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Amt fur Berufsbildung des Kantons Zurich DOKUMENTATION Schlagwort reglstrlerl 2 t p (1 2 Herausgeber: Karl Martin Bolte Hans Büttner Theodor Ellinger Harald Gerfin Hans Kettner Dieter Mertens Karl-August Schaffer Josef Sting1 INFO-PRRTNER Sonderdruck aus: I ... Dieter Mertens: Schlüsselqualifi kationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. Mitteilungen 1 I aus der Arbtiisrnarkt- und Eerufsforschung Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln Mainz 7. JgJ1974

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Amt fur Berufsbildung des Kantons Zurich DOKUMENTATION Schlagwort reglstrlerl

2 t p (1 2 Herausgeber: Karl Martin Bolte Hans Büttner Theodor Ellinger Harald Gerfin Hans Kettner Dieter Mertens Karl-August Schaffer Josef Sting1

INFO-PRRTNER

Sonderdruck aus:

I

...

Dieter Mertens: Schlüsselqualifi kationen. Thesen zur Schulung

für eine moderne Gesellschaft.

Mitteilungen 1 I aus der Arbtiisrnarkt- und Eerufsforschung

Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln Mainz

7. JgJ1974

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Schlüsselqualifi kationen Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft

Dieter Mertens

Schulung fur eine Existenz in der modernen Gesellschaft hat drei Dimensionen: Schulung zur Bewaltigung und Entfaltung der Persbnlichkeit, Schulung zur Fundierung der beruflichen Existenz. Schulung zu gesellschaftlichem Verhalten

Es is! verfehlt, Bildungsplanung nach diesen Dimensionen getrennt zu betreiben; denn Bil- dung ist in jeder Form und unter jedem Vorzeichen mehrwertig.

Die Fahigkeit der Wissenschaft, ihre eigene Entwicklung zu prognostizieren und damit hinsidt- Iicn künftiger Schulungserfordernisse Hinweise zu geben, reicht als Orientierungshilfe für Oildungsplanung nicht aus.

Unter diesen Umstanden bedarf Bildungsplaiung weitestgehender Offenheit.

Das Tempo des Veraitens von Biidungsinhalten ist vermutlich um so großer, je enger sie an die Praxis von Arbeitsverrichtungen gebunden werden. Bildungsinhalte hoheren Abstraktions- grades veralten langsamer und sichern besser vor Fehlleitungen durch Fehlprognosen. Ihnen kommt deshalb in modernen Gesellschalten besondere Bedeutung zu.

Eine ubliche Tendenz im Biidungswesen angesichts der Unsicherheit über die Entwicklung der speziellen Arbeitsanforderungen besteht in der Verbreiterung des Faktenwissens (Breitenbil- dung) Diese Tendenz bringt wegen der zunehmenden Uniiberschaubarkeit von Fakten keinen Gewinn fur eine Existenz in der Zukunft Die Losung liegt vielmehr eher bei der Suche nach .,gemeinsamen Dritten" von Arbeits- und sonstigen Umweltanforderungen.

Solche .,gemeinsamen Dritten". also Ùbergeordnete Bildungsziele und Bildungselemente. nennen wir Schlusseiqualifikationen. weil sie den Schlusse1 zur raschen und reibungslosen ErschlieBung von wechselndem Spezialwissen bilden.

Es werden vier Arten von Schliisselqualitikationen unterschieden:

- Basisqualifikationen = Qualifikationen hoherer Ordnung mit einem breiten Spektrum verti-

- Horizontqualifikationen = Informationen uber Informationen (horizonterweiternde Qualifi-

- Breitenelemente = ubiquitare Ausbildungselemente, - Vintage-Faktoren = generationsbedinge Lehrstoffe und Begriffssysteme

Alle bezeichenbaren Schlüsseiqualifikationen bedùrfen fur die Bildungsplanungspraxis der Obersetzucg in spezifische Lernziele. Die Praxisnähe kann durch eine entsprechende Didaktik (Projektschulung) undfoder durch Training on the Job hergestellt werden

.leder Bildungsgang solite aus einem Pflichtkern. der Schlusselqualifikationen vermittelt. und iuneben aus einem Bereich fur freie Bi1diingsop:ionen des einzelnen bestehen, damit Schulung fur Personen erweitert werden kann zu Bildung von Persönlichkeiten

Angesichts des raschen Veraltens von Bildungsinhalten bedarf die Erwachsenenbildung beson- derer Bezchtung und starkerer Akzentuierung (Education permanente)

Dem Beitrag liegt eine Studie fur den Europarat zugrunde Ein Aufriß wurde auch auf der 3 World Future Research Conference in Bukarest (1972) vorgetragen. Die komplette Fassung der Studie ist (auch in englischer und französischer Sprache) beim Europarat und im IAB erhältlich.

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kalen Transfers,

kationen),

Vorbemerkung Mit den folgenden Thesen wi rd an den Aufsatz .,Der unscharfe Arbeitsmarkt" im letzten Heft der ,,Mitte¡- tunsen"') angeschlossen. Angesichts der dort ge- schilderten nachweislichen Unbestimmtheiten der Qualifikationsverwcrtung auf dem Arbeitsmarkt ist die Frage nach den Kriterien für einen optimalen Bil- dungskanon keine Angelegenheit zweckfreie: Bil- dungstheorien mehr, sondern auch eine Aufgabe der Arbeitsmarkt- und Berufsanalyse. Fur die Arbeits- marktpolit;i< ist der vom Bildungswesen gel ie f i r te Oualifikations-. Zertifikats- und Absolventenrasier nicht mehr als exogenes Datum anzusehen.

fi D ~ i e r Mertens. Der unscharie Arbeitsmarkt. Eine Zwischenbllanr der Flexlbiiitatslorschung, MiltAB. 411973

Umgekehrt ist die Bildungsplanung auf dem Wege, zunehmend wahre oder vermeintliche ,,Arbeitsmarkt- erfordernisse" in ihre Modelle einzubeziehen. Be- schäftigt man sich mit Literatur und öffentlicher Mei- nung zu den Fragen zwischen Bildungs- und Be- schäftigungssystem, so stellt man gegenwärtig eine merkwurdige Patt-Situation fest: Man möchte ja an- nehmen, daß es in erster Linie Bildungspolitiker seien, welche eine beschäftigungsunabhängige Bib- dungspolit ik vorantreiben möchten, und daß es vor allem Arbeitsmarktpolitiker seien. welche standig eine Orientierung der Bildung am Beschäftigungsbe- Zug forderten. In Wirklichkeit ist es eher umgekehrt. Angesichts des eklatanten Mangels an konkreten be- schaftigungsunabhängigen Bildungszielen ziehen

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sich gerade Bildungspolitiker zunehmend auf die Forderung nach der genauen Erkundung von Ar- beitsplatzerfordernissen für die Auslegung von Curri- cula zurück. Angesichts der eigenen Ratlosigkeit darf man darin eine (verständliche) Alibi-Attitüde sehen. Auf der anderen Seite sind es gerade -. Arbeitsmarkt- _. - kenner, wd&e - es se iñúrän~áas nunmehr fast al- les beherrschende Schlagwort von der ..Mobilität" (samt Bildung zur Mobilität) erinnert - davor-warnen, Bildung .m zu eng verstandenen Arbeitsplatzerfah- r9cn-d.er Gegenwart zu orientieren, Jede Seite kennt gerade die Grenzen der eigenen Möglichkei- ten, verbindliche Aussagen zu formulieren, zu genau. um die Rolle der Autorität noch unbefangen über- nehmen zu können.

Unter diesen Umständen darf es den Leser nicht mehr verwundern, daß gerade aus arbeitsmarktpoliti- schen Uberlegungen Thesen zur Bildungsproblema- tik abgeleitet werden können, von denen man ohne Hintergrundwissen eher annehmen konnte, daß sie dem Glasperlenspiel zweckfreier Bildungseuphorie entsprungen sein könnten. Man wird vielleicht ein Wiederaufleben humanistischer Bildungsvorstellun- gen erkennen; neu ist vielleicht nur, daß eine solche Tendenz sich aus sehr eingehenden und differenzier- ten wissenschaftlichen Einblicken in die Ausgleichs- und Friktionserscheinungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem als die derzeit ,.arbeitsmarkt- dienlichste" herauskristallisiert. Daß sie daneben auch anderen Idealen nahesteht, könnte hier sogar gänzlich außer Betracht bleiben, soll es aber doch nicht ganz. Pädagogisch versierte Leser (sie sind ohnehin hier nicht die Zielgruppe) mögen sich nicht daran stoßen, daß hier zu einer taxonomischen Frage (prozeßab- hängige versus prozeßunabhängige, funktionale ver- sus extrafunktionale, Langzeit- versus Kurzzeiifa- higkeiten und -fertigkeiten), die ihre eigene reiche Literatur im sozial- und erziehungswissenschaftli- chen Bereich hat, von einer Außenseite her bezugs- und verweisarme ,,Thesen" angeboten werden. Die Nationalökonomie ist auf diesem Felde (ebenso wie auf anderen) ohnehin mehr an ihrer Kompetenzgren- ze als in ihrem Kompetenzzentrum tätig. Schlimm wird es nur dort, wo ihr dies nicht mehr bewußt ¡St (wie etwa bei der reflexionsfreien Manpower-Projek-

-

'-

tion).

Ausgangspunkte 1. Eine ,,moderne Gesellschaft" soll charakterisiert sein durch - hohen technischen und wirtschaftlichen Entwick-

lungsctand, - Dynamik, - Rationalität, - Humanitat, - Kreativität, - Flexibilität und - Multi-Optionalität der Selbstvenniirklichung').

2. Unter ,,Schulung" wird die-Vermittlung der Fahjg- keit - - zur PromembewaKi&Ú-&in der durch die oben- genannten fünf Kriterien gekennzeichneten Umwelt) verstanden; es bleibt dabei unbestritten, daß ,,E '1 Vgl. dle ..Multi-Channel-Socleiy". Beitrag Japans zur 2 World Future

Research Conference. Kyoto 1970

d 9 " umfassendere Aufgaben hat als Schqlyne Bil- dung schlieB$dÖch Schulung ein.

3. Schulung für eine Existenz in der modernen Ge- sellschaft betrifft alle Zweige des Bildungswesens. Die Vorschulerziehung, die allgemeinbildende Grundschule, das Sekundarschulwesen, die Systeme der schulischen und betrieblichen Berufsbildung, die Erwachsenenbildung, die Hochschulen. 4. Schulung ~- für eine Existenz in der modernen Ge- sellschaft hatdrgi~.Dim-ensioneo:

- Schulung zur Bewältigung und Entfaltung der

- Schulung zur F u n _ d ~ r u n g . d e r ~ - ~ ~ c f i ~ n E x i s t i i n z ,

5. Bildungszweige und Curricula, Lernziele und Lehr- inhalte nach diesen drei Dimensionen trennen zu wollen, ist verfehlt: Jede Art von Bildunq(und Überhaupt jede Erfahrung) ist, unabhängig davon, auf welche Erkenntnisdimen- sion ihre Intentionen gerichtet sind, mehrwertigl Auch berufliche Bildung am Arbeitsplatz vermittelt gesell- schaftliche Verhaltenseffekte, ebenso wie gesell- schaftspolitische und andere ..allgemeine" Bildungs- inhalte auch die berufliche Qualifikation beeinflus- sen. Wenn diese Ambivalenz erkannt ist, ist es sfiinos ge- worden, voLaJge.meiner Bildung einerseits und. yan beruflicher Bildung (bzw. Ausbildung) andererseits zu sprechen. Es ist dann auch sinnlos. für verschiedene Schulungsdimensionen getrennte Reformüberlegun- gen anzustellen. 6. Richtig aber ist. daß die verschiedenen Dimensio- nen von Schulung bei jedem Reformentwurf für Lehr- Systeme, Lehrpläne und Lehrverfahren rational kal- kuliert werden müssen, da jedes Schulungselement die verschiedenen Dimensionen birgt

eigenen_Pers9nlichkeit,

- Schulong zu g e s e ! l s c ~ a f t l . ~ c h ~ . ~ ~ ~ r h - ~ U ~ -

w- -- --

Quaiiflkationserfordernisse 7 Dynamische Gesellschaften verlan-gen~zur OIien- tierung ihrer expänsivën- B'iidvngsplanung zuneh- mend~vor allem ngch Angaben Über die Qualifika- thserfordernisse an Arbeitsplatzen der Zukunft Diese--%ht - .~ ist unzulänglich; denn auch die Bil- dungserfordernisse späterer Generationen im Hin- blick auf die Rollen des Gruppenmitglieds. Staats- bürgers, Freizeitverwenders, Pensionärs usw. sind maßgebend für Bildungsreformen. Arbeit zur Siche- rung des Lebensunterhalts nimmt Ïn -entwickelten Wirtschaften im kommenden Jahrhundert nur mehr weniger~als -~ 10 O/O der Lebenszeit ein'

8. Als Reflex der Wissenschaft auf die öffentliche Nachfrage nach bildungsbezogenen Zukunftsaussa- gen, die vor allem künftige Arbeitsqualifikationen im Auge haben, sind jedoch die prognostischen Kalküle in dieser Hinsicht am weitesten entwickelt worden. Es laßt sich deshalb am Beispiel der Entwicklung der prognoseorientierten Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schung am besten aufzeigen, welche Entwicklung qualifikationsbezogene Uberlegungen zur Bildungs- Planung in der Regel durchlaufen. Vielleicht wurden ähnlich intensive Anstrengungen, künftige Qualifika- tionserfordernisse außerhalb der Arbeitsrolle zu er-

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mitteln, in eine ähnliche wissenschaftliche Entwick- lung münden. Dies ist aber nur eine Annahme. 9. Die wissenschaftliche Reflexion Über künftige Qualifikationserfordernisse an Arbeitsplätzen als Aufgabe der Bildungsökonomie hat inzwischen das methodische Instrumentarium einer ganzen Reihe von Forschungsdisziplinen beschäftigt: Die Wirt- schaftswissenschaften, die Natur- und Technikwis- senschaften, die Sozialwissenschaften und die Pâd- agogik.

Alle Instrumente sind - nach einer sehr euphori- schen Forschungsphase in den sechziger Jahren - nun nahe an ihren Grenzen, was ihre Kapazität zur Beschreibung gegenwärtiger und vergangener Quali- fikationsstrukturen angeht, und erst recht, was ihre prognostische Ergiebigkeit betrifft.

10. D~~Biidunsselanrine-~bs~ geht.- trotz der Hin- zuziehung eines gigantischen wissenschaftlichen Ap- parats als Orientierungsgrundlege - ganz Überwie- gend pplitisch-piagmaliscb, .extrapQlativ und noima- tiv--vor. -[Die Ergebnisse wissenschaftlicher Beratung dienen zumeist nicht der Fundierung, sondern der Rechtfertigung von Entscheidungen.)

Dies . ist ~.~~ a-ngesichts der erwiesenen immanenten Mängel-dei Prognostik nicht einmal zu beanstanden. Allerdings wäre von der normativen oder krypto-nor: mativen Bildungsplanung mehr Transparenz und Ra- tionalisierung ihrer Planungsgrundlagen zu verlan- aen.

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13. Die telnisc~eArbeitswissenschaft soli dieZer= legung von Arbeitsprozessen in Arbeitselemente er- bringen, welche auf erforderliche Ausbildungsele- mente der Arbeitskräfte schließen lassen, damit die Curricula neu organisiert werden können. Diese Ver- fahren der Arbeitsanalyse vermögen jedoch auch bei großem Forschungsaufwand keinen~ ~Aufschluß Über Arbeitsverrichtungen von morgen zu geben: sie er- bringen jeweils eine Momentaufnahme, welche im Augenblick ihrer Auswesung Überholt ist und zudem lediglich das Resultat einer un ter spezifischen Be- dingungen zustandegekommenen Anpassung zwi- schen zwei divergenten Systemen - Produktionspro- zeß und Person - darstellt.

14. Die Sozialwissenschaften erhielten die Aufgabe - angesichts der Undurchsichtigkeit der technisch- Ökonomischen Bedingungen für das Funktionieren des Ausgleichs zwischen Bildung und Arbeit -, die gesellschaftlichen und insbesondere die sozialpsy- chologischen Voraussetzungen und Begleiterschei- nungen von Ausgleichsmechanismen am Arbeits- markt der Zukunft zu benennen. Damit sollen der Bil- dungspolitik Anhaltspunkte . ~~. für ihre Planungsspiel- räume geliefert werden.

Als Schlüsselbegriff wurde die Mobilität der Arbeits- kräfte entdeckt. Sie erklärt alles und nichts: Die Tat- sache, daß Bildungs- und Beschäftigungssystem divergieren und dennoch - ex post - sich ineinan- derfügen, ist nur durch ein Zwischenglied zu erklären,

u---- welches die Divergenzen - mit ode; ohne Friktionen - harmonisiert, Für dieses Zwischenglied fand man ein wort: Mobilität.

11. Die Grenzen der Prognostik als Orientierungshilfe der Bildungsplanung lassen sich an den Stationen- aufzeigen, die die Suche nach Rezepten zur Be- schreibung künftiger Bildungserfordernisse nor- malerweise -. . - berührt: ~.

Die wirtschaftswissenschaftliche Arbeitsmarktfor- schung. _soll Berufsstrukturen künftiger Jahrzehnte angeben, aus denen dann adäquate Ausbildungs- Strukturen abgeleitet werden sollen. Sie kann aber: lediglich Strukturtrends der Vergangenheit wiederge- ben und fortschreiben, welche - statistisch unzureichend gesichert sind, - auf unteroptimalen Zuständen basieren und - sowohl für die Ausbildungen wie für die Berufstä-

tigkeiten in statistischen Kategorien dargestellt sind, welche den Arbeitsmarkt nicht wirklich be- schreiben.

Der Begriff des Berufs vor allem spiegelt in dynami- schen Gesellschaften nicht mehr den Inhalt oder die Anforderungen einer Position im Erwerbsleben wider. Besser brauchbare Kategorien stehen in der Er- werbsstatistik jedoch nicht zur Verfügung. Darüber hinaus besteht keine strukturelle und inhaltliche Deckung zwischen Berufs- und Bildungsnomenklatur.

12. Die Naturwissenschaften sind aufgefordert, die Tendenzen von- Innovafion und Diffus[on..ihrer Entr deckungi~also ihre eigene künftige Fortentwicklung, añzügeljëri.

Echte Innovationen aber sind definitionsgemäß nicht vorhersagbar; die wirtschaftliche Nutzung des gege- benen Innovationspotentials unterliegt darüber hin- aus politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, die dem Einblick der Naturwissenschaften selbst ent- zogen sind.

Seit Jahren sind die Sozialwissenschaften damit be- schäftigt, die Bedingungen dieser Mobilität, welche die Harmonisierung divergenter Systeme erlaubt, aufzuhellen: Soziale Voraussetzungen, Mechanis- men, Verhaltensweisen und die Effekte politischer In- strumente, welche Mobilität stimulieren sollen. Aber auch Bildung selbst wurde als wesentlicher Mobili- tätsfaktor ermittelt. Damit schließt sich der Kreis zwi- schen Erklärendem und zu- Erklärendem: Die Dispo: sition zu Mobilität wird durch Bildung vermittelt, die F~aiisie~rte Mobilität stellt das Schlußglied des Bil- dungsprozesses dar, welches Ihn an das Beschäfti- gungssystem koppelt.

15. Mobilität ist damit in das Zentrum vieler Qualifi- kationserörierungen gerückt, wie sie den pädagogi- schen Wissenschaften als Herausforderung ihrer Re- formüberlegungen nahegebracht werden.

Das E-rfordernis der Mobilität wurde dabei über sei- nen arbeitsmarktbezogenen Ursprung hinaus _trans- zendiert zu einem viel allgemeineren Erfordernis gei- stiger Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit, das Menschen in dynamischen Gesellschaften erfüllen müssen, wenn sie in allen ihren Rollen bestehen wollen.

Die Pädagogik ist gewöhnt an Ansprüche ganz allge- meiner Natur (Mündigkeit, Selbstbestimmung, gesell- schaftliche Anpassung, Erziehung zu einem be- stimmten, z. B. christlichen oder humanistischen, Menschenbild), welche an sie gerichtet werden in der Erwartung, daß sie die jeweils geeigneten Lehr- pläne, Lehrstoffe und Lehrmethoden entwickle.

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Pädagogische RefOrm$ger&QnQLl durchlaufen etwa folgenden Prozeß: Lernzielbestimmung (Aims) - Wahl geeigneter Lerngegenstände (Objectives) - Bestimmung der Ufie$chtsmethode. Als-Ausgangs- punkt des Prozesses (definition of aims) sind allge- Ke-ine AnsprÜ_che wje.,iM@Jlität", ,,Mundigkeit" nicht brauchbar. Die tatsächliche Konkretisierung desGn, -%¡?mekt des Bildungsganges erwartet wird, scheint, da Hilfe von anderer Seite weitgehend fehlt, demnach von der Pädagogik selbst geleistet werden zu sollen.

Flexibliltät Im Blldungswesen 16. Da Qualifikation.spro~-sen _ _ - - - nur unzuiängliche Orientierungshilfen für. die. Eljldungsplanung liefern und da dynamische Gesellschaften auf die Anforde- rung, auch auf Unvorhersehbares richtig reagieren zu müssen, am besten durch eine offene Planung (open planning) antworten, empfiehlt es sich für das Bil- dungswesen, den krampfhaften Versuch aufzugeben, eine Ausrichtung auf doch nicht angebbare künftige gesellschaftliche Erwartungen anstreben zu wollen. Staft dessen kann die Anpassungsfähigkeit an nicht Progno%f¡zierbares selbst zum Angelpunkt bildungs- planerischer Entscheidung werden, und zwar sowohl soTcher Entscheidungen, die die Bildungsplanung selbst betreffen (rollende statt starrer Planung), wie solcher, die das Bildungssystem betreffen (flexible Kooperationsstrukturen, z. B. im beruflichen Bil- dungswesen und in der Erwachsenenbildung mit dem gymnasialen und universitären Bereich), wie solcher, die das Zertifikatswesen betreffen (Bildungspässe, kumulierte Leistungsnachweise). Ferner sollte indivi- duelle Gestaltbarkeit, je nach den persönlichen und beruflichen Erfordernissen, der Bildungsbiographie gegeben sein. Schließlich sollte der K2nQn.der Bildungsinhalte ledig- lich in flexible, weite Spielräume (für die GestaKng. durch Bildungsinstitut, Lehrer und Schüler) offen- lassende Vorschriften gefaßt sein. Dies würde Bildung nach dem~Prinzip des Bauka- stencbedeuten. Es würde nicht nur die Anpassungs- fähigkeit des Bildungsbetriebs. sondern auch die Verwirklichung der -wiederum allgemeinen und ge- läufigen - Forderung mit sich bringen, daß der Frei- heitsgrad für den einzelnen bei der Bestimmung sei- ner Lebensverhältnisse in künftigen Gesellschaften erweitert werden müsse, was nur eine Folgerung aus dem Humanitätspostulat ist.

Abatrakiion und Praxisbezug 17. In den aktuellen Bildungsdiskussionen vieler Län- der ist ein doppeltes merkwürdlges Paradox zu ver- zeichnen: Während einerseits die zunehmende Intellektualisie- rung herkömmlicher Arbeitsfunktionen aller Art erör- tert wird, wird gleichzeitig das Abstraktionsniveau der vermittelten Bildung. ihre Abgesetztheit von praktischer Arbeit beklagt: während ferner innerhalb der berufsbezogenen Aufbaustufen des Bildungswe- sens zunehmend Lehrplanbestandteile ,,allgemeiner" Bildung Eingang finden (.,Grundstufen"), wird für die Ausgangsstufen des allgemeinen Schulwesens gefor- dert, daß es berufsbezogene Elemente aufnehmen müsse.

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-

An diesem doppelten Widerspruch zeigt sich eine grundlegende Unsicherheit Über diejenige Art von Bildung, welche als ernst- und dauerhaft verwendba- rer Grundstock für die berufliche Existenz anzusehen ist: Fehlt es, wenn die bildungsmaßige Fundierung einer beruflichen Existenz mißlingt, an Abstraktions- vermögen oder fehlt es an ,,Praxisnähe" im Sinne von direkt am Arbeitsplatz verwertbarer Fertigkeit? 18. Der Widerspruch ist nur scheinbar: Gerade der außerordentlich hohe Grad von Arbeitsteilung, der in modernen Wirtschaften erreicht ist, und der rasche Wandel von Arbeitsplatzverhaltnissen verbieten es, berufliche Bildung unmittelbar auf gegebene Arbeits- platze auszurichten - sie wäre jeweils nur für wenige einander ähnliche Arbeitsplätze verwendbar und ihr Inhalt so raschem Wandel unterworfen, daß Curricu- lum-Reformen immer hinter der Wirklichkeit zurück- bleiben müßten. Es kann die Hypothese vertreten werden, daß das Obsoleszenztempo (Zerfallzeit, Veraltenstempo) von Eldungsinhalfen positiv mit ihrer Prmisnahe und ne- gativ mit ihrem Abstraktionsniveau korreliert. Der Kompromiß, der in den meisten tradierten Bildungs- Zweigen zwischen Abstraktion und Praxisnähe ge- schlossen ist, ist von der Art, daß einerseits Arbeit- geber in fast jedem Einzelfall darüber klagen müssen, daß ein frischer Bildungsabsolvent für seinen spezifi- schen Arbeitsplatz nicht sofort voll produktiv einsetz- bar ist, während andererseits die Breite der erwor- benen Bildung noch nicht das Gefühl vermittelt, für alle Varianten und Wandlungen der Arbeitswelt in dem gewählten Beruf ausreichend mit intellektuellem Rüstzeug gewappnet zu sein. Der übliche Kompromiß besteht nämlich nicht so sehr in der Vermittlung einer übergeordneten Sicht und instrumentell abstrahie- render Distanz zu einem Problemfeld der Arbeitswelt als in der rein additiven Breite des abgefragten Fak- ten- und Methodenwissens. Diese Behauptung gilt - ebenso wie die erwähnten widersprüchlichen Bildungsdiskussionen - sowohl für bestimmte Aspekte des allgemeinen Schulwe- sens wie für die Berufsbildung. wie für die Hoch- schulbildung, wie auch für das zur Zeit stark debat- tierte System der Erwachsenenbildung. 19. Eine genauere Ausrichtung von berufsbezogener - oder auch allgemeiner - Bildung auf künftige Ar- beitsplätze würde jene Arbeitsplatzfeststellungen und -prognosen erfordern, deren Unmöglichkeit oben behauptet wurde. Selbst wenn diese Voraussetzun- gen zu schaffen wären, würde eine solche Ausrich- tung einen derart menschenverachtenden Genaulg- keitsgrad von Berufsplanung und Bildungslenkung bedeuten, wie ihn sich keine Gesellschaft derjenigen Charakteristik, die in These 1 genannt wurde, leisten kann. 20. Die Konsequenz muO in der anderen Richtung gesucht werden. Zu fragen ist nach derjenigen Struktur des Bildungswesens, welche die durch die D8erenziertheit und Fluidität der Arbeitswelt (und auch aller anderen sozialen Welten) unvermeidlichen Umstellungs- und Anpassungsfriktionen minimiert. k%r~,,-Fr¡ktionen" sind sowohl die individuellen Beein- trächtigungen der Lebensqualität durch erzwungene Umstellungen wie die gesamtgesellschaftlichen Kon- flikte und gesamtwirtschaftlichen Reibungskosten in- folge notwendiger Umstellungen gemeint.

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SchlÜciselquallflkallonen dlsparaten praktlschen Tätlgkelten erbrlngen, son-

21. Die Reflexionen der Pädagogik über Lernziele ha- ben eine Reifïe von Katalogen solcher persönliche; Quámäteri erbracht, denen Übergeordnete Bedeu- t ~ ~ - f ~ r ~ - ~ e B e w a i i i g u n g zukünftiger Anforderungen an den Menschen zugesprochen wird. Kataloge die- ser Art sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre Kate- gorien weniger allgemein als Begriffe wie ,.Mobilität" und ..Mündigkeit" (welche häufig die Oberbegriffe der Kataloge sein könnten), aber auf der anderen Seite allgemeiner als die Üblichen Fächer des Bil- dungskanons (Deutsch, Latein, Geschichte, Buchfüh- rung, Schweißtechnik) sind.

Sie beziffern spezifische Voraussetzungen für eine WirkfiEhkeitsbewältigung durch den einzelnen in e r e r rationalen, humanen, kreativen, flexiblen und multi-optionalen Umwelt. Sie können gleichzeitig als ebenso geeignet für die Bewaltigung einer flexiblen und variantenreichen Arbeitswelt ausgegeben wer- den. Voraussetzung ist, daß - was im einzelnen ex- perimentell zu prüfen wäre - ein reiches Spektrum von praktischen Aufgaben durch direkten und ra- schen Anwendungstransfer erschlossen werden k ~ n f ¡ ~ - ~ Gelegentlich wird für diese Übergeordneten Bil- dungsziele und -clemente der Terminus ,,Schlüssel- qualifikationen" erwähnt, der zur Beschreibung ihrer Schlüsselrolle für die Erschließung von Verstehens-, Verarbeitens- und Verhaltensmustern gut geeignet erscheint.

22. Kataloge von Schlüsselqualifikationen enthalten etwa folgende Kategorien: Förderung der Fähigkeit

: zülëbenslangem Lernen und zum Wechsel sozialer Rollen, Distanzierung durch Theoretisierung, Kreati- vität. Relativierung, Verknüpfung von Theorie und Praxis, Technikverständnis. Interessenanalyse, ge- selIschaftswissenschaftliches Grundverständnis; Pla- nungsfahigkeit; Befahigung zur Kommunikation, De- kodierungsfähigkeit: Fähigkeit hinzuzulernen, Zeit und Mittel einzuteilen, sich Ziele zu setzen, Fähigkeit ' zur Zusammenarbeit. zur Ausdauer, zur Konzentra- tion, zur Genauigkeit, zur rationalen Austragung von Konflikten, zur Mitverantwortung, zur Verminderung von Entfremdung, Leistungsfreude.

23. Alle derartigen Bildungsziel-Uberlegungen sind aekennzeichnet durch die AusaanashvDothese. daß

- die Vermittlung spezialicierter Fertigkeiten gegen- über deren übergeordneten strukturellen Gemein- sä-fi-eiten zurückzutreten habe (der spezialisierte Wissens- und Fgrtigkeitserwerb verlagert sich in das Training on the Job), und daß

- ein enumerativ-additives Bildungsverstandnis (Fak- ten-, Instrumenten- und Methodenwissen) durch ein instrumentelles -~ .- Bildungsverständnis (Zugriffs- wissen, know how to know) abzulösen ist.

Die mentale Kapazität soll nicht mehr als Speicher ron Faktenkenntnissen, sondern als Schaltzentrale für intelligente Reaktionen genutzt werden. Bildung bedeutet hier vor allem Befähigung zur Problembe- wältigung, Schulung ist Denkschulung.

24. Sdilüsselqualiflkationen slnd demnach solche I Kenntnlese, Fähigkelten und Fertlgkeiten, welche nlcht I unmittelbaren und begrenden Bezug zu bestimmten,

dem vlelmehr a) dle Elgnung for elne große Zahl von Positionen

und Funkilonen als alternailve Optlonen zum glel- '

chen Zeltpunkt, und

von (melsî unvorhersehberen) hderungen von ',

Anforderungen Im Laufe des Lebens.

b) dle Elgnung fur dle Bewältlgung eher Sequenz

25. Auch der Qualifikationsraster in Zeiten wenig dy- namischer gesellschaftlicher Entwicklung bestand zum Teil bereits - neben spezialisierten (Berufs-)Bil- dungselementen auch aus Schlüsselqualifikationen: Für die Allgemeinheit sind und waren dies die allge- meinen Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rech- nen. Für die Intelligenz waren es im Abendland La- tein, die aristotelische Logik, die euklidische Mathe- matik, die Theologie (Scholastik). und, in jüngerer Zeit, Jurisprudenz. Kenntnisse auf diesen Gebieten boten eine nahezu universelle Verwendbarkeit in be- Zug auf Positionen, Funktionen und Einzelreaktionen.

26. Man kann diese Hypothese vertreten: Je dynami- scher, komplexer und unvorhersehbarer die gesell- schaftliche, technische, wirtschaftliche und damit persönliche Umweltentwicklung verläuft, desto grö- ßere Bedeutung erhalten für die existentielle Bewälti- gung von Herausforderungen solche Bildungsele- mente, welche Schlüsselcharakter haben. 27 Ein vorherrschender Eindruck ist jedoch, daß Schlüsselqualifikationen selbst ebenfalls dem Wan- bel unterliegen, wenn auch einem weit langsameren W-andel als spezielle Fertigkeiten am^ einzelnen Ar- beitsplatz. Deshalb bedarf auch ein Katalog von Schlüsselqualifikationen von Zeit zu Zeit der Reform. Dies gilt heute gegenüber dem von gestern Überkom- menen Katalog, und es gilt morgen gegenüber jedem Katalog, der heute entworfen und verwirklicht werden kann (vgl. Ziff. 37-38; 41).

28. Zu Recht ist gegenüber Katalogen von Schlüssel- qualifikationen als Bildungsprogramm eingewandt worden, daß ihre curriculare Operationalisierung eines immensen Experimentalaufwandes bedürfe, und-daB Versuche, Schlüsselqualifikationen zu be- stimmen, dann für die Bildungsplanung wertlos seien, wenn sich herausstelle, daß sie weniger dem kogniti- ven (und dort dem durch Bildung vermittelbaren) als dem affektiven Bereich zugehören. Klärungen dieser Art müssen Brauchbares von Un- verwendbarem scheiden, ehe einem künftigen Bil- dungskanon mit Schlüsselcharakter Konturen gege- ben werden können. Dies hindert nach den bisher gewonnenen Einsichten und Vorüberlegungen aber nicht, mit der Operationalisierungsphase in Entwurf und Forschung zu beginnen. 29. Der Versuch einer Oberleitung zu einer solchen Operationalisierung kann zunächst nur der Versuch einer Ordnung nach verschiedenen Typen von Schlüsselqualifikationen sein, verbunden mit einigen Ideen über die Zuordnung von Lehrgebieten. Die weitere Transformation in curricular realisierbare Lehrstoffe ist nächster Schritt der Diskussion. Die Vmi t t l ung der Lehrstoffe mit Bedeutung für die Schlüsselqualifizierung kann a) paradigmatisch, z. B. durch Projekt- oder konkrete

Vertiefungsformen des Unterrichts, oder

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b) abstrakt-formal gedacht werden. Die Entscheidung fur die Didaktik hat nach rein padagogischen Kriterien zu erfolgen. Sie hat z. B. die Wirkung auf die Lernmotivation zu berücksichtigen. Bei der Wahl einer paradigmati- schen Didaktik ist die Durchdringung des Anwen- dungsfalles aber nicht selbst Bildungsziel.

30. Schlüsselbedeutung können vier verschiedene Typen von Bildungselementen haben. Wir nennen sie behelfsweise: (a) Bacisqualifikationen (These 31-33), (b) Horizontqualifikationen (These 34), (c) Breitenelemente (These 35-36) und (d) Vintage-Faktoren (These 37-38). 31. Baslsqualiflkatlonen sind in einer Klassifikation von Bildungselementen, welche das Allgemeinere uber das Speziellere stellt, Qualifikationen höherer Ordnung oder .,gemeinsame Dritte" von Einrelfàhig- keiten. Sie erlauben einen vertikalen Anwendungs- fremfer auf die speziellen Anforderungen in Beruf und Gesellschaft.

- Ein hypothetisches (aber gelaufiges) Beispiel: Die Fahigkeit zu logisch-strukturierendem Denken sei die gemeinsame Basisqualifikation für die Fahigkeit, ma- thematische Kalküle zu begreifen, und fur die Fahig- keit, grammatisches Wissen auf die Verstandigung in fremden Sprachen anzuwenden.

Dezisionistisches Risiko - Chance - Denken ükonomie

Entscheidungs- fahigkeit

Kreatives Assoziierendes Vorgehen Denken

kontextuelles Verstehen von Denken Lusammenhangen

und Interdepen- denzen

Spieltheorie, Entscheidungs- theorie. Wahrscheinlich- keitstheorie Brainstorming. Littérature automatique. Morphologie Schach, Operations Research

In der ersten ~ Sprllte stehen zwar schon nicht mehr so allgemeine Ziele wie ,,Mündigkeit" oder ,,Mobilitat", sondern Qualif&ationsbeg[iffe, die Voraussetzungen für die Gewinnung der allgemeinen Ziele darstellen. Für den Bildungsplaner und -reformer sind dies aber immer noch Schlagworte. Das E!kenntnisziel (objec- tive) muß fur ihn konkretisiert oder verdichtet oder auch spezifiziert (ausgewahlt) werden (zweite Spal- te). Lehrpläne konnen aber erst gestaltet werden, Gen, k%.senschaltliche Arbeitsgebiete benannt wer- den, die als Vehikel zur Qualifikationsvermittlung dienen konnten und die genügend gut definiert sind, sö daß eine konkrete Didaktik zu ihrer Beschreibung vorstellbar ist, falls sie nicht schon existiert (dritte Spalte).

34. Horlzontalaualifikationen sollen eine möalichst effi- Zu den Basisqualifikationen zahlen fast alle in den ziente Nutzung der lnformationshonzon?e.~er Gesell- Schlusselqualifikations-Katalogen der Padagogik schaft fu rden einzelnen (iewahrleisten. und zwar

L

vorfindbaren Bildungsziele,

32. FaBt man die meistzitierten Basisqualifikationen zusammen, so wird eine solche Liste sich auf die Aufzahlung von Fähigkeiten . zu logischem. analyti- schem, kritischem. strukturierendem, dispositivem, kooperativem, konstruktivem, konzeptionellem, dezi- sionistischem, kreativem und kontextuellem Denken und Verhalten eingrenzen lassen, erganzt um die all- ge-méÏn-e Basisqualifikation ,,Lernfähigkejt", die durch ,,Lernen lernen" vermittelt werden soll.

33. Eine Konkretisierung und Übersetzunng von Basis- qualifikationen in denkbare Lehrpläne kann etwa nach folgendem Muster zur Diskussion gestellt wer- den:

Baslsqualiilkatlon Konkretlsierung Vehikel, als Blldungsziel Lehrgegenstand

Logisches Denken Logisches SchließenFormale Logik. Schaltalgebra

entweder generell (gesichertes Wissen) oder aktuell, indem sie einen raschen Zugriff zu abrufbarem, an- dernorts gespeichertem Wissen bei einer ad hoc auf- tretenden Problemstellung ermöglichen. Man konnte sie auch ,,horizonterweiternde Qua/if/kalionen" nen- nen. Die Verfügung uber solche Qualifikationen er- bringt vor allem einen horizontalen Transfer. Sie haben die Qualifikationsforderung zum Aus- gangspunkt, daß der einzelne nur auf wenigen Ge- bieten jederzeit verfügbares Spezialwissen zu spei- chern brauche, wenn stattdessen seine Speicherka- pazität mit ,,Zugriffswissen" (,,gewußt wo") für mog- lichct viele Zugriffsgebiete genutzt wird.

Auch Qualifikationen dieser Art sind, weil horizonter- weiternd. mobilitätsfördernd.

Im Grunde handelt es sich nur um eine Schlüssel- qualifikation (die mehr als alle anderen die Bezeich- nung ,,Schlüssel" verdient!): InfOrmiertheit Über. i&- formafionen. Sie hat vier konkrete Dimensionen: - Wissen uber das Wesen von Informationen,

; - Gewinnung von Informationen, ' - Verstehen von Informationen, - Verarbeiten von Informationen.

Analytisches Analytische Ver- Linguistik, Vorgehen fahrenstechniken analyt. Geometrie Kritisches Argumentations- Dialektik

und Diskussionc- Denken fahicikeit

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Strukturierendes Denken

Dispositives Denken

Kooperatives Vorgehen Konzeptionelles Denken

- Klassifizieren

Zweck - Mittel - Okonomie,

Soziale Spielregeln und -techniken Planungsbereit- Schaft und 4ahigkeit

Uber- und Unter- ordnung von Phänomenen Organisationslehi Grundlagen der t)konomie Konkrete Spiele

Planungstechniken (Netzplantechnik u. a )

Den vier Gruppen von Horizontqualifikationen lassen sich wiederum Lehrplaneiemente zuordnen:

Horlzont- Konkretlsierung Vehlkel, qualltlkatlon Lehrgegenstand als Blldungsrlel

Informiertheit Über Wesen von allgemeine Informationen Informationen I nformationskunde,

allgemeine Lehre der Zeichen (Semiotik)

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Horlzont- KonkreUslerung quallflkallon als Blldungrziel

Gewinnung von Informationen

Verstehen von Informatlonen

Verarbeiten von Informationen

Vehikel, Lehrgegenstand

Bibliothekskunde. Medienkunde, Statistik spezielle Lehre der Zeichen und Symbole: Grundwlssen über Verbalsprache, mathematische Symbole, Pro- grammiersprachen. Zeichnungen. Modelle. Signale, Filme, Geräusche; Semanti k Grundwissen Über Fremdsprachen (Basic English, Sprachstrukturalis- mus) Fachwörìersprache (Latein - Grie- chisch -Englisch) Grundstruktur- kenntnisse über technische Pläne und Anleitungen Schnellesekurse. Aedundanzreduk- tion von Fragen und Aussagen, Förderung der Ausdrucksfähig- keit (Mutter- sprache), Ver- stehen des Wirt- schaftsteils einer Zeitung. Umgang mit Formelsamm- lungen, Nach- Schlagwerken, Blbliographien. Dictionnaires.

Weitere konkretisierende Forschungen müssen in diesem Fall wohl am ehesten im Bereich der Infor- mationstheorie angesiedelt werden, insbesondere um die Lehrplanelemente sinnvoll gewichten zu können. (Informations-, Speicherungs-, Assoziations-, Kreativi- täts- und Steuerungsaspekte verschiedener horizont- erweiternder Zeichensysteme, darunter auch Ver- balsprache.)

35. Bei den Breltenelementen handelt es sich nicht um klassifikatorisch Übergeordnete Qualifikationen (wie bei den Basisqualifikationen), noch um horizont- erweiternde Informationen über Informationen (wie bei den Horizontqualifikationen), sondern um solche speziellen Kenntnisse und Fertigkeiten, die Über bieite Felder der Tatigkekdandschaft nachweislich als praktische Anforderung am Arbeitsplatz auttreten. Sie können mit Methoden des Vergleichs von Ausbil- dungs; und Tätigkeitsnormen und -inhalten aufgefun- den werden, oder man identifiziert sie als solche An- forderungselemente, die in verschiedenen "Alphabe- ten" oder ,,Codes" der Ausbildungs- und Tätigkeits- analyse immer wieder auftreten, wie sie in These 13 erwähnt wurden. Diese Breitenelemente spielen in-

nerhalb eines größeren Berufssektors für die berufli- chen Anforderungsmuster eine ähnliche Rolle wie bestimmte immer wiederkehrende Elemente in che- mischen Verbindungen, z. B. Kohlenstoff (C) in der organischen Chemie. Sie verbinden sich in immer wieder anderer Weise mit anderen Qualifikationsele- menten; ohne sie geht es aber nicht.

36. &erfordert viel analytische Mühe, für bestimmte Bildungsebenen und -Sektoren in bestimmten Gesell- schaften diese Breitenelemente auszusondern. Eini- ge unter ihnen sind als solche seit langem erkannt und daher langst in den Kanon der allgemeinen Kulturtechniken. der im Grundschulbetrieb vermittelt wird, Übernommen worden, so z. B. die vier Grundre- chenarten. Andere werden nach wie vor i% der beruf- lichen Spezialausbildung vermittelt, obwohl sie dort Überall wiederkehren.

In rund der Hälfte aller (mehr als 500) betrieblichen Ausbildungsberufe der Bundesrepublik kehren in den Ausbildungsvorschriften zum Beispiel Kenntnisse in der Meßtechnik, im Arbeitsschutz und in der Maschi- nenwartung wieder. Ihre künftige Ubernahme in den Angerneinbildungskanon empfiehlt sich daher. Es kommt hinzu, daß dies genau diejenigen Kenntnisse sind, die in modernen Gesellschaften auch außerhalb des Erwerbslebens immer unentbehrlicher werden, ' z. B. für Jugendliche, Rentner und Hausfrauen.

37. Vlntage-Faktoren dienen in einer Erwachsenen- bildung, die integrierender Bectandteil des Bildungs- systems und der Bildungsbiographie des einzelnen ist, der Aufhebung intergenerativer Bildungsdifferen- zen. Das sind s i c h e Differenzen, die im Bildungs- stand zwischen Jüngeren und Alteren aus der Weiterentwicklung der Schullehrpläne in der Zeit zwischen verschiedenen Absolventengenerationen entstehen. Ein Beispiel: Der Schulabsolvent von 1950 kam ohne Kenntnisse in der Cantorschen Mathema- tik (Mengenlehre) aus; der Schüler von 1980 hat früh in Kategorien der Mengenlehre zu denken gelernt. Das Handikap Alterer im gesellschaftlichen Wett- bewerb resultiert teilweise aus solchen Lehrplan- diskrepanzen.

38. Zur Verringerung der Leistungsdifferenzen zwi- schen den Generationen dienen Kurse der Einfüh- rung in solche Bildungselemente, die früher nicht, später aber in der Regel für ein bestimmtes Ab- gangsniveau durch die Schule vermittelt wurden. In der Bundesrepublik zählen dazu etwa folgende Ele- mente: Grundzüge der Mengenlehre, der Sozialkunde, des Vertassungsrechts, des Englischen, der Program- miertechniken, der jüngeren Geschichte, der verglei- chenden Religions- und Ideologiekunde, der jüngeren Literatur, Grundwissen Über lremde Kulturen, Basis- wissen Über Relativitätstheorie und Nuklearphysik.

Die Konkretisierung der aus diesen intergenerativen Lehrplandifferenzen resultierenden Anforderungen an die Lehrpläne in der Erwachsenenbildung ist nur mit Hilfe einer prazisen intergenerativen Lehrstoff- Vergleichsforschung möglich (welche bislang prak- tisch nicht betrieben wird).

Kern- und Wahlbildung 39. Die in den Thesen 21-38 beschriebenen Schlüsselqualifikationen (oder eine experimentell zu

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ermittelnde sinnvolle Auswahl daraus) stellen nach unserer Hypothese den firn einer kunftigen Schu- lungszivilisation dar, welche die Menschen ange- sichts der schon unubersehbaren und wachsenden Fülle des menschlichen Faktenwissens vor allem mit Instrumenten ausrusten will, die ihm die bleibende Uberiegenheit uber Informationen sichern SOX

Wie schon erwahnt, bedarf eine gebildete Person- lichkeit auch in der Zukunft mehr als nur solchen Schlüsselwissens. Bei der Wahl dieses Mehrs an Bii- dung soll sie sich ledoch so frei entfalten können, wie es ihren Eignungen und Neigungen entspricht Die Phanomene des technischen und gesellschaftlichen Wandels sprechen nicht gegen, sondern mehr und mehr für die Einriumung solcher Spielraume, welche sich um die Kerngebiete ausbreiten 40. Das vorgeschlagene flexible Bfikastensystem von Bildung (Ziff. 6) besteht deswegen am besten aus einem Pflichtkanon, der auf die Vermittlung von Schiusselqualifikationen konzentrieit b!eibt. und einem breiîen Angebot an Spezialisierungs-, Vertie- fungs- und Komplementär-Kursen, im Verhaltnis 50 : 50 oder in einem anderen sinnvollen Verhaltnis.

Dieser Entwurf gilt wiederum fur aile B.ldungsebensn und -Zweige. So wird gesichert, daß ,,Schulung fur eine moderne Gesellschaft" erweitert wird zu ..Bildung fur eine rno- derne Gesellschaft" (vgi. Ziff. 2).

Schlüsselqualifikationen und Erwachsenenbildung

41. Das durchschnittliche Erwerbsleben währt uber 40 Jahre. Bei dynamischer technischer, wirtschaftli- cher und sozialer Entwicklung vermag kein Schu- lungsprogramm vor dem Eintritt in das Erwerbsleben bereits eine ausreichende Ausrusìung für die Bewnl- tigung der Umstellungserfordernisse wahrend des Erwerbslebens zu liefern. Deshalb ist éducation per- manente unerlaßlich, auch unter der Voraussetzung eines Grundbildungslehrplans, in dem die Schulung fur Schlüsselqualifikationen die Kernaufgabe gewor- den ist. Die SchlÜsselqualifikationen ändern sich nach Ge- wicht und Inhalt; auch erhalten neue Schulungsele- mente Schlusselbedeutung, frühere verlieren sie (vgl. Thesen 27 und 37-38). (Allerdings stellen die Schlus- selqualifikationen von heute auch den Schlüssel für das Verständnis derer von morgen dar, sonst wären sie falsch gewählt.) Die Forderung, der Erwachsenenbildung einen neuen Stellenwert zu geben, bleibt daher so wichtig wie eh

und je, nur ändert sich der Charakter dieser Forde- rung: Es geht nicht mehr um die Umstellung auf eine neue Schweißtechnik, sondern auch hier um die Er- haltung und Förderung von Schlüsselqualifikationen. Unberührt davon bleibt, daß die Art und Weise des Bezugs von Bildung, auch hinsichtlich der Inhalte und Ziele, im Weiterbildungssystem wiederum zu beacht- lichen Teilen der Option des einzelnen uberlassen bleiben muß, wenn nicht hier Bildung ausschließlich als Schulung betrieben werden soll (vgl. Ziff. 40).

Raffung: Die zweite Alphabeticierung

42. Ein Konzept der Schulung für eine moderne Ge- sellschaft auf der Grundlage vorstehender Gedan- kengänge enthielte insgesamt folgende Elemente:

- Integrierte Planung fur alle traditionellen Bil-

- offene. rollende Planung,

- Qualifikations- statt Absolventenplanung (nicht in Abschlußkategorien, sondern in Bildungskatego- rien. bis zur Aufgabe des Berufsbegriffs).

- normative Planung (nicht fiktiv-prognostisch- deterministisch, sondern gestaltend),

- flexible Systeme,

- flexible Bildungswege,

- flexible Bildungskanons,

- Bildungsgegenstände. welche Schlusselqualifika- tionen vermitteln, als Schulungskern (Denkschu- lung).

- weite Gestaltungsspielräume fur die individuelle, freigewahlte Konstruktion des gesamten Bildungs- musters des einzelnen durch die Zuwahl von Ver- tiefungs- und Angliederungsgebieten.

- ,.offene" Konstatierung und Zertifizierung von absolvierten Bildungseinheiten und erbrachten Leistungen entsprechend der individuellen Zusam- mensetzung des Bildungsmusters,

- Umdenken hinsichtlich der Verteilung der Bildungs- Zeit auf die Phasen der Erstbildung und der Er- wachsenenbildung,

- bewußte Nutzung der Ambivalenz von Bildung hin- sichtlich ihrer zentralen Ziele: Persönlichkeitsent- faltung und Uberlegenheit über Subsistenzpro- bleme (Förderung der individuellen und gesell- schaftlichen Leistungsfähigkeit).

dungswege.

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Bildung v INFO-PARTNER

Thesen zu einer liberalen Bildungspc

001940

Die liberalen Bildungsthesen wurden von einem speziellen Ausschuss erar- beitet. Dieser wurde im Februar 1973 ins Leben gerufen und hielt seine erste Sitzung am 22. Marz 1973 ab; er wurde vom solothurnischen Regie- rungsrat Dr. A. Wyser prasidiert. Am 5. Marz 1974 wurden die Thesen von der Projektgruppe genehmigt und am 27. April 1974 dem Zentralvorstand unterbreitet. Nach einem erlàuternden Referat des Ausschussmitgliedes Dr. R. Deppeler wurden die Thesen mit einigen Anderungen verabschiedet.

These 1

Bildungsziele und -Wege 1.1. Der Freisinn setzt sich für die

Gestaltung des Bildungswesens die folgenden Ziele: Individuelle Selbstentfaltung, Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen, Ent- wicklung der beruflichen Fähig- keiten und Fertigkeiten. Etziehung und Bildung sollen den Menschen in die Lage versetzen, sich in der Welt und in der Gesellschaft zu orientieren, seine Anlagen und Fahigkeiten voll zu entfalten, sich und seine Familie ohne fremde Hilfe durchzubringen und aktiv Anteil zu nehmen am politischen und kulturellen Leben. Ihr Ziel ist die wohlinformierte, selbstandig urteilsfahige, auch schopferisch gestaltende Person- lichkeit, willens und fähig zum geregelten Zusammenleben und Zusammenwirken mit andern Menschen im Rahmen der Gesell- schaft. Sie soll imstande sein, die Freiheit zu nutzen, aber auch ZU ertragen.

1.2. Es gibt verschiedene Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Unab- dingbar sind aber zwei Forde- rungen. Erstens: die durch ver- erbte oder angeborene Behinde- rung und/oder die (sozialen) Umstände des Heranwachsens bedingten Ungleichheiten der Startbedingungen sind mittels der Sozial- und Bildungspolitik so weit als moglich zu beseitigen (Nichtdiskrimination). Dem weib- lichen Geschlecht sind die glei- chen Bildungs- und Berufschan- cen zu gewähren wie dem männ- lichen. Zweitens: das Hinuber- wechseln von einem Bildungs- gang zum andern muss moglichst lang gewahrleistet sein (Durch- lacsigkeit).

1.3. Die erste Forderung, Grundvor- aussetzung fur die Realisierung solcher Chancengleichheit, ruft nach einem umfassenden, diffe- renzierten und zielgerichteten Angebot im Bereich der Vor- schulerziehung, ferner nach einer die Schule begleitenden beson- deren Betreuung der örtlich, sozial oder infolge fremder Mut- tersprache benachteiligten Kinder.

1.4. Die zweite Forderung, Grundvor- aussetzung fur die notwendige Flexibilität des Bildungssystems, ruft nach einer umfassenden Bil- dungskonzeption je in den Kan- tonen und im Bund.

1.5. Die Erziehung ist primar Sache der Familie, nur sekundar Auf- gabe der Schule. Um der Familie die Erziehungsaufgabe zu erleich- tern fordert der Staat die Eltern- bildung und Elternberatung.

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Editorial

Die in dieser Ausgabe der Politischen Rundschau abgedruckten Thesen und Postulate bedeuten eine Weiterent- wicklung der Grundsätze wie sie im I. Teil ((Liberalismus heuten erarbeitet worden sind. Parteiinterne Arbeits- gruppen haben in vielen Sitzungen diese Konkretisierung vorgenommen und einen Standpunkt erarbeitet, der in freisinniger Sicht als optimal bezeich *' net werden kann. Bewusst wurdty? dabei utopische Zielsetzungen verde- den, denn nach diesen These 'soll sich die freisinnige Politik in de rraxis orientieren. Die Thesen w u d n von offiziellen Parteigremien gepruft und teilweise modifiziert un zwar im Sinne einer Annaherun n die Reali- sierbarkeit. Sie dienen en Parlamen- tariern bei ihren Vors ssen als Orien- tierungshilfe, sich d gesetzten Zielen zu nahern. Wir urfen mit Genug- tuung feststelle dass die publizierten Thesen senmedien in der / m esse Teil und bereits an den Mas- eine

gebührende Achtung gefunden haben und mochten es an dieser Stelle nicht unterlassen, den Arbeitsgruppen für ihre in dies4Arbeit investierte Zeit und das Fac issen unseren besten Dank f rechen.

grossem Informationswert ist a dann die wirtschaftlich-konjunk- , urpolitische Analyse von Biindesrat Ernst Brugger, wie er sie anlasslich der Beratung des sogenannten Konjunk- turberichtes vor dem Parlament vorge- tragen hat. Zu den eigentlichen Wachstumsfragen gehört zweifellos auch der Umweltschutz, zu dem sich Vital Gawronski gestutzt auf Unterla- gen der OECD stutzt. Alle diese Uberlegungen und Vorstellungen ver- suchen mehr oder weniger von der Theorie des Liberalismus auszugehen, die im letzten Beitrag (der Arbeits- gruppe für liberale Politik St. Gallen) in einer fur schweizerische Verhalt- nisse vortrefflichen Weise formuliert wird. H. R. Leuenberger

Redaktionelle Anmerkungen

Die vom Parteitag 1974 in Rapperswil angenommenen Thesen uber die ((Notwendigkeit und Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums)) (Nécessité et limites de la croissance économique) sind in diesem Jahrgang der Politischen Rundschau auf den Seiten 59 und 60 abgedruckt. I rn Heft 2 der Politischen Rundschau 1973 wurde die Absicht ausgesprochen, die «Biblio- graphie zum schweizerischen Liberalismus)) jahrlich zu veroffentlichen. Dieses Ziel liess sich aber leider nicht verwirklichen Die Bibliographie wird kunftig im Zweijahresturnus publiziert werden. Die Zitate auf den Seiten 80, 93. 129. 139 und 160 entstammen dem in diesem Heft bespro- chenen Werk von Gerhard Szczesny Dr. Paul H. Ehinger

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These 2 Lernen - ein lebenslanger Prozess 2.1. In unserer arbeitsteiligen, sich

rasch wandelnden Gesellschaft muss das einmal Erreichte immer wieder an den neuen Anforde- rungen gemessen werden konnen.

2.2. Jedes Abschlussdiplom bildetdes- halb nur ein Etappenziel.

2.3. Weiter- und Fortbildung (éduca- tion permanente und récurrente, recyclage sowie die Notwendig- keit allfalliger spaterer Umschu- lung) wirken sich auch auf die Ausgestaltung der Grundausbil- dung aus.

2.4. (( Kontaktstudien )) (sogenannte Sandwich-Courses im Anschluss an die Grundausbildung) sind in jedem Ausbildungsgang vorzu- sehen: vor allem zu diesem Zweck bedarf es neuer Lehrmethoden, bei denen dem Selbststudium eine besondere Bedeutung zu- kommt; ohne Miteinbezug der Massenmedien und ohne Aufge- schlossenheit der Arbeitgeber ist es nicht moglich, dieses Postulat zu verwirklichen.

2.5. Die Lernrnotivation muss auf jeder Bildungsstufe geweckt und gefor- dert werden.

These 3 Der primäre Bildungsbereich (Vorschule, 1.-5. Schuljahr) 3.1. Die Vorschule unterstutzt und

erganzt die Bildungsarbeit der Eltern zur Entwicklung der Krafte des Kindes im Hinblick auf den Eintritt in die Primarschule.

3.2. Der Besuch der Vorschule ist freiwillig. Kantone und Gemein: den sind zu verpflichten, die Moglichkeiten fur den Besuch der Vorschule wahrend minde- stens eines Jahres zu schaffen.

dungsgang gehen; als Minimal- forderung gilt eine furalle gemein- same funfjahrige Primarschule.

3.4. Die Einfuhrung der neunjahrigen obligatorischen Schulpflicht ist zu beschleunigen.

3.5. Die selektiven Prufungen von der Primar- zur Sekundarschule sind durch Ubertrittsverfahren zu er- setzen, welche eine umfassendere Beurteilung der Ausbildungs- Chancen des Schulers erlauben.

3 6. Die innere und die aussere Koor- dination unter den Kantonen sind mit noch grossereni Nachdruck voranzutreiben.

These 4

Der sekundäre Bildungsbereich (6.-13. Schuljahr) 4.1. Die erste Stufe des sekundaren

Bildungsbereichs (bis zum Ende der Schulpflicht) ist als Orien- tierungsstufe zu gestalten. Das Ziel der Orientierungsstufe ist ein doppeltes: durch Herausfordern und Erproben zu hinreichender Klarheit uber die Eignung und Neigung für eine bestimmte beruf- liche Ausrichtung fuhren, und durch Heranfuhren und Nahe- bringen der Hauptbereiche der Berufs- und Arbeitswelt die Wahl der Berufsrichtung erleichtern. Hohe Durchlassigkeit gewahrlei- stet das Einpendeln. Die zweite Stufe geht in der Dif- ferenzierung weiter und fuhrt zu unterschiedlichen Abschlussen.

4.2. Das Spannungsverhaltnis zwi- schen Durchlassigkeit und Dif- ferenzierung offenbart sich vor allem auf der zweiten Stufe (nach-obligatorische Schulzeit); da auf die Durchlassigkeit nicht verzichtet werden darf, sind die Schularten in ihrer Qualitat ein- ander anzugleichen; dabei ist die Berufsbildunti aufzuwerten, und

3.3. Es ist in allen Kantonen darauf die Maturitákchule, die auch hinzuwirken, dass alle Kinder Diplomabschlusse bieten muss, moglichst lang den gleichen Bil- nicht abzuwerten.

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höheren Ausbildung mitwirken konnen; auf diese Aufgabe ist er bereits auf den untern Bildungs- stufen vorzubereiten.

5.4. Die unter Ziff. 2 erwahnten Postu- late finden auf dieser Stufe ihren dringendsten und sinnreichsten Anwendungsbereich; die Me- j thode der ((Kontaktstudien)) (al- , ternierende Phase von Studium und Arbeit) ist zu erproben, nicht zuletzt um die Praxisbezogenheit des tertiären Bildungsbereichs zu fördern.

5.5. Auch auf dieser Stufe gelten die Forderungen nach Koordination und Kooperation nicht nur fur Bund und Kantone, sondern ebenfalls fur die respektiven Di- rektionen und Departemente der Kantone und des Bundes.

. 4.3. Der Prozentsatz derjenigen, die sich nach der obligatorischen Schulzeit an einer anerkannten Schule fortbilden, ist weiter zu steigern; idealerweise sollten alle Jugendlichen erfasst werden. Parallel dazu ist die Qualitat der Berufsschulen weiter zu steigern. Hierbei sind unter anderem fol- gende Postulate wegleitend: Schaffung von Weiterbildungs- klassen (10. Schuljahr); Ausdeh- nung des beruflichen Unterrichts auf Kosten der Ausbildung in den Betrieben; Einfuhrung von beson- deren Klassen der Berufsmittel- schule.

4.4. Trotz Differenzierung der Matu- ritatsschulen durch Diplomab- schlusse und Wahlfächer hat der Maturitätsausweis den Zugang zu allen Hochschuldisziplinen zu erschliessen; der Unterricht an den Maturitatsschulen muss pra- xisnaher gestaltet werden.

4.5. Fur den gesamten sekundären Bildungsbereich ist eine Rahmen- gesetzgebungskompetenz des Bundes anzustreben, die aber Rücksicht auf die foderalistischen Traditionen nehmen muss.

These 5 Der tertiäre Bildungsbereich 5.1. Die Hochschule ist nur eine von

mehreren Ausbildungsmoglich- keiten im tertiaren Bildungsbe- reich, was sich auch bereits auf die Zielsetzung der Schularten im sekundären Bereich auswirken muss; das Problem des Zugangs zu den Hochschulen darf nur im Rahmen dieser vertikalen Bezüge gesehen werden.

5.2. Die Hochschule ist auch horizon- tal, das heisst zusammen mit allen höheren Fachschulen, in eine Gesamtkonzeption der tertiaren Ausbildung zu integrieren.

5.3. Der mundige Mensch muss an der Erarbeitung der Ziele, der Methoden und der Strukturen der

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These 6

Das Erziehungs- und Bildungswesen steht und fallt mit den darin tätigen Personen/ Pädagogen 6.1. Im Erziehungs- und Bildungswe-

sen ist die Funktion des Lehrers nach wie vor von zentraler Bedeu- tung. Um das Schulwesen im engern Sinne hat sich aber ein Kranz von weiteren Dienstlei- stungen (sozialpädagogische, sozialmedizinische, administrati- ve) entwickelt. Fùr diese Tatig- keitsfelder sind entsprechende Ausbildungsmoglichkeiten eben- so zu sichern wie für die Lehrer aller Stufen.

6.2. Die Aufwertung des Lehrerberu- fes insbesondere in der Volks- schule wird mit angemessenen Besoldungen allein nicht erreicht und gesichert. Im Mittelpunkt der Bemühungen hat die stan- dige Verbesserung der Lehrerbil- dung im Sinne der beruflichen Grundbildung und der Fort- und Weiterbildung zu stehen.

6.3. Die Grundausbildung für Volks- schullehrer soll das unbedingt

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6. issen und Können Z L arufsausubung sicher- stelitit u, .J eine Zulassung zum Hochschulstudium grundsatzlich ermoglichen. Die Grundausbil- dung darf 5 Jahre nicht unter- schreiten.

6.4. Die Fort- und Weiterbildung der Lehrer aller Stufen ist in das Gesamtkonzept der Lehrerbildung einzubauen und in diesem Rah- men systematisch aufzubauen und zweckmassig zu institutio- nalisieren.

6.5. Die Tatigkeiten und die Ausbil- dungen aller in Schul- und andern Erziehungsfunktionen tatigen Fachleute (zum Beispiel Kinder- gartnerin, Mittelschullehrer, Hoch- schullehrer, Berufsschullehrer, Volksschullehrer, Sozialpadago- ge/Sozialarbeiter, Erwachsenen- bildner, usw.) unterscheiden sich nur graduell und nicht prinzipiell voneinander. Dies ist in den diesbezuglichen Aucbildungc- gangen zu berücksichtigen.

6.6. Die Jugend hat ein Anrecht darauf. in allen Bereichen des Erziehungs- und Bildungswesens erzieherisch tuchtigen Frauen und Männern zu begegnen. Der ein- seitigen Verteilung der im Erzie- hungs- und Bildungswesen beruf- lich tatigen Frauen und Manner ist darum zu steuern. Dies gilt insbesondere fur die Stufenflucht der Manner in der Volksschule und die Untervertretung der Frau im Mittel- und Hochschulwesen. Die dazu notwendige sozialpo- litische Beweglichkeit ist mit allen

Mitteln anzustreben (zum Bei- spiel Teilzeitarbeit, flexiblere Ar- beitszeiten. usw.).

These 7

Bildung. Staat und Gesellschaft 7.1. Dem Bildungswesen kommt auch

in einer Zeit finanzieller Engpässe erste Dringlichkeit zu.

7.2. Die Offentlichkeit hat die not- wendigen Bildungsmoglichkeiten zur Verfugung zu stellen. Es sollen niemandem finanzielle Hinder- nisse in der Verwirklichung be- rechtigter Bildungsziele erwach- sen.

7.3. Angesichts der stets wachsenden Anforderungen, die das Leben und die Gesellschaft an den Menschen stellen, ist in erster Linie von der Nachfrage des Individuums und der Gesellschaft nach Bildung auszugehen.

7.4. Es soll nicht an die «obere)) Instanz delegiert werden, was die «untere» ebenso gut oder besser bewaltigen kann; dieser Grundsatz gilt fur die Beziehung zwischen Familie und Schule ebenso wie für diejenige zwi- schen Schule und Staat, zwischen Gemeinde und Kanton und zwi- schen Kanton und Bund.

7.5. Die Vorbereitungen fur einen zeitgemassen Biidungsartikel der Bundesverfassung sind unver- züglich erneut an die Hand zu nehmen; er ist spätestens wah- rend der Legislaturperiode 1975/ 79 der Volksabstimmung zu unter- breiten.

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Infrastruktur

Thesen zur Regionalisierung

Mitte 1973 erhielt der Ausschuss fur Landesplanungsfragen unter dem Vor- sitz von Nationalrat Dr. P. Grün& von der Parteileitung den Auftrag. zuhan- den des neuen Parteiprogramms The- sen zur Regionalisierung zu erarbeiten. Nach verschiedenen Sitzungen wur- den aufgrund eines Entwurfs von Prof. Dr. R. Jagmettiam 21. M a i 1974 die nachstehenden Thesen gutge- heissen:

Ausgangspunkt fur den Entscheid uber die Wunschbarkeit der Regiona- lisierung sowie uber territoriale Be- grenzung, Statut und Organisation allfalliger Regionen sollten die Motive sein, auf denen das Anliegen beruht. Aus ihnen werden die Postulate abge- leitet, die in Einklang mit den Zielvor- stellungen des Liberalismus stehen.

1. Staatspolitische Zielsetzungen

a) Identifikation und Integration Aus mannigfaltigen Grunden identi- fiziert sich der Burger heute nicht mehr so stark wie fruher mit dem Gemeinwesen, in dem er lebt, weil Wohnort, Schlafplatz und Erholungs- räume vielfach auseinanderfallen und der Wohnort haufiger gewechselt wird (geographische Mobiiitat). Eine Verbesserung dieser Situation kann zwar nur beschrankt durch organisa- torische Massnahmen erreicht wer- den. Immerhin sollten jene Gliede- rungsformen geschaffen werden, die eine Integration des Individuums in die Gemeinschaft begunstigen. Mass- gebende Bedeutung kommt dabei der Gemeinde zu. Diese verliert indes- sen zusehends an Einfluss, indem

immer mehr Entscheide auf kantona- ler und eidgenossischer Ebene getrof- fen werden. Man kann sich fragen, ob bei den ausreichend organisierten Regionen die Kompetenzumlagerung von der kommunalen auf die regio- nale statt die kantonale Ebene mog- Iich wäre und sich der Bürger mit der Region enger verbunden fuhlen würde als mit dem Kanton. Nach beiden Richtungen sind Zweifel anzumelden.

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b) Ermogiichung eines demokrati- schen Entscheidungsabiaufs

Uberkommunale Aufgaben werden heute in der Regel von privatrechtli- chen Zusammenschlussen oder von offentlich-rechtlichen Zweckverban- den von Gemeinden gelost. In Agglo- merationen kommt es ferner vor, dass die Kerngemeinde gestutzt auf Ver- träge Leistungen zugunsten anderer Gemeinden oder deren Einwohner erbringt. Bei beiden Varianten ist ein demokra- tischer Entscheidungsprozess meist nicht immer voll gewahrleistet. Der privatrechtliche oder óffentlichrecht- liche Gemeindeverband gleicht hin- sichtlich der Struktur eher einem pri- vaten Verband als einem nach dem Gewaltenteilungsprinzip organisierten Gemeinwesen. Bei Leistungen einer Gemeinde zugunsten einer andern sind die Bürger oft kaum zur Mitbe- stimmung aufgerufen. Diese Situation gibt bei Verbänden, die fur eine bestimmte betriebliche Aufgabe gebil- det werden, nicht zu Bedenken Anlass. Bei einer Erweiterung des Aufgaben- bereichs muss hingegen ein demokra- tischer Entscheidungsablauf einge- fuhrt und garantiert werden.

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