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S66 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 Die klinische Anwendung elektro- magnetisch induzierter Wechselstrom- potenziale zur Stimulation der Osteo- genese basiert auf tierexperimentellen Untersuchungen an atrophen Defekt- pseudarthrosen an den Vorderläufen aus- gewachsener Beagle-Hunde im Rechts- links-Vergleich [6, 7]. In Verbindung mit einer stabilen Osteosynthese bewirkt die Elektrosti- mulation eine signifikant gesteigerte Revaskularisation der avitalen Fraktur- enden und eine Steigerung des Knochen- umbaus in der transplantierten autoge- nen Spongiosa um etwa 20% (Abb. 1). Im Unterschied zur Gleichstromstimu- lation entsteht kein „Elektrokallus“, son- dern reifer lamellärer Knochen mit be- schleunigtem Osteonenaufbau durch Dif- ferenzierung mesenchymaler Stamm- zellen und Osteoblastenproliferation [1]. Der stimulative Effekt ist außerdem nur unter optimalen biomechanischen Be- dingungen in Verbindung mit einer sta- bilen Osteosynthese wirksam, wenn die Vaskularität oder osteogene Potenz des Knochens geschädigt, die elektrische Leitfähigkeit aber noch erhalten oder durch Transplantation frischer autoge- ner Spongiosa wiederhergestellt ist.Ver- narbtes Periost, sklerosierte Knochen- defekte oder infiziertes Gewebe erhöhen den elektrischen Widerstand bis zur Un- terbrechung des Stromflusses, sodass keine positive Beeinflussung durch das elektrische Feld zu erreichen ist. Durch Débridement der Weichteile und des Knochens, Anfrischung der Fraktur- enden mit Eröffnung und Kürettage der Markhöhle, Spongiosaplastik und sta- bile Osteosynthese kann die elektrische Leitfähigkeit bis auf das 40-Fache ge- steigert werden [2]. Die Elektrostimulation ist kein Er- satz für Fragmentstabilität und für re- aktive oder hypertrophe Pseudarthro- sen nicht notwendig. Ihre Bedeutung be- steht in der Unterstützung chirurgischer Maßnahmen mit gezielter Indikations- stellung (Abb. 2). Indikationsstellung Klinische Erfahrungen mit der postope- rativen Wechselstromstimulation reak- tionsarmer Pseudarthrosen durch eine implantierte Sekundärspule (Übertra- ger), die mit 2 Elektroden ausgestattet drahtlos (induktiv) durch ein externes, niederfrequentes pulsierendes elektro- magnetisches Feld aktiviert wird, wur- den zuerst von Lechner et al. 1981 mit- geteilt [3]. Mit 93,6% Ausheilung bei 320, durchschnittlich seit 3 Jahren er- folglos behandelten atrophen Pseud- arthrosen, 1/3 davon infiziert, lag die Ausheilungsquote deutlich höher als bei alleiniger Osteosynthese und Spon- giosaplastik.Wiendl [8] konnte 1982 so- gar über 95% Heilungen bei 65 areak- tiven Pseudarthrosen langer Röhren- knochen berichten, darunter 15 Femur- schaft- und 28 Tibiaschaftpseudarthro- sen [8]. Trauma Berufskrankh 2001 · 3 [Suppl 1]: S66–S72 © Springer-Verlag 2001 Knochenbruchheilungsstörungen Klaus-Peter Schmit-Neuerburg Essen Indikation und klinische Ergebnisse der magnetfeldinduzierten Wechselstromstimulation verzögert heilender Frakturen und Pseudarthrosen Prof. Dr. K. P. Schmit-Neuerburg Im Hinninghofen 21, 45219 Essen (Tel.: 02054-971219) Zusammenfassung Die Ergebnisse der adjuvanten Elektrostimu- lation mit elektromagnetisch induzierten Wechselstrompotenzialen in der operativen Behandlung areaktiver Pseudarthrosen, Kno- chentransplantationen und Hüftkopfnekro- sen bei 82 Patienten werden vorgestellt.Die 61 Patienten mit areaktiven Pseudarthrosen waren im Mittel 2 Jahre alt, 8 Monate sta- tionär vorbehandelt und 4-mal voroperiert. Die Therapie der mehrheitlich infizierten Pseudarthrose bestand in Sequestrotomie und ein- oder zweizeitiger Stabilisierung durch Plattenosteosynthese mit angeschlos- senem Wechselstromübertrager oder durch Marknagelung mit eingebautem Elektroüber- trager sowie autogener Spongiosaplastik, da- von 7-mal mit Zumischung allogener Bank- spongiosa. Nach der Wundheilung erfolgte die Wechselstrominduktion (20 Hz, 700 mV) mit externer Magnetfeldspule zu Hause 3-mal 45–60 min täglich für 6 Monate. Die Dauer der stationären Behandlung betrug durch- schnittlich 4 Wochen, knöcherner Durchbau und Vollbelastung wurden nach 4 Monaten erreicht. Eine rezidivfreie Ausheilung wurde bei 58 Patienten (95%) erzielt, es kam zu kei- ner Amputation.Bei 13 Tumordefekten nach Resektion primärer Knochentumoren wurden allogene Kortikalistransplantate, kombiniert mit autogener Spongiosa und Plattenosteo- synthese, und 8 Umstellungsosteotomien durchschnittlich 8 Monate elektrostimuliert. Knöcherner Durchbau und Vollbelastung wur- den in allen Fällen nach 6 Monaten erzielt. Schlüsselwörter Pseudarthrosen · Elektrostimulation

Indikation und klinische Ergebnisse der magnetfeldinduzierten Wechselstromstimulation verzögert heilender Frakturen und Pseudarthrosen

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Page 1: Indikation und klinische Ergebnisse der magnetfeldinduzierten Wechselstromstimulation verzögert heilender Frakturen und Pseudarthrosen

S66 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Die klinische Anwendung elektro-magnetisch induzierter Wechselstrom-potenziale zur Stimulation der Osteo-genese basiert auf tierexperimentellenUntersuchungen an atrophen Defekt-pseudarthrosen an den Vorderläufen aus-gewachsener Beagle-Hunde im Rechts-links-Vergleich [6, 7].

In Verbindung mit einer stabilenOsteosynthese bewirkt die Elektrosti-mulation eine signifikant gesteigerte Revaskularisation der avitalen Fraktur-enden und eine Steigerung des Knochen-umbaus in der transplantierten autoge-nen Spongiosa um etwa 20% (Abb. 1).Im Unterschied zur Gleichstromstimu-lation entsteht kein „Elektrokallus“, son-dern reifer lamellärer Knochen mit be-schleunigtem Osteonenaufbau durch Dif-ferenzierung mesenchymaler Stamm-zellen und Osteoblastenproliferation [1].Der stimulative Effekt ist außerdem nurunter optimalen biomechanischen Be-dingungen in Verbindung mit einer sta-bilen Osteosynthese wirksam, wenn dieVaskularität oder osteogene Potenz desKnochens geschädigt, die elektrischeLeitfähigkeit aber noch erhalten oderdurch Transplantation frischer autoge-ner Spongiosa wiederhergestellt ist.Ver-narbtes Periost, sklerosierte Knochen-defekte oder infiziertes Gewebe erhöhenden elektrischen Widerstand bis zur Un-terbrechung des Stromflusses, sodasskeine positive Beeinflussung durch daselektrische Feld zu erreichen ist. DurchDébridement der Weichteile und desKnochens, Anfrischung der Fraktur-enden mit Eröffnung und Kürettage derMarkhöhle, Spongiosaplastik und sta-

bile Osteosynthese kann die elektrischeLeitfähigkeit bis auf das 40-Fache ge-steigert werden [2].

Die Elektrostimulation ist kein Er-satz für Fragmentstabilität und für re-aktive oder hypertrophe Pseudarthro-sen nicht notwendig. Ihre Bedeutung be-steht in der Unterstützung chirurgischerMaßnahmen mit gezielter Indikations-stellung (Abb. 2).

Indikationsstellung

Klinische Erfahrungen mit der postope-rativen Wechselstromstimulation reak-tionsarmer Pseudarthrosen durch eineimplantierte Sekundärspule (Übertra-ger), die mit 2 Elektroden ausgestattetdrahtlos (induktiv) durch ein externes,niederfrequentes pulsierendes elektro-magnetisches Feld aktiviert wird, wur-den zuerst von Lechner et al. 1981 mit-geteilt [3]. Mit 93,6% Ausheilung bei 320, durchschnittlich seit 3 Jahren er-folglos behandelten atrophen Pseud-arthrosen, 1/3 davon infiziert, lag dieAusheilungsquote deutlich höher als bei alleiniger Osteosynthese und Spon-giosaplastik.Wiendl [8] konnte 1982 so-gar über 95% Heilungen bei 65 areak-tiven Pseudarthrosen langer Röhren-knochen berichten, darunter 15 Femur-schaft- und 28 Tibiaschaftpseudarthro-sen [8].

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S66–S72 © Springer-Verlag 2001 Knochenbruchheilungsstörungen

Klaus-Peter Schmit-NeuerburgEssen

Indikation und klinische Ergebnisseder magnetfeldinduziertenWechselstromstimulationverzögert heilender Frakturen und Pseudarthrosen

Prof. Dr. K. P. Schmit-Neuerburg Im Hinninghofen 21, 45219 Essen (Tel.: 02054-971219)

Zusammenfassung

Die Ergebnisse der adjuvanten Elektrostimu-lation mit elektromagnetisch induziertenWechselstrompotenzialen in der operativenBehandlung areaktiver Pseudarthrosen, Kno-chentransplantationen und Hüftkopfnekro-sen bei 82 Patienten werden vorgestellt. Die61 Patienten mit areaktiven Pseudarthrosenwaren im Mittel 2 Jahre alt, 8 Monate sta-tionär vorbehandelt und 4-mal voroperiert.Die Therapie der mehrheitlich infiziertenPseudarthrose bestand in Sequestrotomieund ein- oder zweizeitiger Stabilisierungdurch Plattenosteosynthese mit angeschlos-senem Wechselstromübertrager oder durchMarknagelung mit eingebautem Elektroüber-trager sowie autogener Spongiosaplastik, da-von 7-mal mit Zumischung allogener Bank-spongiosa. Nach der Wundheilung erfolgtedie Wechselstrominduktion (20 Hz, 700 mV)mit externer Magnetfeldspule zu Hause 3-mal45–60 min täglich für 6 Monate. Die Dauerder stationären Behandlung betrug durch-schnittlich 4 Wochen, knöcherner Durchbauund Vollbelastung wurden nach 4 Monatenerreicht. Eine rezidivfreie Ausheilung wurdebei 58 Patienten (95%) erzielt, es kam zu kei-ner Amputation. Bei 13 Tumordefekten nachResektion primärer Knochentumoren wurdenallogene Kortikalistransplantate, kombiniertmit autogener Spongiosa und Plattenosteo-synthese, und 8 Umstellungsosteotomiendurchschnittlich 8 Monate elektrostimuliert.Knöcherner Durchbau und Vollbelastung wur-den in allen Fällen nach 6 Monaten erzielt.

Schlüsselwörter

Pseudarthrosen · Elektrostimulation

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S67

Im eigenen Krankengut wurden 82Patienten mit adjuvanter Wechselstrom-stimulation mit folgender Indikations-stellung behandelt:

1. vaskulär geschädigte, verzögert heilen-de Frakturen

2. oligotrophe oder atrophe Pseudarthro-sen mit oder ohne Infektion

3. Defektpseudarthrosen

4. Defektersatz mit allogenen und auto-genen Knochentransplantaten nachradikaler Resektion primärer Knochen-tumore

5. Aseptische Hüftkopfnekrosen, in Ver-bindung mit einer dreidimensionalenintertrochantären Umstellungsosteo-tomie, Exkochleation der Nekrosezoneund Ersatz durch autogene Spongiosa-plastik

K. P. Schmit-Neuerburg

Indication and clinical results of electromagnetically inducedelectrostimulation of non-reactive pseudarthrosesand allogenic bone grafts

Abstract

Results of the clinical application of electro-magnetically induced alternating currentvoltage in the management of 61 non-reac-tive pseudarthroses of long bones and 21massive allogenic cortical bone grafts inbone defects after primary tumor resectionare presented. Pseudarthroses had been per-sisting for 2 years on average, the duration ofclinical pre-treatment was 8 months, thenumber of proceeding operations was 3–22.Of the 61 pseudarthroses, 22 were badly in-fected and had to be treated by sequestroto-my and temporary stabilization by externalfixation until the infections subsided. All 61pseudarthroses were treated surgically byautologous spongiosa grafting and plate fix-ation or intramedullary nailing.The alternat-ing current device was implanted with twoelectrodes, one connected to the plate or anail, the other in a 90° angle to the bone.When the wound healed, the induction of al-ternating current (20 Hz, 700 mV) was start-ed and continued at home with loan appara-tus 3 times daily for 40–60 min and 6–8 months on average. Ossification and woundhealing of the fracture or osteotomy wascompleted and full weight-bearing was al-lowed within 4–6 months.The duration ofhospitalization was 4 weeks for non-infectedcases, 6–8 weeks for the infected ones.Complete recovery was noted in 58 of 61pseudarthroses (95%) and in all 21 patientswith cortical bone graft and osteotomies. Noamputations were necessary.

Keywords

Pseudarthroses · Electrostimulation

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S66–S72 © Springer-Verlag 2001

Abb. 1a, b � Autogene Spongiosatransplantate als Defektersatz in 6 Monate alten Defektpseud-arthrosen beider Vorderläufe 6-jähriger Beagle-Hündinnen, a mit Wechselstrompotenzialen behan-delte Seite mit deutlich erhöhter Knochenneubildung und lamellärer Strukturverdichtung, b unbe-handelte Kontrollseite desselben Hunds, Mikroradiographie (70 µm)

Abb. 2 � Indikationsstellung zur adjuvanten Elektrostimulation bei verzögertheilenden Frakturen und Pseudarthrosen aufgrund gestörter Vaskularität oderosteogenetischer Potenz und stabiler Osteosynthese

aa bb

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S68 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Knochenbruchheilungsstörungen

Die 82 Patienten mit abgeschlossenerBehandlung verteilten sich auf 61 Pseud-arthrosen (19 Femur, 24 Tibia, 12 Hu-merus, 4 Unterarm, 2 Fuß). Das durch-schnittliche Pseudarthrosenalter betrug24,5 Monate, die mittlere Dauer der sta-tionären Vorbehandlung 8 Monate. AllePatienten waren durchschnittlich 4-mal(3- bis 22-mal) voroperiert, 30 Pseudar-throsen waren infiziert, darunter 8 De-fektpseudarthrosen.

Bei einem 2. Kollektiv wurden 13 Pa-tienten mit großen Knochendefekten derlangen Röhrenknochen nach Tumor-resektion, Defektersatz durch allogeneKortikalistransplantate und autogeneSpongiosa sowie stabiler Osteosynthesesowie 8 Osteotomien mit Nekroseaus-räumung, Spongiosaplastik und Osteo-synthese postoperativ mit der adjuvan-ter Elektrostimulation behandelt. DasDurchschnittsalter betrug 36 Jahre (16–71 Jahre).

Operationstechnik

Das operative Vorgehen erfolgte je nachInfektsituation ein- oder zweizeitig undbeinhaltete ein radikales chirurgischesDébridement des Weichteilmantels mitder Exzision kontrakter Narben und avi-taler, schlecht durchbluteter Gewebe-strukturen einschließlich Nekrektomieder sklerosierten Fragmentenden, Eröff-nung und Kürettage der Markhöhle undDekortikation der atrophen Pseudar-throse, deren elektrische Leitfähigkeitzusätzlich durch die Anlagerung frischerautogener Spongiosa verbessert wurde.Es wurde eine stabile Osteosynthese mitdem Ausgleich von Achsenfehlstellungund Längendifferenzen durch Mark-nagel- oder Plattenosteosynthese nachAO-Prinzipien durchgeführt.

Optimale Voraussetzungen für einenguten elektrischen Kontakt bietet dieaufgebohrte Marknagelung mit Veran-kerung des Übertragers im Marknagelund stabil positionierten Elektroden(Abb. 3). Bei Verwendung einer Platten-osteosynthese wurde der Übertrager miteiner Elektrode an der Platte und mitder 2. Elektrode direkt am Knochenmittels Bohrdraht oder Schraube ange-schlossen, um 90–180° gegen die Platteversetzt (Abb. 4). Bei osteoporotischemKnochen, ungenügendem Fragment-kontakt oder großen Knochendefekten

Abb. 3 � Induktive Wechselstrom-erzeugung durch ein externes pul-sierendes elektromagnetisches Feld(PEMF), das in einer implantiertenSekundärspule einen niederfre-quenten Wechselstrom von 20 Hzund 700 mV erzeugt. Der Übertra-ger ist entweder mit seinen Elektro-den an Platte und Knochen ange-schlossen oder im Marknagel veran-kert und mit den auf der Oberflächedes Marknagels aufgetragenenElektroden verbunden (SystemMagnetodyn)

Abb. 4 � 18-jähriger Patient mit Unterschenkeldefektpseudarthrose, 2 Jahre nach Osteomyelitis,Stabilisierung mit lateraler Wagner-Platte, autogene Spongiosaplastik und Anschluss eines Wechsel-stromübertragers an die Platte einerseits und an 2 zusätzliche Kirschner-Drähte andererseits, 6 MonateElektrostimulation, Vollbelastung ab 5. Monat, fistelfreier belastungsstabiler knöcherner Durchbau

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am Femur oder Humerus kann zusätz-lich zum Verriegelungsnagel oder zurPlatte eine als 2. Elektrode wirksameschmale Zuggurtungsplatte, ebenfalls

um 90–180° versetzt, verwendet werden,allerdings nur mit 1–2 Schrauben je Frag-ment fixiert, welche das Hauptimplantatnicht berühren (Abb. 5).

Vor und nach dem Wundverschlusswurde das elektrische Feld durch Wider-standsmessung überprüft.

Bei glatter Wundheilung (ab dem 5.–10. postoperativen Tag) wurde mit derinduktiven Stimulation des Übertragersdurch ein externes, niederfrequent pul-sierendes elektromagnetisches Feld be-gonnen und ein Wechselstrompotenzialvon 20 Hz und 700 mV erzeugt und dieOperationszone 3-mal täglich für 40–60 min elektrostimuliert. Nach der sta-tionären Entlassung führten die Patien-ten die Elektrotherapie mit einem re-zeptierten Leihgerät (Magnetodyn) mitfest eingestellten Vorgaben für Frequenzund Intensität sowie Datenspeicher fürZahl und Dauer der Anwendungen zuHause selbstständig und sehr zuverlässigdurch. Die Geräte werden dem Patientenfrei Haus geliefert und sind von den ge-setzlichen Krankenkassen anerkannt.

Die adjuvante Elektrostimulationmit pulsierenden elektromagnetischenFeldern (PEMF) wurde durchschnittlich6 Monate, 3-mal täglich 45–60 min biszur vollständigen Konsolidierung undVollbelastung fortgesetzt.

Bei areaktiven Pseudarthrosen mitflorider Infektion musste in 22 Fällenzweizeitig operativ vorgegangen werden:

∑ Zunächst wurden sämtliche schlechtdurchbluteten Knochenbezirke undWeichteile reseziert, die Markhöhle inbeiden Richtungen eröffnet und kürret-tiert oder aufgebohrt, die Defektstreckemit Fixateur externe stabilisiert und dieInfektberuhigung durch die Implanta-tion von Gentamycin-PMMA-Ketten er-zielt. An der Tibia wurde gleichzeitig dieWeichteildeckung des Knochendefektsdurch gestielte oder freie Haut-Muskel-Transplantate verbessert.

∑ In 2. Sitzung wurde nach 2–4 Wochendie Stabilisierung vorgenommen, derDefekt mit autogener Spongiosa gefülltund der Wechselstromübertrager mitden um 90–180° versetzten Elektrodenan das Osteosynthesematerial ange-schlossen.

Bei ausgedehnten Knochendefekten sindgroße Mengen Spongiosa erforderlich,sodass allogene Bankspongiosa bis zu50% zugemischt und die adjuvante Elek-trostimulation bis zur vollständigen Vas-kularisation, Integration und Umbau derSpongiosa auf 12 Monate und längerausgedehnt wurde (Abb. 6).

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S69

Abb. 5 � 41-jähriger Patient mit Defektpseudarthrose nach offener Oberschenkelfraktur und radika-ler Sequestrotomie vor 12 Monaten. Operation: radikales Débridement, Verriegelungsmarknagelohne Elektroübertrager, ventrale Zuggurtungsplatte und Anschluss des Wechselstromübertragersan die Platte einerseits und an die Verriegelungsbolzen des Marknagels andererseits, ausgedehnte,gemischt allogene und autogene Spongiosaplastik; Elektrostimulation 6 Monate, dann Vollbelastung,zweizeitige Metallentfernung nach 2 und 4 Jahren, vollständige Regeneration des Femurschafts beider Nachuntersuchung nach 8 Jahren

Abb. 6 � 41-jährige Patientin. Infizierte Pseudarthrose nach Plattenosteosynthese einer Femur-schaftmehrfragmentfraktur. Erste Operation: radikale Sequestrotomie, Fixateur externe und Genta-mycin-PMMA-Ketten-Implantation, nach 4 Wochen 2. Operation: Doppelplattenosteosynthese 90°versetzt, Defektersatz mit gemischt autogener und allogener Bankspongiosa. Elektroübertrager-anschluss an beide Platten, Elektrostimulation und Vollbelastung 6 Monate, zweizeitige Metallent-fernung, Wiederherstellung des Femurschafts nach 5 Jahren, gute Funktion ohne Verkürzung

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Besonders hartnäckig und thera-pieresistent sind Pseudarthrosen in un-mittelbarer Nachbarschaft der großenGelenke am distalen Humerus, Femurund Tibia. Vernarbte Weichteile, Fistel-bildung, Atrophie und Entkalkung derareaktiven Hauptfragmente sowie diefortschreitende Einsteifung der angren-zenden Gelenke sind Hauptursache derchirurgischen Misserfolge, sodass diePatienten resignieren und selbst die Am-putation wünschen. Im eigenen Kran-kengut konnten 2 infizierte und häufigerfolglos voroperierte areaktive Pseud-

arthrosen an der distalen Tibia und amdistalen Femur durch offene Marknage-lung mit Elektromarknagel und Spon-giosaplastik nach 6-monatiger Elektro-stimulation fistelfrei und voll belastbarzur Ausheilung gebracht werden, sodassdie präoperativ von vorbehandelndenÄrzten bereits empfohlene Amputationnicht mehr zur Debatte stand (Abb. 7).

Bei der Elektrostimulation autoge-ner oder allogener Kortikalistransplan-tate aus der Knochenbank,die v. a. in derTumorchirurgie zum Defektersatz ver-wendet werden, ist die geringe elektri-

sche Leitfähigkeit der avitalen Kortikaliszu berücksichtigen. Der Umbau der mas-siven Transplantate nimmt Jahre in An-spruch. Die knöcherne Überbrückungder Anschlussstellen des Transplantatsist für die Stabilität und die Belastbar-keit entscheidend.An diesen Anschluss-stellen wird die elektrische Leitfähigkeitdurch autogene Spongiosa wesentlichverbessert. Im eigenen Krankengut er-folgten die knöcherne Überbrückungder Anschlussstellen und die Inkorpora-tion der massiven Kortikalistransplan-tate ohne Resorption oder Stabilitäts-verlust. Die adjuvante Elektrostimula-tion muss allerdings über einen ange-messen langen Zeitraum von 6–12 Mo-naten erfolgen (Abb. 8).

Ergebnisse

Von 61 areaktiven Pseudarthrosen (Ta-belle 1) mit abgeschlossener Behandlungwaren bei der Nachuntersuchung nach 2–8 Jahren 58 (95%) ausgeheilt, kein Pa-tient musste amputiert werden. Eine Pa-tientin verstarb an einem Mammakarzi-nom, 2 weitere Patienten konnten nichtmehr nachuntersucht werden. Bei 22 Pa-tienten musste zunächst die chirurgi-sche Infektsanierung mit Defektüber-brückung durch Fixateur externe erfol-gen, wodurch sich die Dauer der sta-tionären Behandlung durchschnittlichum 2–4 Wochen verlängerte. Die opera-tive Stabilisierung erfolgte dann 29-maldurch Plattenosteosynthese und 26-maldurch Marknagelung mit eingebautemElektroübertrager. In 6 Fällen mit großemKnochendefekt nach Sequestrotomiewurde die notwendige Stabilität durcheine Kombination von Marknagel- undPlattenosteosynthese erreicht.AutogeneSpongiosa wurde bei 47 Patienten trans-plantiert, davon 7-mal mit Zumischungallogener Bankspongiosa. Eine Reosteo-synthese war in 8 Fällen wegen Trans-plantatlockerung erforderlich. Die Wund-heilung verlief komplikationslos, die Pa-tienten blieben nach der Entlassung undSpontanheilung einer wiederaufgetrete-nen Fistel infektfrei,auch nach Abschlussder Elektrotherapie.

Eindrucksvoll waren die schnelleAbschwellung, die gute Durchblutung,die Schmerzfreiheit und die schnelleWiederherstellung der Muskel- und Ge-lenkfunktionen unter der Elektrothera-pie. Gelegentlich traten während derMagnetfeldbehandlung Kribbelparäs-

S70 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Knochenbruchheilungsstörungen

Abb. 7 � 71-jähriger Patient mit 3 Jahre alter, infizierter distaler Tibiaschaft-pseudarthrose, 5 cm oberhalb des oberen Sprunggelenks, 4-mal voroperiert mitPlatte und Fixateur externe, Fistelrezidiv und OSG-Einsteifung, Überweisungzur Amputation. Operation: Dekortikation, Fistelexzision, offene Marknagelungmit 15 mm Tibiamarknagel und Elektroübertrager. Wegen Rotationsinstabilität6 Wochen Gehgips in Vollbelastung, Elektrostimulation für 6 Monate, Spontan-heilung der Fistel und knöcherne Überbrückung nach 4 Monaten, knöcherneAusheilung, infektfrei und voll belastbar bei Kontrolle nach 29 Monaten

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thesien und stechende Schmerzen auf,die bei Rücknahme der Intensität desMagnetfelds abklangen. Später wurdevon den Patienten das angenehme Wär-megefühl unter der Magnetfeldbehand-lung lobend hervorgehoben, was auchdie hohe Compliance der Patientenwährend der langen Therapie erklärt.

Bei den 21 Patienten im Durch-schnittsalter von 32 Jahren mit großenKnochendefekten und Osteotomien wa-

ren alle Transplantate und ebenso dieOsteotomien innerhalb von 6 Monatenknöchern konsolidiert und voll belast-bar, der postoperative Verlauf war mitAusnahme von 2 Reosteosynthesen amFemur komplikationslos.

Schlussfolgerung

Die vorliegenden Ergebnisse der adju-vanten Elektrostimulation mit induzier-

ten Wechselstrompotenzialen in der ope-rativen Behandlung reaktiver Pseudar-throsen, Knochentransplantationen undHüftkopfnekrosen bestätigen eindrucks-voll die aus der Grundlagenforschungund tierexperimentell gewonnenen Er-kenntnisse über den Einfluss niederfre-quenter Wechselstrompotenziale auf Zell-stoffwechsel, Zelldifferenzierung undOsteogenese [1, 5]. Die adjuvante Elek-trostimulation ist nur in Verbindung miteiner stabilen Osteosynthese anwendbarund kein Ersatz für die Fragmentstabi-lität. Sie ist außerdem an die vollständi-ge Entfernung devitaler Fragmente undWeichteilnekrosen, an Infektsanierungund Defektersatz durch autogene Spon-giosa gebunden. Sie fördert die Revas-kularisation, den Knochenumbau unddie Knochenneubildung im vaskuläroder osteogenetisch geschädigten Kno-chen. Die Ausrüstung der gebohrtenund ungebohrten Marknägel der AO fürFemur und Tibia als Elektromarknägel(E-UTN) ist eine interessante Entwick-lung, die möglicherweise weitere An-wendungen der Elektrostimulation beiverzögert heilenden Frakturen und fürdie Stabilisierung neu gebildeten Kno-chens nach Kallusdistraktion aufzeigt.Durch die adjuvante Elektrostimulationkönnten die Ergebnisse der primär mitdem UTN versorgten Mehrfragment-frakturen der Tibia, die mit einer bis zu76 Wochen verzögerten Heilung und er-höhter Komplikationsrate belastet sind[4], verbessert werden.

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S71

Tabelle 1Ergebnisse von 61 Pseudarthrosen langer Röhrenknochen mit abgeschlossenerBehandlung

Behandlung Anzahl/Dauer

Operation

Infektsanierung 22

Operation

Plattenosteosynthese 29 (25 mit autologer Spongiosa)

Marknagelosteosynthese 26 (18 mit autologer Spongiosa)

Kombination 6 (4 mit autologer Spongiosa)

Gesamt 61 (47 mit autologer Spongiosa)

Operation

Reosteosynthese 8

Behandlungsdauer

Stationär Bis 4 Wochen

PEMF-Stimulation Bis 6 Monate

Knöchern fest/Vollbelastung Bis 4 Monate

Ergebnis

Ausheilung 58 (95,0%)

Amputation 0

Unbekannt 2

Verstorben 1

Abb. 8 � 42-jährige Frau mit fibröser Dys-plasie seit 8,5 Jahren, wiederholte Ausräu-

mung und Spongiosaplastik, mehrere Re-zidive und pathologische Fraktur. WegenVerdacht auf beginnende maligne Entar-tung radikale Resektion und Ersatz durchallogenes Kortikalistransplantat aus der

Knochenbank. Doppelplattenosteosyn-these und ausgedehnte Spongiosaplastik,

Elektrostimulation für 6 Monate, Vollbelas-tung ab der 8. Woche, zweizeitige Platten-

entfernung nach 7 Jahren

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S72 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001

Knochenbruchheilungsstörungen

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