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Individuelle Rezeption eines Kinderbuches
durch Kinder im Vorschulalter
-Zwei qualitativ-empirische Fallstudien
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für
das Lehramt an Grundschulen/Hauptschulen und Realschulen
dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für
Lehrämter an Schulen Essen
vorgelegt von: Tanja Hoff
Dunantstr. 127d
47906 Kempen
Tel: 02152/ 557965
Essen, Oktober 2007
Themensteller: Prof. Dr. Georg Peez
Universität Duisburg - Essen
Campus Essen
Fachbereich Kunstpädagogik
Inhaltsverzeichnis
_________________________________________________________________
1
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG....................................................................................................3
1.1 HINFÜHRUNG ZUM THEMA .............................................................................3
1.2 ZIELE DER KINDERZEICHNUNGSFORSCHUNG ..................................................3
1.3 DIE BEDEUTUNG VON BILDERBÜCHERN IM KUNST- UND
DEUTSCHUNTERRICHT ..........................................................................................4
1.4 PERSÖNLICHE MOTIVATION............................................................................6
1. 5 BEGRÜNDUNG FÜR DEN GEGENSTAND 'BILDERBUCH' UNTER
BERÜCKSICHTIGUNG DES LEHRPLANS ..................................................................8
2. DARSTELLUNG DES FORSCHUNGSFELDES........................................11
2.1 AUFGABENSTELLUNG ...................................................................................11
2.2 EINGRENZUNG DES FORSCHUNGSINTERESSES...............................................11
3. METHODISCHE GRUNDLAGEN...............................................................14
3.1 MATERIALSAMMLUNG..................................................................................14
3.2 UNTERSUCHUNGSVERLAUF ..........................................................................15
3.2.1 Ort und Personen.................................................................................15
3.3 FORSCHUNGSMETHODEN ..............................................................................17
3.3.1 Qualitative empirische Forschungsmethode ........................................17
3.3.2 Einzelfallanalyse...................................................................................18
3.3.3 Narratives Interview .............................................................................19
4. ANGABEN ZUM BUCH ................................................................................23
4.1 KURZE ZUSAMMENFASSUNG DES BUCHINHALTES ........................................23
4.2 AUFBAU DES BUCHES ...................................................................................23
4.3 VORLESEAKT ................................................................................................24
5.INTERPRETATION........................................................................................25
5. 1 KINDERZEICHNUNGSFORSCHUNG ................................................................25
5.1.1 Aktualität der Entwicklungsmodelle .....................................................26
5.1.2 Dreiteiliges Entwicklungsmodell nach Peez.........................................27
5.2 SCHEMA........................................................................................................28
5.3 FIGURENDARSTELLUNG ................................................................................35
5.3.1 Allgemeine Auffälligkeiten und Parallelen zum Buch ..........................35
5.3.2 Aufbau der Figuren...............................................................................41
5.3.3 Anthropomorphes Denken ....................................................................46
5.4 DAS PRÄGNANZPRINZIP ................................................................................50
5.5 DIE BEDEUTUNGSGRÖßE...............................................................................53
5.6 DAS PRINZIP DER RECHTWINKLIGKEIT .........................................................55
5.7 DAS TRANSPARENZPRINZIP ..........................................................................57
5.8 DIE RÄUMLICHKEIT ......................................................................................60
5.9 DIE FARBE ....................................................................................................67
6. ERGEBNISSE..................................................................................................72
7. DIDAKTISCHE CHANCEN UND AUSSICHTEN.....................................75
7.1 ZUR ERHEBUNGSMETHODE...........................................................................75
7.2 INDIVIDUELLE REZEPTION IM UNTERRICHT ..................................................75
Inhaltsverzeichnis
_________________________________________________________________
2
LITERATURVERZEICHNIS ...........................................................................78
ANHANGSVERZEICHNIS ...............................................................................80
A 1 BILDERVERZEICHNIS...............................................................................80
A 2 TRANSKRIPTIONEN .................................................................................80
A 1. 1 LARAS ZEICHNUNGEN IM ÜBERBLICK .....................................................81
A 1. 2 ANNES ZEICHNUNGEN IM ÜBERBLICK .....................................................83
A 2. 1TRANSKRIPTION LARA..............................................................................85
A 2. 2 TRANSKRIPTION ANNE.............................................................................88
A 2. 3 FELDNOTIZEN WÄHREND DES ZEICHNENS................................................91
Einleitung
_________________________________________________________________
3
1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
Vor dem Hintergrund der Kinderzeichnungsforschung wird mit
Hilfe qualitativ empirischer Forschungsmethoden eine Analyse von sieben
Kinderzeichnungen zweier Vorschulkinder zu einem Bilderbuch
durchgeführt. Kommunikative Mittel der Erhebung sollen zu einem tieferen
Verständnis der kindlichen Bildsprache führen bzw. die unterschiedlichen
Rezeptionen des Bilderbuches untersuchen. Forschungsmaterial hierfür
sind Zeichnungen, Fotografien und Interviewaussagen, die aus narrativen
Einzelinterviews mit den Kindern hervorgehen.
1.2 Ziele der Kinderzeichnungsforschung
Die Analyse fällt in den Bereich der Kinderzeichnungsforschung, was eine
der grundlegenden Fragen aufwirft. Was genau wird im Rahmen der
Kinderzeichnungsforschung untersucht? Neuß erinnert an die wesentliche
Funktion von Zeichnungen, die im Bereich der Kommunikation verwurzelt
ist. „Das Zeichnen gehört neben der sprachlichen Verständigung zu den
wichtigsten Aneignungs-, Ausdrucks- und Kommunikationsformen in der
Kindheit.“ (Neuß 1999, S.49) Nicht umsonst wird in diesem
Zusammenhang häufig von Bildsprache gesprochen. Die Verbindung
zwischen dem Zeichenprodukt und der Lebenswirklichkeit des Kindes ist
für Neuß Zeichen von Kommunikation. „In Bildern stellen Kinder ihre
Wirklichkeit dar und die unterschiedlichen Formen der
Auseinandersetzung mit ihr.“ (Neuß 1999, S.49) Die Intention der
Mitteilung ordnet auch Peez den Kinderzeichnungen zu und sieht darin
einen zu untersuchenden Forschungsgegenstand: „Für die
Kinderzeichnungsforschung gilt es, die subjektiven Faktoren und
biographischen Bezüge in der bildnerischen Handlung des Kindes aus
Sicht des Erwachsenen zu rekonstruieren, d.h. Beweggründe, Ideen und
Interessen im Vollzug des Zeichnens und deren kommunikative
Beziehungsaspekte zu thematisieren.“ (Peez 2005, S. 142) Der
Einleitung
_________________________________________________________________
4
Lebensbereich des Kindes spiegelt sich zu einem großen Teil in der
Bildaussage des Kindes wider. Peez spricht von der Kinderzeichnung als
ein Interaktionsmedium zwischen dem Kind und seiner Umwelt. (vgl. Peez
2005, S.142)
Die nachfolgende Untersuchung fragt nicht nach den Beweggründen für
die Motivwahl, da das Bilderbuch 'Der Grüffelo' als medialer Anlass für das
Zeichnen dient. Allerdings gilt es zu klären, welche Intentionen sich hinter
den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Zeichnung verbergen
und welche Bezüge zur kindlichen Lebenswelt zu ergründen sind.
Das Zeichnen zu einem Bilderbuch entstand aus der Idee, den Kindern
eine mediale Grundlage zur Auseinandersetzung zu bieten, die sowohl
aus ihrer derzeitigen Lebenswelt gegriffen ist, gleichzeitig aber auch
Relevanz für den schulischen Alltag trägt. Welche Bedeutung der
Thematik im schulischen Kontext zukommt, soll im folgenden Abschnitt
diskutiert werden.
1.3 Die Bedeutung von Bilderbüchern im Kunst- und
Deutschunterricht
Bilderbücher stellen für die Mehrheit der Kinder ein vertrautes Medium
dar, mit dem bereits Erfahrungen innerhalb der Familie oder im
Kindergarten gesammelt wurde. Das Bilderbuch kann als ein signifikanter
Gegenstand der kindlichen Lebenswelt gesehen werden, wobei darauf zu
verweisen ist, dass sich der Erfahrungswert sehr differenziert äußert. Für
einige Kinder wird das Vorlesen nahezu rituell betrieben, andere haben
wenige bis gar keine Möglichkeiten vor der Kindergartenzeit oder sogar
dem Schuleintritt Erfahrungen mit dem Vorleseakt zu sammeln. Für Lehrer
bietet das Arbeiten mit Bilderbüchern eine Möglichkeit eine Brücke
zwischen den Fächern Deutsch und Kunst zu schlagen. Kretschmer sieht
ebenfalls die Notwendigkeit für ein fächerübergreifendes Handeln.
„Das Bilderbuch bietet sich hier als Ausgangspunkt an. In ihm verschmelzen
textliche und bildhafte Elemente auf vielfältige Weise: erst in ihrem
Zusammenspiel ergibt sich ein ästhetisches Ganzes. Deshalb reicht es nicht aus,
Bilderbücher in den traditionellen Fächergrenzen zu reflektieren. Die
Literaturdidaktik ist ebenso gefragt
wie die Kunstdidaktik.“ (Kretschmer 2003, S.22)
Einleitung
_________________________________________________________________
5
Bilderbücher zum Gegenstand des Deutsch- und Kunstunterrichts in der
Grundschule zu machen, kann aus diversen didaktischen Implikationen
geschehen. Kritisierend führt Kretschmer auf, dass allein dem
Kunstunterricht die Arbeit mit Bildern diktiert wird:
„Bislang ist der Kunstunterricht das einzige Fach, dass sich explizit mit der
Wirkung und der Herstellung von Bildern befasst und zu einer Bildkompetenz
qualifizieren kann. Aus einer Kunst und Sprache integrierten Perspektive muss es
darum gehen, den Textbegriff zu erweitern auf die ästhetisch verfasste
Wirklichkeit, die "lesbar" zu machen ist.“ (Kretschmer 2003, S. 22)
Durch das mindestens ausgewogene Verhältnis von Schrift und Text
bietet das Lesen und Betrachten von Bilderbüchern eine gelungene
Motivationsmöglichkeit, besonders für leseschwache Schüler.
Die Verbindung von Schrift und Sprache macht den Reiz des Buches aus.
„Bilderbücher erzählen in Wort und Bild, darin sind sie dem Theater oder dem
Film ähnlich. Gegenüber den komplexen bewegten Film- und Computerbildern
mit ihren oft umstrittenen Themen beansprucht das Bilderbuch eine ästhetische
und pädagogische Sonderrolle, weil es seine Aufgabe ist, Kindern einen
Ausschnitt der Welt zu vermitteln.“ (Kretschmer 2003, S. 14)
Die Illustrationen tragen zur Erschließung der Geschichte bei. Sie besitzen
eine Art Standbildcharakter. Gegenüber den zunehmend bewegten und
animierten Bildern in diversen anderen Medien, können sich die statischen
Bilder besser in der Erinnerung des Kindes verankern und erhalten
dadurch einen gewissen Symbolgehalt.
„Anders als bei den flüchtigen Bildern des Fernsehens kann das Kind die
Dauer des Betrachtens selbst bestimmen.“ (Kretschmer 2003, S. 14)
Bilderbücher zeichnen sich besonders durch ihren illustrativen
Detailreichtum aus, welcher zur Fantasieförderung beiträgt und eine
genaue Betrachtung von den Rezipienten verlangt. „Es vermittelt etwas
über die Welt und ist geeignet innere Vorstellungsbilder zu aktivieren.“
(Kretschmer 2003, S.14)
Aus diesen Fantasien kann der Unterricht sein Potential schöpfen. Die
Vorstellungen der Kinder können zur kreativen Arbeit beitragen, sei es
zum kreativen Schreiben oder zu künstlerischen Gestaltungen.
Aus Bilderbüchern ergeben sich vielzählige Gesprächsanlässe und
Anregungen zum eigenen Gestalten. Didaktische Maßnahmen zur
Anregung und Entwicklung von Fähigkeiten bestehen im sprachlichen
Einleitung
_________________________________________________________________
6
Bereich besonders in der Förderung der Kompetenzen Hören, Lesen und
Schreiben. Parallel wird das visuelle Ausdrucksvermögen der Kinder
durch Betrachten, Malen, Zeichnen, Bauen, szenisches Spiel etc.
erweitert. (vgl. Kretschmer 2003, S. 23) Das Spektrum an Möglichkeiten
gestaltet sich breit. Die Lehrperson ist gefordert, möglichst viele Impulse
zu geben, die Anstöße zur Förderung dieser Kompetenzen bewirken.
1.4 Persönliche Motivation
Anstoß für die Arbeit waren letztlich meine Studienfächer. Die
Beschäftigung mit Bilderbüchern als auch mit Kinderzeichnungen im
Studium ergab sich mehrfach durch meine Schwerpunktfächer
Germanistik und Kunst. Die Arbeit mit Vorschulkindern entstand durch
meine Spezifizierung auf den Primarstufenbereich, der die Vorschulkinder
mit der Einschulung empfängt. Mein besonderes Interesse im Bereich
Germanistik galt der Leseförderung. Dem Vorlesen von Bilderbüchern
kommt ein hoher didaktischer Wert innerhalb der Unterrichtspraxis in der
Grundschule zu. Vorleserituale durch die Lehrperson werden oft
vernachlässigt, obwohl sie als eine Bereicherung für die Förderung der
Lesemotivation zu sehen sind. Auf den Stellenwert von Bilderbüchern geht
das nachfolgende Kapitel mit der Absicherung durch den Lehrplan ein.
Motivierender Aspekt war außerdem die Praxisnähe, die das empirische
Arbeiten versprach. Das wissenschaftliche Vorgehen im Rahmen des
Studiums reduziert sich häufig auf die Auswertung bereits vorhandener
wissenschaftlicher Erhebungen. In der Regel dienen nicht eigens
durchgeführte Studien als Grundlagen zur Auseinandersetzung mit einer
Thematik. Informationen werden aus der Literatur entnommen ohne sie in
Verbindung mit persönlichen Erfahrungen aus der eigenen Praxis setzen
zu können. Der Reiz für die Arbeit ergab sich besonders aus der
Möglichkeit eine eigen erprobte Erhebung durchzuführen. Die empirische
Untersuchung im Kindergarten bildet ein Bindeglied zwischen dem
theoretischen Anteil des Hochschulstudiums und der praktischen
Anwendung. So stützt sich meine Untersuchung nicht alleine auf
Einleitung
_________________________________________________________________
7
Analysen, wie bereits oben erwähnt, die aus der Fachliteratur
hervorgehen, sondern ebenso auf eigene Forschungsgrundlagen.
Innerhalb der Hochschullehre im Fachbereich Kunst wurde die Methode
der Interviewführung zu Analysezwecken häufig diskutiert. Im schulischen
Bereich wird diese Arbeitsweise überwiegend gemieden. Warum diese
Technik nicht als geläufige Unterrichtsmethode zu sehen ist, aber welche
Vorteile sie birgt, soll im Text beiläufig Erwähnung finden. Ist der Grund in
der Unwissenheit der Lehrer zu sehen? Liegt es an einer kritischen
Haltung gegenüber dem Erfolg der Methode? Oder lassen die zeitlichen
Bedingungen im Unterricht eine Vorgehensweise, die sich mit dem
Schüler als Individuum auseinandersetzt, nicht zu?
Eine Verknüpfung didaktischer Implikationen zu möglichen
Unterrichtsmethoden als auch die Berücksichtigung der Lehrpläne
innerhalb der vorliegenden Arbeit bereitet auf den zweiten Teil des
Studiums, das Referendariat, vor.
Aus der Aufmerksamkeit für die aktuellen öffentlichen Diskussionen geht
mein Interesse für den sich im schulischen System abzeichnenden
Umbruch hervor. Durch diverse Studien, wie Pisa, Iglu, JiM u. ä. wird der
Wissensstand der Kinder mit der schulischen Bildung in Verbindung
gesetzt und in Frage gestellt. Die daraus resultierenden Anreize zur
Umstrukturierung sind in der Praxis zu erkennen. In der Schulpraxis wird
der Unterricht verstärkt auf eine Öffnung ausgerichtet. Innere Öffnungen
durch Unterrichtsformen wie Freiarbeit, Projektarbeit, Stationenlernen usw.
finden immer mehr Zustimmung. Zwischen Themen unterschiedlicher
Fächer Verbindungen herzustellen, ist ein signifikantes Ziel der
Unterrichtspraxis. Aber auch eine Öffnung nach Außen ist zentrales Ziel
der Debatte. Die Kommunikation zwischen den Bildungsinstanzen
Grundschule und Vorschule wird zunehmend erforderlich, wodurch die
Erhebung mit Vorschulkindern als Interesse einer Verbindung beider
Instanzen zu sehen ist.
Einleitung
_________________________________________________________________
8
1. 5 Begründung für den Gegenstand 'Bilderbuch' unter
Berücksichtigung des Lehrplans
In diesem Kapitel werden Verbindungen zwischen den Anforderungen des
Lehrplans und meiner Erhebung hergestellt. Die Erhebung kann in der
Form, wie sie im vorschulischen Bereich durchgeführt wurde, nicht als
Unterrichtsstunde durchgeführt werden. Je nach Klassenstärke kann keine
Zuwendung und individuelle Beobachtung in der notwendigen Intensität
stattfinden. Dennoch ist es denkbar, aus der Erhebung Möglichkeiten zur
Unterrichtsgestaltung abzuleiten. Aus diesem Grunde ist eine nähere
Betrachtung des Lehrplans sinnvoll, um zu untersuchen, welche Lernziele
durch die kreative Rezeption eines Bilderbuches erreicht werden können.
Nehme ich im Folgenden Bezug auf den Lehrplan, sind meine
Informationen den „Richtlinien und Lehrplänen zur Erprobung für die
Grundschule in Nordrhein-Westfalen“ (Grundschule, Richtlinien und
Lehrpläne zur Erprobung, 2003) entnommen.
Das Vorlesen eines Bilderbuches mit einer gestalterischen Tätigkeit zu
verbinden, ist im Sinne eines fächerübergreifenden Agierens. Gerade im
Primarstufenbereich werden häufig Inhalte unterschiedlicher Fächer
miteinander verknüpft. Die Thematik birgt besondere Relevanz für die
Fächer Kunst und Deutsch. Im Lehrplan Deutsch ist der „Umgang mit
Texten und Medien“ (Grundschule, Richtlinien und Lehrpläne zur
Erprobung 2003, S. 31) als zentrale Forderung genannt. Im Schulalltag
finden Bücher bevorzugt Verwendung. Gerade für die ersten Schuljahre,
in denen wichtige Grundsteine für die spätere Lesemotivation gesetzt
werden, können Bilderbücher einen Beitrag zur Lesefreude leisten und die
„Entwicklung des mündlichen Sprachhandelns“ (Grundschule, Richtlinien
und Lehrpläne zur Erprobung 2003, S.31), welches der Lehrplan als
zentrale Vermittlungsaufgabe sieht, unterstützen. Durch den Vorleseakt
wird nicht nur Spaß am Lesen geweckt, sondern ebenso verstehendes
Zuhören gefördert. In dem zweiten Teil der Erhebung kommen die Kinder
zu Wort indem sie eigenständig Ergebnisse verbalisieren. Die
zeichnerische Produktion kann dem Kind als Stütze bei der Erklärung zur
Wiedergabe des Inhaltes dienen. Versucht das Kind die Geschichte mit
Einleitung
_________________________________________________________________
9
den Zeichenergebnissen zu verbinden, so kann es auf sein
Zeichenmaterial zurückgreifen und die Inhalte besser in Erinnerung rufen.
Dadurch präsentiert das Kind der Lehrperson sowohl sein Verständnis des
Buches als auch persönliche Zugänge zu seiner Lebenswelt. Seine
Rezeption vermittelt dem Lehrer die Ergebnisse auf zwei Arten: zum einen
durch das zeichnerische Ergebnis und zum anderen durch eine verbale
Darbietung. In Klasse 1 und 2 wird nach Lehrplan das Anleiten zum
„Erzählen von Geschichten“ und zum „Erklären“ als Lehrziel angesetzt.
Durch die Verbalisierung des Ergebnisses lassen sich Fördermaßnahmen
in dem genannten Bereich einleiten.
Offen steht die Frage, warum sich das Vorlesen als Anregung zum
Zeichnen eignet? Unter den verbindlichen Anforderungen im Bereich
„Umgang mit Texten und Medien“ wird der Anspruch, Medien zu nutzen,
um Anreize zum Schreiben, Lesen und Gestalten zu gewinnen, aufgeführt.
Das Lesen der Geschichte bietet Anlass zur Gestaltung. Den Kindern
dient die Geschichte als Anregung zur zeichnerischen Tätigkeit. Der
Lehrperson bleibt es überlassen, ob sie die Aufgabe zum Zeichenanlass
offen formuliert oder gezielte Bearbeitungsziele nennt. Vom Zeichnen der
Lieblingsfigur, der Gestaltung der Lieblingsszene bis hin zum Zeichnen
eines eigenen Bilderbuches. Letztlich sind viele Möglichkeiten zur
Unterrichtsgestaltung denkbar.
Nachdem eine Übertragung der Anforderungen des Lehrplans Deutsch
stattfand, wird nach Verbindungen im Lehrplan Kunst geforscht. Im
Lehrplan Kunst erscheint der Appell an die Lehrperson, den Kindern die
Möglichkeit einzuräumen, „ihre sinnlichen Erfahrungen, ihre Wünsche,
Vorstellungen, Einstellungen, Fantasien und Gefühle produktiv zum
Ausdruck zu bringen.“ (Grundschule, Richtlinien und Lehrpläne zur
Erprobung 2003, S.113) Das Hören einer Geschichte verbinden die Kinder
mit eigenen Erfahrungen und Emotionen. In der folgenden Analyse wird
an diversen Stellen deutlich, dass persönliche Gedanken und Erfahrungen
aus der Lebenswelt der Kinder mit in ihre Zeichnungen einfließen und die
Rezeptionen einen starken subjektiven Charakter aufzeigen. Aspekte der
Identifikation mit einer bestimmten Figur des Buches sowie Abweichungen
Einleitung
_________________________________________________________________
10
und Ausschmückungen der Geschichte geben Hinweise auf Verbindungen
zur individuellen Lebenswelt des Kindes.
Zusammenfassend kristallisiert sich heraus, dass die Thematik des
Bilderbuches einem Repertoire an Anforderungen des Lehrplans
entsprechen kann.
Darstellung des Forschungsfeldes
________________________________________________________________
11
2. Darstellung des Forschungsfeldes
Nachdem die Beweggründe und die Relevanz der Erhebung
weitestgehend geklärt wurden, gilt es nun, die Forschungsarbeit zu
erläutern und zentrale Forschungsfragen zu formulieren, die im
nachfolgenden Text Beantwortung finden.
2.1 Aufgabenstellung
Die Kinderliteratur 'der Grüffelo' sollte als Anregungsgegenstand zur
zeichnerischen Produktion dienen. Das Buch wurde beiden
Vorschulkindern im Rahmen der Kindergarten-Gruppe und kurz vor der
Erhebung vorgelesen. Es entfachte rege Begeisterung auf Seiten der
Kinder. Die grundlegende Aufgabe dieser Erhebung besteht in der
auditiven Rezeption, sprich dem Zuhör-Akt des Bilderbuches. Im zweiten
Teil der Erhebung werden die zunächst passiven Kinder zum produktiv-
handelnden Rezipienten. Im Anschluss an den zeichnerischen Prozess
der Mädchen wurden Einzelinterviews durchgeführt. Das den Kindern zur
Verfügung stehende Material bestand aus einer Auswahl an Buntstiften
und weißen DinA 4 Blättern. Auf Wunsch der Kinder durften sie mit Hilfe
von Kleber die Bilder zu einem Buch zusammenbinden. Das Material ist
als gewohntes Arbeitsmittel der Kinder zu sehen, mit dem sie im täglichen
Umgang im Kindergarten konfrontiert werden. Zeitliche Vorgaben sollten
den ungezwungenen Zeichenprozess der Kinder nicht beeinflussen und
so wurde auf eine Einschränkung verzichtet. Die Individualität der
kindlichen Produktionen stand im Vordergrund und sollte durch eine
offene Aufgabenstellung gewährleistet werden. Die Motivwahl bzw. die
Themenwahl war ihnen freigestellt.
2.2 Eingrenzung des Forschungsinteresses
Die Thematik lässt viele Richtungen an Forschungsmöglichkeiten zu. Der
Schwerpunkt der Analyse liegt auf der individuellen Rezeption eines
Darstellung des Forschungsfeldes
________________________________________________________________
12
Medienangebotes. Im Folgenden gilt es offen zu legen, welches
Forschungsinteresse in der vorliegenden Arbeit primär verfolgt wird.
Die Analyse unterliegt einer sehr komplexen Betrachtungsweise der
Zeichenserie, in der sich letztlich eine dreigliedrige Zugangsmöglichkeit
herauskristallisiert. Es gilt zum einen, die Zeichnungen nach Kriterien, die
in der Kinderzeichnungsforschung deklariert werden, zu untersuchen. Zum
anderen werden weniger eigene Interpretationen zu der Bildproduktion
aufgeführt, vielmehr gilt es, die Zusammenhänge zwischen Zeichnung und
Sprache der Kinder zu deuten, wobei ebenfalls der Entstehungsprozess
berücksichtigt wird.
Die Transkriptionen sind als vollständiges Dokument im Anhang zu finden.
Im fortlaufenden Text werden einzelne Passagen zitiert und Ausschnitte
von Bildern eingefügt, um die jeweilige Stelle für den Leser zu
veranschaulichen. Ebenso verhält es sich mit den Feldnotizen.
Als letzte Zugangsmöglichkeit sollen Parallelen zwischen Zeichnung und
Bilderbuch aufgedeckt werden.
Fokussiert wird nicht immer die gesamte Zeichnung, eher wende ich den
Blick auf ausgewählte Details, die mir zur Interpretation wichtig erschienen
oder die durch die Interviewerhebung von dem Kind selbst priorisiert
wurden.
Durch den aufgeführten Klärungsbedarf ergeben sich für mich folgende
Fragen, die es im nachfolgenden Textverlauf zu klären gilt: Welche
typischen Merkmale wie Transparenzprinzip, anthropomorphes Denken
und ähnlichen typischen Kennzeichen aus der Kinderzeichnungsforschung
sind in den Bildern zu erkennen?
Es wird eine Einschätzung der individuellen zeichnerischen Fähigkeiten
unter Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Gesichtpunkte der
Kunstdidaktik vorgenommen. Damit wird der Frage nachgegangen, in wie
weit durch Zeichnungen nachvollzogen werden kann, welches
zeichnerische Entwicklungsstadium die Kinder erreicht haben.
Das Bilderbuch als Anlass zum Zeichnen zu nehmen, weckt die
Befürchtung, wenig Individualität zuzulassen. Wie sehr dient das
Bilderbuch als Orientierung? Schränkt es das kreative Handeln der Kinder
insofern ein, dass es nur eine einfache Wiedergabe des Inhaltes zulässt?
Darstellung des Forschungsfeldes
________________________________________________________________
13
In wiefern können sich die Kinder an den Inhalt und die Figuren überhaupt
erinnern? Resümierend werden eigene Ideen zur didaktischen Umsetzung
und Weiterarbeit an der Thematik hinterfragt.
Nachfolgend werden die grundlegenden methodischen Mittel erläutert, die
den Rahmen für die Arbeit setzen. Der Vorteil der Interviewmethode wird
darin gesehen, dass die Interpretationen nicht willkürlich vom
zeichnerischen Endprodukt des Kindes abgeleitet werden. Zugänge zum
Verständnis der Produktion ergeben sich aus Erklärungen des Kindes.
Von der Methode verspricht man sich gehaltvollere Einblicke in die
kindliche Bildsprache. Genau diese Tatsache gilt es in der vorliegenden
Arbeit zu erproben. Aus der Erhebung durch eine Interviewmethode ergibt
sich eine weitere Forschungsfrage: Wie häufig greife ich auf die
erklärenden Äußerungen der Kinder zurück, um eigene Annahmen zu
belegen oder möglicherweise auf neue Denkansätze zu stoßen?
In Kapitel 3 wird die Vorgehensweise zur Materialerhebung für den Leser
transparent aufgeführt, um die nachfolgende Analyse in ihren Details zu
verstehen.
Methodische Grundlage
________________________________________________________________
14
3. Methodische Grundlagen
Im Forschungsbereich gilt es, sich aus einem breiten Band existierender
Methoden eine dem Gegenstand entsprechend adäquate Erhebung
auszuwählen.
3.1 Materialsammlung
Um das methodische Verfahren zu erläutern, gilt es zunächst zu klären,
welches Material zusammengetragen wurde. Aus der Erhebung mit zwei
Mädchen im Vorschulalter ergab sich folgende Materialsammlung:
à Insgesamt wurden von den Vorschulkindern 7
Buntstiftzeichnungen entwickelt. Anne zeichnete 3 und Lara 4
Zeichnungen, die sie am Ende des Zeichenaktes
zusammenklebten.
à Feldnotizen dokumentieren Äußerungen der Kinder während des
Zeichenprozesses.
à In Einzelinterviews erläuterten zunächst die Zeichnerinnen in
narrativer Form ihre Produkte. Im Anschluss führten Nachfragen zu
weiteren Informationen.
à Fotos waren von den Kindern nicht erwünscht. Anne stimmte zu
lediglich einer Fotographie zu.
Nachdem eine Auflistung der Materialgrundlagen erfolgte, wird im
nächsten Kapitel aufgeführt durch welche Forschungsmethoden die
Sammlung zu Stande kam.
Methodische Grundlage
________________________________________________________________
15
3.2 Untersuchungsverlauf
3.2.1 Ort und Personen
Ort der Erhebung war ein Kindergarten in Niedersachsen. Die Institution
ist mir seit langem durch diverse freiwillige Praktika vertraut.
Die Erhebung wurde im Gruppenraum vorgenommen. Eine gewohnte
Atmosphäre sollte bei der Arbeit für die Kinder im Vordergrund stehen. Die
Interviews wurden mit den Kindern einzeln vorgenommen, während die
anderen Kinder der Gruppe draußen spielten. Nach dem narrativen Anteil
des Interviews stellte ich einige Verständnisfragen. Während der
gesamten Interviewperiode wurden die Aussagen auf Tonband
festgehalten. Unterhaltungen unter den Kindern während des
Zeichenprozesses wurden von mir unter dem Kapitel Feldnotizen
zusammengefasst. Es handelt sich um spontane Äußerungen der Kinder
zu ihren Bildern, die teilweise von mir hinterfragt wurden. Der Wert dieser
Notizen besteht besonders im Erfassen einer ‚offenen, realen Situation’,
die anders als bei den Interviews, nicht durch Fragen meinerseits
ausgelöst wurde.
Um eine gewisse Vergleichbarkeit zu erreichen, sollten Kinder gleichen
Alters und Geschlechts an der Erhebung teilnehmen. Die beobachteten
Mädchen waren im Alter von sechs Jahren und standen wenige Monate
vor ihrer Einschulung. Das Vorschulalter der Kinder erschien mir
besonders interessant, um mir den Entwicklungsstand von Kindern
bewusst zu machen, welchen sie bei Schuleintritt in die Primarstufe
erreicht haben. An dieser Stelle wird darauf verwiesen, dass zum Schutz
der Persönlichkeitsrechte die Namen der Kinder verändert wurden.
3.2.2 Atmosphäre
Zum Erhalt einer gewohnten Atmosphäre habe ich, in Absprache mit der
Kindergartenleitung, die Entscheidung getroffen, mich den Kindern am
Vortag der Erhebung vorzustellen, um bereits erste Kontakte herzustellen.
Eine Erzieherin bot mir an, die Erhebungen in ihrer Gruppe vorzunehmen.
Sie empfahl mir zwei Mädchen zu beobachten, die bevorzugt der
Methodische Grundlage
________________________________________________________________
16
Zeichentätigkeit nachgingen. Die Empfehlung erfolgte nicht aus dem
Grund, das ihnen ein besonderes Leistungsniveau zugesprochen wird,
vielmehr um mich an Kinder zu vermitteln, die bereitwillig über ihre
Zeichenprozesse plaudern. Schnell zeichnete sich ab, dass beide Kinder
wenig Hemmungen hatten, mit mir in Kommunikation zu treten und über
ihre Bilder zu sprechen.
Am Tag der Erprobung stellte ich mich noch einmal im Morgenkreis vor,
um meine Intentionen vor den Kindern transparent, im Sinne einer offenen
Beobachtung, darzulegen. Abseits vom Spiel der anderen Kinder konnte
der Zeichenprozess, sowie die Interviews an einem großen Maltisch
durchgeführt werden. Wie erwähnt stellte ich als Arbeitsmaterial weiße
Blätter und farbige Buntstifte bereit. Der zeitliche Umfang des
Zeichenprozesses passte sich individuell dem Kind an.
Anne beim Zeichnen ihres ersten Bildes
Methodische Grundlage
________________________________________________________________
17
3.3 Forschungsmethoden
Im folgenden Kapitel findet eine Darstellung der von mir gewählten
qualitativen Forschungsmethode statt. Welche Vorteile ergeben sich aus
einer qualitativen Erhebung? Bevor ich auf die Analyse der Zeichnungen
eingehe, werde ich die Technik der qualitativen Forschungsmethode
näher erläutern.
3.3.1 Qualitative empirische Forschungsmethode
Einen Zugang zur Wissenschaft ermöglicht die Erhebung durch
Einzelfallanalysen. Sie ist Bestandteil der qualitativen Forschung. Intention
ist es die Gesamtzusammenhänge des zu untersuchenden Gegenstandes
in ihrer Komplexität zu erfassen.
In der qualitativen Forschung steht, anders als in der quantitativen
Forschung, der Einzelfall im Fokus der Analyse. Die qualitative Empirie
leitet ihre Ergebnisse nicht aus großen repräsentativen Gruppen ab,
sondern möchte durch die Untersuchung einzelner Fälle einen tieferen
Einblick durch „großer Nähe zum Menschen und dessen Handlungen und
Einstellungen“ (Peez 2006, S.9) erzielen.
Von wenigen Fällen allgemeine Ergebnisse abzuleiten, ist nicht zentrales
Ziel der Einzelfallanalyse. Verallgemeinerungen in der qualitativen
Forschung zu treffen, stellt sich als prekär heraus. Denn von lediglich zwei
Fallbeispielen, die der vorliegenden Forschung zu Grunde liegen, können
nur Annahmen geäußert werden. Etwas als Absolut zu sehen ist nicht im
Sinne der qualitativen Forschung.
Wird im vorliegenden Text etwas generalisiert, ist dies also nicht als
generelle Folge der Erhebung zu verstehen. Vielmehr werden, vorwiegend
im abschließenden Kapitel, Ideen und Forderungen aufgeführt, die aus
dem Gesamtkontext über den Gegenstand zu Stande kommen. Wenn
verallgemeinerte Forschungsergebnisse nicht Ziel der Erhebungsmethode
sind, wo sind dann die Vorteile der qualitativen Forschung zu sehen?
Nach Mayring setzt sich das qualitative Denken seit den 70er Jahren
wieder verstärkt in Deutschland durch. (vgl. Mayring 2002, S. 9) Die
Forschungsmethode orientiert sich an der amerikanischen Feldforschung.
Methodische Grundlage
________________________________________________________________
18
Innerhalb möglichst natürlicher Kontexte möchte man die soziale Realität
erschließen. (vgl. Mayring 2002, S. 10)
Die qualitative Forschung zeichnet sich besonders durch ihre Offenheit
innerhalb des Forschungsprozesses aus. Dabei sind die
Forschungsfragen zwar leitend für die Analyse, allerdings sind diese nicht
streng und verbindlich zu behandeln. Schließlich ist gerade durch
Erhebungsmethoden, wie der hier genutzten narrativen Interviewform,
nicht von bestimmten Ergebnissen auszugehen. Öffnung in der
qualitativen Forschung sollte auch sich ergebende neue Probleme
berücksichtigen dürfen, die sich unerwartet während des
Forschungsprozesses auftun.
3.3.2 Einzelfallanalyse
Einzelfallanalysen zeichnen sich u.a. durch ihre Materialvielfalt aus.
Hintergrundinformationen, Angaben zur Person und eine möglichst
umfangreiche Materialsammlung sind dienlich, um den Fall in seiner
Vollständigkeit zu begreifen. Mayring definiert die Funktion wie folgt:
„Die Einzelfallanalyse will sich während des gesamten Analyseprozesses den
Rückgriff auf den Fall in seiner Ganzheit und Komplexität erhalten, um so zu
genaueren und tief greifenderen Ergebnissen zu gelangen.“(Mayring 2002, S. 42)
Die Erhebung wird mit nur wenigen Probanden durchgeführt, um eine
intensivere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen zu ermöglichen.
Ähnlich wie in der Begründung für die qualitative Forschung, ist zu der
Anzahl der teilnehmenden Personen, auf die Erklärung Mayrings zu
verweisen: „Je weniger Versuchspersonen analysiert werden, desto eher
kann man auf die Besonderheit des Falles eingehen, desto genauer kann
die Analyse sein.“(Mayring 2002, S.42) Genau diese Intention war leitend
bei der Idee für die Erhebung mit den zwei Vorschulkindern. Obwohl die
Analyse mit nur zwei Kindern stattfand, gestaltet sich das Material aus
Bildmaterial und Transkriptionen als enorm umfangreich und bietet
komplexe Zugangsmöglichkeiten, welches die Auswahl der
Untersuchungsmethode unterstützt. Diese Komplexität verlangt entgegen
meiner Erwartungen sogar bei der Analyse eine präzise Auswahl der zu
untersuchenden Elemente, da sie sonst den Rahmen der Arbeit sprengen
würde. Die Erhebung erforderte Konzentration. Während des
Methodische Grundlage
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19
Zeichenprozesses sprachen die Kinder mit mir und zeigten mir immer
wieder ihre Produkte, parallel notierte ich die Vorgehensweise der Kinder.
Die Tonbandaufnahme ermöglichten eine Rekonstruktion des
Gesprochenen und eine genaue Übertragung in die Transkriptionsform. Im
Anschluss an meine Feldnotizen, erfolgten die Einzelinterviews mit den
Kindern. Anne wollte unbedingt zur Erklärung auf meinem Schoß Platz
nehmen, wodurch eine vertraute Atmosphäre entstand und ich den Vorteil
sah, aus ihrer Perspektive auf das Bild sehen zu können.
3.3.3 Narratives Interview
Durch narrative Interviewsituationen sollen Bezüge zwischen dem
Gegenstand und der Lebenswelt der Kinder gewonnen werden.
In der Form des Interviews sehe ich Vorteile für die Durchführung mit
jüngeren Kindern. Für Kindergartenkinder, anders als Schulkinder, ist die
Konfrontation mit einem Fragenkatalog als ein ungewohnter Zustand
anzusehen, mit dem sie sich leicht überfordert fühlen. Oft sind sie
eingeschüchtert und stagnieren verbal. Die Kinder sollten nicht das Gefühl
erhalten 'ausgefragt' zu werden. Die Situation soll nicht als unangenehm
wahrgenommen werden. Vielmehr sollte sich ihnen die Gelegenheit
bieten, frei über ihre Bildnisse zu sprechen. Die Durchführung des
narrativen Interviews gliedert sich in zwei Bereiche. Einleitend wird eine
offene Frage gestellt, um einen Gesprächsanlass zu bewirken. Gerade im
Ermutigen des Kindes zum freien Sprechen und dem daran
anschließenden großen Redeanteil der zu interviewenden Person liegt der
„narrative“ Sinn. Auch Mayring sieht den Grundgedanken im freien
Erzählenlassen, um von Geschichten zu subjektiven
Bedeutungsstrukturen zu gelangen, „die sich einem systematischen
Abfragen versperren würden.“(Mayring 2002; S. 73) Ähnliche Postulate
sind für Gerhard Riemann leitend. Laut Riemann erreicht man durch die
systematische Fokussierung auf das Wie ein vertieftes Verständnis des
Was. (vgl. Riemann 2003, S.120) Im Fokus des Interesses steht die
Prämisse bei der Einleitung des Interviews den Erzähler zum freien Reden
zu animieren. Aus dem Grund ist eine offene Eingangsfrage entscheidend,
die Anreiz gibt, über die zeichnerische Produktion zu sprechen. Für
Methodische Grundlage
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20
Mayring eignet sich die Methode besonders für das Erfragen von
Tätigkeiten: „Narrative Interviews eignen sich für Thematiken mit starkem
Handlungsbezug.“ (vgl. Mayring 2002, S. 74) Sehen wir den
Zeichenprozess als eine solche Handlung, so eignet sich die Form des
narrativen Interviews zum Verstehen und Nachvollziehen des Prozesses,
aber auch zur Erklärung von Gedanken, bzw. zur Aufschlüsselung von
subjektiven Empfindungen während des Entstehungsprozesses. „Sie sind
für mehr explorative Fragestellungen einsetzbar, vor allem wenn es um
schwer abfragbare subjektive Sinnstrukturen geht.“(Mayring 2002, S. 74)
Grundlegend für das Gelingen des Interviewverfahrens ist nach Riemann
die Entwicklung einer „ausreichenden Vertrauensgrundlage“. (vgl.
Riemann 2003, S.120) Diesem Anspruch wollte ich durch mein Vorstellen
im Stuhlkreis, ein gemeinsames Bekanntmachen während des Frühstücks
und die transparente Darlegung meiner Arbeit gerecht werden. Bestätigt
sah ich die Vertrauensbasis in dem Wunsch Annes auf meinem Schoß
sitzen zu wollen.
Eine narrative Interviewstruktur setzt, nach Riemann, die Unbekanntheit
des Interviewinhaltes voraus: „Es ist wichtig, dass der Erzähler
unterstellen kann, dass dem Zuhörer die Inhalte der Darstellung, um die
es geht, noch nicht bekannt sind, und dass sich das Thema für eine
narrative Stegreifdarstellung eignet und hinreichend eingegrenzt ist.“
(Riemann 2003, S.122) Riemann sieht Anweisungen zu einer klaren
Vorgehensweise während des narrativen Interviews vor:
„Die Erzählung entfaltet sich bis zur Erzählkoda, die als Abschlussformulierung
für den Zuhörer klar erkennbar ist. Der Verzicht auf Unterbrechungen ist
notwendig, um den Erzählfluss nicht zu zerhacken und Schwierigkeiten für die
spätere sequentielle Textanalyse zu vermeiden.“(Riemann 2003, S.122)
Der Verzicht auf Unterbrechungen ist im narrativen Interview
entscheidend. Allerdings erachtete ich es als sinnvoll, die Kinder während
des Interviews mit einem Kopfnicken, einem zustimmenden Lächeln oder
einem kurzen “Ja“ zum weiteren Sprechen zu ermutigen und ihnen mein
Interesse zu signalisieren. Darin sehe ich weniger eine Unterbrechung als
vielmehr eine Unterstützung des Redeflusses.
Während sich der Ablauf eines narrativen Interviews sehr wohl gliedern
lässt, weist Mayring darauf hin, dass die Strukturierung während des
Methodische Grundlage
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21
freien Redens nicht vom Interviewer vorgenommen wird, sondern in der
Sprachform der Erzählung festgelegt ist. (vgl. Mayring 2002, S. 73)
Beide Kinder bestimmen das Ende des Interviews. Anne signalisiert nach
einiger Zeit mit dem Ausruf „Fertig!“ (Interv. Anne, S.1, Z.23) sehr deutlich
das Ende ihrer Erzählung. Lara macht durch eine lange Pause darauf
aufmerksam, dass der narrative Teil des Interviews als beendet zu
betrachten ist. Auf meine Nachfrage hin bestätigt sie das:
„I: Möchtest du noch etwas erzählen?
L: Mir fällt nichts mehr ein.“ (Interv. Lara, S. 1, Z. 20-21)
Nach den freien Äußerungen der Erzählerinnen ist nun Raum für den
zweiten Abschnitt der Interviews. Zur Klärung missverständlicher
Elemente des Inhaltes fragt der Interviewer explizit nach. „Der auf die
Erzählkoda folgende Nachfrageteil besteht aus den narrativen Nachfragen
und anschließend den beschreibenden und den theoretisch-
argumentativen Fragen, die auf die Eigentheorie des Erzählens zielen.“
(Riemann 2003, S. 122)
Nur wenige Erfahrungen mit dieser Methode lassen mich selbstkritisch
feststellen, dass an einigen Stellen weitere Fragen zu gehaltvolleren
Ergebnissen für die spätere Interpretation geführt hätten. Die
Interviewführung verlangte eine hohes Maß an Konzentration, um
ungeklärte Einzelheiten zu identifizieren und gezielt nachzufragen.
Das Ende dieses zweiten Teils des Interviews, durften die Kinder ebenfalls
selbst bestimmen. Der Raum, in dem das Interview stattfand, wurde mir
von der Kindergartenleitung zugewiesen und strahlte aufgrund der
Einrichtung und der großen Fenster eine wohlige Atmosphäre aus.
Allerdings wurde weniger bedacht, dass die Kinder Blick auf die draußen
spielenden Kinder hatten. So ist die Begründung für das Beenden des
Interviews kaum verwunderlich.
„So jetzt will ich nicht mehr reden. Ich geh spielen, ja?“(Interv. Anne, S. 3,
Z.6) „Darf ich auch spielen jetzt?“ (Interv. Lara, S. 2, Z.33)
In einem Raumwechsel sah ich allerdings auch wenig Sinn, da die Kinder
erst ab der Mitte des Interviews draußen zu spielen begannen und ich die
Situation hätte unterbrechen müssen.
Methodische Grundlage
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22
Nachdem die methodische Vorgehensweise dargelegt wurde, erfolgt der
Hauptteil meiner Arbeit. Die Interpretation setzt das aus den
Beobachtungen gewonne Material miteinander in Beziehung. Vergleiche
zwischen beiden Erhebungen werden angestrebt und unter dem Aspekt
wissenschaftlicher Forschungen zu den Themenbereichen aus
unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.
Bevor die analytische Auseinandersetzung mit den Zeichnungen erfolgt,
ist für den Leser die Kenntnis des Inhalts des Bilderbuches eine
grundlegende Voraussetzung für das Verständnis der Untersuchung.
Immer wieder werden Vergleiche zwischen Buchinhalt und Zeichnungen
hergestellt. Aus genanntem Grund wird nachfolgend kurz eine
Inhaltsangabe des Bilderbuches aufgeführt.
Angaben zum Buch
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4. Angaben zum Buch
4.1 Kurze Zusammenfassung des Buchinhaltes
Für ein besseres Verständnis der Zeichnungen ist es erforderlich, den
Inhalt des Buches zu kennen. 'Der Grüffelo' ist ein Bilderbuch, welches im
Beltz Verlag 1999 erschienen ist und von Scheffler und Donaldson
verfasst wurde. Die grundlegende Thematik des Buches ist die
Angstbewältigung. Hauptfigur des Buches ist eine kleine Maus, die sich im
Wald ihren „Feinden“ und somit auch ihren Ängste stellt. Sie begegnet
dem Fuchs, der Eule und der Schlange und erzählt ihnen von ihrem
imaginären, gefährlichen Freund, dem Grüffelo, der sie stets beschützt
und vor dem sie sich in Acht zu nehmen haben. Durch ihre fantasievolle
Beschreibung der gefürchteten Kreatur, schrecken die Tiere vor ihrem Mut
zurück und ergreifen die Flucht. Höhepunkt der Geschichte ist die
tatsächliche Begegnung der Maus mit einem Grüffelo. Selbst diese
prekäre Situation bewältigt die Maus. Sie nutzt nun die Angst der Tiere,
um dem Grüffelo zu beweisen, dass sie von jedem Tier im Wald gefürchtet
ist. Letztlich gelingt es ihr, auch den Grüffelo in die Flucht zu schlagen. In
der letzten Szene sitzt sie glücklich alleine im Wald und isst genüsslich
eine Nuss.
4.2 Aufbau des Buches
Der Text zeichnet sich durch einen spielerischen Umgang mit der Sprache
aus. Die Geschichte liest sich durch ihr Reimmuster in einer
harmonischen Rhythmik. Einzelne Passagen treten wiederholt auf, wie
beispielsweise die Einleitung zur detaillierten Beschreibung des Grüffelos:
„Sag was ist das für ein Tier?“ – „Den kennst du nicht? Dann beschreib ich
ihn dir:[…].“ Die Wiederholungen der Textstellen und deren Rhythmik
motivieren die Kinder zum Mitsprechen und erfüllen zugleich den Zweck,
die auditiv erfassten Worte im Gedächtnis abzuspeichern.
Angaben zum Buch
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4.3 Vorleseakt
Durch die Erzieherin erfuhr ich, dass das Buch im Morgenkreis
gemeinsam mit der Gruppe vorgelesen und diskutiert wurde. Zu einem
späteren Zeitpunkt wurde es wiederholt gelesen. Die Kinder hatten
allerdings im Kindergarten immer Zugriff auf die Bücher, die so zur
visuellen Rezeption stets bereit lagen. Auf meine Frage, wie oft das Buch
gehört wurde, erklärte Lara: „Also einmal bei Frau Voß und einmal in der
Gruppe, nee und bei Frau Winkels. Das wars.“ (Feldnotizen, S.2, Z.30-31)
Während des Zeichenprozesses hatten die Kinder dagegen keinen
Einblick in das Bilderbuch. Die Zeichnungen wurden aus der Erinnerung
heraus erstellt.
Entgegen meiner Erwartungen entstand eine Serie an Zeichnungen zu
dem Buch. Die Kinder hatten nicht, wie von mir angenommen, eine Figur
ausgewählt und zum Bildgegenstand gemacht. Mit Ausnahme der letzten
Zeichnung Annes erinnern die Bilder an Szenen, wie sie in einem Buch
vorkommen könnten. In einigen Bildern sind starke Parallelen zum Buch
zu sehen, in anderen werden viele eigene Fantasien ergänzt. In der
folgenden Analyse werden solche Parallelen, aber auch
Ungleichartigkeiten aufgedeckt.
Interpretation
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25
5.Interpretation
5. 1 Kinderzeichnungsforschung
Die Kinderzeichnungsforschung zielt darauf ab, die kindliche Bildsprache
in all ihren Strukturen zu entschlüsseln, wobei der Terminus ‚Sprache’
sehr treffend zum Ausdruck bringt, dass sich hinter den zeichnerischen
Produkten ein Kommunikationsangebot für den Betrachter verbirgt. Die
wesentliche Funktion der Zeichnungen ist nach Neuß im Bereich der
Kommunikation verwurzelt: „Das Zeichnen gehört neben der sprachlichen
Verständigung zu den wichtigsten Aneignungs-, Ausdrucks und
Kommunikationsformen in der Kindheit.“ (Neuß 1999, S.49) Die
gestalterischere Ausdrucksform bietet dem Erwachsenen die Möglichkeit,
etwas über das Verständnis des Kindes von seiner Welt zu erfahren: „In
Bildern stellen Kinder ihre Wirklichkeit dar und die unterschiedlichen
Formen der Auseinandersetzung mit ihr.“ (Neuß 1999, S.49) Auch
Kirchner sieht die Einflüsse von eigenen Erlebnissen auf die Bildsprache:
„Im Zeichnen ist den Kindern eine Möglichkeit gegeben, ihre Erfahrungen
zu verarbeiten.“(Kirchner 2003, S. 103) Die einfachste
Zugangsmöglichkeit ist die Intention bzw. den Antrieb für die Zeichnung
zurückzuverfolgen. In der Erhebung kann von einem Motiv des Kindes
nicht ausgegangen werden, da der Impuls durch eine Instruktion
meinerseits erfolgte und eine Aufgabenstellung ausgesprochen wurde.
Trotz der vorstrukturierten Aufforderung, zum Buch zu zeichnen, wird bei
Betrachtung der Bilder deutlich, dass die Kinder dennoch ihre eigene
Person in die Zeichnung integrieren, wie die Bezüge zur Lebenswelt in der
späteren Analyse deutlich machen. Entgegen meiner Erwartungen griffen
sie nicht eine Figur aus der literarischen Vorgabe heraus und setzten sie
groß in Szene, sondern viel mehr wurde der Fokus auf alle Figuren
gesetzt, wodurch die Bildfläche zu einer Art Handlungsfeld wird. Nicht eine
Zeichnung fertigten die Kinder an, eine ganze Serie an Zeichnungen
entstand. Um eine gehaltvolle Analyse anzustreben, erscheint es
Interpretation
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26
notwendig, vorerst einen groben Einblick zu dem aktuellen
Forschungsstand der Kinderzeichnungsforschung transparent darzulegen.
5.1.1 Aktualität der Entwicklungsmodelle
Versucht man künstlerische Fähigkeiten von Kindern einzuschätzen,
nimmt man als zentrale Beurteilungskriterien häufig kognitive und
motorische Voraussetzungen. Die älteren Stufen- und Phasenlehren
richten sich in ihrer Kategorisierung der zeichnerischen Entwicklung
überwiegend nach dem Attribut Alter. In Verruf ist besonders das
absolutistische, strikte Orientieren an einem Entwicklungsmodell geraten.
Das Kinder in eine Phase Zwängen, die vom Kinde möglicherweise gar
nicht erlebt wird oder eventuell zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt
durchlaufen wird, geht mit der Gefahr einher, die Individualität des Kindes
außer Acht zu lassen. Entsprechend erklärt Wichelhaus, dass der
Terminus „Stufe“ von dem Begriff „Phase“ abgelöst wurde, um auf die
fließenden Übergänge aufmerksam zu machen. (Wichelhaus 2003, S. 79)
Schuster führt die konventionellen Entwicklungsphasen in seiner Literatur
auf, warnt aber zugleich, genau wie Wichelhaus, vor einer strikten
Klassifizierung in Stufen. „Es ist nämlich schwierig, aussagefähige
Altersangaben zu machen.“ (Schuster 2001, S.53) Die zeichnerische
Entwicklung von Kindern ist individuell zu betrachten und vollzieht sich von
Kind zu Kind unterschiedlich. Schuster verweist auf die Einflüsse äußerer
Faktoren, die das gradlinige Durchlaufen der zeichnerischen Entwicklung
stören können: “Einige Kinder verwirklichen ein typisches Merkmal der
Kinderzeichnung (z.B. den Kopffüßler), andere überspringen diese
Darstellungsform.“(Schuster 2001 S. 53) Grünewald geht ebenfalls nicht
von einem konformen Durchlaufen eines Stufenmodells aus, sondern von
„einer tendenzhaften Phasenentwicklung“, in der „die Phasen nicht immer
stringend linear durchschritten werden, dass es partiell <<Vor->> und
<<Rückgriffe>> gibt, dass Kinder zwischen Phasen <<surfen>>.“
(Grünewald 2003, S. 47) Besonders aufschlussreich ist es demnach, den
Entwicklungsprozess als Ganzes zu beobachten. Gelehrt hat uns die
neuere Auffassung der Forschung, die einzelnen bildnerischen Ergebnisse
Interpretation
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27
nicht über zu bewerten, sondern besser sie möglichst in den Kontext der
gesamten Entwicklung einzuordnen.
Deutlich skizziert sich die Schwierigkeit, ein Urteil über den
Entwicklungsstand, aufgrund der auseinanderklaffenden Meinungsbilder,
vorzunehmen. Die Aktualität des Themas liegt in der noch immer
bestehenden Uneinigkeit im Forschungsbereich begründet.
5.1.2 Dreiteiliges Entwicklungsmodell nach Peez
Die neueren Forschungen erkennen das Problem des Verallgemeinerns
und sehen in der Einteilung vielmehr eine Orientierung, als dass sie als
Absolut gilt. Auf der Suche nach einem Modell, welches eine solch knappe
und prägnante Orientierung bietet, wurde ich in Peez ‚Einführung in die
Kunstpädagogik’ fündig. (vgl. Peez 2005, S.140)
Nachfolgend formuliere ich die aufgeführten Phasen an der Dreiteilung
Peezs. Die unterschiedlichen Ideen wurden im Laufe der Zeit
zusammengetragen und sind somit als ein Zusammenspiel verschiedener
Lehre zu sehen.
(1) Die erste Phase beschreibt den Zeitraum, in dem das Kleinkind
Bewegungsspuren hinterlässt, passend nennt sie sich Kritzelphase
bzw. sensomotorische Phase.
(2) Nachfolgend zeigt die Schemaphase unterschiedliche Stufen und
Komplexitätsgrade bei der Gestaltung bildnerischer Symbole. In
dieser Phase befinden sich Kind im späten Kindergarten- und
Grundschulalter.
(3) Abgelöst wird die Schemaphase von der sogenannten
pseudonaturalistischen Phase. Die äußere Erscheinung des
Dargestellten steht im Vordergrund, wenn sich das Kind ab ca. dem
11. Lebensjahr am Sichtbaren orientiert.
Vor dem Hintergrund der soeben aufgeführten Entwicklungslinie kann nun
eine Einschätzung der Vorschulkinder zu dem betreffenden
Interpretation
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28
Entwicklungsstand ausgesprochen werden. Die Kinder befinden sich,
genau wie es bei Peez genannt wird, in der Phase des Schuleintrittes,
sprich in der Schemaphase. Dem für diese Phase typischen
Formenrepertoire wird direkt im ersten Kapitel der Analyse nachgegangen.
5.2 Schema
Der Schemabegriff in der Literatur weist Differenzen in seiner Definition
auf und ist so zwingend aus unterschiedlichen Perspektiven zu erläutern.
Wie oben bereits erwähnt, sind die Kinder aufgrund ihres Alters der
Schemaphase zuzuordnen. In diesem Kapitel wird das signifikante
Formenrepertoire, welches kennzeichnend für die Schemaphase steht,
angesprochen. Zwischen Schuster und Richter herrscht Einigkeit über das
Schema, welches ein vom Kinde selbst entwickeltes Muster für eine
Vereinfachung einer Darstellung definiert. Die Bildung von Schemata
findet zu einem Zeitpunkt verstärkt statt, sodass wir von der Schemaphase
sprechen. Schuster erkennt die wenigen, von dem Kinde in den
Vordergrund gestellten Merkmale eines Gegenstandes. Eine
naturalistische Wiedergabe ist für das Kind noch belanglos: „In der
Schemaphase findet das Kind für Sachverhalte der visuellen Welt eine
Zeichenform, die nur in wenigen Aspekten eine visuelle Ähnlichkeit mit der
abgebildeten Sache verweist.“ (Schuster 2000, S. 53) Die Schemata setzt
das Kind aus dem bestehenden Formenrepertoire zusammen. Schuster
spricht von graphischen Elementen wie Kreis, Oval, Zickzack usw., welche
sich während der Phase ausbilden. (vgl. Schuster 2001, S. 57) Als
Beispiel für ein simples Schema gibt er den Strich an, der beispielsweise
bei der Figurdarstellung für Beine und Arme eingesetzt wird. (vgl. Schuster
2001, S.57)
Das 'Strichschema' findet auch Verwendung in den Zeichnungen der
Mädchen. Das Schema, Gliedmaßen durch Striche darzustellen, spiegelt
sich in Annes Figuren und zum Teil in denen Laras wieder.
Während Lara die Arme partiell voluminös zeichnet, ausgenommen ist die
seitlich abgebildete, fliehende Maus, ist bei den Beinen die
Strichzeichnung dominanter. Lediglich die Beine der Figuren sind
Interpretation
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29
vorwiegend nach dem Strichschema abgebildet, allerdings sind die des
Grüffelos in ihrer Abbildung voluminös. Sie löst das Problem der Plastizität
der Extremitäten durch Formen wie Ovale und Rechtecke, welche sie dem
Körper anfügt. Es treten demnach unterschiedliche Darstellungsweisen für
das Objekt ‚Bein’ nebeneinander in einer Zeichnung auf. Hier wird das
surfen zwischen Phasen und Entwicklungsniveaus deutlich. Die Schemata
werden vom Kinde stetig überarbeitet. Sie lösen sich nicht direkt ab. In
dem genannten Beispiel wird das Bein zum einen als Strich, zum anderen
als Rechteck abgebildet.
Anne verfährt ähnlich wie Lara mit den Extremitäten ihrer Tierfiguren.
Auch sie zeichnet lediglich dem Grüffelo voluminöse Arme und Beine. Um
der Schwierigkeit der plastischen Umsetzung zu entgehen, wird die Fläche
der Arme farblich ausgefüllt. So wirken diese voluminös ohne auf eine
spezielle Form angewiesen zu sein. Hier stellt sich die Frage: Warum
nimmt sie den Versuch lediglich bei den Gliedmaßen des Grüffelos vor?
Die Gliedmaßen des Grüffelo heben sich von den Armen und Beinen der
anderen Figuren nicht nur in der Darstellung ab, sondern ebenso in der
Funktion. Anne erklärt der Grüffelo benötige seine Arme und Hände zum
Klettern: „Der will über die Mauer. Da! Die kommt jetzt. (Zeichnet die
Mauer) Da muss der nämlich rüber. (Zeichnet die Hand) Der zieht sich da
so hoch. Der will auf die andere Seite zu seiner Frau.“ (Feldnotizen, S.2,
Z. 6-8) Aufgrund der Notwendigkeit werden die Arme und Hände
bildnerisch gesondert ausgearbeitet. Wie die funktionale Bedeutung mit
der Ausarbeitung der Bildinhalte zusammenhängt, findet in dem Kapitel
Bedeutungsgröße eine explizitere Erläuterung.
Für Egger gibt es den Schemabegriff in diesem Sinne nicht, allerdings
bestehen gewisse Schnittmengen zu dem von ihr gewählten Begriff
„Urform“ mit dem Schemabegriff von Richter und Schuster. Egger listet
eine Reihe von Urformen auf, darunter auch Tastfiguren, die dem Prinzip
des Schemas nahe kommen. Die Hand des Grüffelos in Annes Zeichnung
bietet ein Beispiel für eine solche Tastfigur. Genau wie die Schemata
treten die Urformen wiederholt auf. Leider zeigt uns Anne keine weitere
Wiederholung. Für Egger ist allerdings in der Urform keine Vereinfachung
Interpretation
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30
des Objektes zu sehen, eher begründet sie das Entstehen durch einen
Ausdruck des inneren Körperempfindens.
Egger verwendet einen dem Schema ähnlichen Begriff in einem anderen
Zusammenhang. Sie spricht von „schematischen Zeichnungen“ (vgl.
Egger 2001, S. 91ff.), sofern ein Erwachsener einem Kind Anleitung zum
Zeichnen gibt, indem er ihm eine „ideale Musterform“ vorführt. Die
„schematische Zeichnung“ wird in dem Fall aber nicht vom Kinde selbst,
wie es Schuster und Richter annehmen, sondern von einem Erwachsenen
entwickelt. Der Erwachsene möchte dem Heranwachsenden mit einer
‚typischen’, in seiner Form reduzierten Darstellung eines Objekts
Hilfestellung bieten. Egger sieht eher gegenläufige Ergebnisse in der
Qualität der Unterstützung. Auf Grund der leichten Möglichkeit für die
Kinder, diese vorgegebenen Hilfsschemata zu kopieren, sei ein Verlust
der Beziehung zu ihren eigenen Bildern zu befürchten.
Gehen wir von dem Schema als Vereinfachung aus, entwirft Anne ein
solches Sinnzeichen für das Grüffelo Haus, welches von dem Betrachter,
ohne ihre Erklärung, kaum als solches zu identifizieren ist. Den Aufbau
erklärt sie folgendermaßen: „I: Uhh na das klingt gut, Eis ist ja lecker.
(…)Das ist sein Haus?
A: Hier ist die Tür, also das hier (Pause) Das Loch. (Pause) Wie bei der
Eule. Und hier sind so Bretter halt.“ (Interv. Anne Z. 25-27) Sie zeichnet
einen Kreis und gibt diesen als Tür aus. Die Bretter zeichnet sie durch
einfache senkrechte Striche, welche sie nicht durch eine horizontale Linie
räumlich begrenzt. Zwischen der Bedeutung der gezeichneten Bretter und
ihrer Lebenswelt bestehen Zusammenhänge: „Ja, so Bretter, die außen
am Haus sind, wie bei uns am Stall, da sind auch so Bretter.
I: Am Stall bei euch zu Hause? Ach ja, lebst du nicht auf nem Bauernhof?
A: Ja, Oma und Opa.“(Interv. Anne, S. 2, Z.31-34)
Annes Vorstellung von der Wohnlage des Grüffelos haben Bezug zu ihrer
eigenen Umwelt. Ihre Erfahrungen sind geprägt von einem engen
Zusammenleben mit ihren Großeltern, die im Besitz eines Bauernhofes
sind. Für Anne ist ein Stall mit Tieren Bestandteil ihres alltäglichen
Umfeldes. Die Eindrücke der eigenen Lebenswelt scheinen sich mit den
Informationen des Buches zu vermischen. Das Elemente aus der
Interpretation
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31
kindlichen Lebenswelt Einfluss auf die „Schematisierende Darstellung“
haben können, erwähnt auch Fleck-Bangert: „Das Kind übersetzt die
Wirklichkeit, es kopiert sie nicht.“ (Fleck-Bangert 1994, S.54) Dabei bildet
das Kind einen individuellen Schwerpunkt: „ Es zeichnet, was ihm
wesentlich erscheint, und versucht, sein Umweltverständnis mit Hilfe
seiner Sinnzeichen bildhaft zu machen.“ (Fleck-Bangert 1994, S.54)
Wesentlich erschienen Anne in diesem Fall die Bretter, die typisch für
einen Stall sind.
Lara: Haus des Grüffelos
Anne zeichnet ein Haus für den Grüffelo, obwohl in dem Bilderbuch kein
„Wohnort“ für den Grüffelo erwähnt wird. In den Illustrationen werden
lediglich für Fuchs und Eule Nischen gezeichnet. Anne spricht bei dem
Haus des Grüffelos, wie auch bei der Wohnung der Eule, von einem
„Loch“ als Eingang: „Zuerst hab ich die Bäume da gemalt. Mit so Zweigen
und dem Loch für die Eule.“ (Interv. Anne, S.1, Z.3-4) Vermutlich hat Anne
das „Loch“ in den Illustrationen des Bilderbuches gesehen und als
Schema die geometrische Figur des Kreises für einen Eingang einer
Tierhöhle gewählt.
Besonders häufig werden für Gesichter Schemata entwickelt. Meist
werden die Schemata sogar, unabhängig um welche Art von Figur es sich
handelt, konstant angewandt. Dabei kommt es häufig zu
anthropomorphen Abbildungen, sprich menschliche Gesichtszüge
Interpretation
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32
verwendet der Zeichner ebenfalls für Tierfiguren. Diese menschlichen
Muster sind in Annes Tierfiguren zu erkennen. Der Schnabel der Eule
beispielsweise ähnelt den Nasen der anderen Tiere.
Laras Figuren haben sehr unterschiedliche Nasen. Anzunehmen ist, dass
sie eine Form wählt, die für das jeweilige Tier signifikant ist. Kurz: Zeichnet
sie eine Eule, zeichnet sie den Schnabel eher eckig. Zeichnet sie eine
Maus, versieht sie das Tier mit signifikanten Merkmalen wie einer runden
Nase und Schnurrbarthaaren. Dies ist allerdings nicht der Fall. In Abb. 4
wird der Maus ein Strich als Nase gezeichnet, wie es häufig bei
Menschendarstellungen vollzogen wird. Das Phänomen des
anthropomorphen Denkens findet in Kapitel 5.3.3 gesondert Erwähnung.
Auffällig ist, wird eine Nase gezeichnet, so haben beide Tiere auf dem
gleichen Blatt die selbe Form. Schlange und Maus erhalten als Nase
einen Strich. (vgl. Abb.4) Auf die Nasenlöcher wird bei der Maus jedoch
verzichtet. In Abb. 1 verwendet sie für den Eulenschnabel und die
Mäusenase ebenfalls das gleiche Schema. In diesem Fall ist denkbar,
dass die Analogie mit der Veränderung der Eule in Zusammenhang steht.
Lara setzte in Abb. 1 als erstes eine Maus in die Mitte der Bildfläche.
Nachdem die erste Figur auf das Blatt gezeichnet wurde, erkundigt sie
sich bei Anne womit sie begonnen habe:
„L: Anne, was malst du jetzt grade?
A: Die Eule mal ich. Und dann ihr Haus.
L: Den Baum?
A: Ja.
Lara denkt nach und unterbricht den Zeichenprozess.
L: Ach ja die sitzt ja auf dem Baum.
Auf den Ast ihres Baumes setzt sie nun eine Eule. Nach einigen Minuten
richtet sie sich an mich und äußert sich zu ihrer ersten Zeichnung.
L: Die Maus fliegt. Lustig! (Lacht und zeigt auf die Maus.) Die sollte ja
auch erst die Eule werden.“ (Feldnotizen, S.1, Z.1-10)
Lara setzt die Eule nachträglich auf den Baum. Das Gespräch mit Anne
löste in ihr Unzufriedenheit über ihre fliegende Eule aus, welche ihren
Platz ursprünglich in der Bildmitte hatte. Daraufhin nahm sie eine
Veränderung vor und zeichnete sie sitzend auf einen Ast, während sie die
Interpretation
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33
fliegende Eule kurzerhand zu einer Maus umwandelte. Signifikant für eine
Maus, wurden Ohren angefügt. Das die Maus noch Flügel hatte, entging
ihrer Aufmerksamkeit. Durch diese Korrektur könnte die Analogie der
Nasen ebenfalls zu erklären sein. Gehen wir aber von einem Schema für
„Nase“ aus, wird deutlich, dass innerhalb einer Zeichenserie ebenfalls
unterschiedliche Schemata für ein Objekt nebeneinander bestehen
können.
Eine Antwort auf die Frage, warum ein Schema überarbeitet wird, sieht
Schuster in dem Antrieb zu einer Weiterentwicklung, die von dem Willen
begleitet ist, mehrere Gegenstände abzubilden und das Problem der
Unterscheidbarkeit zu lösen. Als Bespiel führt Schuster den Wunsch des
Kindes an, Hund und Katze zeichnerisch von einander zu unterscheiden.
(vgl. Schuster 2000, S. 53)
Für den Wunsch die Gesichtsschemata zu überarbeiten und einen
emotionalen Ausdruck in sie zu projizieren, führt Anne ein Beispiel vor.
Anne wollte den bösen Charakter des Grüffelo durch eine ausdrucksstarke
Mimik gegenüber den anderen Figuren hervorheben. Vermutlich merkte
sie beim Zeichnen, wie schwer ein Überwinden des Schemas ist und
brachte ihr Vorhaben verbal zum Ausdruck: „Guck mal jetzt. (Zieht an
meinem Ärmel) Der guckt dann nämlich so, guck!
Der guckt ja böse, der Grüffelo. Und mit den Zähnen dann so. (Pause,
zeichnet eine Grimasse) Guck so.“(Feldnotizen, S. 1, Z.34 ff.)
Als sie das Gesicht des Grüffelo zeichnete, diente der eigene
Gesichtsausdruck als Vorlage. Sie verzog ihr Gesicht und imitierte die
böse Mimik des Grüffelo. Ungeklärt bleibt, ob sie den Blick des Grüffelo
aus dem Bilderbuch nachahmen wollte oder sich selbstständig überlegt
hat, wie ein böser Grüffelo aussehen mag und daraufhin einen grimmigen
Gesichtsausdruck imitierte. Aus der Sicht Eggers ließe sich die
Vorgehensweise als Transfer der eigenen Gefühle auf die Zeichnung
erklären. Egger würde vermutlich davon ausgehen, Anne würde die Art,
wie sich ihre eigenen Emotionen ausdrücken würden, nachahmen und
projiziert diese Empfindungen in die Figur des Grüffelo.
Interpretation
________________________________________________________________
34
Das Beispiel ist stellvertretend für den Wunsch des Kindes, die eigenen
Schemata zu erweitern, um sie den eigenen Vorstellungen,
beziehungsweise der Realität anzupassen.
Eine Überarbeitung eines Schemas lässt Annes Baumabbildung
vermuten. Anne entwirft zwei Bäume nach dem gleichen Muster. Die
Krone in Form einer Wolke, den Stamm in Form zweier Striche, sodass
man in diesem Fall von einem Baumschema sprechen könnte. Die
wolkenförmige Baumkrone ist eine für Kinder sehr charakteristische
Darstellungsmöglichkeit. Den linken Baum zeichnete Anne zuerst. Um der
Eule einen Zugang zu ihrem Nest zu verschaffen, wurde ein Ast nach dem
Prinzip der Rechtwinkligkeit an den Baumstamm gesetzt. Anne entwarf
neben dem Schema der Baumkrone und des Stammes ein weiteres für
den Ast. Der Wissensstand des Kindes sagt ihm, dass eine Baumkrone
nicht ausreicht, da einen Baum mehrere Äste auszeichnen. Das Schema
für die Baumkrone muss entsprechend überarbeitet werden, um dem
Wissen des Kindes gegenüber dem Gegenstand Baum gerecht zu
werden. Für mich als Betrachter waren die horizontalen Äste, die nicht
innerhalb der Baumkrone angebracht, sondern vielmehr auf sie „gestellt“
wurden, nicht als solche erkennbar:
„I: Was ist denn das da oben? (Zeigt auf den rechter Baum oben in
Abb.1.)
A: Na das sind doch die Äste und darunter sind doch die Blätter. Weißte
nicht das n Baum Äste hat?“(Interv. Anne, S.3 Z.3-5)
Wie selbstverständlich Anne ihre Vorgehensweise sieht, äußert sie durch
ihr Lachen, indem sie mir 'Unwissenheit' über den Aufbau eines Baumes
nachsagt. Eine mögliche Erklärung für die Annahme einer Überarbeitung
sehe ich in einem Appell durch äußere Einflusse. Denkbar ist, Anne habe
eine gewisse Zeitspanne über das Schema der Baumkrone internalisiert,
wurde aber möglicherweise durch einen Außenstehenden belehrt, so wie
sie mich „zurechtweißt“, ein Baum müsse Äste haben.
Diese Kette an Beispielen für Schemabildungen ließe sich um Dutzende
erweitern. Im nächsten Textabschnitt werden die Figuren nach
unterschiedlichen Aspekten untersucht. Die Handlungs- und Erzählstruktur
in Kinderzeichnungen ist besonders in der Darstellung der Figuren zu
Interpretation
________________________________________________________________
35
erkennen. Dabei stellen sich bei der Betrachtung der Figuren neben
formalen Fragen, wie beispielsweise nach dem Aufbau des Wesens.
Neben den formalen Untersuchungsaspekten gilt es besonders die
Beziehungsstruktur der Figuren zu verstehen.
5.3 Figurendarstellung
In dem Kapitel der Figurendarstellung werden zunächst allgemeine
Auffälligkeiten zu den Figuren aufgeführt. Nach der Untersuchung ihres
Aufbau, werden Hinweise auf anthropomorphes Denken aufgedeckt.
5.3.1 Allgemeine Auffälligkeiten und Parallelen zum Buch
Das Bilderbuch präsentiert eine Auswahl an Tierfiguren. Die Maus und ihr
zunächst imaginärer Begleiter, der Grüffelo, stehen dabei als Hauptfiguren
im Vordergrund. Den anderen Waldbewohnern Angst einjagend, wird der
Grüffelo detailliert von der Maus beschrieben. Die Intention der Maus liegt
darin, die feindlichen Waldbewohner durch ihre Aussagen abzuschrecken
und in die Flucht zu schlagen. Dementsprechend gefährlich charakterisiert
sie den Grüffelo. Die Formulierungen wiederholen sich dabei in Syntax
und Metrik. Wie gut sich Reime im Gedächtnis verankern lassen,
demonstriert Lara. Begegnet die Maus dem ersten Tier, dem Fuchs, klingt
die dreigliedrige Beschreibung wie folgt: „Er hat schreckliche Hauer und
schreckliche Klauen und schreckliche Zähne um Tiere zu kauen.“
(Donaldson/ Scheffler 1999, S. 3) Der Eule jagt die Maus durch folgenden
Wortlaut Angst ein: „Er hat knotige Knie, eine grässliche Tatze und vorn im
Gesicht eine giftige Warze.“ (Donaldson/ Scheffler 1999, S. 7) Der
Schlange, als letztem Waldbewohner, erklärt die Maus den Grüffelo durch
diese Worte: „Er hat feurige Augen, eine Zunge so lang und Stacheln am
Rücken, da wird’s einem bang.“(Donaldson/ Scheffler 1999, S.11) Der mit
dem Buch identische Wortlaut der Grüffelo-Beschreibung wird an dieser
Stelle noch einmal aufgeführt, um Übereinstimmungen mit den
zeichnerischen Produkten abgleichen zu können. Der Grüffelo-Figur
kommt durch ihre Fiktivität, ebenso wie durch ihre Hauptrolle in der
Geschichte, besondere Aufmerksamkeit der Kinder zu und findet sich
dementsprechend häufig und ausgearbeitet in den Zeichnungen wieder.
Interpretation
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36
Um einen Überblick zu verschaffen, ziehe ich einen Vergleich zwischen
der von Lara gezeichneten Grüffelo-Figur und der Buchfigur. Während des
Zeichnens erinnert sich Lara an die Beschreibung des Buches und gibt
diese fast identisch mit der Formulierung der Literatur wieder. Einzelne
Worte lässt sie aus. An Stelle der ‚knotigen Knie’ spricht sie von
‚knorpeligen Knien’: „Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche
Zähne. (Pause) Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den
Grüffelo Abb. 2) Und auch die großen Arme mit Klauen, wo der die Maus
ja mit fangen will (Pause). Mit schrecklichen Klauen dran.“(Interv. Lara
S.1, Z.14-17) Leise flüstert sie die Merkmale vor sich hin, welche leitend
für ihre nächsten Zeichenschritte sind: „L: (Flüsternd vor sich her.) Der
Grüffelo hat knorpelige Knie, (4 Sek. Pause) eine grässliche Tatze,
(Pause) vorn im Gesicht ne giftige Warze.
I: Ach, das hast du dir gemerkt?
L: Ja klar. Der erste Spruch von der Maus, der is doch ganz einfach. Da
sagt die der Grüffelo hat schreckliche Hauer und schreckliche (Pause)
Klauen und schreckliche Zähne um Tiere zu kauen.“ (Feldnotizen, S.1, Z.
24-29) Die behaltenen Reime erleichtern ihr die Grüffelo-Figur in ihrer
Vollständigkeit zu entwerfen. Fast alle der charakteristischen Merkmale
bezieht sie in ihrer Darstellung ein. Die Hauer und die Warze bleiben
unberücksichtigt, wie die folgende Abbildung präsentiert.
Interpretation
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37
Laras Grüffelo aus Abb. 2 im Vergleich zu den im Buch aufgeführten Merkmalen
Als Lara den Grüffelo beim Fangen der Maus (Abb. 3) zeichnet, wird er
sehr wohl mit „Hauern“ ausgestattet. Vorherrschend sollen die
Eigenschaften der Gefahr und der Bedrohung in dem Grüffelo, der die
Maus jagt, verkörpert werden. Die Skizze erinnert an den Wendepunkt der
Geschichte. Diese Buchszene, indem die Maus dem bisweilen fiktiv
geglaubten Wesen zum ersten Mal begegnet, leitete den Höhepunkt der
Erzählung ein. Die Maus trifft tatsächlich auf den Grüffelo und muss sich
nicht nur ihrer Angst den Tieren gegenüber stellen, sondern der größten
Befürchtung in die Augen schauen. Anne hat dieser Szene, im Gegenteil
zu Lara, keine Aufmerksamkeit geschenkt und sie möglicherweise nicht in
ihrer Bedeutung für die Geschichte begriffen.
Laras Grüffelos im Vergleich zum Buch: links Abb. 3, Mitte Abb.2
Lara beschreibt den Grüffelo, indem sie immer wieder die Abbildungen 2
und 3 wendet und auf Details beider Grüffelo-Figuren zeigt: „Auf dem
nächsten Blatt ist der Grüffelo. Alle haben nämlich Angst vor dem. Der
sieht so böse aus. (Pause) Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche
Zähne. (Pause) Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den
Grüffelo Abb. 2) Und auch die großen Arme mit Klauen wo der die Maus ja
mit fangen will (Pause). Mit schrecklichen Klauen dran." (Interv. Lara, S. 1,
Z. 13-17) Die Arme des Grüffelo, auf die Lara in Abb. 2 gänzlich
Interpretation
________________________________________________________________
38
verzichtet, sind kennzeichnend für die bedrohliche Situation in Abb. 3 und
werden dementsprechend groß ausgearbeitet und mit ebenso lange
Klauen verziert. Durch die Arme des Grüffelo ließe sich eine leichte
Diagonale ziehen, wodurch der Eindruck entsteht, der Grüffelo würde
schräg stehen. Die seitliche Körperhaltung richtet sich zu der Maus. Es
erscheint als würde die Maus, deren Profil gezeigt wird, ihrer Bedrohung,
dem Grüffelo direkt in die Arme laufen. Durch die nach hinten fliehenden
Gliedmaßen der Maus wird schnell klar, dass es sich nicht um eine
freundschaftliche Geste handelt, sondern um eine brenzlige Situation. Die
Bildausnutzung liegt bei ca. 30 Prozent. Keine Gegenstände die von der
Handlung ablenken könnten, nur die beiden Figuren, setzt Lara auf ihr
Papier.
Abbildung 2 erinnert an eine Szene aus dem zweiten Teil des Buches,
indem die Maus den Grüffelo mit zu den Tieren nimmt, in dem Falle zum
Fuchs. Lara scheint also die Reihenfolge vertauscht zu haben. Während in
Abbildung 3 die Maus schockiert ist dem Grüffelo zu begegnen, scheint
sie in Abbildung 3 weniger Angst vor dem Grüffelo zu haben. Eng steht sie
neben ihm. Wie eine Einheit treten sie dem Fuchs entgegen. Der Fuchs ist
auf der rechten Blatthälfte angeordnet und distanziert sich ebenso durch
die braun-graue Farbgebung von beiden. In der passenden Buchstelle
liegt die Aufmerksamkeit eher auf der Angst des Fuchses, da die Maus
den Grüffelo vorstellt. Grüffelo und Maus, beide in grüner Farbe
gezeichnet und frontal nach vorne gerichtet, sind eng neben einander
gesetzt. Sinnbildlich führt die Farbigkeit die Differenz der Stimmungen
beider Bilder vor Augen. Die grüne Farbe in Abb. 2, des noch harmlosen,
neben der Maus stehenden Grüffelo, steht in unmittelbarem Kontrast zu
dem dramatischen Rotton, der das Fangen des Grüffelo untermauert.
Die Maus ist Held und somit Sympathieträger der Geschichte. Empfindet
sie Angst, so identifiziert sich der Leser mit der Angst und empfindet die
Situation als gefährlich. Lara hat sich beim Zuhören vermutlich ebenfalls in
die Rolle der Maus eingefühlt, weshalb sie den Wendepunkt in einem
dramatischen Rotton zeichnet.
Wie demonstriert Anne die Begegnungen der Waldbewohner in ihren
Abbildungen? Die Besuche der Maus präsentiert Anne bereits alle in ihrer
Interpretation
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39
ersten Zeichnung. Alle Tiere werden, wie bei einem Theaterstück, in
Annes erster Abbildung vorgeführt. Anne betont im Interview die Angst der
Tiere, als sie der Maus begegnen. „Dann hab ich die Maus da gemalt. Die
zu der Eule geht, aber die hat ja Angst.“ (Interv. Anne, Z.6-7) Die
Schlange fürchtet sich nach Anne ebenso vor der Maus: „Und dann die
Schlange, die die Maus besucht. Aber die hat ja auch Angst.“(Interv.
Anne, S.1, Z.7) Der Blick auf die Zeichnung würde die scheinbar wichtige
Rolle der Maus, die Anne ihr im Gespräch beimisst, allerdings nicht
vermuten lassen. Vielmehr fallen Grüffelo-Frau und Eule in das
Aufmerksamkeitsfeld des Betrachters. Die Maus wird, lediglich wie
Schlange und Fuchs, auf die Standbodenlinie gestellt. Auf die Frage nach
der Ursache für die Angst der Tiere vor der kleinen Maus, hat Anne keine
plausible Antwort. Dass die Maus Geschichten von dem gefährlichen
imaginären Begleiter erzählt, scheint ihr nicht präsent zu sein. „I: Du hast
erzählt, die Eule und die Schlange haben Angst. Warum haben die denn
Angst?
A: Vor der Maus. Und die hat nämlich gar keine Angst, obwohl die ja so
klein ist.
I: Warum haben die Angst vor der Maus?
A: Keine Ahnung, echt dumm, die wissen das wohl einfach nicht, dass die
nix tut.“(Interv. Anne, S.1, Z.25-29) Nicht durch den Inhalt der Geschichte
versucht sie eine Erklärung zu finden, vielmehr begründet sie ihr
Erstaunen über die Angst vor der Maus durch ihre Anatomie. Die Maus ist
den anderen Tieren körperlich unterlegen. Die Angst der Tiere vor dem
Grüffelo wird von ihr in einem Nebensatz erwähnt, als sie die Flucht des
Fuchses erläutert: „Ah nee, der Fuchs is ja noch da. Die Maus geht
zum Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann ganz schnell in
seine Höhle. (Mit ihrem Finger fährt sie den Weg nach, den der Fuchs
läuft.) Zischhhh, ganz schnell flitzt der da rein. (4 Sek.) Da kommt der
Grüffelo nich ran, wenn er will.“ (Interv. Anne, S.1, Z.13-16) Der
gefährliche Grüffelo wird von ihr allerdings auf ein separates Blatt gesetzt,
bzw. auf die Rückseite und stellt somit keine direkte Bedrohung für die
Tiere dar, wie es in der Geschichte der Fall ist. “Aber der is ja eh nich da.“
(Interv. Anne, S.1, Z. 16) Die Grüffelo-Frau befindet sich dagegen inmitten
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der Tiere, allerdings gibt Anne die Entwarnung: „Nur seine Frau. Und die
tut ja auch nichts. (4.Sek.)“ (Interv. Anne, S.1, Z. 16-19)
Die bisherige Untersuchung der Figuren zeigt bereits Laras starke
Parallelen zum Buchinhalt. Annes Rezeption des Buches besteht vielmehr
in einer Anregung durch den Lesestoff. Assoziativ erfand sie ein
zusätzliches, nicht auf der Erzählung basierendes fantasievolles
Geschöpf, das sie Grüffelo-Frau (siehe Abb. 1) betitelt. Obwohl diese
Figur kein Bestandteil der Geschichte ist, scheint sie dennoch eine
tragende Rolle für Annes Produktion zu haben. Durch ihre Größe, ihre fast
mittige Anordnung im Bild und besonders durch die detaillierte
Ausarbeitung tritt sie stark, gegenüber den anderen Figuren, in den
Vordergrund des Bildes. Nur sie und die Eule sind frontal abgebildet.
Die Grüffelo-Frau wirkt fröhlich und positiv durch ihre geöffneten Arme und
ihre Mimik. Die großen Augen mit langen Wimpern und dem rosa
lächelnden Mundzug unterstützen die Ausstrahlung. In der ersten
Zeichnung Annes wird die Bildfläche großzügig ausgeschöpft. Alle Figuren
des Buches, ausgenommen der Grüffelo selbst, werden in der Zeichnung
berücksichtigt. Durch beide Bäume und die fliegende Eule ist selbst der
obere Bildraum weitestgehend ausgefüllt. Beim Zeichnen der Grüffelo-
Frau hat Anne ihre Lust am kreativen Ausstatten entdeckt. Die Freude zur
detailreichen Ausschmückung ist bei Mädchen besonders früh
ausgeprägt. Laut Schuster beginnt in der Schemaphase ca. ab dem 5.-8.
Lebensjahr das Interesse Details zunehmend einzubeziehen. (vgl.
Schuster 2001, S.57) Ausgestattet mit Ohrringen, Wimpern, sogar mit
Lippenstift verziert Anne die Figur mit typischen Attributen einer Frau. „Ja.
Die hat doch auch so Lippenstift und ist @geschminkt@. (Pause) Wie so
eine richtige Frau.“ (Interv. Anne, S. 2 Z. 4-5) . Der Lippenstift, bzw. der
Schminkakt an sich, gilt für Anne als signifikanter Faktor für das
Erwachsensein. Die Detailfreude leitet sich aus der Faszination an einer
erwachsenen Frau ab. Viele Kinder verbinden mit Erwachsenen-Sein
Positives, was zu dem Wunsch führt, den Prozess ihres Heranwachsens
beschleunigen zu wollen. Neben der detailreichen Ausarbeitung fällt die
Grüffelo-Frau durch diverse ausgemalte Flächen auf. Bauch, Ohrringe
und die Verwendung unterschiedlicher Farben verstärkt die Betonung. Die
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41
Zacken bzw. das Fell der Frau werden additiv rund um den Körper
angefügt. Eine Zickzacklinie legt sich quasi rings um die Form der
Grüffelo-Frau. Die nahe liegenste Erklärung für die Zacken ist in der
Symbolisierung als Fell zu sehen. Allerdings trägt neben der Grüffelo-Frau
lediglich die Eule Zacken auf ihrem Kopf und diese hat kein Fell, sondern
Gefieder. Behaarten Tieren, wie Fuchs und Maus, würde demnach kein
Fell verliehen. So ist entweder die Unwissenheit Annes gegenüber der
Befiederung zu vermuten oder in dem Zackenmuster ein Repräsentant für
beispielsweise die Eigenschaft „flauschig“ zu sehen. Vorausschauend ist
anzunehmen, dass die sich hier bereits dürftig äußernden Strukturen für
Annes Liebe zum Detail sich zunehmend steigern, wie es in vielen
Zeichnungen von sich in der Schemaphase befindenden Mädchen, zu
beobachten ist.
Nachdem einige Figuren in Auseinandersetzung mit dem Buchinhalt
abgehandelt wurden, wird nun der Fokus auf weitere formale
Eigenschaften der Tiere, wie beispielsweise den Aufbau gerichtet.
5.3.2 Aufbau der Figuren
Annes Figuren lassen sich zwei Kategorien zuordnen. Eule, Grüffelo und
Grüffelo-Frau zeichnen sich durch einen additiv zusammengesetzten
Körper aus. Bezeichnend für das Additionsprinzip ist das Aneinanderfügen
einzelner Körperteile. Kopf und Rumpf werden in Form von Kreisen
abgebildet. Diese geometrischen Formen setzt Anne aufeinander. Das
Gegenstück zu dem additiven Aufbau liefern die Körper der Maus und des
Fuchses, die durch ihre organische Verbindung auffallen. Dabei gehen
Kopf und Rumpf ineinander über und erinnern an eine Umrisszeichnung.
Lediglich Beine und Fuchsschwanz fügt sie den Formen spät an. Die
organischen Körper können als Ablösung von den additiven Darstellungen
verstanden werden. Sie zeigen ein tieferes Verständnis von Körperteilen
als zusammenhängende, organische Verbindung. Allerdings ist die
organische Verbindung nur bei der Seitenansicht der Figuren zu
beobachten. Frontal abgebildete Figuren unterliegen der additiven
Darstellungsweise. Besonders deutlich ist das Additionsprinzip an der
Mausdarstellung von Lara zu erkennen. Geometrische Formen wie ein
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Kreis für Kopf, Bauch, Ohren und Arme und ein Rechteck für den Hals
werden aneinander gesetzt.
Bezüge zu Eggers Figurdarstellungen
Egger würde die Tierfiguren den Körper-Ego-Bildern zuordnen.
Die Tierdarstellungen können genau wie die Menschdarstellungen nach
Egger in zwei Ausdrucksweisen unterschieden werden. Differenziert wird
zwischen Körper-Ego-Bildern und Geist-Ego-Bildern. Ist eine
Tierdarstellung in Form eines Körper-Ego-Bildes gezeichnet, wie
beispielsweise die fliegende Eule von Anne, projiziert das Kind während
des Zeichnens seine eigenen Empfindungen, seinen „Sein-Zustand“(vgl.
Egger 2001, S. 73) in die Darstellungsweise. Eggers Theorien stützen sich
auf die Annahme des Projizierens von eigenen Gefühlen in ein Bild. Das
Kind projiziert sein eigenes Empfinden, sein persönliches Körperbild auf
die Figuren. Es versucht Eigenschaften zwischen sich und dem
Gegenstand bzw. der Figur zu unterscheiden. (vgl. Egger 2001, S.73)
Nicht nur in dem Bildinhalt sucht Egger nach Interpretationsansätzen die
auf die Lebenswelt des Kindes anspielen, sondern ebenso betrachtet sie
den Aufbau einzelner Bildelemente als Quelle, um sich den Gefühlen der
Kinder zu nähern.
Eggers Differenzierung in unterschiedliche Menschdarstellungen unterliegt
einem komplexen System, wodurch sich eine Zuordnung als schwierig
erweist. Die Figurdarstellung entspringt aus den Grundformen des
Zentrums, der Achse und des Urkreuzes. Eine genaue Zuordnung der
Figuren in ihre Kategorien, so betont Egger, sei nur möglich, falls ein
Gesamtüberblick über den Prozess des Zeichnens besteht. Die
Zeichenentwicklung über mehrere Jahre muss ersichtlich sein, um ein
Urteil über den Entwicklungsverlauf fällen und somit auch eine korrekte
Zuordnung vornehmen zu können. Um eine Einschätzung nach Eggers
Erkenntnissen treffen zu können, ist ein Blick auf die Extremitäten
aufschlussreich. Wo sind Beine und Arme angesetzt? In welchem Winkel
werden sie an den Körper gefügt? Die Grüffelo-Darstellungen Annes sind
nach Egger, sofern man eine Zuordnung treffen darf, dem Fischmenschen
zuzuschreiben. „Der Fischmensch ist daran zu erkennen, dass die Beine
Interpretation
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43
beim nun oft nicht mehr sichtbaren Stab aufeinander treffen, dem
Fischschwanz vergleichbar.“ (Egger 2001, S. 135)
Annes Grüffelo-Frau
Wie der Vergleich der Abbildungen deutlich hervorhebt, werden die Arme
der Grüffelo-Frau, beginnend in der Mitte des Bauches, an den Körper
gefügt. Diagonal spreizen sie nach oben ab. Konträr zu dem voluminösen
Bauch sind sie nicht plastisch, sondern lediglich als Strich gezeichnet. Die
Arme des Grüffelo-Mannes unterliegen einer ähnlichen Spreizung,
allerdings sind diese voluminös ausgearbeitet. Nicht nur die
abspreizenden Arme, sondern auch die runde Bauchform erinnern an
Eggers Fischmenschen, wie die Gegenüberstellung der Abbildung
aufzeigt.
Interpretation
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44
Annes Grüffelo aus Abbildung 3
Schräge Beinstellung als Indikator für Bewegung
Die Zuordnung der Tierdarstellungen von Anne und Lara gestaltet sich als
schwierig. Nicht immer ist die Beinstellung und die Gesichtdarstellung der
gleichen Kategorie zuzuordnen. Der Fuchs Annes in Abb.1 würde
aufgrund seiner schräg abgespreizten Beine für eine Zuordnung in die
Kategorie „Körper-Ego-Bild“ sprechen, allerdings ist das Gesicht des
Tieres von der Seite zu sehen, welches eher für ein Geist-Ego-Bild spricht.
Die Beine stehen häufig stabil, senkrecht in den Boden, was für ein Geist-
Ego-Bild kennzeichnend ist. Das Gesicht ist aber von der Seite zu sehen
und spricht für ein Körper-Ego-Bild.
Die Figuren Annes zeichnen sich eher durch ihre schräge Beinstellung
aus. Diese Schrägstellung behält sie unabhängig von der Perspektive, in
der sie die Tiere abbildet, bei. Selbst bei der Seitenansicht zeichnet sie die
Beine schräg gespreizt. Für Anne scheint darin jedoch keine
zufriedenstellende Lösung verankert zu sein, woraufhin sie nachträglich
eine Verbesserung vornimmt. Assoziierend mit einem Rock koloriert sie
Interpretation
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45
den Innenraum, der sich zwischen den Beinen ergibt. „Die Maus hat jetzt
einen Rock an. (Lacht) Die hatte die Beine so schräg, dann hab ich das da
so ausgemalt.“(Interv. Anne, S.1, Z.8-9) In dem Einfärben der Fläche
findet sie eine Lösung für ihre Problematik.
Annes Maus mit Rock
Philipps deutet die Schrägstellung der Beine als Bemühung zur
Darstellung von Bewegung. “Auch die Schrägstellung und/oder
Vervielfältigung von Körperteilen [...] kann Bewegung sichtbar machen.“
(Vgl. Philipps 2004, S. 68) Von der Theorie Philipps geleitet erklärt sich,
warum Anne die Schrägstellung der Beine des Fuchses weniger stören.
Sie beschreibt im Interview den Fuchs als sich auf der Flucht befindend:
„Die Maus geht zum Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann
ganz schnell in seine Höhle. (Mit ihrem Finger fährt sie den Weg nach,
den der Fuchs läuft.) Zischhhh, ganz schnell flitzt der da rein.“ (Interv.
Anne, S.1, Z. 3-6) Analog präsentiert Lara ihren Fuchs seitlich abgebildet
und erklärt genau wie Anne, er könne in seinen Bau laufen:“ Der Fuchs
hat aber eine Wohnung in dem Baum und rennt rein wenn der Grüffelo
kommt.“ (Interv. Lara, Z. 25-26) Die Beine sind, wie Philipps es
beschreibt, Indikator zur Absicht der Bewegungsdarstellung. Für Schuster
ist bereits die seitliche Position als Merkmal eines Bewegungsschemas zu
deuten. „Soll sich eine Figur bewegen, so ist die Darstellung von Bein- und
Armstellung in einer seitlichen Position leichter.“(Schuster 2000, S. 34)
Interpretation
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46
Verhältnis und Anordnung der Figuren
Obwohl Laras Figuren nicht immer durch Blickkontakt verbunden sind,
erhält man dennoch den Eindruck einer Verbindung. Beispielsweise ist in
Abbildung 2 der Grüffelo frontal abgebildet und richtet seinen Blick nach
vorne. Die Verbindung zu dem links angeordneten Fuchs entsteht durch
seinen Blick auf den Grüffelo. Ähnlich verhält es sich bei Abbildung 4. Die
Maus blickt nach vorne und wird von der Schlange beobachtet. Diese
Interaktionen zwischen allen, auf einer Zeichnung vorkommenden Tiere ist
in Annes ersten Zeichnung nicht zu erkennen. Alle im Profil abgebildeten
Figuren schauen nach rechts, wodurch sie sich den Rücken zukehren.
Das sich anschließende Kapitel behandelt die Anthropomorphisierung. Die
Vermenschlichung von Tierfiguren wurde bereits angesprochen, nun gilt
es die Zeichnungen daraufhin zu untersuchen.
5.3.3 Anthropomorphes Denken
Nach Meinung vieler Autoren ist davon auszugehen, dass Kinder während
der Schemaphase eigene Empfindungen in ihre Zeichnungen projizieren.
Ausgehend von dieser Annahme lassen sich anthropomorphe Bildinhalte
erklären. In Kinderzeichnungen zeigen Tierdarstellungen häufig
menschliche Eigenschaften auf. Bei der Tierdarstellung greifen Kinder auf
menschliche Erkennungsmerkmale zurück. Für dieses Kennzeichen der
Kinderzeichnung hat sich in der Fachliteratur der Terminus
„Anthropomorphisierung“ etabliert.
Basierend auf zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten entstanden
unterschiedliche Ansätze zur Erklärung des anthropomorphen Denkens.
Das Eine der beiden Meinungsbilder erklärt das Vermenschlichen mit den
Kognitionen des Kindes, während die zweite Forschungsrichtung von der
Übertragung eigener Gefühle ausgeht. Fleck-Bangert als Vertreterin der
Projektion des eigenen, menschlichen Empfindens auf die Tierdarstellung
erklärt ihren Standpunkt wie folgt: „Das Kind neigt dazu, sich mit allem
Lebendigen zu identifizieren. Deshalb werden die Tiere anthropomorph
gezeichnet, das heißt menschenartig dargestellt.“ ( Fleck – Bangert 2001,
S. 48) Handelt es sich um Theorien, die eng mit den subjektiven
Empfindungen des Zeichners einhergehen, sind die Theorien häufig durch
Interpretation
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die Forschungsergebnisse Eggers gestützt. Egger verwendet den
Terminus ‚Anthropomorphisierung’ nicht, untermauert die Theorie aber
durch die im vorangehenden Kapitel beschriebenen Körper-Ego-Bilder. Im
Körper-Ego-Bild projiziert das zeichnende Kind seine Wahrnehmung des
eigenen Körperempfindens, die Empfindung als menschliches Wesen und
somit auch die Identifikation mit Eigenschaften, wie dem aufrechten Gang
und dem Beherrschen motorischer Fähigkeiten, wie Greifen mit den
Händen usw. auf die darzustellende Figur und vermenschlicht sie.
Entgegen dem Handeln aus dem Körper-Empfinden heraus, sieht der
andere Forschungszweig den Ursprung für Anthropomorphisierung in der
kognitiven Entwicklung des Zeichners. Laut Richter werden „[…]die ersten
Tierdarstellungen aus demselben figurativen Material entwickelt wie die
ersten Menschdarstellungen[…]“(Richter 1987, S. 41ff.) Das Kind integriert
und kombiniert selbst entwickelte Schemata in alle neuen Gestalten. Nach
Richter kann eine Übernahme bzw. eine Weiterentwicklung bereits
vorhandener Elemente erkannt werden. (vgl. Richter 1987, S. 41ff.)
Zeichnet das Kind neben Menschen nun auch Tiere, übernimmt es
bestehende Konzepte aus der Menschdarstellung um das Tier zu
entwickeln. Das Kind entwickelt ein einheitliches Schema für alle
Lebewesen, woraus das ‚vermenschlichte Tier’ resultiert.
Egger geht zwar analog von der Integration gewisser „Urformen“ aus,
allerdings sieht sie in den Urformen ebenso den Ausdruck der eigenen
Empfindung, womit sich wieder das grundsätzliche
Unterscheidungskriterium herauskristallisiert. Kurz: „Die Urformen sind
Ausdruck des Körperempfindens.“(Egger 2001, S. 38) Eine gewisse
Schnittmenge zwischen dem Ansatz der Kognition besteht jedoch zu
Eggers Annahme. Nach Egger kann das Kind in Abhängigkeit zum
zunehmenden Lernstand, immer besser zwischen Ich-Bild und
Gegenstand unterscheiden. (vgl. Egger S.73) Bei zunehmender Intelligenz
würde sich, genau wie in Richters Theorie, die Anthropomorphisierung
auflösen.
Laras Mäuse weisen beispielsweise durch ihre Mimik Parallelen zu
Menschdarstellungen auf. Die Nase als Strich zu zeichnen ist ein häufig
verwendetes Schema für das Gesicht einer menschlichen Figur.
Interpretation
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Laras Maus mit Strich als Nase
Gerade auf signifikante Attribute die eine Maus auszeichnen und durch die
das Kind dem Betrachter prägnant verdeutlichen könnte, um welches Tier
es sich handelt, wird verzichtet. Zu erwarten wäre eine Maus mit einer
runden Nase, Schnurrbarthaaren und einem langen Schwanz. Lediglich
die großen, runden Ohren sind kennzeichnend für eine Maus. Ihr
aufrechter Gang ist als anthropomorpher Aspekt zu werten. Bei der Frage
nach Gründen für die menschenähnliche Darstellungsweise ist ein
Vergleich zu den Buchillustrationen aufschlussreich. Die Illustrationen der
Maus ähneln Laras Abbildung. Sie zeigen eine, ausschließlich im Profil
präsentierte, aufrecht stehende Maus mit großen Ohren und langem
Schwanz.
Buchillustration
Zwar wird in diesem Fall die Nase ebenfalls als Strich gezeichnet,
allerdings entbehrt die Darstellung durch die seitliche Sicht auf die Maus
Interpretation
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jegliche Ähnlichkeit zur menschlichen Nase. Zeichnet Lara ihre Maus von
der Seite, wird auf eine Nase verzichtet. Die Strichnase von Lara lässt
eher annehmen, dass sie als typisches Schema für einen Menschen in die
Mausdarstellung übernommen wurde. Möglich ist auch das Zeichnen des
Striches aus der eigenen Körperwahrnehmung heraus. Die Parallelen zum
Buch lassen allerdings ebenso die Vermutung zu, die Darstellungen seien
eine Entlehnung der Bilderbuchvorlage. Kretschmer wirft den Gedanken
auf, dass sich Tierdarstellungen in Bilderbüchern stark an menschlichen
Charakteristiken orientieren, da die „gegenwärtige
Bilderbuchproduktion[…]Themen, Motive und Handlungsorte in einer
vermenschlichten Tierwelt an[siedelt].“ (Kretschmer 2005, S. 27)
Unschlüssig bin ich, die Grüffelo-Frau Annes, dem anthropomorphen
Denken zuzuordnen, da sie nicht eindeutig als Tier zu werten ist. Die
Grüffelo-Frau ist zwar ein fiktives Geschöpf, allerdings wird die Grüffelo-
Figur (der Mann, die Frau ist von Anne frei erfunden) im Bilderbuch mit
den Tieren des Waldes auf einer Stufe angesiedelt. Ausgehend von einer
‚Tierdarstellung’ wird die Grüffelo-Frau von Anne sehr bewusst mit
menschlichen Charakteristikern ausgestattet. Wimpern, Ohrringe, der
Lippenstift verweist auf einen ‚menschlichen Mund’. Steigernd zu der
bildnerischen ‚Anthropomorphisierung’ werden Grüffelo und Grüffelo- Frau
im Interview durch Handlungen, die ihnen Anne zuschreibt,
vermenschlicht. Über das Telefon kommunizieren beide wie Menschen:
„Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen.
@„Hallo Schatz, ich komm gleich.“@ Sagt der zu ihr. @Die sind verliebt.
@“ (Interv. Anne, S.2, Z. 9-10) Neben dem Telefonieren der Tiere, haben
sich beide Figuren auf einer Party kennen gelernt: „Die haben sich auf ner
Party kennen gelernt.“ (Interv. Anne, S.2, Z.12) Genau wie in
Bilderbüchern verhalten sich die Tiere wie es Menschen tun.
Ein gewisser Einfluss durch die Präsentation von ‚vermenschlichten’
Tierfiguren im medialen Bereich auf die anthropomorphen Darstellungen
in Kinderzeichnungen ist ebenso wenig auszuschließen. Letztlich kann nur
der Zeichner selbst Aufschluss geben, aus welchen Beweggründen
heraus, das Tier menschähnlich gezeichnet wurde. Ein explizites
Nachfragen habe ich im Interview versäumt.
Interpretation
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5.4 Das Prägnanzprinzip
Das Prägnanzprinzip wird in der Struktur der Arbeit bewusst vor dem
Kapitel Räumlichkeit angesprochen. Immer wieder wird in der Fachliteratur
die Prägnanz in Verbindung zur Räumlichkeit gesetzt und ihre Prinzipien
hauptsächlich an Hand perspektivischer Beispiele erklärt. Umklappungen
und Simultanperspektiven gelten als repräsentative Beispiele für den
Ausdruck von Prägnanz. Der Terminus „Prägnanz“ definiert die
Genauigkeit und Klarheit einer Abbildung. Nach Fleck-Bangert werden
nach dem Prägnanzprinzip gekennzeichnete Gegenstände, in möglichst
charakteristischer und klarer Ansicht dargestellt, gezeichnet. (vgl. Fleck-
Bangert 1994, S. 47) Fraglich ist jedoch, ob sich diese Genauigkeit
ausschließlich in räumlichen Darstellungen finden lässt. Auch Fleck-
Bangert führt eine perspektivische Darstellung als Beispiel für die
Prägnanz an: “So finden wir auf derselben Zeichnung Tiere zum Beispiel
von der Seite, Straßen und Gartenbeete dagegen aus der
Vogelperspektive.”(Fleck-Bangert 1994, S. 47) Analog verbindet Richter
die Simultanperspektive mit Prägnanz. Die Prägnanztendenz, wie er sie
nennt, “bezeichnet die Zunahme an gestalthaften Qualitäten bei
bestimmten optischen Konfigurationen.” (Richter 1987, S. 18) Richter
spricht von auffallenden Erscheinungen des Schemabildes, die häufig als
Umklappungen bezeichnet werden. (vgl. Richter 1987, S 18)
Eine Simultanperspektive, die sich im Sinne der Prägnanz ergibt, wird in
Annes Zeichnung nur durch ihre verbale Erläuterung aufgedeckt. Anne hat
ein Telefon in das Haus des Grüffelos gezeichnet. Aufgrund der Aufsicht
ist anzunehmen, es würde hängen, beispielsweise an einer Wand.
Allerdings wird durch die Transkription deutlich, dass das Telefon “stehen”
soll. „P: Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon.“ (Interv. Anne, S.2,
Z.9 ) Warum zeichnet Anne das Telefon nicht von der Seite? Durch das
Prägnanzprinzip lässt sich diese Frage beantworten. Anne möchte dem
Betrachter die charakteristischsten Merkmale des Gegenstandes
möglichst deutlich aufzeigen. Bei der von ihr präsentierten Seite des
Apparates kann sie Wählscheibe als auch Hörer berücksichtigen. Würde
es „stehen“, wie sie sagt, wäre es vermutlich als solches für den
Interpretation
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Betrachter nicht erkennbar. Die umgeklappte Darstellung des Telefons
kann als Wunsch nach Prägnanz verstanden werden. Später habe ich der
Erzieherin gegenüber mein Erstaunen geäußert, dass sie eine
Wählscheibe zeichnete. Sind Kinder dieser Generation doch mit
Tastentelefonen aufgewachsen. Erklärend erwähnte die Erzieherin, Anne
besuche häufig ihre Großeltern auf einem Bauernhof, welche noch über
ein solch überholtes Modell eines Telefons verfügen. Das Objekt ‚Telefon’
als Gegenstand der kindlichen Lebenswelt integriert Anne in ihrer
Zeichnung.
Entsprechend findet sich in Laras erster Zeichnung ein Beispiel für
Prägnanz. Für Lara ergaben sich Schwierigkeiten beim Zeichnen einer
über einen Steg gehenden Maus. Im Interview erklärt sie: „Die geht über
den Steg da. (Zeigt auf den Steg.) Da is ja der Fluss und die muss
darüber, weil die ja zur Eule geht. Dann balanciert sie. Sie will ja nicht,
dass es platsch macht.“ (Interv. Lara, S.1, Z.10-12) Verfolgt man ihre
Vorgehensweise ist die Entstehung des Problems nachzuempfinden:
Nachdem sie die Maus auf das Papier setzt, zeichnet sie die
Wasserfläche in Form horizontaler Striche. Zwischen Maus und Wasser
ergibt sich ein Zwischenraum. Neben der Entfernung von Maus und
Wasser entsteht für Lara ein Problem bei der Farbwahl des Steges. Die
braune Farbe lässt sich nur schwer über die blaue auftragen. Laras
Überdeckungsversuch ist in der Zeichnung gut zu erkennen. Allerdings
konnte das Problem selbst durch das kräftige Aufragen der braunen Farbe
nicht als gelöst erachtet werden, da sich für Lara ein perspektivisches
Problem ergab. Laras Unzufriedenheit bestand solange, bis sie eine
Verbindung des Holzsteges mit der Maus erreichte, die schließlich über
die Brücke gehen sollte. Die Maus “schwebte” gewissermaßen über dem
Steg. Eine Lösung fand Lara, indem sie einen senkrechten braunen Strich
zeichnet der einerseits über das Wasser reichte und andererseits die
Füße der Maus berührte: die erforderliche Verknüpfung war entstanden.
Die Umklappung des Steges erbrachte für Lara die nötige Prägnanz für
den Betrachter, um die vorherrschende Situation zu erfassen.
Dem Prägnanzprinzip ebenfalls zuzuordnen ist Laras Brücke in Abb. 4.
Interpretation
________________________________________________________________
52
Aufsicht auf Laras Brücke
Während die Maus frontal zu betrachten ist, die Schlange durch eine
leichte Aufsicht dargestellt wird, ist die Brücke Laras völlig aus der
Vogelperspektive zu sehen. Drei Arten von Perspektive treten parallel
innerhalb einer Zeichnung auf. Vor dem Hintergrund des Prägnanzprinzips
ist die Intention Laras dem Betrachter den Gegenstand durch die jeweilige
Perspektivwahl möglichst genau zu präsentieren.
Alle aufgeführten Beispiele der Kinderzeichnungen sind, wie es auch in
der Literatur charakteristisch ist, Ausdruck der Simultanperspektive.
Fraglich ist, ob der Terminus Prägnanz nicht auf wesentlich mehr
Elemente der Kinderzeichnung, als lediglich auf Perspektivisches, zu
beziehen ist. Ist nicht ebenso die Entstehung eines Schemas Ausdruck für
das Bestreben dem Betrachter den Gegenstand prägnant vorzuführen?
Die zu hohe Anzahl an Fingern bei Annes Grüffelo-Figur beispielsweise,
zielt darauf ab, das charakteristische Merkmal des Körperteils
herauszustellen. Die Hand zeichnet sich durch die Fähigkeit des Greifens
aus. Anne hebt durch die übertriebene Anzahl an Fingern die Tätigkeit
besonders hervor. Welche entscheidende Rolle der Hand als Greifelement
zukommt, belegt die Transkription: „Der will über die Mauer klettern und zu
seiner Frau.“(Interv. Anne, S.1, Z.19) Deutlich wird die Notwendigkeit der
Hand zum Klettern. Ist die Übertriebene Anzahl an Fingern nicht auch
Interpretation
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53
Mittel zu einer prägnanten Kennzeichnung? Könnte das Merkmal
Bedeutungsgröße dem Prägnanzprinzip zugeordnet werden? In Philipps
„Warum das Huhn vier Beine hat“ konnte ich einen Hinweis finden, der
meine Annahmen untermauert. Die Termini unterscheiden sich wesentlich.
So lässt Philipps Begriffswahl „Prägnanzdenken“ bereits ein weites Feld
an Anwendungsmöglichkeiten zu. Der Begriff „Denken“ weißt bereits
daraufhin, dass das Kind permanent von dem Bestreben, dem Denken
nach Genauigkeit, während des Zeichenprozesses geleitet wird und
dieses Denken beim Zeichnen jeglichen Objekte präsent ist. Philipps
ordnet dem Prägnanzdenken beispielsweise auch das Prinzip der
Rechtwinkligkeit zu. (vgl. Philipps 2004, S. 53 ff.) Resümierend ist
festzuhalten, dass das Kind mit dem Betrachter durch seine bildnerische
Produktion in Kommunikation tritt und immerzu möglichst genau sein
Verständnis der Dinge präsentieren möchte. Ob die Fachliteratur in all
diesen Fällen von einem Prägnanzprinzip sprechen würde, bleibt bislang
unbeantwortet.
Die Struktur meiner Arbeit ist nach der Unterordnung Philipps
ausgerichtet. Nachdem die Prägnanz erklärt wird, wende ich mich der
Bedeutungsgröße und der Rechtwinkligkeit zu.
Im folgenden Kapitel über die Bedeutungsgröße komme ich noch einmal
auf die Hand des Grüffelo zu sprechen.
5.5 Die Bedeutungsgröße
Betrachtet man die Größenverhältnisse in Zeichnungen von Kindern,
heben sich einzelne Objekte oft gegenüber anderen in ihrer Größe ab.
Nicht die mangelnde kognitive Entwicklung kann als Begründung für die
Größenunterschiede herangezogen werden, sondern die Bedeutung des
Gegenstandes für das Kind ist als Ursache für das Format zu sehen.
Nach Richter wird das Merkmal der besonderen Größe aus vorherigen
Entwicklungsphasen übernommen. Allerdings ergaben sich die
Größenunterschiede in früheren Stufen durch unkontrolliertes Zeichnen.
„Im Bild der Schemaphase dagegen soll dieses Motiv/Motivelement […]
hervorgehoben werden, weil es dem Zeichner besonders bedeutungsvoll,
Interpretation
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54
bedeutungstragend erscheint. (Richter 1987, S.53) Richter zufolge hat die
Größe einen übergeordneten Wert, der über die funktionale Darstellung
hinaus auf der inhaltlichen Ebene anzusiedeln ist. (vgl. Richter 1987,
S.53ff.) Das vergrößerte Element trägt für den Bildinhalt einen
hervorgehobenen Wert.
Dass bestimmten Elementen eines Gegenstandes durch ihre Größe eine
besondere Funktion beigemessen werden, kann in Annes Grüffelo-
Darbietung kenntlich gemacht werden. Auf die Ausarbeitung der Beine
und der Hand ist vor dem Hintergrund der Größenverhältnisse besonders
zu achten. Beiden Objekten kommt durch ihre Größe eine besondere
Bedeutung zu. Durch mein Beisein am Zeichenprozess ergab sich für
mich die Möglichkeit, neben der Zeichenreihenfolge auch teilweise die
Handlungsmotive der Kinder nachzuvollziehen. Da Anne während ihres
Malaktes gerne spricht, stellt sich das Phänomen der Bedeutungsgröße
für den Betrachter sehr transparent dar. Als mir Anne während ihres
Zeichenprozesses von ihrer Grüffelo-Darstellung (Abb. 2) berichtet, fällt ihr
auf, dass die Figur außergewöhnlich lange Beine kennzeichnen:
„Der hat jetzt ganz lange Beine.“(Feldnotizen, S.2, Z.5)
Die überdimensionalen Extremitäten erklärt sie mit der Neugierde des
Grüffelo, der sich auf die Zehenspitzen stelle, um über die Mauer zu
schauen. „Der steht nämlich auf Zehenspitzen. (Pause) Der will über die
Mauer. Da! Die kommt jetzt.“(Feldnotizen, S.2, Z. 5-6) Die
Bedeutungsgröße der Beine unterlegt sie mit einem tieferen Sinn durch
das Zeichnen einer Mauer, die es für den Grüffelo nun zu überwinden gilt.
„Da muss der nämlich rüber.“(Feldnotizen, S.2, Z.7) Anne zeichnet eine
Hand an den Arm des Grüffelo. Sie beschreibt sein Vorhaben auf die
andere Seite zu seiner Frau zu gelangen: „Der zieht sich da so hoch. Der
will auf die andere Seite zu seiner Frau. Die hatten telefoniert und die
wartet nun auf den.“(Feldnotizen, S. 2, Z.8-9) Die Hand steht signifikant für
ihre Funktion zum Überwinden des Hindernisses. Sowohl die langen
Beine als auch die vergrößerte Hand sind dem Kind für die
Handlungsebene der Zeichnung entscheidend und so der
Bedeutungsgröße zuzuordnen.
Interpretation
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55
Lara verdeutlicht durch die Bedeutungsgröße die Tätigkeit der Eule in
Abb.1.. Zuvor beschrieb ich, dass Lara in Abb. 1 aus der Eule eine Maus
erstellte und eine ‚neue Eule’ auf den Baum setzte. Die Krallen der
mittlerweile auf dem Baum sitzenden Eule sind dabei auffällig groß
geraten. Warum gerade die Fänge der Eule durch das Prinzip der
Bedeutungsgröße geprägt sind, lässt sich durch die veränderte Tätigkeit
erklären. Anne macht aus der aktiven, gerade noch fliegenden Eule, einen
passiven, sitzenden Vogel. So wie sie die Flügel weit aufgespannt
darstellte, stellt sie nun durch die großen Krallen die Notwendigkeit der
Eule heraus, sich auf dem Ast halten zu können. Veranschaulichend
stehen die Beispiele für das Verwenden der Größe, um Bildelementen
unterschiedliche Priorität zukommen zu lassen. Überspitzt könnte man
sagen, der kindliche Zeichner lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters
auf bedeutsame Inhalte seines Bildes. Die so gelieferten Hinweise bieten
dem Bertachter Interpretationsansätze, die Inhaltsebene des Bildes zu
erschließen.
Das im nächsten Absatz angesprochene Prinzip der Rechtwinkligkeit ist
ein weiteres Merkmal, welches sich der kindliche Zeichner bedient, um
seine Bildaussage präzise darzulegen. Wie zuvor erwähnt, sieht Philipps
die Rechtwinkligkeit als Unterpunkt der Prägnanz.
5.6 Das Prinzip der Rechtwinkligkeit
Um Gegenstände in ihrer Form möglichst klar darzustellen, setzten Kinder
Bildelemente häufig im rechten Winkel aneinander. Zeichnen Anne und
Lara Äste an ihre Bäume, werden sie im rechten Winkel angefügt, um
einen größtmöglichen Richtungsunterschied herzustellen. Zeigt Lara ihre
Figuren in frontaler Position, setzt sie die Arme im rechten Winkel an den
Körper. Gerade Gliedmaßen werden von Kindern häufig im rechten Winkel
zueinander gesetzt.
Eine fliegende Eule, deren Flügel weit aufgespannt und deren lange Beine
im rechten Winkel an dem runden Körper angesetzt sind, wird von Anne
zentral in die Bildmitte ihrer ersten Zeichnung platziert.
Interpretation
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56
Annes Eule mit rechwinkliger Beinstellung
Die charakteristische Tätigkeit des Fliegens galt es für Anne klar in den
Vordergrund zu stellen. Das Interview gibt Aufschluss zu den von Anne
gesetzten Akzenten. „Da kann die Eule landen, wenn die nach Hause
kommt. Aber jetzt fliegt die ja erst mal.“ (Interv. Anne, S.1, Z. 4-5) Der
großzügige Farbauftrag der Flügel untermauert die Wichtigkeit des
Fliegens zusätzlich. Es stellt sich die Frage für den Betrachter warum das
Kind neben den Flügeln die Beine der Eule betont, die für den Akrt des
Fliegens wenig Relevanz aufweisen. Die Antwort auf die Frage scheint
dennoch in der Betonung der Aktivität zu liegen. Anne stattet die Eule mit
langen Beinen aus, wobei eines nach unten zeigt und das andere im
rechten Winkel zur Seite absteht. Ähnlich wie es Philipps durch den Begriff
„Richtungsstriche“ beschreibt, ist anzunehmen, die Stellung der Beine
drückt Bewegung aus. (vgl. Philipps 2004, S. 62) Da nicht beide dem
Boden zugerichtet sind, sondern eines senkrecht zur Seite spreizt,
untermauert Anne die Tätigkeit des Fliegens.
Paradoxerweise scheint gegen die Intention der Kinder oft das Prinzip der
Rechtwinkligkeit eher zu missverständlichen Darstellungsweisen zu
führen. Lara beispielsweise zeichnet einen Steg, der senkrecht auf die
Flusslinie gesetzt wird und für mich als solcher nicht erkennbar war.
Interpretation
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57
Maus mit Steg
Vielmehr wirkt es wie ein verlängertes Bein der Maus. Nur durch ihre
Erklärung im Interview und das zeigen mit dem Finger auf den Steg,
wurde das Bildelement als solches für mich deutlich. Ebenso lösen die
Äste, die Anne senkrecht auf ihre Baumkrone stellt, Verwirrung auf Seiten
des Betrachters aus. Wie im Kapitel der Prägnanz bereits erwähnt,
zeichnet Anne außerhalb auf die begrenzte Baumkrone Äste, von denen
keine Zweige abspreizen. Der größtmögliche Richtungsunterschied führt
in dem Falle nicht zum größtmöglichen Verständnis.
5.7 Das Transparenzprinzip
Bilden Kinder Objekte ab, die durch ein „Innenleben“ gekennzeichnet sind,
wird häufig das Transparenzprinzip angewandt. Philipps beschreibt das
'Röntgenbild' als das Darstellen von eigentlich undurchsichtigen Objekten,
welche gezeigt werden als wären sie transparent. (vgl. Philipps 2004, S.
99) Mit der Innensicht des Hauses (Abb.3) bietet uns Anne ein sehr
typisches Motiv für ein Transparentbild, wie es in der Literatur häufig als
Fallbeispiel zur Repräsentation genutzt wird. Exemplarisch erklärt
Schuster das Phänomen an Hand eines Hauses: „Häufig sieht man in
Kinderzeichnungen das Innere mitgezeichnet: z.B. das Innere des
Hauses, das eigentlich durch die Hauswand verdeckt sein müsste[…]“
(Schuster 2001, S. 69) Gründe für die Transparenz sind auf der Ebene
des Inhaltes angesiedelt. Das Abbilden der Objekte scheint dem Kind so
wichtig für die Handlungsebene zu sein, dass ein Verzicht der Darstellung
möglicherweise die Handlungsstrukturen stören könnte. Philipps
untermauert den Wunsch nach Ganzheit: „Die Undurchsichtigkeit ist dem
Interpretation
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58
Kind bewusst, es geht ihm aber in seiner Zeichnung um
Vollständigkeit.“(Philipps 2004, S. 99)
Annes Haus mit Eingang und Telefon
In Annes Haus ist allerdings nur ein Gegenstand zu sehen, das Telefon.
Bei der Darstellung des Telefons (siehe Abb. 2) handelt es sich um eine
gewollte Innendarstellung. Das Telefon befindet sich im Haus, ist aber für
den Betrachter durch die Hauswand sichtbar, sprich es unterliegt der
'Röntgentechnik'. Schuster beschreibt den Einblick in das Innere eines
Hauses als ein Transparentbild im Sinne eines Raumschnittes. (vgl.
Schuster 2001, S. 71) Dahinter steht die Intention des Kindes, auf etwas
zu verweisen, was sich im Raum befindet. Der Grüffelo möchte sich, da er
sich auf der Rückseite des Blattes befindet, mit seiner Frau in Verbindung
setzen. Neben der Möglichkeit, durch das Klettern über die Mauer seine
Frau zu erreichen, räumte Anne dem Grüffelo eine weitere Möglichkeit ein,
eine Verbindung zu seiner Frau herzustellen. Das Haus des Grüffelo
wurde mit einem Telefon ausgestattet „Ja. Guck (Pause) und da steht
sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen. @„Hallo Schatz, ich komm
gleich.“@ Sagt der zu ihr. @“(Interv. Anne, S.2 Z.10) Analog wurde an den
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59
Baum auf der anderen Blattseite ein Telefon für die Grüffelo-Frau
angebracht. Das Telefon steht für das Verbindungsstück zwischen der
Hauptfigur des Buches und seiner dazu erfundenen Frau. An dieser Stelle
des Interviews nehmen fiktive Element, wie ein Liebesverhältnis beider
Grüffelo-Figuren immer mehr Raum ein. „Die sind verliebt. @“(Interv.
Anne, S.2, Z.10) Anne beschreibt das Warten der Grüffelo-Frau auf den
Anruf ihres Mannes: „Aber die will ja auch telefonieren. Und da is ja auch
das Telefon. (3Sek) Die wartet ja bis ihr Mann anruft, aber macht der
gleich.“ (Interv. Anne, S2., Z.6-7) Die Figur des Grüffelos ist in Annes
Geschichte, konträr zu der Grüffelo-Frau, aktiv. Er klettert über die Mauer
und ruft seine Frau an, während die Grüffelo-Frau zwar gerne telefonieren
möchte, sich aber passiv verhält und geduldig auf den Anruf des Mannes
wartet. Das Verhalten der beiden Figuren erinnert an ein traditionelles
Beziehungsmuster, indem die Frau sich für ihren Mann schön macht: „Die
hat sich ja ganz schick gemacht.“ (Interv. Anne, S.2, Z. 19) und der Mann
vorherrschend die Entscheidungen trifft. Um den Fantasien auf den Grund
zu gehen, müssen Bezüge zur Lebenswelt hergestellt werden. Gegen
meine Vermutung, dass eine Verbindung zu dem Verhalten der Eltern
besteht, kristallisiert sich eher eine Inspiration durch den Fernseher
heraus, wie durch die Transkription deutlich wird: „I: Haben sich deine
Eltern auch auf einer Party kennen gelernt?
A: (Denkt nach.) Weiß ich gar nicht. War ich ja auch nicht da.“(Interv.
Anne, S.2, Z.15-16) Auf meine Nachfrage, ob ein Zusammenhang
zwischen dem Kennenlernen ihrer Eltern und der Idee für das erste
Treffen der Grüffelo- Figuren besteht, reagiert Anne eher verwirrt als
zustimmend. Im Verlauf des Interviews zeigt sich eher eine Verbindung
zwischen den Einfällen ihrer Geschichte zu Fernsehsendungen. Auf meine
Frage nach dem Grund für das Zurechtmachen der Grüffelo-Frau,
antwortet Anne: „Ja, so wie im Fernsehen, wenn die weggehen.“ (Interv.
Anne, S.2, Z.22) Nicht selten implizieren Kinderzeichnungen Anregungen
aus Fernsehserien. Um welche Fernsehfiguren es sich speziell handelt
eröffnet Anne mir im Interview nicht. An dieser Stelle wären weitere
Fragen auch über die Dauer und Regelmäßigkeit ihres Fernsehkonsums
interessant gewesen, die ich bedauerlicherweise versäumt habe.
Interpretation
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60
Das Telefon veranschaulicht, welche Kette an komplexen Erklärungen an
einem Bildelement hängen, die zu der Erschließung des Bildinhaltes
beitragen können. Nachfolgend wird, passend zu dem durch das Telefon
gefallenen Aspekt der Umklappung, die Thematik der Räumlichkeit
behandelt.
5.8 Die Räumlichkeit
Das Kriterium Räumlichkeit lässt besonders schnell Rückschlüsse auf den
Entwicklungsstand des Zeichners zu. Die Wahrnehmung von Vor- und
Grundschulkindern unterscheidet sich von den Erwachsener. Durch die
bereits erwähnte Simultanperspektive zeigt das Kind dem Betrachter
seinen wechselnden Standpunkt. Nicht eine Perspektive nimmt es
durchgehend während des Zeichnens ein, sondern entscheidet zu
Gunsten der Prägnanz. Die Umklappungen veranschaulichen die
‚Andersartigkeit’ der Denkoperationen des Kindes, welche Reiß als
konkret-anschaulich einstuft. (vgl Reiß 2003, S. 70) Besonders folgende
Fragen treten auf, möchte man die Wahrnehmung des Kindes verstehen:
Wie gehen Kinder damit um, drei-dimensionale Gegenstände aus ihrer
Wirklichkeit auf eine zweidimensionale Fläche zu projizieren? Welche Art
Raumkonzepte tauchen in den Bildern auf? Welche
Unterscheidungskriterien lassen die Konzepte erkennen?
Betrachtet man die Zeichnungen der Mädchen, so fällt das Orientieren an
einem orthogonalen System auf. Ihre Objekte ordnen sie in der
Horizontalen und Senkrechten an. Kennzeichnend sind die aufrecht
stehenden Bildobjekte. In dem Zusammenhang spricht Reiß genau von
der Übergangszeit, in der sich beide Kinder zum Zeitpunkt der Erhebung
befinden. Beim Verlassen der Vorschule und bei Eintritt in die
Grundschule verfügen die Kinder über ein sicheres Raumsystem. (vgl.
Reiß 2003, S. 69) Es ist von dem Erleben eines veränderten
Raumgefühls der Kinder auszugehen. Reiß sieht in ihrem Verständnis von
Räumlichkeit eine Verbindung zu eigenem Empfinden des Kindes: „So wie
sich das Kind auf dem Boden stehend empfindet, so stellt es die
Bildgegenstände aufrecht dar und verwendet ein Konzept, das gleichsam
Interpretation
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61
einen <<Durchschnitt>> der horizontalen Raumschichtung wiedergibt.“
(Reiß 2003, S.69)
Sehr typisch für Kinder diesen Alters ist das Nutzen der unteren Blattkante
als Standlinie. Wird diese nicht gebraucht, zeichnet das Kind eine
separate Basis durch eine horizontale Linie. Richter erkennt in dem
Einbezug der Blattkante eine Reihenfolge: Erst nutzt das Kind die
Blattkante als Standlinie. Später wird parallel zur Blattkante eine
Bodenlinie gezogen, die die Blattkante ablöst. (vgl. Richter 1987, S. 81)
Nach Richter halten die Kinder noch den ersten Aspekt ein: Auf das
Zeichnen einer Standlinie verzichten Anne und Lara, vielmehr nutzen sie
die Blattkante um Gegenstände zu positionieren. Als Ausnahme ist Laras
erste Zeichnung hervorzuheben, in der sie zwar keine Linie abbildet,
allerdings eine Art Bodenfläche erstellt, um den Fluss deutlich zu
kennzeichnen. Sie zeichnet einen separaten Waldboden durch eine gelbe
Fläche, die sich allerdings nicht komplett horizontal über die Zeichnung
zieht. Lara schafft einen farbigen Kontrast zu dem Blau des Wassers. In
dieser Zeichnung Laras geht es weniger darum eine Linie zu schaffen, um
die Figuren darauf aufrecht zu stellen, vielmehr steht hier der Boden durch
seine inhaltliche Bedeutung im Vordergrund. Der gelbe Farbauftrag lehnt
an die Farbwahl des Buches an. Lara imitiert den Waldboden in seiner
Farbigkeit wie er im Buch vorzufinden ist und ruft zudem noch die
Bildaufteilung des Buches in ihr Gedächtnis.
Laras Abb.1 im Vergleich zum Buch
Interpretation
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62
Während Anne durchgehend die untere Blattkante gebraucht, um ihre
Figuren zu platzieren, schweben Laras Figuren häufig ein bis zwei
Zentimeter über der Blattkante. Auffällig ist die Distanz zwischen Figuren
und Linie besonders in Abb. 3.
Annes Abb. 3 zur Demonstration von Distanz
Die Entfernung der Figuren könnte durch den Inhalt zu erklären sein. Die
sehr bewegte Szene zeigt den Versuch des Grüffelo, die Maus zu fangen.
Die Bewegung des Fangens und Weglaufens der Figuren könnten die
Anordnung beeinflusst haben. Durch das Schweben der Figuren auf dem
Blatt, besitzt das Bild überspitzt gesehen noch einen Rest an
Streubildcharakter. Wobei das Streubild am Anfang aller Raumkonzepte
steht und häufig durch das Wenden des Blattes zustande kommt. „Die
Bildgegenstände werden gruppiert und erhalten einen festen Standort.“
(Reiß 2003, S.69) Durch die ‚verstreute Anordnung’ ist der Bildraum nicht
in ein Unten und Oben strukturiert. Das lediglich die schwebenden Figuren
in Bild 3 an die vorangehende Phase erinnern und Lara längst das
Streubild überwunden hat, steht außer Frage und zeigt sich in ihren
anderen Zeichnungen deutlich.
Interpretation
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63
Vielmehr wenden beide Kinder das Raumkonzept des Standlinienbildes
an. Philipps charakterisiert das Standlinienbild durch eine dreigliedrige
Aufteilung in Boden, Luft und Himmel. (vgl. Philipps 2004, S.89) Reiß
spricht bei der dreifachen Untergliederung von einem Streifen- oder
Linienbild. (vgl. Reiß 2003, S. 69) Analog zu Philipps Beschreibung
werden die Gegenstände im rechten Winkel meist ohne
Überschneidungen auf die Blattkante gestellt. Wie bereits obengenannt,
verweißt er auf das vorherrschend orthogonale System. Der
Zwischenraum, sprich die „Luft“, wird für Fliegendes genutzt, wie
beispielsweise die Eule Annes. Eine dritte Ebene, eine Himmelslinie, bleibt
von beiden Kindern unberücksichtigt. Stellt man einen Vergleich zum Buch
nimmt auch da der Himmel wenig Raum ein. Eher die Bäume des Waldes
nehmen vordergründig den Platz, den die Luftlinie bietet, ein. Anstelle
eines Himmels entwickelt Anne in Abb. 3 eine Mauer, die parallel zu der
oberen Blattkante eine horizontale Linie spannt. Von einer Dreiteilung
nach Philipps kann in diesem Fall nicht ausgegangen werden. Der
gesamte Bildraum stellt eine Bodenfläche dar. Bei einer Schichtung dieser
Art ist nicht von einem Streifen- oder Linienbild zu sprechen. Reiß erkennt
eine weitere Dimension und benennt das Raumkonzept wie folgt: „Nun
gibt es darüber hinaus noch eine weitere, eine vierte Variante, das so
genannte Steilbild. Hierbei verzichten die Kinder auf den <<Luftraum>>
und verwenden die gesamte Zeichenebene als Bodenfläche.“ (Reiß 2003,
S. 70)
Laut Reiß berücksichtigen die Kinder in dem Stadium ihrer Entwicklung in
ihren Zeichnungen noch keine metrischen und euklidischen Bezüge. (vgl.
Reiß 2003, S.70) Die Objekte lassen keine tiefenräumlichen Ansätze zu.
Ebenso ist das Übereinander anordnen von Bildgegenständen eine
Ausnahme, so Reiß: „Überschneidungen und Überlagerungen werden in
der Regel vermieden.“ (Reiß S.70) Gerade in ihrer ersten Abbildung
demonstriert Anne, durch die Reihenfolge nach der sie ihre Figuren auf
das Blatt setzt, ihre Gleichgültigkeit gegenüber Überschneidungen.
Nachdem sie die Bäume gezeichnet hat, setzt sie alle Figuren nach und
nach in die ‚Waldsituation’. Die Position der Grüffelo-Frau beschreibt sie
wie folgt: „Jetzt steht sie da, vor dem Baum.“ (Interv. Anne S.2, Z.5) Anne
Interpretation
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64
nimmt die Überlappungen von Grüffelo-Frau und Baum einfach hin. Zuvor
hatte Anne den Standort der Grüffelo-Frau als hinter dem Baum stehend
angegeben: „Die Grüffelo-Frau hat sich hinter dem Baum versteckt, weil
die hören will was die Schlange sagt.“ (2 Sek.) (Interv. Anne, S1. Z.7-9)
Die Figur steht eindeutig vor dem Baum. Denkbar wäre, dass Anne das
Problem, die Frau hinter den Baum zu setzen nicht lösen konnte und sich
deshalb entschied, die Figur vor dem Baum anzuordnen. Wie Reiß
beschreibt, können Kinder den Tiefenraum nicht in ihren Zeichnungen
umsetzen, eher werden Objekte neben einander angeordnet. (vgl. Reiß
2003, S.70)
Logischer erscheint mir aber eine Erklärung durch Mehrdimensionalität
der Figuren. Damit meine ich ihre vielfältigen Handlungsaktivitäten, von
denen Anne berichtet. Die fantasievoll ausgeschmückte Erzählung zu
ihren Bildern kann nicht in einer statischen Figur demonstriert auf der
Zeichnung erfüllt werden, die Figuren sind bewegt und handeln.
Vermutlich ist durch die aktiven Figuren die Unstimmigkeit in den
Aussagen entstanden. Erst muss sich die Grüffelo-Frau verstecken, um
ein Gespräch zu belauschen, später wird sie an das Telefon gehen
müssen, welches vorne am Baum angebracht wurde. Die Divergenz der
Aussagen beschreibt daher vermutlich weniger ein räumliches Problem
Annes. An dieser Stelle hätte im Interview die Frage gestellt werden
können, ob die Grüffelo-Frau nun hinter dem Baum hervorgekommen ist.
Die Gleichgültigkeit Annes gegenüber Überschneidungen demonstriert sie
ebenso durch das Fuchsloch. Am rechten Baum in Zeichnung 1 befindet
sich das Fuchsloch, welches sie nicht auf die leere Fläche des
Baumstammes gesetzt, sondern auf der Stammlinie angeordnet hat,
wodurch sie eine weitere Überschneidung provoziert, die für Anne keine
Störung bedeutet.
Fraglich ist, ob Anne die Überschneidungen bereits erkennt, ihr aber keine
Bedeutung beimisst. Als Anne eine Überlappung auffällt, scheint sie diese
jedoch weniger als Problem zu empfinden. Über das Kollidieren ihrer
Maus mit ihrer Schlangenfigur macht sie sich lediglich lustig und
kommentiert lachend die Überschneidung: “Die Maus beißt die Schlange
in den Po.“ (Interv. Anne, S.1, Z.8)
Interpretation
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65
Die in einer Zeichnung vorkommenden Figuren sind allerdings nicht
zwingend aus gleicher Perspektive abgebildet. Wie bereits in der
Einleitung erwähnt, können in einem Bild mehrere perspektivische
Blickwinkel vorherrschen. Simultanperspektivisch bietet Lara einen
schrägen Blick von oben auf die Schlange. Grund dafür ist das Muster auf
dem Rücken des Tieres.
Buchillustration im Vergleich mit Laras Schlange
Die Maserung macht für Lara ein signifikantes Merkmal für das Tier aus:
„Die Schlange hat hier so ein Muster auf dem Rücken. Siehste. So Kringel
Interpretation
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66
hab ich der drauf gemalt, damit das schöner ist und das aussieht wie eine
Schlange.“ (Interv. Lara, S.2, Z.7-9) Die Maus wird frontal dargestellt und
bildet sowohl einen Gegensatz zu der schräg von oben abgebildeten
Schlange als auch zu der umgeklappten Brücke. Den Blick auf die Brücke
erhält der Betrachter durch die Vogelperspektive. „Das sind die Bretter.
Die Brücke wo die drüber gehen müssen. Die ist aus so Brettern ausm
Wald.“ (Interv. Lara, S. 2., Z.15-16) Drei Arten von Perspektive
demonstrieren deutlich die Simultanperspektive des Bildes. Anne schaffte
eine andere Ebene der Räumlichkeit, indem sie das Blatt wendet und die
Rückseite des Bildes mit einbezieht. Es bestand für Anne ohne weiteres
die Option ein weiteres Blatt zum Zeichnen zu nehmen. Die
Vorgehensweise verleiht den Anschein, als wollte sie bewusst den Raum
auf der Rückseite nutzen, um eine Verbindung zur Forderseite zu
erhalten. Der Bildrand ist als Hürde zu sehen, die der Grüffelo überwinden
muss, um zu seiner Frau zu gelangen. Die Rückseite steht somit in
unmittelbarem Zusammenhang zum Geschehen der gegenüberliegenden
Blattseite. Beide Bilder sind nicht separat zu betrachten. Durch ihre
räumliche Verbindung, die sich durch das Wenden des Blattes ergibt, sind
sie vielmehr miteinander in enge Beziehung zu setzen. Die ‚neue’ Art von
Räumlichkeit nutzt Anne zur Unterstützung des Bildinhaltes und
demonstriert den engen inhaltlichen Zusammenhang der Bildelemente
beider Zeichnungen.
Die ausgewählten Beispiele zur Demonstration von Räumlichkeit in der
Kinderzeichnung zeigen sehr unterschiedliche Aspekte. Tiefenraum,
Simultanperspektive bzw. Umklappungen und die Zuordnung eines
Raumkonzeptes bezeugen die Äußerung des Ausmaßes an kindlichem
Raumverständnis.
Das Wissen über Räumlichkeit stufe ich für mich, als werdende
Grundschullehrerin, als besonders wichtig ein. Wie Reiß belegt begleiten
die unterschiedlichen Erscheinungsformen die Schule über einen langen
Zeitraum.(vgl. Reiß 2003, S.69) Im letzte Punkt der Analyse wird die Farbe
der Zeichnungen untersucht.
Interpretation
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67
5.9 Die Farbe
Die Farben in einem Bild rufen unterschiedliche Stimmungen hervor.
Sowohl die Farbwahl als auch der Auftrag lenken die Aufmerksamkeit des
Betrachters auf wichtige Bildelemente. Schuster beschreibt den Umgang
mit Farbe in der Kinderzeichnung während der Schemaphase. Innerhalb
der Schemaphase gibt das Kind grundsätzliche Merkmale des Schemas
nicht auf. Dadurch wird ein stärkeres Angleichen an die Realität vorerst
verhindert. Nach Schuster ergibt sich durch die bestehenden Merkmale
eines Schemas die Verwendung lediglich eines Farbtons. Beim Baum
nutzt das Kind die gleiche Farbe für den ganzen Stamm oder die gesamte
Krone. (vgl. Schuster 2000, S. 34) In diesem Zusammenhang spricht man
von der Gegenstandsfarbe. Pro Gegenstand wählt der Zeichner oft nur
einen Farbton aus. Durch das skizzenhafte Vorgehen der Kinder zeichnen
sie eher Umrisse der Objekte, ohne viele Flächen farbig zu füllen. Die
Farben nutzen die Mädchen oft nur für die Kontur der Bildelemente und
nur selten zum flächigen kolorieren. Die Konturen zeichnen sie
vorwiegend, wie Schuster es beschreibt, in einem Farbton. Für den
Grüffelo (Abb. 2) verwendet Lara ausschließlich F, den Fuchs zeichnet sie
in schwarz. Problematisch wurde das Gebrauchen der Gegenstandsfarbe
in ihrer ersten Zeichnung. Für den Baum, als auch für die auf dem Baum
platzierte Eule, verwendete Lara die gleiche Gegenstandsfarbe braun.
Beim Kolorieren des Baumstammes mussten die Farben von Stamm und
Eule aneinander geraten. Dieser Schwierigkeit war sich Lara aber bis
zuletzt nicht bewusst, da sie das Einfärben der Fläche unterbrach und so
das Braun der Eule und des Stammes nicht aneinander geriet, wie aus
dem Interview zu entnehmen ist: „Hab mit dem Baum angefangen hier. Da
wo die Eule drauf sitzt. Die ist auf dem Ast gelandet. Das ist ihr Ast,
(Pause) direkt vor ihrer Wohnung. Das hier ist der Eingang. (Pause) Das
Loch da. Oh, der is ja noch gar nich fertig. (Pause) Der Baum. (3Sek.
Pause) Ich hab mich vorhin so beeilt. (4Sek. Pause) Weil ich nix
vergessen wollte und die Anne ja auch dann was gesagt hat, was wir
vergessen haben.“ (Interv. Lara, S.1, Z.5-9)
Interpretation
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68
Laras Eule und Baum in der Gegenstandsfarbe Braun
Um genau dieses Problem der gleichen Farbigkeit zu verhindern, wählen
Kinder eigentlich die Gegenstandsfarben. Im Falle von Lara verwendete
sie ungünstiger Weise die gleiche Farbe für Gegenstände, die auf der
Bildfläche an gleicher Stelle angeordnet sind. Philipps betont durch seine
Begriffswahl die Intention, die einzelnen Objekte in ihrer Farbigkeit von
einander abzusetzen. Er spricht von „Farbe als Mittel der
Gegenstandsunterscheidung“. (vgl. Philipps 2004, S. 83)
In Abbildung 2 zeichnet Lara den Baum in zwei Farbtönen. Der Stamm
wird charakteristisch für einen Baum in braun und die Krone in grün
koloriert. In dem Fall wählt Lara bereits die typischen Farben für den
Baum. Im Zusammenhang der gezielten Farbwahl ist von Merkmalsfarben
zu sprechen.
Konträr zu den Konturen stechen die wenigen farbigen Flächen in den
Zeichnungen der Mädchen hervor. In Laras erster Zeichnung fällt
besonders die Farbigkeit des Bodens und des Flusses auf, wie bereits
zuvor im Kapitel über Räumlichkeit erwähnt wurde. Die Farbwahl weißt
eine starke Übereinstimmung zu der Farbigkeit der Buch-Illustrationen auf.
Auch im Buch werden vorwiegend grüne und gelbe Farbtöne für die
Bodenfläche verwendet, wie der Vergleich der Abbildung belegt. Ohne von
den Einflüssen der Buchillustration gelenkt zu sein, wäre die Wahl für die
Bodenfarbe wahrscheinlich eher braun oder grün gewesen. Für Anne
schien die Farbwahl zu wenig mit der Realität im Einklang zu stehen, wie
Interpretation
________________________________________________________________
69
der Ausschnitt der Unterhaltung zwischen den Mädchen während des
Zeichnens aufzeigt: „A: Was malst denn du da?
L: Na den Boden.
A: Wie den Boden? (Pause) So sieht doch kein Boden aus. Der ist doch
nicht gelb. @Der Boden im Wald is braun.@
Lara schaut mich an.
L: Aber macht doch nix, oder?“ (Feldnotizen, S.1, Z.5-9)
Wie bereits durch die Position Schusters hervorgebracht wurde, legen
Kinder diesen Alters kaum Wert auf eine naturalistische Farbgebung.
Fraglich ist, warum Anne den Anspruch an Laras Zeichnung stellt. Sollte
sie möglichst viel Realitätsnähe bezüglich ihrer Farbigkeit schaffen? Ist
bereits ihr ästhetisches Empfinden für die Farbwahl stärker ausgeprägt?
Oder stellen Kinder andere Anforderungen, wenn es sich nicht um eigene
Bilder handelt? Annes Farbwahl zeichnet sich schließlich ebenso durch
den Gebrauch von Gegenstandsfarben aus. Auch Annes Baum ist
komplett in Braun gehalten. Sie differenziert weder die Krone, noch den
Stamm in ihrer Farbigkeit.
In Laras Zeichnungen treten weitere eingefärbte Flächen in Erscheinung.
Die rot leuchtende Zunge der Schlange sticht dem Betrachter, nicht zuletzt
durch das komplementäre Grün des Tierkörpers, direkt ins Auge.
Die rote Farbe ist charakteristisch für eine Zunge und lässt sich aus ihrer
eigenen Erfahrungswelt ableiten. Frei nach dem Denken: ‚Meine Zunge ist
rot, dann wird die der Schlange ebenso rot sein’.
Interpretation
________________________________________________________________
70
Laras Schlange mit rot leuchtender Zunge
Die Betonung der Zunge unterstützt die signifikante Eigenschaft des
Tieres. Ist eine Schlange doch durch ihr Zischen und ihr Giftpotential in
ihrem Maul bekannt. Um die Schlange von einem Regenwurm zu
unterscheiden, ist die Zunge eine prägnante Lösungsmöglichkeit.
Schuster sieht das Erreichen einer Farbharmonie als schwierig an.
Kompliziert sei die Farbwirkung eines Bildes hervorzuberechnen, weil sich
die Farbtöne in Abhängigkeit von Umgebungsfarben ändern. Wirken die
Farben harmonisch in Einklang zueinander, kann durch die als Letztes
hinzugefügte Farbe jeglicher Zusammenklang zerstört werden. (vgl.
Schuster 2000, S.34ff) Während ihrer Entwicklung bildet sich bei den
Kindern zunehmend ein ästhetisches Gefühl für Farbkombinationen aus.
Illustrationen in Bilderbüchern können positiv auf diese Genese einwirken.
Das die Ausbildung eines Gefühls für Farben durch schulische
Instruktionen mit Hilfe von Bilderbüchern unterstützt werden kann, nimmt
auch Kretschmer an. Farben in Bilderbüchern evozieren, kombiniert mit
der Erzählung, eine individuelle Wirkung auf Kinder. Kretschmer erklärt,
dass die Kinder die charakteristischen Gefühlseigenschaften der Farben
verstehen und zwischen warmen und kalten Tönen differenzieren können.
Interpretation
________________________________________________________________
71
(vgl. Kretschmer 2003, S.17) Klar stellt sie heraus: „ Über die Wirkung der
Farben geben Bilderbuchillustrationen Auskunft.“(Kretschmer 2003, S.17)
Ergebnisse
________________________________________________________________
72
6. Ergebnisse
Die Intention der zuvor aufgelisteten Merkmale besteht in dem Erforschen
der kindlichen Bildsprache. Die allgemeinen Aspekte kombiniert mit den
Aussagen des Zeichners und den Beobachtungen des Prozesses haben
bereits zum Verstehen der Sinnzeichen beigetragen.
Dass der symbolische Ausdruck der kindlichen Bildsprache nicht lediglich
auf die Ebene der Kognitionen zu reduzieren ist, sondern vielmehr auch
die emotionale Dimension zu berücksichtigen ist, hat sich nicht nur durch
die Überzeugungen Eggers herausgebildet. Erkenntnisse auf diesem
Gebiet untermauern den Wert der Anwendung von Interviewverfahren, um
genau diese nur schwer fassbare Ebene zugänglicher zu gestalten. Dabei
steht das kommunikative Verhalten des Zeichners zur und innerhalb der
Welt, zentral im Vordergrund der Analyse. So stellt Anne Bezüge zu ihrer
Lebenswelt her und gibt beispielsweise Informationen zu ihrer
Wohnsituation preis. Ich erfahre, dass die Großeltern auf einem Bauernhof
leben und Tiere halten. Für den Betrachter ist allerdings nicht eindeutig,
welche Bildinhalte sich auf realistische und welche sich auf phantastische
Momente zurückführen lassen, da das Kind sie in der Bildsprache
vermischt. So kann ich nur annehmen, dass Anne sich bei der Zeichnung
des Grüffelohauses an den Stall ihrer Großeltern erinnerte. Für eine
Aufschlüsselung ist eine Befragung des Kindes unumgänglich.
Im Falle einer Buchrezeption kann die Lehrperson durch die
Interviewergebnisse Rückschlüsse ziehen, wie gut die Geschichte
verstanden wurde und ob signifikante inhaltliche Meilensteine der
Geschichte als solche vom Kind identifiziert wurden. Da in der Erhebung
aber zu keiner Widererzählung aufgefordert wurde, sollten vergessene
oder missverstandene Szenen des Buches nicht negativ gewertet werden,
sondern lediglich aufzeigen, welche Szenen des Buches nach dem Lesen
möglicherweise zukünftig genauer in der Gruppendiskussion erklärt
werden müssten.
Ergebnisse
________________________________________________________________
73
Durch die Analyse wurden starke Differenzen in der Rezeptionsweise der
Kinder aufgedeckt. Die Zeichnungen beider Kinder zeigen die Buchfiguren
in unterschiedlichen Handlungskontexten, wodurch individuelle
Schwerpunkte des Zeichners gesetzt werden. Laras Auseinandersetzung
verlässt kaum die inhaltliche Handlungsebene des Buches. Ihre
bildnerischen Produkte erinnern an eine Nacherzählung in Form von
Zeichnungen. Die Nähe zum Buch äußert sich auf bildlicher als auch
verbaler Ebene. Zum einen zeigen Vergleiche mit den
Bilderbuchillustrationen teilweise bemerkenswerte Ähnlichkeiten in Farbe
und Komposition auf. Zum anderen kann aus den Interviews die
Gedächtnisleistung Laras zurückverfolgt werden und beweist das
Internalisieren der Reime des Buches.
Das Zusammenspiel aus bildlichen und wörtlichen Erinnerungen führt sie
beispielsweise hin zu einer detaillierten Grüffelo-Darstellung, wie im
Kapitel der Figurendarstellung beschrieben und durch den Vergleich zum
Buch veranschaulicht wird. Im Bilderbuch ist die Maus Bestandteil jeder
Szene. Die zentrale Rolle der Hauptfigur hat Lara erkannt, indem sie die
Maus in jeder ihrer Zeichnungen berücksichtigt. Ein gutes Verständnis der
inhaltlichen Struktur der Erzählung beweist Lara durch das Herausstellen
der Szene, die den Wendepunkt der Geschichte beschreibt. Die Symbolik
des Zusammentreffens beider Hauptfiguren unterstützt sie durch
Komposition und Farbe, wie in Kapitel 5.3.1 beschrieben ist. Anne lässt
den Höhepunkt der Geschichte unerwähnt. Zu Beginn des
Zeichenprozesses noch am Buch orientiert, driftet sie, nachdem sie die
Tiere wie auf einer Bühne in ihrer ersten Zeichnung aufreiht, in ihre fiktive
Welt ab. Die Mehrdimensionalität der Figuren, die durch ihre
unterschiedlichen Handlungen demonstriert wird, hebe ich besonders
durch die Betrachtung der Grüffelo- Frau von Anne im Kapitel des
Transparentprinzips hervor. Sie gestaltet sich durch ihre
Erscheinungsform und Handlungsvielfalt. Wie erwähnt, befindet sie sich
ihrem Mann gegenüber in einer wartenden Position, belauscht allerdings
auch die Schlange und ist bewegt in ihrer Position, einmal vor dem Baum
stehend und einmal dahinter.
Ergebnisse
________________________________________________________________
74
Resümierend stellt sich deutlich Laras sachlich-orientierte
Rezeptionsweise heraus. Annes Zeichnungen sind stärker von ihren
subjektiven Assoziationen geleitet.
Didaktische Chancen und Aussichten
________________________________________________________________
75
7. Didaktische Chancen und Aussichten
7.1 Zur Erhebungsmethode
Die Zugangsweise durch die Interviewbefragung bietet viele
Analysemöglichkeiten, die sich nicht wie häufig bei Bildinterpretationen der
Fall, auf bloße Annahmen durch den objektiv sichtbaren Gehalt der
Zeichnungen stützen, sondern die Erklärungen der Kinder mit
einbeziehen. Bereits trivial erscheinende Äußerungen erweisen sich
später häufig als wertvoller Interpretationsansatz. Peez erkennt
“Heranwachsende ernst zu nehmen, heißt u. a. zuzuhören was sie zu
sagen haben. Auf den ersten Blick möglicherweise banal klingende
Aussagen können sich bei näherer Betrachtung als sehr gehaltvoll
erweisen[…]“(Peez 2005, S.60) Resultierend ergibt sich die Forderung an
die Schule, den Kindern ein offenes Ohr zu offerieren. Neben den
Erkenntnissen, die sich aus den verbalen Äußerungen des Kindes
ergeben, erklärt ein Teilnehmen des Erwachsenen am
Entstehungsprozess oftmals Fragen über die Reihenfolge und die
Vorgehensweise. Nach Peez ist weniger in den bildnerischen Ergebnissen
der Erfolg des Kunstunterrichts zu verzeichnen, vielmehr soll „die
Erkundung der individuellen, im Unterricht angeregten ästhetischen
Prozesse“ (Peez 2005, S.60) den Wert des Unterrichts ausmachen.
Nachdem eine resümierende Auseinandersetzung mit dem didaktischen
Wert der Erhebungsmethode erfolgte, beschäftigt sich der nächste
Textabschnitt mit den didaktischen Ausblicken zu den zeichnerischen
Produktionen der Kinder
7.2 Individuelle Rezeption im Unterricht
Herausstellend ist zu verweisen, dass es sich um eine produktive
Rezeption handelt, die über die bloße passive Aufnahme des Kindes
hinausgeht und eine eigene Umsetzung durch eine individuelle Produktion
Didaktische Chancen und Aussichten
________________________________________________________________
76
impliziert. Die Kinder wurden aufgefordert nach der Rezeption des Buches
eigen-aktiv bildnerische Produktionen zu erstellen. Wie unterschiedlich die
Vorgehensweise zu ein und derselben Aufgabenstellung ausfallen kann,
zeigen die vorliegenden Rezeptionen, wobei lediglich das Material zweier
Probanden analysiert wird. Gegenüber stehen sich Lara, deren
Vorgehensweise eher als eine sachlich- orientierte Wiedergabe des
Inhaltes der Geschichte zusehen ist und Anne, die sich bei der Umsetzung
von ihren subjektiven Assoziationen leiten lässt.
Ähnlich wie hier im vorschulischen Bereich sind Verschiedenheiten bei
schulischen Arbeiten zu erwarten. Grundschulkinder sammeln bereits
wertvolle ästhetische Erfahrungen im Kindergarten und in der Vorschule.
Öffentliche Diskussionen fokussieren zunehmend die Relevanz der
vorschulischen Bildung. Verstärkt gerät die vorschulische Phase in das
Zentrum des Interesses der öffentlichen Bildungsdebatte. Die Bedeutung
für die individuelle Weiterentwicklung des Kindes wurde dabei erkannt.
Um kompetente didaktische Maßnahmen als Grundschullehrerin
einzuleiten, ist es notwenig die Kinder auf ihrem individuellen
Bildungsstand ‚abzuholen’. Daraus entspringt letztlich die didaktische
Notwendigkeit, eine Kooperation zwischen der Bildungsinstanz
Kindergarten und Schule zu schaffen. Gemeinsame Bildungsziele können,
durch die gegenseitige Unterstützung der Instanzen in diesem Prozess,
realisiert werden.
Die schulische Didaktik zielt auf eine Befähigung der Schüler, ihre
individuellen Kompetenzen, orientiert am Prinzip der offenen
Differenzierung, auszubilden. Ausgehend von dem Bemühen das Kind als
Individuum zu sehen, welches durch unterschiedliche Erfahrungen
geprägt wurde, soll jedes Kind seine individuellen Fähigkeiten entfalten
können. Die Anerkennung und Förderung der Differenz und Individualität
des einzelnen Schülers rückt in den didaktischen Fokus. An die
geschilderte Erfordernis schließt die offene Frage an, welche Methoden
die individuelle Rezeption unterstützen? Als didaktische Implikation wäre
denkbar, das Bilderbuch in seiner Funktion als Anregung bereit zu stellen.
In der Schule sollen damit Nischen geschaffen werden, um die Kinder ihre
individuelle Vorstellung von einer Rezeption ausleben zulassen.
Didaktische Chancen und Aussichten
________________________________________________________________
77
Die Möglichkeiten der Methoden sind vielfältig. Letztlich ist besonders
wichtig, dass die Aufgabe möglichst offen formuliert wird, um genügend
Chancen zu bieten, das individuelle Vorgehen zu ermöglichen. Dabei gilt
es, Anreize zu finden, Kinder zu kreativem Handeln zu motivieren.
Ein natürlicher Prozess ist, das Orientieren der Kinder an Produktionen
ihrer Klassenkameraden, wie auch durch Anne und Lara deutlich wird.
Lara orientiert sich häufig an den Zeichnungen Annes, die ihr immer
wieder Eckfeiler der Orientierung bieten. Weiß sie nicht weiter, wendet sie
sich an Anne. Die unterschiedlichen Ergebnisse demonstrieren, dass die
Individualität durch gemeinsames Arbeiten nicht zwangsläufig negativ
beeinträchtig wird und mit den immer gleichen Ergebnissen zu rechnen ist.
Entgegen vieler Annahmen muss die Chance im gegenseitigen Antrieb zu
neuen Ideen erkannt werden.
Die didaktische Leitidee sieht besonders den Wert im Lernen von
Anderen. Der Austausch der Kinder über ihre individuelle Rezeption zeigt
exemplarisch auf, wie facettenreich Aufgaben durch unterschiedliche
Herangehensweisen zu kreativen Lösungen führen. Im Unterricht würde
es sich anbieten, die Gelegenheit zu nutzen untereinander die Ideen
vorzustellen. Parallel zum Gemeinschaftsbewusstsein wird Interaktions-
und Kooperationsbewusstsein unterstützt.
Literaturverzeichnis L
________________________________________________________________
78
Literaturverzeichnis
Bohnsack, Ralf; Marotzki Winfried; Meuser, Michael : Hauptbegriffe
Qualitativer Sozialforschung. Ein Wörterbuch. Leske + Budrich: Opladen
2003.
Donaldson, Julia; Scheffler Axel: Der Grüffelo. Beltz & Gelberg: Weinheim
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bildnerischen Sprache. Zytglogge: Gümmlingen 2001.
Fleck-Bangert, Rose: Kinder setzen Zeichen. Kinderbilder sehen und
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Kretschmer, Christine: Bilderbücher in der Grundschule. Kamp: Berlin
2003.
Lemke, Siegfried: Qualitative Sozialforschung – Lehrbuch. Beltz:
Weinheim und Basel 2005.
Mayring, Phillipp: Einführung in die Qualitative Sozialforschung. Eine
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Neuß, Norbert: Methoden und Perspektiven einer qualitativen
Kinderzeichnungsforschung. In: Pädagogische und psychologische Aspekt
der Medienästhetik. Beiträge vom Kongreß der DGfE 1998 „Medien
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Peez, Georg: Einführung in die Kunstpädagogik. Kohlhammer: Stuttgart
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Literaturverzeichnis L
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Beispiele zu ihrer empirischen Erforschung. Kopaed: München 2005.
Philipps, Knut: Warum das Huhn vier Beine hat. Das Geheimnis der
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Reiß, Wolfgang: Die Darstellung des Raumes bei Kindern und
Jugendlichen. In: Kirchner, Constanze (Hg.): Kunst und Unterricht SB
2003, S. 68-71
Richter, Hans-Günther: Die Kinderzeichnung. Entwicklung- Interpretation-
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Winfried; Meuser, Michael (Hrsg.) : Hauptbegriffe Qualitativer
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122
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Schuster, Martin: Kinderzeichnungen – Wie sie entstehen, was sie
bedeuten. Ernst Reinhardt Verlag: München 2001.
Sowa, Hubert: Ausstellen, Lagern, Erinnern. Zur Pragmatik der
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2003, S. 6-19
Wichelhaus, Barbara: Entwicklung/ Kinderzeichnung. In: Kirchner,
Constanze (Hg.): Kunst + Unterricht SB 2003, S. 77-81
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
80
Anhangsverzeichnis
A 1 Bilderverzeichnis
A 1.1 Laras Zeichnungen im Überblick
A 1.2 Annes Zeichnungen im Überblick
A 2 Transkriptionen
A 2.1 Transkription Lara
A 2.2 Transkription Anne
A 2.3 Feldnotizen
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
81
A 1. 1 Laras Zeichnungen im Überblick
Abbildung 1
Abbildung 2
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
82
Abbildung 3
Abbildung 4
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
83
A 1. 2 Annes Zeichnungen im Überblick
Abbildung 1
Abbildung 2
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
84
Abbildung 3
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
85
A 2. 1Transkription Lara
A 2.1 Transkription von Anne, Seite 1
Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses
88
A: Anne, du hast für mich ein spannendes Bild gemalt. Was ist denn darauf zu 1
sehen. Magst du mir dazu ein bisschen was erzählen?2
A: Das is zu dem Buch dem Grüffelo. Zuerst hab ich die Bäume da gemalt. Mit so 3
Zweigen und dem Loch für die Eule. (Zeigt auf den abstehenden Ast.) Da kann die 4
Eule landen, wenn die nach Hause kommt. Aber jetzt fliegt die ja erst mal. (5 Sek. 5
Pause) Dann hab ich die Maus da gemalt. Die zu der Eule geht, aber die hat ja 6
Angst. Und dann die Schlange, die die Maus besucht. Aber die hat ja auch Angst. 7
(Lacht) @Die Maus beißt die Schlange in den Po.@ (3 Sek. Pause) Die Maus hat 8
jetzt einen Rock an. (Lacht) Die hatte die Beine so schräg, dann hab ich das da so 9
ausgemalt. Dazwischen so, weißte?10
I: Ach du meinst das Braune hier.11
A: Ja, @jetzt@ trägt die halt n Rock. (Lacht) (5 Sek. Pause) Und dann kommt der 12
Grüffelo. (4 Sek. Pause) Ah nee, der Fuchs is ja noch da. Die Maus geht zum 13
Fuchs. Aber der hat ja auch Angst und läuft dann ganz schnell in seine Höhle. (Mit 14
ihrem Finger fährt sie den Weg nach, den der Fuchs läuft.) Zischhhh, ganz schnell 15
flitzt der da rein. (4 Sek.) Da kommt der Grüffelo nich ran, wenn er will. (3Sek.) Aber 16
der is ja eh nich da. Nur seine Frau. Und die tut ja auch nichts. (4.Sek.) Die Grüffelo-17
Frau hat sich hinter dem Baum versteckt, weil die hören will was die Schlange sagt. 18
(2 Sek.) Der Grüffelo ist noch auf der anderen Seite.19
(Papierrascheln. Wendet das Blatt.) Da ist der. (3 Sek. Pause) Der will über die 20
Mauer klettern und zu seiner Frau. (Blättert wüst hin und her.) Aber hab ich dir doch 21
schon erzählt! (Blättert noch einmal.) Ach ja, und hier is nur noch mal sein Haus. 22
Fertig! 23
I: Na das klingt ja sehr aufregend. Anne, ich möchte dir jetzt gern noch ein paar 24
Fragen stellen, ja? Fangen wir mal mit der ersten Zeichnung an. (2 Sek.) Du hast 25
erzählt die Eule und die Schlange haben Angst. Warum haben die denn Angst?26
A: Vor der Maus. Und die hat nämlich gar keine Angst, obwohl die ja so klein ist.27
I: Warum haben die Angst vor der Maus? 28
A: Keine Ahnung, echt dumm, die wissen das wohl einfach nicht, dass die nix tut.29
I: Was meinst du als du gesagt hast, die Grüffelo-Frau hat sich versteckt? Was sagt 30
denn die Schlange?31
A: Na irgendwelche Geheimnisse.32
I: Geheimnisse?33
A 2.1 Transkription von Anne, Seite 2
Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses
89
A: Ja über die anderen. 1
I: Weißt du welche?2
A: Neeee.3
I: Und das hier ist die Frau vom Grüffelo?4
A: Ja. Die hat doch auch so Lippenstift und ist @geschminkt@. (Pause) Wie so eine 5
richtige Frau. (4 Sek.) Die musste da ja noch hin. Jetzt steht sie da, vor dem Baum. 6
Aber die will ja auch telefonieren. Und da is ja auch das Telefon. (3Sek.) Die wartet 7
ja bis ihr Mann anruft, aber macht der gleich. 8
I: Der war doch hier, ne? (Blättert um.) 9
A: Ja. Guck (Pause) und da steht sein Telefon. Da kann der jetzt anrufen. @„Hallo 10
Schatz, ich komm gleich.“@ Sagt der zu ihr. @Die sind verliebt.@ 11
I: Verliebt?12
A: Die haben sich auf ner Party kennen gelernt. (Lacht)13
I: Und dann mochten die sich gleich?14
A: Ja, ja..die sind nu verliebt.15
I: Haben sich deine Eltern auch auf einer Party kennen gelernt?16
A: (Denkt nach.) Weiß ich gar nicht. War ich ja auch nicht da. 17
I: Aber der Grüffelo möchte nun zu seiner Frau? Wo ist er denn grade?18
A: Also der Grüffelo ist halt da bei seinem Haus. Und die Frau ist ja im Wald. (Lacht) 19
Die hat sich ja ganz schick gemacht. Guck mal hier, da hab ich dem noch ne Warze 20
auf die Nase gemalt.(Lacht) 21
I: Schick gemacht? 22
A: Ja, so wie im Fernsehen, wenn die weggehen.23
I: Im Fernsehen, bei einer Serie? Wer geht denn da weg? 24
A: Na alle da, ins Kino und Eis essen und so.25
I: Uhh na das klingt gut, Eis ist ja lecker. (…)Das ist sein Haus?26
A: Hier ist die Tür, also das hier (Pause) Das Loch. (Pause) Wie bei der Eule. Und 27
hier sind so Bretter halt. Da, siehste, wo auch das Telefon ist, dass der seine 28
Grüfello-Frau anrufen kann. Aber jetzt will der ja gar nicht anrufen. Jetzt will der ja zu 29
ihr.30
I: Bretter? 31
A: Ja, so Bretter, die außen am Haus sind, wie bei uns am Stall, da sind auch so 32
Bretter. 33
A 2.1 Transkription von Anne, Seite 3
Interview mit Anne nach Beendigung des Zeichenprozesses
90
I: Am Stall bei euch zu Hause? Ach ja, lebst du nicht auf nem Bauernhof?1
A: Ja, Oma und Opa.2
I: Habt ihr denn auch Tiere?3
A: Klar, ganz viele Kühe und auch ein paar dicke Schweine. (lacht)4
I: Was ist denn das da oben? (Zeigt auf den rechter Baum oben in Abb.1)5
A: Na das sind doch die Äste und darunter sind doch die Blätter. Weißte nicht das n 6
Baum Äste hat? (Lacht)(Pause)7
So jetzt will ich nicht mehr reden. Ich geh spielen, ja?8
I: Klar kannst du spielen gehen. Schön, dass du mir so viel erzählen konntest.9
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
88
A 2. 2 Transkription Anne
A 2.2 Transkription von Lara, Seite 1
Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses
85
I: Lara du hast also auch ein Bild über das Buch gemalt? Erzählst du mir ein wenig, 1
was du dir dabei gedacht hast und wie du vorgegangen bist?2
L: Ja also das ist von der Geschichte. Von dem Grüffelo und der Maus, dass haben 3
wir gelesen und dass fanden wir alles so schön. (3 Sek.)4
Hab mit dem Baum angefangen hier. Da wo die Eule drauf sitzt. Die ist auf dem Ast 5
gelandet. Das ist ihr Ast, (Pause) direkt vor ihrer Wohnung. Das hier ist der Eingang. 6
(Pause) Das Loch da. Oh, der is ja noch gar nich fertig. (Pause) Der Baum. (3 7
Sek. Pause) Ich hab mich vorhin so beeilt. (4 Sek. Pause) Weil ich nix vergessen 8
wollte und die Anne ja auch dann was gesagt hat. Was wir vergessen haben. (3 Sek. 9
Pause) Die Maus geht zu der Eule. Die geht über den Steg da. (Zeigt auf den Steg.) 10
Da is ja der Fluss und die muss darüber, weil die ja zur Eule geht. Dann balanciert 11
sie. Sie will ja nicht das es platsch macht.12
Auf dem nächsten Blatt ist der Grüffelo. Alle haben nämlich Angst vor dem. Der sieht 13
so böse aus. (Pause) Der ist ja ein Monster und der hat schreckliche Zähne. (Pause) 14
Wie hier auf dem Bild. Knorpelige Knie. (Zeigt auf den Grüffelo Abb. 2) Und auch die 15
großen Arme mit Klauen wo der die Maus ja mit fangen will (Pause). Mit 16
schrecklichen Klauen dran. Aber die Maus hat keine Angst vor dem. (Pause) Die isst 17
ja am Ende die Nuss und ist allein. Im Wald sitz die. Und dann ist die Geschichte 18
nämlich vorbei. (Lange Pause)19
I: Möchtest du noch etwas erzählen?20
L: Mir fällt nichts mehr ein. 21
I: Dann würd ich dir gern noch einige Fragen stellen. Du hast erzählt der Grüffelo 22
möchte die Maus fangen?23
L: Ja will der! Die ist ja nicht blöd. Aber der Fuchs. (Pause) Und so. (Pause) Die 24
haben alle Angst, bloß die Maus nich. (Pause) Der Fuchs hat aber eine Wohnung in 25
dem Baum und rennt rein wenn der Grüffelo kommt. Der ist ein Angsthase. Und die 26
Eule hat ja ihr Loch da.27
I: Und die Maus hat keine Wohnung? 28
L: Nö, braucht die ja auch nich, die hat ja keine Angst und läuft dann auch nicht weg.29
Hättest du denn keine Angst vor dem Grüffelo? 30
L: Ich? Doch, der sieht ja auch so gefährlich aus. Der hat ja auch so schlimme 31
Hauer. (Pause) Wenn ich im Wald bin und ein Grüffelo kommt, renn ich auch weg. 32
(Schmunzelt) Ich hab auch Angst im Wald.33
A 2.2 Transkription von Lara, Seite 2
Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses
86
I: Warum hast du denn Angst dort? 1
L: Weil das da so dunkel ist und so viel Tiere sind.2
I: Bist du denn manchmal im Wald.3
L: Eigentlich nicht.4
I: Aber hier sind ja viele Wälder, ne?5
L: Ja genau,(Pause) hinterm Garten is auch einer.6
I: Was ist denn mit der Schlange?7
L: Die hat auch Angst. Aber erst will sie die Maus essen. (Pause) Die Schlange hat 8
hier so ein Muster auf dem Rücken. Siehste. So Kringel hab ich der drauf gemalt, 9
damit das schöner ist und das aussieht wie eine Schlange.10
I: Die Schlange will die Maus essen? Steht das im Buch?11
L: Mmh. Weiß ich gar nicht. Aber ist doch so, oder? Schlangen essen doch Mäuse? 12
Hab ich mal im Fernsehen gesehen.13
I: Stimmt das tun die. Im Zoo sieht man das auch manchmal bei der Fütterung. Und 14
was ist das hier? (Zeigt auf die Rechtecke in Abb.4.)15
L: Das sind die Bretter. Die Brücke wo die drüber gehen müssen. Die ist aus so 16
Brettern ausm Wald.17
I: Ich habe da noch mal eine Frage zu dem Bild. (Zeigt auf den Mäusekopf in Abb.2.) 18
Was ist denn das?19
L: Ach (Pause) das ist die Maus, (Pause) die hab ich noch nicht ganz fertig. Da 20
musst ich mich auch so beeilen. Weil ich da an den Fuchs gedacht habe, weil die 21
Anne den schon gemalt hat. 22
I: Beschreib mir doch mal deinen Grüffelo.23
L: Also der ist das da. Der ist ganz groß, hat eine lange Zunge. (Schüttelt sich) Ganz 24
eklig ist die. Der hat auch ganz viel Fell und knorpelige Knie. Die sind ganz hart. 25
(Pause) Und Krallen hat der auch, weil der böse aussehen muss.26
I: Jetzt beschreib mir doch mal den Grüffelo auf dem anderen Blatt.27
L: Hier ist der besonders gruselig. Weil er die Maus jagt. Der will die Maus fressen 28
und hat ganz gemeine Zähne und große, (3 Sek. Pause) nee, feurige Augen.29
I: Und was macht die Maus als sie ihn sieht? Weiß sie, dass sie in Gefahr ist?30
L: Sie rennt weg, aber die ist ja nicht so ängstlich. Der macht dann ja doch nichts.31
I: Und warum macht der nichts?32
L: Will der dann nicht, der lässt die Maus allein. (Pause)33
A 2.2 Transkription von Lara, Seite 3
Interview mit Lara nach Beendigung des Zeichenprozesses
87
Darf ich auch spielen jetzt?1
I: Ja sicher darfst du das. (Lache) Lieb, dass du mir geholfen und so viel erzählt hast.2
Anhangsverzeichnis L
________________________________________________________________
91
A 2. 3 Feldnotizen während des Zeichnens
A 2.3 Feldnotizen, Seite 1 -
Feldnotizen während des Zeichenprozesses
91
L: Anne, was malst du jetzt grade? 1
A: Die Eule mal ich. Und dann ihr Haus. 2
L: Den Baum?3
A: Ja.4
Lara denkt nach und unterbricht den Zeichenprozess.5
L: Ach ja die sitzt ja auf dem Baum. 6
Auf den Ast ihres Baumes setzt sie nun eine Eule. Nach einigen Minuten richtet sie 7
sich an mich und äußert sich zu ihrer ersten Zeichnung.8
L: Die Maus fliegt. Lustig! (Lacht und zeigt auf die Maus) Die sollte ja auch erst die 9
Eule werden. 10
I: Und warum ist sie es dann doch nicht?11
Lara: Weil die ja über den Steg geht. Die Eule musste ja auf den Baum.12
I: Weil die Anne das gesagt hat?13
L: Ja, weil das ja auch im Buch so ist. 14
A: Was malst denn du da?15
L: Na den Boden.16
A: Wie den Boden? (Pause) So sieht doch kein Boden aus. Der ist doch nicht gelb. 17
@Der Boden im Wald is braun.@18
Lara schaut mich an.19
L: Aber macht doch nix, oder?20
I: Du darfst malen was und wie dus magst.21
Beide setzen das Zeichnen fort.22
Lara zeichnet den Grüffelo. (Abb.3)23
L: (Flüsternd vor sich her.) Der Grüffelo hat knorplige Knie,(4Sek. Pause) eine 24
grässliche Tatze, (Pause) vorn im Gesicht ne giftige Warze.25
I: Ach, dass hast du dir gemerkt? 26
L: Ja klar. Der erste Spruch von der Maus, der is doch ganz einfach. Da sagt die der 27
Grüffelo hat schreckliche Hauer und schreckliche (Pause) Klauen und schreckliche 28
Zähne um Tiere zu kauen.29
I: Hast du das Buch so oft gehört?30
L: Mmh. (Pause) Also einmal bei Frau Voß und einmal in der Gruppe, nee und bei 31
Frau Winkels. Das wars.32
Anne zeichnet den Grüffelo im Stehen (Abb.2).33
A 2.3 Feldnotizen, Seite 2 -
Feldnotizen während des Zeichenprozesses
92
A: Guck mal jetzt. (Zieht an meinem Ärmel) Der guckt dann nämlich so, guck!1
Der guckt ja böse, der Grüffelo. Und mit den Zähnen dann so. (Pause, zeichnet eine2
Grimasse) Guck so.3
Das is der Grüffelo. (Zeichnet die Arme aus, unterbricht ihre Aktivität) Mit einer 4
Warze auf der Nase. Lustig! (Grinst, setzt das Zeichnen der Arme fort und ergänzt 5
die Beine) Der hat jetzt ganz lange Beine. (Lacht) Der steht nämlich auf 6
Zehenspitzen. (Pause) Der will über die Mauer. Da! Die kommt jetzt. (Zeichnet die 7
Mauer) Da muss der nämlich rüber. (Zeichnet die Hand) Der zieht sich da so hoch. 8
Der will auf die andere Seite zu seiner Frau. Die hatten telefoniert und die wartet nun 9
auf den.10