Kraftstoffe auf Erdölbasis fehlt bisher eine brauchbare Alternative. Bei der Stromerzeu-gung spielt Erdöl dagegen kaum eine Rolle, seine Bedeutung als Heizenergie nimmt ab.

Auch wenn mit dem schlimmsten Fall kaum zu rechnen ist: Europas Abhängigkeit von Ener-gieimporten bleibt ein Problem. Erdöl und Erdgas decken rund 60 Prozent des Energieverbrauchs. Das Gros davon muss importiert werden. Bei Öl beträgt der Importanteil der EU etwa 86 Prozent, Erdgas wird zu 66 Prozent importiert, Tendenz steigend. Rund ein Drittel der Öl- und Gasein-fuhren stammt aus Russland. Damit ist Russland der wichtigste Energielieferant der EU. VO

Wie sich der europäische Gas-Mixzusammensetzt (2012)

Russland liefert

ZEIT-GRAFIK/Quelle: Eurogas

Eigen-produktion

Russland

Norwegen

Algerien

Katar

Rest d. Welt

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23

22

9

67

83,6Slowakei

58,6Polen

100Litauen

79,9Ungarn

37,3Deutschland

100Finnland

100Estland

57,5Tschechien

60,1Österreich

88,8Bulgarien

Anteil russischer Importe am Gasverbrauch in einzelnen europäischen Ländern (2012, in Prozent)

Gas für

Nur auf den ersten Blick sieht Cushing aus wie eine typi-sche Kleinstadt im Herzen der Vereinigten Staaten. Das Nest mit seinen 7800 Ein-wohnern liegt im Bundes-staat Oklahoma und besteht

im Wesentlichen aus ein paar Straßenzügen, dem rustikalen Steer Inn und der Copper Penny Tra-ding Company, wo neben Schaukelstühlen und Modeschmuck auch gebrauchte Cowboystiefel zu finden sind. Aber Cushing spielt eine entschei-dende Rolle in der Weltwirtschaft. »Wir sind die wichtigste Pipeline-Kreuzung der Welt«, sagt Brent Thompson, der Präsident der lokalen Han-delskammer. So viele Ölleitungen verlaufen kreuz und quer unter den Häusern und Grundstücken, dass Cushings Einwohner praktisch gehalten sind, die Behörden zu befragen, bevor sie ihren Garten umgraben.

Rund um den Ort ragen Hunderte weißer, run-der Tanks in die braungraue Prärie. Manche so groß, dass man ein Flugzeug darin verstecken könnte. In den Tanks lagert Erdöl – insgesamt bis zu 80 Millio-nen Barrel, etwa 13 Milliarden Liter. Damit könnte man ganz Deutschland einen Monat lang versorgen.

Allein in den vergangenen fünf Jahren sind Dut-zende neuer Tanks dazugekommen. »Ein richtiger Bauboom«, berichtet Thompson. Auslöser ist der Energieboom, den die USA gerade erleben, weil sich mithilfe einer neuen Fördermethode, des sogenann-ten Frackings, auch Gas- und Ölfelder erschließen lassen, deren Gesteinsschicht bis vor wenigen Jahren als unergiebig galt. Cushing profitiert vor allem vom Bakken in North Dakota, einer 360 Millionen Jahre alten ölhaltigen Schieferformation, 3000 Meter tief unter dem Präriegras, aus der täglich bis zu einer Million Barrel Öl an die Erdoberfläche gepumpt werden.

Dank des Frackings – das sehr effektiv, aber we-gen Eingriffen in die Umwelt auch sehr umstritten ist – können die Amerikaner riesige Ressourcen heben. Bis 2020 dürfte es so weit sein, dass die USA mehr Erdöl fördern als Saudi-Arabien. Auch beim Erdgas werden sie den weltgrößten Produzenten Russland wohl bald ablösen, weil die neuen heimi-schen Quellen so ergiebig sind.

Dabei hatte die US-Regierung noch vor sechs Jahren darüber debattiert, ob Gas importiert werden müsse, um den Bedarf zu decken. Nun gibt es sogar Überlegungen, Öl und Erdgas zu exportieren und das seit dem Ölschock der siebziger Jahre geltende Ausfuhrverbot aufzuheben.

Die Export-Diskussion hat in den jüngsten Tagen weiter Fahrt aufgenommen, denn seit sich der Kon-flikt des Westens mit Russland um die Ukraine zu-spitzt, steigt auch der geopolitische Wert der ame-rikanischen Bodenschätze. Es geht um die Energie-versorgung Europas: Russland deckt einen bedeu-tenden Teil des europäischen Erdgas- und Ölbedarfs (siehe links). In Washington befürchten Politiker aller Parteien nun, dass Europa sich wegen dieser Abhängigkeit von Moskau in Bezug auf die Ukraine unter Druck setzen lassen könnte. Vor allem Kon-servative fordern, Europa eine Alternative zu russi-schem Öl und Gas zu bieten.

John Boehner etwa, Sprecher des Repräsentanten-hauses für die Republikaner, forderte mit Bezug auf Präsident Barack Obama: »Wenn er wirklich unseren Verbündeten helfen will, dann unterschreibt er umgehend die ihm vorliegenden Exportgenehmi-gungen.« Die radikalkonservative Tea Party sieht im Öl gar ein Instrument, den von ihr beklagten Macht-schwund Amerikas zu bremsen. Auf Fox News richtete sich Tea-Party-Liebling Sarah Palin direkt an Präsident Obama und forderte ihn auf, seine »Mami-Hosen« auszuziehen. Obama solle dem »mit Bären ringenden, nach Öl bohrenden« Putin nun endlich die Stirn bieten und umgehend bislang um-strittene Pipeline-Projekte genehmigen. Dabei ist die Überlegung, Öl und Gas für geopolitische Zwecke einzusetzen, gar nicht mal neu: Schon 2011 grün-dete Hillary Clinton, damals Obamas Außenminis-terin, eine eigene Abteilung für Energie-Diplomatie.

Doch trotz aller lautstarken transatlantischen Solidaritätsbezeugungen und Drohgebärden gegen Russland wird die Öl- und Gasschwemme in den USA den Verbündeten in Europa wohl nur wenig helfen. Das liegt an fehlender Infrastruktur, vor allem beim Erdgas, die erst aufgebaut werden müsste. Vor allem aber haben US-Konzerne kein gesteigertes Interesse daran, die Energiesicherheit Europas zu garantieren. Sie wollen den unverhofften Vorteil im internationalen Wettbewerb viel lieber für sich nut-zen – was prächtig funktioniert.

Rund um die neu entdeckten Bodenschätze blüht eine ganze In-dustrie. Dazu gehören auch Dienst-leister wie die Firma Glenscape, die alle erdenklichen Daten über die neuen Ölströme sammelt und aus-wertet. Mit Helikopterflügen über Cushing schätzen Glenscape-Mit-arbeiter den Pegelstand in den Tanks, sie filmen Güterzüge und werten Positionsmeldungen von Tankern aus. Das alles sind Infor-mationen, die etwas über Zeitpunkt und Menge zu erwartender Lieferungen verraten. Energiehändler auf der ganzen Welt zahlen teils mehrere Zehntausend Dollar für solche Angaben.

Dafür, dass das Öl von Cushing aus weiterfließen kann, spielt ein unauffälliges flaches Gebäude hinter einem meterhohen Zaun eine wichtige Rolle. Darin befindet sich das diskrete lokale Kontrollzentrum von Plains All American – kurz PAA. Der Zutritt ist restriktiv, denn PAA betreibt 74 Tanks mit einer Kapazität von 20 Millionen Barrel. Kameras über-wachen jeden Winkel der Anlage, die von einem fensterlosen Raum aus gesteuert wird.

Drei Mitarbeiter pumpen hier im Auftrag von Raffinerien und anderen großen Kunden Rohöl in Tanks oder leiten es zu Pipelines. Alles geschieht per Mausklick und ist auf drei wandfüllenden Bild-schirmen zu beobachten, auf denen Leitungen, Tanks, Ventile und Pumpen grafisch abgebildet sind wie bei einem komplexen Computerspiel.

Auf dem Tisch des Konferenzraums steht ein Holzgestell mit etwa hundert Reagenzgläsern. Jedes enthält eine Flüssigkeit, deren Farbe von Kamillen-tee über Tannenhonig bis zu Teer reicht. Es sind Ölproben aus verschiedenen Gebieten der Erde,

viele flossen hier schon durch die Pipelines. Etwa die Sorte Arab Light aus dem Mittleren Osten. Oder Qua Iboe aus Nigeria. Oder Zafira aus Äquatorial-guinea. Doch Öl aus Afrika kommt in letzter Zeit nur noch selten hier an: Während Cushing jahr-zehntelang eine wichtige Zwischenstation für Im-porte war, die vom Hafen in Houston in die Raffine-rien des Mittleren Westens der USA gingen, ist die Hauptrichtung heute umgekehrt. Aus den neuen Ölfeldern in North Dakota und Oklahoma im Landesinnern fließt das Öl heute an die Küste nach Houston, wo Raffinerien für den Export arbeiten.

Im vergangenen Jahr änderten auch die Betreiber von Seaway, einer 500 Meilen langen Pipeline zur texanischen Küste, die Pump-Richtung. Und der TransCanada-Konzern, der die Keystone XL Pipeline von Kanada quer durch die USA errichten will, hat im Januar eine Südtrasse von Cushing nach Houston eröffnet, 485 Meilen lang. Ihre Kapazität soll bis zu 800 000 Barrel täglich erreichen.

Das Öl aus Cushing ist in Houston hochwill-kommen: Denn dort befindet sich der größte Teil der Raffineriekapazität der USA. Statt wie früher auf teure Einfuhren, können die Raffinerien nun auf preiswertes heimisches Öl zurückgreifen, um daraus Diesel oder Heizöl herzustellen.

Weil das Ausfuhrverbot für Gas und Rohöl nicht für derlei verarbeitete Produkte gilt, sind die USA

dank ihres Energiebooms zu einem der erfolgreichsten globalen Ex-porteure von Petroleumprodukten geworden. Allein die Europa-Aus-fuhren haben sich zwischen 2007 und 2012 verdoppelt. Im Einfahrts-kanal von Houston, dem größten Petroleum-Exporthafen, ist der Ver-kehr inzwischen so dicht, dass die Tanker ein gefährliches Manöver fahren: Beim »Texas Game of Chi-cken« bleiben die Schiffe bis zum letzten Moment auf Kollisionskurs, bevor sie die gegenseitigen Bugwel-

len nutzen, um noch aneinander vorbeizukommen.Zwar erreicht die US-Ölbonanza in Form ver-

arbeiteter Produkte auf diese Weise heute schon Europa, allerdings als Konkurrenz. »Früher gab es einen Austausch: Die Europäer lieferten Benzin nach Amerika und bekamen im Gegenzug Diesel für ihr Transportsystem«, berichtet Chris Sternberg vom Ölmarkt-Analyseunternehmen Glenscape. Jetzt kommen die europäischen Raffinerien, die weiterhin zu Weltmarktpreisen kaufen müssen, auf ihrem ei-genen Markt kaum gegen die US-Importe an.

Vom US-Boom bei Gas, bei dem sie dringender nach einer Alternative zu Russland suchen als bei der Ölversorgung, können die Europäer auch kaum pro-fitieren, denn beim Gas kommen technische Pro-bleme dazu. Nicht von ungefähr zeigen sich die Russen sehr gelassen, wenn es um die amerikanische Konkurrenz geht. »Es gibt keinen einheitlichen freien Gasmarkt auf der Welt«, sagt etwa der Spre-cher des größten russischen Staatskonzerns Gaz-prom. Amerikanisches Erdgas sei zwar billig – aber eben nur in Amerika. Sobald es über den Atlantik transportiert werden soll, werde es teurer. Der Grund: Amerikanisches Gas muss erst zu Flüssiggas

umgewandelt werden. Erst dann kann man es auf Tanker pumpen und nach Europa verschiffen.

In Europa wiederum fehlen in den meisten Län-dern entsprechende Anlagen, um Flüssiggas wieder zurückzuverwandeln. Weil Gazprom bisher immer geliefert hat, erschienen die hohen Investitionen in entsprechende Terminals als unwirtschaftlich. In Deutschland beispielsweise existiert keine Einrich-tung dieser Art. Dabei hatte der Energiekonzern E.on vor Jahren versprochen, ein Flüssiggasterminal an der Nordseeküste zu errichten. Doch die deutsche Energiewende hat diese Pläne begraben.

Weltweit dagegen ist der Handel mit Flüssiggas auf dem Vormarsch. Die Internationale Energie-agentur erwartet mittelfristig ein Plus von 30 Prozent gegenüber heute. Vor allem Asien hat zunehmenden Bedarf. Und auch wenn die Gasproduzenten in den USA das derzeit nicht groß publik machen wollen: Sie sehen die Absatzmärkte der Zukunft in Asien, nicht im langsam wachsenden Europa. Dem US-Energieminister liegen bereits mehr als 20 Anträge auf Exportgenehmigungen vor.

Um das Flüssiggasgeschäft zu beschleunigen, bauen US-Produzenten mittlerweile so gut wie unbenutzte Importterminals für den Export um. Die erste umgerüstete Anlage, Sabine Pass im Bundes-staat Louisiana, soll Ende nächsten Jahres ihren Be-trieb aufnehmen. Schon heute macht der Erdgaspreis klar, warum die Produzenten auf die Auslands-märkte drängen – und vor allem nach Asien: In den USA kostet Erdgas fünf Dollar pro eine Million British Thermal Units, das ist die gebräuchliche Ein-heit in dem Geschäft. In Europa ist der Preis doppelt so hoch, in Asien aber lässt sich wegen der hohen Nachfrage sogar das Dreifache herausschlagen.

Kein Wunder also, wenn Europa für die Expor-teure nicht an erster Stelle steht.

Zumal sich neuerdings auch noch Widerstand im eigenen Land regt. Eine Lobby von Industrie-konzernen fürchtet, dass Exporte die Preise in den USA bald wieder steigen lassen. Das aber würde wo-möglich das jüngste Wiedererstarken der heimischen Wirtschaft gefährden. So argumentiert beispiels-weise der Chemiekonzern Dow Chemical. Sogar der deutsche Siemens-Chef Joe Kaeser mahnte kürzlich bei einem Besuch in den USA, dass niedrige Energie-kosten ein wichtiger Standortfaktor für Amerika seien. Die Renaissance von »made in USA« war lange herbeigesehnt worden – keine Regierung würde es wohl riskieren, sie jetzt wieder zu gefährden.

Angesichts dieses Drucks aus dem eigenen Land und zahlungskräftiger Abnehmer in Asien ist es unwahrscheinlich, dass Washington den Verbünde-ten in Europa mit seinen Energieressourcen in gro-ßem Stil beistehen kann. Indirekt könnten die ame-rikanischen Konzerne allerdings den westlichen Regierungen aber ein Druckmittel liefern: Das russische Interesse am Fracking wächst – der staatli-che Ölkonzern Rosneft etwa arbeitet mit ExxonMo-bil zusammen. In der Nähe der westsibirischen Stadt Salym soll mit US-Technologie ein Erdölfeld er-schlossen werden. Moskau muss fürchten, dass west-liche Sanktionen auch solche Joint Ventures treffen, wenn die Situation weiter eskaliert.

Bei Öl und Erdgas gibt es eben keine Freunde. Sondern nur Kunden und Lieferanten.

US-Präsident Barack Obama: Wird er Export-beschränkungen aufheben?

Flüssiggastanker vor Boston: Ein Schiff wird kommen – nur nicht nach Europa

Unangenehm verflochtenKönnte die EU auf Russlands Energielieferungen verzichten?

Schwerpunkt: Energie-Importe in Zeiten der Krimkrise

EuropaMit ihren riesigen Öl- und Gasvorkommen könnten die USA die europäische Abhängigkeit von russischer Energie verringern. Doch die Hoffnung darauf ist wohl vergeblich VON HEIKE BUCHTER UND MICHAEL THUMANN

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 1232 WIRTSCHAFT

Das Ende der Bestechlichkeit?Ukraine, Venezuela, Türkei: Weltweit demonstrieren Menschen gegen Korruption. Es gibt Konzepte, wie sie besiegt werden kann VON PETRA PINZLER

Vergoldete Wasserhähne, antike Möbel, ein privater Golfplatz hinter dem Haus und eine Gara-ge voll schicker Sportwagen: Als die Ukrainer nach der Flucht des entmachteten Präsidenten Vik-tor Janukowitsch dessen Wohn-

sitz zum ersten Mal bestaunen durften, fanden sie ihren Aufstand im Nachhinein einmal mehr ge-rechtfertigt. Wer so schamlos im Luxus schwelgt, kann nicht sauber regiert haben. Der muss noch korrupter sein, als sich das selbst die wütendsten Demonstranten auf dem Maidan hätten vorstel-len können. Der gehört abgesetzt.

Zwar ist jede Revolution anders. Doch zumindest in einem Punkt gleichen sich derzeit die meisten: Egal ob in der Ukraine, in Venezuela, Ägypten oder der Türkei – immer demonstrieren die Bürger laut gegen die Bestechlichkeit ihrer Eliten. Dort, wo die Despo-ten stürzen und ihre Paläste gestürmt werden, be-stätigt sich der Vorwurf. Das war bei Janukowitsch so wie bei Muammar al-Gaddafi, beim ehemaligen tunesischen Machthaber Ben Ali wie beim Ägypter Hosni Mubarak. Und überall lautete deswegen auch der erste Vorsatz ihrer Nachfolger: Die Kor rup tion muss aufhören.

Doch geht das so einfach? Kann man Kor rup-tion schnell ausrotten und verhindern, dass die Nachfolger der korrupten Eliten den gleichen Versuchungen erliegen wie ihre Vorgänger? Gibt es allgemeingültige Rezepte gegen Kor rup tion?

»Ja«, sagt Peter Eigen bestimmt. »Am wichtigsten ist Transparenz.« Der ehemalige Manager der Welt-bank hat vor zwei Jahrzehnten die Or ga ni sa tion Transparency International (TI) gegründet. Heute kämpft sie in 112 Ländern mit nationalen Büros gegen Kor rup tion, veröffentlicht Studien und Ran-kings und berät Regierungen. Weltweit kann keine Or ga ni sa tion so viel Erfahrung mit bestechlichen Politikern, halbseidenen Regierungen und unsauber arbeitenden Unternehmen vorweisen. Und keine hat den Mentalitätswandel, den es im Zusammenhang mit Bestechung und Bestechlichkeit auf der ganzen Welt gab, genauer verfolgt.

Eigens Zuversicht gründet auf Erfahrungen wie jener mit Georgien. Ausgerechnet diese ehe-malige Sowjetrepublik, die nach dem Fall der Mauer eines der korruptesten Länder der Welt war, hat sich in nur einem Jahrzehnt in ein Vor-zeigeland verwandelt. Nach der Rosenrevolution 2003, in der das Volk die postkommunistische Re-gierung verjagt hat, lag Georgien noch am Ende der TI-Korruptionsliste, heute steht es bereits auf Platz 55. Damit hat es 100 andere Länder überholt und schneidet besser ab als Italien.

»Georgien zeigt, dass Kor rup tion kein Produkt einer traditionellen lokalen Kultur und damit also nicht mehr oder weniger unvermeidlich ist«, sagte Weltbankvize Phi lippe Le Houérou, als er Anfang des Jahres eine große Studie der Bank über das Land vorstellte – die auch gleich mit mehreren Vorurteilen aufräumte: Erstens beweist sie, dass die politische Kultur eines Landes veränderbar ist. Zweitens, dass auch ein armes Land sein politi-sches System von Bestechung säubern kann. Und drittens, dass Korruptionsbekämpfung keine Ge-heimwissenschaft ist: Noch vor zehn Jahren muss-ten die Georgier beispielsweise für fast jede staat-liche Leistung, vom Führerschein bis zum Stu-dien platz, Schmiergeld bezahlen. Durch eine ge-schickte Mischung aus »null Toleranz«, kluger Kontrolle, dem Rückbau der Bürokratie, neuen Leuten und viel öffentlicher Debatte schaffte die Regierung jedoch den Wandel.

Dass Regierungen sich dieses Problems anneh-men, ist relativ neu. »Noch vor 20 Jahren hat sich niemand für Korruptionsbekämpfung interes-siert«, erinnert sich Eigen von TI. Damals sei es »normal, notwendig, raffiniert, verdienstvoll« ge-wesen, wenn Siemens, MAN oder andere im Aus-land bestochen bestachen. Das tat man eben. In den meisten Industrieländern (auch in Deutsch-land) konnten die Unternehmen das Schmiergeld sogar von der Steuer absetzen. Die Bestechlichkeit mancher Regierung galt als eine Art natürliches Übel, über das man besser schwieg. Zu übermäch-tig erschienen zudem die Interessen derjenigen, die davon profitierten. Zu aussichtslos ist der Kampf.

Das ist längst anders, auch weil die Experten heute ganz gut erklären können, warum in man-chen Ländern mehr geschmiert wird als in ande-ren. So weiß man aus der »Ökonomie der Kor rup-tion«, dass sich staatliche Angestellte viel eher be-stechen lassen, wenn sie im Vergleich zum Rest der Bevölkerung sehr wenig verdienen. Dann nämlich steigt der Reiz, nebenbei Geld in die ei-gene Tasche zu stecken. Wer erwischt und gefeuert wird, verliert schließlich nicht viel. Bei einem gut bezahlten Job mit Pensionsanspruch muss die Be-stechungssumme schon ordentlich hoch sein, da-mit sich das Risiko lohnt.

Eine fatale Rolle spielen auch Rohstoffvorkom-men. Statt allen im Land Wohlstand zu bescheren, sorgt der Reichtum im Boden sehr oft für verhee-rende Armut der Bevölkerung und eine kleptokra-tische Elite. Venezuela etwa leidet genau unter diesem Problem. Das südamerikanische Land gilt als eines der korruptesten der Welt. Vier Fünftel seiner Einnahmen stammen aus dem Erdöl-verkauf, doch keine Regierung hat es bisher ver-standen, das leicht verdiente Geld fair und fried-lich zu verteilen. Der Grund dafür: Gold, Kupfer oder Ölvorhaben bringen auf dem Weltmarkt in der Regel viel mehr ein, als ihre Ausbeutung kos-tet. Regierungen können an den Lizenzen viel Geld ver-dienen, den Geldstrom leicht kontrollieren und dann ei-nen Teil abzweigen.

Doch nicht nur die Ana-lyse des Problems ist heute besser, tatsächlich ist die Weltgemeinschaft auch in der Bekämpfung der Kor-rup tion weiter. Kürzlich erst nannte Weltbankpräsident Jim Yong Kim die Kor rup-tion den »öffentlichen Feind Nummer eins« und verkün-dete, dass die Bank ihre Kunden beim Kampf gegen sie massiv unterstützen wer-de. Die Vereinten Nationen haben eine Konvention ge-gen Kor rup tion verabschie-det, die G-20-Staaten einen Aktionsplan, und viele Län-der verschärfen ihre nationa-len Gesetze stetig. Auch das deutsche Parlament will in diesen Wochen als eines der letzten der Welt beschließen, Abgeordnetenbestechung unter Strafe zu stellen.

Zudem hat sich inzwischen ein buntes, interna-tionales Netzwerk aus Staatsanwaltschaften, Bürger-rechtsgruppen und Medien entwickelt, das Schwarz-geld und seine Besitzer auch im Ausland aufspürt: So hat die Weltbank die Inter national Corruption Hunters Alliance ins Leben gerufen, die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) verfolgt die Geldströme zwischen Rohstoffkonzernen und Re-gierungen, und Global Witness bringt immer wieder Schmiergeldskandale ans Licht. Bestechungsgelder sicher zu parken, um sie dann später als pensionierter Ex-Despot fröhlich in den schönen Gegenden der Welt auszugeben, wird damit immer schwieriger.

In der Ukraine war die Folge gut zu beobachten: Zwar konnte Janukowitsch vergleichsweise problem-los Milliarden an Euro hinterziehen und sie auch in der Schweiz und in Liechtenstein unterbringen. Doch kaum war er sein Amt los, spürten private Initiativen den Geldströmen nach – und europäische Regierun-gen sperrten seine Auslandskonten.

Dabei ist der Ukrainer längst nicht der einzige Ex-Despot, dem so etwas passiert. Erst kürzlich un-tersuchte die französische Staatsanwaltschaft, wie sauber die 160 Millionen Euro sind, mit denen der Onkel von Syriens Diktator Baschar al-Assad in Frankreich Häuser und Grundstücke gekauft hat. Ähnliche Untersuchungen gab es gegen Familien-angehörige von Ministern aus Gabun, Äquatorial-guinea, dem Kongo, Ägypten, Tunesien und Libyen.

In den entwickelten Staaten der Erde setzt sich derweil die Erkenntnis durch, dass derlei Gebaren in Politik und Wirtschaft auch bei ihnen ein Pro-blem ist. »Seit auch die reichen Länder von Steuer-betrug und Geldwäsche betroffen sind, ändert

sich auch hierzulande die Einstellung grundsätz-lich«, freut sich Peter Eigen – und hofft nun da-rauf, dass Deutschland das Thema während seiner G-8-Präsidentschaft weiter vorantreiben wird.

Tatsächlich bekämpfen lässt sich Kor rup tion nach einem Regimewechsel aber nur, wenn die Regierung und die Gesellschaft des betroffenen Landes mitziehen. Die Ukraine zeigt das exempla-risch. Schon einmal ist dort der Versuch, zu einem Land mit durchsetzbaren Rechtsstandards nach westlichem Vorbild zu werden, gescheitert. 2004, während der Orangenen Re vo lu tion, träumten viele Bürger davon, dass eine neue Regierung Be-stechlichkeit und Vetternwirtschaft mutig be-kämpfe. Doch die Regierung unter Julija Timo-schenko versagte. Sie unterschätzte das Ausmaß des Problems, es gab Dringlicheres. Und schließ-lich war der richtige Zeitpunkt verpasst.

»Das darf sich nicht wiederholen«, warnt Olek-sii Khmara, der ukrainische Chef von Transparen-cy International (TI), und bietet Hilfe an, wo im-mer nötig. Tatsächlich braucht die Ukraine solche Hilfe dringend. Das Justizsystem gilt als korrupt und parteilich, die Bürokratie funktioniert kaum, mischt sich aber zugleich in viele Lebensbereiche ein – also kommen Bürger oft nur mit Schmiergeld

weiter. Und im politischen System mangelt es an Trans-parenz – selbst in den Par-teien, die auf dem Maidan mitdemonstriert haben und jetzt die neue Regierung stel-len. Er sei »schwer beunru-higt«, mahnte Khmara gleich nach der Regierungsbildung in einem offenen Brief: We-der hätten die neuen Regie-rungsmitglieder mögliche In-teressenkonflikte offengelegt, noch griffen sie bei der Korruptionsbekämpfung auf internationale Erfahrungen zurück, noch gingen sie das Thema wirklich beherzt an.

Doch auch diesmal hat die neue Regierung in Kiew nach dem Umsturz drängen-de Probleme: Die Ag gres sion der Russen und deren dro-hende An ne xion der Krim

machen jedes andere Projekt zweitrangig – und be-drohen damit wiederum den Erfolg der friedlichen Re vo lu tion. Denn auch das zeigt die Erfahrung vieler anderer Länder: Kor rup tion lässt sich vor allem mit schnellen und beherzten Reformen be-kämpfen. Wenn die Spitzen von Politik und Justiz das Ganze aktiv unterstützen, indem sie die richti-gen Institutionen und Gesetze schaffen. Und wenn sie auf ein paar internationale Erfahrungen zu-rückgreifen. Im ukrainischen Fall hieße das bei-spielsweise: Statt wie geplant in jedem Mi nis te-rium einen eigenen Korruptionsbeauftragten zu installieren, der im Zweifel auf seinen Chef hören muss, sollte eine unabhängige Behörde entstehen, die frei ermitteln kann.

Das alles wäre möglich, wenn die Regierung es denn will.

Und wenn Russland sie lässt.

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Korruption weltweit

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13. MÄRZ 2014 DIE ZEIT No 12 WIRTSCHAFT 33

Arabischer Frühling. Er mag den Begriff nicht besonders. Wenn er ihn benutzt, dann setzt er das Wort »sogenann-ter« davor. »Man könnte«, sagt Majid Jafar, »jetzt genau-so gut vom ›Arabischen Win-

ter‹ oder vom ›Arabischen Feuersturm‹ reden.« Dem lässt sich momentan schlecht widerspre-

chen. In Ägypten ist der Polizeistaat zurückgekehrt, Libyens Regierung hat nur eingeschränkte Kon-trolle über das eigene Territorium, in Syrien herrscht seit drei Jahren ein verheerender Krieg, der auch den Libanon und Jordanien gefährdet. Wirtschaft-lich liegen alle Länder am Boden. »Die Folgen des Arabischen Frühlings haben die Ursachen ver-schlimmert«, sagt Jafar und meint die weltweit höchste Jugendarbeitslosigkeit. Millionen junger Araber haben die Perspektive auf ein Leben ohne anständigen Job und Würde.

Nicht dass man hier im 20. Stockwerk des Crescent Tower davon etwas merken würde. Die Fenster front von Jafars Büro gibt den Blick frei auf die Skyline von Schardscha, eines der sieben Emi-rate der Vereinigten Arabischen Emirate. In der Sonne glitzert ein künstlicher See, asiatische Gast-arbeiter halten nach den Regeln der Mülltrennung den dazugehörigen Park pieksauber.

Ob sich Ägyptens Wachstumsrate der Null nä-hert oder Jordaniens Regierung Geld für Brotsub-ventionen fehlt, muss einen Sohn aus reichem Hause am Golf nicht unbedingt beschäftigen. Es sei denn, er leitet eine große Ölfirma im Mittleren Osten, verfügt über reichlich Sendungs- und Selbst-bewusstsein und hat längst begrif-fen, dass politischer Aufruhr und Instabilität sich nicht an nationale Grenzen halten. »Entweder rasen wir weiter von einem politischen Brandherd zum nächsten und ris-kieren ein endloses Desaster«, sagt er, »oder wir gehen endlich auch die Ursachen an, vor allem die Ju-gendarbeitslosigkeit.« Und zwar, so Jafars Idee, mit einem gigantischen Programm. Einem, das in den kommenden fünf Jahren mehr als zehn Millionen Jobs schaffen soll. Durchaus mit dem Know-how in-ternationaler Institutionen, aber arabisch finanziert, arabisch im-plementiert. Die Inspiration aller-dings kommt aus dem Westen.

Majid Jafar, CEO des Öl- und Gasunterneh-mens Crescent Petroleum, will einen zweiten Mar-shallplan anschieben. Ärmere Staaten im Nahen und Mittleren Osten sollen mit Dollarinvestitionen in Milliardenhöhe aus den reichen Ölländern am Golf (wieder)aufgebaut werden. Die Geber: Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und die Vereinigten Ara-bischen Emirate. Die Empfänger: vor allem Ägyp-ten, Jemen, Jordanien, Marokko, Tunesien. Als zentrale Schaltstelle soll ein Multiinvestor Trust Fund fungieren, der sich in den jeweiligen Ländern mit nationalen Projektteams abstimmt.

Der Mittlere Osten soll nun durch Kapital geeint werden

Ein arabischer Marshallplan – das ist eine überfäl-lige Idee. Und klingt doch wie eine Utopie. Wahr-scheinlich hat Jafar recht: Die Zukunft im Mittleren Osten entscheidet sich nicht zwischen sunnitischer oder schiitischer Vorherrschaft, sondern zwischen dem herrschenden Modell einer Zwei-Klassen-Re-gion mit Petrodollar-Dekadenz und Prekariat und einem neuen – welch großes Wort – panarabischen Projekt. Vor fünfzig Jahren, als so mancher von einer vereinten arabischen Nation träumte, standen Sprache, Kultur und die Feindschaft gegen Israel im Vordergrund. Nun soll das Kapital der einigen-de Faktor sein.

Der Mann, der Geschichte schreiben will, ist 37 Jahre alt und könnte mit seinem jungenhaften

Gesicht, seiner Körperlänge und seinem amerika-nischen Englisch auch als College-Basketballer durchgehen. Jafar hat seinen »Arab Stabilization Plan« im September 2011 vorgestellt, seither refe-riert er ihn auf internationalen Kongressen, Re-gierungskonferenzen, in westlichen und arabischen Medien. Das Vorbild zu seiner Idee hat er genau studiert: »Zwölf Milliarden Dollar haben die USA nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa in-vestiert, um die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern. Das entsprach fünf Prozent des ame-rikanischen Bruttosozialprodukts. Davon haben am Ende nicht nur die Westeuropäer profitiert, sondern es hat auch der amerikanischen Wirtschaft genutzt, weil so neue Absatzmärkte entstanden.«

Er sieht Parallelen zur arabischen Welt von heute: Die Golfstaaten hätten reichlich Kapital, jedoch nur einen beschränkten Markt. Es gelte, einen neuen Gegner abzuwehren: »die chronische Instabilität«, das Resultat aus ökonomischer Dauer-krise, schlechtem Regieren und wachsendem Spiel-raum für religiösen Extremismus.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit rund 26 Pro-zent doppelt so hoch wie der weltweite Durch-schnitt, in manchen Gegenden Ägyptens und Tu-nesiens haben über die Hälfte der 15- bis 24-Jäh-rigen keinen Job. Jafar weiß, dass man europäische Reporter angesichts der Zustände in Spanien oder Griechenland damit nicht mehr schocken kann. »Aber in Europa ist das ein akutes, neues Problem. Im Mittleren Osten ist es chronisch. Außerdem schrumpft die Bevölkerung in Europa, hier wächst sie.« Und zwar schnell. In der Region des Mittleren Ostens und Nordafrika leben heute rund 350 Mil-

lionen Menschen, 2025 werden es 500 Millionen sein. Über drei Viertel werden dann in Städten leben, deren Infrastruktur schon jetzt desaströs ist.

All das kann man als Zahlen-gerüst für eine Katastrophe sehen oder – wie Jafar – als Chance: Mit 30 Milliarden Dollar, investiert in große Infrastrukturprojekte, könne man in den nächsten fünf bis sie-ben Jahren bis zu fünf Millionen Jobs schaffen. 30 Milliarden Dollar – das ist weniger als der deutsche Verteidigungshaushalt für 2013. »Es ginge«, sagt Jafar, »natürlich auch größer. Mit hundert Milliar-den Dollar für den Bau von Auto-

bahnen und Häfen, für Hightech-Kommunikation und eine bessere Energie- und Wasserversorgung lassen sich bis zu 15 Millionen Jobs schaffen.«

Vorausgesetzt, man steckt das Geld nicht in das Budget der betreffenden Staaten. Dann, so Jafar, versickere es in einem aufgeblähten öffentlichen Sektor und in Subventionen. Man müsse es, koor-diniert mit der jeweiligen Regierung, in privatwirt-schaftliche Projekte oder öffentlich-private Part-nerschaften investieren. Den Stabilisierungsplan habe er sich aber nicht für sein Unternehmen aus-gedacht, dem es gut gehe: Die Firma hat Öl- und Gaskonzessionen unter anderem in Kanada, Pakis-tan und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zu-sammen mit der Schwesterfirma Dana Gas hat sie seit 2007 mehrere Hundert Millionen Dollar in die Öl- und Erdgasförderung im Nordirak investiert und dieser Region eine zuverlässige Stromversor-gung verschafft. Inzwischen bauen zwei weitere Firmen der Crescent-Gruppe Kraftwerke im Zentral irak. Man darf Jafar also glauben, dass er auch ohne einen arabischen Marshallplan gut über die Runden kommt. Ohne die Geschichte seiner eigenen Familie allerdings würde seine Initiative wohl kaum so viel Widerhall finden.

Die Jafars sind säkulare Schiiten aus dem Irak. Der Großvater war Minister für Entwicklung in den letzten Jahren der irakischen Monarchie. Da-mals, sagt Majid Jafar, habe es einen staatlichen Fonds gegeben, in dem ein großer Teil der Erdöl-einnahmen für den Aufbau einer Infrastruktur zu-rückgelegt worden seien. Als das Militär 1958 nach

einem Putsch die Macht übernahm, emigrierte der Großvater nach Schardscha, wo sein Sohn Hamid 1971 Crescent Petroleum gründete. Der Irak hatte da längst auf Planwirtschaft umgestellt, die Öleinnahmen flossen vor allem in Armee und Sicherheitsapparat. Wie das endete, sagt Majid Jafar, wisse man ja.

Das ist allerdings eine sehr verkürzte Version der Familiengeschichte im Irak. Vater Hamid und Cres-cent Petroleum waren in den achtziger Jahren nicht nur in den Golfstaaten, sondern auch mit Saddam Husseins Ölministerium gut im Geschäft (wie zahl-reiche westliche Firmen). Hamid Jafars Bruder, ein in Großbritannien ausgebildeter Nuklearphysiker, lebte zu diesem Zeitpunkt wieder in Bagdad – als Leiter des irakischen Atomprogramms.

Können globale Unternehmer globale Probleme besser lösen als Politiker?

Diesen Abschnitt der Unternehmenssaga haben Cres-cent Petroleum und die Jafars ohne größere Probleme abgeschüttelt. Das Image des Familienkonzerns prägen heute Hamids Söhne Majid und der drei Jahre jünge-re Badr, CEO von Crescent Enterprises, der Firmen-gruppe mit Unternehmen in der Bau- und Immobi-lienbranche, der Luftfahrt, den Medien und im Pri-

vate-Equity-Sektor. Beide Söhne gelten als brillante Überflieger, sind Absolventen amerikanischer und britischer Elite-Schulen und Dauergäste beim Welt-wirtschaftsforum in Davos. Im religiös erzkonservati-ven Schardschar sind sie ebenso zu Hause wie in der Londoner Finanzmetropole oder in der internationa-len Film- und Musikszene. Und beide machen gern deutlich, dass global agierende Unternehmer globale Probleme im Zweifel besser lösen können als Politiker.

Noch besteht Majid Jafars Arab Stabilization Plan allerdings nur auf einem Strategiepapier. Das enthält eine Art Grundsatzerklärung, basierend auf fünf Prinzipien: Nichteinmischung in die Souveränität der Geber- und Nehmerstaaten, Verbesserung des natio-nalen Investitionsklimas, sozialer Fortschritt, regiona-le Integration, Transparenz. Diese Prinzipien sind das Ergebnis von Gesprächen mit arabischen Regierungen. Welche, will er noch nicht sagen.

Das Streitpotenzial ist groß. Ohne Einmischung in die Angelegenheiten eines Empfängerstaates wie Ägypten, in dem die Armee an Großprojekten aller Art kräftig mitverdient, wird sich das Prinzip der Trans-parenz kaum verwirklichen lassen. Und so manches Geber- wie Empfängerland wird sich Majid Jafars erklärtes Ziel verbitten, gezielt Frauen in die Arbeits-welt zu integrieren. Jafar vertraut auf die Einsicht und

Durchsetzungsfähigkeit »privater und progressiver Unternehmen«. Die arabische Welt hinke in Sachen Frauenförderung nun einmal hinterher. Die Frauen-förderung ist für Jafar kein feministisches Anliegen, sondern eine riesige ökonomische und soziale Heraus-forderung: »Wir bekommen sonst unsere demogra-fische Entwicklung nicht in den Griff. Und wir können es uns nicht leisten, das Potenzial der Hälfte der Be-völkerung brach liegen zu lassen.«

Aus seinem Strategiepapier und seinem kleinen Büro samt prominenter arabischer wie westlicher Berater aus UN, Universitäten und Privatwirtschaft will er als Nächstes einen Thinktank formen. Das klingt wie ein kleiner Sprung nach großem Anlauf. Doch in den arabischen Ländern gibt es noch zu we-nige solcher Foren, auf denen große politische und ökonomische Perspektiven abseits der immer drama-tischeren Tagespolitik entwickelt werden können. Die wird derzeit vor allem vom Krieg in Syrien dominiert, in dem sich einige von Jafars potenziellen Geberlän-dern als Waffenlieferanten profilieren. »Aber wenn wir auf den Tag der endgültigen politischen Stabilität warten, kommen wir nie weiter. Stellen Sie sich vor, die USA hätten nach 1945 zu den Deutschen gesagt: Etabliert erst einmal eine stabile Demokratie und ein Wahlsystem, bevor wir euch helfen.«

Majid Jafar, CEO des Öl-und Gasunternehmens Crescent Petroleum, will reiche Länder wie Saudi-Arabien verpflichten, ar-men wie Ägypten und Marokko zu geben

Nirgendwo sind so viele Jugendliche arbeitslos wie in arabischen Ländern: Junge Männer in der jemenitischen Hafenstadt Aden

Ein Marshallplan für die arabische WeltWie ein mächtiger Ölmanager die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen und Frauen in die Arbeitswelt integrieren will VON ANDREA BÖHM

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