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In Stein gemeißelt: Fritz Lamp (1897-1920). Auf dem rückwärtigen Grundstück des Gymnasi- ums Schloss Plön, eines in seinem Kern ty- pisch wilhelminischen Schulgebäudes des aus- gehenden 19. Jahrhunderts, das im Mai 1899 eingeweiht wurde, 1 finden sich bis heute eine ganze Reihe historischer Gedenksteine und zu- gehöriger Baumsetzungen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr- hunderts. So wurde 1913 mit einem Stein und einem Eichensetzling an das 100. Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig erinnert, wobei die Fürstin von Bismarck 1913 nach Ausweis des Plöner Schulpro- gramms persönlich einen Setzling aus dem Sachsenwald beisteuer- te. 2 Im Jahre 1915 wurde wie auch andernorts der 100. Geburtstag Bismarcks entsprechend gewürdigt. Auch an ihn erinnern ein Ge- denkstein und eine heute mächtige Eiche. Schließlich errichtete man 1920 auf dem Schulgrundstück ein ursprünglich durch zwei Eichen gerahmtes und zusätzlich durch Rhododendren begrüntes Monu- ment für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Lehrer und Schüler der Anstalt, die hier namentlich aufgeführt sind („Es starben den Hel- dentod im grossen Kriege /1914-1918“). 3 Dieses Monument ist mit markigen lateinischen Inschriften antiker Dichter ausgestattet: Der horazschen Eröffnungszeile oben auf der Vorderseite „dulce et de- corum est pro patria mori“ (Quintus Horatius Flaccus, Oden III, 2, 13; dt. „Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben“) steht unterhalb der alphabetisch gelisteten Namen auf der Rückseite das düstere Vergilzitat „exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor“ gegenü- ber (Publius Vergilius Maro, Aeneis, IV, 625; dt. „Es erstehe dereinst aus unseren Knochen ein Rächer“). An den seinem Charakter nach monumentalen Gedenkstein lehnt sich – beinahe schon verschämt, auf jeden Fall aber sehr viel dezenter – ein bedeutend kleinerer Stein für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges an, der folgende In- schrift trägt: „Unseren ehemaligen Schulkameraden / den Gefalle- nen und Vermißten / des 2. Weltkriegs zum Gedenken“. Auf eine na- mentliche Nennung der Gefallenen musste hier wohl schon wegen deren großer Zahl verzichtet werden. Zweifellos wäre zu dem ge- meinsamen und doch so unterschiedlichen Erinnern an die unter so ungleichen Vorzeichen Gefallenen eine Menge zu sagen, jedoch soll es im vorliegenden Zusammenhang um einen der auf dem Gedenk- stein für den Ersten Weltkrieg namentlich aufgeführten Anstaltsan- gehörigen gehen. Diese sind – fein säuberlich getrennt nach Lehrern („Oberlehrer Theodor Winkler/Studienreferendar Friedrich Voll- behr“) und Schülern („Werner Andresen … Johannes Zufall/Adolf Billig/Fritz Lamp/Gustav v. Löbbecke“) – vorder- und rückseitig in alphabetischer Folge aufgeführt, wobei am Ende zwei Namen aus dieser alphabetischen Reihe herausfallen. Einer der hier zum Schluss Genannten ist Fritz Lamp, der im Folgenden in den Fokus der Betrachtung gerückt werden soll. Wer sich näher für den Fall dieser offensichtlich erst nachträg- lich zur Liste der Gefallenen hinzugefügten Personen interessiert, 1 Vgl. 300 Jahre Gymnasium in Plön. 1704-2004 Festschrift, hrsg. von Alfred Heggen, Neumünster 2004, u.100 Jahre Plöner Gymnasium in der Prinzenstraße, Plön/Wankendorf 1999. 2 Vgl. Jahresbericht des Kaiserin Auguste- Victoria-Gymnasiums zu Plön, Ostern 1914, S. 10. 3 Vgl. zur Erinnerung an den Ersten Welt- krieg speziell im Umfeld des Plöner Gym- nasiums Karsten Dölger: Das Kaiserin-Au- guste-Victoria-Gymnasium in Plön und der Erste Weltkrieg, in: Jb. Plön 44 (2014), im Druck. Detlev Kraack „Für unseren Fritz” 121 Detlev Kraack: „Für unseren Fritz“ Tagebuchaufzeichnungen der Plöner Pastorengattin Christine Lamp für ihren in russischer Kriegsgefangenschaft befindli- chen Sohn (1914-1919) Kiel

In Stein gemeißelt: Fritz Lamp (1897-1920). „Für unseren ...€¦ · Wer sich näher für den Fall dieser offensichtlich erst nachträg-lich zur Liste der Gefallenen hinzugefügten

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Page 1: In Stein gemeißelt: Fritz Lamp (1897-1920). „Für unseren ...€¦ · Wer sich näher für den Fall dieser offensichtlich erst nachträg-lich zur Liste der Gefallenen hinzugefügten

In Stein gemeißelt: Fritz Lamp (1897-1920). Aufdem rückwärtigen Grundstück des Gymnasi-ums Schloss Plön, eines in seinem Kern ty-pisch wilhelminischen Schulgebäudes des aus-gehenden 19. Jahrhunderts, das im Mai 1899eingeweiht wurde,1 finden sich bis heute eineganze Reihe historischer Gedenksteine und zu-

gehöriger Baumsetzungen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr-hunderts. So wurde 1913 mit einem Stein und einem Eichensetzlingan das 100. Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig erinnert, wobeidie Fürstin von Bismarck 1913 nach Ausweis des Plöner Schulpro-gramms persönlich einen Setzling aus dem Sachsenwald beisteuer-te.2 Im Jahre 1915 wurde wie auch andernorts der 100. GeburtstagBismarcks entsprechend gewürdigt. Auch an ihn erinnern ein Ge-denkstein und eine heute mächtige Eiche. Schließlich errichtete man1920 auf dem Schulgrundstück ein ursprünglich durch zwei Eichengerahmtes und zusätzlich durch Rhododendren begrüntes Monu-ment für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Lehrer und Schüler derAnstalt, die hier namentlich aufgeführt sind („Es starben den Hel-dentod im grossen Kriege /1914-1918“).3 Dieses Monument ist mitmarkigen lateinischen Inschriften antiker Dichter ausgestattet: Derhorazschen Eröffnungszeile oben auf der Vorderseite „dulce et de-corum est pro patria mori“ (Quintus Horatius Flaccus, Oden III, 2,13; dt. „Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben“) stehtunterhalb der alphabetisch gelisteten Namen auf der Rückseite dasdüstere Vergilzitat „exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor“ gegenü-ber (Publius Vergilius Maro, Aeneis, IV, 625; dt. „Es erstehe dereinstaus unseren Knochen ein Rächer“). An den seinem Charakter nachmonumentalen Gedenkstein lehnt sich – beinahe schon verschämt,auf jeden Fall aber sehr viel dezenter – ein bedeutend kleinerer Steinfür die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges an, der folgende In-schrift trägt: „Unseren ehemaligen Schulkameraden / den Gefalle-nen und Vermißten / des 2. Weltkriegs zum Gedenken“. Auf eine na-mentliche Nennung der Gefallenen musste hier wohl schon wegenderen großer Zahl verzichtet werden. Zweifellos wäre zu dem ge-meinsamen und doch so unterschiedlichen Erinnern an die unter soungleichen Vorzeichen Gefallenen eine Menge zu sagen, jedoch solles im vorliegenden Zusammenhang um einen der auf dem Gedenk-stein für den Ersten Weltkrieg namentlich aufgeführten Anstaltsan-gehörigen gehen. Diese sind – fein säuberlich getrennt nach Lehrern(„Oberlehrer Theodor Winkler/Studienreferendar Friedrich Voll-behr“) und Schülern („Werner Andresen … Johannes Zufall/AdolfBillig/Fritz Lamp/Gustav v. Löbbecke“) – vorder- und rückseitig inalphabetischer Folge aufgeführt, wobei am Ende zwei Namen ausdieser alphabetischen Reihe herausfallen. Einer der hier zumSchluss Genannten ist Fritz Lamp, der im Folgenden in den Fokusder Betrachtung gerückt werden soll.

Wer sich näher für den Fall dieser offensichtlich erst nachträg-lich zur Liste der Gefallenen hinzugefügten Personen interessiert,

1 Vgl. 300 Jahre Gymnasium in Plön.1704-2004 Festschrift, hrsg. von AlfredHeggen, Neumünster 2004, u.100 JahrePlöner Gymnasium in der Prinzenstraße,Plön/Wankendorf 1999.2 Vgl. Jahresbericht des Kaiserin Auguste-Victoria-Gymnasiums zu Plön, Ostern1914, S. 10.3 Vgl. zur Erinnerung an den Ersten Welt-krieg speziell im Umfeld des Plöner Gym-nasiums Karsten Dölger: Das Kaiserin-Au-guste-Victoria-Gymnasium in Plön und derErste Weltkrieg, in: Jb. Plön 44 (2014),im Druck.

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Detlev Kraack:„Für unseren Fritz“

Tagebuchaufzeichnungen derPlöner Pastorengattin ChristineLamp für ihren in russischerKriegsgefangenschaft befindli-chen Sohn (1914-1919)

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Gedenkstein auf dem rückwärtigen Grund-stück des Plöner Gymnasiums (Fotografie: D. Kraack 2013)

Rückseite des Gedenksteins, unten mitdem Namen Fritz Lamps (Fotografie: D. Kraack 2013)

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wird für Fritz Lamp beim Blick ins Plöner Wochenblatt von AnfangDezember 1920 fündig, wo sich nähere Angaben zu dessen Lebens-schicksal finden.4 Dagegen fehlt ein entsprechender Hinweis im Zu-sammenhang der Familiengrablege der Plöner PastorenfamilieLamp auf dem historischen Plöner Friedhof in der Eutiner Straße.Hier sind neben Pastor Friedrich Lamp (1863-1945), der den Plö-nern als „Fiete-Paster“ in lebhafter Erinnerung geblieben ist,5 unddessen Gattin Christine (1874-1963) auch deren jüngerer Sohn Hans(1900-1988) und einige angeheiratete Familienangehörige zur letz-ten Ruhe gebettet. Einen Hinweis auf den 1920 aus dem Leben ge-schiedenen Fritz Lamp sucht man hier indes vergebens.

Damit ließe sich der an sich kaum anders denn als tragisch zu be-zeichnende Tod eines jungen Menschen fern der Heimat als einerunter Tausenden, ja Abertausenden ad acta legen. Doch gibt es An-lass, gerade diesen Fall noch weiter zu verfolgen, da sich im Zusam-menhang mit dem Kriegsgefangenenschicksal Fritz Lamps ein inseiner Art einzigartiges Quellenzeugnis erhalten hat, das zudemauch noch auf sehr ungewöhnliche Art und Weise den Weg ins Hierund Heute gefunden hat.

Die Tagebuchaufzeichnungen der Christine Lamp: Überlieferung und Charakter.In den Beständen des Kreisarchivs Plön ist die Kopie eines 57 dichtbeschriebene Seiten umfassenden Typoskripts überliefert, das aufteils sehr persönliche und bisweilen ungemein beklemmende WeiseEinblicke in ganz unterschiedliche Alltagswelten des Ersten Welt-

Todesanzeige für Fritz Lamp aus demPlöner Wochenblatt vom 2. Dezember1920 (Kreisarchiv Plön)

4 Vgl. Plöner Wochenblatt, 98. Jg., Nr.283, Donnerstag, d. 2. Dezember 1920:„Heimkehrende Kameraden brachten unsdie / traurige Kunde, daß unser lieberSohn / Fritz Lamp / Kriegsfreiwilliger imInf.-Reg. 71, 11. Komp., / in Sibirien Ja-nuar 1920 an Typhus gestorben / ist. Erhatte auf die Heimreise mit seinen /Freunden verzichtet, um seine von derKrankheit / befallenen Kameraden undDorfgenossen zu pflegen. / Plön, im Ad-vent 1920. / Pastor Friedrich Lamp und /Frau Christine geb. Westphal. / Wir sindherzlicher Teilnahme gewiß und bitten /daher, von jeglicher Beileidsbezeugung ab-zusehen.“ – Eine Kopie der Traueranzeigeaus der Plöner Zeitung ist ebenso Teil desim Plöner Kreisarchiv überlieferten Konvo-lutes wie eine Benachrichtigung des Zen-tralnachweisamtes für Kriegerverluste undKriegsgräber (Berlin-Spandau, den 19. Mai1922), in der der Tod des Musketiers Frie-drich Adolf Heinrich Lamp im Januar 1920in russischer Kriegsgefangenschaft im Dor-fe Kiselowo bei Kainsk noch einmal amt-lich bestätigt wird.5 Vgl. zu ihm Eckart Ehlers: Auf den Spu-ren von „Fiete-Paster“, in: Jb. Plön 9(1979), S. 112-141.

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kriegs gewährt.6 Es gehört zu einem Konvolut mit historischen Do-kumenten, in denen sich das gleichsam tragische Schicksal des Plö-ner Pastorensohnes Fritz Lamp (7. Oktober 1897–Januar 1920) wi-derspiegelt. Dieser war zu Beginn des Ersten Weltkrieges alsKriegsfreiwilliger mit 17 Jahren in das Infanterie-Regiment 71 imdamals noch holsteinischen Altona eingetreten und kurz nachKriegsausbruch auf dem Vormarsch der deutschen Truppen bei Ja-nowice an der Ostfront in russische Kriegsgefangenschaft geraten.Jenseits des Ural war er in den folgenden Jahren bei Kansk in derRegion von Krasnojarsk und zeitweise sogar im transbaikalischenGefangenenlager Tschita interniert. Während seiner Haft war er vor-wiegend in der Landwirtschaft tätig, versuchte dem eintönigen La-geralltag darüber hinaus durch Sport sowie durch intellektuelles undkreatives Schaffen zu entkommen. Nahezu während der gesamtenZeit seiner Internierung stand er in regelmäßigem Briefaustauschmit Freunden und Verwandten in der Heimat und bekam von dortPakete und Geldsendungen übermittelt.

Die vorliegenden Aufzeichnungen, die unter anderem auch dieKontakte zwischen dem Internierungslager und der Plöner Heimatdokumentieren und den Inhalt der von Fritz übermittelten Briefe re-flektieren, sollten ihm dabei helfen, den Wiedereinstieg in den hei-matlichen Alltag nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaftzu bewältigen. So heißt es im Anschluss an die Hauptüberschrift desTyposkripts („Für unseren Fritz“) programmatisch: „damit er, wenner zurückkommt, weiß, was inzwischen zuhause geschehen ist“.Tragischerweise verstarb Fritz Lamp, der über das Kriegsende hin-aus zunächst noch in Russland geblieben war, um erkrankte Kame-raden zu pflegen, jedoch lange nach Kriegsende an Typhus undkehrte von Russland niemals nach Plön zurück.

Neben den sehr sparsamen Hinweisen auf die handschriftlicheVorlage, die sich auf der ersten Seite des vorliegenden Typoskriptsfinden und denen im Folgenden noch weitere Beachtung geschenktwerden wird, vermittelt ein dem Konvolut beiliegendes Schreibendes Plöner Kegelclubs „Scharfe Kante“ aus dem Jahre 1995, das vonden beiden „Kegelbrüdern“ Ulrich Hein und Manfred Groeneveldunterzeichnet ist, zumindest einige Anhaltspunkte zur Entstehungs-geschichte dieser in ihrer Art einzigartigen Überlieferung.

Das Schreiben ist an Frau Dr. Irmtraut Engling (1914-2008), dieFrau des „Kegelbruders“ Herbert Engling (1918-2006) und lang-jährige Vorsitzende der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft imKreis Plön, gerichtet7 und trägt ihr als ebenso erfahrener wie hoch-geehrter und unmittelbar zuvor mit der Plöner Bürgermeister-Kin-der-Medaille ausgezeichneten Lokalhistorikerin die Lektüre der bei-liegenden Quellenzeugnisse an. Zur Weitervermittlung dieser Doku-mente heißt es, dass dazu im Vorfeld eine Einverständniserklärungvon Antje-Maria Lamp (geb. 1935), einer Enkelin von Christine undTochter von Hans Lamp, eingeholt worden sei, die an dem Vorhabensogar ausdrücklich Gefallen gefunden habe und es unterstütze.

Bild rechts:Schreiben der „Kegelbrüder“ Ulrich Heinund Manfred Groeneveld an Frau Dr. Irm-traut Engling vom 11. Januar 1995 (Kreisarchiv Plön)

6 Nach den handschriftlich hinzugefügtenSeitenzahlen dieses Typoskripts wird imFolgenden zitiert; eine kommentierte,durch Personen-, Orts- und Sachregister er-schlossene Edition der Tagebuchaufzeich-nungen der Pastorengattin Christine Lampdurch den Verf. des vorliegenden Beitragesist in Vorbereitung.7 Vgl. zu den beiden die biographischenWürdigungen von Reinhold Wien u. vonSilke Hunzinger in: Jb. Plön 36 (2006),S. 5-7 (Herbert Engling), u. 38 (2008),S. 5-7 (Irmtraut Engling) sowie Dieter Loh-meier, Irmtraut Engling zum 90. Geburts-tag. Mit einem Verzeichnis ihrer Veröffent-lichungen, in: Jb. Plön 34 (2004), S. 5-8.

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Familiäres und lebensweltliches Umfeld. Im Zentrum der vorliegendenÜberlieferung stehen von der Plöner Pastorengattin Christine Lamp(geb. Westphal, 7.2.1874–22.1.1963) abgefasste Tagebuchnotizender Jahre 1914-1919. Diese Notizen hat die Verfasserin der von ihrselbst beigegebenen Überschrift nach zu urteilen für ihren im Au-gust 1914 zunächst als Freiwilliger in den Krieg gezogenen unddann schon recht bald in russische Kriegsgefangenschaft geratenenSohn Fritz (eigentlich Friedrich Adolf Heinrich) Lamp angefertigt.Wie bereits angedeutet sollten ihm die Aufzeichnungen den Wieder-einstieg in den Alltag nach dem Kriege erleichtern, ihn mithin überall das informieren, was sich während seiner Abwesenheit in derHeimat zugetragen hatte. Auf diese Weise werden dem heutigen Le-ser zum Teil sehr tiefe, ungemein persönliche Einblicke in ganz un-terschiedliche Aspekte der damaligen Alltagswirklichkeit gewährt,wobei der heutige Leser wohlgemerkt nicht der eigentliche Adressatder Aufzeichnungen ist. Ausführlich wird das Schicksal der weitver-zweigten Familie der Verfasserin und des Adressaten beleuchtet. EinFokus liegt dabei neben Plön und Kiel auf der im Raum um BadSchwartau und Lübeck beheimateten Familie Westphal, aus der diePastorengattin stammte.

In der zum Teil sehr dichten und eingehenden Schilderung desAlltags stehen Freud und Leid bisweilen nahe beieinander. Vor demHintergrund einer sich während der Kriegsjahre zunehmend ver-schärfenden Versorgungslage werden freudige Ereignisse wie Ge-burten, Kindstaufen und andere Familienfeste ebenso mitgeteilt wieUnglücks- und Todesfälle; bedrückend darunter insbesondere dienicht enden wollende Folge von Vermissten- und Gefallenenmel-dungen. Außerdem erhält der Leser, als den man sich stets den ausKrieg bzw. Gefangenschaft zurückgekehrten Sohn Fritz vorzustellenhat, dessen Wissen um Personen, Orte und vorausgegangene Bege-benheiten deshalb auch selbstverständlich vorauszusetzen ist, vielfa-che Informationen über die Einwohner der Stadt Plön, darunter ins-besondere über das Schicksal von Jugendfreunden, Klassenkamera-den und Lehrern von Fritz Lamp. Dass hier Personen bisweilen nurmit Vornamen genannt sind, ohne dass man sie einer der genanntenGruppen oder Familien zuordnen könnte, erschwert deren Identifi-zierung und macht sie insbesondere im Falle von Namensgleichhei-ten bisweilen unmöglich. Entsprechendes gilt für Familie undAdressat vertraute Orte und Begebenheiten, die sich heute nur nochunter größten Schwierigkeiten und zum Teil sogar gar nicht mehridentifizieren bzw. kontextualisieren lassen.

Hinweise auf die Entstehung des Typoskripts. Auf der ersten Seite des vor-liegenden Typoskripts, auf der im unteren Teil die Tagebuchauf-zeichnungen der Pastorengattin einsetzen, erfahren wir noch einigeswenige Weitere über den Charakter der stichwortartigen, ursprüng-lich mit Bleistift vorgenommenen und zum Zeitpunkt der Anferti-gung des Typoskripts wohl zum Teil auch nur noch schwer lesbarenAufzeichnungen von Christine Lamp. Diese seien aus der Perspekti-

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ve desjenigen, der die Transkription vornahm, „vor 46 Jahren“ nie-dergeschrieben worden, was bei einer Abfassung während der Jahre1914-1919 auf ein Zeitintervall zwischen 1960 und 1965 für dieEntstehung der Abschrift verweist. Außerdem seien die handschrift-lichen Aufzeichnungen „nicht immer mit Sicherheit zu entziffern“gewesen, was vor allem für Namen gelte. Nun nennt ein überdiesbeigegebener Hinweis auf die Verfasserin Christine Lamp lediglichderen Geburtsjahr (1874), nicht jedoch das Jahr ihres Ablebens(1963). Damit ergibt sich als ein Terminus ante quem für die Entste-hung der maschinenschriftlichen Abschrift der 22. Januar 1963, wasdas Intervall für die Entstehung des Typoskripts zusätzlich ein-schränkt. Dies erscheint umso plausibler, als der oder die Transkri-bierende die in den Fokus der Betrachtung gerückten FamilienLamp, Becker, Lohmann und Westphal, sowie deren soziales Um-feld in Plön, Kiel, Preetz und Bad Schwartau bzw. Lübeck recht ge-nau überblickte und auch über die damalige Plöner Stadttopographiegut orientiert war. All dies spricht für einen in Plön beheimatetenSchreiber bzw. Kopisten aus dem direkten Umfeld der Familie, ver-mutlich aus der Generation der Kinder oder Enkel von ChristineLamp. Als solcher käme etwa der in den Aufzeichnungen selbst viel-fach erwähnte Sohn der Verfasserin Hans Lamp (8.4.1900– 8.4.1988) in Frage, der nach Ende seiner Zeit als aktiv praktizierenderArzt seit den 1970er Jahren und eventuell sogar schon davor durch-aus Zeit und Muße für eine entsprechende Tätigkeit gehabt habenkönnte. Von den heute noch lebenden Nachkommen ChristineLamps vermochte jedoch keiner nähere Hinweise auf den möglichenSchreiber, den konkreten Schreibanlass oder das Entstehungsjahrder vorliegenden Abschrift mitzuteilen. Auch aus dem Typoskriptselbst lassen sich keine Anhaltspunkte zur Klärung der hier auf-scheinenden Fragen gewinnen. Eine Befragung der „Kegelbrüder“Hein und Groeneveld führte lediglich zu der Erkenntnis, dass dasTyposkript bereits als Kopie aus dem Kreis der Überlieferung derFamilie Lamp auf sie gekommen sei.

Wir dürfen davon ausgehen, dass die ursprünglich von der Pasto-rengattin Christine Lamp verfassten Tagebuchnotizen, von denenhier die Rede ist und auf deren Basis der sich in Anonymität hüllen-de Schreiber das der heutigen Kopie zugrunde liegende Typoskriptanfertigte, nicht mehr existieren. Zumindest haben sich im Rahmender durch die Familie Lamp gebildeten Überlieferung nach derzeiti-gem Kenntnisstand keine entsprechenden Dokumente erhalten.

Einführung in die Lektüre der Tagebuchnotizen. Es liegt auf der Hand, dassim Folgenden nur ein grober Überblick über die zahlreichen auf-schlussreichen Nachrichten gegeben werden kann, die das Tagebuchder Pastorengattin Christine Lamp enthält. Da eine kommentierteund durch Personen-, Orts- und Sachregister erschlossene Editionder Aufzeichnungen in Vorbereitung ist und relativ zeitnah veröf-fentlicht werden wird, sollen dabei im vorliegenden Zusammenhanglediglich einige allgemeine Hinweise für das bessere Verständnis

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dieses so ungemein reichen Quellenmaterials gegeben werden. AmEnde beigegebene längere Auszüge mögen einen besseren Eindruckvom Charakter der Materialien vermitteln und zu einer eingehende-ren Lektüre ermuntern.

Es steht außer Zweifel, dass wir die Wirklichkeit der Zeit des Er-sten Weltkriegs mittels der vorliegenden Überlieferung durch eineverschiedentlich gebrochene, ganz eigene Perspektive wahrnehmen.Zwar bietet diese rein quantitativ nicht unbedingt mehr als ver-gleichbare Quellenzeugnisse; wir erfahren indes anderes, da hier Lo-kales, ja Privates und auf einen individuellen Adressaten Zuge-schnittenes mitgeteilt wird. Ganz in diesem Sinne bekommen wirdie vergangene Wirklichkeit von einer Person beschrieben, die alsPastorengattin im Zentrum des komplexen Funktionszusammenhan-ges um die für die Plöner Neustadt mit der „kleinen“ Johanniskirche(im Gegensatz zu der als „große Kirche“ erwähnten Plöner Nikolai-kirche) und verschiedene Umlandgemeinden zuständige Pastoren-stelle ihre Mannes und eines weitverzweigten Personennetzes vonBekannten, Freunden und Familienmitgliedern stand.

Überdies ist all dies auch nur vor dem Hintergrund der besonde-ren Plöner Verhältnisse zu verstehen: Die ehemalige herzogliche Re-sidenzstadt Plön war seit 1867 Kreisstadt in der preußischen ProvinzSchleswig-Holstein und strahlte von daher in einem durchaus nichtunbedeutenden Maße in die Fläche aus. Vor allem die nur kurze Zeitspäter im Plöner Schloss eingerichtete Kadettenanstalt erfreute sichschon bald großer Beliebtheit bei Adel und gehobenem Bürgertumin nah und fern. Hinzu kam ab 1897 die Erziehung der Hohenzol-lernprinzen im extra dafür hergerichteten und um zwei neue Flügelerweiterten Prinzenhaus. Durch sie geriet Plön in den Fokus einerreichsweiten Öffentlichkeit. Und auch als 1910 der letzte Kaiser-sohn die Stadt wieder verlassen hatte, wirkte die Anwesenheit derPrinzen noch nach. Dies kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dasswährend der Prinzenerziehung deren Lehrer und Erzieher in die Plö-ner Netzwerke hineingewachsen waren und für diese auch weiterhinaktiviert werden konnten, was etwa auch im vorliegenden Tagebuchzum Ausdruck kommt.8

Wenn sich hierdurch manches in Plön fokussierte, so liefen inder Stadt selbst die spezifischen Probleme der Zeit wohl an kaum ei-ner anderen Stelle so deutlich auf wie im Hause der Pastorenfamilie.So erfahren wir in den Tagebuchaufzeichnungen der Pastorengattinetwa schonungslos offen, wenn sich die Meldungen über gefalleneSöhne oder Väter aus befreundeten Familien häuften, während dasSchicksal des nach der Schlacht von Janowice im November 1914zunächst vermissten eigenen Sohnes lange Zeit im Ungewissenblieb.9 Und da Pastor Lamp und seine Familie gleichsam im Zen-trum der öffentlichen Wahrnehmung standen, reflektiert das Tage-buch der Pastorengattin auch die Welle von Anteilnahme, derer mansich im Hause Lamp stets sicher sein konnte. Hin- und hergerissenzwischen Hoffen und Bangen sahen sich die Lamps seit dem Herbst1914 für einige Monate mit sehr unterschiedlichen Nachrichten, ge-

8 Vgl. etwa die Hafterleichterungen unddas Entgegenkommen Pastor Lamp ge-genüber, als dieser Ende September 1917einen in deutscher Kriegsgefangenschaftbefindlichen Sohn des Bauern Saworin be-suchte, bei dem sein eigener Sohn als rus-sischer Kriegsgefangener arbeitete: „Dasfreundliche Entgegenkommen der beidenGeneräle war, wie Friedrich erfuhr, auf ei-nen kürzlichen Besuch Gonthardts, desfrüheren Gouverneurs unserer Prinzen, derein sehr gutes Wort für Friedrich eingelegthaben mußte, zurückzuführen.“ (S. 28).9 Vgl. etwa „1. Oktober [1915]: Briefder Oberin aus Lübeck, daß der Einjähri-genfreiwillige in Thula, Ural, mit amputier-tem Bein nicht unser Fritz ist.“ (S. 7).

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sicherten Informationen und vagen Gerüchten konfrontiert. Hier fü-gen sich die splitterhaften Informationen zu einem gleichsam sehrdiffusen, noch lange im Wandel begriffenen Bild zusammen, wobeidie dramatisch angelegte Sequenz am Ende in dem ersten Lebens-zeichen von Hand des Sohnes und in der Rückgabe des Kondolenzversinnbildlichenden Husaren-Bildes gipfelt:

6. November 1914: Fand bei meiner Ankunft 4 Karten von Fritz vor,1.) Wittenberge, 2.) Berlin, Bahnhof Putlitzstrasse vom 3. Nov.3.30 h, 3.) Fürstenwalde 8.32 h, 4.) Guben? 12 Uhr.

12. November: Karte von Fritz aus Ostrowo …16. November: … Fritz’s Sachen von Ida Esch, Hamburg, zurückge-

schickt. Zugleich ein Paket von Fritz aus Ostrowo mit weißemund Sport-Hemd. Abends Brief von Fritz ‘irgendwo in Rußland’.… Abends Ankunft der ersten Ostpreußenflüchtlinge.10

10 Unmittelbar nach Kriegsausbruch wa-ren im Herbst 1914 zahlreiche Menschenaus Ostpreußen vor den einfallenden Rus-sen geflohen. Sie wurden nach einem be-stimmten Schlüssel auf die Provinzen desReiches verteilt. So bekam auch die Pasto-renfamilie Lamp eine ostpreußische Fami-lie ins Pastorat einquartiert. Siehe die hierim Kasten abgedruckte Ankündigung desPlöner Wochenblatts.

Im Plöner Wochenblatt findet sich eineentsprechende Ankündigung der Ostpreußi-schen Flüchtlinge (Di., 17. 11. 1914) undein Bericht (Mi, d. 18. 11. 1914):

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„Plön, 16. November. Nach einer Be-kanntmachung des Landratsamtes treffenin den nächsten Tagen aus Ostpreußenetwa 20.000 Flüchtlinge ein, welche aufWunsch des Ministers des Innern in denkleineren Städten und auf dem Lande inSchleswig-Holstein unterzubringen sind.Auf den Kreis Plön entfallen 1500, wel-che vom Herrn Landrat auf die StädtePlön und Preetz, sowie auf die in derNähe der Bahnstationen gelegenen Ge-meinde- und Gutsbezirke unterverteiltsind. An Quartiergeld wird für den Er-wachsenen 1 M, für das Kind 50 Pfg. ge-zahlt. Familien sollen wenn möglich zu-sammen gelassen werden. Der HerrLandrat spricht in seiner heutigen Be-kanntmachung im Kreisanzeiger die Ue-berzeugung aus, daß die Kreiseingesesse-nen unsere unglücklichen Landsleute ausdem Osten freudig aufnehmen und nachKräften gerne dazu beitragen werden, dasschwere Los der flüchtigen Familienmöglichst zu erleichtern. Die Gemein-debehörden werden die Flüchtlinge aufden Bahnhöfen in Empfang nehmen, ih-nen die Quartierzettel aushändigen undsie den Quartierwirten zuführen. Sendun-gen von Kleidungsstücken nach Ost-preußen sollen einstweilen zurückgehal-ten werden, da wir solche für unsere Gäs-te dringend gebrauchen werden.“

„Plön, 17. November. Von den dem KreisePlön überwiesenen 1500 ostpreußischenFlüchtlingen trafen gestern abend 220 in Plönund 380 in Preetz ein; weitere190 langten heu-te morgen um 1/2 7 Uhr auf dem hiesigen Per-sonenbahnhofe an. In die hiesige Stadt wurden200, in Preetz 380 einquartiert, der Rest kamaufs Land. Von seiten des Roten Kreuzes wur-de Tee und Kaffee mit Butterbrot bereit gehal-ten und an die Flüchtlinge verabreicht. Die Ge-meindevorstände waren mit Wagen erschie-nen, um die Flüchtlinge abzuholen. Letzterestammten aus den Kreisen Stallupönen, Lyck,Lötzen und Neidenburg und waren bereits 3Tage und 3 Nächte unterwegs. Manche hattennur das nackte Leben gerettet, andere wieder-um hatten das Unnötigste mit sich genommen,das Notwendige aber in der Angst vor denRussen zurückgelassen. Wieder andere hattenPferde, Schweine und Geflügel, ja sogar Wa-gen bei sich. Hoffen wir, daß die Leute vonihren Quartierwirten freundlich aufgenommenwerden und daß ihnen ihr bitteres Los nachMöglichkeit erleichtert wird. In den nächstenTagen werden weitere Flüchtlinge eintreffenund auf das Land zur Verteilung gelangen. Beider Nachricht, daß die Russen in Ostpreußeneine vernichtende Niederlage erlitten, leuchte-ten die Augen der Aermsten vor Freude, zumalihnen dadurch die Aussicht eröffnet wurde, inabsehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehrenzu können.“

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16. November: Siegesläuten (Hans und Arthur).17. November: 6 Ostpreußische Flüchtlinge im Eßzimmer vorn

links an der Diele untergebracht. …23. November: Fritz’ Feldwebel liegt seit 20.11. mit Durchfall und

verletztem Schenkel in einem Kieler Lazarett. Am 14. [Novem-ber] hat er Fritz noch gesehen. Sie haben 60 km Marsch machenmüssen. Der Major hat Fritz wegen seines tapferen Aushaltensgelobt. Bei Dombiee ist Fritz mit im Gefecht gewesen. Wegender Hitze durch den Brand von Dombiee haben sie Verwundetezum See hingebracht. Als Fritz 15 russischen Gefangenen Essenbringen wollte, haben sie ihn mit Steinwürfen empfangen. AufFritz’ Pistolenwarnschüsse sind Kameraden zur Hilfe gekom-men.

5. Dezember: Fritz ist nach dem großen Marsch noch mit Bergold(Eltern in Wandsbek) zusammen gewesen.Die Ostpreußen-Flüchtlinge heißen Kunz. Neben den Eltern sindes Kinder von 1, 4, 7 und 9 Jahren …

12. Dezember: … Eben [war] Direktor Petersen11 hier, um sichFritz[´] Adresse zu holen, auch der Kreisarzt.

17. Dezember: Nachricht von Magda Karstens, daß ihr Mann in Po-len gefallen sei. Kaufmann Lorenzen’s Sohn gefallen. Viele ha-ben sich nach Fritz erkundigt (Wienke, Langhans, Gäbel, Lüdt-ke, Jaspersen, letzterer schickte wunderschöne Tasch[en]lampefür Fritz).

19. Dezember: Nachricht von Wilko Lampe, daß unser Fritz vermißtund wahrscheinlich verwundet in Russenhände gefallen sei.Durch langen nachfolgenden Brief bestätigte er dieses. Als dieerste Karte eintraf, erklang gerade Siegesgeläut

19155. Januar: Die ersten Verwundeten werden im zum Lazarett umge-

stalteten Prinzenhaus untergebracht. Besuch von Onkel Ohmund Tochter Hanna. Dr. Jaspersen’s Besuch wegen Fritz.

18. Januar: Besuch von Friedrichs Jugendfreund Boysen mit Tochteraus Augustenburg. Kam wegen Fritz und erbot sich nach Polenzu reisen, um sich zu erkundigen. Frau Dr. Dethlefsen kam zukurzem Besuch, ihre Söhne Knut und Hans stehen in Frankreich.

15. Januar: Besuch von Hermann zugleich mit Boysen. Brief von Ju-lius Becker, Quartierwirt von Fritz in Schlesien, schrieb beson-ders nett.

Sonntag, den 17. Januar: Morgens sagte Friedrich mir, daß AlexSchröder12 ihm mitgeteilt habe, daß nach Aussage eines Kamera-den unser Fritz am 19. November durch Kopfschuss gefallensein soll.In derselben Nacht ist bei unseren Ostpreußen zugleich ein klei-ner Knabe geboren …

22. Januar: Pastor Petersen und viele andere sagen uns ihre Teilnah-me. Viele Briefe, sehr herzlich. …

12. Februar: Siegesläuten (Friedrich und Hans). Unser erster Brief

11 Prof. Dr. Hans Petersen (1866-1931)war 1911-1922 Direktor des Plöner Gym-nasiums, und im Anschlusss daran 1922-1927 Direktor des Alten Gymnasi-ums zu Flensburg.12 Bei ihm handelt es sich um einen spä-ter selbst gefallenen Schulkameraden, des-sen Name auf dem Gedenkstein des PlönerGymnasiums aufgeführt ist.

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an unseren Fritz zurück, da „vermißt“, war am 13. Dezember[1914] abgeschickt. …

13. Februar: … Schwester Bertha (leitende Schwester der Johanni-terheilstätte) brachte mir ein Bild „Der sterbende Husar“, daslange auf Frommels Schreibtisch gestanden hatte.13 …

Am 18. Februar: 40 Verwundete aus dem Osten kommend ins Prin-zenhauslazarett aufgenommen

26. Februar: Gräfin Plessen [von Sierhagen]14 besucht uns wegenFritz, will sich bei ihrem Vetter, Graf Schwerin (Kriegsakade-mie), erkundigen. Frau Schlachter Gäbel war hier mit einer Kartevon Feldwebel Möller, der sich für ihr an Fritz gesandtes Weih-nachtspaket bedankte, aber mitteilte, daß Fritz seit dem 19.11.[15]14 vermißt sei.

Am 22. Januar: war Friedrich in Altona, um sich nach dem Verlaufder Gefechte vom 18. und 19. November zu erkundigen. DieSchilderung stimmt mit dem Bericht von Wilko Lampe überein.

25. Februar: Besuch des alten Grafen Plessen von Sierhagen, sehrteilnahmsvoll.

7. März: (vor 2 Jahren der Konfirmationstag unseres Fritz). …9. März: … Eben war im Hause der Hilfspostbote Korbmacher Sie-

vers mit der Freudenbotschaft, daß Fritz lebt und daß ein Briefvon ihm aus Sibirien auf der Post liegt. Herr Kiel gab uns diesenWunderbrief aus dem Fenster heraus, wir liefen damit gleich zuFräulein Gerstenberg und Pastor Petersen. Alles voll Freude, dieOstpreußen, das Kloster.15 Erste Gratulanten Kreutzfelds von derWagenfabrik mit Lilienstrauß. Viele andere mehr (Havenstein,Franksen, usw.). Endlich um 1? Uhr kam Friedrich von Amts-handlungen. … langes Glückwunschtelegramm von Jaspersens.Glückwünsche von Echte, Gerstenberg, Prof. und Dir. Petersen,Kreisarzt.Dann kam aber abends der Postdirektor zu Friedrich mit derNachricht, daß der Nachbarsohn Leo Langhans gefallen sei, dieFriedrich dann den Eltern überbringen mußte.Ich zu Schwester Bertha, zu aller Freude Frommels Bild [„Dersterbende Husar“] zurückgebracht. … (S. 1-3).

Dass die dramatischen Ereignisse von Herbst 1914 bis Frühjahr1915 der Familie auch in den folgenden Jahren stets präsent blieben,wird durch entsprechende Einträge in den Aufzeichnungen der fol-genden Jahre deutlich: Wann die erste Postkarte von Fritz aus derGefangenschaft gekommen war, die ja auch ein hoffnungsvolles Le-benszeichen darstellte, erinnerte man stets dankbar.16 An andererStelle wird deutlich, wie die Ungewissheit und das Schicksal des ei-genen Sohnes und das Erleben von dessen Gefangenschaft für dasSchicksal anderer sensibilisierte; hier war man dankbar für Zu-spruch, wusste wohlwollendes Mitleiden zu würdigen und versuchtean anderer Stelle – etwa bei Trauerfeiern oder bei Kondolenzbesu-chen – zurückzugeben, was man selbst empfangen hatte. Auchbemühte man sich sehr nachdrücklich – zunächst über verwundete

13 Vgl. im Folgenden auch die Angabenzum 9. März 1915. – Der Theologe undVolksschriftsteller Emil Frommel (1828-1896) war seit 1869 Pfarrer an der Garni-sonskirche in Berlin und seit 1872 Hofpre-diger; ging 1896 nach Plön.14 Louise, Lehnsgräfin von Sch.-P. aufSierhagen (1860-1939), Tochter von WulfHeinrich Bernhard von Sch.-P. (1809-1876), Nichte von Oberpräsident Carl v.Sch.-P. (1811-1892).15 Vormals aus dem Stadtrecht exempterBereich des ehemaligen Beginenkonventes(„Klosters“) am Plöner Schlossberg, vgl.noch den heutigen Straßennamen „Kloster-straße“.16 „19. November [1917]: Viel in Ge-danken bei Fritz und er wohl auch bei uns(Schlacht bei Janowice und seine Gefan-gennahme).“ (S. 31).

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Kameraden, die ins Plöner Lazarett verlegt wurden, und über Regi-mentsangehörige – darum, verlässliche Nachrichten über die betref-fenden Frontabschnitte und später über die Zustände in den Gefan-genenlagern zu erhaschen, in denen man den Sohn wähnte, um zu-mindest mittelbar einen Eindruck von dessen Lebensumfeld zu ge-winnen. Später wurden Postkarten, Pakete und Briefe, ja Photogra-phien von Fritz17 zu Lebenszeichen, an die man sich – stets zwischenHoffen und Bangen – so lange klammerte, bis die jeweils nächsteNachricht eintraf. Vor diesem Hintergrund stellt sich die durchausberechtigte Frage danach, ob Christine Lamp, die ihre Auszeichnun-gen nach eigenem Bekunden für ihren Sohn Fritz und zu dessen Ori-entierung anfertigte, auf diese Weise nicht zumindest auch das eige-ne Schicksal als Mutter eines zunächst vermissten und dann auf un-gewisse Zeit in Kriegsgefangenschaft befindlichen Sohnes zu be-wältigen versuchte. Das Anhören von Vorträgen über die Situationin den russischen Lagern,18 die Erkundigungen über die Lage vorOrt und das eigene Engagement für die ihrerseits in deutscher Ge-fangenschaft befindlichen russischen Soldaten19 sprechen diesbe-züglich eine deutliche Sprache. So versuchte man, mit der Situationso gut wie möglich fertig zu werden, schöpfte verschiedentlichHoffnung auf Frieden und kommunizierte – wenn auch mit biswei-len mehrmonatiger Verzögerung – mit dem Sohn in der Ferne. Diesgeschah zunächst über europäische Stützpunkte im Fernen Osten(Tientsin in China),20 später über das Rote Kreuz und Moskau, nahmaber meist Wochen, bisweilen sogar Monate in Anspruch.21 So er-reichten etwa die dankbaren Nachrichten über empfangene Weih-nachtssendungen die Heimat erst zu Ostern oder sogar noch später;und am 15. Juni 1919 kamen gar zwei Karten vom April bzw. Mai1918 in Plön.22 Da Christine Lamp zum Teil auch Auszüge aus denvom Sohn empfangenen Nachrichten mitteilt, können wir aus ihrenAufzeichnungen zumindest indirekt auch auf den Alltag in der russi-schen Kriegsgefangenschaft schließen. Demnach scheint Fritz Lampden Umständen entsprechend korrekt behandelt worden zu sein, hat-te die Möglichkeit, sich selbst gegen entsprechende Zahlungen eineSonder- bzw. Zusatzverpflegung zu sichern. Auch bot sich von Zeitzu Zeit in sportlichen Wettkämpfen sowie in intellektueller Betäti-gung, vor allem aber durch das Engagement in den Betrieben lokalerBauern die Möglichkeit, dem ansonsten recht grauen Lageralltag zuentkommen.23 Überdies durften die Kriegsgefangenen sogar selbsteigene Äcker bestellen und konnten ihre Versorgungslage auf die-sem Wege nicht unerheblich verbessern.

Unabhängig von den hier fassbaren Lebensbedingungen in russi-scher Kriegsgefangenschaft ist es der familiäre und kleinstädtischeAlltag in Plön und seinem Umland, der den eigentlichen Gegenstanddes Tagebuches ausmacht. Wir können auf diese Weise das Lebender Pastorenfamilie Lamp in seinen vielfältigen Facetten durch dieZeit von Krieg und Revolutionswirren verfolgen.

Wie auch ein Blick in die zeitgenössischen Zeitungen verdeut-licht, wurden Niederlagen und militärische Rückschläge offiziell ba-

Bild rechts:Fiete (Friedrich) und Christine Lamp am30. Dezember 1897 (Fotografie: Kreisarchiv Plön)

17 Vgl. etwa zu einer Photographie auseinem Kriegsgefangenenlager, auf der manzufällig den Sohn entdeckte weiter untenim Anhang, Tagebuchauszug (2).18 „22. Juli [1917]: Von Lübeck nachEutin und von dort mit Friedrich und Hansnach Neustadt, wo Frau Pastor Steinaecker(früher Gräfin Walsleben) einen Vortragüber Russische Gefangenenlager, beson-ders über Tschita, für uns besonders inter-essant, hielt.“ (S. 24).19 Vgl. zum Schicksal der russischen Brü-der Saworin, Söhne des russischen Bauern,bei dem Fritz Lamp als Kriegsgefangenerin der Landwirtschaft arbeitete, weiter un-ten im Anhang, Tagebuchauszüge (1) u.(3).20 „1. Oktober [1915] … Weih-nachtspaket an Fritz abgesandt über Tient-sien.“ (S. 7).21 „Am 17. März [1916]: 2 Karten vonFritz vom 27. und 30. Januar [1916]über Weihnachts- und Kaisers Geburtstags-feier. Große Freude über das Paket, dasüber das Rote Kreuz in Moskau gegangenist und deshalb so lange unterwegs war.“(S. 8).22 „Am 13. Juni 1916: Karte von Fritzüber Moskau vom 16. Februar [1916].“(S. 11).,23 [Juli 1917:] „… 29. Mai Karte vonFritz: ich pflanze, pflüge und egge, um dieZeit tot zu schlagen, freiwillig.“ (S. 24) u.entsprechend „17. August 1917: Endlichwieder mehrere Karten zugleich von unse-rem Fritz, der zum Bauern Saworin in Kise-lowo freiwillig auf Arbeit gegangen ist. Erist in der Nähe von Kainsk. Fritz wird an-ständig behandelt. Fritz ist dadurch3000 km näher gerückt.“ (S. 26).

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gatellisiert oder schlicht und ergreifend totgeschwie-gen, eigene Erfolge dagegen groß herausgestrichen.So wurde die Bevölkerung vor allem während der ers-ten Kriegsjahre durch ausgiebiges Siegesläuten auf dieeigenen Triumphe aufmerksam gemacht und dadurchauf die Unterstützung der eigenen Sache förmlich ein-geschworen. Auch wurden die Zivilisten an der „Hei-matfront“, darunter insbesondere die Schüler, intensivin Sammlungen für die Front eingebunden;24 auffälligdabei vor allem das Engagement bei der Nagelung vonNagelfiguren25 und der wiederholte aufopferungsvolleEinsatz für die Zeichnung von Kriegsanleihen, für dieman selbstverständlich auf einen Teil von Konfirmati-ons-, Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken ver-zichtete und das eigene Taschengeld drangab.26 Dieswurde öffentlich gewürdigt und durch Schulfrei be-lohnt, wobei Schulen und Klassen auch überregionalin einen intensiven Wettbewerb eintraten. Es wirddeutlich, wie hier Disziplin und Hilflosigkeit Hand inHand miteinander gingen. Opferbereitschaft, Herois-mus und Durchhaltewille dürften zwar vielfach nachaußen getragen worden sein, doch halfen sie nur ober-flächlich zu kaschieren, was man an Not und Elend zuertragen hatte.27 Dies betraf nicht zuletzt die Versor-gungslage mit Lebensmitteln und Heizmaterialien28,den Ausbruch der „Spanischen Grippe“29 und die aufdie Kriegsbedürfnisse umgestellten Transportkapa-zitäten der Eisenbahn. Auch hier sprechen die Tage-buchaufzeichnungen der Pastorengattin eine eindeuti-ge Sprache: Rationierungen und Elemente der Kriegs-und Mangelwirtschaft nehmen breiten Raum ein. Not,Elend und Hunger sind in den späteren Kriegsjahrenebenso regelmäßig präsent in den Aufzeichnungen wieBescheidenheit und das aus den kleinen Freuden desAlltags gewonnene persönliche Lebensglück.

Wie auch andernorts versuchte man im Plöner Pa-storenhaushalt die Auswirkungen der Kriegs- undMangelwirtschaft durch Eigeninitiative und durch diekreative Beschaffung von Nahrungsmitteln und Sub-stituten im Rahmen des Erträglichen zu halten. Der ei-gene Kartoffelacker auf der Plön östlich vorgelagertenÖlmühle ist hier ebenso zu erwähnen wie die zahlrei-chen Ausflüge zum Sammeln von Pilzen, Brombee-ren, Kirschen und Fliederbeeren bzw. die Gaben be-freundeter Bauern und umwohnender Gutsherren:Hier ein geschossener Hase oder Fasan, dort eine Ex-traportion Obst oder Gemüse. All dies hat die täglicheSpeisekarte zum Teil nicht unwesentlich ergänzt undzu festlichen Anlässen Glanz in die bescheidenen Ver-

24 „[1.Oktober 1915:] Zum Sammeln von Bucheckern, Ei-cheln, Pflaumensteinen aufgefordert. Über Kreisarzt und Pro-vinzialschulrat sind Lehrer und Schüler angewiesen worden.“(S. 7).25 „Am 19. November [1915]: Karte von der Nagelung desEisernen Kreuzes an Fritz geschickt.“ (S. 10).26 Vgl. etwa „21. März [1915]: Hans’ Konfirmation ... Sei-ne Geldgeschenke hat Hans zur Kriegsanleihe gegeben.“(S. 4), „27. September [1915] … Hans hatte wegen desglänzenden Erfolges der Kriegsanleihe Schulfrei.“ (S. 7),„[März 1916:] Hans hat 20 Mark Kriegsanleihe gezeichnet.“(S. 8), „8. April [1917]: Unser Hans hat dieses Mal am Oster-sonntag Geburtstag. … Zur Feier des Geburtstages wurdeHans besonders gepflegt. Er hat Geld zur Zeichnung für Kriegs-anleihe erhalten.“ (S. 21) u. „[Hans und seine Kameraden]arbeiten [im September 1917] von 6.00 Uhr bis 8.00 [Uhr][auf dem Gut Witmold] (sie erhielten 50 Pfg. pro Tag, die sieaber für die Kriegsanleihe zur Verfügung stellen).“ (S. 27).27 Dies kommt insbesondere zwischen den Zeilen und inscheinbar nebensächlichen Bemerkungen trefflich zum Aus-druck: „Vorigen Sonntag [Juni 1917] hatten wir vier Kadettenzum Kaffee (Kriegskuchen mit Rüben) und zum Abendbrot (Le-berwurst, mit Kartoffeln gestreckt, Brombeerkompott und Rha-barbergrütze mit Milch). Die Jungens waren während desganzen Krieges noch nicht so satt gewesen. Einige, sagten sie,weinten oft nachts wegen Hunger.“ (S. 23).28 Vgl. „27. Januar [1917] … Die Kirchen dürfen nichtmehr geheizt werden, wegen Kohlenknappheit. Die Gottes-dienste werden jetzt im Konfirmandensaal abgehalten.“(S. 17), „7. Oktober [1918]: Unseres Fritz Geburtstag. Gottgebe es, daß er an dem nächsten wieder bei uns ist! – Ingesollte wieder nach Lübeck. Zu aller Freude kriegt sie 8 Tage‘Kohlenferien’.“ (S. 43c), u. „Wegen Feuerungsmangels hei-zen wir [17. Dezember 1918] nur 1 Zimmer, in dem sich allesabspielt, sehr ungemütlich. Oft unter 10 Grad. Langhans undOtto Wulf, die reichlich Briketts hatten, gaben uns von ihrenab, letzterer schenkte sie uns sogar. Dann half Wiek mit Koksaus, da wurde es besser. Zum ersten Mal zum Weihnachtsfestnicht nach Lübeck, da wegen Rücktransports der Truppen nurMilitär befördert wurde. Hans muß zu Fuß von Kiel nach Preetzgehen. Von dort wird Kaschi ihn herfahren am Weihnachts-abend.“ (S. 46)..29 „7. Oktober [1918]: Unseres Fritz Geburtstag. Gott gebees, daß er an dem nächsten wieder bei uns ist ! … Überalltritt die „spanische Krankheit“, die Grippe, sehr heftig auf. Be-sonders viele junge sterben, wenn Lungenentzündung hinzu-tritt. Auch Martha in Lübeck (Hausmädchen) ist befallen.“(S. 43c).

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hältnisse gebracht. Und wenn man einen Teil des hier erworbenenkulinarischen Reichtums an die Verwandten in den größeren StädtenKiel und Lübeck weiterreichte, so entsprach dies innerhalb der Fa-milie, aber durchaus auch darüber hinaus gelebter Solidarität.30

Von besonderem Interesse ist, was Christine Lamp über dasSchicksal zweier russischer Kriegsgefangener und über die Wirrender Revolution in Kiel, Plön und Lübeck berichtet. In Bezug aufletzteres wird deutlich, wie die Zeitgenossen über Zeitungsmeldun-gen und kolportierte Gerüchte zunächst indirekt an dem teilhatten,was sich in der Marine- und Industriestadt an der Förde und in derTravemetropole ereignete und das Reich ein Stück weit in Atemhielt. Und dass die Plöner Kadettenanstalt bzw. der erhoffte Zugriffauf Offiziersnachwuchs und Ausbilder die Revolutionäre schon sehrbald von Kiel und Lübeck auch nach Plön führte, ließ die dort ansäs-sige Bevölkerung sogar direkt mit diesen in Kontakt treten. Was hierüber die zum Teil als geradezu tumb und einfältig beschriebenenSoldaten berichtet wird, die sich vom Pastor ein Maschinengewehrentwenden ließen und sich am Ende doch nicht trauten, diesen mitentsprechenden Sanktionen zu belegen, ist zwar in Teilen schon ananderer Stelle berichtet worden, wird hier aber noch einmal in einenerzählerischen Zusammenhang eingebettet und um weitere Einzel-heiten erweitert und entbehrt deshalb nicht einer gewissen Origina-lität.

Neben der Revolution, die als wenig geistreiches und nicht son-derlich legitimes Aufbegehren gegen eine überkommene Zeit ge-schildert wird, sind es vor allem die zahlreichen Hinweise auf dieErrungenschaften des modernen, technischen Zeitalters, die deutlichmachen, dass der Zeit des Ersten Weltkrieges ein stark transitori-sches Element innewohnt: Die zunächst noch vereinzelte Benutzungdes Telephons, die herausragende Bedeutung der Eisenbahn alsMassentransportmittel, aber auch die ersten Automobile sowie ver-einzelte Hinweise auf Luftschiffe und Flugzeuge31 sowie die erstma-lige Umstellung der Zeit auf Sommerzeit zu Ostern 191632 lassen dieZeitgenossen deutlich empfinden, dass man sich anschickte, mit rie-sigen Schritten in ein neues Zeitalter einzutreten.

Gleichzeitig stand die konservative Bürgergesellschaft in derkleinen Kreis- und Beamtenstadt Plön in voller Blüte: Man besuchteVorträge und Konzerte sowie Oper und Theater in Kiel und Lübeckund nahm Anteil am regen Vereinsleben der lokalen Sphäre. Aus denzahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen, dem Zusammenrückenfür die ab dem Herbst 1914 aus Ostpreußen eintreffenden Flüchtlin-ge, den Sammlungen und Solidaritätsbekundungen für die tapferkämpfenden Frontsoldaten spricht vor allem das in der Bürgergesell-schaft wirkende Element der Solidarität mit den Vertretern der eige-nen sozialen Gruppe, aber darüber hinaus mit Notleidenden anderergesellschaftlicher Gruppen. Ebenso fällt ein Schlaglicht auf die Be-deutung des Militärs für das Selbstverständnis der Zeitgenossen.Der Stolz auf Verwandte als Offiziere, insbesondere auf Söhne inentsprechenden Ausbildungsschienen, sprechen hier Bände. Und

30 „29. November [1916]: Graf Plessenschickte uns von Wahlsdorf aus 3 Hasen.Davon gaben wir 2 nach Lübeck (als Fest-braten für Hermanns Urlaub, der seinenBesuch [von der Westfront] für Ende No-vember oder Anfang Dezember angekün-digt hat).“ (S. 17).31 Vgl. „6. Mai [1915]: Nachmittagsließ sich ein „Schütte-Lantz“ [d. h. einLuftschiff aus der Mannheimer Luftschiffs-werft von Johann Schütte und Karl Lanz]auf unserem See nieder.“ (S. 4).32 Vgl. die entsprechenden Angaben zum30. April 1916: „Friedrich kam am 30.April mit dem 11.00 [Uhr] Zug, um nochden großen Zeitensprung (über die 11.Stunde gleich in die 12. zu springen) mit-zumachen. Alle Uhren wurden um 1 Stun-de weiter vorgestellt. Es wird dadurch eineTagesstunde mehr gewonnen und Licht ge-spart. Friedrich spielte um Mitternacht, alsanstatt der 11 12 Glockenschläge erklan-gen ‘Der Mai ist gekommen’.“ (S. 9).

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dass Hans, der jüngere Sohn der Familie Lamp, die Militärzeit beider Marine als „Sanitätsgast“ mit propädeutischen Veranstaltungendes Studiums der Medizin kombinieren konnte, war für die Mutterwie für die Verwandtschaft überhaupt ein Trost, der zumindest zeit-weise über die Abwesenheit des älteren Sohnes hinweghalf. Die Er-wähnung von schneidigen Dragoner- und Marineuniformen und dieakkurate Beschreibung des entsprechenden äußeren Erscheinungs-bildes legen hiervon ein eindrückliches Zeugnis ab.33

Dem entspricht umgekehrt die verschiedentlich aufscheinendebürgerliche Verachtung für die Revolution der einfachen Mann-schaftsdienstgrade und die sich organisierenden Arbeiter und Solda-ten, wie überhaupt für die so leicht klein beigebenden Vertreterinnenund Vertreter der neuen Ordnung, die die Repräsentanten des altenSystems herausforderten, sich ihnen gegenüber aber doch nichtrecht behaupten konnten. Vor diesem Hintergrund wirken schließ-lich auch der Groll über das deutsche Ansuchen um einen Waffen-stillstand34 und der Bericht über die eigenen Tränen anlässlich derAbdankung des Kaisers, die Hoffnung auf Hindenburg und der Grollüber die vermeintlichen Verbrecher an der Heimatfront, die dem imFelde unbesiegten Heer in den Rücken gefallen seien, authentisch.All dies ist vom Herzen aus in die Feder geflossen und gibt zweifel-los sehr ungeschönt die Stimmungslage und den Informationsstandwieder, den wir für die bürgerlichen Honoratioren einer Kleinstadtin der norddeutschen Provinz voraussetzen dürfen: Man gab sichkaisertreu und arrangierte sich nur widerwillig mit den neuen Ver-hältnissen. Eine Ausnahme bildete diesbezüglich die Einführung desFrauenwahlrechts, die zu einem sichtbar gesteigerten Engagementin Frauenvereinen führte und die Eigeninitiative mancher Zeitgenos-sinnen beförderte, ohne dabei indes allen eine wirkliche Herzensan-gelegenheit zu sein.

Besonders interessant sind die in den Aufzeichnungen von Chri-stine Lamp immer wieder angedeuteten Hoffnungen, Ängste undGemütswallungen, die es dem Leser ermöglichen, ein geradezu em-pathisches Verhältnis zu der Autorin zu entwickeln. Hier ist es in derTat die für ihren Sohn schreibende Mutter, die diesen und damit denLeser an ihren Gefühlen teilhaben lässt und auf diese Weise sehrdicht an die Zeit und ihre Probleme heranführt.

Anhang: Auszüge aus den Tagebuchaufzeichnungen der Christine Lamp. (1) Der Besuch Pastor Lamps bei Paul Savorin, einem russischenKriegsgefangenen, auf dessen väterlichem Hof Fritz in Russland inder Landwirtschaft tätig war und eine gute Behandlung erfuhr (Sep-tember 1917)Sonnabend, den 23. September [1917]: Abends spät Nachricht durch

die Post, aus Münster, Westfalen, daß Friedrich Paul Savorin be-suchen kann. Bis 11/2 Uhr packten wir noch Friedrichs Sachen.Um 1 Uhr nachts pflückte Hans mit Else Birnen im Garten. Um41/2 Uhr – bei Sternenschein ging Friedrich zu Fuß nach Asche-berg. Um 5.40 [Uhr] fuhr er von dort nach Hamburg und dann

33 Vgl. etwa die Bemerkungen zum Ju-biläumsgottesdienst: „1. August [1915]:Ein Jahr Krieg! – Zur Erinnerung an dieMobilmachung Gottesdienst in der großenKirche, Kriegervereine im Schloßgarten.Nachfeier in der Fegetasche. Abends Got-tesdienst in der kleinen Kirche, den auchWolfi Jaspersen (in seiner schmucken Dra-goneruniform) mit seinen Eltern und Ge-schwistern besuchte. – Sehr feierlich, zu-gleich auch Gedächtnis an die Gefallenen.– Lorbeerkranz aufgehängt, auf dessenSchleife die Namen der Gefallenen ge-schrieben werden.“ (S. 6) u. zum „20.Juli [1918]: mit Else und Inge nach Kielzu Hans, er begrüßte uns in seiner neuenMarineuniform. Am Sonntagnachmittagwurden wir alle in der Veranda photogra-phiert.“ (S. 42).34 „Sonntag, den 6. Oktober [1918]:Mit Friedrich zur Großen Kirche, Pastor Pe-tersen predigte, es war ein sehr trübertrauriger Tag, auch da es das erste Malwar, daß [die Kriegerwitwe] Else ihn wie-der in unserem Hause verlebte seit ihremHochzeitstag. Dazu kam unsere Bitte (!)bei der Entente um Frieden!“ (S. 43c).

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mit dem Kölner Schnellzug nach Münster, wo Paul in der Nähevon Datteln in einem Kohlenbergwerk arbeitet. – Karte vom 27.Juli von Fritz: „Ihr wißt, daß ich unter die Bauern gegangen binund einen sehr guten Kerl zum Herren habe.“ – Kürzlich, alsElse, Hans und ich die wunderbare Tour nach Raisdorf machten,waren Wandervögel aus Münster bei Friedrich und er ihnen ge-fällig gewesen. Er mußte ihnen versprechen, wenn er nachMünster käme, sie aufzusuchen. Sie nannten ihm ein Haus, wo ergut aufgehoben sein würde. Er ging nun auch zu diesem Haus,einem vornehmen Patrizierhaus. Auf seine Anfrage, sagte manihm, es seien keine Zimmer zu vermieten, er müsse sich wohl ir-ren. Er sagte, die Wandervögel hätten ihn hergewiesen. – „Ach,dann sind sie wohl der Pfarrer aus Schleswig?“ – „Nein, aber Pa-stor Lamp aus Holstein.“ – „Da darf ich Sie nicht gehen lassen, 2Zimmer sind bereit für Sie. – Der Wandervogelführer würde sehrböse werden!“ – Diesen begrüßte Friedrich dann auch und be-dankte sich für die freundliche Aufnahme. Die Wandervögel ver-sammelten sich bei dem jungen Mediziner und sangen Friedrichallerlei vor.Vom kommandierenden wie vom stellvertretenden General wur-de Friedrich sehr entgegenkommend behandelt, ihm Brotkartenfür sich wie für die Gefangenen im Kohlenbergwerk zur Verfü-gung gestellt. Ein Dolmetscher reiste auf Staatskosten mit Frie-drich nach Datteln in die Zeche, wo Paul Savorin aus Kiselowovorgeführt wurde. Als ihm gesagt wurde, daß ein Pastor ihn ausdem Bergwerk herausholen wolle und [ihm] einen besseren Platzverschaffen würde, konnte er es gar nicht fassen und begreifen.Als er endlich soweit war, holte er seine kleinen Habseligkeitenund legte es vor Friedrich nieder. „Alles meines ist Dein“. Dannwarf er sich vor Friedrich nieder, nahm Friedrichs Fuß und stellteihn auf seinen Nacken. „Dir Pope gehöre ich mit Leib und Seele.Dem Zaren habe ich mich nicht unterworfen, ich bin ein freier si-birischer Bauer. Als man mich zum Militärdienst holte, fiel mei-ne Mutter tot um. Meine Frau und die 3 kleinen Kinder mußteich verlassen. Dann wurde ich gefangen genommen. 365 x imJahr und das schon 2 Jahre lang, wurde ich lebendig begraben imKohlenbergwerk. Ich habe in dieser Zeit kaum die Sonne gese-hen (Tageslicht). Ich, der ich mit meinen Pferden über die Steppegejagt bin. Du bist mir wie der Engel Michael, der mich aus derHölle, aus dem Sarg erlöst hat.“ – Friedrich hob ihn auf, küßteihn und sagte: „Dafür daß mein Sohn es bei deinem Vater gut hat,sollst du mein Sohn sein und ich will für dich sorgen.“ – Erbrauchte an diesem Tag nicht ins Bergwerk und kam auch nichtwieder zurück dahin, sondern als 2. Bursche zu einem Haupt-mann, dann zu einem Bauern und danach ins Parchimer Lagerund wird so allmählich wohl nach Plön kommen.Das freundliche Entgegenkommen der beiden Generäle war, wieFriedrich erfuhr, auf einen kürzlichen Besuch Gonthardts, desfrüheren Gouverneurs unserer Prinzen, der ein sehr gutes Wort

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für Friedrich eingelegt haben mußte, zurückzuführen.Friedrich kam sehr befriedigt von seiner Reise am Donnerstag-morgen zurück und fuhr, obwohl er die Nacht durchgereist war,zu Stephan,35 um ihm von seinem Bruder zu berichten. (S. 27-28).

(2) Wohltätigkeitsabend in Plön mit einem Bericht von Frau Stein-äcker über deutsche Kriegsgefangene in Russland (Januar 1918)25. Januar [1918]: Um 2 Uhr kam Frau von Steinaecker mit dem D-

Zug, um 6 Uhr ihr Mann von der Konfirmandenstunde aus Eutinnach. Um 8 ? Uhr begann der Vortragsabend bei Gäthje.36 Derganze Saal bis auf den letzten Platz gefüllt: Offiziere, Kadetten,Verwundete, Jugendwehr usw. Programm: Kriegslied von Schu-mann, von Frau Oberlehrer Hörder 2händig gespielt. Prolog vonFräulein Gäbel gesprochen: „Nach Sibirien verschlagen, fernden deutschen Heimatgauen“, Rondo von Beethoven, Frau Hör-der, dann stellte Friedrich die Rednerin vor, die dann ihren Vor-trag hielt. Gemeinsames Lied: „Harre meine Seele“. Buchhänd-ler Lüdtke liest den 126. Psalm vor. Gemeinsames Lied: „Einfeste Burg“. Herr Harbeck dankt bewegt der Rednerin. Friedrichspricht ein kurzes Schlußwort, zuletzt das Deutschlandlied vonallen gemeinsam gesungen. Es wurde kein Eintrittsgeld erhoben.In den Sammelbüchsen fanden sich zu unserer Freude 278,75Mark.

Anläßlich einer Jugendwehraufführung bei Gäthje (s. o.) wünschtemir der Landrat beim Hinausgehen einen ebenso vollen Saal,wenn Frau von Steinaecker spräche. Der Wunsch hat sich überalles Erwarten erfüllt.

Nach dem Vortrag erteilte Frau v. St. noch allerlei Auskunft, zeigtePhotographien, auf denen wir zu unserer großen Freude auch un-seren Fritz entdeckten. In der Post in Tschita und in einem Sän-gerchor. Nachher saßen wir noch zur Feier des Tages bei uns beiTee, Saft und Kuchen zusammen.

Am 26. Januar kamen viele Angehörige von Gefangenen zu uns, umsich Auskunft zu holen. Nach dem Essen machte ich mit Frau v.St. einen Spaziergang durch den Schloßgarten, wobei sie mir vielvon ihren Erlebnissen erzählte. Er [d. h. ihr Gatte] war mit Frie-drich zur Konfirmandenstunde.

Dieser Vortrag war zu einem großen Ereignis für Plön geworden,alle waren ganz eingenommen von Frau v. St. ein hübsches Ge-dicht schrieb sie noch in unser Gästebuch. Um 7 Uhr brachtenwir 3 die beiden zur Bahn. Es war ein interessanter Besuch. (S.33-34).

(3) Die kriegsgefangenen russischen Brüder Savorin als Besuch imHause Lamp in Plön (März / Mai 1918)3. März 1918, Sonntag, die beiden Brüder schliefen bis 10 Uhr, aßen

dann zum Frühstück Milchsuppe und Brot und spielten danachmit Hans die „Reise nach dem Nordpol“. Ich war zu Friedrichs

35 Pauls Bruder Stephan war bei einemBauern in Bockholt bei Eutin in der Land-wirtschaft tätig und damit sehr viel bessergestellt als sein Bruder im Kohlebergwerk.36 Beliebtes Plöner Veranstaltungslokalmit einem großen Fest- und Vortragssaal.

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Gottesdienst im Konfirmandensaale. Dem Sonntag nach war esder Tag, an welchem wir vor 3 Jahren wieder das erste Lebens-zeichen von Fritz erhielten. Mittagessen: Fleischsuppe mitKlößen, Falscher Hase, Rotkohl. Vorher photographierte ArthurLüdtke die beiden in Zivil mit Friedrich und Hans mit seinem„Puschi“. Beim Essen machte gerade der neue Kommandeur,Major Schreiber, mit seiner Frau Besuch. Sie waren ganz ergrif-fen, als wir ihnen die Geschichte von Fritz und seinen beiden„Pflegebrüdern“ erzählten. Beim Abschied holte Friedrich diebeiden Russen, welche dem Major treuherzig die Hand gaben.Nun sind wir ja wohl Freunde und es soll nie wieder Krieg ge-ben, und wirklich, als wir nachmittags um 5 Uhr zur Feier desTages bei Tee und Kuchen saßen, wurde „die Tinte unter das Do-kument gesetzt“, der Friede mit Rußland unterzeichnet.37

Hans, der schon Tage vorher Kopfschmerzen hatte, legte sich gleichnach dem Essen hin, während Friedrich mit den Russen zur Öl-mühle ging. Um 7 Uhr wurden sie von ihrem Wachmann wiederabgeholt. „Auf Wiedersehen, Mutter“, sagte Stephan beim Ab-schied. Es war mir wie ein Gruß von unserem Fritz. (S. 35) …

Dienstag, den 21. Mai [1918]: Mittags besuchte ich noch Hans inseiner Kaserne [in Kiel], dann unsere frühere Gemeindeschwe-ster Helene, mußte bei ihr Kakao trinken, dazu Butterbrot, dieButter war von Hause geschickt worden.

Um 7 Uhr kam ich wieder in Plön an. Friedrich fuhr mit dem selbenZug nach Bockholdt, mit den beiden Russenbrüdern, die Pfings-ten über in Plön gewesen waren. In der Pfingstnacht, als er sienicht hatte mitnehmen dürfen, war er zu Fuß von Eutin nachPlön gegangen. Dort hatte er einen Russenabend mit ihnen undden Gefangenen aus der Ölmühle veranstaltet mit Gesang undKuchen. Frau von Arnim gab den Russen Tee und Butterbrotdazu. (S. 40)

(4) Revolution in Kiel, Lübeck und Plön (November 1918 – Juni1919)2. November 1918: Ich fuhr zu Vaters Geburtstag nach Lübeck. Else

ist an Grippe erkrankt.3. November: Vaters 80. Geburtstag. Revolution in Kiel. Anlaß: Am

18. Oktober sollte die Hochseeflotte von Wilhelmshaven auslau-fen. Die Heizer aber löschten die Feuer, weil sie meinten, es seiein Trick und es sollten die 8.500 Mann Besatzung zum letztenVerzweiflungskampf gegen England eingesetzt werden. 3 x ver-hinderten so die Heizer das Auslaufen. Von Wilhelmshavenschlug das Feuer der Meuterei nach Kiel über. Admiral Souchon,Gouverneur von Kiel, der Held der „Göben“ und „Breslau“,38

ließ die Demonstranten, die ihre verhafteten Kameraden befreienwollten, durch sichere Unteroffizierspatrouillen entwaffnen.

Am 3. November fielen zum ersten Mal scharfe Schüsse: 8 Tote und29 Verwundete auf dem ersten Schlachtfeld des beginnenden

37 Hierbei handelte es sich um den Frie-den von Brest-Litowsk (unterzeichnet am3. März 1918), der dem durch die Revolu-tion geschwächten Russland aufgezwun-gen wurde. Im Zusammenhang mit diesem„Friedensdiktat“ wurden verschiedeneneue staatliche Gebilde aus Russland her-auslöst, was umfangreiche Abtretungenvon landwirtschaftlichen Produktions-flächen und Bodenschätzen mit sich brach-te.38 Wilhelm Anton Souchon (1864-1946)war im Ersten Weltkrieg Vizeadmiral derkaiserlichen Marine. Am 28. Oktober1913 übernahm er den Befehl über dieaus dem Schlachtkreuzer SMS Goeben,dem Kleinen Kreuzer SMS Breslau und derStationsyacht SMS Loreley bestehendenMittelmeerdivision und überführte dieKreuzer in die Flotte des Osmanischen Rei-ches, das daraufhin auf Seiten der Mittel-mächte in den Krieg eintrat. Im Oktober1918 wurde er zum Chef der Marinestati-on Ostsee und zum Gouverneur von Kiel er-nannt, als welcher er am 7. Novemberdurch den SPD-ReichstagsabgeordnetenGustav Noske (1868-1946) abgelöst wur-de.

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Bürgerkrieges (in der Karlsstraße).Am 4. November eroberten aufrührerische Matrosen 20.000 Geweh-

re. Hans erlebte das Geschehen in unmittelbarer Nähe seines La-zaretts während seines Dienstes auf der psychiatrischen Abtei-lung, wo er Nachtwache hatte. Es wurden Arbeiter- und Solda-tenräte zum ersten Mal eingesetzt.

Am 5. November wurde die Meuterei zur öffentlichen Revolution,die rote Fahne gehißt.

Unter dem Schutze einer roten Fahne floh Prinz Heinrich im Autoaus Kiel. Prinzessin Irene wurde unterwegs durch Streifschußam Arm verletzt.

Am 3. November abends kam Friedrich aus Plön zu Vaters Geburts-tag [nach Lübeck], sehr aufgeregt mit beunruhigenden Nachrich-ten.

Am 4. November reiste er wieder zurück. Es herrschte hier einefürchterliche Stimmung, da man nicht wußte, „was würde“.Kriegsschiffe mit meuternden Matrosen lagen vor Travemünde,welche angeblich Lübeck in Brand schießen sollten, falls es dieRevolution in Gegenwehr bekämpfen würde. – Aber wie in Kielso ließ man auch hier alles machtlos über sich ergehen, – „umBlutvergießen zu verhindern“. So wurde es den dann so berüch-tigten Matrosen leicht gemacht, ihr unheilvolles Werk in Ham-burg, Bremen und Berlin usw. fortzusetzen.

Am 5. November mußte ich in verschiedenen Häusern Angehörigevon Marineleuten benachrichtigen, daß ihre Söhne, die nicht hat-ten mitmachen wollen, nachts von Kiel geflohen und in unseremHause gesichtet seien, um dann von Friedrich und unseren Kin-dern mit Zeug ausgestattet, wieder in Marsch gesetzt zu werden,und bald bei ihnen eintreffen würden. Auch eine Reihe Offizierehatte bei uns Unterkunft gefunden. Als ich unterwegs war, be-gegneten mir große Horden von wüst aussehenden Männern,Weibern und Halbstarken. Diese die schlimmsten, führten oft mitaufgepflanztem Bajonett entwaffnete Offiziere mit totblassenernsten Gesichtern zwischen sich, um sie zu verhaften und insGefängnis zu führen. Schließlich wurden sie alle im Hotel „In-ternational“ beim Bahnhof untergebracht. Hier – wie an ver-schiedenen Stellen – waren Maschinengewehre aufgestellt, umdas Anrücken von reichstreuen Truppen zu verhindern.

Da die Bahnverbindung eingestellt werden sollte, kam Friedrichnoch einmal am 7. und 8. November 1918 herüber. Es hieß, dieEngländer wären mit ihrer Flotte auf dem Weg nach Kiel und Lü-beck. Friedrich holte sich einen englischen Gefangenen, der inBockoldt so gut für Fritzs Russenbrüder Paul und Stephan ge-sorgt hatte aus dem Lazarett vorm Burgtor, wo er an Grippe lag.In 8 Tagen hat er ihn dann bei uns in Plön wieder gesund ge-pflegt.Da Hering hier mit im Soldatenrat saß, war angeordnet, daß al-les, was Pastor Lamp wünschte, geschehen solle. Auch in Plönhatten Matrosen gehaust, das Schloß besetzt, geplündert und den

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Arbeiter- und Soldatenrat eingesetzt. Ein Maschinengewehr hat-te Friedrich in der Großen Kirche [d.h. in der Nikolaikirche] ver-steckt. Er fuhr am selben Tage wieder nach Lübeck her und rietmir, da Else auch krank wurde, zu Vater und Mutters Beruhigunghierzubleiben.

Am 5. November Lübeck Republik.Am 9. November mit der Absetzung des Kaisers ganz Deutschland

zur Republik erklärt Extrablätter bekundeten es. – Kein Kaisermehr – unfaßbar ! Ich ging zu Bertha Evers, wir weinten mitein-ander. Dann die niederschmetternde Nachricht: „Der Kaiser undauch der Kronprinz nach Holland geflohen !“ Nur unser alterHindenburg hielt stand. Das war ein Hoffnungsstrahl, ein Licht-blick in dem ganzen wüsten Chaos, denn ein Thron stürzte nachdem anderen.

Am 10. November sollte zum ersten Mal das Kirchengebet für denKaiser fehlen. Pastor Lütje sprach es, doch es ging ein Schluch-zen durch die übervolle Kirche. Elses erster Ausgang nach derGrippe – mit mir und am Stock – war der Weg zum Offizierska-sino zur angeordneten Waffenablieferung, dieses hatte sich derSoldatenrat zum Sitz erkoren und mit der roten Fahne ver – un –ziert. [Else hatte Hermanns Pistole aufbewahrt].

Sonnabend kam unser Friedensangebot, die fürchterliche flucht-ähnliche Art der Zurückziehung unserer Truppen, bei welcherMillionenwerte von Material und Nahrungsmitteln verlorengin-gen.

Am Sonntagabend die von unseren unerbittlichen hasserfülltenFeinden diktierten harten und schmählichen Friedensbedingun-gen:39 Else und ich lasen sie beim Generalanzeiger als die ersten.Unsere Taschenlampen dienten erst uns und einigen wenigen,schließlich einer großen Ansammlung als Beleuchtung. Ein Aus-ruf der Empörung bei allen, ganz besonders bei dem Passus überdie Auslieferung von Kriegsgefangenen erst nach Ratifizierungdes Friedens. Das war ein Schmachfriede, leider noch schwärzerals es unsere Vaterlandspartei vorausgesagt hatte, wenn wir unszu einem solchen erniedrigen würden. Aber die Heimatfront, dieschon lange durch Wühl- und Hetzarbeit allmählich zermürbtworden war, war der Heeresfront in den Rücken gefallen. Trotz-dem bangte, bangte man.

Ende November 1918 reiste ich wieder nach Plön zurück. Von derLandrätin hörte ich, wieviel Friedrich in den wildbewegten Re-volutionstagen gearbeitet und sich aufgeladen hatte, so daß sieund ihr Mann für seine Gesundheit gefürchtet und mir schon hät-ten telegraphieren wollen.

Am 26. November 1918 war nach Elses Brief der Einzug des Lü-becker Regiments mit Fahnen und Blumen geschmückt. Ingeleinhat bitterlich geweint. Friedrich war 2 Tage krank. Am Bett hatteer Besuch von dem englischen Gefangenen Joseph mit seinemHerrn (Beth) aus Bockholdt. Der Propst war auch hier. Er meint,es würde mit der „Abschaffung“ der Kirche, der Pastoren usw.

39 Der Waffenstillstand (hier „Friedens-angebot“/„Friedensbedingungen“) an derWestfront wurde am 11. November 1918in Compiègne durch den Zivilisten MatthiasErzberger (Zentrum) unterzeichnet.

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wohl nicht so schnell gehen und nicht so schlimm werden.Hans hat am 2. November sein Obersanitätsgastexamen gemacht.

Hat viel Arbeit und Schreibereien im Lazarett durch die Grippe.Frau von Falkensteins Enkel und Kefersteins Sohn Karl sind ge-fallen.40 Der junge Bismarck kam und holte sich Rat wegen einesKranzes für einen Verwandten, da die Fürstin gerade auf Reisenist. Bei Beginn der Revolution (er war auf der Rückreise vomUrlaub) war Fiete Lohmann 4 Wochen verschollen, dann kamendlich am 9. Dezember Nachricht aus der Pfalz von ihm. Heiniliegt in einem Lazarett am Rhein. Das linke Rheinufer ist vonFranzosen besetzt. Die Deutschen wurden unter Hohn und Spottvertrieben. Karl Dwenger ist auch unter allerlei Gefahren aus Po-len zurückgekommen. Ingelein hat in Lübeck eine schwere Lun-genentzündung überstanden. Friedrich ging am 8. Dezember mitPaul und Stephan nach Kiel, mit letzterem zur Ohrenklinik we-gen seines Gehörs. Willi Langhans ist entlassen, geht in Uniformzur Schule.

Am 12. Dezember wollte Emmi Schulz Hans besuchen, traf ihn un-terwegs und ging mit ihm und Kaschi, da es so kalt war, zu Uhl-mann, wo sie ihnen Tee spendierte.

Montag, den 17. Dezember, sprach Frau Dubois im vollbesetztenSaal von Gäthje über: „Das Frauenwahlrecht ist eine Pflicht“.Else ist in Lübeck für die bevorstehende Wahl als „Distriktsda-me“ gewählt. Wegen Feuerungsmangels heizen wir nur 1 Zim-mer, in dem sich alles abspielt, sehr ungemütlich. Oft unter 10Grad. Langhans und Otto Wulf, die reichlich Briketts hatten, ga-ben uns von ihren ab, letzterer schenkte sie uns sogar. Dann halfWiek mit Koks aus, da wurde es besser. Zum ersten Mal zumWeihnachtsfest nicht nach Lübeck, da wegen Rücktransports derTruppen nur Militär befördert wurde. Hans muß zu Fuß von Kielnach Preetz gehen. Von dort wird Kaschi ihn herfahren am Weih-nachtsabend.

21. Dezember: Besuch von Peter Lohmann und Heini, die bis zumnächsten Tag bleiben (Hamsterfahrt nach Dörnick). Vorher hat-ten wir einmal Besuch von einem Franzosen aus Dörnick, mitdem wir uns am Sonntag 5 Stunden unterhielten. Er sprach einfeines Pariser Französisch und ging erst nach Mitternacht. Ernahm einen Brief und 100 Mark für Fritz mit, die er von Parisaus an ihn abschicken wollte. Er hatte sehr vernünftige Ansich-ten. Er war 5 Wochen im Lazarett (Johanniterheilstätte) gewe-sen.

18. Dezember 1918: Frau Ohrtmann, Dörnick, schenkte uns zumFest kleine braune Kuchen, ein Brot, 4 Eier und Mehl. Ich bekameine neue Waschbalje41 (30 Mark) und einen Haarbesen (14Mark) im voraus. Zum Weihnachtsfest kam Hans wirklich überPreetz (zu Fuß) und [wurde] von dort im Wagen von Kaschi ge-bracht. Um 4 Uhr waren wir zur Christvesper in unserer KleinenKirche [d. h. Johanniskirche], die an diesem Tag am schönstenist. Dann hatten wir unsere stille, bescheidene Feier, die 5. ohne

40 Auf dem Gedenkstein auf dem Grund-stück des Plöner Gymnasiums wird ein„Karl Keferstein“ erwähnt.41 Norddeutsch für Waschzuber/Zink-wanne.

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unseren Fritz. Da Auguste nach dem Essen zu ihren Verwandtengegangen war, saßen wir 3 gemütlich zusammen, Hans todmüdevon seinem Marsch nach Preetz und den vielen Nachtwachen alsSanitätsgast, er schlief bald ein auf dem Sofa. Friedrich und ichlasen.

Am 1. Festtag ging ich mit Hans zur Kleinen Kirche.Am 2. Festtag predigte Friedrich in der kalten Großen Kirche [d. h.

Plöner Nikolaikirche]. Er betete am Schluß auch für das erkrank-te Kaiserpaar. Der Landrat und seine Frau waren auch beimGottesdienst. Mit Schulzens waren wir bei Dubois eingeladen.Der Kamin wurde mit Tannenzweigen beheizt. Hans fuhr dannmit der Bahn (!) nach Kiel zurück. In Berlin gab es ein schlim-mes, durch Blutvergießen entweihtes Weihnachtsfest.

Am 1. Weihnachtstag begrüßte Friedrich die heimgekehrten Krieger.Pastor Petersen machte es am 2. Weihnachtstag und amNeujahrstag.

19191. Januar 1919: Eine sehr schöne Sylvesterpredigt in der Großen

Kirche endete mit: „Das Haus mag zerfallen, was hats denn für Not, der Geist lebt in uns allen und unsere Burg ist Gott“ ! –

Als dann „Ein feste Burg“ gesungen wurde, erhob sich die ganzeGemeinde.

Am 1. Tag im Neuen Jahr kam ein Brief von Else, daß auch Mutterund Tante, außer Vater „ganz herunter“ seien.

Ich reiste am 2. Januar mit dem ersten Zug nach Lübeck. Abendsvorher waren Friedrich und ich noch bei Justizrat Thomsen ein-geladen.

Es sah bei meiner Ankunft in Lübeck sehr traurig aus. Trotzdemkonnten wir sie nicht überreden, Arzt und Schwester zu nehmen.

Nach 8 Tagen reiste ich unverrichteter Sache wieder ab. Else hattemit den Wahlen (19. Januar) viel Arbeit, da sie mit großem Eiferdabei war. Dazu bedrückte sie, wie uns alle, die Sorge.

Am Donnerstag, den 16. Januar, saßen Friedrich und ich beimAbendbrot (saure Kürbisse mit Muskartoffeln), es war 71/2 Uhr,da geht die Haustür und der „oberste Soldatenrat“ in dreierleiGestalt: Dittmann, Gerstendorff u. … (?) verhandelten mitAuguste auf der Diele. Friedrich geht hinaus und läßt sie in dieVerandastube, wo noch unser Tannenbaum stand. Dann eine leb-hafte Unterredung, ungefähr eine halbe Stunde lang. Ich erfuhrdann von Friedrich folgendes: Der Soldatenrat: „Erkennen Siedieses Schriftstück als ihr eigenes an?“ Friedrich: „Ja, ich be-nutzte es für meine Plöner Chronik, es muß mir von meinemSchreibtisch entwendet worden sein.“ – „Wer sind die Urheberdieser Notizen?“ – „Es ist mir von verschiedenen Seiten, zumBeispiel im Zug und auf der Straße allerlei berichtet worden, das

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ich als Material sammelte.“ – „Wir verlangen Namensangabe.“ –„Kann ich und werde ich Ihnen nicht geben.“ – „Dann erklärenwir Sie als verhaftet.“ – „Das wagen Sie nur, ich werde heuteAbend in einer Versammlung erwartet, dadurch erführe man da-von und dann säßen Sie vielleicht bald da, wohin Sie mich habenwollen.“ – „Na, Sie laufen uns ja nicht fort. Wir hatten Sie immerso hoch geschätzt, aber unsere Hochachtung haben Sie nun ver-loren.“ – „Das ist ja meine Sache, wieviel mir an Ihrer Hochach-tung liegt.“ – „Für heute sind Sie frei, aber das Schloß ist abge-sperrt, wir erwarten Sie morgen früh gegen 10 Uhr im Schloß.“ –„Ich werde kommen, aber meine Aussagen werde ich nur vor ei-nem zuständigen von mir anerkannten Gerichtshof machen.“ –Darauf verschwand der „Hohe Soldatenrat“. Er fühlte sich näm-lich auf seiner schwankenden Höhe nicht mehr so sicher, wittertedaher einen Putschversuch gegen sich und wollte die Namen deretwaigen Anstifter von Friedrich erfahren, natürlich, um diese zuverhaften.Ich holte Fräulein von Falkenstein zu einer Besprechung unsererDeutschnationalen Volkspartei über die Wahlen am 19. Januarab, die bei Frau Wahlmann stattfand, wo schon alles versammeltwar. Ich entschuldigte unser spätes Kommen mit „Besuch“. Frie-drich kam noch etwas später, es war ihm gelungen, mit aller Vor-sicht den noch dort verbliebenen Offizieren telephonisch Nach-richt zu geben, daß er alles auf sich genommen habe. Kurze Zeitspäter verhaftete der Soldatenrat Leutnant Uhlhorn, ihm vorlü-gend, Pastor Lamp habe ihn angegeben. Dieser verlangte aber,Pastor Lamp gegenübergestellt zu werden, was am folgendenMorgen geschah. Inzwischen erfuhr die Versammlung bei FrauWahlmann mit größter Empörung von der geplanten Verhaftung.Studienrat Fust, Leiter der Deutschnationalen Volkspartei inPlön, ging noch mit uns und blieb bis gegen Mitternacht. Ich saßnoch mit Friedrich auf, der die ganze Nacht durcharbeitete unddem Propsten von allem berichtete, bis 5 Uhr. Um 6 Uhr gingauch Friedrich zu Bett. Um 8 Uhr aber mußte ich ihn wecken, daschon ein Soldat, der vom Soldatenrat geschickt worden war, an-fragte, ob Herr Pastor Lamp zur bestimmten Zeit kommen wür-de. Ich entließ ihn mit den Worten: „Was mein Mann verspro-chen hat, wird er selbstverständlich halten.“ Dann kam ein ver-kleideter Kadett. …

[Am 5. Februar] um 7 Uhr fuhr Hans nach Kiel, mitten in die Sparta-kistischen Unruhen hinein. Er stellte sich sofort der Studenten-wehr, hielt nachts im Gerichtsgebäude bei den Kasernen in derKarlsstraße mit Maschinengewehr Wache. Sie wurden von Un-bekannten mit Kakao und belegten Broten bewirtet. Er erhieltauch wegen der Kälte einen feldgrauen Mantel. Tags ging er mitden Kameraden – auch Kaschi war dabei – durch die gefährdetenGegenden, mit Handgranaten versehen, Patrouille. Zum Glückbrauchte er sie nicht zu benutzen. Als der Pöbel merkte, daßErnst gemacht wurde, verteilte er sich. ...

Bild rechts:Christine Lamp am 30. Dezember 1897 (Fotografie: Kreisarchiv Plön)

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14. Juni 1919: Große Plünderungen in Lübeck: Niederegger, Rat-haus, Schiffergesellschaft usw. …

27. Juni: Else und Inge von Friedrich zu Kaufmann Witt, nach Preet-zer Redder in die Sommerfrische gebracht. Heute Nachmittagum 3 Uhr ist unsere Schmach voll und wird der Friede von Ver-sailles unterzeichnet. Ich hätte am liebsten Halbmast geflaggt,aber was nützt es ! … (S. 44-55).

(5) Besuch auf dem Friesenfest in Niebüll und Wanderung nachDüppel und zum Knivsberg (August 1919)Am 9. August [1919] fuhr Hans mit Franz und Mia Moldenhauer

zum Friesenfest nach Niebüll. Beim Guttempler Lehrer Clausenin Lindholm in Quartier.

Sonntag, den 10. August, Gottesdienst in Niebüll. Großer Festum-zug. Viele Vorträge im Freien. Sie wanderten dann weiter nachDagebüll, auf dem Deich nach Hornsbüll,42 dann quer rüber, 35km nach Tondern und Düppel.

Am 13. August übernachteten sie in der Wandervogelherberge imBurgturm von Sonderburg. Um 8 [Uhr] gingen sie zum Denkmalund zu den Schanzen. Um 2 Uhr fuhren sie mit dem Schiff nachApenrade. Hier fanden sie sehr liebevolle Aufnahme bei FäuleinBertha Möller und Fräulein Gotthardt (ehemalige Lehrerinnen),wo sie 2 Tage und 3 Nächte blieben. Von dort wanderten sie nachHadersleben und zum Knivsberg. Sehr befriedigt kehrten sie vonder schönen Fahrt nach Plön zurück. (S. 55-56).

42 Wohl aus Versehen Hornsbüll stattHorsbüll.

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